Was hat es mit dem „Vertep“ auf sich ?

/antisemitischer-brauch-in-der-ukraine-w

  • Antisemitischer Brauch in der Ukraine: Was hat es mit dem „Vertep“ auf sich?
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/antisemitischer-brauch-in-der-ukraine-was-hat-es-mit-dem-vertep-auf


    „Vertep“-Aufführung während der Weihnachtsfeierlichkeiten im Dorf Vischnevaya in der Region Charkiw.

    4.1.2025 von Marta Havryshko - Ukrainer und Russen seien „ein Volk“ – das gehört zu Wladimir Putins oft wiederholten Aussagen zur Ukraine. Die ukrainische Geschichte und Kultur, so der russische Präsident, sei untrennbar mit der russischen verbunden. In Reaktion unternimmt ein Großteil der politischen und intellektuellen ukrainischen Elite seit Jahren erhebliche Anstrengungen, um zu beweisen, dass die Ukraine eben doch ihre eigene Geschichte, Kultur und Identität besitzt.

    Besonders die Maidan-Revolution 2013/14 befeuerte solche Bestrebungen. Die Annexion der Krim, der Konflikt im Donbass und der russische Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 wirkten schließlich wie weitere Katalysatoren in der Auseinandersetzung mit dem sowjetisch-imperialen Erbe. Die Folge war auch ein zunehmender ukrainischer Ethno-Nationalismus.

    Dazu gehört die Wiederentdeckung spezifisch ukrainischer Traditionen, die zuvor vom Moskauer Kreml als „nationalistische Bedrohung“ angesehen und daher unterdrückt wurden. Eine dieser Traditionen, die ihren Ursprung im 17. Jahrhundert hat, ist das „Vertep“ – ein volkstümliches Theater zur Weihnachtszeit. Es besteht aus zwei Hauptteilen: einem religiösen (Krippenspiel) und einem weltlichen, der politische und kulturelle Prozesse in der Ukraine thematisiert.

    Seit der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 erlebt das „Vertep“ einen Aufschwung. So wurden in Schulen, Universitäten oder Jugendzentren „Vertep“-Stücke aufgeführt. In den vergangenen Jahren kamen Aspekte der politischen Satire und des Militarismus dazu. Unter den modernen „Vertep“-Figuren finden sich inzwischen auch historische Persönlichkeiten (beispielsweise Josef Stalin oder Stepan Bandera). Außerdem Soldaten der ukrainischen Streitkräfte, europäische Politiker, Kremlchef Putin und seine Gefolgsleute, wichtige Geistliche oder ausländische Verbündete der Ukraine.
    Ukraine: antisemitische Weihnachtstradition

    Im Rahmen dieser ukrainischen Weihnachtstradition tauchen auch immer wieder antisemitische Stereotype auf. Juden werden oft in karikierender Art und Weise dargestellt, mit Schläfenlocken, großen Nasen und Kleidung im chassidischen Stil. Ihre Rollen sind oft die geschickter Täuscher oder Manipulatoren. Solche Darstellungen speisen sich maßgeblich aus stereotypen Vorurteilen unter der ukrainischen Mehrheitsbevölkerung. Auch werden Juden im „Vertep“ gern als gierig, hinterlistig und nach Reichtum strebend dargestellt.

    Gleich auf mehreren Ebenen wird damit der Antisemitismus in der Ukraine gestärkt. Juden werden als Ausbeuter und Feinde des ukrainischen Volks dargestellt, als soziale Gruppe, die für entsprechende Missstände verantwortlich gemacht werden kann. Gewalt gegen Juden wird legitimiert und gerechtfertigt – nicht selten wird die jüdische Figur beim „Vertep“ geschlagen, verspottet oder entmenschlicht. Außerdem werden Juden als globale Kapitalisten dargestellt, mit Geld und Macht in Verbindung gebracht oder beschuldigt, sich am russischen Krieg in der Ukraine zu bereichern.

    „Vertep“-Stücke, in denen Juden als nette Nachbarn, als Ärzte, die ukrainische Kinder behandeln, oder als Lehrer oder Handwerker auftreten, gibt es hingegen nicht. Auch historische Aspekte – was mit den 2,5 Millionen Juden in der Ukraine unter der Nazibesatzung geschah und welche Rolle lokale Kollaborateure dabei spielten – kommen nicht vor. Mit der Wiederbelebung des „Vertep“ leben auch Formen des Antisemitismus neu auf. Das fördert weder das Nachdenken über die komplexen ukrainisch-jüdischen Beziehungen noch den Aufbau einer demokratischen Ukraine. Es gibt Traditionen, die bleiben besser in der Vergangenheit.

    #Ukraine #théâtre #antisemitisme