Wer wirklich in einer Berliner Notunterkunft für Obdachlose schläft

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    In der Notübernachtung in Friedrichshain kommen unterschiedliche Menschen zusammen. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    A Berlin la perte du domicile fixe n’est plus seulement le sort des plus pauvres. Un moment de faiblesse suffit pour être transformé en victime de propriétaires d’appartements sans scrupules. La couche moyenne vit désormais sous la menace constante de pedre tout ce qui constitue une vie « normale ».

    4.2.2025 von Stella Tringali - In einer Notunterkunft schlafen die Ärmsten der Armen in Berlin. Jeder kann dort landen. Ein Besuch am alten Containerbahnhof in Friedrichshain.

    Berliner stellen sich Obdachlose oft so vor: in einem Schlafsack unter der Brücke, mit zerzaustem Haar, Nadel im Arm oder Erbrochenem um den Mund. Doch ist es nicht das Bild, das sich in der Notunterkunft am Containerbahnhof der Berliner Stadtmission zeigt. Dort, in der warmen, aufgeräumten Traglufthalle, sitzen Menschen, die aussehen wie ein Student in einem hippen Friedrichshainer Café oder der freundliche Opa im Rollstuhl in der U-Bahn. Vereint sitzen sie auf Bierbänken, schlürfen ihr Chili con Carne. Manche spielen Tischtennis, klatschen sich ab oder sitzen am Laptop, haben Kopfhörer in den Ohren. Von der Kuppel hängt noch ein Herrnhuter Stern von Weihnachten, an den Wänden hängen Zeichnungen, die obdachlose Menschen zeigen. Auf einem dunklen Sofa liegt ein Mann und spielt auf seinem Handy.

    Es wirkt beinahe wie in einem Hostel hier am Containerbahnhof hinter dem Ring-Center. Doch sind diese Menschen dort eben keine Touristen. Sie sind obdachlos. Am Tag sind sie auf den Straßen, in den U-Bahnhöfen oder in den Shoppingcentern der Hauptstadt unterwegs. Um 5.30 Uhr werden sie geweckt und zwei Stunden später müssen sie wieder auf die Straße. Viele stehen um 19.30 Uhr wieder in der Warteschlange, um kostenfrei in einem Vierbettzimmer unterzukommen. Während der ersten Stunde können sich nur diejenigen registrieren, die am Vorabend eine Reservierungsmarke haben.

    Danach können sich neue Gäste anmelden und ihr Gepäck abgeben. Der Schichtleiter schaut nach, ob die Menschen Läuse oder Krätze haben. Außerdem werden Taschen nach Alkohol, Drogen und Waffen durchsucht. Anders als in anderen Notunterkünften müssen die Gäste der Berliner Stadtmission nicht nüchtern sein und können auch ihre Haustiere mitbringen. Für schwere Alkoholiker ist es mitunter lebensgefährlich, über Nacht nüchtern zu sein. „Es darf aber niemand in unseren Einrichtungen konsumieren“, sagt Barbara Breuer von der Stadtmission. „Denn wir wollen hier keine wilden Partys.“

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    Dort in Friedrichshain können obdachlose Menschen sich jede Nacht in 70 Betten vor der Kälte schützen. Das ist ein neues Konzept, denn vor Mai letzten Jahres waren jeden Winter noch 120 Betten verfügbar. Warum also weniger Plätze, obwohl sie dringend benötigt werden? Der Grund: Diese Unterkunft beherbergt nun zwar weniger Menschen, soll diesen aber den Start in ein neues Leben ermöglichen. Finanziert wird das Projekt durch die Senatsverwaltung für Soziales im Rahmen des Integrierten Sozialprogramms (ISP). So bietet die Unterkunft ihren Gästen schwerpunktmäßig das gesamte Jahr über sozialpädagogische Beratung an. „Die führt hoffentlich bei vielen dazu, sie nachhaltig zurück ins Hilfesystem und in ein unabhängiges Leben zu vermitteln“, erklärt Barbara Breuer.

    Wenn früher während der Wintersaison täglich neue Menschen zur sicheren und warmen Übernachtung in der Traglufthalle kamen, konnte nur selten erfolgreiche Sozialarbeit stattfinden. „Bei 70 obdachlosen Gästen, die auch länger in der Halle verweilen dürfen, können wir etwas an der Lebenslage verändern, sofern sie das wollen“, sagt Barbara Breuer. Dafür haben sie erst einmal zehn Tage Zeit. Wer im Beratungsprozess ist, darf länger bleiben. Gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin können sie dann die ersten Schritte planen. Viele benötigen Hilfe bei Anträgen zur Rentenversicherung, Suchtmittelabhängige werden zum Entzug ermutigt. Aber auch Kostenübernahmen für Wohnheimgruppen zu bekommen, ist nicht einfach, aber nötig, um in Projekte wie Housing First vermittelt werden zu können. Wer hier mitmacht, kann auch den Aufenthalt verlängern.

    „Ich bin durch Behördenwillkür aus meiner Wohnung vertrieben worden“, sagt Suzana Lamprecht. Die Frau mit dem langem, dunklen Haar setzt den Löffel an und schlürft den roten Eintopf. Dann holt sie ihr Smartphone aus der Jackentasche und sucht nach einem Bild. Ein Foto ihres Klingelschilds an der Wohnung in Berlin-Buckow, aus der sie im April mit „Polizei und Gerichtsvollzieher“ geworfen wurde. Vorher habe sie die Miete gemindert, weil kein Warmwasser mehr geflossen sei. Die gebürtige Serbin, die mehrfach betont, seit 50 Jahren Deutsche zu sein, erzählt, dass sie lange als Sozialassistentin in Neukölln gearbeitet habe. Sie sagt, sie habe durch die Ex-Klienten gelernt, dass sie kein Einzelfall sei. Drei Kinder habe sie in der Wohnung großgezogen. In der Notunterkunft teilt sie sich ein Zimmer mit einer Ukrainerin.

    Den Schlüssel für den Briefkasten habe sie noch immer, aber eben nicht für die Wohnung, erklärt sie. Das Schloss wurde ausgetauscht. Seit Dezember schläft sie nun hier. Tagsüber verbringt sie die Zeit in Shoppingcentern. Sie trinke nicht, konsumiere nicht, randaliere nicht. Deshalb falle sie in den Einkaufszentren nicht auf. Aber: „Das Leben ist teurer, ein Kaffee oder eine Brezel auswärts zu essen, kostet jeden Tag sehr viel Geld“, sagt Suzana Lamprecht. Sie hat jetzt gegen die Räumung geklagt. „Ich wünsche mir, dass jemand mal für mich aufsteht.“

    Insgesamt betreibt die Berliner Stadtmission drei Notunterkünfte für obdachlose Menschen in Berlin. Knapp ein Drittel der Gäste sind deutsche Staatsbürger. In der Saison 2023/2024 wurden in diesen Unterkünften 50.306 Übernachtungen gezählt. In kalten Nächten sind die Notunterkünfte stark überbelegt. Diese Notunterkunft am Containerbahnhof ist die einzige in Berlin, die zumindest barrierearm ist. Barrierefreie Unterkünfte gebe es nicht, sagt Barbara Breuer. Dabei wurden in der vergangenen Saison 74 Rollstuhl fahrende oder anders mobilitätseingeschränkte Gäste allein in den Unterkünften der Stadtmission gezählt. Auf der Straße leben weitaus mehr. Sie fallen durch das Raster. Und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln kann ihnen nicht ausreichend geholfen und auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden.

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    Noch bevor die Gäste eintreffen, werden die Aufgaben verteilt. Wer sitzt bei der Registrierung, wer steht in der Küche? Es gibt Festangestellte und ehrenamtlich Engagierte, ohne die die Notübernachtung nicht betrieben werden könnte. Paula Kurz gehört zum sogenannten Medi-Team. Schon während ihres Medizinstudiums an der Charité hat sie sich neben Studium und Nebenjob zusätzlich ehrenamtlich am Containerbahnhof engagiert und die Gäste medizinisch versorgt.

    „Oft sind das Schnitt- oder Platzwunden, die sich viele auf der Straße zuziehen“, sagt die auf Innere Medizin spezialisierte Ärztin. In dem Behandlungsraum steht auch ein Ultraschallgerät, weil die Menschen häufig mit Schmerzen im Bauchbereich zu kämpfen haben, sagt sie. Doch es ist kein Ehrenamt mit großen Erfolgserlebnissen: „Es gibt viele regelmäßige Besucher, bei denen es keine gesundheitlichen Fortschritte gibt“, sagt sie.

    Während Paula Kurz einen Patienten verarztet, schnippelt Jana am Essensausgabetresen die Tomaten für den Salat. Hinter einer Scheibe liegen belegte Brote, einfache Schrippen, Salate und Salami, außerdem gibt es jeden Abend ein frisch gekochtes, warmes Eintopfgericht. Das wird vom Kältebus aus der Lehrter Straße angeliefert. Jana arbeitet im Marketing, und ist ehrenamtlich hier, für einen Abend alle zwei Wochen. Wieso investieren Berliner ihre Freizeit in dieses Projekt? „Ich habe zu Schulzeiten bei der Tafel gearbeitet, und ich wollte hier auch mithelfen und anpacken“, sagt Jana. Sie wohne in Friedrichshain und für sie ist die Unterkunft nicht weit entfernt. „Ich werde durch die Arbeit dankbar für mein Leben. Davon will ich etwas zurückgeben.“

    Ein 30-jähriger Mann holt sich eine Schüssel Eintopf bei Jana ab. Dann setzt er sich mit einem älteren Mann an die Bierbänke. Sie sprechen und lachen. Der jüngere ist ausgebildeter Verwaltungsfachmann, hat dann sein Abitur für beruflich Qualifizierte gemacht und war bis zuletzt Student für Sportwissenschaften und Deutsch auf Lehramt in Berlin. Der gebürtige Bielefelder jobbte nebenbei und lebte in einer WG des Studentenwerks, für die er eine Immatrikulationsbescheinigung einreichen musste. Durch hohe Schulden im dreistelligen Bereich bei der Krankenkasse habe er den Studienplatz samt Zimmer verloren. Tagsüber verbringt er die meiste Zeit in Friedrichshain, ist „hier und da“, sagt er. Er möchte nicht seinen vollständigen Namen sagen, wie viele.

    Obwohl die meisten gern zusammensitzen, gehen sie dann auch getrennte Wege. Eine schick gekleidete Frau sprüht sich im Badezimmer noch ein wenig Parfüm auf die Handgelenke. Dann geht sie in ihr Zimmer im Frauenbereich und schließt die Tür. Sie ist Russin, hat mit ihrem Mann in Zehlendorf gelebt. Als er starb, konnte sie alleine die Miete für die Wohnung nicht mehr bezahlen. Einem anderen Gast wurde der Ausweis geklaut. Er arbeitet auf dem Bau und findet in Berlin keine günstige Wohnung. In der Notunterkunft der Berliner Stadtmission sind sie gleich: Sie alle sind Menschen, die dasselbe Essen bekommen, sich in gespendeten Handtüchern abtrocknen und in baugleichen Betten schlafen. Bis sie morgens wieder geweckt werden und wieder ohne Obdach auf der Straße stehen.

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