Als wir mal Theater spielen wollten
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Chris_Dercon
Berliner Politik ist wie Theater, oft das grauame von Artaud und manchmal ist sie komisch wie eine Komödie von Meister Marivaux . Es geht um Theater in Berlin, Stoff für Verwechslung und Intrigen, aktuelles Politikum der Stadtgesellschaft.
Chris Dercon ist oder besser war ein belgische Kunst- und Eventmanager, Liebling vom Regierenden Klaus und seinem dynamischen Tim , als Ersatz für Volksbühnenintendant Frank Castorf und sein Ensemble angetreten. Das Theater war bestimmt, zur berlinweiten Sensations-Maschine mit Massenevents überall bis zum Tempelhofer Flugfeld und noch viel weiter zu wachsen. Citius, altius, fortius, wenn von Berliner Olympiaplänen nur die BND-Festung geblieben ist, dann machen wir die Metropole im Einundzwangszigsten wenigstens zur fettesten Theaterstadt. Von heute aus gesehen scheint es, dass die politischen Spießgesellen und ihr hochbezahlter Belgier noch weniger vom deutschen Stadt- und Ensembletheater verstehen als ich armer Taxifahrer.
Was ist passiert? Fangen wir mit dem Anfang an, mit einer Binsenweisheit. Ein Theater muss in der Gesellschaft verwurzelt sein, sonst bleibt es leer. Es funktioniert nicht wie die Stage Entertainment live entertainment company aus Holland, die über Reiseveranstalter weltweit Konsumenten busladungsweise zu den Locations karrt. Die richten sich an Leute, die Busreisen zu Shopping-Malls buchen. Man glaubt es kaum, das findet jede Woche erfolgreich statt. Für Dercon war Berlin nur Easyjetset-Stadt , die sich an jedem weekend mit Barcelona, London und Paris ums Touristenströme balgt. Dercons Konzept für seine Schickimicki-Freunde im Senat war Wirtschaft pur, Kultur als Charaktermaske. Das gefiel, der olle Castorf musste weg.
Ergebnis waren wochenlange Proteste, Besetzung der Volksbühne durch freie Künstler, viel heiße Marketing-Luft und leere Vorstellungen ab Saisonbeginn. Im April ging der Mann nach nicht acht Monaten. Es bleibt ein Volksbühnen-Scherbenhaufen. Fettes Defizit, entkerntes Theater ohne Ensemble oder Inhalt, Chaos, das Nichts vor Anbeginn der Welt. Der Schöne Klaus hat Dercon kalt lächelnd ausgesessen und muss jetzt zeigen, ob er ein Kultursenator ist. Es gilt ein Vakuum zu füllen.
Ist Kläuschen schlau, folgt er dem Beispiel von Kunstsenator Stein im Jahre ’70.
Senator für Wissenschaft und Kunst Prof. Dr. Werner Stein, SPD
►http://www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/senat/senatsgalerie/artikel.18479.php
Dann bekommen wir eine „linksradikale“ Volksbühne, Kristallisationskeim einer Bewegung gegen Gegenwart, gegen die neoliberale Umgestaltung der Stadt. Als Senator Stein Regisseur Stein und mit Ensemble nach Berlin holt, im Jahre 1970, liest sich das im Spiegel so:
DER SPIEGEL 52/1970: THEATER / BERLINER „SCHAUBÜHNE“ - Revolver entsichert
▻http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43801060.html
Denn die (CDU) Anthologie vermittelt offenen Einblick in Theorie, Praxis und Problematik eines Links-Kollektivs, stellt intelligente Menschen vor und erläutert die „Schaubühne“ als ein ernsthaftes Theater des wissenschaftlichen Zeitalters. Mit dieser Publikation hat sich die CDU bleibende Verdienste erworben.
„Wir betrachten Theater als ein Mittel zu unserer Emanzipation“, vermerkt eines der ersten Protokolle; es gelte, den „bürgerlichen Individualismus durch kollektive Arbeit zu überwinden, um sozial wirksam zu werden“. Dem Berliner Senat jedoch diene die Links-Bühne nur „zur ornamentalen Ausschmückung seiner Politik“.
Denn klar sei, daß die Leute, „die uns zuklatschten und uns Geld auf die Bühne schmissen, wenn wir dort geschminkt aufträten, die Revolver entsicherten, wenn wir ihnen als Manifestanten auf der Straße begegneten“. Man müsse „eine politische Praxis entwickeln, ohne das Unternehmen von vornherein zu gefährden“.
Da Klaus Lederer kein Westberliner und auch zu jung ist, um die Schaubühnen-Revolution selber miterlebt zu haben, dürfen wir uns keine großen Hoffnungen machen. Vielleicht steckt ihm ein kundiger Genosse, dass Berlin heute noch vom Glanz der Schaubühne profitiert. Die Stein-Truppe wurde nach zehn jahren zu Recht mit einem modernen High-Tech-Theater im Mendelssohn-Bau am Lehniner Platz belohnt. Von den Schaubühnen-Schauspielern kennt heute noch jeder Bruno Ganz , und sei es nur als Hitler-Verarsche in unzähligen Untergang-bad-lip-reading-Videos auf Youtube.
Dumm ist nur dieses prinzipienloses Nichts mit Namen Politik. Selten und mit viel Glück und gegen zähen Widerstand wird manchmal ein Entscheider auf die linke Spur gesetzt. Dann vielleicht geht die Verwechslungsintrige gut aus wie bei Marivaux.
Voilà, zum Schluß der Spiegel über eine Schaubühen Inszenierung vom Mai 1985
Theater: Liebe als Foltermaschine, von Hellmuth Karasek
▻http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13514609.html
Ein Märchen? Ein Stück, eine Komödie von Pierre Carlet de Marivaux, verfaßt um 1736; trotz seiner mit griechischem Kostüm und antikisierten Namen drapierter Märchenhandlung und trotz seines Happy-Ends wird in diesem „Triumph der Liebe“ zwei Menschen so übel und grausam mitgespielt wie selten auf dem Theater. Und es gibt vermutlich nur noch ein Lustspiel, das eine Figur und ihre Gefühle ähnlich grausam zaust und beutelt: Shakespeares „Was ihr wollt“, in dem der Hofmeister Malvolio durch falsche Briefe, falsche Liebeshoffnungen und von ein paar übermütigen Saufköpfen buchstäblich in den Wahnsinn getrieben wird.
Das passt zur Berliner Politik, finde ich.
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Peter Stein
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Stein#Schaub%C3%BChne
Bruno Ganz
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Ganz
Schaubühne – Geschichte
▻https://www.schaubuehne.de/de/seiten/geschichte.html
Wie es euch gefiel - Zeitenreise: Andreas Lewins Dokumentarfilm über die Schaubühne von Peter Stein
▻https://www.tagesspiegel.de/kultur/wie-es-euch-gefiel/8748320.html
31.08.1981 Für das Theater ein Hallesches Ufer
▻http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14341607.html
Schaubühne am Halleschen Ufer
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Schaub%C3%BChne_am_Halleschen_Ufer
Schaubühne am Lehniner Platz
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Schaub%C3%BChne_am_Lehniner_Platz
Stage Entertainment
▻https://en.wikipedia.org/wiki/Stage_Entertainment
Volksbühne Berlin
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Volksb%C3%BChne_Berlin
Der ursprüngliche Zuschauerraum hatte drei Ränge mit 1968 Plätzen. In den 1960er Jahren wurde ihre Zahl auf die heutigen 800 verringert.
Frank Castorf
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Castorf
Klaus Wowereit
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Wowereit
Tim Renner
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Tim_Renner#Berliner_Staatssekret%C3%A4r_f%C3%BCr_Kultur_(2014%E2%80%93
Chris Dercon
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Chris_Dercon#Intendant_der_Volksb%C3%BChne_Berlin
Intendant der Volksbühne Berlin
Berlins Regierender Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller teilte Ende April 2015 mit, dass Chris Dercon ab 2017 die Nachfolge von Frank Castorf als Intendant der Volksbühne Berlin antreten werde. Die Entscheidung war von Kulturstaatssekretär Tim Renner vorbereitet worden.
Viele Mitarbeiter der Volksbühne und der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, lehnten Dercon und seine Pläne für die Entwicklung des Hauses ab. Die Kritik lautete: Mit Dercon vollziehe sich eine Entwurzelung der Berliner Volksbühne und deren Internationalisierung. Dercon stehe für ein „austauschbares, für den globalen Festivalbetrieb produziertes Durchreisetheater“. Der globalisierte Kunstmarkt übernehme ein Stadttheater, das in der Welt ein starkes Profil besaß. Quasi alle namhaften Intendanten Berlins äußerten sich kritisch über den Wechsel.
Mit Dercon zeichne sich nicht nur ein Intendanten-, sondern ein Systemwechsel ab. Die Volksbühne solle als Repertoire- und Ensembletheater aufgelöst werden, das Sprechtheater solle durch Performance und Tanz abgelöst werden. Stattdessen sollten ein Kuratorenmodell, eine Eventmarke, ein internationales Label installiert werden.
Am 13. April 2018 wurde bekannt, dass Dercon und der Berliner Kultursenator Klaus Lederer sich auf eine sofortige Beendigung von Dercons Engagement an der Volksbühne verständigt haben. Die Entscheidung sei im gegenseitigen Einvernehmen getroffen worden, hieß es in einer Erklärung der Kulturverwaltung.
Claus Peymann
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Claus_Peymann
Antonin Artaud
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Antonin_Artaud
* 4. September 1896 in Marseille; † 4. März 1948 in Ivry-sur-Seine
Pierre Carlet de Marivaux
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Carlet_de_Marivaux
* 4. Februar 1688 in Paris; † 12. Februar 1763 ebenda
Chaos
▻https://en.wikipedia.org/wiki/Chaos_(cosmogony)
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