„Das ist nicht mehr meine Stadt“ – eine Abrechnung

/brutal-berlin-das-ist-nicht-mehr-meine-

  • Brutal Berlin : „Das ist nicht mehr meine Stadt“ – eine Abrechnung
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/brutal-berlin-das-ist-nicht-mehr-meine-stadt-eine-abrechnung-li.225

    Voilà ce que ça donne quand tu regardes "ta ville" d’une perspective de gauche/droite caviar. Tu remarques que tes copines et copains en viellissant se sentent de moins en moins en sécurité. Puisqu’ils en on les moyens ils déménagent à la campagne ou partent à Paris/New York/Tel Aviv, enfin jusqu’à ce que les imbéciles des pays respectifs transforment ces villes en véritables zone de guerre.

    La guerre berlinoise contre les exclus provoque des réactions peu agréables, mais pour le moment nous sommes encore en mesure de lutter contre les origines de l’exclusion sociale. Qu’est-ce que tu veux, New York n’est pas pour tout le monde.

    5.10.2024 von Marcus Weingärtner - Eine Dystopie ist nichts, was in der Zukunft liegt. In Berlin ist sie doch längst zum Alltag geworden. Eine Abrechnung mit dieser Stadt und ihrem Niedergang.

    „Das ist nicht mehr meine Stadt“, sagt die Frau, die neben mir am Gleis steht, als die U8 einfährt. Ich kenne sie nicht, aber gemeinsam mussten wir zusehen, wie sich ein Mann nur ein paar Meter weiter erleichterte. Er pinkelte an die geflieste Wand des Bahnhofs, sein Urin spritzte auf den Boden und bildete eine Pfütze zu seinen Füßen. Wir blickten beide weg. Das ist nicht mehr meine Stadt. Ich verstehe, was die Frau meint.

    Ich habe lange über diesen Satz nachgedacht. Sechs Worte, die genau beschreiben, was auch ich in diesem Moment empfand und was mich schon länger immer wieder beschäftigt. Das ist nicht mehr die Stadt, in die ich mal voller Freude gezogen bin, aus Gründen, die mir abhandengekommen sind.
    Neulich sagte jemand zu mir, diese Stadt würde „verslummen“

    Wer hat sich verändert? Ich oder Berlin? Oft habe ich das Gefühl, dass wir uns auseinanderleben. Ich werde unsicherer, dünnhäutiger, die Stadt wird härter, abweisender. Oder war Berlin vor zehn Jahren noch nicht so runtergekommen? So harsch, dass ich im öffentlichen Raum dauerhaft das leise Summen der Paranoia im Hinterkopf spüre? Woher kommt dieses Gefühl?

    In der Bahn lese ich Polizeimeldungen auf meinem Handy:

    „Einsatzkräfte des Spezialeinsatzkommandos nahmen gestern Abend drei Männer in Prenzlauer Berg fest. Gegen 21.10 Uhr alarmierten mehrere Zeugen die Polizei zu einem Mehrfamilienhaus an der Lilli-Henoch-Straße, da sie dort zuvor in einer Wohnung mehrere Schüsse gehört hatten.“

    „In Gruppen gingen vergangene Nacht mehrere Männer in Britz aufeinander los.“

    „Ein bislang unbekannter Jugendlicher soll gestern Abend in Lichtenberg zwei Männer mit einem Baseballschläger geschlagen haben.“

    „Ein Mann hat gestern Nachmittag in Alt-Hohenschönhausen mehrere Menschen angegriffen. Dem bisherigen Ermittlungsstand zufolge soll der 23-Jährige gegen 14.45 Uhr auf der Hauptstraße zunächst eine 18-Jährige verbal bedroht haben. Anschließend soll er unvermittelt auf die junge Frau zugegangen, sie mit beiden Händen am Hals gewürgt und sie gegen einen Bauzaun gedrückt haben.“

    Solche Meldungen lese ich mittlerweile dutzendfach, jede Woche. Eine Freundin sagt, das wäre schon immer so gewesen. Berlin wäre eine Metropole mit den Problemen, wie sie alle Großstädte plagen. Nur eben mit einer Verzögerung würden in Berlin Dinge ankommen wie Massentourismus, Wohnungsnot und eben auch zunehmende Gewalt und Verwahrlosung. Neulich sagte jemand zu mir, diese Stadt würde „verslummen“.

    Eine Übertreibung, klar. Wer mal einen Slum gesehen hat, weiß, dass das etwas anderes ist als die Gruppe Obdachloser, die am Halleschen Tor in der Uferböschung zeltet. Aber trotzdem denke ich über diesen Satz nach, als ich die Zelte der Obdachlosen auf einer Rasenfläche sehe, auf der ein Feuer brennt, um das circa 15 Männer in abgerissener Kleidung stehen und trinken. Es ist nebelig, nasskalt, eine dystopische Szenerie, die ich mittlerweile an vielen Plätzen in Berlin gesehen habe. Zelte in Parks, Obdachlose unter Brücken, mitten in der Stadt. Trinkgelage, Hoffnungslosigkeit, Aggression.

    Ich fühle mich in Berlin nicht mehr sicher.

    Die Freundin einer Bekannten wurde im Gleisdreieck-Park ausgeraubt. Nicht da, wo die Grünanlage dicht bewachsen und dunkel ist, sondern auf dem Hauptweg, der parallel zu den prächtigen weißen Neubauten verläuft, die in einer Art protzigem Fake-Gründerzeit-Stil den Park säumen. Sie wurde am helllichten Tag von einer Gruppe Jugendlicher vom Rad gezogen und geohrfeigt. Man nahm ihr ihr Geld ab und ließ sie gehen. Anzeige erstatten wollte sie nicht, das wäre doch einzig für die Statistik, und so viel Geld sei es nicht gewesen. Vor der sicherlich traumatischen Erfahrung spricht sie nicht.

    Ich könnte einfach weitere Beispiele aus dem Berliner Alltagsleben nennen. Von Cracksüchtigen und Diebstählen, Dealern im Bahnhof und einem zunehmenden Gefühl der Entfremdung mit dieser Stadt.

    Eine Kollegin erzählte, wie sie in der Hasenheide beim Joggen von arabischstämmigen Jugendlichen beschimpft und bedroht wurde.

    Ein Freund von mir wurde in der S-Bahn in Neukölln von einem Mann mit Palästinensertuch angespuckt, weil er einen Aufnäher in Regenbogenfarben auf dem Rucksack trug. „Ich bring dich um, du Schwein“, soll der Mann gesagt haben. Mein Freund sagte, er sei froh gewesen, dass der Mann ihn nicht auch noch geschlagen habe. Wie bitte? Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und dafür müsste ich noch nicht mal weitere Polizeimeldungen bemühen, ich könnte einfach weitere Beispiele aus dem Berliner Alltagsleben nennen. Von Cracksüchtigen und Diebstählen, Dealern im Bahnhof und einem zunehmenden Gefühl der Entfremdung mit dieser Stadt, die ich nach rund 25 Jahren als in vielen Teilen dysfunktional und runtergekommen empfinde. Von immer mehr Menschen, die ich nicht mehr als Bereicherung für diese Stadt, sondern als Bedrohung empfinde.

    Legende, die sich vom Speck der Vergangenheit nährt

    Ist eine Dystopie eigentlich nur das Gegenteil einer friedfertigen Zukunft, etwas, das erst kommt? Wenn ich nach einem Tag in Berlin meine Wohnungstür schließe und durchatme, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Mittlerweile empfinde ich Berlin als eine Stadt, die irgendwie zerbröselt. In verschiedene Gesellschaften, in Teile und Communitys, die einander meiden. Die ohne Sympathie und Verständnis aufeinander herabsehen, auf die Abgehängten, die Menschen aus anderen Ländern, vor allem auf die, die nicht der westlichen Welt zuzurechnen sind. Als ich nach Berlin kam, war das anders. Aber da war auch die Welt eine andere.

    Man kann das alles als zynisch betrachten, als Wehleidigkeit auf sehr hohem Niveau. Aber nach 25 Jahren in dieser Stadt kann ich die immer gleiche, reflexartige Leier nicht mehr hören, nach der Berlin so liberal sei, so frei, eine Heimat für jeden, der nur will.

    Denn: Es ist nicht wahr und nährt sich noch immer vom Speck vergangener Zeiten, goldenen 20ern und hedonistischen 90ern und dem längst zu Asche zerfallenen Arm-aber-Sexy-Image der 2000er. Auch das ist Berlin – ängstlich am Überkommenen hängend und daraus ein heimeliges Image zimmernd, das aber tagtäglich auf den Straßen dieser Stadt zusammenklappt. Eine Art Volkstheater für Touristen und ein bisschen Balsam aufs Gemüt aller, die hier leben. Berlin, das ist auch ein wurstiges Schulterzucken ob all der Probleme, die mittlerweile so virulent sind, dass man sich wundert, dass trotzdem irgendwie alles seinen Gang geht zwischen Verrohung und Verwahrlosung im öffentlichen Raum. Trotz all der bräsigen Bürokratie, der Wohnungsnot und dem altbackenen Beharren auf dem Analogen. Hier ist man mittlerweile doch schon zufrieden, wenn die Bahn pünktlich kommt und die Fahrkarten-App funktioniert.

    Mittlerweile ziehen Bekannte und Freunde wieder weg, zu genervt von der Stadt. Überall sei es sauberer und angenehmer als in Berlin, so die einhellige Übertreibung. Anderswo hätte man das Gefühl, eine Zukunft zu haben, in der deutschen Hauptstadt regiere der Stillstand. Und das wäre noch nicht mal das Schlimmste. Sie habe Berlin sehr genossen, aber hier würde sie nun nichts mehr halten, erzählte mir eine Freundin, die für längere Zeit ins Ausland ging. Ihr Berlin-Feeling sei schal geworden, der Lack ab und sie könne jetzt genau sehen, was hier alles verpennt worden sei in den vergangenen Jahren, sagte sie bei einem Frühstück in einem Café in Prenzlauer Berg. Ich verstehe sie gut.

    #Berlin #sécurité #exclusion_sociale