Vor 70 Jahren : Hinrichtung d. Spions Richard Sorge (1895-1944) | Dr. phil. Maik Hendrik Sprotte

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    Ausstellung : Richard Sorge, Journalist und Spion (1895-1944) | Dr. phil. Maik Hendrik Sprotte - Japanologisches und mehr ...
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    Sor­ges Ein­satz­ge­biet sollte zunächst China werden.

    Zur bes­se­ren Tar­nung sollte Sorge mit einem ech­ten deut­schen Paß als Jour­na­list nach China ein­rei­sen. Zu die­sem Zweck schloß er mit der „Getreide-Zeitung“, einem land­wirt­schaft­li­chen Fach­blatt, und einem Ver­lag für sozio­lo­gi­sche Schrif­ten Mit­ar­bei­ter­ver­träge in Ber­lin. Mit dem Beginn sei­nes China-Aufenthaltes 1930 bestan­den seine Auf­ga­ben in der Ana­lyse der poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Struk­tu­ren der natio­na­lis­ti­schen Nanking-Regierung, der Guom­indang, unter Jiang Jie­shi 蒋介石 (=Chiang Kai-shek, 1887–1975), ihres Ver­hält­nis­ses zu den chi­ne­si­schen Kom­mu­nis­ten und ande­ren Oppo­si­ti­ons­be­we­gun­gen, der Chi­na­po­li­tik der USA und Groß­bri­tan­ni­ens aber auch der Samm­lung all­ge­mei­ner Infor­ma­tio­nen zum Ent­wick­lungs­stand der chi­ne­si­schen Indus­trie und Land­wirt­schaft. Er begann mit dem Auf­bau eines flä­chen­de­cken­den Spio­na­ge­rin­ges mit Stütz­punk­ten in Shang­hai, Har­bin und Kan­ton und konnte sei­nen sowje­ti­schen Auf­trag­ge­bern für sie wich­tige Infor­ma­tio­nen, auch über das Vor­an­schrei­ten der japa­ni­schen Expan­sion auf dem chi­ne­si­schen Fest­land, ver­schaf­fen. In Shang­hai lernte er auch Ozaki Hot­sumi 尾崎秀実 (1901–1944), China-Korrespondent der japa­ni­schen Tages­zei­tung Asahi shin­bun (朝日新聞), ken­nen, mit dem er auch spä­ter in Japan sei­ner Spio­na­ge­tä­tig­keit gemein­sam nach­ging. 1932 ver­ließ Sorge China. Der Spio­na­ge­ring bestand fort.

    Im Sep­tem­ber 1933 erreichte er Tôkyô und begann mit dem Auf­bau eines Spio­na­ge­rin­ges unter Betei­li­gung Ozaki Hot­su­mis, des Fun­kers der Gruppe Max Clau­sen (1899–1979), sei­ner Frau Anna (1899–1978), des jugo­sla­wi­schen Jour­na­lis­ten Branko Vuke­lic (1904–45), des Kunst­ma­lers Miyagi Yotoku 宮城与徳 (1903–43) sowie ande­rer japa­ni­scher Mit­ar­bei­ter. Trotz eines engen „Freund­schafts­ver­hält­nis­ses“ zu Eugen Ott, ab 1934 Mili­tär­at­ta­ché, von 1938–42 deut­scher Bot­schaf­ter, scheint der Vor­wurf, die­ser habe es Sorge ermög­licht, direkt Quel­len inner­halb der Bot­schaft des Deut­schen Rei­ches in Japan abzu­schöp­fen, nicht halt­bar zu sein. Durch seine Tätig­keit als Aus­lands­kor­re­spon­dent der „Frank­fur­ter Zei­tung“ und durch Ver­mitt­lung Ozakis wurde viel­mehr eine Reihe füh­ren­der Per­sön­lich­kei­ten des Lan­des zu unwis­sent­li­chen Infor­man­ten der soge­nann­ten Gruppe „Ram­sey“: so etwa der Enkel des „letz­ten genrô“ Sai­onji Kin­mochi 西園寺公望 und enge Mit­ar­bei­ter des japa­ni­schen Außen­mi­nis­ters Mats­uoka Yôsuke 松岡洋右, Sai­onji Kin­kazu 西園寺公一(1906–1993), sowie der Sohn des 1932 ermor­de­ten Minis­ter­prä­si­den­ten Inu­kai Tsuyo­shi 犬養毅, Inu­kai Takeru 犬養健 (1896–1960).

    Im wesent­li­chen waren es zwei Nach­rich­ten, die für die Sowjet­union neben zahl­rei­chen wei­te­ren Berich­ten Sor­ges und sei­ner Mit­strei­ter eine beson­dere Bedeu­tung gehabt zu haben scheinen:

    (Funk­sprü­che Mai/Juni 1941): Deutsch­land werde die Sowjet­union angrei­fen; Diese Nach­richt scheint offen­bar in der Sowjet­union nicht beach­tet wor­den zu sein.
    (Funk­sprü­che Sep­tem­ber 1941): Japan werde die Sowjet­union nicht angrei­fen, son­dern ver­folge die Absicht eines wei­te­ren Vor­drin­gens in den pazi­fi­schen Raum (gegen die USA und Groß­bri­tan­nien); Nach­dem der deut­sche Angriff auf die Sowjet­union erfolgt war und man einen japa­ni­schen Vor­stoß Rich­tung Sibi­rien erwar­tet hatte, erlaubte diese Mel­dung nun dem sowje­ti­schen Ober­kom­mando, Trup­pen in Asien abzu­zie­hen und auf dem euro­päi­schen Kampf­platz einzusetzen.

    Vor siebzig Jahren : Hinrichtung des Journalisten und Spions Richard Sorge (1895–1944)
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    Vor allem japa­ni­sche Print­me­dien schei­nen gerne — nicht zuletzt wohl auch wegen der per­sön­li­chen Note — auf diese „Dank­bar­keit“ zu ver­wei­sen. Als am 1. Juni 2002 der Poli­zist Ôha­shi Hideo 大橋秀雄, der die Ermitt­lun­gen gegen Sorge gelei­tet hatte, im Alter von 99 Jah­ren ver­starb, erwähnte die Asahi shin­bun in einem Nach­ruf (Abend­aus­gabe, 24.06.2002, S.3) natür­lich die Wid­mung Sor­ges für Ôha­shi, mit der er eine Über­set­zung sei­ner Ein­las­sun­gen zu sei­ner Spio­na­ge­tä­tig­keit in China und Japan ver­se­hen hatte. Diese lau­tet vollständig:

    „For Mr. Oha­shi.
    In memory of his most pro­found and most kindly inves­ti­ga­tion of my case during the win­ter 1941/42, I express my deep thank­ful­ness to him as the lea­der of the inves­ti­ga­tion. I will never for­get his kind­ness during the most dif­fi­cult time of my event­ful live.
    Richard Sorge„
    (Cri­mi­nal Affairs Bureau, Minis­try of Justice: An authen­ti­ca­ted trans­la­tion of „Sorge’s own story“, Febru­ary 1942 (司法省刑事局:ゾルゲ事件(ニ)、昭和17年2月). Pre­pa­red and trans­la­ted by the Mili­tary Intel­li­gence Sec­tion, Gene­ral Head­quar­ters Far East Com­mand: Tokyo/Japan, Dec 15, 1947, o.S..

    In einem inter­na­tio­na­len Umfeld scheint die For­schung zur Spio­na­ge­af­färe um Richard Sorge inzwi­schen weit­ge­hend ruhig zu ver­lau­fen. Mei­nem Ein­druck nach scheint es gegen­wär­tig eher darum zu gehen, die ein­zel­nen Mit­glie­der des Sorge-Netzwerkes in China und Japan zu iden­ti­fi­zie­ren und ihre Bezie­hun­gen unter­ein­an­der zu beleuch­ten. Unmit­tel­bar nach Kriegs­ende, mit dem begin­nen­den Kal­ten Krieg, war dies anders. Vor allem der Geheim­dienst­be­auf­tragte des Ober­kom­man­die­ren der Alli­ier­ten Streit­kräfte in Japan, Charles And­rew Will­oughby (1892 in Hei­del­berg gebo­ren, 1910 in die USA aus­ge­wan­dert, 1972 ver­stor­ben), sah die Sorge-Affäre als Zei­chen einer welt­wei­ten kom­mu­nis­ti­schen Ver­schwö­rung, die er wäh­rend sei­ner Tätig­keit im akti­ven Dienst bis 1951, aber auch spä­ter publi­zis­tisch auf­zu­de­cken ver­suchte. In der „McCarthy-Ära“ zwi­schen etwa 1947 und 1956 gegen so genannte „un-amerikanische Umtriebe“ machte er sich daran, auf der Grund­lage teils sehr ein­sei­ti­ger und unzu­rei­chen­der, wohl aber offi­zi­el­ler Dar­stel­lun­gen die­ser Spio­na­ge­af­färe, die er in sei­nem Buch „Shang­hai Con­spi­racy. The Sorge Spy Ring“ (Bos­ton 1952) ver­ar­bei­tete, auch US-Bürger, z.B. fälsch­li­cher­weise die Schrift­stel­le­rin und Jour­na­lis­tin Agnes Smed­ley (1892–1950), die 1930 kurz­zei­tig mit Richard Sorge liiert war, als Ange­hö­rige eines kom­mu­nis­ti­schen Spio­na­ge­rings zu ent­lar­ven und zu verfolgen.

    Im Ost­block war Richard Sorge bis 1964, dem Jahr, in dem man ihm den Ehren­ti­tel eines „Hel­den der Sowjet­union“ ver­lieh, nahezu ver­ges­sen. Im Anschluß erst benannte man in der DDR Stra­ßen, Schu­len und Erho­lungs­heime nach ihm. Sein Leben und seine Tätig­keit in Ost­asien wurde zum Gegen­stand der schu­li­schen Aus­bil­dung. Aus­zeich­nun­gen und Erin­ne­rungs­ga­ben des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit (MfS) tru­gen das Kon­ter­fei die­ses „Kund­schaf­ters des Frie­den“ — so die gän­gige Sprachpraxis.

    In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hin­ge­gen beherrschte eine nega­tive Sicht auf Sorge, jenen mut­maß­li­chen „Vater­lands­ver­rä­ter“, „Säu­fer“ und „Frau­en­hel­den“, das Bild auf diese Spio­na­ge­af­färe. Eine Artikel-Serie im SPIEGEL aus dem Jahr 1951, in den Aus­ga­ben 24 bis 40, unter dem Titel „Herr Sorge saß mit zu Tisch“ prägte für lange Zeit trotz gewis­ser Halb– und Unwahr­hei­ten das bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Bild auf Richard Sorge und die gesamte Spio­na­ge­af­färe. Vor allem Eugen Ott (1889–1977), Bot­schaf­ter des Deut­schen Reichs in Japan von 1938 bis 1942, fühlte sich als mit Infor­ma­tio­nen zu frei­gie­bi­ger Mili­tär und Diplo­mat, der leicht­fer­tig Sorge ins Ver­trauen gezo­gen habe und so die­sem Zugang zu höchst­ge­hei­men Infor­ma­tio­nen ermög­lichte, falsch dar­ge­stellt. Seine Ein­wände waren berech­tigt, wie wir heute wis­sen. Einen Ein­druck von sei­nen viel­fäl­ti­gen Ver­su­chen, die­sem Bild zu wider­spre­chen und ent­ge­gen­zu­wir­ken, kann man erhal­ten, wenn man sei­nen, beim Mün­che­ner „Insti­tut für Zeit­ge­schichte“ ver­wahr­ten Nach­laß studiert.

    加藤哲郎 (2014): ゾルゲ事件. 覆された神話. 平凡社新書Eine umfas­sende Beschrei­bung des gegen­wär­ti­gen For­schungs­stan­des in Japan kann an die­ser Stelle nur bedingt geleis­tet wer­den. Aus den Ver­öf­fent­li­chun­gen in japa­ni­schen Tages­zei­tun­gen der letz­ten 15 Jahre und einer eher ober­fläch­li­chen Recher­che zu jüngs­ten Publi­ka­tio­nen in japa­ni­scher Spra­che ent­steht der Ein­druck, im Zen­trum der japa­ni­schen For­schung stehe gegen­wär­tig die Reha­bi­li­tie­rung eines japa­ni­schen Kom­mu­nis­ten namens Itô Ritsu 伊藤律 (1913–1989), der seit 1946 dem Polit­büro der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Japans ange­hörte und 1955 aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wor­den war. In der Augus­t­aus­gabe 1942 der „Monats­nach­rich­ten der Beson­de­ren Höhe­ren Poli­zei“ (Tokkô geppô 特高月報) fand sich der Satz, daß Itô im Juli 1940 wäh­rend eines Poli­zei­ver­hörs durch die Preis­gabe des Namens von Kita­ba­ya­shi Tomo 北林トモ (1886–1945), die 1939 als Mit­glied der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei der Ver­ei­nig­ten Staa­ten in ihr Hei­mat­land zurück­ge­kehrt war, eine Ver­haf­tungs­welle ange­sto­ßen hatte, die über die Fest­nahme eines wei­te­ren Mit­glieds der KP der USA, den Kunst­ma­ler Miyagi Yotoku 宮城与徳 (1903–1943), der sei­ner­seits tat­säch­lich dem Spio­na­ge­ring Richard Sor­ges ange­hörte, letzt­lich zur Auf­de­ckung der gesam­ten Affäre geführt habe. Als im Februar 1949 ein wei­te­rer, umfang­rei­cher Bericht des Ober­kom­man­dos der Alli­ier­ten Streit­kräfte zur Sorge-Affäre auch der japa­ni­schen Presse zugäng­lich gemacht wurde, fand sich darin ebenso diese Behaup­tung. Vor dem Hin­ter­grund inner­par­tei­li­cher Aus­ein­an­der­set­zun­gen inner­halb der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Japans ent­stand der Ein­druck, Itô habe seine Seele als Spion an die Beson­dere Höhere Poli­zei und spä­ter an das GHQ ver­kauft. Auf­grund einer immer rigi­der wer­den­den Kon­trolle kom­mu­nis­ti­scher Agi­ta­tion in Japan ent­schloss sich Itô, nach China zu gehen, wo er 1953 zunächst unter Haus­ar­rest und dann 27 Jahre lang in Gefäng­nis­sen und Arbeits­la­gern inter­niert wurde. Erst 1980 wurde es ihm erlaubt, in sein Hei­mat­land, in dem er auf­grund der genann­ten Berichte als Ver­rä­ter galt, gesund­heit­lich bereits stark ange­schla­gen, zurück­zu­keh­ren. Bis zu sei­nem Tod bemühte er sich ver­geb­lich um seine Reha­bi­li­tie­rung. Erst 2007 gelang es dem Poli­tik– und Medi­en­wis­sen­schaft­ler Katô Tet­s­urô 加藤哲郎 durch jüngst deklas­si­fi­zierte Doku­mente in US-amerikanischen Archi­ven nach­zu­wei­sen, daß die völ­lig unbe­grün­dete Beto­nung der Schuld Itôs zugleich Teil der kon­spi­ra­ti­ven Arbeit einer gehei­men Ein­heit inner­halb des GHQ war, die unter dem Namen „Z-Unit“ (auch „Canon-Unit“ nach ihrem Lei­ter), direkt Charles And­rew Will­oughby unter­stellt, mit allen Mit­teln den japa­ni­schen Kom­mu­nis­mus zu bekämp­fen hatte. Anläß­lich des 70. Jah­res­ta­ges der Hin­rich­tung Sor­ges hat Katô in einer Taschen­buch­pu­bli­ka­tion im Früh­jahr 2014 seine For­schungs­er­geb­nisse erneut zusam­men­ge­stellt. Inzwi­schen wird die so genannte „Itô-Spion-These“ (Itô supai setsu 伊藤スパイ説) weit­ge­hend als nicht mehr halt­bar aner­kannt.

    #Richard_Sorge #communisme #Japon #Chine #espionnage