»Viele arbeiten 53 Stunden in der Woche« (Tageszeitung junge Welt)

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  • 04.08.2015: »Viele arbeiten 53 Stunden in der Woche« (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/2015/08-04/004.php

    Viele arbeiten 53 Stunden in der Woche«

    Basels Taxifahrer leben von mageren Löhnen. Ein neues Gesetz dereguliert die Branche nun zusätzlich – und verschafft der Internetkonkurrenz Uber Aufwind.

    Ein Gespräch mit Roman Künzler

    Interview: Johannes Supe

    Roman Künzler ist zuständiger Sekretär für die Dienstleistungsbranche der
    Gewerkschaft Unia in Basel

    Im Taxigewerbe ist die kleine Messestadt Basel ganz groß. Etwa 2,7 Taxen kommen auf 1.000 Einwohner, weltweit einer der Spitzenwerte. Anfang Juni hat sich die Stadt nach 20 Jahren nun ein neues Taxigesetz gegeben. Ihre Gewerkschaft hatte das lange gefordert. Trotzdem zeigen Sie sich nun entsetzt. Warum?

    Im Basler Taxigewerbe gibt es viele Missstände, etwa das niedrige Einkommen der Fahrer. In den letzten zehn Jahren sind ihnen die Umsätze weggebrochen. Doch bezahlt werden die Beschäftigten allein auf Basis einer Umsatzbeteiligung. Hier hätte es neue Regelungen durch das Taxigesetz gebraucht. Ursprünglich wollte man mit der Neuregelung auch die Qualität der Dienstleistung erhöhen und die Einkommensbedingung der Fahrer verbessern. Doch passiert ist das nicht. Im Gegenteil: Das Taxigewerbe wurde weiter liberalisiert.

    Was stört Sie an der neuen Regelung?

    Es gibt überhaupt keine Erwähnung von Arbeitnehmerschutz oder Einkommensregelungen. Die werden völlig dem freien Markt überlassen. Dasselbe gilt für die Zahl der Taxen, die in Basel fahren dürfen. Eine Limitierung ist nicht vorgesehen. Dabei gibt es hier gut 470 Wagen und etwa 700 Fahrer – bei einer Bevölkerung von nur etwa 175.000. Das sind einfach zu viele Taxen für die Menge der zu befördernden Personen. 250 bis 350 Taxis wären das Maximum, damit die Beschäftigten existenzsichernd arbeiten können. Doch bei der heutigen Masse von Wagen dauert es immer länger, bis der nächste Gast kommt. Bezahlt werden diese Wartezeiten aber nicht.

    Wieviel Lohn erhalten die Kollegen?

    Die Fahrer kommen auf Stundenlöhne von 17 Franken (rund 16 Euro). Wenn es schlecht läuft sind es sogar nur zwölf Franken. Das ist beispiellos für die
    Schweiz. Um Miete, Krankenkasse und den Rest tragen zu können, brauchen Sie mindestens 22 Franken in der Stunde – besser 25 Franken. Darunter wird es eng. Und Basel gehört zu den teureren Städten der Schweiz.

    Wie können sich dann die Taxifahrer ihren Job leisten?

    Viele von ihnen haben sich in den letzten Jahren verschuldet. Andere arbeiten am Maximum der zugelassenen Arbeitszeit – das sind 53 Stunden in der Woche. Wer seine Familie ernähren will, muss das ausschöpfen. Die Arbeit ist so schlecht bezahlt, dass die meisten Fahrer einen Anspruch auf staatliche
    Ergänzungsleistungen hätten. Doch den nutzen viele nicht, dafür sind sie zu stolz.

    Sie haben bereits erwähnt, dass das Taxigesetz die Bezahlung nicht verbessert hat. Wäre da nicht ein Tarifvertrag angebracht?

    Den gab es bis Ende 2013. Aber wir haben ihn von Gewerkschaftsseite
    aufgekündigt. Er hatte nicht für existenzsichernde Löhne gesorgt, und eine
    Sozialpartnerschaft zwischen uns und den Unternehmen gab es längst nicht mehr. Und solange wir im Tarifvertrag waren, bestand für uns die Friedenspflicht. Doch auch hier spielt das Taxigesetz eine Rolle. In der bisherigen Form gab es eine Verpflichtung zum Tarifvertrag. Die fehlt in der Neuregelung. Damit hat sich die Politik völlig aus der Verantwortung gezogen. Der Druck auf die Arbeitgeber bleibt aus.

    Das klingt, als sei das 20 Jahre alte Taxigesetz besser als die heutige Vorlage.

    Genau so würde ich das auch sagen. Das ist eine neoliberale Vorlage, welche die Arbeitsbedingungen völlig dereguliert.

    Aber an Bestimmungen mangelt es nicht. »Kompetent, ortskundig und
    gastfreundlich«sollen Taxifahrer in Basel sein. Weitere Auflagen, etwa wie
    die Wagen auszusehen haben, sollen per Verordnung festgelegt werden.

    Das wird eine Zwangsjacke für die Beschäftigten. Bestimmt werden auch noch die Höchsttarife, die verlangt werden dürfen. Mit den Regelungen zum Aussehen der Wagen nimmt das langsam den Charakter eines elitären Golfklubs an. Und das alles nur für das »Privileg«, dem Wagen eine Taxilampe aufsetzen und einen Taxiplatz nutzen zu dürfen.

    Sie warnen, dass mit den laschen Schutzbestimmungen Anbieter wie der
    Onlinefahrdienst Uber Aufwind bekommen könnten. Gibt es den bei Ihnen überhaupt?

    Ja, seit rund einem Jahr. Uber bietet Beförderungen durch Leute an, die
    lediglich einen Führerschein besitzen. Haarsträubend, was da für Chauffeure
    auftauchen. Teils sind die völlig ortsunkundig, oft haben sie sehr schlechte
    Wagen. Diese Angebote entsprechen nicht dem Gesetz für den öffentlichen
    Personentransport. Hier hätte Basels Regierung aus Grünen und der
    Sozialdemokratischen Partei die Chance gehabt, Uber zu verbieten. Statt dessen schlug man sich auf seine Seite. Die Regierung argumentiert, dass das
    Unternehmen ein »Mitfahrdienst« sei und kein professioneller Taxianbieter.
    Weil ein Uber-Fahrzeug sich keine Taxilampe aufsetze. Entsprechend sei der
    Konzern vom Taxigesetz gar nicht betroffen. Doch in Lausanne wurde Uber bereits verboten, in Genf geht es in eine ähnliche Richtung. Dort hatte es Proteste der Taxifahrer gegen den Konzern gegeben.

    Warum?

    Weil Uber die Arbeitsbedingungen der Kollegen völlig zerstört. Wer für Uber
    fährt, wird damit niemals über die Runden kommen. Dort erhält man vielleicht
    fünf oder zehn Franken in der Stunde. Der Konzern zielt auf Personen, die
    ohnehin prekär leben und noch den kleinsten Zustupf brauchen.

    Am 20. Juli haben Sie mehr als 2.000 Unterschriften für ein Referendum gegen das Taxigesetz eingereicht. Nun wird die Bevölkerung über die Regelung abstimmen. Stoppen Sie so den Angriff auf die Taxifahrer?

    Lehnt die Bevölkerung das Gesetz ab, ist das erst mal erledigt. Dann wird der
    Druck größer, mit einem ordentlichen Vorschlag zu kommen. Am besten wäre es, das Taxigewerbe endlich als öffentliche Dienstleistung zu gestalten. Etwa indem man statt sieben Rufzentralen eine einzige staatliche einrichtet, der sich die Taxifahrer anschließen können. Dann ließen sich auch die Arbeitsbedingungen besser regeln als jetzt in der Branche mit ihren diversen Kleinunternehmern.

    Aber werden Sie im Abstimmungskampf nicht recht allein dastehen? Die Mehrheit der sozialdemokratischen Fraktion stimmte dem neuen Taxigesetz zu.

    Abgestimmt wird wohl im November. Doch Mitte Oktober sind in der Schweiz
    Nationalratswahlen. Ich rechne damit, dass die Sozialdemokratie das Referendum dann unterstützt. Aber es ist klar: Das wird ein gewerkschaftlicher Kampf. Den müssen wir mit den Kollegen und Kolleginnen auf der Straße führen.

  • »Viele arbeiten 53 Stunden in der Woche« (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/2015/08-04/004.php

    Basels Taxifahrer leben von mageren Löhnen. Ein neues Gesetz dereguliert die Branche nun zusätzlich – und verschafft der Internetkonkurrenz Uber Aufwind. Ein Gespräch mit Roman Künzler
    Interview: Johannes Supe

    Professionelle Dienstleistung oder »Mitfahrdienst« – für die ersteren gelten Regeln, während die letzteren ihnen die Löhne kaputtmachen

    Roman Künzler ist zuständiger Sekretär für die Dienstleistungsbranche der Gewerkschaft Unia in Basel

    Im Taxigewerbe ist die kleine Messestadt Basel ganz groß. Etwa 2,7 Taxen kommen auf 1.000 Einwohner, weltweit einer der Spitzenwerte. Anfang Juni hat sich die Stadt nach 20 Jahren nun ein neues Taxigesetz gegeben. Ihre Gewerkschaft hatte das lange gefordert. Trotzdem zeigen Sie sich nun entsetzt. Warum?

    Im Basler Taxigewerbe gibt es viele Missstände, etwa das niedrige Einkommen der Fahrer. In den letzten zehn Jahren sind ihnen die Umsätze weggebrochen. Doch bezahlt werden die Beschäftigten allein auf Basis einer Umsatzbeteiligung. Hier hätte es neue Regelungen durch das Taxigesetz gebraucht. Ursprünglich wollte man mit der Neuregelung auch die Qualität der Dienstleistung erhöhen und die Einkommensbedingung der Fahrer verbessern. Doch passiert ist das nicht. Im Gegenteil: Das Taxigewerbe wurde weiter liberalisiert.

    Was stört Sie an der neuen Regelung?

    Es gibt überhaupt keine Erwähnung von Arbeitnehmerschutz oder Einkommensregelungen. Die werden völlig dem freien Markt überlassen. Dasselbe gilt für die Zahl der Taxen, die in Basel fahren dürfen. Eine Limitierung ist nicht vorgesehen. Dabei gibt es hier gut 470 Wagen und etwa 700 Fahrer – bei einer Bevölkerung von nur etwa 175.000. Das sind einfach zu viele Taxen für die Menge der zu befördernden Personen. 250 bis 350 Taxis wären das Maximum, damit die Beschäftigten existenzsichernd arbeiten können. Doch bei der heutigen Masse von Wagen dauert es immer länger, bis der nächste Gast kommt. Bezahlt werden diese Wartezeiten aber nicht.

    Wieviel Lohn erhalten die Kollegen?

    Die Fahrer kommen auf Stundenlöhne von 17 Franken (rund 16 Euro). Wenn es schlecht läuft sind es sogar nur zwölf Franken. Das ist beispiellos für die Schweiz. Um Miete, Krankenkasse und den Rest tragen zu können, brauchen Sie mindestens 22 Franken in der Stunde – besser 25 Franken. Darunter wird es eng. Und Basel gehört zu den teureren Städten der Schweiz.

    Wie können sich dann die Taxifahrer ihren Job leisten?

    Viele von ihnen haben sich in den letzten Jahren verschuldet. Andere arbeiten am Maximum der zugelassenen Arbeitszeit – das sind 53 Stunden in der Woche. Wer seine Familie ernähren will, muss das ausschöpfen. Die Arbeit ist so schlecht bezahlt, dass die meisten Fahrer einen Anspruch auf staatliche Ergänzungsleistungen hätten. Doch den nutzen viele nicht, dafür sind sie zu stolz.

    Sie haben bereits erwähnt, dass das Taxigesetz die Bezahlung nicht verbessert hat. Wäre da nicht ein Tarifvertrag angebracht?

    Den gab es bis Ende 2013. Aber wir haben ihn von Gewerkschaftsseite aufgekündigt. Er hatte nicht für existenzsichernde Löhne gesorgt, und eine Sozialpartnerschaft zwischen uns und den Unternehmen gab es längst nicht mehr. Und solange wir im Tarifvertrag waren, bestand für uns die Friedenspflicht. Doch auch hier spielt das Taxigesetz eine Rolle. In der bisherigen Form gab es eine Verpflichtung zum Tarifvertrag. Die fehlt in der Neuregelung. Damit hat sich die Politik völlig aus der Verantwortung gezogen. Der Druck auf die Arbeitgeber bleibt aus.

    Das klingt, als sei das 20 Jahre alte Taxigesetz besser als die heutige Vorlage.

    Genau so würde ich das auch sagen. Das ist eine neoliberale Vorlage, welche die Arbeitsbedingungen völlig dereguliert.

    Aber an Bestimmungen mangelt es nicht. »Kompetent, ortskundig und gastfreundlich« sollen Taxifahrer in Basel sein. Weitere Auflagen, etwa wie die Wagen auszusehen haben, sollen per Verordnung festgelegt werden.

    Das wird eine Zwangsjacke für die Beschäftigten. Bestimmt werden auch noch die Höchsttarife, die verlangt werden dürfen. Mit den Regelungen zum Aussehen der Wagen nimmt das langsam den Charakter eines elitären Golfklubs an. Und das alles nur für das »Privileg«, dem Wagen eine Taxilampe aufsetzen und einen Taxiplatz nutzen zu dürfen.

    Sie warnen, dass mit den laschen Schutzbestimmungen Anbieter wie der Onlinefahrdienst Uber Aufwind bekommen könnten. Gibt es den bei Ihnen überhaupt?

    Ja, seit rund einem Jahr. Uber bietet Beförderungen durch Leute an, die lediglich einen Führerschein besitzen. Haarsträubend, was da für Chauffeure auftauchen. Teils sind die völlig ortsunkundig, oft haben sie sehr schlechte Wagen. Diese Angebote entsprechen nicht dem Gesetz für den öffentlichen Personentransport. Hier hätte Basels Regierung aus Grünen und der Sozialdemokratischen Partei die Chance gehabt, Uber zu verbieten. Statt dessen schlug man sich auf seine Seite. Die Regierung argumentiert, dass das Unternehmen ein »Mitfahrdienst« sei und kein professioneller Taxianbieter. Weil ein Uber-Fahrzeug sich keine Taxilampe aufsetze. Entsprechend sei der Konzern vom Taxigesetz gar nicht betroffen. Doch in Lausanne wurde Uber bereits verboten, in Genf geht es in eine ähnliche Richtung. Dort hatte es Proteste der Taxifahrer gegen den Konzern gegeben.

    Warum?

    Weil Uber die Arbeitsbedingungen der Kollegen völlig zerstört. Wer für Uber fährt, wird damit niemals über die Runden kommen. Dort erhält man vielleicht fünf oder zehn Franken in der Stunde. Der Konzern zielt auf Personen, die ohnehin prekär leben und noch den kleinsten Zustupf brauchen.

    Am 20. Juli haben Sie mehr als 2.000 Unterschriften für ein Referendum gegen das Taxigesetz eingereicht. Nun wird die Bevölkerung über die Regelung abstimmen. Stoppen Sie so den Angriff auf die Taxifahrer?

    Lehnt die Bevölkerung das Gesetz ab, ist das erst mal erledigt. Dann wird der Druck größer, mit einem ordentlichen Vorschlag zu kommen. Am besten wäre es, das Taxigewerbe endlich als öffentliche Dienstleistung zu gestalten. Etwa indem man statt sieben Rufzentralen eine einzige staatliche einrichtet, der sich die Taxifahrer anschließen können. Dann ließen sich auch die Arbeitsbedingungen besser regeln als jetzt in der Branche mit ihren diversen Kleinunternehmern.

    Aber werden Sie im Abstimmungskampf nicht recht allein dastehen? Die Mehrheit der sozialdemokratischen Fraktion stimmte dem neuen Taxigesetz zu.

    Abgestimmt wird wohl im November. Doch Mitte Oktober sind in der Schweiz Nationalratswahlen. Ich rechne damit, dass die Sozialdemokratie das Referendum dann unterstützt. Aber es ist klar: Das wird ein gewerkschaftlicher Kampf. Den müssen wir mit den Kollegen und Kolleginnen auf der Straße führen.