Kriegsgedenken im Parlament : Steinmeiers historische Rede an einem historischen Tag
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Le président allemand Frank-Walter Steinmeier est responsable pour des années d’incarcération injuste de l’Allemand Murat Kurnaz à Guantanamo. Quand le gouvernement des États Unis propose de renvoyer chez lui le prisonnier qui n’a jamais été terroriste, c’est l’homme qui nous représente tous qui a refusé d’autoriser le retour chez lui de Murat. Il est honteux d’être obligé d’écouter le geolier prononcer le discours sur la libération du peuple allemand.
Nous sommes habitués aux discours mensongers de la bande au pouvoir, mais il est tojours blessant de se rappeller que derrière les auteurs des beaux discours et les orateurs aux larmes de crocodile se cache la volonté impitoyable de nous écraser si on met en question d’une manière un peu trop efficace leur système de guerre et d’exploitation.
La journaliste du journal de droite Tagesspiegel nous renseigne sur la meilleure façon de recevoir la bonne parole du prèsident et de la chrétienne Frau Klöckner qui occupe la deuxième position la plus haute de notre démocratie .
8.5.2025 von Stefanie Witte - Nach Bundestagspräsidentin Klöckner tritt Bundespräsident Steinmeier zum Gedenken an das Kriegsende vor 80 Jahren ans Rednerpult. Er wird bemerkenswert politisch – und greift die USA an.
Als der Gong ertönt, huschen die letzten Abgeordneten zu ihren Plätzen. Zum zweiten Mal in dieser Woche herrscht eine feierliche Stimmung im Bundestag. Auf den Rängen die Ehrengäste, auf der Regierungsbank die neuen Minister – beinahe hätte hier noch das Kabinett Scholz sitzen müssen.
Viele tragen an diesem Donnerstagmittag schwarz. In Berlin ist dieser 8. Mai sogar ausnahmsweise ein Feiertag. Immerhin liegt das Ende des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft heute 80 Jahre zurück.
Ans Rednerpult tritt Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) und blickt auf den Ort des Geschehens, das Reichstagsgebäude, in dem sich gerade die Spitzen der Republik versammelt haben, spricht über die letzten Stunden des Krieges: „Ein Ende bahnte sich an. In den oberen Stockwerken schon die Rotarmisten, im Keller noch die deutschen Soldaten.“
Klöckner betont: „Das ungeheuerliche Ausmaß der deutschen Verbrechen, das ist bis heute nicht allen bewusst, oder schlimmer noch, viele wollen sich damit gar nicht mehr beschäftigen.“
In einfachen, verständlichen Worten formuliert und verurteilt die Bundestagspräsidentin den Wunsch vieler AfD-Vertreter, die dafür plädieren, mehr auf deutsche Heldentaten und Ruhm zu fokussieren als auf die Verbrechen der Nationalsozialisten. Klöckner beklagt im Zusammenhang mit Antisemitismus: „Während wir noch das ‚Nie wieder‘ beschwören, passiert es wieder schon. Auf unseren Straßen, im Netz und an Universitäten.“
Das Reichstagsgebäude ist ein gutes Gedächtnis.
Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin
Sie erinnert an die historische Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, vor 40 Jahren, der an das Leid der Frauen erinnert hatte, schwenkt dann zurück auf den historischen Ort des heutigen Geschehens.
„Das Reichstagsgebäude ist ein gutes Gedächtnis“, sagt Klöckner, erinnert an Rotarmisten, die sich hier verewigt haben und die Namen ihrer Heimatorte an die Wände geschrieben hatten. Sie seien nicht nur aus Russland, sondern auch aus der Ukraine gekommen, betont Klöckner und fügt hinzu, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine auch im Namen der Befreier von damals geführt werde: „Was für ein Missbrauch der Geschichte.“
Im Plenum und auf den Rängen Applaus, bei der AfD nur vereinzelt. Klöckner schließt mit einem kraftvollen Appell: „Wer befreit wurde, der ist auch verpflichtet zu verteidigen – die Freiheit.“
Um 13.04 Uhr tritt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ans Rednerpult und zitiert den Philosophen Jürgen Habermas mit dem Satz: „Wir sind alle Kinder des 8. Mai!“
Schnell geht es um die Ukraine und Deutschlands Verantwortung: „Ließen wir die Ukraine schutz- und wehrlos zurück, hieße das, die Lehren des 8. Mai preiszugeben!“ Am Applaus für diesen Satz beteiligen sich die Ränder des Parlaments, Linke und AfD, nicht, wie es noch häufiger während dieser Rede vorkommen wird, vor allem beim Thema Russland.
Auch Steinmeier geht auf die Weizsäcker-Rede ein und den Satz „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“. Der habe eine Zäsur im Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit markiert.
Weizsäcker-Rede als Maßstab
Die Weizsäcker-Rede – sie ist an diesem Tag Bezugspunkt und ein vielleicht sogar ein Maßstab in einer Situation, in der viele die Demokratie erneut in großer Gefahr sehen. Der damalige israelische Botschafter hatte diese Rede als Sternstunde in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet.
Weizsäcker bezeichnete die Shoah als „beispiellos in der Geschichte“, benannte Opfergruppen wie Sinti und Roma und die kollektive Verantwortung der Deutschen, grenzte sie jedoch ab von persönlicher Schuld. Die beiden zentralen Sätze: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Was heute selbstverständlich klingt, war es damals nicht. Auch wenn die Gedanken, die der Bundespräsident geäußert hatte, nicht ganz neu waren.
Kurz zuvor, am 21. April 1985, hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bereits bei einer Gedenkstunde in Bergen-Belsen betont: „Der Zusammenbruch der NS-Diktatur am 8. Mai 1945 wurde für die Deutschen ein Tag der Befreiung.“
Dennoch: Die Weizsäcker-Rede blieb ein Meilenstein. Der Bundespräsident veränderte damit den Diskurs, prägte ein neues Selbstverständnis. Zwei Millionen Exemplare wurden gedruckt, der Text in 13 Sprachen übersetzt.
Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung inzwischen Kern unserer gesamtdeutschen Identität geworden
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
Steinmeier nimmt das an diesem Donnerstag, 40 Jahre später, auf und sagt: „Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung inzwischen Kern unserer gesamtdeutschen Identität geworden. Und doch begehen wir diesen 8. Mai heute nicht in ruhiger Selbstgewissheit. Denn wir spüren: Freiheit ist nicht das große Finale der Geschichte. Freiheit ist nicht für alle Zeit garantiert.“
Heute müsse man nicht mehr fragen: „Hat der 8. Mai uns befreit? Die Antwort ist gegeben. Und die bleibt gültig. Aber wir müssen fragen: Wie können wir frei bleiben?“ Steinmeier weicht hier offenbar vom Manuskript ab, spricht entweder frei oder hat wie so oft bis zur letzten Sekunde an der lange vorbereiteten Rede gearbeitet.
Schließlich geht der Bundespräsident erneut auf Russland, aber auch das Verhalten der neuen US-Regierung ein, spricht über die internationale Ordnung, die auf Basis des Völkerrechts geschaffen wurde. „All das war nie perfekt, nie unumstritten. Aber dass sich nun ausgerechnet auch die Vereinigten Staaten, die diese Ordnung so maßgeblich mit geschaffen und geprägt haben, von ihr abwenden, das ist eine Erschütterung neuen Ausmaßes.“
Steinmeier greift Russland und die USA an
Dann, ein bemerkenswert politischer Satz eines Bundespräsidenten, fügt Steinmeier hinzu: „Und deshalb rede ich von meinem doppelten Epochenbruch – der Angriffskrieg Russlands und der Wertebruch Amerikas – das ist das, was das Ende dieses langen 20. Jahrhunderts markiert.“
Steinmeier führt aus: „Wir sehen mit Schrecken, dass selbst die älteste Demokratie der Welt schnell gefährdet sein kann, wenn die Justiz missachtet, Gewaltenteilung ausgehebelt, Freiheit der Wissenschaft angegriffen wird.“
Ohne die AfD direkt zu benennen, geht Steinmeier im nächsten Satz auch auf die Rechten ein: „Wir schauen auf unser Land, meine Damen und Herren, wir schauen auf unser Land, in dem extremistische Kräfte erstarken, in dem Institutionen der Demokratie verhöhnt werden, auch diejenigen, die sie repräsentieren, in denen Debatten vergiftet werden, wo mit den Sorgen von Menschen gespielt wird, das Geschäft mit der Angst betrieben wird und Menschen gegeneinander aufgehetzt werden.“
Kurz blickt Steinmeier nach rechts, dahin, wo Bernd Baumann, Alice Weidel, Tino Chrupalla und ganz rechts AfD-Ehrenpräsident Alexander Gauland sitzen. Letzterer hatte die NS-Zeit als „Vogelschiss“ bezeichnet.
Wer Gutes für dieses Land will, der schützt das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen.
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
„Wer Gutes für dieses Land will, der schützt das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen“, sagt Steinmeier nun. „Das, meine Damen und Herren, das erwarte ich von allen Demokraten in diesem Land.“ Applaus im Plenum und vereinzelt auch bei der AfD, deren Abgeordnete sich als Demokraten verstehen.
Der 8. Mai habe „uns noch viel zu sagen“, sagt Steinmeier nun und hält vor den nächsten Sätzen kurz inne, hebt die rechte Hand in einer Geste der Irritation, als er sagt: „Tatsächlich wundere ich mich manchmal über die Hartnäckigkeit, mit der manche, leider auch in diesem Hause, einen sogenannten ‚Schlussstrich‘ unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung fordern.“
Erneuter Applaus, außer bei der AfD – es ist klar, wer gemeint ist. Steinmeier zitiert weiter die Rechten: „Ich wundere mich, wenn manche Erinnerung als Schuldkult diskreditieren. Was soll das eigentlich bedeuten? Dass wir vergessen, was wir wissen?“
Steinmeier appelliert – AfD schweigt
Die AfD-Fraktion hatte in einem Statement zum 8. Mai zuvor zwar von der „nationalsozialistischen Terrorherrschaft“ und „Verbrechen“ gesprochen, allerdings auch erklärt, der 8. Mai solle „nicht gedenkpolitisch missbraucht werden für einseitige und oberflächliche Geschichtsklitterung, gleichviel von welcher Seite. Er ist vielmehr bleibender Anlass, uns der gesamten Dimension unserer Geschichte bewusst zu werden und uns dieser auch zu stellen.“
Steinmeier dagegen ruft ins Plenum: „Wollen wir ein Land sein, das sich nur an vermeintlich glorreiche Zeiten erinnert und die Abgründe seiner Geschichte verharmlost oder leugnet? Wollen wir eine Demokratie sein, die vergisst, wo sie herkommt und was den Kern ihrer Identität ausmacht?“ Der Bundespräsident appelliert an die Abgeordneten: „Ich will sagen: Es ist so unendlich viel, was wir mit Versöhnung erreichen können und was wir erreicht haben. Meine Bitte ist, verehrte Abgeordnete: Lassen Sie uns weiter dafür arbeiten!“
Steinmeier appelliert weiter: „Vertrauen wir doch auf unsere Erfahrung! Stehen wir ein für unsere Werte. Erstarren wir jetzt nicht in Ängstlichkeit! Beweisen wir Selbstbehauptung!“
Dann spielt er erneut auf die USA an: „Wenn andere Demokratie, Freiheit und Recht einschränken, verteidigen wir sie erst recht“, sagt Steinmeier, schlägt dabei nachdrücklich aufs Pult. „Wenn auch in unserem Land die Zweifel daran größer werden, zeigen wir doch, dass jede und jeder Einzelne in einer Demokratie ein besseres und freieres Leben leben kann als in jeder autoritären Ordnung. Überzeugen wir möglichst viele von denen, die daran zweifeln! Gewinnen wir sie zurück für die Demokratie! Demokratie ist nie fertig. Demokratie ist anstrengend. Sie verlangt Engagement. Aber eine bessere Ordnung, meine Damen und Herren, gibt es nicht!“
Applaus im gesamten Plenum – AfD-Chefin Alice Weidel beteiligt sich nicht. Mit der National- und Europahymne endet die Gedenkstunde.
« Wir alle sind Kinder des 8. Mai »
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8.5.2025 - Zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges hat Bundespräsident Steinmeier bei einer Gedenkstunde im Bundestag dazu aufgerufen, das Erinnern nicht zur Routine werden zu lassen.
„Du weißt, wir haben immer damit gerechnet. (…) Aber es ist doch schwer zu ertragen, wenn auf einmal die Niederlage da ist.“
Die Niederlage ist schwer zu ertragen, das schrieb Helga Felmy, Jahrgang 1911, am 8. Mai 1945 an ihren Mann, einen Pfarrer, der in Kriegsgefangenschaft war. Der Brief gehört zu den Dokumenten, die Walter Kempowski über die seelische Verfasstheit der Deutschen in der Stunde null gesammelt hat.
Deutschland lag in Schutt und Asche am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation. Städte, in eine endlose Trümmerlandschaft verwandelt, statt Häusern nur noch Schuttberge und Gerippe aus Mauerresten. Einzelne durch Willkür des Zufalls noch stehende Gebäude, inmitten der Verheerung aufragende Mahnmale. Von der Wehrmacht gesprengte Brücken als Fanal eines bis in den eigenen Untergang fanatisch geführten Krieges. Ganze Regionen verwüstet. „Berlin hat aufgehört zu existieren“, berichtete der BBC-Reporter Thomas Cadett nach Hause.
Wir alle haben unzählige Bilder dieses Tages gesehen. Die von alliierten Streitkräften entwaffneten deutschen Soldaten, hockend, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Gesichter jetzt ängstlich, stumpf, ratlos. Überlebende, die wie Untote durch die Ruinen der zerbombten Städte wankten. Die Leichen derer, für die die Befreiung nur um Tage zu spät kam. Bilder von zerschossenen Leiterwagen der deutschen Flüchtlingstrecks aus dem Osten, ringsum verstreut die Kleidung und das, was einmal zu einem Zuhause gehörte.
Der Zweite Weltkrieg war nichts als ein endloses Grauen: Erniedrigung, Verfolgung, Folter, Mord, Völkermord. Am Ende waren mehr als 60 Millionen Menschen in Europa tot, sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet, Millionen obdach- und heimatlos, verwaist, gebrochen, verwundet, hungernd.
Und doch, auch das gab es: Hoffnung und Dankbarkeit. „In uns ist immer wieder ein großes Erleichterungs- und Dankgefühl (…), dies Ungeheure, all diese (…) Gefahr nun wirklich überlebt zu haben,“ das schrieb Victor Klemperer, noch beinahe ungläubig, in den letzten Kriegstagen. Der große Gelehrte, gedemütigt, entrechtet, verfolgt, konnte endlich hoffen, seiner Vernichtung entkommen zu sein.
Es waren Deutsche, die diesen verbrecherischen Krieg entfesselt und ganz Europa in den Abgrund gerissen haben. Es waren Deutsche, die das Menschheitsverbrechen der Shoah begangen haben. Und es waren Deutsche, die nicht willens und nicht fähig waren, selber das Joch des NS-Regimes abzuwerfen.
Daran erinnern wir, wir Deutsche, heute, 80 Jahre später. Wir wissen: Dieser Tag hat unser Land zutiefst geprägt. Wir alle sind Kinder des 8. Mai!
Am 8. Mai 1945 wurden wir befreit. Auch heute, 80 Jahre später, gilt unser tiefer Dank den alliierten Soldaten und den europäischen Widerstandsbewegungen, die das NS-Regime unter Aufbietung aller Kräfte und mit vielen Opfern bezwungen haben. Das vergessen wir nicht! Unser Dank gilt Amerikanern, Briten, Franzosen und all denen, die mit ihnen den Kampf gegen den nationalsozialistischen Terror führten.
Aber wir wissen auch, welchen Beitrag die Rote Armee dabei geleistet hat, Russen, Ukrainer, Weißrussen und alle, die in ihr gekämpft haben. Mindestens 13 Millionen dieser Soldaten und noch einmal ebenso viele Zivilisten verloren ihr Leben. Die Rote Armee hat Auschwitz befreit.
All das vergessen wir nicht. Aber gerade deshalb treten wir den heutigen Geschichtslügen des Kreml entschieden entgegen. Auch wenn das morgen bei den Siegesfeiern in Moskau wieder behauptet werden sollte: Der Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus. Putins Angriffskrieg, sein Feldzug gegen ein freies, demokratisches Land, hat nichts gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg. Am Ende ist diese Geschichtslüge nichts als eine Verbrämung imperialen Wahns, schweren Unrechts und schwerster Verbrechen!
Auch und gerade am 8. Mai gilt: Wir unterstützen die Ukraine in ihrem Kampf um ihre Freiheit, ihre Demokratie, ihre Souveränität. Ließen wir die Ukraine schutz- und wehrlos zurück, hieße das, die Lehren des 8. Mai zu verraten!
Zutiefst dankbar sind wir heute, 80 Jahre später, auch für die Versöhnung, für das Vertrauen, das uns so viele Länder nach dem Krieg entgegengebracht haben. Für die Aussöhnung mit unseren Nachbarn Polen und Frankreich. Für das Wunder der Versöhnung, das jüdische Gemeinschaften auf der ganzen Welt und der Staat Israel uns geschenkt haben. Wir Deutsche können für dieses Geschenk der Versöhnung nicht dankbar genug sein!
Aber Dankbarkeit allein reicht nicht aus! Niemals kann und niemals darf es uns gleichgültig lassen, wenn sich ausgerechnet in unserem Land Antisemitismus wieder zeigt. Es ist geschichtsvergessen, es ist unerträglich, wenn sich Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher fühlen in unserem Land. Unerträglich nicht nur für Jüdinnen und Juden. Nein, unerträglich für unsere Demokratie. Für Antisemitismus darf es in unserer Gesellschaft keinen Raum geben. Das zu gewährleisten, ist unsere gemeinsame Pflicht!
1945 kam die Befreiung von außen. Sie musste von außen kommen. Die meisten Deutschen hielten dem Regime bis zum letzten Tag die Treue. Und längst nicht alle Deutschen empfanden damals Dankbarkeit für die Befreiung, sie sahen sich nicht einmal als Befreite.
Am 8. Mai 1945 begann für unser Land ein langer Weg hin zu Freiheit und Demokratie. Die Westalliierten eröffneten ihn für die Menschen in der damaligen Bundesrepublik. Im Osten Deutschlands blieb den Menschen die Freiheit weiter vorenthalten. Die Sowjetunion bereitete den Weg für die Einparteienherrschaft der SED und eine neue Diktatur.
Aber wir Deutsche mussten uns erst auch innerlich befreien, in einem langwierigen, schmerzhaften Prozess. Eine Aufarbeitung, die Verletzungen hinterließ – auch zwischen den Generationen. Zur Wahrheit gehört, dass in der ehemaligen DDR zwar Antifaschismus Staatsdoktrin war, aber eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Geschichte lange nicht stattfand. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die junge Bundesrepublik zunächst fast jede Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, vor allem die Bestrafung der Täter lange verweigerte; stattdessen kamen viele in neue Ämter, die treue Diener des NS-Regimes gewesen waren.
In Ost wie West sollte es Jahre, sogar Jahrzehnte dauern, bis wir Deutsche uns umfassend den quälenden Fragen von Schuld und Verantwortung gestellt haben, bis in den Familien darüber gesprochen wurde, was gewesen war, wer von den Verbrechen gewusst und doch weggesehen hatte, wer sich schuldig gemacht und doch geschwiegen hatte.
Der Satz von Richard von Weizsäcker „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“ in seiner historischen Rede am 8. Mai 1985, dieser Satz war auch 40 Jahre nach Kriegsende noch nicht unumstritten. Und doch markierte er eine Zäsur im Umgang mit unserer Vergangenheit.
Bundespräsident von Weizsäcker sprach für die Bundesrepublik, aber seine Worte fanden auch in der damaligen DDR Widerhall.
Und heute, noch einmal 40 Jahre später? Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung Kern unserer gesamtdeutschen Identität geworden. Und doch begehen wir diesen 8. Mai heute nicht in ruhiger Selbstgewissheit. Denn wir spüren: Freiheit ist nicht das große Finale der Geschichte. Freiheit ist nicht für alle Zeit garantiert.
Heute müssen wir deshalb nicht mehr fragen: Hat der 8. Mai uns befreit? Die Antwort ist gegeben, und sie bleibt gültig. Aber wir müssen fragen: Wie können wir frei bleiben?
„80 Jahre nach Kriegsende ist das lange 20. Jahrhundert endgültig zu einem Ende gekommen“, schreibt Ivan Krastev. Die Lehren aus zwei Diktaturen und zwei Weltkriegen verblassen. Die Befreier von Auschwitz sind zu neuen Aggressoren geworden. Mit dem Krieg gegen die Ukraine hat Putin unsere europäische Sicherheitsordnung in Trümmer gelegt – von der wir doch gehofft hatten, sie sei als Lehre aus den Schrecken des Krieges ein für alle Mal gelernt.
Die Staatengemeinschaft hatte Konsequenzen gezogen aus Vernichtungskrieg und Völkermord, hatte Regeln eingeführt, um Nationalismen einzuhegen, Zusammenarbeit zu fördern, und hatte eine internationale Ordnung auf Basis des Völkerrechts geschaffen. All das war nie perfekt, nie unumstritten, aber dass sich nun ausgerechnet auch die Vereinigten Staaten, die diese Ordnung so maßgeblich mit geschaffen und geprägt haben, von ihr abwenden, das ist eine Erschütterung neuen Ausmaßes.
Und deshalb spreche ich von einem doppelten Epochenbruch – der Angriffskrieg Russlands und der Wertebruch Amerikas –, das ist es, was das Ende dieses langen 20. Jahrhunderts markiert.
Die Faszination des Autoritären und die populistischen Verlockungen gewinnen leider auch bei uns in Europa wieder Raum, und Zweifel an der Demokratie werden laut. Wir sehen mit Schrecken, dass selbst die älteste Demokratie der Welt gefährdet sein kann, wenn die Justiz missachtet, die Gewaltenteilung ausgehebelt, die Freiheit der Wissenschaft angegriffen wird. Wir schauen auf unser Land, in dem extremistische Kräfte erstarken. Sie verhöhnen die Institutionen der Demokratie und diejenigen, die sie repräsentieren. Sie vergiften unsere Debatten. Sie spielen mit den Sorgen der Menschen. Sie betreiben das Geschäft mit der Angst. Sie hetzen Menschen gegeneinander auf. Sie erwecken alte böse Geister zu neuem Leben.
Wer Gutes für dieses Land will, der schützt das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen. Das erwarte ich von allen Demokratinnen und Demokraten in diesem Land.
Wie können wir frei bleiben, wie bewahren und schützen wir unsere Demokratie? Mitten in dem Epochenbruch kann es für uns keine Routine im Erinnern geben. Und ich bin sicher: Der 8. Mai hat uns noch viel zu sagen.
Tatsächlich wundere ich mich manchmal über die Hartnäckigkeit, mit der manche, leider auch in diesem Hause, einen sogenannten Schlussstrich unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung fordern. Ich wundere mich, wenn einige Erinnerung als "Schuldkult“ diskreditieren. Was soll das eigentlich bedeuten? Dass wir vergessen, was wir wissen?
Was hätten wir damit zu gewinnen? Wollen wir wirklich den Überlebenden des Holocaust, die heute in tiefer Sorge sind, unsere Solidarität verweigern? Wollen wir ein Land sein, das sich nur an vermeintlich glorreiche Zeiten erinnert und die Abgründe seiner Geschichte verharmlost oder leugnet? Wollen wir eine Demokratie sein, die vergisst, wo sie herkommt und was den Kern ihrer Identität ausmacht?
Und wollen wir umgekehrt wirklich auf die Erfahrung verzichten, dass fanatischer Nationalismus überwunden werden kann. Wollen wir auf die Erfahrung verzichten, dass auf Krieg Frieden folgen kann? Dass Frieden und Demokratie auch Wohlstand bringen? Dass die Aufarbeitung unserer Geschichte uns Anerkennung und Respekt in der ganzen Welt eingebracht hat?
Ginge es uns wirklich besser, wenn wir all diese Erfahrungen vergessen würden und die Erinnerung einfach entsorgen wie ein altes Kleidungsstück?
Wir haben doch in den letzten 80 Jahren immer wieder erfahren dürfen, was für eine Kraft die gemeinsame Erinnerung in sich trägt. Die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges, Leid, Zerstörung, Verfolgung, Terror, Tod, Flucht, sie haben sich trotz des wachsenden zeitlichen Abstands tief ins kollektive Gedächtnis der Europäer eingegraben. Das Erlebte wird weitergetragen von Generation zu Generation, in Familien in Frankreich, in Großbritannien, in Belgien, Italien, in den Ländern Osteuropas. Babyn Jar, Oradour-sur-Glane, Korjukiwka, Marzabotto: Ich selbst erlebe das immer wieder bei Gedenkfeiern, wenn mir Überlebende und Angehörige von NS-Opfern von ihrem Schmerz erzählen und mir trotzdem die Hand zur Versöhnung reichen. Mich hat es tief berührt, als mich in Warschau beim Gedenken an den Aufstand dort vor 80 Jahren eine Überlebende bei der Hand genommen und mir gesagt hat: „Polen und Deutschland sind heute Freunde. Nie hätte ich mir das vorstellen können.“ Ich will sagen: Es ist so unendlich viel, was wir mit Versöhnung erreichen können und was wir erreicht haben. Meine Bitte ist: Lassen Sie uns weiter dafür arbeiten!
Gerade weil wir uns erinnert haben, ist nach 1945 aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges ein neues, geeintes Europa erwachsen, ein Europa, das Lehren aus der Katastrophe gezogen hat: friedliches Miteinander statt feindliches Gegeneinander, Zusammenarbeit statt Regellosigkeit, die Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte, all das hat uns Jahrzehnte von Frieden, Freiheit und Wohlstand beschert.
Meine feste Überzeugung ist: Wer sich der Vergangenheit stellt, der verzichtet nicht auf Zukunft. Unsere Geschichte ist kein Gefängnis, in das wir eingesperrt sind. Sie ist kein Ballast, auch nicht für uns Nachgeborene.
Sie ist im Gegenteil, mit all ihren Höhen und Tiefen, ein riesiger, ein kostbarer Erfahrungsschatz! Sie ist der Schlüssel, für uns, unsere Kinder, unsere Enkel, um die Krisen der Gegenwart und auch der Zukunft zu meistern. Und deshalb ist es so wichtig, gerade heute, die Erfahrung von Diktatur und Krieg, aber genauso die von Wiederaufbau und Versöhnung weiterzugeben von Generation zu Generation. Warum sollten wir erst neu schmerzlich erfahren oder erlernen müssen, was wir in unserer deutschen Geschichte doch schon einmal so bitter haben erfahren und erlernen müssen?
Ich bin überzeugt, heute mehr denn je: Wir haben so vieles gelernt aus unserer Geschichte, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind. Geben wir nicht leichtfertig preis, was uns stark gemacht hat! Flüchten wir nicht aus unserer Geschichte. Werfen wir ihre Lehren gerade dann nicht über Bord, wenn sie uns etwas abverlangen. Das wäre feige und falsch zugleich!
Einen Schritt weitergehend, frage ich: Sind wir nicht mit unserer Geschichte, mit unseren Erfahrungen eigentlich besonders gut gerüstet für die Anfechtungen dieser Zeit?
Für uns kann es kein schlafwandlerisches Wanken geben. Wir wissen, wohin Abschottung führt, wohin aggressiver Nationalismus, die Verachtung von demokratischen Institutionen führt. So haben wir in Deutschland schon einmal die Demokratie verloren. Deshalb: Vertrauen wir auf unsere Erfahrung! Stehen wir ein für unsere Werte. Erstarren wir jetzt nicht in Ängstlichkeit! Beweisen wir Selbstbehauptung!
Wenn andere in Nationalismus verfallen und brachial ihre Interessen durchsetzen wollen, dann suchen wir umso mehr gemeinsam mit Partnern nach Lösungen – weil es richtig ist. Wenn andere die Vereinten Nationen in Frage stellen und das Völkerrecht gleich mit, halten wir daran fest – weil es richtig ist.
Wo der Zeitgeist von Disruption schwärmt, erkennen wir doch, dass dahinter oft genug nur der Unwille steckt, den Weg und das Ziel von Veränderungen zu beschreiben. Aber Regellosigkeit ist bei Weitem nicht für alle eine Verheißung. Das gilt erst recht international für das Verhältnis von Staaten untereinander. Denn eine Zukunft in der nicht mehr die "Stärke des Rechts“ gilt, sondern das "Recht des Stärkeren“ in seiner ganzen Rohheit zurückkehrt, das kann und das darf nicht unser Weg sein.
Wenn andere Demokratie, Freiheit, Recht einschränken, verteidigen wir sie erst recht. Wenn auch in unserem Land die Zweifel daran größer werden, zeigen wir, dass jede und jeder Einzelne in einer Demokratie ein besseres und freieres Leben leben kann als in jeder autoritären Ordnung. Überzeugen wir möglichst viele von denen, die daran zweifeln! Gewinnen wir sie zurück für unsere Demokratie! Demokratie ist nie fertig! Sie ist anstrengend! Sie verlangt Engagement. Aber: Eine bessere Ordnung gibt es nicht!
Und wenn neue Kriege uns heute Sorgen machen, dann verlieren wir – gerade wir! – nicht den Frieden aus dem Blick. Wir wissen, wohin Krieg führt. Wir fürchten ihn zu Recht. Deshalb bleibt unsere Perspektive der Frieden. Aber Frieden herrscht nicht schon dann, wenn wir uns zurückhalten, wenn wir auf die Stärkung der eigenen Verteidigung verzichten. Denn wir sind mit einer harten Realität konfrontiert: Wir müssen alles tun, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, um Putins Landnahme aufzuhalten. Wir müssen zeigen: Demokratien sind keine wehrlosen Opfer.
Wir müssen militärisch stärker werden, aber nicht um Krieg zu führen, sondern um Krieg zu verhindern. Nicht um Diplomatie zu ersetzen, sondern um sie glaubhaft zu machen – mit einer aktiven Außenpolitik, die Diplomatie nicht denen überlässt, die nur eigennützige Machtinteressen verfolgen. Wo immer wir von Nutzen sein können, da sollten wir uns engagieren. Deutschland wird gebraucht, um um Frieden zu ringen, wo er verloren gegangen ist. Auch das ist der Auftrag des 8. Mai.
Heute, an diesem 8. Mai, sind wir ein anderes Land als vor 80 und auch vor 40 Jahren. Ein Land, das das große Glück der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung erleben durfte, ein vielfältiges, offenes Land. Unsere Geschichte liefert uns nicht nur die Blaupause für Katastrophen, die es zu verhindern gilt. Sie erzählt uns vom Wunder der Versöhnung zwischen Deutschland und Israel und davon, dass jüdisches Leben wieder Teil unseres Landes werden konnte. Sie erzählt uns, wie die Menschen in Osteuropa und der DDR 1989 die Teilung Europas überwunden und die Freiheit errungen haben. Sie erzählt uns die unglaubliche Erfolgsgeschichte eines Landes, das nach dem totalen Zusammenbruch – auch dem moralischen – zu Freiheit, wirtschaftlicher Stärke und Wohlstand gekommen ist, sich international Respekt und sogar Sympathie erarbeitet hat. Wer hätte all das am 8. Mai 1945 für möglich gehalten!
Wir dürfen diesem Land vertrauen. Wir dürfen Vertrauen haben in uns selbst.
Wir alle sind Kinder des 8. Mai, ein Satz von Jürgen Habermas, ein Satz, der Hoffnung gibt. Hoffnungstrotz! Hoffnung trotz allem! Von außen kann uns heute niemand die Freiheit schenken. Wir müssen selbst für sie einstehen. Wir wissen, was zu tun ist. Und wir wissen um die Möglichkeit, dass immer wieder etwas Neues beginnt.
Ja, wir sind alle Kinder des 8. Mai. Schützen wir unsere Freiheit! Schützen wir unsere Demokratie!