Wirtschaftskrimis, von der Treuhand geschrieben

/kolumne-ddr-osten-berliner-verlag-priva

  • Privatisierung nach der Wende: Wirtschaftskrimis, von der Treuhand geschrieben
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kolumne-ddr-osten-berliner-verlag-privatisierung-nach-der-wende-wir

    19.9.2024 von Mandy Tröger - Die Treuhand hatte die Aufgabe, die DDR-Unternehmen in die freie Marktwirtschaft zu überführen. Unsere Autorin schaut als Forscherin hinter die Kulissen.

    Seit Wochen reise ich durch Deutschland und rede über die Treuhandanstalt (THA). Bis heute scheiden sich an ihr die Geister: Für die einen hat die THA die einstige DDR-Wirtschaft erfolgreich privatisiert. Für andere hat sie Ostdeutschland „geschlachtet“, durch „Helden und Halunken … verkauft“ und im „Raubzug … geplündert“. Ein Wirtschaftskrimi erster Güte, so scheint es. Als Kind aus Ost-Berlin bin ich mit diesem Krimi aufgewachsen. Seitdem lässt er mich nicht mehr los.

    Heute bin ich Wissenschaftlerin und erforsche die Privatisierung der DDR-Zeitungen. Die THA spielte hier eine wichtige Rolle, denn mit der deutschen Einheit verwaltete sie das einstige DDR-Parteivermögen und damit die Presse. Das heißt, Anfang der 1990er verkaufte die THA fast alle 39 ehemaligen DDR-Tageszeitungen an finanzstarke BRD-Verlage, also zum Beispiel an die WAZ-Gruppe oder den Bauer-Verlag. Bis heute sind die Zeitungen Ostdeutschlands in ihren Händen. Damals hatte die THA das letzte Wort. Da sie ursprünglich aber nur für volkseigenes Vermögen geschaffen worden war, gab es zusätzlich die Abteilung Sondervermögen. Politischer Entscheider war die sogenannte Unabhängige Kommission, die Rechtsaufsicht hatte das Bundesinnenministerium. Das heißt, zwar verkaufte die THA die Zeitungen offiziell, aber viele andere Behörden waren mit von der Partie. Ich sehe mir an, welche Rolle die THA genau spielte.

    Dafür durchforste ich seit drei Jahren THA-Akten im Bundesarchiv in Lichterfelde. Das ist keine kleine Aufgabe. Immerhin produzierte die THA rund 45 Kilometer Akten. Davon wurden ungefähr zwölf vom Bundesarchiv übernommen – das sind rund 170.000 Akten. Ich habe bisher 149 Akten eingesehen, das sind 12,5 Meter. Scheint wenig, ist aber viel. Denn Wendezeit-Akten sind kompliziert: es gibt Lücken, viele handschriftliche Notizen und schlecht dokumentierte Verhandlungen. Außerdem ist ein Großteil der THA-Akten noch gar nicht erschlossen; das heißt, keiner weiß, was in ihnen eigentlich steht.

    Aktuell arbeite ich am Fall der Berliner Zeitung – Dank hoher Auflagen- und Abo-Zahlen war sie damals ein Filetstück unter den DDR-Zeitungen. Sie gehörte dem Berliner Verlag, und der blieb (anders als andere SED-Verlage) im Jahr 1990 im Besitz der SED-Nachfolgepartei PDS. Die verkaufte den Verlag noch vor der Einheit an ein Joint Venture des britischen Medien-Moguls Robert Maxwell und der westdeutschen Verlagsgruppe Gruner + Jahr. Damit ging der Berliner Verlag, als einziger DDR-Zeitungsverlag, 1990 an einen nicht-westdeutschen Investor. Laut dem damaligen PDS-Parteivorstand Gregor Gysi sei das Ziel „Alles, nur nicht Springer!“ gewesen. Das wurde geschafft. Zwei Jahre später fiel Maxwell von seinem Boot und ertrank. Die Presse munkelte über Mord oder Selbstmord, denn der Mogul hatte Millionen veruntreut. Für den Berliner Verlag begann danach ein leidvolles Besitzer:innen-Stelldichein.

    Das klingt wie ein Wirtschaftskrimi, ist aber eine Tragödie. Und wie bei allen Tragödien gibt es am Ende weder „Helden“ noch „Halunken“, sondern Menschen, die im Chaos tappen. Auch hinter den THA-Kulissen herrschte Chaos: Es gab Arbeitsüberlastung, Personalwechsel, Strukturänderungen und politischen Druck. Trotzdem privatisierte die THA im Wochentakt. Ein schweres Los für alle, die hier Helden sein wollen.

    #DDR #journalisme #capitalisme #Treuhand