• Die Berliner Rockband Pankow und die Geschichte der wahren Mauerfall-Hymne
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    Gut gelaunt dem Ende entgegen: Die Berliner Band Pankow auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    11.1.2025 von Jens Blankennagel - Es war Ignoranz, dass kein Song aus dem Osten zum Soundtrack der Revolution in der DDR wurde. Pankow schrieben diesen Song und spielen ihn nun auf ihrer Abschiedstour.

    https://www.youtube.com/watch?v=_L50ahjDXqI

    Es gibt nur wenige Rockbands, die so dermaßen Berlin sind. Bereits der Name ruft es in die Welt hinaus: Pankow. Die Musiker griffen sich 1981 ganz bewusst den Namen eines Berliner Bezirkes – natürlich eines im Osten. Was sonst? Erstens klingt Steglitz total bieder, zweitens hätte die Staatsmacht eine DDR-Band mit einem Westnamen sofort verboten. Der Name Pankow ist wirklich gut: Die Band wäre weniger erfolgreich, wenn sie sich Friedrichshain genannt hätte. Der Name war doppeldeutig, eine Provokation: Im Westen wurde der Begriff „Machthaber in Pankow“ als verächtliche Bezeichnung für die DDR-Staatsführung benutzt, vor allem aber schwang im Wort Pankow ganz wunderbar der Begriff Punk mit.

    Die Band war schwer zu greifen: Einerseits war sie staatstragend genug, um Alben aufnehmen zu dürfen, andererseits klangen ihre provokanten Texte so sehr nach Berliner Schnauze, dass ein ganzes Album nicht erscheinen durfte. Trotzdem stiegen Pankow zur wohl besten der offiziellen DDR-Rockbands auf.

    Nun, am 17. Januar, beginnt ihre Abschiedstour. Das ist ein Grund, um die Band bei einer Probe zu besuchen. Aber es geht um viel mehr als die Band, es geht um die DDR als Diktatur sowie um die Stasi; es geht um geile Musik und wilde Konzerte, um mutige Texte und den Hang zur Provokation. Es geht um Zensur und Auftrittsverbote.

    Ein weiterer Grund ist, dass die Band zwar legendär war, heute aber der breiten Öffentlichkeit nicht so sehr bekannt ist. Aber wenn es so etwas wie rockhistorische Gerechtigkeit gäbe, dann müsste Pankow heute die bekannteste „Ostrock“-Band sein – und eben nicht die bräsigen Puhdys oder Karat mit ihren schwülstigen Texten. Denn Pankow hat den wahren Mauerfall-Song geschrieben, das aber wissen nur Leute im Osten.

    Deshalb soll hier entlang der Geschichte dieser Band auch über manche verpasste Chance in Ost und West erzählt werden, über Fehler nach dem Mauerfall, aber auch über den bis heute dominanten West-Blick auf den Osten. Denn bis heute regiert der Irrglaube, dass eine Band aus dem Westen die wahre Hymne zur Revolution in der DDR geschrieben hat.

    Im Proberaum: Sänger André Herzberg singt die Abschiedssingle „Bis zuletzt“.Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Orgie aus Rock, Punk und Blues

    Es ist ganz still hinter Tür Nr. 15. In den Noisy Rooms auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain können sich Bands stundenweise in Proberäume einmieten. So wie Pankow an diesem Wintertag. Nach mehr als drei Stunden ist nun Pause.

    Kern der Band sind Gitarrist Jürgen Ehle und Sänger André Herzberg. Ehle ist 68 und steht bei der Probe nicht mehr stundenlang durch, sondern spielt entspannt im Sitzen. Und Herzberg mit seinen 69 Jahren hat sich eine Art Handwerkergürtel umgeschnallt. „Für die Mundharmonikas“, sagt er. „Ich vergesse immer mal, wo ich sie hinlege.“ Die beiden sind grau geworden und etwas gebeugt, aber ihre Musik ist aufrecht.

    Keyboarder Kulle Dziuk spielt in bester Altberliner Drehorgelmanier die Melodie des Gassenhauers „Komm Kalineken, komm“. Es klingt so wunderbar volkstümlich, dass die anderen immer wieder laut lachen. Dann setzt die Band ein, erst langsam, dann schneller: „Pankow, Pankow, Pankow, kille kille Pankow, kille kille Hopsasa.“ Einer ihrer Klassiker. Der Text ist so sinnfrei wie irgendwas. Die Musik wird immer schneller, druckvoller. Sie endet in einer Orgie aus Rock, Punk und Blues, die abrupt abbricht. Ehle lächelt und sagt: „Als wär’s gestern gewesen.“ Herzberg lacht zurück und sagt: „Genau.“

    Jung und live: Sänger André Herzberg bei einem Konzert 1987 in Berlin. Christian Ruff

    Das Radio als Verbindung in die Welt

    Für mich war Pankow als Jugendlicher in den 80er-Jahren eine Offenbarung. Es war die Zeit, als die großen Geschwister Abba hörten, Smokie oder Bob Dylan. Wir hörten AC/DC, Blues, The Dubliners. Ich saß in meinem Plattenbauzimmer und wollte cool sein, aber niemand, der cool sein wollte, hörte Rockmusik aus der DDR. Ich auch nicht. Bis ich Pankow entdeckte.

    Stundenlang hing ich am Röhrenradio, das über meinem Bett stand. In der Provinz war es die wichtigste Verbindung in die große weite Welt der Musik. Ich hörte NDR und den britischen Soldatensender BFBS, den legendären DJ John Peel, Hardrock-Shows, Sendungen über Irish Folk. Nachts war da Musik zu hören, die kein Spießer verstand.

    Die Nacht der Nächte

    Als ich eines nachmittags meinen Schrank aufräumte, lief beim Sender DT64 ein Lied über eine „Inge Pawelczik“. Ein toller Song, schmissig, rockig, eine Prise New Wave. Es ging um das, was später One-Night-Stand hieß. Ich fand die Musik toll und dachte: Die Band muss aus dem Westen sein. Dann sagte der Moderator, die Band heiße Pankow und der Song habe in Berlin für einen kleinen Skandal gesorgt. Eine Frau gleichen Namens hatte sich beschwert; sie war Lehrerin und wollte mit Sex nicht in Verbindung gebracht werden. Ich wurde Fan.

    Im Keller des Kulturbundes gründeten wir einen Jugendclub und fragten, ob wir auch Bands einladen dürfen. Wir durften: Also luden wir Pankow ein, die dann in der größten Halle von Aschersleben spielte. Am nächsten Morgen saßen wir mit der Band im Hotel beim Frühstück. Später war ich bei einem Dutzend Konzerten dabei.

    Das Doppelherz von Pankow: Gitarrist Ehle und Sänger Herzberg .Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Wegen Pankow verpasste ich sogar die Hochzeit meiner Lieblingscousine. Ich war damals bei der Armee: Um endlich mal wieder Urlaub zu bekommen, musste ich einen Grund nennen. Ich behauptete, ich müsse zur Hochzeit meiner Cousine. Ich bekam frei, fuhr aber zu einem Pankow-Konzert in Halle. Als meine Cousine ein halbes Jahr später tatsächlich heiratete, bekam ich nicht frei: Ihre Hochzeit hatte ich als Urlaubsgrund bereits aufgebraucht.

    Der Zauber der Langeweile

    Eigentlich war die Band ein großer Spaß: guter Rock mit guter Bühnenshow, tolle Liebeslieder über Frauen mit so wunderbar altbackenen Namen wie Isolde oder Doris. Aber da war von Anfang an viel mehr, denn in der DDR klang ein Songtitel wie „Er will anders sein“ wie eine Kampfansage. Eigentlich waren Pankows Texte nicht explizit politisch. Die Band erzählte einfach vom Alltag. Doch das war in der DDR hochpolitisch, denn zwar passten die Texte gut zum realen Alltag, aber beide passten nicht so recht zu den DDR-Nachrichten. „Wir haben das Leben so erzählt, wie wir dachten, dass es ist“, sagt Herzberg in den Noisy Rooms, und Ehle sagt: „Aber wenn man nicht den Helden der sozialistischen Produktion auf die Bühne brachte, war das schon ein Problem. In Büchern und im Theater gab es so etwas, aber doch bitte nicht in der Unterhaltung.“ Unterhaltung hatte gefälligst seicht zu sein.

    Diese Band war nicht seicht: Ihre erste Platte war ein Konzeptalbum über den Alltag des Lehrlings „Paule Panke“. Live war es ein Hit, sie führten das Rockspektakel mehr als 300 Mal auf, die Plattenfirma schnitt ein Konzert mit: ihr erstes Album. Es war fertig produziert, wanderte dann aber in den Giftschrank. Paules Leben war nicht vorbildlich genug. „Mich hat das sehr gewurmt und wahnsinnig verletzt“, sagt Herzberg. Auch noch nach dem Mauerfall. Als Dank für diese Zensur warf er bei einem Empfang einem Ex-Amiga-Chef eine Torte ins Gesicht. „Es war eine große Genugtuung.“ Er lächelt versonnen.

    „Auszusprechen, dass der Kaiser nackt war, reichte schon aus. Dann warst du schnell marginalisiert“, sagt er. „Und ich habe immer dazu geneigt – auch schon aus Spaßgründen –, die Dinge auszusprechen. Ich wusste, dass das, was wir machen, provoziert.“

    Seine Texte, die seines Bruders und ihrer anderen Autoren waren anders: Da wird von einem Soldaten erzählt, der Wache steht. Es ist der wohl einzige Armee-Rocksong der DDR – und dann befriedigt sich dieser Soldat beim Wachdienst selbst. Oder es geht um den „Nebel“ des Suffs, der nicht aus dem Kopf verschwindet. Oder Herzberg singt „Ohne Rast, ohne Ruh, geht’s dem Untergang zu“ oder er schwärmt vom „Aufruhr in den Augen“ oder beklagt die „Langeweile“. Alles Dinge, die es im Sozialismus doch bitte so nicht geben sollte.

    Eingespieltes Team: Pankow wurden früher oft als die Stones des Ostens bezeichnet. Christian Ruff

    Herzberg sitzt da und nickt. „Man versteht den Wert dieser Band nur, wenn man versteht, dass die DDR eine Diktatur war und dass wir auf unsere Bandweise versucht haben, das zu durchbrechen.“ Sein Tonfall schwenkt auf ernst. „Diese Ideologie, die Verbote und all das … Die Verbote waren immer irrational.“ Er schüttelt noch immer ungläubig den Kopf. „So war das ganze Leben in der DDR: Sie haben immer versucht, dir Angst zu machen, und je nach deiner inneren Form von Renitenz hast du dagegen mehr aufbegehrt oder weniger. Oder du hast mitgemacht oder eben nicht. Oder du bist gar in den Westen gegangen, weil du dir gesagt hast: Das lasse ich mir nicht mehr gefallen.“

    Im Proberaum poltert das Schlagzeug von Stefan Dohanetz präzise los, der Bass steigt ein, die Gitarre. Sie spielen ihren Abschiedssong, den sie für die Tour geschrieben haben. Ihr erster Song seit 13 Jahren. Ihr letzter. Er klingt typisch Pankow: rauer Rock und ein klarer Text, der 35 Jahre Bandgeschichte erzählt. Dazu der einprägsame Refrain „Bis zuletzt“, in den sich Herzberg nun geradezu reinsteigert. Es ist erst ihre vierte Probe vor der Tour, doch der Song klingt schon wie ein Klassiker. Plötzlich bricht die Band ab, der Sänger schlägt sich die Hände vors Gesicht, weil er zwei Zeilen verwechselt hat. Sie lachen. Sie haben Spaß. Rock hält jung.

    Auf der Box neben Bassist André Drechsler liegt ein Zettel mit den 13 Songs, die sie proben; Nr. 9 ist „Langeweile“ – ihr größter Hit. Der Song, der das Ende der Band überdauern wird, für viele im Osten die eigentliche Hymne des Herbstes 1989. Die Zensur hatte die Brisanz des Textes nicht erkannt. „Wären wir damit ein paar Jahre vorher gekommen, hätten sie auch uns wahrscheinlich verboten“, sagt Ehle.

    Es gibt wenige Lieder, bei denen ich noch genau weiß, wo ich sie das erste Mal hörte, so wie „Langeweile“. Ich studierte in Berlin, saß 1988 im Wohnheim und musste für eine Prüfung lernen. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren, nicht etwa, weil ich versuchte, in einer Vier-Mann-Bude zu lernen, sondern weil ich immer wieder die Kopfhörer aufsetzte, um das Album und dieses Lied zu hören. Ich konnte nicht glauben, dass die Zensur es nicht verboten hatte.

    Den Text hat Herzberg geschrieben. Nun, 36 Jahre später, sagt er: „Wir waren als Künstler erwachsener geworden.“ Sie hätten nicht mehr nur einzelne Momente im Leben eines Lehrlings beschrieben. „Wir haben die allgemeine Stimmung eingefangen. Und das war eine Provokation.“ Er hat recht.

    Auch heute hat das Lied musikalisch und dramaturgisch Bestand: Es geht überraschend ruhig mit einem Banjo los und steigert sich immer weiter. Textlich gibt es kaum Vergleichbares, das die Stagnation und das Eingemauertsein in so wenigen Worten so präzise einfängt – die Kernzeilen lauten: „Dasselbe Land zu lange geseh’n, dieselbe Sprache zu lange gehört. Zu lange gewartet, zu lange gehofft, zu lange die alten Männer verehrt.“

    Ein Patzer im Proberaum: Herzberg ist mit den Zeilen seines eigenen Textes durcheinandergekommen. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Die Zeilen mögen aus heutiger Sicht lapidar klingen, waren aber ein Wirkungstreffer. Der Zauber guter Songs besteht darin, dass sie das Leben, die Liebe oder das Leid auf zwei, drei Strophen verdichten können und mit der richtigen Musik starke Emotionen auslösen. Dieses Lied machte Hoffnung, dass sich doch etwas ändert. Dann stand der Song beim Radio auf dem Index. Der Grund: Die Band gastierte in einer Talkshow im Westfernsehen, Herzberg und Ehle waren witzig, souverän, selbstbewusst, dann spielten sie „Langeweile“.

    Ein SED-Funktionär aus Suhl war geschockt und wetterte auf einer Parteitagung. Die Band wurde in der Presse heftig angegriffen, es folgte ein Auftrittsverbot im Bezirk Suhl. Das drohte nun im ganzen Land. Doch die Musiker gaben nicht klein bei. Die rettende Idee: Auf ihrer Tour stand hinter ihnen auf der Bühne ein Soldatenchor der sowjetischen Streitkräfte und schmetterte die frechen Texte mit.

    Ich sah Pankow in Berlin beim großen Sommerkonzert in Weißensee. Es war absurd, es war cool. Noch kurz davor wäre es selbst für die staatstragendsten Künstler unvorstellbar gewesen, freiwillig mit einem Chor der unbeliebten „Russen“ zu touren. Doch nun regierte Gorbatschow, ein Kommunistenführer, der von der DDR-Führung gehasst wurde. Es war genial, dass sich Pankow ein paar Soldaten in Paradeuniformen der Roten Armee auf die Bühne holten. Diese Schutzmacht war auch eine Provokation – die Botschaft an die Fans lautete: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Und die Stasi war machtlos. So wurde „Langeweile“ für viele zur Hymne des Aufruhrs 1989.

    Gelassenheit des Alters: Jürgen Ehle im Proberaum. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Zeit des großen Jubels und der großen Fehler

    Dann fiel die Mauer, alles war anders – ganz anders. Wir waren in der Nacht des Mauerfalls in West-Berlin. Es dauerte eine Weile, so viel reines Glück zu verarbeiten. Wirklich klar wurde es mir erst drei Tage später beim „Konzert für Deutschland“ in der Deutschlandhalle. Joe Cocker sang, Nina Hagen, die Toten Hosen. Aber Tränen stiegen bei mir ganz am Anfang auf, als Pankow spielten. Mir wurde klar: Wenn ich meine Lieblingsband aus dem Osten live in West-Berlin sehe, musste die Mauer tatsächlich offen sein.

    Die Zeit war einfach wunderbar. Ein großer Rausch. Diese Zeit war politisch wie nie, sie war schnell, chaotisch und unberechenbar. Eine Zeit der ungezählten Fehler in Ost und West. Der Fehler der meisten Ossis: Sie haben sich erstmal nicht mehr für Ostkünstler interessiert, weil sie so viel nachzuholen hatten. Der Fehler der meisten Wessis: Sie haben sich sowieso nicht so sehr für Künstler im Osten interessiert. Der entscheidende Unterschied: Die Ossis hatten eine ganze Welt zu entdecken, die Wessis nur ein kleines Land.

    Die Ost-Stars standen in fast leeren Konzerthallen, die Theater blieben leer, die Kultur war tot, und Pankow verloren den Sänger. „Der Fall der Mauer war für mich das Zusammenbrechen des ganzen Systems“, sagt Herzberg heute. „Da war für mich klar, dass alle Parameter meines Lebens neu sein mussten. Ich hab meine Familie verlassen, ich hab kurz überlegt, ob ich nach Amerika gehe. Da war dieses blinde Spüren: Alles ist zu Ende.“

    Die Band machte mit neuem Sänger weiter. Obwohl kaum jemand zu Ostrockkonzerten ging, behielten Pankow ein Stammpublikum. Ich sah sie 1991 zum zehnten Bandjubiläum und 1996 im Tränenpalast zum 15. Herzberg war zurückgekehrt, die Fans waren begeistert. Ein denkwürdiger Auftritt, der schon vorher für Schlagzeilen sorgte. Herzberg hatte 1992 seine Stasi-Akte gelesen und beantragt, dass er die Namen der Informellen Mitarbeiter erfährt. Das dauerte lange, sehr lange, vier Jahre. Er war gerade wieder bei Pankow eingetreten, als ihm mitgeteilt wurde: Jürgen Ehle war IM gewesen. „Das war ein ganz harter Schlag für mich.“ Auch, weil Ehle nicht das Vertrauen hatte, es ihm zu erzählen.

    Ehle wird nun sehr ernst und erzählt von einem PDS-Politiker, der sich 1990 als einziger Volkskammerabgeordneter freiwillig zu seinen Stasi-Kontakten bekannte. Er rief auch andere auf, darüber zu sprechen. Es hätte der Start für eine offenere Aufarbeitung sein können, doch der Mann wurde heftig angefeindet. „Die Reaktionen fand ich eklig“, sagt Ehle. „Wenn er schon den Mut hat und sagt, was los war, dann war die Reaktion völlig daneben.“ So, wie viele andere, sah Ehle nur einen Weg: schweigen.

    „Am Anfang ging es sehr schnell mit den Schubladen, man hat erst später gelernt, genauer hinzugucken“, sagt Ehle. Er überlegt: „Ich hatte Manschetten, ob ich vielleicht Dinge verdrängt habe. Aber diese Angst hat sich als unbegründet erwiesen.“ Die Akten hätten mit seinen Erinnerungen übereingestimmt.

    Beim Konzert 1996 im Tränenpalast spürten auch wir im Publikum bei Herzberg diese Wut, die Enttäuschung. Da war ein tiefer Riss zwischen den beiden, da war vieles zerstört, aber sie redeten miteinander, sie rockten und sie schwitzten gemeinsam. An dieser Band können etliche typische DDR-Dramen erzählt werden. Herzberg sagt: „Pankow war eine richtig gute Zeit, aber auch eine schreckliche.“

    Die Probe vor der Tour: 13 Songs standen an diesem Tag auf der Liste. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Der Wind weht aus Köln

    Schon Jahre davor fiel weit im Westen der neuen Republik die Entscheidung, dass die Musiker von Pankow keine gesamtdeutschen Stars werden. Anfang der 90er-Jahre wurde die passende Musik für eine TV-Doku über den Mauerfall gesucht. Ein Mann in einem Kölner Studio entschied sich der Legende nach für einen Song aus Hannover: „Wind of Change“ von den Scorpions, der einzige Song mit Ost-Bezug, den er kannte. Die Logik war einfach: Lieber eine bekannte Band aus dem Westen, als eine im Westen unbekannte Band aus dem Osten.

    Hätte nicht jemand auf die Idee kommen müssen, nach einem passenden Song aus dem Osten zu suchen? „Ja, auf jeden Fall, absolut“, sagt Herzberg. Ehle lacht trocken: „Dort herrscht nun mal eine völlig andere Wahrnehmung.“

    Der Witz daran: Die Scorpions haben den Song erst ein Jahr nach dem Mauerfall veröffentlicht, er hat rein gar nichts mit der DDR zu tun, trotzdem gilt er als Hymne des Mauerfalls. Bis heute. Zum Beispiel neulich auf Pro7: Der Reporter Jenke von Wilmsdorff zeigt eine 80er-Jahre-Doku, stundenlang geht es fast nur um den Westen, am Ende muss dann doch noch etwas Osten kommen – wegen des Mauerfalls. Wieder geht es um den Soundtrack dieser Zäsur und wieder wird die Scorpions-Legende ausgewalzt.

    Noch absurder ist nur das andere Märchen, dass „Looking for Freedom“ von David Hasselhoff die zweite Mauerfall-Hymne sei – zum 35. Jahrestag gerade wieder zu sehen im Werbespot einer Bank. Dort sitzen Kohl, Bush, Honecker, Gorbatschow und Thatcher am runden Tisch, ein Mann kommt und spielt den Dorfbums-Schlager des C-Movie-Darstellers aus Hollywood ab, Kohl springt auf den Tisch, tanzt unterm DDR-Wappen, irgendwann ruft Honecker: „Sie haben recht, Herr Hasselhoff, die Mauer kann weg.“

    Aha, in der DDR hat nicht die winzige Opposition ihre Freiheit riskiert, als sie aufbegehrte, und nicht das Volk, als es sich auf die Straßen traute. Nein, es war alles nur Fun, und Helmut Kohl hat mit David Hasselhoff die Mauer gestürzt und der Scorpions-Sänger pfiff dazu seine kleine Melodie.

    Es sind nur kleine Puzzlesteine der Ignoranz, bei denen es im Westen gern heißt: „Nun habt euch doch nicht so!“ Aber bei nicht wenigen im Osten sorgte so etwas für Frust und Wut, schnell war von Siegermentalität die Rede.

    Die Wahl der „Mauerfall-Hymne“ hätte anders enden müssen. Es geht nicht um „Langeweile“, sondern einen Song aus dem Osten, egal ob von Silly, Keimzeit, Sandow oder Pankow. Vielleicht hätte das ein klein wenig mitgeholfen, die Wahrnehmung von Themen aus dem Osten zu ändern.

    Das Ende vom Lied

    So weit dieses alte Kapitel aus der Geschichte des Rock. Natürlich sind die Pankower als Künstler verärgert, aber als Menschen sind sie altersweise genug, um nicht verbittert zu sein. Gerade spielen sie im Proberaum ihre Abschiedssingle nochmal, die zweite Version, denn das Fernsehen verlangt eine Kurzfassung. „Wir müssen uns der Diktatur der Fernsehmacher unterwerfen“, sagt Herzberg. Sie lachen. Dann spielen sie eine noch kürzere Version. Mitten im Lied ist diese effektvolle Pause, bevor Ehle mit seinem Gitarrensolo einsteigt. Die Funken springen über, die Band funktioniert, die Steine rollen.

    Sie sind bereit: Die Abschiedstour beginnt am 17. Januar im Cottbuser Glad House – der Anfang vom Ende. Bleibt eine letzte Frage: Es könnte geil werden. Ist es trotzdem vorbei? Ehle richtet sich auf und sagt nur: „Ja. Die Gründe bleiben, auch wenn die Tour gut wird.“ Herzberg erzählt, dass sie sich nur alle paar Jahre sähen. „Die gemeinsame Kreativität ist aus dem Fokus geraten.“

    Aber die Abschiedssingle ist doch gut. „Der Song ist nur entstanden, weil wir aufhören wollen“, sagt Ehle. Herzberg nickt und fängt an, noch stärker zu berlinern: „Ick find es großartig, dit so zu Ende zu bringen, weil du es noch mit einer solchen Energie machen kannst.“ Dann packen sie ihre Sachen und gehen hinaus in den Berliner Winter.

    #DDR #musique #rock