• Ein Pferdeleben - die dame Est. 1912 in Berlin
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    Die Moderne kommt in Wien im Schritttempo näher. Nach über 440 Jahren ist zum ersten Mal eine Frau Bereiterin an der Spanischen Hofreitschule.
    Hannah Zeitlhofer bewährt sich durch Ehrgeiz und harte Arbeit. Ein Versuch über die Liebe zwischen Frau und Pferd.

    Von Anne Waa, Foto Jork Weismann

    Ein Februar-Samstag in Wien. In den morgenstillen Straßen der Hauptstadt herrschen zwei Grad und Hochnebel. In der unbeheizten Winterreitbahn, unter drei enormen Kronleuchtern, auf dem Sägespäne-Sand-Gemisch im Zentrum des barocken Prachtbaus der Spanischen Hofreitschule, trainiert eine Handvoll uniformierter Reiter ihre weißen Hengste. Leise vom Band eingespielte Wiener Klassik mischt sich mit dem Schnauben und den Flatulenzgeräuschen der Pferde. Unter den Reitern, die hier bei der sogenannten Morgenarbeit sind, ist auch Hannah Zeitlhofer. Wie sie da ihre Runden dreht, unterscheidet die 31-Jährige wenig von ihren 16 Kollegen. Mit den unter dem schwarzen Zweispitz zusammengebundenen Haaren, dem kaffeebraunen Frack, den kniehohen schwarzleder-nen Stulpenstiefeln und der Birkengerte in der rehlederbehandschuhten Hand würde der flüchtige Betrachter nicht einmal bemerken, dass da eine Frau reitet.

    Die Spanische Hofreitschule am Wiener Michaelerplatz ist die einzige Institution der Welt, in der seit 1565 die hohe Schule der klassisch-barocken Reitkunst gelehrt wird. Jahrhundertelang diente sie zur Ausbildung des Adelsnachwuchses für den Kunstritt und den Krieg, erst seit Ende des Ersten Weltkriegs sind die Vorführungen Teil des Schullehrplans und auch für Normalsterbliche zugänglich. Mittlerweile wurde die »Spanische«, wie sie in Wien genannt wird, zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe der Menschheit erklärt.

    Die Schule und das dazugehörige Gestüt sind per Gesetz verpflichtet, die traditionelle Reitkunst ebenso aufrecht zu erhalten wie die Zucht der Lipizzaner-Hengste. Diese Pferde, die Ferdinand I., der spätere Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, aus Spanien nach Wien mitbrachte, gaben der Hofreitschule ihren Beinamen. Sie sind eher gedrungen von Wuchs, gelten aber als besonders leistungswillig und nervenstark. Damit Ruhe herrscht im Stall und auf der Reitbahn, sind alle 72 Tiere Hengste. Stuten werden nur zum Decken gebraucht und danach verkauft.

    443 Jahre lang war die Hofreiterei eine reine Männerveranstaltung. Dann kam Hannah. Vor zehn Jahren war sie die erste Frau, die an der Spanischen Hofreitschule aufgenommen wurde. Seitdem hält sie mehrere auf immer uneinholbare Rekordtitel: Sie war zusammen mit einer Mitbewerberin die erste Elevin und hat sich zur ersten Bereiterin hochgearbeitet. Wobei sie konsequent die männliche Form benutzt: Bereiter.

    Ihre Aufnahme war eine kleine Sensation, die der Institution viel Aufmerksamkeit brachte. Dabei wäre es Zeitlhofer eigentlich am liebsten, wenn nicht so ein Aufsehen um sie gemacht würde. Dass viele Zuschauer sie gar nicht zu bemerken scheinen, ist ihr recht. »Ich will nicht der sein, der immer auffällt«, sagt sie und benutzt wie zum Beweis nun auch das männliche Pronomen. Die vierstündige Morgenarbeit ist vorüber, in ihrer Uniform sitzt Zeitlhofer in einem der repräsentativen Salons der Hofreitschule, den Zweispitz vor sich auf dem Tisch. Sie ist redefreudig, es geht schließlich um ihr Lieblingsthema. Große blaue Augen unter zwei schwungvollen Brauen im offenen Gesicht, kein Make-up; die von neuen Bewerbern erwünschte »Idealgröße« von 1,72 Meter und die »schlanke Statur« erfüllt sie über.

    „»443 Jahre Hofreiterei als Männerbastion. Und dann kam Hannah.«“

    Dabei wollte sie damals gar nicht die Welt, und nicht einmal Österreich verändern, sondern einfach nur reiten. Hannah wuchs zehn Gehminuten von hier im 7. Bezirk auf, als Tochter einer Kindergärtnerin und eines Lehrers. Mit sieben nahm sie den ersten Unterricht, zum neunten Geburtstag bekam sie von ihren Eltern ein vom Mund beziehungsweise vom Urlaub abgespartes Pferd geschenkt, ein paar Jahre später das zweite. Sie ritt und gewann Turniere, und wenn sie gut genug in der Schule war, und das war sie stets, durfte sie ansonsten machen, was sie wollte. Also vor allem reiten.

    Daher rührt ihr Ehrgeiz, sagt sie. Auch von Menschen, die sie kennen, wird sie als die Tüchtigste unter den jungen Bereitern beschrieben, als eine, die nicht zaudert, die auch dann ruhig bleibt, wenn ihr Pferd strauchelt und umzufallen droht, als diejenige, die sich kaum eine Pause gönnt. Wenn sie gerade nicht auf dem Pferd sitzt, schaut sie bei anderen zu und gibt Tipps, ansonsten kümmert sie sich um die Dienstpläne. Dann wisse sie wenigstens, dass diese ordentlich gemacht seien. Im Sozialraum, wo es Kaffee gibt und eine wärmende Heizung, ward sie noch nie gesehen. Der trotz aller Hierarchie über die Jahre kollegialer gewordene Ton zwischen den Bereitern gefällt ihr, leider nur fehle es manchen dadurch an Respekt für die Ranghöheren. Disziplinlosigkeit ist eindeutig keine ihrer Schwächen. So ist sie einfach. Wie die Lipizzaner: leistungswillig und nervenstark.

    Die Spanische Hofreitschule kannte sie selbstverständlich, als Kind hat sie auch mal bei der Morgenarbeit zugeschaut. Und ihr war immer klar, dass es sich um einen reinen Männerbetrieb handelte. Sie bewarb sich erst, als sie ihren Bachelor der Pferdewissenschaft an der Veterinärmedizinischen Universität Wien abgeschlossen hatte. Obwohl auf der Website der Schule ausdrücklich stand, dass nur Männer zugelassen würden. Aber sie wollte reiterlich so gut werden, wie eben möglich, also versuchte sie es. »Mir konnte ja nichts passieren.«

    Wahrscheinlich wäre ihre Bewerbung einfach ignoriert worden, wäre nicht im Jahr zuvor mit Elisabeth Gürtler, der langjährigen Chefin des Hotel Sacher, die erste Frau in die Doppelspitze der Hofreitschule berufen worden. Gürtler will keine Feministin sein, fordert aber doch die Gleichbehandlung von Frauen. So kam es, dass Hannah und eine Mitbewerberin aufgenommen wurden, die damals 16-jährige Amerikanerin Sojourner Morrell. Anfangs schlug den Frauen die Skepsis der älteren Bereiter entgegen, es wurde gegrüßt, ansonsten aber Abstand gehalten und beobachtet.

    Morrell brach die Ausbildung nach weniger als einem Jahr ab. Viele Bewerberinnen – und mehr als drei Viertel der Bewerber sind dank Zeitlhofers Vorbild mittlerweile Bewerberinnen – übersähen, so beklagt sie, dass zu den etwa sieben Jahren als Lehrling und Eleve auch die Stallarbeit gehört: Boxen ausmisten, Sättel und Zaumzeug reinigen, Pferdepflege. Dazu kommen die Arbeitszeiten von täglich 7 bis 13 Uhr, sechs Tage die Woche, dazu manchmal Abendvorführungen, seltener Auslandstourneen. Elf Reiterinnen hat Zeitlhofer kommen und gehen sehen in ihren zehn Jahren hier. »Ein Bursche ist noch nie freiwillig ausgeschieden.«

    Dass bürgerliche Mädchen zu Pferden überhaupt eine Beziehung haben, ist eine kulturgeschichtliche Neuheit. Das Reiten war lange den Damen der oberen Schichten vorbehalten. Menschen, die arbeiten mussten, hatten weder Zeit noch Geld für solche Späße. Als sich das Auto aber als schnelles Fortbewegungsmittel durchsetzte, mit dem der Mann Besitzerstolz demonstrieren und Weibsbilder beeindrucken konnte, wurde das Tier frei für die Frauen, die ihrerseits über immer mehr Muße verfügten und denen das Reiten als Sportart bis heute erlaubt, Eingang in höhere Schichten zu finden. Dabei warnten Fachleute noch in den 20ern davor, Frauen breitbeinig statt im Damensattel reiten zu lassen. Begründung: Ihre schwachen Schenkel würden nicht genug Halt ermöglichen. »Vielleicht hat es was mit dem Bild der Prinzessin zu tun, dass Mädchen fast immer den Wunsch hegen, mal auf einem Pferd zu sitzen«, sagt Hannah Zeitlhofer. Dass alle Mädchen Pferde lieben, stimmt allerdings genau so wenig wie die auch gern verbreitete Behauptung, dass jede Frau von Kindesbeinen an von einem Prinzessinnenkleid und einer festlichen Hochzeit träumt. Fakt ist jedoch: In Deutschland sind 90 Prozent aller Reiter Mädchen und Frauen, 900.000 sind es insgesamt. Für Hannah Zeitlhofer ist das Pferd nicht nur Faszination, sondern auch Arbeitsplatz und Lebensgrundlage. »Es finanziert mich«, stellt sie fest.

    Doch warum lieben Frauen Pferde? Mädchen, so heißt es, gingen wegen der Tiere in den Stall, nicht wegen des Reitens. Das Pferd ist demnach ein großer, schöner und sensibler Freund, den man füttern, hegen und umsorgen kann und der einem im Gegenzug Sicherheit und Trost bietet. Ein Freund fürs Leben – erst einmal. Gleichzeitig ist der Stall ein Ort der Transgression, an dem Mädchen sein dürfen, wie es sonst meist nur Jungen zugestanden wird: schmutzig, aggressiv, befehlend. Allerdings währt die Liebe häufig nur vom siebten bis etwa zum zwölften Lebensjahr, was wiederum für die These spricht, dass das Pferd ein Übergangsobjekt ist zwischen der Puppe und dem ersten Partner – es markiert den Weg von der Herkunftsfamilie zur Bindung an einen Mann. Sobald Jungen (oder andere Mädchen) interessant werden, ist es mit der Pferdeschwärmerei meist vorbei.

    „»Wenn ich seinen Namen rufe und er wiehert – das entschädigt für alles.«“

    Bei den Frauen, bei denen sie anhält oder wiederkehrt, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind und die Scheidung durch ist, gilt das Pferd als Partnerersatz, mit dem Vorteil, dass es keine Widerworte gibt. Beim Reiten werden alle Sorgen vergessen. Und auch dann, wenn man die billigen Schenkelklopfer-Assoziationen vom »Reiten« ignoriert, fällt es schwer, die sexuelle Komponente dieser Beziehung zu übersehen. Der Historiker und Philosoph Ulrich Raulff beschreibt in seiner Kulturgeschichte »Das letzte Jahrhundert des Pferdes« die Erotik zwischen Menschen und Pferden als weites Feld, das von der seltenen, aber etwa vom römischen Schriftsteller Aelian überlieferten Sodomie bis zur »unterschwelligen Sexualität der jungen Mädchen« reicht, »die im endlosen Wellengang der Generationen den Reiterhof in das Lustrevier der Nymphen zwischen neun und zwölf verwandeln.« Dazwischen liege »das unübersichtliche Gelände der Lüste, des Quälens und Gehorchens, der Spielzeuge, Posen und Peitschen.«

    Der Vorstellung, dass das Quälen des Tieres ein Bestandteil des Reitens sei, widerspricht Hannah Zeitlhofer: »Körperliche Kraft hilft nicht, man kann das Pferd nicht zwingen. Es wiegt 500, 600 Kilo, es muss für dich arbeiten«. Nur mit einer Mischung aus Technik, Einfühlung, Vertrauen und Respekt stelle sich die Harmonie zwischen Mensch und Pferd ein. Manchmal müsse sie dem Tier über die Zügel und Sporen, ihre Stimme, per Schenkeldruck sowie Vor- oder Zurücklehnen gar keine Hilfen mehr geben. »Manchmal reicht auch denken. Wenn ich ›Schritt‹ denke, ausatme und mich entspanne, geht er Schritt.« Über die Freude, die ihre Beziehung zum Pferd ihr bereitet, sagt sie: »Wenn ich seinen Namen rufe und er wiehert – das entschädigt für alles.«

    Damit das so bleibt, investiert sie viel. Mit den frühen Arbeitszeiten ist sie glücklich, so hat sie nach täglich sechs Stunden in der Hofreitschule noch genug Zeit – um zu reiten. Neben den vier Hengsten, die sie beruflich betreut, hat sie noch vier eigene Pferde. Nach der Arbeit fährt sie deren Koppeln und Ställe im Umland ab, bevor sie nach Hause zurückkehrt, 50 Minuten nordwestlich von Wien. In einem kleinen Ort hat sie vor Kurzem eine alte Jugendstilvilla gekauft, »mit einem Kredit«, wie sie sich beeilt zu sagen. Dann bleibt noch Zeit fürs Abendessen, oft bringt ihr die Mutter etwas vorbei. Nachts träumt sie dann vom Reiten, und um 5 Uhr morgens muss sie wieder raus. Urlaube in Österreich oder maximal Italien unterbricht sie nach einer Woche, um zu schauen, wie es den Pferden geht. Beziehungen außerhalb der Hofreitschule sind ihr nicht viele geblieben. Mit ihren Kollegen steht sie ständig in Whatsapp-Kontakt.

    Die Frage, die sich Frauen immer noch stellen lassen müssen, und die auch die Besitzstandswahrer als Argument gegen eine Zulassung von Bereiterinnen vorbrachten: Was ist, wenn sie Kinder will? »Ich könnte eins kriegen, das kann mir keiner verbieten«, sagt Zeitlhofer. Kinder wären ihrer Karriere nicht hinderlich. »Ich will aber nicht«. In dieser Sache könne sie kein Vorbild und keine Wegbereiterin für andere Frauen sein. »Das ist ein bisschen blöd für die, die nach mir kommen«. Aber andererseits auch nicht ihre Aufgabe.

    Am Sonntagmorgen ist in der kalten Halle die Zeit für den touristischen Höhepunkt der Woche gekommen: die Vorführung. Schon zur Zeit der gegen alle Widerstände reitenden Monarchin Maria Theresia Mitte des 18. Jahrhunderts fanden hier Hofbälle, Maskenfeste statt, wurden Karussells aufgestellt. Heute zahlen Gäste – Familien und Paare jedes Alters, Gruppen auf Wien-Besuch – für die 75-minütige Reitshow bis zu 217 Euro pro Ticket.

    Die Moderationen und die Musik – Wiener Blut und Radetzky-Marsch – werden vom Band eingespielt, die barocken Säulen der Galerie grün und lilafarben angeleuchtet, das Tempo ist gemächlich: Es werden Gänge wie die trabartigen Piaffe und Passage vorgeführt, Sprünge und Erhebungen wie Levade, Croupade und Kapriole. Beim Pas de Deux tanzen zwei Hengste spiegelbildlich. Das Pferdeballett entzückt vor allem die Zuschauerinnen hörbar. »So schön, wie die sich bewegen!«, sagt eine vor Freude sprudelnde Dame in ihren Achtzigern. Eine französische Mutter eines Halbwüchsigen findet besonders die leicht gesenkte Kopfhaltung der Pferde »magnifique!«.

    Die Spanische Hofreitschule aber ist nicht nur eine einzigartige, sondern auch eine etwas eigenartige Institution. Ihre gesetzliche Aufgabe ist es, eine Tradition zu bewahren. Alles soll so bleiben, wie es immer gewesen ist. Dabei muss die vor allem wegen der enorm teuren Zucht und zeitaufwendigen Ausbildung der Hengste notorisch defizitäre Einrichtung viel Geld erwirtschaften – sehr viel mehr, als sie das mit Vorführungen und Pferdeverkäufen allein stemmen kann. Elisabeth Gürtler führte daher Fohlenerlebnistage ein, einen Sommerball, es gibt jetzt allerlei Hofreitschulen-Merchandise. Auch vorm Kunstreiten macht der Spätkapitalismus eben nicht Halt.

    Die Lebensläufe der Bereiter dagegen künden von einer Arbeitswelt, die es so kaum noch gibt, ihre Arbeitsplätze sind bombensicher. Wolfgang Eder, der als hoch bewunderter Erster Bereiter an der Spitze der Truppe steht, ist seit 1974 im Dienst und wird es bleiben, bis er in ein paar Jahren in Rente geht. Alter und Erfahrung, nicht Jugend bedeuten etwas an der Spanischen. Auch Hannah Zeitlhofer möchte bis zur Pensionierung hierblieben: »Das ist mein Leben«. Und das Ziel dieses Lebens ist klar: Sie will die erste Erste Bereiterin in der Geschichte der Spanischen Hofreitschule werden.

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