• BSW - eine Perspektive für Arbeitnehmer*innen
    https://arbeitnehmerpolitik.wordpress.com
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    Le parti Bündnis Sarah Wagenknecht comprend un fort courant syndical de gauche. Le 29 avril à Berlin les anciens membres du parti Die Linke Jutta Matuschek et Ralf Krämer présenteront leur projet pour le parti BSW. Les interessés sont priés de s’inscrire pour l’événement auprès de Gotthard Krupp ou Harri Grünberg.

    #Berlin #Tempelhof #Dudenstraße #BSW #syndicalisme #gauche

  • Architekt Philipp Oswalt über Berlins Stadtschloss und rechte Spender : „Die Humboldt-Stiftung lügt“
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/architekt-philipp-oswalt-berlin-stadtschloss-rechte-spender-humbold


    Der Architekt und Architekturprofessor Philipp Oswalt Foto Nadja Wohlleben

    A Berlin la réproduction en béton armé de du château des rois de Prusse est une affaire d’état et d’extrême droite. Le bâtiment sert la même idéologie nationaliste et réactionnaire comme l’église #Garnisonskirche à #Potsdam. Le nouveau bellicisme y rencontre le militarisme prusse et son siècle triomphal de 1813 à 1914.

    Cerise amtidemocatatique sur le gâteau au goût révanchiste - on y a déplacé les collections éthnologiques dont une partie consiste en objets volés et pillés dans le monde entier à l’époque de l’empire allemand. Ces collections ont été volées une deuxième fois, cette fois aux Berlinois, qui y avaient libre accès dans des bâtiments agréables et modernes à Berlin-Dahlem, afin de les enfermer dans un bâtiment consacré au discours justificateur du nouvel impérialisme woke nationaliste et transatlantique à la fois.

    17.4.2024 von Susanne Lenz - Der Architekt Philipp Oswalt über das Unbehagen, das ihm die Rekonstruktion der Schlossfassade bereitet, und die Verbindung des Fördervereins in rechtsradikale Milieus.

    Als verbissensten Gegner des Neubaus des Berliner Stadtschlosses hat jemand den Architekten Philipp Oswalt mal bezeichnet. Dabei kämpfte er vor allem gegen die historisierende Fassade und die Intransparenz hinsichtlich der Spender. Die Recherchen für sein neues Buch „Bauen am nationalen Haus“ haben erbracht, dass einige dem rechtsradikalen Milieu angehören und sie Einfluss auf die Gestaltung der Fassade genommen haben. Er empfängt uns in seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg.

    Sie haben hier im Wohnzimmer ja Lampen aus dem Palast der Republik an der Decke. Wie sind Sie an die gekommen?

    Ich bin mit dem Künstler Fred Rubin befreundet, der einiges aus dem Palast der Republik gesichert hat. Die Lampen hat er umgestaltet. Es geht dabei nicht um Trophäen, sondern um kulturelle Transformation.

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    Wo der Palast der Republik stand, steht heute das Stadtschloss. Sie haben kürzlich in Zusammenhang mit der Aufstellung der Prophetenfiguren an der Kuppel, Transparenz hinsichtlich der Spender gefordert. Warum halten Sie das für so wichtig?

    Ich muss vorausschicken, dass ich mich für den Erhalt des Palasts der Republik eingesetzt habe. Ich wollte, dass man ihn als Ort der deutschen Geschichte in eine Neugestaltung einbezieht. Das hat auch die Expertenkommission empfohlen. Ich lehne historische Rekonstruktionen nicht grundsätzlich ab, habe ja selbst in Dessau die Rekonstruktion der Bauhaus-Meisterhäuser mitverantwortet, aber ich bin gegen die Orthodoxie, mit der das in Berlin betrieben worden ist. Unbehagen bereitet mir auch das Geschichtsverständnis, das mit dieser Rekonstruktion einhergeht. Ich hatte aber nie den Verdacht, dass dahinter rechtslastige Interessen stehen könnten.

    Infobox image

    Nadja Wohlleben

    Zur Person

    Der Architekt Philipp Oswalt, geboren 1964 in Frankfurt am Main, ist Professor für Architekturtheorie an der Universität Kassel. Er war u.a. Leiter des Projektes „Schrumpfende Städte“ der Kulturstiftung des Bundes (2002–2008) und Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau (2009–2014).
    Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen zur zeitgenössischen Architektur und Stadtentwicklung. Zuletzt ist von ihm „Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik“ (Berenberg-Verlag 2023, 240 S. 22 Euro) erschienen.
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    Wie sind Sie dann darauf gekommen?

    Durch meine Auseinandersetzung mit der Garnisonkirche in Potsdam. Der Name des Großspenders Ehrhard Bödecker war mir daher bekannt. Als ich mir dann in der Deutschen Bibliothek in Leipzig seine Schriften angeguckt habe, war der Fall relativ klar. Nachdem seine antisemitischen Äußerungen bekannt geworden waren, forderte die Familie, dass seine Plakette im Schloss entfernt wird.

    In Ihrem neuen Buch „Bauen am nationalen Haus“ stellen Sie fest, dass es viele rechtslastige Spender gibt.

    Es gibt eine strukturelle Verbindung des Fördervereins in rechtsradikale Milieus. Nicht nur, was Spender betrifft, sondern auch einzelne Vereinsmitglieder und Funktionäre des Vereins. Dieter Lieberwirth aus der Partei der Republikaner war Gründungsvorstand und wirkt bis heute im Verein. Karl-Klaus Dittel engagierte sich im baden-württembergischen Zweig des Fördervereins, der fragwürdige Kampagnen für die AfD dort organisiert hat, Stichwort illegale Parteienfinanzierung.

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    Zieht ein solches Projekt rechtslastige Spender an, oder ist es nicht einfach normal, dass unter 40.000 Spendern auch politisch Rechtsstehende oder Rechtsradikale sind?

    Beides stimmt. Bei einem Symbolbau aus vordemokratischer Zeit, der als Identitätsanker propagiert und als nationales Symbol verstanden wird, gibt es eine Anschlussfähigkeit in rechtsradikale und rechtsextreme Milieus. Das wird zum Teil bestritten. Herr Boddien sagt, Preußen spiele in diesen Milieus keine Rolle. Der Förderverein hat aber den Kontakt nicht nur nicht vermieden, wie meine Recherchen zeigen. Er hat bereits 1993 in der Jungen Freiheit inseriert und sich bis heute nicht abgegrenzt.

    Sie behaupten, dass rechtslastige Spender Einfluss auf die Struktur der Fassade genommen haben, etwa was die Gestaltung der Kuppel angeht. Die Humboldt-Stiftung weist das zurück. Die Kuppel sei bereits Bestandteil von Frank Stellas Entwurf gewesen.

    Die Humboldt-Stiftung wirft Nebelkerzen und sie lügt. Das, was hier heute steht, ist etwas merklich anderes als das, was die Expertenkommission empfohlen und was der Bundestag 2002 beschlossen hat. Und der Förderverein hat diese Radikalisierung durchgesetzt. 2003 wurde der Abriss des Palasts beschlossen, damit war auch der Beschluss der Expertenkommission hinfällig, dass er teilweise in den Schlossneubau einbezogen wird. Der Entwurf der Wettbewerbsausschreibung für den Neubau wird durchgestochen, skandalisiert, Thierse mischt sich ein, ein Entwurf für die Kuppel wird zwingend, wobei der Bauherr, also der Bundestag, sich damals noch nicht festlegte, ob es eine historisch getreue oder eine Neuinterpretation sein soll. Dann kam der Wettbewerb, und mit dem Entwurf von Kuehn Malvezzi eine interessante Interpretation, die ein schwebendes Dach statt der Kuppel vorsah. Das wurde von der Jury als unzulässig erklärt: Es sei keine Kuppel. Mit der Entscheidung für Stellas Entwurf entschied man sich für die Rekonstruktion der Kuppel und auch die Innenseite der Portale.

    Philipp Oswalt: „Die Politik sah sich in der Pflicht, Spenderwünschen nachzukommen.“

    Philipp Oswalt: „Die Politik sah sich in der Pflicht, Spenderwünschen nachzukommen.“Nadja Wohlleben

    Wenn der Entwurf Stellas die Kuppel bereits vorsah, warum sagen Sie dann, die Humboldt-Stiftung werfe Nebelkerzen?

    Weil die Stiftung Stellas Entwurf und seine Überarbeitung zwei Jahre später in einen Topf wirft. In dem Wettbewerbsentwurf waren die Propheten nicht enthalten. Die Stiftung lügt, wenn sie sagt, dass es keinen Einfluss der Spender gegeben hat. Die zusätzlichen Rekonstruktionen waren nicht durch den Grundsatzbeschluss von 2002 abgedeckt, und deshalb auch nicht haushalterisch unterlegt. Das heißt, das musste durch Spenden finanziert werden. Das war allen Beteiligten klar. Die Politik sah sich dann in der Pflicht, Spenderwünschen nachzukommen. Und es ist ja auch eigentlich nicht problematisch, dass bei einem Projekt, bei dem es eine zivilgesellschaftliche Teilhabe gibt, eine Mitgestaltung erwünscht ist. Das wird nur deshalb heikel, weil dabei auch rechtsradikale Positionen eine Rolle gespielt haben. Auch beim Eosanderportal. Nehmen Sie die große Kartusche. Das ist eine Zutat von 1904, der Bundestag hat 2002 von einer Barockfassade gesprochen. Da ging es nicht um wilhelminische Elemente. Das hat man dem Förderverein überlassen und diesem ist alles bis 1918 heilig. Natürlich ohne die Schäden der Revolution.

    Warum macht die Stiftung das?

    Das ist schwer zu erklären. Der Förderverein geht ja mit der Stiftung nicht gerade zimperlich um. Hartmut Dorgerloh war teilweise schwer unter Beschuss. Trotzdem – nachdem der Anwalt Peter Raue dem Förderverein einen Persilschein hinsichtlich der rechten Spender ausgestellt hatte, erklärte die Stiftung 2022, nun sei alles in Ordnung, man arbeite gern wieder mit dem Förderverein zusammen. Doch das entbehrte jeder sachlichen Grundlage.

    Was meinen Sie?

    Raues Persilschein – abgesehen davon, dass er in dieser Angelegenheit befangen war, da er Anwalt des Fördervereins und der Familie Bödecker ist – lag dem Stiftungsrat gar nicht vor. Aber vor allem konnte Herr Raue von den 26 Millionen anonym eingegangener Gelder nur etwas über eine Million prüfen, da bei den übrigen 25 Millionen selbst dem Förderverein unbekannt ist, woher das Geld kommt. Da muss man sagen: Liebe Leute, das habt ihr gut verschwiegen und man hat es euch abgenommen. Auch das Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte zu Bödecker lag dem Stiftungsrat nicht vor. Herr Dorgerloh hat das beschönigend dargestellt, indem er sagte, Bödecker sei weder rechtsextrem noch im rechtsradikalen Sinne antisemitisch. Es ist für mich offenkundig, dass die Stiftung kein ehrliches Aufklärungsinteresse hatte. Alle, auch die Bundestagsparteien, wollten Ruhe in die Debatte bringen und keine Angriffsfläche bieten. Aber die Spendenpraxis waren ein zentrales Legitimationsinstrument. Man konnte sagen, die Fassade kommt aus der Bevölkerung, es ist ihr Wunsch. Und wenn dies einen Makel bekommt, will man lieber den Deckel draufhalten.

    Philipp Oswalt: „Ist die Reproduktion eines Hohenzollernschlosses im 21. Jahrhundert die adäquate Setzung für die heutige deutsche Gesellschaft?“

    Philipp Oswalt: „Ist die Reproduktion eines Hohenzollernschlosses im 21. Jahrhundert die adäquate Setzung für die heutige deutsche Gesellschaft?“Nadja Wohlleben

    Eine der zentralen Thesen Ihres Buches ist, dass solche Repräsentationsbauten wie das Stadtschloss dazu dienen, gesellschaftliche Identität zu schaffen. Was für eine Identität soll das denn in diesem Fall sein?

    Das Schloss ist das wichtigste Bundesbauprojekt neben dem Reichstag seit 1990: Aber ist die Reproduktion eines Hohenzollernschlosses im 21. Jahrhundert die adäquate Setzung für die heutige deutsche Gesellschaft? Man hat versucht, das mit dem Inneren auszugleichen, mit den außereuropäischen Sammlungen. Das ist eine neokoloniale Instrumentalisierung dieser Kulturen, wenn man damit die preußische Fassade legitimieren und sich als weltoffen darstellen will. Und das Problem mit der Fassade wird man damit nicht los.

    Sie sprechen im Zusammenhang mit der Rekonstruktion von Deckerinnerung. Was ist das?

    Der Begriff kommt aus der Psychologie. Mit einer Erinnerung wird eine andere verdeckt. Der Ort, an dem das Schloss steht, stand für vieles: für Preußen, den Wilhelmismus, die Revolution, die Weimarer Republik, den Krieg, die deutsche Teilung, die friedliche Revolution von 1990. Aber die Geschichte ab 1918 wurde eliminiert. Wobei die stalinistisch motivierte Sprengung des Schlosses 1950 bereits die davorliegende Geschichte eliminiert hat. Immerhin hat man die Erinnerung an die Revolution von 1918 durch den Transfer des Schlossportals ins Staatsratsgebäude zu bewahren versucht. Das Stadtschloss hat die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts durch einen Rückgriff auf die Zeit vor 1918 verdrängt.

    Philipp Oswalt bewertet den Abriss des Palasts der Republik als „ikonoklastischen Rachefeldzug oder eine Art Exorzismus“.

    Philipp Oswalt bewertet den Abriss des Palasts der Republik als „ikonoklastischen Rachefeldzug oder eine Art Exorzismus“.Nadja Wohlleben

    In Teilen der ostdeutschen Öffentlichkeit wird der Abriss des Palasts als kolonialer Akt der BRD verstanden.

    Das halte ich für falsch. Es gab eine westdeutsche Kolonisierung, aber was geschichtspolitische Fragen angeht, ist das eher eine Generationenfrage. Es gab auch vehemente Kräfte aus dem Osten, die sich für den Abriss eingesetzt haben. Günter Nooke war einer der Antragsteller, es gab Wolfgang Thierse, Manfred Stolpe, Wolfgang Tiefensee, Vera Lengsfeld, die damals noch in der CDU-Fraktion war, Richard Schröder. In meiner Wahrnehmung ist es die Generation der durch den Mauerbau Traumatisierten in West und Ost, die sich auf einen ikonoklastischen Rachefeldzug begeben oder eine Art Exorzismus betrieben haben. Man will in der Geschichte auch hinsichtlich der baulichen Spuren obsiegen.

    Sie brauchen keine Rache, weil Sie einer anderen Generation angehören?

    Ich bin aus Westdeutschland, lebe seit 1984 in Berlin, und habe nach 1990 eine starke Bindung an ostdeutsche Akteure und Milieus gewonnen. Für mich ist klar, dass die DDR eine totalitäre Diktatur war, aber natürlich ist das eine wichtige Epoche deutscher Geschichte. Und es gab auch in der DDR interessante Entwicklungen, dissidentische und reformerische. Es ist irrsinnig, das in einen Giftschrank zu packen. Die jüngere Generation hat eine gelassenere Einstellung dazu, sie muss sich nicht am SED-Staat rächen. Für sie ist das eine abgeschlossene Periode, die man als Teil der deutschen Geschichte annehmen und einen Umgang damit finden kann. Keinen verherrlichenden Umgang, aber eben auch keinen eliminatorischen, sondern einen differenzierenden und in Teilen wertschätzenden.

    Sie schlagen gemeinsam mit Max Czollek, Agnieszka Pufelska und Jürgen Zimmerer vor, einen künstlerischen Wettbewerb auszuschreiben, mit dem Ziel, die Preußen-Fassade zu brechen. Wird das jemals passieren?

    Warum eigentlich nicht? Die Gründungsintendanz des Humboldt-Forums machte zum Beispiel den Vorschlag, die Skulptur „Zweifel“ von Lars Ramberg temporär auf das Schloss zu setzen. Diese Idee ist dann sang- und klanglos gestorben, denn in vielen Kreisen galt das als Sakrileg. Wenn Ramberg seine Skulptur auf das Louvre setzen würde oder auf die Tate, würde dann die französische oder britische Gesellschaft Sturm laufen? Die Stiftung Humboldt-Forum würde eine solche Aktion aus ihrem Gefängnis befreien. Warum ist man in Deutschland zumindest teilweise so verkrampft? Was soll schlimm daran sein, das Spruchband an der Kuppel zu überblenden oder dem Ort Spuren aus der Zeit zwischen 1918 und 2008 einzuschreiben? Warum soll ich nicht zum Beispiel markieren, was die kaiserlichen Truppen am Schloss kaputt geschossen haben, um die Revolutionsgarden zu schlagen. Das wäre doch interessant. Wen stört das? Müssen wir erst mal drei Generationen warten? Das Schloss ist ein Ort, mit dem sich viele nicht identifizieren können. Warum soll man das nicht öffnen?

    #Berlin #Mitte #Schloßplatz #architecture #histoire #Prusse #militarisme #extrême_droite #urbanisme

  • Busspuren in Gefahr: Warum in Berlin noch mehr BVG-Fahrstreifen verschwinden könnten
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/busspuren-in-gefahr-warum-in-berlin-noch-mehr-bvg-fahrstreifen-vers

    Von der Berechtigung, Busspuren benutzen zu können hängt die Höhe des Einkommens der Taxifahrer ab. Zu Bedndigung der Einnahmemisere braucht es zwri Dinge: Erstens muss die Nachfrage nach Taxis gesteigert werden vier Touren pro Stunde sind Voraussetzung für armutsfestes Einkommen. Damit diese Anzahl an Aufträgen bewältigt werden kann, muss die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit steigen, was angedichts der zahlreichen Staus nur mit reservierten Fahrstreifen zu schaffen ist. Wie wärs mit der Einrichtung von Taxispuren, die auch von BVG-Bussen mit henutzt werden dürfen?

    15.4.2024 von Peter Neumann - In Zehlendorf hatten Anwohner Erfolg. Inzwischen haben Bürger gegen weitere Busspuren Widerspruch eingelegt. Die BVG wird schon jetzt immer langsamer.

    Schlechte Nachrichten für alle, die gern schneller mit dem Bus durch die Stadt fahren würden. Das Busspurnetz in Berlin wächst kaum noch, mit Zuwachs ist auf absehbare Zeit fast nirgends zu rechnen. Im Gegenteil: Das Netz soll sogar schrumpfen. So haben Bürger gegen mehrere Sonderfahrstreifen Widerspruch eingelegt. Damit besteht auch in diesen Fällen die Gefahr, dass die Markierungen entfernt werden. Das geht aus der Senatsantwort auf eine Anfrage des Linke-Politikers Kristian Ronneburg hervor.

    In der Drucksache des Parlaments konnte Staatssekretärin Claudia Elif Stutz dem Abgeordneten nur eine einzige neue Busspur in Berlin nennen. In der Ollenhauerstraße in Reinickendorf sei der dort geplante Sonderfahrstreifen umgesetzt worden, so die CDU-Politikerin. Ansonsten: Fehlanzeige. Als Ronneburg vor mehr als einem Jahr schon mal nach neuen Busspuren gefragt hatte, konnte die Verwaltung keine einzige nennen.
    Bürger legen Widerspruch ein: Diese Busspuren sind in Berlin in Gefahr

    Stattdessen geht aus der aktuellen Senatsantwort hervor, dass in Berlin sieben Bussonderfahrstreifen in Gefahr sind. Gegen sie lägen Widersprüche vor, berichtete die Staatssekretärin. Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf seien die Otto-Suhr-Allee und die Hubertusallee betroffen, in Mitte das Reichpietschufer. In Spandau gehe es um die Busspur auf dem Falkenseer Damm, in Tempelhof-Schöneberg um die Hauptstraße zwischen der Rubens- und der Schmargendorfer Straße. In Steglitz-Zehlendorf gehen Bürger gegen die Sonderfahrstreifen auf dem Teltower Damm sowie in der Clayallee vor, hieß es.

    Auf einem anderen Abschnitt der Clayallee, zwischen der Argentinischen und der Riemeisterstraße, hatten Anwohner Erfolg. Die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts gab ihnen am 31. August 2022 in einer Eilentscheidung recht. Die Zehlendorfer hatten gegen die Busspur, die von der Straßenverkehrsbehörde der Senatsverwaltung vor ihrer Tür angeordnet worden war, Widerspruch eingelegt und vorläufigen Rechtsschutz beantragt.

    Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürften nur bei einer besonderen Gefahrenlage angeordnet werden, argumentierte das Gericht. „An einer solchen Gefahr fehlt es hier“, hieß es. So habe die Behörde nicht dargelegt, dass die Busse der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bisher merkliche Zeitverluste erlitten haben. Die derzeitige Behinderung sei mit lediglich elf bis 26 Sekunden pro Durchfahrt beziffert worden.
    Viele Projekte stehen auf der Liste – aber sie werden nicht verwirklicht

    Zudem habe die Behörde ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, stellten die Richter weiter fest. Denn nach einer bundesweit geltenden Verwaltungsvorschrift sollen Sonderfahrstreifen nur dort eingerichtet werden, wo in der Stunde der stärksten Belastung mindestens 20 Busse verkehren. Die Straßenverkehrsbehörde hatte sich dagegen an einer lokalen Berliner Vorgabe orientiert, ohne dies zu begründen. Danach reichte bisher eine Mindestfrequenz von neun Bussen pro Stunde aus. Nach Informationen der Berliner Zeitung konnte vorher sogar bei nur sechs Busfahrten pro Stunde eine Busspur angeordnet werden. Im März dieses Jahres ließ der Bezirk die Markierung beseitigen.

    Vor Gericht habe der Senat nicht immer glücklich agiert, sagte ein Jurist. Die Folgen waren gravierend. Die Eilentscheidung zur Clayallee markiert den Beginn des Stillstands, der bis heute andauert. Denn seitdem wurde das Busspurnetz so gut wie nicht mehr erweitert. Dabei hatte der Senat noch im März des vergangenen Jahres 21 Projekte aufgelistet, die zwar angeordnet, aber bislang nicht verwirklicht wurden. Dazu zählen stark frequentierte Straßen wie der Brunsbütteler Damm in Spandau und der Britzer Damm in Neukölln, wo die BVG und ihre Fahrgäste nun weiterhin Zeitverluste erleiden.

    Schon kurz nach dem Beschluss in Sachen Clayallee befürchteten Beobachter, dass auch anderswo Anwohner die Nachprüfung von Busspuren beantragen werden. Der Verdacht bestehe, dass sich die Behörde in weiteren Straßen nicht an die bundesweite Vorschrift gehalten habe, hieß es damals. Heute wird klar: Die Befürchtung besteht zu Recht.

    Fatale Entscheidung der Länderkammer: Berlin scheitert im Bundesrat

    Wie berichtet, wurde die Verkehrsverwaltung sogar selbst tätig – ohne dass Bürger Widerspruch eingelegt hatten. Wie der Fahrgastverband IGEB berichtete, wurde für die Busspur Otto-Braun-Straße (Richtung Mollstraße) 2023 die Beseitigung angeordnet. Die mit zwei Buslinien betroffene BVG wurde nicht angehört. „Diese Busspur, die von den Radfahrern bisher genutzt werden kann und auch genutzt wird, nun zugunsten eines Radfahrstreifens zu beseitigen, schürt Spannungen zwischen Bus- und Radverkehr.“

    Ebenfalls im vergangenen Jahr versuchte Berlin, die Anordnung von Busspuren bundesweit zu erleichtern. Doch der Versuch scheiterte. Zwar griff das Bundesverkehrsministerium den Wunsch des Landes auf. Doch als der Bundesrat im vergangenen November über diese und andere geplante Änderungen der Straßenverkehrsordnung entschied, bekam der Entwurf in der Länderkammer keine Mehrheit. Damit fehle es „an einer Rechtsgrundlage für die geplante Veränderung“, teilte Claudia Elif Stutz dem Abgeordneten Kristian Ronneburg jetzt in ihrer Antwort mit.

    Ein gefragtes Verkehrsmittel: Ein BVG-Bus hält vor der Marienkirche in Mitte. Der größte kommunale Busbetrieb in Deutschland wurde allein im vergangenen Jahr für mehr als 400 Millionen Fahrten genutzt.

    Ein gefragtes Verkehrsmittel: Ein BVG-Bus hält vor der Marienkirche in Mitte. Der größte kommunale Busbetrieb in Deutschland wurde allein im vergangenen Jahr für mehr als 400 Millionen Fahrten genutzt.Emnuele Contini

    Damit kann die Erosion im Berliner Busspurnetz weitergehen. Dabei war in der Berliner Verkehrspolitik trotz Streits stets Konsens, dass ein attraktiver öffentlicher Verkehr Straßen entlastet und Menschen aus ihren Autos locken kann. Attraktiv sind Busse und Bahnen aber nur, wenn sie die Fahrgäste möglichst zügig befördern. Busspuren und Ampelschaltungen, die dem Nahverkehr Vorrang geben, galten schon in den 1990er-Jahren unter CDU-Verkehrssenatoren als wichtig. So wuchs das Netz der Sonderfahrstreifen von 1990 bis zum Jahr 2000 von rund 34 auf rund 100 Kilometer.

    Zwischendurch ging es immer mal wieder jahrelang nicht voran. Erst nachdem die Senatsverwaltung für Verkehr 2016 von der SPD zu den Grünen gewechselt hatte, ging der Ausbau des Busspurnetzes weiter. Inzwischen ist es rund 123 Kilometer lang. Als nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts 2022 der Stopp kam, waren viele neue Projekte in der Pipeline. Sie dürften keine Chance mehr haben.

    Noch vor einem Jahrzehnt waren BVG-Busse deutlich schneller als heute

    In den vergangenen Jahren ist die Durchschnittsgeschwindigkeit des BVG-Busverkehrs gesunken. 2014 waren die Busse nach Angaben des Landesunternehmens im Schnitt noch mit 19,3 Kilometern pro Stunde unterwegs – Stopps vor Ampeln und an Haltestellen eingerechnet. 2022 waren es 17,9 Kilometer, im vergangenen Jahr 17,8 Kilometer, berichtete Staatssekretärin Stutz. Welche Buslinien im vergangenen Jahr besonders oft gestört waren, teilte die BVG mit: 100, 128, 142, 147, 200, 245, 247, 248, 300 und 377. Zu den Störfaktoren gehören Demonstrationen und Veranstaltungen.

    Die Senatspolitikerin machte deutlich, dass die Bemühungen zur Beschleunigung des BVG-Verkehrs auf anderen Feldern fortgesetzt werden. So wurden an 39 Ampelanlagen in Berlin Beschleunigungsmaßnahmen umgesetzt, heißt es in der Drucksache des Parlaments. In Berlin können 1040 Ampelanlagen vom öffentlichen Verkehr beeinflusst werden. Acht weitere Anlagen kommen 2024 und 2025 hinzu.

    Fahrgastverband IGEB fordert vom Senat mehr Kreativität

    Christfried Tschepe, Vorsitzender des Fahrgastverbands, und seine Mitstreiter forderten den Senat auf, kreativer zu sein. „Da eine Novelle der Straßenverkehrsordnung erst deutlich nach der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 realistisch ist, müssen in den nächsten Jahren die geltenden Rahmenbedingungen kreativ genutzt werden. Bisher wurden Busspuren für den Radverkehr freigegeben, zum Beispiel auf dem Kurfürstendamm. Ab jetzt müssen Radfahrstreifen für den Buslinienverkehr freigegeben werden“ – etwa Unter den Eichen.

    #Berlin #BVG #Taxi #Verkehr #Stadtentwicklung

  • Explodierende Betriebskosten – warum viele Berliner Museen immer öfter geschlossen bleiben
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/explodierende-betriebskosten-warum-viele-berliner-museen-immer-oeft

    Geld ist reichlich da bei den SMPK für ganz viel Selbstbeschäftigung und Tourismusoptimierung. Nur an der Zugänglichkeit wird ein bischen gespart. Was solls, das merkt doch keiner, ohne Besuchergewerkschaft.

    15.4.2024 von Harry Nutt - Von dieser Woche an bleiben einige Häuser der Stiftung Preußischer Kulturbesitz montags und dienstags geschlossen. Warum das ein dramatisches Warnsignal ist.

    Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hat viel vor in diesem Jahr. In einer beinahe gehetzt wirkenden Veranstaltung präsentierten Hermann Parzinger und Co vergangene Woche stolz ihre Pläne. In der Abfolge von Ausstellungen, Konzerten und Einzelevents schien die geplante Eröffnung des Zentraldepots der Staatlichen Museen in Friedrichshagen fast unterzugehen.

    In Köpenick gelangt ein 100-Millionen-Projekt zum baulichen Abschluss, mit dem die Depots und Werkstätten, die sich bislang an verschiedenen Standorten befanden, auf einer Nutzungsfläche von 13.000 Quadratmetern zusammengeführt werden sollen. 2014 waren dort das Speichermagazin für die Staatsbibliothek, das Ibero-Amerikanische Institut und die bpk-Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte in Betrieb genommen worden. Unmittelbar daneben ist zwischenzeitlich das Zentraldepot entstanden, ein imposanter Funktionsbau des Architekturbüros AV1 aus Kaiserslautern.

    Zahlreiche Häuser bleiben einen weiteren Tag geschlossen

    Die Stimmung ist allerdings gedämpft. Unmittelbar nach der Eröffnung, so hieß es hinter vorgehaltener Hand, müsse man womöglich wieder schließen. An allen Standorten explodieren die Betriebskosten. Vor diesem Hintergrund darf man die nun angekündigte Kürzung der Öffnungszeiten in vielen Museen auch als Warnschuss betrachten. Von diesem Dienstag an bleiben zahlreiche Häuser für einen weiteren Tag pro Woche geschlossen, die täglichen Öffnungszeiten werden verkürzt.

    Betroffen sind auf der Museumsinsel das Alte Museum und das Bode-Museum. Neue Regelungen gelten für Kunstbibliothek, Kupferstichkabinett und Kunstgewerbemuseum am Kulturforum sowie die Friedrichswerdersche Kirche, das Museum Europäischer Kulturen in Dahlem, die Sammlung Scharf-Gerstenberg in Charlottenburg und das Schloss Köpenick. Diese Häuser bleiben nach Angaben der SPK montags und dienstags geschlossen und reduzieren zudem teilweise ihre Öffnungszeiten zu den auch bisher weniger frequentierten Tageszeiten. Zugleich wolle man flexibler auf Besucherströme reagieren, sagte Hermann Parzinger gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Bei der in dieser Woche in der Alten Nationalgalerie eröffnenden Caspar-David-Friedrich-Ausstellung ist mit einer Ausdehnung der Zeiten bis in die Abendstunden zu rechnen.

    Zum SPK-Verbund gehören einige der bedeutendsten Museen der Welt. Nun jedoch könnte es immer häufiger heißen: vorübergehend geschlossen. Bei der von allen Beteiligten als Meilenstein beschworenen Reform der Preußenstiftung bleibt derweil die Finanzausstattung des Kulturtankers SPK weiterhin ausgespart.

    #Berlin #Museum #Kultur #Inflation

  • Eine Bauhütte, die nicht baut: Berlin setzt auf Marktversagen
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181424.landeseigene-betriebe-eine-bauhuette-die-nicht-baut-berlin-setzt-


    Holzmodule, wie hier von der österreichischen Firma Kaufmann Bausysteme, wird es aus landeseigener Produktion in Berlin nicht geben.

    Tja, ein bischen Rotgrün könnte Berlin schon gebrauchen.

    12.4.2024 von Nicolas Šustr - Berliner Senat beerdigt bei der Holzbauhütte Tegel Ambitionen für Einstieg in kommunale Bauwirtschaft

    »Sie wollen also gar nicht bauen, bauen, bauen. Sondern diskursiv arbeiten. Sonst wird ja so getan, als ob es andersherum wäre.« Das sagt Linke-Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg aus dem Abgeordnetenhaus zu »nd« als Reaktion auf die Bestätigung von Tegel Projekt, dass die seit Jahren vorgesehene Holzbauhütte keine Module für das auf dem ehemaligen Flughafengelände geplante Schumacher-Quartier fertigen soll.

    »Vom Plan, eine eigene Fertigung für das Schumacher-Quartier auf dem Gelände zu installieren, sind wir abgerückt«, erklärt die Tegel Projekt GmbH auf Anfrage von »nd«. Zum einen sei »dies nicht im Sinne wichtiger Partner« gewesen, zudem seien »mittlerweile mehrere holzverarbeitende Betriebe in Brandenburg niedergelassen«, damit gebe es »keinen Bedarf mehr für eine solche Ansiedlung vor Ort«. Die wichtigen Partner sind die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die »ihren Generalübernehmer jeweils gerne unabhängig voneinander selber auswählen möchten«.

    Die übrigen Planungen bezüglich der »Futr Hut« genannten Holzbauhütte haben laut Tegel Projekt weiterhin Bestand. Sie sei vor allem »als kooperativer Denk- und Experimentierraum für die Bauwende konzipiert«, in dem Fachleute aus Forschung, Architektur und Planung, aus Holz- und Bauwirtschaft, Komponentenherstellung und Digitalisierung sowie viele andere mehr »an der Entwicklung innovativer nachhaltiger Bau- und Werkstoffe sowie Fertigungsprozesse arbeiten«.

    »Ich glaube, in der Lage sind wir nicht, dass wir jetzt eine staatliche Wohnungsbaueinheit brauchen«, bekräftigte am Montag Bausenator Christian Gaebler (SPD) im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses die Haltung. Das Problem der Landes-Wohnungsbaugesellschaften seien »die Preise, die sich aber jetzt nicht daran festmachen, dass sich irgendjemand da große Gewinne einstreicht, sondern dass einfach die Kosten auch für Material und Logistik entsprechend gestiegen sind und übrigens auch die Kosten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«.

    Katalin Gennburg bestreitet das. »Die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und die Kapazitäten sind Voraussetzungen für ein funktionierendes kommunales Wohnungsbauprogramm«, sagt sie. Das gehe los bei eigenen Planungskapazitäten und weiter mit Bauhütten oder auch Recyclinghöfen für Baustoffe. Die private Bauwirtschaft nutze ihre Kapazitäten für das Produkt, das am lukrativsten sei, so die Linke-Politikerin. »Ein öffentliches Fertigteilwerk kann aber entscheiden: Ich fertige keine Bauteile für Luxusbalkons, sondern Module für den gemeinnützigen Wohnungsbau«, nennt sie ein Beispiel.

    Die Ziele der Holzbauhütte waren ehrgeizig. In der 2020 vorgelegten Potenzialanalyse »Bauhütte 4.0 – Innovations- und Produktionsstandort für den urbanen Holzbau« kamen Forschende des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik sowie der Technischen Universität Berlin zu dem Schluss, dass so »die Grundlage für das effiziente Bauen mit Holz in urbanem Maßstab« gelegt werden könnte.

    Zum damaligen Zeitpunkt war der Holzbau 10 bis 15 Prozent teurer als konventionelle Baumethoden. Mit der Bauhütte sollte »ein System etabliert werden, mit dem mittelfristig um 20 bis 25 Prozent günstiger gebaut werden kann als bei konventioneller Bauweise«, wie es bei der Vorstellung der Analyse hieß. Dabei werden gleichzeitig 80 Prozent klimaschädliche Emissionen eingespart. »Der Name Bauhütte 4.0 bezieht sich auf die Idee der Dombauhütte, die auch prägender Gedanke des Bauhauses war. Der Geist der interdisziplinären Ideenschmiede von damals soll in ihr fortleben: Abermals kommen in der Bauhütte 4.0 kluge, kreative Köpfe zusammen, um auf neuen Wegen qualitatives Bauen durch industrielle Fertigung erschwinglich zu machen«, erklärte Tegel Projekt 2020.

    »Wir sind in Alarmbereitschaft, denn die Bauhütte war ein wesentlicher Beitrag, um die Bauwirtschaft in Berlin zukunftsfähig zu machen. Es ist inakzeptabel, wenn die Holzbauhütte aus privatem Profitinteresse abgewickelt wird«, sagt Katalin Gennburg.

    Schon lange vor den infolge der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine explodierten Materialkosten beklagten die Landes-Wohnungsunternehmen, entweder gar keine Angebote auf Ausschreibungen zu bekommen oder nur zu stark überhöhten Preisen. Doch selbst mitten in der größten privatwirtschaftlichen Baukrise seit Langem sacken die Fertigstellungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften massiv ab. Wurden 2022 noch fast 6000 Wohneinheiten von ihnen fertiggestellt, waren es 2023 nur noch knapp 4600; für das laufende Jahr werden nur noch 4100 neue kommunale Wohnungen erwartet.

    Vor 100 Jahren sprangen Gewerkschaften und öffentliche Hand nicht nur in Berlin, sondern beispielsweise auch in Wien in die Bresche, die das dramatische Versagen des gewinnorientierten Sektors in der sozialen Wohnraumversorgung hinterlassen hatte. Da die private Bauwirtschaft mit Verweigerungen und Preisabsprachen die öffentlichen und gemeinnützigen Bauprojekte auszubremsen versuchte, reagierten Sozialdemokratie und Gewerkschaft mit dem Aufbau einer sozialen Bauwirtschaft.

    2018 forderte der Stadtsoziologe Andrej Holm eine zeitgemäße Wiederauflage des Konzepts Bauhütte, um den öffentlichen Bau in Schwung zu bringen. In ihrer Klausur in Rheinsberg machte sich die Linksfraktion des Berliner Abgeordnetenhauses im gleichen Jahr den Ansatz zu eigen. Gemeinsam mit den Grünen wurde schließlich als erster Anlauf die Holzbauhütte auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel auf den Weg gebracht. Doch das Thema Fertigung von Modulen hat sich bekanntlich inzwischen erledigt.

    Ein von der Linksfraktion 2019 ausgearbeiteter Antrag mit dem Titel »Landeseigene Baukapazität aufbauen!« scheiterte am innerkoalitionären Veto der SPD. Die Grünen-Fraktion hatte nach längeren internen Diskussionen und zahlreichen Änderungen dem Prüfauftrag zum Aufbau eines landeseigenen Baubetriebs schließlich ihre Zustimmung erteilt, unter anderem mit der Begründung, dass auch viele Private sich »verstärkt Baukompetenzen und Planungskapazitäten in ihre Unternehmen aufgrund des Fachkräftemangels« holten. Doch die SPD blieb bei ihrem Nein.

    »Zwischen Linken und Grünen war die Holzbauhütte ein Gemeinschaftsprojekt. Ökologisches Bauen ist ein zutiefst grünes Thema. Über die Systemfrage ist es ein linkes Thema«, sagt Katalin Gennburg. Die Bauhütte sollte in ihren Augen insgesamt die Möglichkeit bieten, nachhaltiges und ökologisches Bauen auch mit weiteren alternativen Baustoffen wie Stroh, Hanf oder Lehm voranzubringen. »Soziale Bauträger wie beim Haus der Statistik oder beim Dragonerareal müssten mit eingefasst werden. Die Erkenntnisse, wie man solche Projekte eigentlich realisieren kann, müssten auch in Verwaltungswissen überführt werden«, so die Abgeordnete.

    »Der Umbau der Landes-Wohnungsunternehmen (LWU) ist allerdings eine zwingende Voraussetzung dafür, dass eine Bauhütte ein Erfolg werden kann«, sagt Gennburg. Hier herrscht weitgehend Einigkeit zwischen Linke und Grünen. Denn wie in der Sitzung des Bauausschusses deutlich wurde, war es die Gesobau, die darauf beharrte, ihren Auftragnehmer für den Wohnungsbau im Tegeler Schumacher-Quartier selber auszusuchen. Die Linke-Politikerin spricht in diesem Zusammenhang von einem »Baufilz« von Landeseigenen und einer überschaubaren Anzahl von Projektentwicklern, die den Löwenanteil des kommunalen Neubaus errichten.

    »Zur Erfüllung der ehrgeizigen Neubauziele muss die Neubaufähigkeit der landeseigenen Wohnungsunternehmen durch einen gemeinsamen deutlichen Ausbau ihrer Planungs- und Baukapazitäten verbessert werden«, darauf hatten sich die beiden Parteien in den Koalitionsverhandlungen 2021 bereits geeinigt. Dafür sollte bis Mitte 2022 eine »rechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts« gegründet werden. »Sie unterstützt die Unternehmen bei der Nutzung von Synergien, übernimmt den Aufbau einer gemeinsamen Bau- und Planungskapazität, richtet ein betriebswirtschaftliches Controlling ein und koordiniert die Vorbereitung der Aufsichtsratssitzungen«, hieß es zu den konkreten Aufgaben. Bis Ende 2023 sollte »ein umsetzungsorientiertes Konzept zur besseren Zusammenarbeit der LWU bis hin zur eventuellen Bildung einer Holding« entwickelt werden. Doch die SPD lehnte strikt ab.

    »Wir haben durchdekliniert, was Linke-Baupolitik sein könnte. Nur wenn man diese Messlatte anlegt, kann man ernsthaft in Koalitionsverhandlungen gehen, die nicht bloße Farbenspiele sind«, sagt Katalin Gennburg. »Wir brauchen starken kommunalen Einfluss bei dem, was am längsten währt: Immobilien.«

    #Berlin #Tegel #Stadtentwicklung #Kapitalismus #SPD

  • Über Uber beschwert
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181465.arbeitsbedingungen-ueber-uber-beschwert.html


    Ein Auto des Fahrdienstleisters Uber in Berlin-Prenzlauer Berg Foto: dpa/Carsten Koall

    14.4.2024. von Peter Nowak - Am Freitagnachmittag gab es um das Berliner Hotel Adlon herum eine große Polizeiabsperrung. Viel Prominenz aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik fand sich dort zum Bundespresseball ein. In Sichtweite hatte die Gruppe Taxi-Kultur eine Leinwand aufgebaut. Nach einigen technischen Problemen zu Beginn wurde deutlich, gegen wen sie protestiert. »Wir wenden uns gegen die Partnerschaft und das Sponsoring des Bundespresseballs durch den Fahrdienstanbieter Uber«, erklärte Klaus Meier von Taxi-Kultur.

    Es war nicht der erste Protest der Gruppe. Auf der Leinwand waren Kurzvideos einer Aktion am 22. März vor der ehemaligen Mercedes-Benz-Arena in Berlin-Friedrichshain zu sehen. Die große Halle, in der Sport- und Kulturevents stattfinden, war kürzlich in Uber-Halle umbenannt worden. Der Schriftzug ist jetzt gut sichtbar an der Halle angebracht. Außerdem heißt der Platz zwischen dem S- und U-Bahnhof Warschauer Straße und der Halle seit Kurzen Uber-Platz. Für die protestierenden Taxifahrer*innen handelt sich dabei um die Landnahme eines Konzerns, der für sie der Inbegriff einer Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse ist. »Das Geschäftsmodell von Uber gründet sich auf Niedriglohn. Im Taxi-Gewerbe hingegen sollten eigentlich alle Fahrer*innen den Mindestlohn bekommen«, sagt ein Taxifahrer.

    »Doch tatsächlich bekommen den Mindestlohn aktuell nicht alle Beschäftigten im Berliner Taxi-Gewerbe« erklärt Andreas Komrowski dem »nd«. Er ist Mitglied der AG Taxi bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Damit gehört er zu den wenigen gewerkschaftlich organisierten Taxifahrer*innen. Der Organisationsgrad in der Branche ist gering.

    Das ist auch ein Grund, warum es in der Gruppe Taxi-Kultur eine Kooperation zwischen den Taxiunternehmen und den Beschäftigten gibt, was Komrowski durchaus nicht unkritisch sieht. »Wir Fahrer*innen kämpfen seit Jahren dafür, dass auch die Zeit, in der wir auf Fahrgäste warten, als Arbeitszeit anerkannt und bezahlt wird. Das aber lehnen die Taxi-Unternehmen ab«, benennt Komrowski einen Interessengegensatz zwischen Beschäftigten und Unternehmen in der Branche.

    Allerdings betont er auch, dass sich die finanzielle Situation im Taxi-Gewerbe durch Uber und Co. in den letzten Jahren enorm verschlechtert habe. »Das ist auch ein Grund, warum wir uns als Taxi-AG bei Verdi an der Protestaktion gegen Uber beteiligen«, betont Komrowski. Der Gegner war an diesen Abend gut sichtbar. Direkt neben der Kundgebung parkten mehrere Nobelautos, auf deren Türen neben dem Symbol der Bundespressekonferenz der Sponsor Uber prangte.

    Passant*innen, die sich am Abend über den Taxi-Protest informierten, standen größtenteils durchaus kritisch zu dem Fahrdienstleister. »Bei uns in Dänemark ist Uber illegal«, sagte ein Gymnasiast aus Kopenhagen, der zu Besuch in Berlin ist. Auch im Nachbarland ist Uber wegen Dumpinglöhnen und der Zerstörung des Taxi-Gewerbes umstritten.

    Ein anderer Passant meinte, in Hamburg gebe es nur eine geringe Zahl von Uber-Wagen. Die seien dort nicht erwünscht. Da fragen sich manche, warum sich die Politik in Berlin daran nicht ein Beispiel nimmt und der Landnahme von Uber Grenzen setzt. Das fordert auch die Gruppe Taxi-Kultur. »Dafür werden wir in der nächsten Zeit noch öfter auf der Straße sein, wenn sich da nichts ändert«, kündigt Klaus Meier weitere Proteste an.

    #Berlin #Taxi #Uber

  • Armut und soziale Probleme lassen sich nicht strafrechtlich lösen
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181178.amtsgericht-tiergarten-armut-und-soziale-probleme-lassen-sich-nic

    9.4.2924 von Niels Seibert - Nicht die Straftaten erschrecken, sondern das Justizsystem einer Gesellschaft, die keine angemessenen Antworten auf die existierende Armut hat

    Fünfzig Tagessätze in Höhe von jeweils 15 Euro, insgesamt also 750 Euro Geldstrafe für einen Bürgergeldempfänger, der zwei Salamis im Gesamtwert von 7,58 Euro im Rewe-Supermarkt nach eigener Auskunft »aus Versehen nicht aufs Band gelegt« hat.

    100 Tagessätze à 15 Euro Geldstrafe für einen ehemals heroinabhängigen, heute im Substitutionsprogramm befindlichen Bezieher von Erwerbsunfähigkeitsrente wegen dreimaligen Fahrens ohne Fahrschein.

    Vier Monate Haft ohne Bewährung für eine Mutter von vier Kindern, darunter ein fünf Monate altes Baby, für den Versuch, Lebensmittel für 47,57 Euro im Discounter Netto ohne zu bezahlen mitzunehmen.

    Je 70 Tagessätze zu 15 Euro für Vater und Mutter, zusammen 2100 Euro, wegen gemeinschaftlichen Diebstahls von Kinderkleidung im Verkaufswert von 205 Euro bei Primark.

    Vier Monate Haft auf Bewährung für einen 34-Jährigen, der seit drei Monaten einer geringfügigen Beschäftigung nachgeht, wegen Fahrens ohne Fahrschein vor zehn und vor sechs Monaten.
    Beschleunigte Verfahren

    Die Angeklagten werden wie am Fließband abgearbeitet und verurteilt. Im 15-Minuten-Takt finden die Gerichtsverhandlungen hier am Tempelhofer Damm statt. In der Außenstelle des Berliner Amtsgerichts wird, fernab vom Hauptgebäude in Moabit, über strafrechtlich relevante Sachverhalte mit einfacher Beweislage entschieden. Es handelt sich fast immer um einen der beiden Bagatelldelikte: den »Diebstahl geringwertiger Sachen« oder das Fahren ohne Fahrschein, das in juristischer Fachsprache »Erschleichen von Leistungen« heißt. Bis zu 15 Verfahren werden an einen Vormittag terminiert – zweimal pro Woche. Zwei Richterinnen teilen sich diese Verhandlungen, in längerfristigen Krankheitsfällen springen Richterinnen und Richter aus Moabit ein.

    Von August 2022 bis Februar 2024 besuchte ich etwa 180 dieser Termine, von denen 100 tatsächlich verhandelt wurden. Bei den anderen waren die Angeklagten teils entschuldigt, teils unentschuldigt nicht erschienen oder es wurde erst beim Termin festgestellt, dass der oder die Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist und eine Übersetzung benötigt wird. 93 Prozent der öffentlichen Verhandlungen endeten mit Verurteilungen zu Geld- und Haftstrafen. Die anderen Fälle waren Einstellungen gegen Geldauflage, einmal Einstellung wegen Geringfügigkeit und einmal Freispruch. Kein einziges Mal kam es zu einer Einstellung gegen Sozialstunden oder einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, obwohl dies zumindest bei einem leeren Strafregisterauszug ohne Vorstrafen möglich wäre.

    Viele der Angeklagten stehen jedoch nicht zum ersten Mal vor Gericht und haben teils mehrere Eintragungen im Bundeszentralregister. Der Weg, den das Gericht dann geht, ist, »noch mal eins draufsetzen«, wie es eine Richterin im März 2023 formuliert hat. Das heißt, die erneute Verurteilung fällt in der Regel härter und für die Angeklagten schmerzhafter aus als die letzte Strafe.

    Eskalierende Bestrafung

    So kommt es zu immer höheren Geld- oder zu Haftstrafen, selbst wenn die Betroffenen seit ihrer Tat eine radikale Lebensveränderung hinter sich haben, beispielsweise ihre Drogenabhängigkeit überwunden, einen Arbeitsplatz gefunden, durch einen Umzug ihr soziales Milieu verlassen oder eine Familie gegründet haben. Auch die Amtsanwaltschaft, die die Aufgabe der Staatsanwaltschaft in diesen Verfahren übernimmt und personell mit jedem neuen Prozesstag wechselt, beantragt solche steigenden Strafen, ohne auch nur zu bedenken, dass eine erneute harte Bestrafung zu einem Rückfall führen und das neue Leben ruinieren könnte.

    »Ich habe den Eindruck, bei Ihnen kann man noch was retten«, begründet im Frühjahr 2023 die Amtsanwältin ihr Plädoyer für eine zweimonatige Haftstrafe auf Bewährung wegen versuchten Diebstahls eines Shampoos im Wert von 4,40 Euro. Sie möchte der Angeklagten »vor Augen führen, dass Knast droht«. Die Richterin schließt sich an: »Da muss jetzt mal ein Cut rein.« Eine Bewährungsstrafe bei einem solchen Ladendiebstahl ist eine harte Strafe. Die beschuldigte Person darf sich in der Bewährungszeit nichts mehr zuschulden kommen lassen, sonst muss sie ins Gefängnis. Auch in einem Wiederholungsfall gibt es keine Bewährung mehr.

    Es grenzt an Realitätsferne, wenn irgendjemand glaubt, durch ein weiteres, noch härteres Urteil komme eine Person »endlich zur Einsicht«. Es gibt tatsächlich einige Verfahren, wie das gegen einen Arbeitslosen, der nach acht Verurteilungen wegen Fahrens ohne Fahrschein – die immer höheren Strafen haben keine Verhaltensänderung bewirkt – noch ein neuntes Mal verurteilt wurde. Seine Geldstrafen summieren sich seit 2008 auf über 11 000 Euro, annähernd der Betrag, den Monatstickets im selben Zeitraum gekostet hätten.

    Unter den Verurteilten sind außergewöhnlich freundliche und ehrliche Menschen. Obwohl sie gerade verurteilt worden sind, verabschieden sie sich zugetan: »Danke und bleiben Sie gesund!« Sie sind auch aufrichtig, wie der mehrfach wegen Fahrens ohne Fahrschein verurteilte ausgebildete Fliesenleger, der von einer Richterin gefragt wird, mit welchem Verkehrsmittel er heute zum Gericht gekommen sei: »Mit Öffentlichen.« Ob er ein Ticket habe, beantwortet er ohne zu zögern: »Nein. Ich bin schwarzgefahren. Wie soll ich sonst kommen, wenn ich kein Geld habe? Ich muss doch kommen!« Seine Ehrlichkeit hat ihm nicht geholfen: Das folgende Urteil lautet vier Monate Gefängnis auf zwei Jahre Bewährung.

    Viel Armut in einem so reichen Land

    Nahezu alle Menschen, die hier vor Gericht stehen, sind auf staatliche Leistungen angewiesen. Manche haben einen Migrationshintergrund, teils mit, teils ohne deutsche Staatsangehörigkeit, manche von ihnen leben in Geflüchteten- oder anderen Gemeinschaftsunterkünften. Unter ihnen sind Menschen, die – wie sie es vor Gericht formulieren – immer mal wieder »Hunger«, aber »kein Geld« haben.

    Viele der Angeklagten haben gesundheitliche und psychische Leiden. Sie haben Schwierigkeiten, in der Welt zurechtzukommen, weil diese ihnen Probleme bereitet. Sie geben offen zu, ihr »Leben nicht auf die Reihe« zu kriegen oder dass ihre »Nerven kaputt« seien. Sie führen oft auch kein leichtes Leben, Einzelne haben langjährige Erfahrung mit Obdachlosigkeit oder Drogenabhängigkeit. Es sind zum Teil Menschen, denen das gesellschaftliche Miteinander schwerfällt, oder es schwer gemacht wird und die selbst darunter leiden; die laut eigener Auskunft »schusselig« oder »chaotisch« sind und ständig sämtliche ihrer Papiere, Fahrkarten und Ausweise vergessen oder verlieren. Oder sie sind aufgrund von Unfällen, Todesfällen und anderen Unglücksfällen »vom Schicksal gebeutelt« und werden immer wieder aus der Bahn geworfen. Es sind Menschen darunter, die sich in einem Teufelskreis befinden und es aus eigener Kraft nicht schaffen, sich aus dem Elend zu erlösen.

    Die Lebensrealität vieler Angeklagter steht im krassen Widerspruch zur Äußerung einer Oberamtsanwältin vom März 2023, die in diesem Kontext fast höhnisch wirkt: »Jeder ist nun mal seines Lebens Schmied.«

    Dass eine Verurteilung nicht dabei hilft, aus dem Verhängnis herauszukommen, wissen die Richterinnen und Richter aus ihrer täglichen Erfahrung: Trotz immer höherer Strafen landen viele wieder vor Gericht. Einige haben bis dahin noch nicht einmal ihre letzte Geldstrafe vollständig abbezahlt. Womit auch? Das Bürgergeld sieht keinen Bedarf dafür vor. So wird das Geld zum Überleben noch knapper. Diese Menschen brauchen etwas anderes als ein Gerichtsverfahren, in dem sie – der persönlichen Lebenssituation inadäquat – nach juristischen Vorgaben des Strafgesetzbuchs beurteilt werden. Soziale und gesellschaftliche Probleme lassen sich nicht strafrechtlich lösen.

    Mandatierter und beigeordneter Rechtsbeistand

    Nur etwa jede/r zehnte Angeklagte hat überhaupt eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt. Manche haben sich diese auf eigene Initiative oder mit der Unterstützung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern besorgt, zahlen die Kosten dafür aus eigener Tasche, sind schon vorher beraten worden und werden in der Regel angemessen verteidigt. Anderen wird eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt vom Gericht beigeordnet, wie beispielsweise dem vorläufig Festgenommen, der bis zum Prozesstermin eine Woche inhaftiert war, oder dem Angeklagten, der unter Bewährung steht und dem eine Inhaftierung droht. Einer dieser Anwälte ist häufiger zu sehen, er wird offensichtlich gerne beigeordnet. Deshalb kennt man sich: Er wird von einer Richterin herzlich mit »Hallöchen« begrüßt. Eine Beiordnung wird von Prozessbeteiligten aber auch kritisch betrachtet, wie eine Amtsanwältin in einem Pausengespräch Ende 2022 eingesteht: Das sei »eine Gelddruckmaschine«.

    Beigeordnete Anwältinnen und Anwälte, so der Eindruck, geben sich oft nicht so viel Mühe wie die selbst gewählten. Sie werden ihrer Bezeichnung »Verteidigerin« beziehungsweise »Verteidiger« nicht gerecht. Viele von ihnen sehen ihre Mandantin beziehungsweise ihren Mandaten zum ersten Mal während des Gerichtstermins, manche sprechen vorher noch nicht mal mit ihnen und begrüßen sie erstmals im Gerichtssaal. Einer hat, nachdem seine Mandantin ihren Ladendiebstahl bereut hat, gesagt: »Da kann man nur hoffen, dass es stimmt«, und ihr damit fast unterstellt, die Unwahrheit zu sagen. Ein anderer hat den gesamten Prozessverlauf über kein Wort gesagt und erst die Richterin nimmt ihn nach einer abschließenden Frage des Angeklagten, was das Urteil bedeute, in die Pflicht: »Ihr Anwalt wird Sie darüber aufklären!« Ein weiterer Rechtsanwalt, der sich ebenso wenig durch eine engagierte Verteidigung ausgezeichnet hat, verabschiedet sich nach der Verurteilung seines Mandanten zu 120 Tagessätzen à 15 Euro von der Richterin: »Tschüss, hat Spaß gemacht, auf Wiedersehen!«

    Strukturell repressive Atmosphäre

    Der über 100 Quadratmeter große Verhandlungssaal 0202 befindet sich im Erdgeschoss eines LKA-Gebäudes. Der Gebäudekomplex, die strenge Einlasskontrolle, die kalte Atmosphäre des Wartebereichs im Flur vor dem Gerichtssaal schüchtern ein.

    Die meisten Angeklagten begeben sich allein in diese für sie ungewohnte Situation. Manche werden auch zwangsvorgeführt, beispielsweise diejenigen, die ihre Briefe nicht öffnen, von den Vorladungen keine Kenntnis nehmen und deshalb morgens um sieben Uhr von der Polizei zu Hause abgeholt werden. Im Saal müssen sie sich erst orientieren, die wenigsten finden sich auf Anhieb zurecht. Sie werden deshalb mal freundlich, mal im Befehlston darauf hingewiesen, wohin sie sich setzen sollen beziehungsweise wohin nicht. Demütig fragen manchmal Angeklagte um Erlaubnis für das Natürlichste der Welt: »Darf ich meine Jacke ausziehen?« Oder: »Darf ich meine Tasche abstellen?« Verunsichert blicken sie von unten auf die erhöht sitzenden Richterinnen und Richter.

    Juristendeutsch statt leichte Sprache

    Einschlägig, Amtsanwältin, Schlussvortrag oder Geschäftsstelle gehören hier zum alltäglichen juristischen Vokabular, mit dem nicht alle hier Angeklagten etwas anfangen können. Um einfache oder leichte Sprache, die hier meist angebracht wäre, bemüht sich keiner der Prozessbeteiligten. Überhaupt gibt es hier wenig Sensibilität für Sprache und Wortwahl. Einen Schwarzen Angeklagten, der eine Krankheit erwähnt hat, fragt eine Richterin ohne mit der Wimper zu zucken, ob das »Schwarzfahren« auch mit seiner Erkrankung zu tun hätte.

    Allein zu verstehen, was in diesem Saal passiert, fällt vielen Angeklagten schwer. Immer wieder ist bemerkbar, dass Angeklagte noch nicht einmal die Funktion der verschiedenen Prozessbeteiligten kennen und deshalb den gesamten Prozessverlauf nicht richtig verstehen können. Sie wissen nicht genau, wer der Mensch vor ihnen ist, der ihnen sagt, wann sie reden dürfen. Sie wissen nicht, wer der Mensch an der Seite ist, der die Vorwürfe vorliest und später eine Strafe beantragt. Das zeigt sich wiederholt unmittelbar nach dem Schlusswort der Amtsanwaltschaft, wenn die Angeklagten das letzte Wort erhalten. So glaubt beispielsweise ein 30-Jähriger, der Antrag auf 120 Tagessätze zu 10 Euro sei schon das Urteil gewesen und erklärt: »Ich hab nicht verstanden, wie viel ich zahlen soll.« Fragen wie »Wie viel muss ich bezahlen?« oder »Kann ich das auch in Raten zahlen?« sind nach dem staatsanwaltschaftlichen Plädoyer keine Seltenheit. In einem Fall ist es nach solchen »letzten Worten« eines Angeklagten sogar vorgekommen, dass – ohne weitere Worte und ohne die Frage zu beantworten oder den Antrag der Amtsanwaltschaft zu erklären – unmittelbar das Urteil verkündet wurde.

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    Eine andere Beschuldigte hat noch weniger verstanden und äußert nach dem Plädoyer für 60 Tagessätze zu 15 Euro: »15 Euro? Einverstanden.« Auch sie wird nicht darüber informiert, was »Tagessätze« bedeutet oder über das Recht und die Funktion des letzten Wortes in einem Gerichtsprozess unterrichtet. So geschieht es auch bei Nachfragen nach der Urteilsbegründung. Angeklagte werden stattdessen lapidar verabschiedet: »Sie bekommen Post, da steht alles drin.« Die unwissenden Angeklagten werden teilweise nicht aufgeklärt. Sie werden sogar gelegentlich gar nicht ernst genommen und respektlos behandelt.

    Es geht allerdings auch anders. Anfang November 2022 stellt eine junge, 1998 geborene Richterin zu Verhandlungsbeginn sich und die anderen Anwesenden mit Funktion und Name vor. In einem dem Prozess folgenden Pausengespräch meint dann die Amtsanwältin: »Mir macht das ja nichts aus, aber meine Kollegen werden das nicht gut finden, wenn sie namentlich vorgestellt werden.« Die Richterin, darüber etwas erschrocken, entschuldigt sich: »Dazu habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Das ist ja auch eine Sache des Datenschutzes.« Das stimmt nicht ganz, da die Namen auch im Urteil stehen. Die Anmerkung der Amtsanwältin hat jedenfalls dazu geführt, dass das vorbildliche Vorgehen der am Berufsanfang stehenden Richterin damit beendet war. Beim folgenden Prozesstermin hat sie auf eine Vorstellung der Prozessbeteiligen verzichtet. Die Hoffnung auf Veränderung schwindet dahin.
    Übersetzungsfehler

    Für einen polnischen Staatsbürger, im August 2022 angeklagt wegen Diebstahls von Lebensmitteln in einem Rewe-Supermarkt, übersetzt ein Dolmetscher die Worte der Amtsanwältin. Auf einmal spricht der Angeklagte dazwischen, zunächst leise auf Polnisch, dann versucht er es etwas lauter auf Deutsch: »Ich verstehe nicht.« Die Anklägerin weist ihn umgehend zurecht: »Herr P., jetzt rede ich!« Die Richterin pflichtet ihr bei: »Die Amtsanwältin hat das Wort!« Diese spricht ihre Sätze zu Ende, der Dolmetscher übersetzt weiter als sei nichts gewesen. Danach gibt es keine Nachfrage mehr, auch der Dolmetscher schweigt, obwohl der Angeklagte offensichtlich etwas in seinem eigenen Verfahren nicht verstanden hat.

    Auch zu Missverständnissen bei der Übersetzung kommt es immer wieder. Eine Dolmetscherin versteht »gestohlene Hosen« statt »gestohlene Dosen« und übersetzt entsprechend. Der Angeklagte sieht sie sichtlich irritiert an. Erst als »Dosen« erneut fällt, bemerkt sie ihren Fehler und ist so ehrlich, ihn transparent zu machen. Sie erbittet sich Zeit, die fehlerhafte Übersetzung zu korrigieren. Es steht zu vermuten, dass viele Übertragungsfehler und Ungenauigkeiten nicht aufgedeckt werden, besonders in Verfahren, in denen alles beschleunigt ablaufen soll. Oft entsteht auch der Eindruck, dass die Dolmetscherinnen und Dolmetscher nicht vollständig übersetzen, weil ihre Übertragung weitaus kürzer ist als das zu übersetzende gesprochene Wort.

    Angeklagte, die vor Gericht eine Übersetzung benötigen, haben danach keine Dolmetscherin und keinen Dolmetscher mehr zur Verfügung, um beispielsweise Berufung gegen das Urteil einzureichen. Da Rechtsmittel nur in deutscher Sprache eingelegt werden können, bleibt ihnen dieser Rechtsweg zumindest erschwert.

    Kein öffentliches und politisches Interesse

    Die für alle frei zugänglichen Verfahren hier am Tempelhofer Damm stoßen auf wenig öffentliches Interesse. Die Besuchsbänke bleiben meist leer. Neben Aktivistinnen von »Justice Collective«, die einzelne Gerichtsprozesse gegen von Armut, Ungleichheit und Rassismus Betroffene beobachten, sind höchstens ein paar Praktikantinnen und Praktikanten der Justiz anwesend, die ab und zu dorthin geschickt werden und in den drei unbequemen Bankreihen mit jeweils neun Sitzen Platz nehmen.

    Die fehlende Öffentlichkeit für diese örtlich ausgelagerten Verfahren liegt auch daran, dass es politisch wenig Interesse daran gibt. Die Gerichtsverwaltung und die Berliner Senatsverwaltung für Justiz führen noch nicht einmal eine Übersicht über die Anzahl der Verfahren in Tempelhof.

    Richterinnen, Richter und Justizbeamte äußerten mehrmals, dass es hier doch »nicht so spannend« sei. Hier würden »keine Klimakleber angeklagt«, begründet dies ein Richter, der 2023 kurzzeitig als Krankheitsvertretung eingesprungen ist. Allerdings liegen sie alle falsch. Hier im Saal 0202 ist es durchaus interessant und die Verfahren haben Öffentlichkeit verdient. An nur einem x-beliebigen Tag lernt man viel über die soziale Verfasstheit der Gesellschaft und des Justizsystems. Selbst Menschen, die keinen großen Glauben mehr an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz besitzen, wären überrascht über manche Abgründe, die sich hier auftun.
    »Wenn Sie Hunger haben, warum gehen Sie nicht zurück in Ihre Heimat?«

    An einem Sommervormittag verliest die Amtsanwältin die Anklage gegen eine Moldauerin und deren volljährige Tochter. Die beiden werden beschuldigt, durch selbstständige Handlungen »eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen«, wie es in Juristensprache heißt. Die Mutter, so die Anklage weiter, habe beim Einkauf in einem Aldi-Discounter Erdbeeren, Ketchup und andere Lebensmittel sowie Kosmetika im Verkaufswert von 55,89 Euro in die Taschen ihres »Klaurocks« getan. Die Tochter habe sie dabei abgeschirmt.

    Die anwesende Dolmetscherin übersetzt alles simultan ins Russische und bei der anschließenden Befragung die Antworten der Angeklagten ins Deutsche. Ob sie hier im Land bleiben wolle, ist die erste Frage der Richterin, die bejaht wird. Warum habe sie einen »Klaurock« getragen, will die Richterin weiter wissen. »Wir tragen oft Röcke mit Taschen«, lautet die übersetzte Antwort. Die Richterin kommentiert: »Das kann ich mir vorstellen.«

    Tempelhofer Justizgeschichten

    Besonders bei einer der beiden hier in Berlin-Tempelhof zuständigen Richterinnen ist so eine Befragung nicht untypisch. Immigrantinnen und Immigranten wurden in den vergangenen anderthalb Jahren beispielsweise gefragt: »Was wollen Sie hier in Deutschland?« Oder: »Warum sind Sie gekommen … «, um dann gleich eine mögliche Antwort vorzugeben: »… um hier ein besseres Leben zu haben?« Oder: »Haben Sie in Ihrer Heimat auch so viel gestohlen?« Oder: »Jetzt sind Sie schon viele Jahre in Deutschland. Warum sprechen Sie noch kein Deutsch?« Oder, an eine Frau mit krankem Sohn gerichtet: »Wenn er wieder gesund ist, wollen Sie dann wieder zurück oder hierbleiben?« Nach solchen Fragen folgt auch mal eine Anmerkung: »Ich habe den Eindruck, dass Sie hierhergekommen sind, um Straftaten zu begehen.« Oder: »Wenn Sie immer weiter Straftaten begehen, ist klar, dass Sie wieder ausreisen müssen.« Oder empathielos zu einer Asylantragstellerin: »Mal schauen, wie das [Asylverfahren] ausgeht nach einer Vorstrafe.« Die Fragen und Kommentare erstaunen jedes Mal aufs Neue, zumal sie weder für die Tataufklärung noch für die Festlegung der Strafzumessung relevant sind.

    Wiederholt drängt sich der Gedanke auf, die Richterin habe Vorurteile. »Warum haben Sie gestohlen?«, fragt sie weiter, worauf die Moldauerin antwortet: »Ich hatte Hunger.« Darauf erneut die Richterin: »Wenn Sie Hunger haben, warum gehen Sie nicht zurück in Ihre Heimat?«

    Im anschließenden Plädoyer spricht die Amtsanwältin von krimineller Energie der Angeklagten, hat aber auch einen gut gemeinten Rat: Es gebe Essensküchen und die Tafeln. In Deutschland müsse man nicht verhungern. Sie fordert eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen in Höhe von je 10 Euro. Das Urteil lautet dann für beide Beschuldigten sechs Wochen Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Die Richterin begründet das mit Wiederholungsgefahr. Das Urteil solle davor abschrecken, erneut zu stehlen.

    Den Aufgaben nicht nachgekommen

    Sie fühle sich nicht am richtigen Platz, äußerte die oben bereits erwähnte junge Richterin in einem weiteren Pausengespräch mit der Amtsanwältin. Hier sei es eintönig, hier gebe es »nicht das große Unrecht«, stattdessen immer dieselben Delikte. Das sei für den Berufsanfang gut, aber rechtlich und juristisch diskutiere man hier nichts. Deshalb wird sie nach Moabit zu den »großen Fällen« wechseln: Gewaltdelikte, schwerer Raub, gewerbsmäßiger Diebstahl. Das sei dann »nicht mehr lustig«, ergänzt die Amtsanwältin, als ob es hier in Tempelhof lustig wäre. Eine andere Richterin, die hier schon seit über 15 Jahren arbeitet, fühlt sich sehr wohl. Sie kann, so der Eindruck, bis zu ihrer Pensionierung eine ruhige Kugel schieben.

    Vielleicht finden es Richterinnen und Richter auf Dauer nervig, wenn sie den Eindruck gewinnen, wiederholt angelogen zu werden. Oder wenn Menschen vor ihnen sitzen, mit denen eine Konversation schwierig ist, die vor sich hin erzählen, auch wenn andere gerade sprechen. Oder wenn der stechende Geruch von Alkohol und ungewaschener Kleidung hoch zum Richterpult dringt und keine Möglichkeit besteht auszuweichen. Vielleicht sind das auch Gründe dafür, dass Amtsanwältinnen und Amtsanwälte, Richterinnen und Richter abstumpfen, die Menschen und ihre Probleme nicht mehr sehen und ihren eigenen Aufgaben nicht mehr nachkommen: In keinem öffentlichen Verfahren wurde beispielsweise eine Gutachterin oder ein Gutachter beauftragt, nach Paragraf 20 StGB zu prüfen, ob eine »Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen« vorliegen könne, weder bei Menschen, die sich kaum verständigen können, noch bei Angeklagten, die unter Alkoholeinfluss geklaut und alkoholisiert und nahezu unzurechnungsfähig vor Gericht erschienen sind.

    Das Schicksal der Menschen interessiert hier nicht

    Bei der ersten Verhandlung des Tages im Februar 2024 gegen eine Iranerin sitzen zwei Justizbeamte mit im Gerichtssaal. Das gab es bislang nur ein anderes Mal, als sich eine Richterin vor tätlichen Angriffen eines Angeklagten fürchtete und deshalb um Beistand bat. Heute geht alles seinen gewohnten Gang, die Angeklagte wird zu 60 Tagessätzen in Höhe von 15 Euro verurteilt. Dann kommt die Überraschung: »Gegen Sie liegt ein Haftbefehl vor«, sagt die Richterin nach der Urteilsbegründung. Von der letzten Strafe aus dem Oktober 2021, 30 Tagessätze zu 15 Euro, seien bislang nur 15 Euro eingegangen. 435 Euro und die Gerichtskosten sind noch offen. »Da sind noch 29 Tage zu verbüßen. Die Wachtmeister werden Sie jetzt abführen.« Es folgt eine Verhaftung im Gerichtssaal.

    Wie es mit den Angeklagten nach dem Urteil weitergehen wird, ist nicht Gegenstand der Gerichtsverfahren. Darum müssen sich Richterinnen und Richter nicht kümmern, und daher muss es sie auch nicht interessieren, wie die Verurteilten eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen – die etwa zwei Netto-Monatseinkommen entsprechen – aufbringen sollen. Sie bekommen nicht mit, auf welche Schwierigkeiten die Menschen stoßen werden, die eben noch vor ihnen saßen. Sie erfahren nicht, dass die Verurteilten von der Bürokratie überfordert werden, dass die Versuche scheitern, Ratenzahlungen zu vereinbaren, dass die Möglichkeit, die Geldstrafe durch eine gemeinnützige Tätigkeit abzuarbeiten, nicht genutzt wird oder misslingt, dass es in manchen Fällen auch zu einer ersatzweisen Vollstreckung, also zu Gefängnis, kommen wird. Wenn Angeklagte vor Gericht von diesen Schwierigkeiten erzählen wollen, wird ihnen regelmäßig das Wort entzogen. »Das tut nichts zur Sache.« Die Richterinnen und Richter interessieren die Menschen einfach nicht.

    #Berlin #Tempelhof #Klassenjustiz

  • Gerichtsreportage: Es muss nicht immer Knast sein
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181308.klassenjustiz-gerichtsreportage-es-muss-nicht-immer-knast-sein.ht

    8.4.2024 von Niels Seibert - Beginnen wir mit einem Ratespiel. Am 11. Januar 2023 haben in Berlin zwei Gerichtsverhandlungen unmittelbar nacheinander im gleichen Saal bei der gleichen Richterin stattgefunden. In beiden Fällen sind die Angeklagten dreimal bei einem versuchten Ladendiebstahl erwischt worden. Die Ware ist jeweils im Geschäft verblieben, es ist kein Schaden entstanden. Beide stehen erstmals vor Gericht, sind nicht vorbestraft. Sie gestehen die Tat und entschuldigen sich in der laufenden Verhandlung.

    Das erste Verfahren läuft gegen eine deutsche Staatsbürgerin: Die Lehrerin hat 3400 Euro Nettoeinkommen. Sie hat bei Edeka beim ersten Mal Süßwaren und Hackfleisch, beim zweiten Mal Fisch und Wurst sowie bei einem dritten Mal Fleisch im Wert von etwa 36 Euro eingesteckt, ohne zu bezahlen. Gegen einen georgischen Staatsbürger, der auf Grundleistungen angewiesen ist und monatlich knapp 400 Euro erhält, wird das zweite Verfahren geführt. Er hat bei Galeria Kaufhof, Decathlon und Deichmann versucht, sich ein neues Paar Schuhe zu besorgen. 49,99 Euro hätten die Deichmann-Schuhe gekostet. Nun die Frage: Welche Urteile wurden in den beiden Verfahren gefällt?

    Für den im Kaukasus geborenen, arbeitslosen Angeklagten fordert die Anklägerin in ihrem Schlussvortrag aufgrund der »hohen Tatwerte«, gemeint ist der Wert der Schuhe, eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 15 Euro, insgesamt 2700 Euro. Die Lehrerin müsste bei dieser Höhe – 180 Tagessätze zu dem an ihr Einkommen angepassten Satz von 110 Euro – knapp 20 000 Euro zahlen. Unschwer zu erahnen: Es kam anders.

    Die angeklagte Lehrerin ist gleich zu Beginn eloquent aufgetreten. Das ist nicht üblich an dieser Außenstelle des Amtsgerichts Tiergarten, hier am Tempelhofer Damm, wo hauptsächlich gegen sozial benachteilige Menschen verhandelt wird. Als sie die Höhe ihrer monatlichen Einkünfte nennt, wird erstaunt aufgemerkt. Gutverdienende stehen hier nur äußerst selten vor Gericht. Ihre bevollmächtigte Rechtsanwältin führt dann in der Verhandlung aus, die Anklage habe Wirkung gezeigt, sei ein »heilsamer Schock« gewesen, ihre Mandantin sei geläutert. Sie regt eine Einstellung des Verfahrens an – mit der Auflage einer Zahlung an eine gemeinnützige Organisation. Die Staatsanwaltschaft ist einverstanden, man einigt sich auf 500 Euro. Das Verfahren wird ohne Urteil eingestellt.

    Das Urteil in der darauffolgenden Verhandlung gegen den georgischen Arbeitslosen fällt dagegen verhältnismäßig hart aus: Fünf Monate Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Es ist leicht zu bemerken: Wer reich ist, kommt bei Gericht gut weg, wer dagegen arm ist, dem droht Knast.

    Ersatzfreiheitsstrafe ist keine Lösung

    Ob diese Einzelfälle verallgemeinerbar sind und man von Klassenjustiz sprechen kann, lässt sich nicht belegen. In keiner anderen der 100 besuchten Verhandlungen in Tempelhof war eine so gutverdienende Person angeklagt. Das Ergebnis der Verhandlung, die Einstellung gegen Zahlung an eine gemeinnützige Organisation, gehört jedenfalls zu den seltenen Ausnahmen.

    In über 90 Prozent der verhandelten Verfahren kommt es zu Verurteilungen. In diesem Gerichtssaal am Tempelhofer Damm nimmt also alles seinen Anfang. Hier werden die Urteile gefällt über Angeklagte, die versucht haben, Lebensmittel im Supermarkt zu stehlen oder die den öffentlichen Personennahverkehr ohne gültigen Fahrschein genutzt haben. Mit ihren ohnehin sehr geringen Einkünften müssen sie nun noch eine Strafe abbezahlen und haben dadurch noch weniger Geld. Und wenn sie ihre Geldstrafe nicht zahlen können, müssen sie eine Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis absitzen. Jedes Jahr werden deshalb in Deutschland über 50 000 – vor allem ärmere – Menschen inhaftiert.

    Das wird als Problem erkannt. Deshalb gibt es Initiativen wie freiheitsfonds.de, die Betroffenen finanziell helfen, oder die Anregung der Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers aus dem vergangenen Jahr, die Tagessatzhöhe für Mittellose auf fünf Euro zu senken. Noch weiter geht die von der Linksfraktion 2023 im Bundestag vorgeschlagene Orientierung am Einbußeprinzip, das eine Geldstrafe vorsieht, die neben der Lebensführung beglichen werden kann. Bei Personen, die am Existenzminimum leben, können dies auch sehr geringe Beträge ab einem Euro pro Monat sein.

    Zu den Reformen gehören auch die 2023 vom Bundestag beschlossene Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafen und die angestrebte Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein durch Streichung des im Nationalsozialismus eingeführten Paragrafen 265a StGB. Aber all das wird nichts Grundsätzliches daran ändern, dass weiterhin mittellose Menschen wegen Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl verurteilt werden. Die Armutsbestrafung – wie sie kritisch genannt wird – geht weiter.

    Läden und Verkehrsbetriebe

    Neben dem Gesetzgeber könnten auch die Geschäfte und Verkehrsgesellschaften einen anderen Umgang finden. Bei allen Diebstahlversuchen konnte die Ware weiter verkauft werden. In keinem der Fälle erlitt der Laden ein Verlust. Im Gegenteil, manchmal zahlen die auf frischer Tat Ertappten eine »Vertragsstrafe«, auch »Fangprämie« genannt, bei Edeka in Höhe von 100 Euro, bei Rossmann 75 Euro. Die Geschäfte könnten nach dieser Zahlung von einer Anzeige absehen und damit weiteres Unheil verhindern. Das tun sie aber oft nicht. So kommt es zu einer Anklage, einem Prozess und einer zweiten Geldstrafe, dieses Mal durch ein gerichtliches Urteil.

    Über das Berliner Neun-Euro-Ticket für Sozialleistungsbeziehende sind die wenigsten der Angeklagten informiert, die bei einer Ticketkontrolle erwischt wurden. Sie legen stattdessen dem Gericht auf Nachfrage oft ein teureres Monatsticket, auch mal ein überteuertes Touristenticket oder mehrere Einzelfahrscheine vor und belegen damit, dass sie inzwischen nicht mehr ohne Fahrschein fahren. Mit dem Kauf dieser kostspieligen Tickets schenken sie der BVG Geld, weil sie die günstigste Ticketvariante offensichtlich nicht kennen oder die für das Sozialticket notwendige Beantragung einer Kundenkarte für sie zu kompliziert ist.

    Aus der Zeit des bundesweit gültigen Neun-Euro-Tickets von Juni bis August 2022 gab es übrigens so gut wie keine Anklagen. Die Anklagen wegen »Erschleichens von Leistungen«, wie sich dieser Straftatbestand nennt, konzentrierten sich auf die Monate bis Mai und dann wieder ab September 2022. Unabhängig davon, ob in der Zeit auch weniger Kontrollen stattfanden, weist dieses Phänomen womöglich auf einen Ausweg aus der Misere: Ein öffentlicher Personennahverkehr mit einem bekannten, preisgünstigen und einfach zu erwerbenden Monatsticket könnte solche Anklagen und Verurteilungen reduzieren.
    Lehrreiche Ausnahme: Ein Freispruch

    Der einzige Freispruch, den es in den 100 besuchten Verhandlungen gab, verdient eine Würdigung. Es ist ein besonderer Gerichtstermin. Herr G. erscheint an diesem Januarmorgen mit seinem gesetzlichen Betreuer und seinem Rechtsanwalt. Außerdem sind drei Zeugen geladen: zwei BVG-Kontrolleure und die Schwester des Angeklagten. So viele Beteiligte gibt es selten bei einem Verfahren hier am Tempelhofer Damm.

    Der 1989 geborene G. hat einen Hauptschulabschluss. Er bezieht Bürgergeld und bemüht sich gerade um einen Job als Landschaftsgärtner auf einem Friedhof. Diesen würde er gerne ausüben, sagt er, weil er nicht mit Menschen klarkomme und an diesem Arbeitsort wenig Kontakt mit ihnen hätte. Seit seinem 19. Lebensjahr hat er einen gesetzlichen Betreuer, weil – so formuliert es G. – er selbst »nicht gut mit Geld umgehen« könne. »Ich vergesse sehr viel«, gibt er zu.

    Um seine Finanzen kümmert sich ein Betreuer. Dieser hat errechnet, dass G. nach Abzug seiner laufenden Kosten – beispielsweise Strom – im Monat noch 280 Euro zur Verfügung hat. Davon muss G. noch eine Strafe in monatlichen Raten von 50 Euro abzahlen. Somit bleiben weniger als 60 Euro pro Woche für Ernährung, Kleidung, Körperpflege und andere persönliche Bedürfnisse. Das ist die Lebensrealität vieler hier Angeklagter.

    In den vergangenen 18 Monaten wurde er dreimal in Berliner U- und Straßenbahnen ohne Fahrschein angetroffen. Er hat jedoch seit zwei Jahren durchgehend eine Monatskarte, berichtet sein Betreuer, diese aber offenbar nicht mitgeführt. Warum er sie dann nicht nachträglich bei der BVG vorgelegt habe, fragt der Richter. »Das kostet auch sieben Euro Bearbeitungsgebühr«, antwortet der Betreuer. Sieben Euro zahlen sei besser als ein Strafverfahren, kommentiert der Richter. »So weit hat Herr G. nicht gedacht«, meint der Betreuer.

    Die beiden geladenen Zeugen der BVG können sich aufgrund ihrer zahlreichen Fälle erwartungsgemäß an den Angeklagten nicht erinnern – und damit auch nicht an seine Äußerungen, warum er bei der Kontrolle kein Ticket dabei hatte.

    Seine jüngere Schwester, Büroangestellte in Berlin, berichtet im Zeugenstand, dass er einen gültigen Fahrschein hatte: »Seit Oktober vor jetzt über zwei Jahren kaufe ich für ihn die Monatskarten. Er holt sie sich bei mir ab oder wir kaufen zusammen eine.« Warum sie das tue, fragt der Richter nach. »Soll ich ehrlich sein? Dummheit. Er ist verplant und verpeilt. Er vergisst sein Portemonnaie. Er weiß nicht, welcher Wochentag ist. Wir arbeiten daran, es wird besser.« Wenn sie mit ihm weggeht, frage sie ihn immer: »Handy, Schlüssel, Portemonnaie – hast du alles dabei?«

    Vorbildliche geschwisterliche Hilfe

    So unterstützt sie ihn seit über zwei Jahren. Anlass waren seine letzte Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Fahrens ohne Fahrschein und ihre Feststellung, dass er aus dem Teufelskreis ohne Hilfe nicht allein herauskommen kann. Da er nachweislich einen Fahrschein hatte, beantragten Staatsanwaltschaft und Verteidiger einen Freispruch. Der Richter folgt den Plädoyers.

    Das Beispiel zeigt, dass eine verbindliche und regelmäßige Unterstützung mehr helfen kann als wiederholte Strafanzeigen und gerichtliche Strafen. Diese Schwester, die sich ihres schusseligen Bruders angenommen hat, ist die einzige Heldin in all den überwiegend traurigen Gerichtsgeschichten vom Tempelhofer Damm. Sie kümmert sich beispielgebend um ihren Bruder, hat ihm vermutlich den guten Betreuer besorgt und nach der erneuten Anklage auch den souveränen Rechtsanwalt.

    Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind hier jedoch die Ausnahme: Weniger als zehn Prozent der Angeklagten werden anwaltlich vertreten. Nur wegen eines solchen Rechtsbeistands kam es in den 100 beobachteten Fällen überhaupt zu Verfahrenseinstellungen, die äußerst selten sind – wie im Beispiel der Lehrerin. Ohne juristische Verteidigung ist eine Verurteilung so gut wie sicher.

    Der erste Teil dieser zweiteiligen Reportage erschien am 6. April in »nd.Die Woche«. Ein Kommentar des Geschäftsführers des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), Lukas Theune, zu diesen Verfahren ist ebenfalls erschienen.

    #Berlin #Tempelhof #Klassenjustiz

  • Kollwitzplatz in Berlin: Wo sich reiche Eltern die Kante geben
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/kollwitzplatz-in-berlin-wo-sich-reiche-eltern-die-kante-geben-li.22


    Wer am grumpy Crêpes-Verkäufer scheitert, muss auf die süße Leckerei verzichten. Klara Bezug für Berliner Zeitung am Wochenende

    13.04.2024 von Clint Lukas - Ich habe fünf Jahre lang jeden Sonnabend als Currywurst-Verkäufer auf dem Wochenmarkt am Kollwitzplatz gearbeitet. Habe Sekt und Pommes mit Trüffelmayo an Touristen und neureiche Menschen aus Prenzlauer Berg verkauft, bei Regen und Hitze und Schnee. Man könnte sagen, ich kenne diesen Markt in- und auswendig. Natürlich nur aus der Froschperspektive.

    Denn wenn so ein Personal Branding Coach mit schwäbischem Dialekt und 300.000 Euro im Jahr erst mal vor einem steht, frühmorgens, am Anfang der Schicht, dann erkennt man recht schnell, wo der Bauer den Most holt. Da wird einem klar, dass man nur die Currysau ist, ein bisschen origineller als ein Hausangestellter, aber auf derselben gesellschaftlichen Stufe rangierend.

    „Ich krieg eine Portion Pommes“, verkündet der Coach im Feldherrenton. „Und noch eine kleine Portion dazu, aber ohne Salz, für meinen Sohnemann hier.“

    Der Blick auf den Sohnemann ist zum Glück vom Tresen blockiert, wenigstens das bleibt einem erspart. Und so könnte es dann acht bis zehn Stunden weitergehen – ein Trauerspiel über den armen Arbeiter, der von bornierten Bürgern gequält wird. Wäre das der Fall gewesen, ich hätte niemals fünf Jahre lang durchgehalten. Warum sollte man sich so etwas antun? Fakt ist aber: Wir durften zurückfeuern, wenn uns danach war. Einem tollen Chef und vielleicht auch dem Berliner Hausrecht sei Dank.

    Die Möchtegern-Côte d’Azur Ost-Berlins

    „Erst mal heißt das: Ich hätte gern, und nicht: Ich krieg eine Portion Pommes. Und zweitens wird dein Kind das bisschen Salz schon vertragen. Du kannst es ja nicht vor allem beschützen.“ Bei der ersten derartigen Entgegnung sind Leute wie der Personal Branding Coach naturgemäß not amused. Man könnte annehmen, dass sie nie wieder auftauchen werden, dass man sie ein für allemal los ist. Doch das Erstaunliche: Sie kommen wieder. Und zwar immer wieder.

    Es ist mein bescheidener, über eine Reihe von Jahren gewonnener Eindruck, dass betuchte Prenzlinger es genießen, sich einmal pro Woche von formell Untergebenen übers Maul fahren zu lassen. Man kann das vielleicht mit der Maskenball-Tradition im Feudalismus vergleichen. Tief in sich drin wissen sie, dass sie als invasive Spezies hier eingefallen sind und wie die Schlingpflanzen alles aus dieser Stadt rausgewürgt haben, was mal cool war. Sie wollen deshalb bestraft werden. Deshalb holen sie sich gewissenhaft jeden Sonnabend ihre Portion Berliner Schnauze ab und empfehlen das ihren Freunden als besonders authentisches Erlebnis. Kann man es ihnen verdenken? Wir wollen doch alle abseits der ausgetretenen Pfade wandeln.

    Der Currystand wird inzwischen nicht mehr von meinem tollen Ex-Chef betrieben und hat dadurch sowohl seinen Charme als auch den pädagogischen Auftrag verloren. Doch zum Glück gibt es Ersatz. Hundert Meter die Kollwitzstraße runter in Richtung Senefelderplatz findet man ihn, neben dem Stand mit fränkischem Brot und dem Wollschwein-Metzger: den grumpy Crêpes-Verkäufer.

    Er wurde erst unlängst so getauft, vom gleichen Schlag Kunden, die aus Bremen und Tübingen anreisen, um sich mit wohligem Grausen schuhriegeln zu lassen. Denn das ist wirklich ein hundsgemeiner Knochen. Unbestechlich, gerecht, gnadenlos. Zufällig kenne ich ihn ganz gut und verbringe gern ein bis zwei Stunden in seiner Nähe.
    Heute leider nicht – wer hier einen Crêpe bekommt, entscheidet nicht die Kundschaft

    „Ein Crêpe mit Nutella“, trägt ihm eine distinguiert wirkende Dame um die sechzig auf.

    Daraufhin er: „Gnädige Frau. Sie haben schon ein paar Jahre auf diesem Planeten verbracht, genauso wie ich. Ist es da wirklich zuviel verlangt, hallo oder bitte zu sagen?“

    Ihre Mimik erstarrt zum Gletscher. „Ich bin nicht hier, um höflich zu sein“, sagt sie.

    „Alles klar“, sagt er. „Und ich bin nicht hier, um Geld zu verdienen.“

    In der Folge wird die Verblüffte ihres Platzes vor seinem Stand verwiesen. Die Schlange rückt ungerührt nach. Ab Mittag ist sie oft zwanzig bis dreißig Kunden lang. Man dürfte annehmen, dass die Viertelstunde Wartezeit reicht, sich im Vorfeld für das Gewünschte zu entscheiden.

    „Jaaa ... also ich glaube, hm ... Ich glaube, ich nehme einen mit Zimt und Zucker.“

    Der grumpy Crêpes-Verkäufer kommt dem Auftrag wortlos nach.

    „Und du, Calvin? Calvin! Ich hab jetzt einen Eierkuchen mit Zimt und Zucker genommen. Willst du auch einen haben? Du musst deutlicher sprechen! Ach, wirklich? Ist dir das nicht zu ... Na, gut. Dann noch einen mit Käse und Schinken.“

    Woraufhin mein Freund den bereits fertigen Crêpe in die Mülltonne feuert und Calvin sowie seinen junggebliebenen Ü50-Daddy zum Teufel schickt. Lebensmittelverschwendung in Prenzlauer Berg! Und das nur, weil man den Domestiken nicht schnell genug sagt, was sie tun sollen. Dieser Ort ist besser als jede Instant-Karma-Compilation auf YouTube.

    Obwohl das jetzt auch nicht zu biestig daherkommen soll. Man muss sie auch lieb gewinnen, diese Gestrandeten. Die aus ihren engen, protestantischen Dörfern flohen, um die Welt zu erobern, und die sich hier längst eine viel schlimmere Hölle geschaffen haben. Altbau-Eigenheim, Frau, Kinder und SUV. Letzten Endes sind sie genau so kaputt wie ich. Der vielleicht besser nach Berlin passt, aber auch nur ein Zugezogener ist.

    Jedenfalls rührt es mein Herz zu sehen, wie etepete sie morgens um zehn die Szene betreten. Der Kollwitzplatz als die Côte d’Azur Ost-Berlins. Alles dreht sich um den Nachwuchs, ums wohlfeile Networking. Man checkt die Nachbarn ab, die Kollegen, die Frau des Kollegen. Und jeder fühlt sich dem anderen überlegen.

    Doch sobald sie ein, zwei Flaschen Grauburgunder im Turm haben, kullern sie auf dem Spielplatz herum, pissen in Hecken, werden laut und gewöhnlich. Der Nachwuchs, komplett unbeaufsichtigt, schlägt sich gegenseitig munter mit Schaufeln die Schädel ein. Doch keine Sorge: Was auf dem Kollwitzmarkt passiert, bleibt auf dem Kollwitzmarkt. Denn nächste Woche geht alles von neuem los.

    #Berlin #Prenzlauer_Berg #Kollwitzplatz #Kollwitzstraße #Senefelderplatz

  • Betrug auf Uber, Bolt und Freenow: Legt den Sumpf trocken mit einem höheren Mindestlohn!
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/betrug-auf-uber-bolt-und-freenow-legt-den-sumpf-trocken-mit-einem-hoher

    14.3.2024 von Benedikt Schmidt - Viele Uber- und Bolt-Fahrer betrügen den Staat um Steuern. Doch Repression löst nicht das Grundproblem, dass sich Menschen illegale Arbeit suchen, wenn sie nicht genug Geld verdienen.

    Uber, Bolt und andere Mobilitäts-Apps haben mit Billigpreisen erreicht, dass sich unter ihnen eine organisierte Betrügerei aufbläht. Nach Recherchen des Tagesspiegels und des „rbb“ sind in Berlin Hunderte Fahrer ohne Lizenz unterwegs. Mietwagenfirmen, bei denen sie angestellt sind und an die Uber und Co. Fahrten vermitteln, begehen offenbar systematisch Steuer- und Sozialbetrug. Als Gegenmittel könnte eine sehr einfache Maßnahme helfen: ein höherer Mindestlohn.

    Dieser liegt derzeit bei mickrigen 12,41 Euro pro Stunde. Angesichts der hohen Teuerung – die zwar zurückgeht, aber Supermärkte senken ja deshalb ihre Preise nicht – haben schon Alleinstehende am Monatsende Geldsorgen, sie können nichts ansparen. Noch verheerender ist die Situation für Personen, die für Bekannte oder eine Familie mitverdienen, viele müssen das Gehalt mit Bürgergeld aufstocken. Da liegt es nahe, ins Auto zu steigen und schwarzzuarbeiten. Ein höherer Mindestlohn wirkte dem entgegen, weil der existentielle Druck abnähme.

    Nun könnte man einwenden, Kriminelle scheren sich nicht um Mindestlöhne, sie hinterzögen ohnehin Steuern. Das Argument ist nicht falsch, natürlich brauchen wir schärfere Kontrollen durch Zoll und Polizei, und die Aufsichtsbehörde Labo muss endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und nicht jedem Hansbambel in der Stadt Lizenzen für seine Fahrzeugflotte erteilen. Aber Repression löst das Grundproblem nicht: Menschen werden sich weiter illegal Arbeit suchen, wenn sie in vielen Branchen nicht genug Geld verdienen.

    Diese Malaise werden auch Mindestpreise für die Mietwagenfirmen nicht lösen, wie sie das Taxigewerbe vorschlägt. Denn wenn die Unternehmen Steuern hinterziehen, können sie die Taxis weiter unterbieten. Von einem höheren Mindestlohn profitierten hingegen auch die Taxifahrer, von denen sich die meisten am unteren Rand der Einkommensskala befinden.

    Mehr Mindestlohn machte Taxifahrten vielleicht teurer und er könnte das Geschäft von Uber und Co. in Deutschland zerschlagen. Na, und? Dann fahren wir alle endlich öfter mit dem öffentlichen Nahverkehr, eine Branche, in der die Gewerkschaften einen hohen Organisierungsgrad haben und für ordentliche Tariflöhne sorgen. Die jetzt in illegalen Autos sitzenden Fahrer könnten vielleicht bald Busse lenken und so das Fachkräfteproblem der BVG der Deutschen Bahn lindern.

    Benedikt Schmidt befasst sich seit Wochen intensiv mit den Machenschaften der Mietwagenfirmen.

    #Berlin #Uber #Mindestlohn

  • Uber, Bolt und Co.: Jedes fünfte vermittelte Auto in Berlin fährt illegal
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/uber-bolt-und-co-jedes-funfte-vermittelte-auto-in-berlin-fahrt-illegal-

    20.2.2024 von von Constanze Nauhaus - Ohne Konzession unterwegs: In etwa 1000 über Mobilitäts-Apps vermittelten Fahrzeugen würden Nutzer ohne Versicherungsschutz befördert, ergeben Medienrecherchen.

    In Berlin sollen mindestens 1.000 über Mobilitäts-Apps vermittelte Autos ohne Konzession fahren. Das ergibt eine Recherche von rbb24. Demnach sei etwa jedes fünfte Fahrzeug, dass über Bolt, Freenow oder Uber gebucht werde, illegal unterwegs.

    Zugelassen sind in Berlin 4.500 Fahrzeuge, die im Auftrag von Mietwagenfirmen unterwegs sind. Die Plattformen vermitteln diese Wagen dann wiederum an die Nutzer. Hinzu kommen die besagten 1.000 Autos ohne Konzession. Diese Zahl stammt vom zuständigen Referatsleiter beim Landesamt für Bürger und Ordnungsangelegenheiten (LABO), Günter Schwarz: „Wir gehen davon aus, dass es eine Form der organisierten Kriminalität ist“, sagte dieser dem „Rbb“.

    Eigentlich regelt eine im August 2023 geschlossene Vereinbarung zwischen dem Berliner Senat und den Anbietern, dass nur noch geprüfte Mietwagenfirmen vermittelt werden dürfen. Allerdings galt diese Regelung nicht für den Bestand. Alexander Mönch, für die Plattform Freenow zuständig für Deutschland, fordert eine nachhaltige Lösung, eine Kontrolle aller Firmendaten. Sonst steige Freenow aus diesem Geschäft aus.

    Für Nutzer bedeutet das, im Zweifelsfall ohne Versicherungsschutz zu fahren, warnt Simon Götze von der Verbraucherzentrale Berlin. Denn wenn ein Mietwagen nur privat statt gewerblich versichert sei, bestehe auch kein Versicherungsschutz für das Fahrzeug. (Tsp)

    #Berlin #Uber #LABO

  • Uber und Bolt einigen sich mit Berliner Aufsichtsbehörde: Datenabgleich könnte das Ende der Schattenwirtschaft einläuten
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/uber-und-bolt-einigen-sich-mit-berliner-aufsichtsbehorde-datenabgleich-

    14.3.2024 von Benedikt Schmidt - Nach langem Hin und Her und angeblichen Datenschutzbedenken wollen die großen Mobilitäts-Anbieter ihre Bestandsdaten mit der Aufsichtsbehörde teilen. Medienberichte deckten zuvor ein großes Betrugssystem auf.

    Die Plattformen Uber, Bolt und Freenow werden der Berliner Aufsichtsbehörde, dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo), Einsicht in ihre Bestandsdaten gewähren. Darauf haben sich Vertreter der Unternehmen am Donnerstag mit der Labo-Direktorin Kirsten Dreher geeinigt. Medienberichte hatten zuvor aufgedeckt, dass in der Hauptstadt bis zu 2000 Fahrzeuge ohne Lizenz auf Mobilitäts-Apps buchbar sind.

    Ein Sprecher der Senatsverkehrssenatsverwaltung bestätigte die Einigung auf Anfrage. Vor allem Uber und Bolt hatten zuvor Datenschutzbedenken geäußert. Im Februar begannen sie schließlich, neue Daten an die Aufsichtsbehörde zu schicken. Die jetzt gefundene Einigung bezieht sich auf ihren gesamten Datensatz. Stichtag für den Abgleich soll nach Informationen des Tagesspiegels der 1. April sein.

    2000 Fahrzeuge ohne Lizenz waren zuletzt auf den bekannten Mobilitäts-Apps in Berlin buchbar.

    Ziel des Vorgangs ist es, Firmen herauszufiltern, die nicht beim Labo gelistet sind oder gar nicht existieren und den Plattformen mutmaßlich gefälschte Dokumente vorgelegt haben.

    Wer bei Uber und Co. legal Fahrten anbieten möchte, muss in Deutschland ein Mietwagengeschäft betreiben und seine Fahrzeugflotte bei einer Aufsichtsbehörde anmelden. In Berlin ist das Labo zuständig. Nach Prüfung des Unternehmens erteilt die Behörde sogenannte Konzessionen, die erlauben, mit den Mietwagen gewerblich Personen zu befördern. Die Fahrer sind bei diesen Firmen angestellt und benötigen einen Personenbeförderungsschein.

    Kritik an der passiven Rolle der Plattformen

    Uber, Bolt und Freenow erklären immer wieder, nur Fahrdienstvermittler zu sein. Die Plattformen verdienen mit einer Provision an jeder vermittelten Fahrt. Ihre Algorithmen berechnen den Fahrpreis, der im Gegensatz zum tarifgebundenen Taxigewerbe flexibel ist und auf dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage beruht.

    Kritiker monieren, dass sich die Plattformen auf ihrer Rolle als Vermittler ausruhten und dass ihre Billigpreise auf Steuer- und Sozialbetrug basierten.

    Wir haben in konstruktiver und einvernehmlicher Atmosphäre eine Lösung gefunden, die nachhaltig tragfähig ist. Thomas Mohnke, Generalunternehmer für Uber

    Thomas Mohnke ist der Generalunternehmer für Uber – eine Art Subunternehmer, der alle Fahrten, die bei Uber eingehen, an Hunderte Mietwagenfirmen allein in Berlin weiterleitet. Nach dem Treffen mit Labo-Direktorin Dreher sagte er dem Tagesspiegel, spätestens Mitte April werde es keine illegalen Fahrzeuge mehr auf den Plattformen geben. „Wir haben in konstruktiver und einvernehmlicher Atmosphäre eine Lösung gefunden, die nachhaltig tragfähig ist.“

    Uber und die Konkurrenzplattformen würden bis dahin jedes Unternehmen gesperrt haben, das nicht über alle notwendigen Genehmigungen verfüge. Laut Mohnke betrifft die Einigung auch Firmen, die ihre Fahrzeuge in brandenburgischen Anrainergemeinden konzessioniert haben. Dort sind andere Aufsichtsbehörden als das Labo zuständig.

    Offiziell sind in Berlin rund 4400 Mietwagen und 5600 Taxis zugelassen. Hinzu kommen nach Schätzungen von Branchenkennern zwischen 1000 und 2000 illegale Fahrzeuge sowie etwa 2000 Autos mit einer Brandenburger Konzession. Vorgeschrieben ist, dass ein Mietwagen nach jeder Fahrt an den Betriebssitz zurückkehrt. Doch kaum ein Fahrer in Berlin soll sich daran halten – schon gar nicht, wenn der Betriebssitz in Neuruppin liegt.

    #Berlin #Uber #LABO

  • Kampf gegen Steuerbetrug in Berlin: Gibt Bolt Mietwagenfirmen die Möglichkeit, eine Behördenkontrolle zu umgehen?
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/kampf-gegen-steuerbetrug-in-berlin-gibt-bolt-mietwagenfirmen-die-moglic

    21.3.2024 von Benedikt Schmidt - Bolt muss Daten von Mietwagenfirmen mit der Ordnungsbehörde teilen, um Anbieter ohne Lizenz zu überführen. Doch zuvor holt die Plattform deren Zustimmung ein.

    Die Mobilitätsplattform Bolt gibt womöglich illegal operierenden Mietwagenfirmen die Möglichkeit, die anstehende Datenübermittlung an Berlins zuständige Aufsichtsbehörde Labo (Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten) zu umgehen. Das legt eine E-Mail nahe, die Bolt am Mittwoch an die bei Bolt registrierten Flottenbesitzer verschickt hat.

    Hintergrund des Schreibens ist, dass Bolt zum 1. April die Daten von Mietwagenfirmen mit der Ordnungsbehörde teilen muss, um Anbieter ohne Lizenz zu überführen. So soll gegen Steuerbetrug im Mietwagengeschäft vorgegangen werden.

    Die Mail an die Anbieter liegt dem Tagesspiegel vor. Bolt, heißt es darin, bitte um „Einverständnis“, die bei sich hinterlegten Daten mit der Aufsichtsbehörde Labo zu teilen. „Wenn deine Fahrzeuge und dein Unternehmen eine gültige Lizenz besitzen, klicke auf EINVERSTANDEN“. Weiter heißt es: „Wenn du auf NICHT EINVERSTANDEN klickst, werden wir keine Daten mit dem LABO teilen, dein Unternehmen aber innerhalb der nächsten Wochen von der Vermittlung von Fahrten über die Bolt Plattform ausschließen“.

    Gibt ein Unternehmer ohne Lizenzen an, nicht einverstanden zu sein, könnte er sich der Kontrolle durch die Behörde wohl entziehen. Zumindest könnte er die „Umfrage“, wie Bolt sie nennt, so verstehen.

    Datenabgleich Anfang April

    Nach Schätzungen von Branchenkennern waren zuletzt bis zu 2000 Autos ohne Lizenz über die Mobilitäts-Apps von Uber und Co. in der Hauptstadt buchbar. Die Fahrgäste sind während der Tour mit einem solchen Wagen nach Einschätzung von Verbraucherexperten nicht versichert. In Deutschland vermitteln Uber und Bolt Fahrten an Mietwagenfirmen mit Angestellten, die einen Personenbeförderungsschein besitzen. In anderen Ländern fahren auch Freiberufler für die Konzerne durch die Gegend.

    Um die illegalen Unternehmer ausfindig zu machen, hatten sich Bolt und die Konkurrenten Uber und Freenow vergangene Woche einverstanden erklärt, ihre Datensätze an das Labo zu schicken, damit die Behörde diese mit den offiziell registrierten Mietwagenunternehmen abgleicht. Weil illegale Firmen mutmaßlich gefälschte Unterlagen bei den Plattformen eingereicht haben, würden sie bei dem Abgleich der Datensätze mutmaßlich auffliegen.

    Aufsichtsbehörde will den Sachverhalt untersuchen

    Versucht Bolt, die Zahl der illegalen Autos zu reduzieren, um nach der Datenabfrage am 1. April verkünden zu können, dass die Situation doch nicht so schlimm war, wie Experten behauptet hatten? Tino Schopf, der für SPD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, glaubt genau das. Er sagt, Bolt biete den Kriminellen „eine Hintertür zur Flucht“ an. „Ich bin kein Jurist, aber für mich ist das Beihilfe zur Steuerhinterziehung.“ Er lobt die Einigung mit dem Labo, kritisiert jedoch den Stichtag am 1. April: „Der Stichtag hätte der Tag sein sollen, an dem sich die Plattformen mit dem Labo an einen Tisch gesetzt haben.“

    Auf die Frage, warum das Labo den Datenabgleich nicht sofort durchführte, antwortet eine Sprecherin der Verkehrsverwaltung, dass die „personellen, organisatorischen und technischen Vorbereitungen“ einer Vorlaufzeit bedurft hätten.

    Ich bin kein Jurist, aber für mich ist das Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
    Tino Schopf, SPD-Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus

    Was die Behörde und die ihr übergeordnete Verwaltung von dem Vorgehen Bolts halte, drückt die Sprecherin so aus: „Es besteht nach der Vereinbarung des Labo mit den Vermittlungsplattformen keine Option, dass der Unternehmer selbst entscheiden kann, ob die Vermittlungsplattformen die Daten an das Labo übermitteln.“ Der Sachverhalt werde „umgehend mit der betroffenen Vermittlungsplattform geklärt“.
    Bolt offenbar nicht der Einzige

    Mit den Vorwürfen konfrontiert, schreibt ein Sprecher von Bolt, dass es für den Datenaustausch „bisher keine gesetzliche Pflicht oder Grundlage“ gebe. „Mit Blick auf geltende Datenschutzbestimmungen haben wir uns entschieden, vorab eine Einwilligung in die Datenübertragung einzuholen. Unternehmen, die dieses Einverständnis nicht erteilen, werden von der weiteren Nutzung unserer Plattform ausgeschlossen.“

    Im Gegensatz zu Bolt schließt Alexander Mönch, Präsident des Mobilitätsunternehmens Freenow, auf Anfrage aus, den Datenbestand seiner Plattform vorab zu bereinigen. „Aus unserer Sicht ist das kontraproduktiv, weil wir so Unternehmen, die kriminell arbeiten, vor dem Zugriff der Behörde schützen. Wir wollen nicht, dass die Firmen als Nächstes versuchen, die Methode mit gefälschten Unterlagen im Taxigewerbe zu wiederholen.“

    Doch auch SafeDriver, das Generalunternehmen für Uber, so etwas wie ein Subunternehmer, bietet Kriminellen offenbar einen Plan B: In einem Schreiben fordert die Firma Flottenbesitzer auf, eine neue Genehmigungsurkunde hochzuladen, diese Nachricht liegt dem Tagesspiegel ebenfalls vor. Darin heißt es, das Unternehmen werde „dieses Dokument“ mit dem Labo teilen – was ermöglichen könnte, dass kriminelle Firmen einfach kein neues Dokument hochladen und so der Überprüfung entgehen.

    Auf die Frage, ob der SafeDriver-Chef Thomas Mohnke mit dieser Methode versuche, Unternehmen ohne gültige Konzession von der Plattform zu entfernen, bevor die Daten mit dem Labo abgeglichen werden, antwortet er nicht. Stattdessen: „Wir passen unsere Prozesse stetig an und verbessern sie.“ Seine Firma werde „die in der Vereinbarung mit dem LABO festgelegten Informationen“ mit der Behörde teilen. Zu den Inhalten wolle er keine Angaben machen.

    #Berlin #Uber #Bolt #LABO

  • Betrug von Mietwagenfirmen auf Uber, Bolt und Co.: Gericht rüffelt Berliner Aufsichtsbehörde Labo
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/betrug-von-mietwagenfirmen-auf-uber-bolt-und-co-gericht-ruffelt-berline

    8.4.2024 von Benedikt Schmidt - Ein Unternehmer hatte ohne Betriebssitz Autos in der Hauptstadt herumfahren lassen. Ein Gericht bezweifelt, dass die Lizenz vom Amt jemals hätte erteilt werden dürfen.

    Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Verfahren um ein Mietwagenunternehmen, das Fahrten bei Bolt und Uber angeboten hatte, ohne über den dafür erforderlichen Betriebssitz zu verfügen, die zuständige Ordnungsbehörde Labo (Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten) deutlich kritisiert.

    Es bestünden Zweifel, dass der Firma „die Genehmigung für die Ausübung des Gelegenheitsverkehrs mit zehn Mietwagen (jemals) hätte erteilt werden dürfen. Nach Aktenlage gibt es deutliche Hinweise darauf, dass es an seiner finanziellen Leistungsfähigkeit mangelt“, heißt es in dem Beschluss, der dem Tagesspiegel vorliegt.

    Der Unternehmer hatte seine Flotte beim Labo angemeldet und dafür unter anderem eine Adresse mit Büroräumen und Stellplätzen angeben müssen. Als das Labo die vermeintlichen Räumlichkeiten besichtigte, fiel auf, dass diese gar nicht existierten. Das Gericht gab dem Labo insofern recht, als dieses dem Unternehmer die Lizenz daraufhin entzogen hatte – wogegen der Unternehmer klagte.

    4426 Mietwagen waren im Februar 2024 bei der Aufsichtsbehörde Labo gemeldet.

    Trotz der Bestätigung des Entzugs der Lizenz scheint das Gericht jedoch ernsthafte Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Labo zu haben. Dieses hätte die Liquidität des Unternehmens nicht auf Basis der von ihm eingesetzten Fahrzeuge berechnen dürfen, was „der Behörde bekannt sein dürfte“, heißt es in dem Beschluss. Und weiter: „Dass der Antragsteller über ein Vermögen im Wert von mindestens 13.500 Euro verfügt, ist nach Aktenlage nicht ersichtlich.“

    Freenow hat bereits Konsequenzen gezogen

    Der Fall ist deshalb aufsehenerregend, weil er ein Schlaglicht auf die Mietwagenfirmen wirft, die mit eigentlich ordentlicher Lizenz Fahrgäste durch die Stadt chauffieren. Medienberichte haben zuletzt aufgedeckt, dass in Berlin neben diesen legalen Firmen etliche illegale Fahrer mit Privatwagen unterwegs sind. Als Vermittler agieren Plattformen wie Uber, Bolt, Bliq und Freenow. Pro Tour kassieren sie eine Provision von den Mietwagenfirmen, die Fahrer mit Personenbeförderungsschein (P-Schein) beschäftigen.

    Weil selbst das Geschäft der lizenzierten Unternehmen in vielen Fällen wohl nur mit Steuervermeidung funktioniert, hat die Plattform Freenow, die 2019 in die Vermittlung von Mietwagen eingestiegen ist, vergangene Woche angekündigt, sich bis Ende des Jahres aus diesem Geschäftszweig zurückzuziehen. Der Freenow-Manager Alexander Mönch hatte durchgerechnet, dass viele Mietwagenfirmen die Taxikonkurrenz offenbar nur dauerhaft unterbieten können, wenn sie Geld am Finanzamt vorbeischleusen.

    Der Gerichtsbeschluss sieht in dem genannten Fall ebenfalls Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Verstößen „um ein systematisches Vorgehen handelt, auf dem das Geschäft (...) aufbaut“.
    Labo gesteht Fehler ein

    Auf Anfrage erklärt ein Sprecher der Verkehrsverwaltung, die dem Labo übergeordnet ist, dass es sich bei dem Fall um einen Bearbeitungsfehler gehandelt habe. Solche Fehler seien in Zukunft unwahrscheinlich, da die Behörde inzwischen ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt habe. „Alle Entscheidungen werden durch eine zweite Dienstkraft überprüft und freigegeben.“

    Auf die Frage, ob das Labo nun systematisch alle jemals erteilten Genehmigungen überprüfen werde, antwortet der Sprecher, dass dies „im Sinne einer vollständigen Revision“ derzeit nicht geplant sei.

    Immerhin sollen spätestens bis Ende des Jahres die Firmensitze aller 700 in Berlin registrierten Unternehmen besichtigt worden sein. Lange Zeit hatte sich die Behörde teilweise auf die Angaben der Antragsteller verlassen und Betriebssitze nur stichprobenartig kontrolliert, offenbar aus Personalmangel. Inzwischen habe das Labo aber genügend Mitarbeiter, um den Betriebssitz bei neuen Anträgen obligatorisch zu überprüfen, heißt es beim Amt.

    Der Verkehrspolitiker Tino Schopf (SPD), der sich als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses seit Jahren für das Taxigewerbe und gegen kriminelle Strukturen im Mietwagengeschäft engagiert, ist entsetzt, dass das Labo trotz des aus seiner Sicht eindeutigen Signals durch den Gerichtsbeschluss nicht alle Genehmigungen überprüfen will. „Das ist eine Bankrotterklärung“, sagt er.

    „Das Labo ist Teil des Problems und hat in weiten Teilen das Ausmaß des heute bestehenden kriminellen Sumpfes mitzuverantworten“, hatte er schon vor zwei Wochen in einem Brief an Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) geschrieben. Dieser liegt dem Tagesspiegel vor. Eine Antwort auf das Schreiben hat Schopf nach eigenen Angaben bislang nicht erhalten.

    Hatte er in diesem noch geschrieben, die Mitarbeiter des Labo seien mit ihrer Arbeit in den vergangenen Jahren wohl „fachlich und inhaltlich überfordert“ gewesen, nimmt Schopf den Gerichtsbeschluss jetzt zum Anlass, auch härtere Konsequenzen zu fordern: „Das Labo muss personell neu aufgestellt werden. Wenn nun schon ein Gericht feststellt, dass Genehmigungen nicht hätten erteilt werden dürfen, müssen die fachlichen Defizite groß sein.“

    Die Behörde scheint seit Veröffentlichung zahlreicher negativer Medienberichte mittlerweile um Schadensbegrenzung bemüht zu sein. Im März hatte Labo-Direktorin Kirsten Dreher nach Tagesspiegel-Informationen erstmals selbst mit den Plattformen Uber, Bolt und Freenow am Tisch gesessen und mit ihnen eine Vereinbarung zum Datentransfer vereinbart.

    Die Übereinkunft sieht vor, dass die Fahrdienstvermittler ihren gesamten Datensatz an die Behörde schicken müssen, damit diese illegale Firmen ohne Lizenz überführen kann. Der Datenabgleich wird voraussichtlich dazu führen, dass diese Firmen noch im Laufe des April von den Plattformen verschwinden werden.

    #Berlin #Uber #LABO #Justiz

  • Berlin-Schöneberg: Hauptstraße wird umgebaut – Ärgernis für Autofahrer
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/berlin-schoeneberg-hauptstrasse-wird-umgebaut-aergernis-fuer-autofa

    Nach Jahren schlecht durchdachter Verkehrspolitik grüner Senatorinnen werden begonnene Projekte zu Ende gebracht. Jetzt spricht wieder eine Senatorin mit allen, die Politik gegen die Hälfte der Berliner ist zum Glück beendet. Dabei wird auch die CDU Frau den privaten PKW-Verkehr nicht aus der Innenstadt verbannen, etwa durch eine sehr teure Mautgebühr. Nur eine derartige Maßnahme würde die Straßen wirksam entlasten und die Gefährdung der schwächeren Verkehrsteilnehmer effektiv verringern. Bis dahin ist der Weg noch weit im Land der Erfinder des Automobils.

    10.4.2024 von Peter Neumann - Der Platz für Autos wird halbiert, Radfahrer und BVG-Fahrgäste profitieren. Weitere Umgestaltungen von Magistralen wird es unter der CDU kaum noch geben.

    Noch ist es eine Horrorstrecke, sagt Ursula Epe. „Auf dieser Straße Rad zu fahren, ist lebensgefährlich“, klagt die Berlinerin. Auf der Hauptstraße in Schöneberg treiben Kraftfahrer Radfahrer in die Enge und die Stimmung ist aggressiv. Am Mittwoch wurde nun damit begonnen, einen 1200 Meter langen Abschnitt umzugestalten. Radfahrer und Bus-Fahrgäste werden profitieren, doch für Autofahrer halbiert sich der Platz. Es ist ein Vorhaben der Mobilitätswende, das auf Berlins Hauptverkehrsstraßen inzwischen Seltenheitswert hat, seitdem eine CDU-Politikerin Verkehrssenatorin geworden ist. Nachfolgeprojekte auf diesen Teilen des Straßennetzes sind kaum in Sicht.

    Aus zwei mach eins. Wo Autos zwei Fahrstreifen zur Verfügung standen, gibt es nur noch einen. Ein Ministau hat sich aufgebaut, der auf die Kreuzung Dominicusstraße reicht. Gegenüber der Dorfkirche Schöneberg gehen die angekündigten Markierungsarbeiten in die Vollen. Dort kann man sehen, wie die Hauptstraße von hier bis zum U-Bahnhof Kleistpark aussehen wird. „Wir teilen den Straßenraum anders auf, zugunsten der Radfahrer und der BVG“, erklärt Saskia Ellenbeck. Die Grünen-Stadträtin, die in Tempelhof-Schöneberg für die Straßen zuständig ist, ist zum Ortstermin gekommen.

    Bislang stehen auf diesem Teil der Bundesstraße 1 Kraftfahrzeugen zwei Fahrstreifen pro Richtung zur Verfügung. Die Busspuren für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) verlaufen am rechten Fahrbahnrand. Jetzt wandern die Busspuren in die Mitte, und künftig sind sie für Autos nicht nur montags bis freitags von 7 bis 18 Uhr, sondern an allen Tagen rund um die Uhr tabu. Rechts davon, am Rand, entstehen die geplanten Radfahrstreifen. Flexible Baken, Leitboys genannt, sowie Sperrpfosten, ebenfalls aus Plastik und rot-weiß gestreift, sollen die 2,25 Meter breiten Trassen vor Falschparkern schützen. Dem übrigen Kfz-Verkehr bleibt links ein Fahrstreifen pro Richtung.


    Ortstermin in der Hauptstraße in Schöneberg: Bezirksstadträtin Saskia Ellenbeck (Grüne) zeigt eines der Sperrelemente, die künftig die Radfahrstreifen am rechten Fahrbahnrand schützen sollen. Peter Neumann/Berliner Zeitung

    Saskia Ellenbeck macht nicht den Eindruck, als ob das für sie ein Problem ist. Schließlich gebe es in der Potsdamer Straße, die sich anschließt, für Autos heute schon nur einen Fahrstreifen pro Richtung, sagt sie. „In der Hauptstraße wird die Kapazität steigen.“ Denn die Radfahrstreifen werden dazu führen, dass viel mehr Radler als heute die Pendlermagistrale im Südwesten nutzen. Auch der Wirtschaftsverkehr profitiere: 19 Lade- und Lieferzonen entstehen – davon zwei in der Akazien- und der Albertstraße, wo Autostellplätze wegfallen. Teile der Busspuren werden montags bis freitags von 9 bis 14 Uhr zum Be- und Entladen freigegeben. Dann müssen die Busse wie heute Slalom fahren.

    Die Pläne für die Hauptstraße hatte der Bezirk noch unter Schreiners Vorgängerinnen von den Grünen mit dem Senat abgestimmt. Doch nach dem Wechsel in der Landesregierung im Frühjahr 2023 stellten die neue Senatorin und ihre Staatssekretärin Claudia Elif Stutz (ebenfalls CDU) auch dieses Projekt auf den Prüfstand. Das Netzwerk fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg und andere Organisationen riefen zu Demos auf, die Deutsche Umwelthilfe kündigte die Klage eines Bürgers an.
    Schöneberg: Warum der Umbau der Hauptstraße ein Jahr Verspätung hat

    „Wir mussten hart dafür kämpfen, dass wir dieses Projekt umsetzen können“, erinnert sich die Bezirksstadträtin am Mittwoch. Die Hauptstraße gehörte zu den Radverkehrsvorhaben, für die Schreiner und Stutz nach einigen Wochen grünes Licht gaben. Stand lange Zeit zu befürchten, dass der zugesagte Bundeszuschuss von 750.000 Euro verfällt, gelang es, das Geld ins Jahr 2024 zu retten. Wie vorgesehen, gibt Berlin 250.000 Euro dazu, der Bezirk finanziert die Asphaltarbeiten. Ellenbeck: „Wir gehen davon aus, dass im Sommer 2024 alles fertig ist“ – ein Jahr später als anfangs geplant.

    Mehr Platz für klimafreundlichen Verkehr, weniger Platz für Autos. Was unter Grünen-Senatorinnen offizielle Senatspolitik war, wirkt unter Manja Schreiner exotisch. Sicher, einige ältere Projekte werden noch abgearbeitet. Die Umgestaltung der Boelckestraße in Tempelhof, bei der die Senatsverwaltung Änderungen zugunsten des Autoverkehrs durchsetzte, wird nächste Woche abgeschlossen. In Schöneberg will die landeseigene Infravelo den Umbau der Grunewaldstraße in Angriff nehmen, bei dem Radfahrer ebenfalls mehr Platz bekommen sollen. Aus Mitte ist zu hören, dass die Beusselstraße in Moabit Radfahrstreifen bekommt. Baustart: noch im April 2024. In Friedrichshain-Kreuzberg stehen der Umbau der Gitschiner Straße und Radfahrstreifen am Stralauer Platz Nord und in der Stralauer Allee auf der Liste.

    Neue Vorhaben, die auf Berliner Hauptverkehrsstraßen grundlegende Umgestaltungen zur Folge haben werden, sind dagegen nicht in Sicht. Auch deshalb nicht, weil Schreiners Verwaltung sparen muss, um die Vorgaben von Finanzsenator Stefan Evers (CDU) zu erfüllen. In ganz Berlin spüren Verfechter der Mobilitätswende Gegenwind. Ein Beispiel aus Dahlem: Seitdem Christdemokraten die Pläne für geschützte Radfahrstreifen in der Thielallee kritisiert hatten, liegt das Projekt auf Eis. „Dabei ist alles vorbereitet“, sagte Emil Pauls vom Netzwerk fahrradfreundliches Steglitz-Zehlendorf. Für Studenten der Freien Universität sei das Projekt wichtig.
    Neue Radfahrstreifen in Mitte: Ein Projekt wird realisiert, ein anderes hängt

    In Mitte geht man davon aus, dass während dieser Wahlperiode auf keiner weiteren Hauptverkehrsstraße Verbesserungen für Radfahrer möglich sein werden (von der Beusselstraße abgesehen). Was mit der Torstraße passiert, wäre ebenfalls ungewiss, hieß es im Bezirksamt. Die Senatsverwaltung habe angekündigt, dass sie auch dieses Vorhaben überprüft. Dort sollte ursprünglich in diesem Jahr damit begonnen werden, Radfahrstreifen anzulegen. Dabei würden fast alle Autostellplätze entfallen.


    In der Hauptstraße haben die Markierungsarbeiten für die neuen Busspuren und die Radfahrstreifen begonnen. Im Sommer 2024 sollen die Arbeiten beendet sein. Kosten: mehr als eine Million Euro.

    Weil auf Hauptverkehrsstraßen bis 2026 im Sinne der Radfahrer fast nichts mehr geht, konzentriert sich auch Tempelhof-Schöneberg auf die Nebenstraßen – für sie sind die Bezirke zuständig. So sei für 2024 geplant, die Monumenten- und Langenscheidtstraße zu einer Fahrradstraße umzugestalten, sagte Saskia Ellenbeck. „Allerdings gibt es noch keine Finanzierung“ – wegen der Sparzwänge im Senat. Auch die Eschersheimer sowie die Belziger Straße stehen auf der Liste neuer Fahrradstraßen, so die Stadträtin.

    Saskia Ellenbeck ist bei ihrem Ortstermin am Richard-von-Weizsäcker-Platz in Schöneberg angekommen. „Hier wird es auch für Fußgänger sicherer“, so die Grünen-Politikerin. Der Senat passt die Ampelschaltungen so an, dass alle Fahrzeuge rotes Licht bekommen, wenn Fußgänger grün sehen. Nicht weit entfernt, an der Einmündung der Akazienstraße, hat die Hauptverwaltung die Planung dagegen verschlechtert, klagt Jens Steckel vom Netzwerk fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg. Anders als vorgesehen wird es keine Abbiegespur für Radfahrer geben, die links in die Akazienstraße wollen. Die Folge: Wie heute müssen Radfahrer absteigen und laufen.

    Frage eines Radpendlers: Ist der Umbau der Hauptstraße ein „Alibiprojekt“?

    Es gibt aber auch grundsätzliche Kritik am gesamten Umbauprojekt der Hauptstraße. „Auf der heutigen Busspur lässt sich entspannt Rad fahren“, sagte Andreas Schwiede, Radfahrer aus Marienfelde, im vergangenen Jahr der Berliner Zeitung. Wenn das Ordnungsamt dafür sorgen würde, dass Abschleppwagen die bestehenden Bussonderfahrstreifen konsequent von Falschparkern befreien, würde das mehr bringen, als das jetzt vorgesehene „Alibiprojekt“, das neue Konflikte schafft.

    Weil die heutige Regelung nur tagsüber gilt, parken abends und nachts viele Fahrzeuge auf den Busspuren, entgegnete Saskia Ellenbeck. Viele Autos stehen noch dort, wenn am Morgen um 7 Uhr wieder Busse dort fahren sollen, und behindern den BVG-Verkehr.

    „Unser Ordnungsamt kann nicht überall sein, es ist für 400 Kilometer Straße zuständig“, so die Stadträtin. Viele Radfahrer fühlten sich unwohl, wenn sie auf einer Busspur fahren und sich den Platz mit Bussen teilen müssen, erklärt sie. „Wir wollen Infrastruktur, die zum Radfahren einlädt. Was hier jetzt entsteht, ist eine echte Verbesserung.“

    #Berlin #Schöneberg #Hauptstraße #Verkehr #Politik #Stadtentwicklung

  • Einsturzgefahr: Wohnhaus in Schöneberger Goltzstraße evakuiert, mehrere Straßen gesperrt
    https://www.berliner-zeitung.de/news/wegen-einsturzgefahr-wohnhaus-in-schoeneberg-grunewaldstrasse-evaku

    Hier ist die Rede vom Haus Goltz-Grunewald, nordöstliche Ecke. Goltzstraße 1 / Grunewaldstraße 16.

    Alles privat, jeder ist für sich selbst verantwortlich und so braucht der Immobilienkonzern, dem das unbewohnbare Haus gehört, offenbar keinem Mieter eine Ersatzwohnung zu stellen. So ist das in Berlin, hier könnse überhöhte Mieten für Bruchbuden kassiern ohne irgeneine Verantwortung zu übernehmen.

    Wetten, dass hier in zwei oder drei Jahren ein schicker Neubau mit superteuren Eigentumswohnungen steht !

    10.4.2024 von Sophie Barkey, Elizabeth Rushton, Verena Zistler - Ein Haus an der Kreuzung von Grunewaldstraße und Goltzstraße droht zu kollabieren. Der Bereich um das Gebäude ist abgesperrt – darunter verläuft eine U-Bahnlinie.

    Mehrere Anwohner in Schöneberg haben am Mittwoch ihre Wohnungen verlassen, weil ihr Haus in der Goltzstraße, Ecke Grunewaldstraße, einzustürzen droht. Das bestätigte die Berliner Feuerwehr auf Anfrage der Berliner Zeitung. Ein Einsatzleiter hatte dort am Mittag die Lage geprüft. Weil das Gebäude jedoch auf einem privaten Grundstück steht und die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet sei, wurde die Zuständigkeit an das Bezirksamt und Bauamt weitergegeben. Das Gebäude weist sichtbare Risse in der Fassade auf, die Kreuzung ist gesperrt. Mehrere Schaulustige hatten sich dort nach Angaben einer Reporterin versammelt. Auch die Polizei war vor Ort.

    Bauarbeiter hatten laut einem Polizisten vor Ort am Mittwochmorgen bei den Sanierungsarbeiten im Erdgeschoss festgestellt, dass offenbar „alles marode“ war und sollen dann gemeldet haben, dass die Sicherheit des Eckteils des Hauses nicht mehr zweifelsfrei gegeben sei. Das Haus wurde schließlich evakuiert, nachdem auch ein Statiker das Haus begutachtet hatte.

    Wie der Polizist weiter sagte, werde das Haus nun zunächst gesichert, bis eine Baufachfirma feststellen kann, ob womöglich der Eckteil des Hauses abgerissen werden müsse. Erst nach der Bewertung einer Fachfirma soll klar werden, wann die Anwohner zurück in ihre Wohnungen können. Bis dann würden die meisten von ihnen bei Verwandten unterkommen, so der Polizist weiter.

    Nach Angaben des Hauseigentümers können neun Mieter zunächst ihre Wohnungen nicht nutzen. Sie würden in Ersatzunterkünften untergebracht, falls sie nicht bei Freunden oder Verwandten unterkommen könnten, teilte die Heimstaden Germany GmbH auf Anfrage mit. „Einen Zeitraum zu nennen, wie lange die Wohnungen nicht genutzt werden können, ist aktuell leider nicht möglich“, hieß es.

    Anwohner erfuhren am Vormittag von Evakuierung

    Von den Evakuierungen betroffen ist auch das junge Paar Ella und Claus (Namen von der Redaktion geändert). Die beiden wohnen seit sechs Jahren im betroffenen Haus. Erst am Mittwoch um 11 Uhr wurden sie von ihrem Vermieter informiert, dass die Sicherheit des Hauses gerade geprüft werde – da hieß es ihnen zufolge noch, sie sollten erstmal zu Hause bleiben. „Wir gehen davon aus, dass das nur eine Vorsichtsmaßnahme ist“, sagt Ella. Die Polizei hat sich dann gegen 17.30 Uhr bei den Einwohnern gemeldet, mit dem Evakuierungsbefehl und der Empfehlung für ein bis zwei Wochen einzupacken.

    „Hoffentlich werden wir aber viel schneller wieder zu Hause sein – wir drücken uns einfach die Daumen“, sagt Claus. Bis dann wird das Paar bei Freunden in Schöneberg übernachten, Claus hat auch Verwandte in Berlin. Ihre Wohnung befindet sich nicht im betroffenen Eckteil des Hauses, sondern im Gebäude daneben in der Grunewaldstraße, ihre Wohnung grenzt allerdings an den betroffenen Eckteil an. In ihrer Wohnung habe es nichts gegeben, das bei dem Paar Sorge ausgelöst hätte, so Ella. „Diese Risse und die bröckelige Fassade waren schon länger so“, sagt sie. „Das Haus ist einfach super alt – das wissen halt alle.“

    Heimstaden sind statische Probleme am Wohnhaus schon länger bekannt

    Nach Angaben von Heimstaden sind tatsächlich schon seit Längerem statische Probleme an dem Gebäude bekannt. Die Ursache dafür habe bislang nicht geklärt werden können, hieß es. Bereits seit Dezember 2023 werde ein sogenanntes Rissmonitoring durchgeführt, bei dem Veränderungen der auffälligen Risse im Mauerwerk beobachtet und dokumentiert würden, teilte das Unternehmen mit.

    Für das Ladenlokal in dem Eckhaus gebe es seit dem 3. April Sicherungsmaßnahmen. Zudem sei das Fundament untersucht worden. Bei einer erneuten Überprüfung habe dann der beauftragte Statiker am (heutigen) Mittwoch eine Ausdehnung der Risse entdeckt. „Danach haben wir unmittelbar die Bauaufsicht in Kenntnis gesetzt, die eine Teil-Sperrung des Gebäudes (Erkerbereich/Eckhaus) und Teile der Grunewaldstraße angeordnet hat“, teilte das Unternehmen weiter mit.

    Die zuständige Bezirksstadträtin Eva Majewski (CDU) zeigte sich erstaunt darüber, dass dem Unternehmen offensichtlich schon länger Probleme bekannt sind. „Ich höre das jetzt das erste Mal, dass das offensichtlich seit Jahren bekannt ist“, sagte Majewski in der RBB-Abendschau.

    U7 verläuft unter dem einsturzgefährdeten Haus: Geschwindigkeit verringert

    Unter dem Gebäude verläuft nach Informationen der Berliner Zeitung auch die U-Bahnlinie 7 der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Die Bahnen fahren daher als Vorsichtsmaßnahme derzeit mit deutlich verringerter Geschwindigkeit zwischen den naheliegenden U-Bahnhöfen Kleistpark und Eisenacher Straße, teilte ein BVG-Sprecher mit. Außerdem wird der Nachtbus N7 zunächst umgeleitet, andere Busse fahren dort nicht.

    Nach Informationen von vor Ort war am späten Nachmittag ein großer Bereich rund um das einsturzgefährdete Gebäude für Autos, Fußgänger und Radfahrende gesperrt. Betroffen ist die gesamte Kreuzung Grunewaldstraße/Goltzstraße/Akazienstraße. Wie die Berliner Verkehrsinformationszentrale auf Twitter-Nachfolger X am Mittag mitteilte, war auch die Hauptstraße von den Sperrungen betroffen. Eigentümer und Bezirksamt beraten nun über das weitere Vorgehen. Autofahrer müssen in dem Bereich weiterhin mit Behinderungen rechnen.

    #Berlin #Schöneberg #Goltzstraße #Grunewaldstraße #Immobilien #Wohnen #Kapitalismus

  • Mindesttarife für Uber, Bolt & Co.: Warum in Berlin die Fahrpreise steigen sollen
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mindesttarife-fuer-uber-bolt-und-co-warum-in-berlin-die-fahrpreise-

    Es geht los, die Uber-Festung beginnt mit dem Beschuß der Truppen, die sich zur Rückeroberung des von Sozialstaat und Verkehrsregeln befreiten Terrains formieren. Die Verminung des Terrains mit fragwürdigen Gesetzesänderungen, veralteten Rechtsauffassungen und Einbindung der Taxi-Aufsichtsbehörde in die eigenen Einflusszone war erfolgreich. Nun soll der erneut aufflammende Widerstand gebrochen werden. Ein Artikel der Berliner Zeitung berichtet aus dem Arsenal der Uber-Menschen.

    10.4.2024 von Peter Neumann - Um bessere Bedingungen für Taxis zu schaffen, will der Senat einen umstrittenen Schritt wagen. Doch nicht nur dieses Vorhaben zieht sich in die Länge.

    So einfach ist das: Wem ein Taxi zu kostspielig ist, der ruft per Handy einen Mietwagen mit Fahrer herbei. Meist ist der Fahrpreis bei Uber, Bolt und Freenow niedriger. Doch das soll sich ändern. Jetzt hat die Senatsverkehrsverwaltung ihren Plan bekräftigt, in Berlin Mindestfahrpreise für den Mietwagenverkehr einzuführen. Taxis und Mietwagen sollen gleiche Bedingungen haben. Allerdings zieht sich das Vorhaben in die Länge, wie eine Anfrage der Berliner Zeitung ergab. Die Branche kritisiert den Plan – und behält sich vor, gegen das Land vor Gericht zu ziehen. Der Ärger über das „Taxischutzgesetz“ ist groß.

    Mehr als zweieinhalb Jahre sind schon vergangen: Seit August 2021 gibt das Personenbeförderungsgesetz Städten und Landkreisen die Möglichkeit, bei den Tarifen für Uber, Bolt und Co. eine Untergrenze einzuziehen. So soll das Taxigewerbe vor Preisdumping bewahrt werden. Doch weil die Kommunen keine weiteren Vorschriften an die Hand bekamen, blieb auch Berlin vorsichtig und nutzte die neue Befugnis nicht. Nun will Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) den Schritt wagen. Die größte deutsche Stadt soll Vorreiter werden. Von einer Umsetzung im Sommer ist aber keine Rede mehr.

    Festpreise für Taxis in Berlin: Was Fahrgäste beachten sollten

    „Die Vorbereitung der Einführung von Mindestpreisen im Mietwagenverkehr läuft“, sagte Schreiners Sprecherin Britta Elm. Wenn ein Fahrgast eine Taxifahrt bestellt, bekommt er auf Wunsch einen verbindlichen Tarif genannt, auf den er sich verlassen kann. Taxinutzer sollten aber eines beachten: Wie in München kann der Festpreis nicht nur um bis zu zehn Prozent unter, sondern auch um bis zu 20 Prozent über dem Basistarif liegen. Das soll es der Taxibranche ermöglichen, wie ihre Konkurrenz flexibel auf Angebot und Nachfrage reagieren zu können. Hieß es bislang, dass die Regelung im ersten Quartal 2024 eingeführt wird, nennt die Verwaltung derzeit kein Datum mehr.


    Warten auf Fahrgäste: 2019, im letzten Jahr vor Corona, waren im Dezember in Berlin 8044 Taxikonzessionen vergeben. Ende Februar 2024 waren in Berlin noch 5626 Taxis registriert.

    Was in der zweiten Stufe geschehen soll, steht aber bereits fest: Wenn es die Festpreisoption gibt, will der Senat ermitteln lassen, wie sie sich auf die Nachfrage nach Taxifahrten auswirkt. Die Ergebnisse sollen in das Vorhaben einfließen, das als Nächstes vorgesehen ist: Mindestpreise für den Mietwagenverkehr in Berlin. Deren Einführung werde „voraussichtlich zum Jahresende realistisch sein“, kündigte Elm auf Anfrage an.

    Zuletzt war davon die Rede, dass die Preis-Untergrenze früher kommen sollte. Doch die Juristen wollen das Vorhaben rechtssicher vorbereiten. Denn sie wissen, dass es Gegenwind geben wird, und rechnen mit Gerichtsverfahren. Einer der App-Betreiber, das estnische Unternehmen Bolt, spricht das offen aus. „Wir gehen von der Rechtswidrigkeit eines Mietwagenmindestpreises zum wirtschaftlichen Schutz des Taxigewerbes aus und halten uns alle Rechtsmittel offen“, so Johannes Söller, Sprecher von Bolt in Berlin.

    Fachkanzleien hätten das Thema intensiv geprüft, erklärte er. „Zwar räumt das Personenbeförderungsgesetz den Kommunen neue Spielräume in der Regulierung zwischen Taxi und Mietwagen ein, im Hinblick auf die Einführung von Mindestpreisen sind ihnen allerdings national und europäisch enge rechtliche Grenzen gesetzt.“ Söller verwies auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Juni 2023, bei dem es um die Regulierung des Mietwagenmarkts in Barcelona ging. Danach könne eine Maßnahme wie die Einführung von Mindestpreisen nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Taxidienste zu gewährleisten, hieß es bei Bolt.

    Auch bei Uber geht man davon aus, dass Behörden, die den Paragrafen 51a des Personenbeförderungsgesetzes anwenden, rechtswidrig handeln. Das Unternehmen aus den USA verweist auf ein Gutachten, das die Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer vorgelegt habe. „Rein wirtschaftliche Motive der Taxiunternehmer stellen keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses dar“, fasste Uber-Sprecher Oliver Mattutat zusammen. „Erwägungen dieser Art können eine Regelung, die Mietwagenunternehmer in ihrer Niederlassungs- und Berufsfreiheit beschränkt, nicht rechtfertigen.“

    Mindestfahrpreise im Mietwagenverkehr: Vor diesen Folgen warnt die Branche

    Fahrgäste wären die Verlierer, warnte der Sprecher des Fahrdienstvermittlers. „Mindestpreise würden dazu führen, dass Fahrten für weniger zahlungskräftige Kunden nicht mehr leistbar sind und lokale Unternehmer weniger Umsätze erzielen. Darüber hinaus würden die sogenannten Mindestpreise die Menschen eher wieder in den privaten Pkw treiben, was zu mehr Verkehr und mehr Umweltbelastung führen würde“, sagte er.

    Mindestpreise würden der Branche die Preisflexibilität nehmen und einen „zentralen Erfolgsfaktor“ wegfallen lassen, bekräftigte Bolt-Sprecher Söller. Dabei seien Mietwagen mit Fahrern bei allen Altersgruppen beliebt und würden einen „wesentlichen Beitrag zur Demokratisierung der Fortbewegung“ leisten. Dagegen sei das Taxi „in puncto Vertriebsweg, Flexibilität und Bezahlung für viele Menschen nicht mehr zeitgemäß, durch die starren Tarifregelungen der Kommunen insbesondere in Schwachlastzeiten zu teuer und im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln nicht transparent genug“.

    Allerdings soll die geplante Festpreisregelung gerade dieses Manko zumindest in Berlin abschwächen. Taxi-Funktionär Hermann Waldner begrüßt den Plan des Senats. „Die heutige Generation, die viel übers Internet bestellt, ist nicht daran gewöhnt, dass die Kosten einer Taxifahrt nicht von vornherein auf den Cent genau feststehen“, sagte der Chef von Taxi Berlin im Interview mit der Berliner Zeitung 2023. „Bislang gibt es in Berlin keine Festpreise fürs Taxi, das verstehen viele Kunden nicht. Manche von ihnen fühlen sich betrogen, wenn plötzlich ein paar Euro mehr auf der Uhr stehen, weil das Taxi im Stau aufgehalten worden ist. Das ist aber kein Betrug, das ist der Taxitarif.“

    Keine Konzessionen: Neue Zahlen des Senats zeigen das Ausmaß des Betrugs

    Nach den Erkenntnissen des Taxigewerbes liegen die Mietwagen-Fahrpreise im Schnitt um bis zu 40 Prozent unter den Taxitarifen. „Angesichts solcher Dumpingpreise kann man es den Fahrgästen nicht verdenken, dass sie auf diese Angebote fliegen. Jeder versucht, Geld zu sparen – auch wenn dies dazu führt, Steuerhinterziehung und Sozialbetrug zu fördern. Denn anders können die Mietwagenunternehmen nach unserer Einschätzung nicht überleben“, sagte Waldner. Seine Funkzentrale Taxi Berlin habe 2015 rund acht Millionen Aufträge vermittelt, 2023 waren es rund fünf Millionen. Die Umsätze seien auf rund 60 Prozent des Durchschnitts 2016 bis 2019 gesunken. Auch die Zahl der Taxis in Berlin sank – bis Ende Februar auf 5626. Damals waren 4426 Mietwagen zugelassen. Kritiker monieren, dass Sozialdumping und Betrug grassieren.

    Am Dienstag wurde erneut deutlich, wie groß das Betrugsproblem in der Branche ist. Anlass war ein Bericht des Internetportals „Taxi heute“. Danach besaßen von den 484 Berliner Mietwagenunternehmen, die den App-Betreibern Bolt, Uber und Freenow seit August 2023 neue Fahrzeuge zur Vermittlung meldeten, 165 keine Konzession. Die Firmen wollten auf den Plattformen insgesamt 5043 Wagen registrieren lassen, von denen aber 2873 nicht die nötige Genehmigung des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten hatten. Verwaltungssprecherin Elm bestätigte die Angaben. „Das ist so übermittelt worden und korrekt“, teilte sie auf Anfrage mit.

    Leipzig und Lörrach wagten den Schritt – das sind die Reaktionen

    Alexander Mönch, Deutschland-Chef bei Freenow, argumentiert ähnlich wie Waldner. Wie berichtet will sich der App-Betreiber in den kommenden Monaten aus dem Mietwagengeschäft zurückziehen und für diesen Bereich keine Fahrten mehr vermitteln. Aus Mönchs Sicht ist es nicht möglich, Mietwagen legal zu betreiben. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung begrüßte er, dass Berlin Mindestpreise einführen möchte.

    „Mit dem Ridehailing ist in Berlin und anderswo ein taxigleicher Service entstanden. Doch bislang kann sich die Taxibranche mit ihren starren, staatlich regulierten Tarifen nicht gegen die Konkurrenz wehren, die ihre Fahrpreise je nach Situation flexibel festlegen darf“, rief der Freenow-Manager in Erinnerung. „Das Argument, dass viele Menschen weniger mobil sein werden, ist falsch. Wer es sich künftig nicht mehr leisten kann, sich im Mietwagen durch Berlin fahren zu lassen, kann unter einer Vielzahl anderer Optionen wählen: Bus, U-Bahn, S-Bahn, Straßenbahn. Oder er mietet ein Fahrrad oder einen E-Scooter. In Berlin stehen viele Möglichkeiten zur Verfügung.“

    Der Kreis Lörrach im Südwesten Deutschlands hat die Möglichkeit genutzt und Mindesttarife fixiert. Es gab weder Widersprüche noch Klagen gegen die Allgemeinverfügung. Die Stadt Leipzig beschloss bereits im September 2021 eine Verwaltungsrichtlinie, die für den Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen Mindestentgelte festsetzte. Dagegen ist ein Mietwagenunternehmer vor das Verwaltungsgericht gezogen. Einen Termin gibt es bis heute nicht. Die Mindestfahrpreise seien relativ hoch, sagte ein Branchen-Insider. „Es steht zu befürchten, dass es der Stadt um die Ohren fliegt.“

    In der Senatsverwaltung ist man zuversichtlich, dass in Berlin eine rechtssichere Regelung möglich ist. Die geplante Allgemeinverfügung werde die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs berücksichtigen, die Mindestpreise würden wirtschaftlich hergeleitet, kündigte Verwaltungssprecherin Elm an.

    #Berlin #Taxi #Uber #Taxitarif

  • Wohnberechtigungsschein (WBS) : Der Türöffner für eine bezahlbare Wohnung in Berlin
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/wohnberechtigungsschein-der-tueroeffner-fuer-eine-bezahlbare-wohnun

    Malgré les déclarations des politiciens il faut être vraiment pauvre pour avoir droit au système HLM de Berlin .

    9.4.2024 von Ulrich Paul - Wer eine Sozialwohnung beziehen will, braucht einen WBS. Welche Voraussetzungen es für einen Antrag in Berlin braucht und wie lange die Bearbeitung dauert.

    Ja, es gibt sie noch, die vergleichsweise preiswerten Neubauwohnungen in Berlin – wenngleich in geringer Zahl. Sozialwohnungen, die mit Fördermitteln des Landes Berlin entstanden sind, werden zu anfänglichen Mieten von 6,50 Euro bis 7 Euro je Quadratmeter kalt angeboten. In den nächst höheren Preissegmenten belaufen sich die Einstiegsmieten auf 9,50 bis 11,50 Euro je Quadratmeter Wohnfläche kalt.

    Wer eine der neuen Sozialwohnungen ergattern will, braucht allerdings ein besonderes Papier: den Wohnberechtigungsschein (WBS). Was viele nicht wissen: Anspruch auf einen WBS haben mittlerweile mehr als 50 Prozent aller Haushalte in Berlin. Das liegt daran, dass der neue Senat den geförderten Wohnungsbau für Haushalte mit mittleren Einkommen geöffnet hat. Selbst wer bisher keine Aussicht auf einen WBS hatte, der könnte inzwischen also Anspruch auf das Papier haben, das als Türöffner zum bezahlbaren Wohnen fungiert.

    Unterschieden wird beim WBS in verschiedene Kategorien. Für Sozialwohnungen, die für Mieten von 6,50 bis 7 Euro je Quadratmeter angeboten werden, wird ein WBS 140 benötigt. Das bedeutet, dass die Einkommensgrenzen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau um maximal 40 Prozent überschritten werden dürfen.

    Die Einkommensgrenzen für einen WBS 140 belaufen sich für einen Einpersonenhaushalt auf 16.800 Euro jährlich und für einen Zweipersonenhaushalt auf 25.200 Euro jährlich. Für jede weitere Person im Haushalt erhöht sich die Einkommensgrenze um 5740 Euro. Pro Kind gibt es einen Zuschlag in Höhe von 700 Euro.

    Wichtig: Der WBS 140 dient nicht nur zur Anmietung von neuen Sozialwohnungen, sondern zusammen mit dem WBS 100 zugleich dazu, eine der bestehenden alten Sozialwohnungen zu beziehen, von denen es Ende 2023 nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch 78.251 Wohneinheiten in Berlin gab.

    Den WBS 220 gibt es bei einem mittleren Einkommen

    Mit einem WBS 180 sind geförderte Neubauwohnungen anzumieten, die 9,50 Euro je Quadratmeter Wohnfläche kalt kosten. WBS 180 bedeutet, dass die Einkommensgrenzen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau um 80 Prozent überschritten werden dürfen.

    Die Einkommensgrenzen für einen Einpersonenhaushalt liegen beim WBS 180 bei 21.600 Euro jährlich und für einen Zweipersonenhaushalt bei 32.400 Euro jährlich. Für jede weitere Person im Haushalt erhöht sich die Einkommensgrenze um 7380 Euro jährlich. Für jedes zum Haushalt gehörende Kind gibt es einen Zuschlag in Höhe von 900 Euro. Die Zahl der Wohnungen, die mit einem WBS 180 anzumieten sind, ist allerdings noch gering. Nur 2343 Sozialmietwohnungen fallen nach Angaben der Stadtentwicklungsbehörde bisher in diese Kategorie.

    Mit einem WBS 220 sind geförderte Neubauwohnungen anzumieten, die 11,50 Euro je Quadratmeter kalt kosten. Beim WBS 220 können die Einkommensgrenzen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau um bis zu 120 Prozent überschritten werden. Die Einkommensgrenzen für einen Einpersonenhaushalt liegen beim WBS 220 bei 26.400 Euro jährlich und für einen Zweipersonenhaushalt bei 39.600 Euro jährlich. Für jede weitere Person im Haushalt erhöht sich die Einkommensgrenze um 9020 Euro jährlich.

    Vom Bruttoeinkommen werden Abzüge vorgenommen

    Für jedes zum Haushalt gehörende Kind gibt es einen Zuschlag in Höhe von 1100 Euro. Freie Wohnungen im Preissegment WBS 220 gibt es bisher nicht, weil die Wohnungen erst noch gebaut werden müssen. Die ersten Wohnungen werden voraussichtlich im Jahr 2025 bezugsfertig. Deswegen lohnt es sich nicht, jetzt schon einen WBS 220 zu beantragen.

    Bei der Feststellung des anrechenbaren Einkommens werden, ausgehend vom Bruttoeinkommen, verschiedene Abzüge in Ansatz gebracht, die so umfangreich wie kompliziert zu errechnen sind. So kann ein Arbeitnehmer beispielsweise den Arbeitnehmerpauschbetrag von 1200 Euro jährlich absetzen. Von der so ermittelten Zwischensumme können jeweils bis zu zehn Prozent abgezogen werden, wenn Steuern vom Einkommen, Pflichtbeiträge zur Krankenkasse sowie Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung gezahlt werden – also noch mal bis zu 30 Prozent.

    Das ist aber noch nicht alles. Nach den Abzügen sind gegebenenfalls noch Freibeträge abzusetzen: Zum Beispiel 4000 Euro bei jungen Ehepaaren innerhalb von fünf Kalenderjahren nach dem Jahr der Eheschließung, wobei keiner von beiden das 40. Lebensjahr vollendet haben darf. Wichtig: Der Berechnung ist das jährliche Bruttoeinkommen zugrunde zu legen, das in den zwölf Monaten ab Antragstellung zu erwarten ist. Darunter fallen auch Lohnersatzleistungen und Krankengeld, nicht jedoch das gesetzliche Kindergeld. Gegebenenfalls kann vom Einkommen der letzten zwölf Monate vor Antragstellung ausgegangen werden.

    Pro Person gibt es in der Regel einen Wohnraum

    Für Sozialwohnungen gelten bestimmte Wohnungsgrößen, die sich nach der Zahl der Personen im Haushalt richten. Grundsätzlich gilt, dass es jeweils einen Wohnraum für den Wohnberechtigten und jeden seiner mitziehenden Angehörigen gibt. Einem Ehepaar mit drei Kindern steht daher maximal eine Wohnung mit fünf Wohnräumen zu. Abweichend davon dürfen seit dem 1. Mai 2018 an Einzelpersonen auch Eineinhalb- oder Zweizimmerwohnungen mit einer Gesamtwohnfläche bis zu 50 Quadratmeter überlassen werden.

    Im Einzelfall kann nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein zusätzlicher Wohnraum anerkannt werden. Wenn zum Beispiel Alleinstehende ab dem 65. Lebensjahr eine Dreizimmerwohnung in Berlin freimachen, können sie einen WBS für eine Zweizimmerwohnung erhalten. Oder wenn die Ausübung des Berufes zur Sicherung der finanziellen Existenz nur in der Wohnung in einem separaten Wohnraum möglich ist, wird ein solcher Raum erlaubt.

    Manche Wohnungen werden nur an Haushalte vermietet, die einen „WBS mit besonderem Wohnbedarf“ vorlegen können. Ein besonderer Wohnbedarf kann, soweit der Wohnungssuchende seit mindestens einem Jahr mit Hauptwohnsitz in Berlin gemeldet ist, beispielsweise dann anerkannt werden, wenn Haushalte mit einem oder mehreren Kindern in räumlich unzureichenden Wohnverhältnissen leben. Unzureichende Wohnverhältnisse liegen unter anderem dann vor, wenn für drei Personen nicht mindestens zwei Wohnräume zur Verfügung stehen, oder wenn für vier oder fünf Personen nicht mindestens drei Wohnräume vorhanden sind.

    In Ausnahmefällen wird ein besonderer Wohnbedarf anerkannt

    Ein besonderer Wohnbedarf wird aber auch anerkannt, wenn Personen mit nachgewiesener Schwerbehinderung – ab einem Grad der Behinderung von 50 – in Wohnverhältnissen leben, „die aufgrund der anerkannten Leiden objektiv ungeeignet sind“, wie es auf der Homepage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung heißt. Auch Personen, die unverschuldet ihre Mietwohnung räumen müssen, zum Beispiel aufgrund eines bauordnungsrechtlichen Benutzungsverbots, haben einen besonderen Wohnbedarf.

    Das Antragsformular für einen WBS gibt es online im Serviceportal des Landes Berlin. Den ausgefüllten WBS-Antrag mit den notwendigen Unterlagen senden Wohnungssuchende an das bezirkliche Bürgeramt oder Wohnungsamt. Zuständig ist der Berliner Bezirk, in dem man gemeldet ist. Will ein Wohnungssuchender erst nach Berlin ziehen, schickt er den WBS-Antrag an ein Berliner Wohnungsamt seiner Wahl. Der erteilte WBS gilt dann für ganz Berlin.

    Die Bearbeitung eines WBS-Antrags dauert nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Berlin im Schnitt sieben Wochen – mit Stand vom Februar dieses Jahres. Mit drei Wochen Wartezeit ging es in Friedrichshain-Kreuzberg am schnellsten. Dahinter folgen Pankow und Reinickendorf mit vier Wochen Bearbeitungszeit auf Platz zwei. Steglitz-Zehlendorf, Marzahn-Hellersdorf und Neukölln rangieren mit fünf Wochen Bearbeitungszeit dahinter, gefolgt von Spandau und Treptow-Köpenick mit jeweils sieben Wochen; Mitte braucht für die Bearbeitung zehn Wochen und Charlottenburg-Wilmersdorf 13 Wochen. Am meisten Geduld brauchten Antragsteller in Lichtenberg, wo es 18 Wochen bis zum WBS dauerte.

    Die Zahl der ausgestellten Wohnberechtigungsscheine in Berlin hat sich in den vergangenen zehn Jahren in etwa verdoppelt. Während im Jahr 2014 nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch 25.367 Wohnberechtigungsscheine ausgestellt wurden, waren es im Jahr 2022 insgesamt 53.988. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der ausgestellten Wohnberechtigungsscheine bei 51.369, das war der zweithöchste Wert seit 2014.

    Wer einen WBS hat, hat freilich noch keine Wohnung. Die muss man sich dann noch suchen. Wichtig: Die Zahl der Zimmer der Wohnung muss zur Zahl der Zimmer auf dem WBS passen. Ein Jahr lang ist der WBS gültig.

    #Berlin #logement

  • Berliner zu arm? Christoph Gröner verrät, warum er in der Hauptstadt nicht mehr baut
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/berliner-zu-arm-christoph-groener-verraet-warum-er-in-der-hauptstad

    9.4.2024 von Liudmila Kotlyarova - Teure Grundstücke, schwache Kaufkraft: Einer der größten Bauherren Deutschlands erzählt im Interview, warum Berlin beim Wohnungsbau absackt und was man dagegen tun könnte.

    Christoph Gröner, einer der größten und prominentesten Bauherren in Deutschland, hat geschäftlich seinen Sitz in Berlin – baut hier aber seit zwei Jahren nichts mehr.

    Er war 2020 der Big Spender der Berliner CDU: 820.000 Euro ließ Gröner der Partei insgesamt zukommen. Auf dem Zukunftsforum seiner Gröner Group Ende März in Berlin erklärte er sich zum überzeugten Sozialdemokraten. Wie passt das zusammen? Wir haben mit ihm gesprochen.

    Herr Gröner, Sie haben ökologisches Bauen zu Ihrer Unternehmensstrategie erklärt. Die Baukosten seien jedoch „komplett aus dem Ruder gelaufen“, merkt die deutsche Wohnungswirtschaft an. Wie wollen Sie erreichen, dass bezahlbare Wohnungen nicht bald reines Wunschdenken werden?

    Es ist nicht das Bauen, das das Wohnen unbezahlbar macht. In München liegen die reinen Baukosten zwischen 3000 und 4000 Euro pro Quadratmeter, die Grundstückspreise dagegen bei 6000 bis 8000 Euro. Bei einem Bauobjekt kommen wir auf bis zu 12.000 Euro Gesamtkosten pro Quadratmeter. In Hamburg kosten die Grundstücke ebenfalls 5000 bis 6000 Euro und das Bauen ähnlich wie in München. In Leipzig ist das Land mit 1000 bis 2000 Euro pro Quadratmeter noch deutlich günstiger.

    Und wie ist es in Berlin?Berlin hat eine interessante Entwicklung hinter sich. Als ich 2010 mit dem Bauen in der Hauptstadt begann, lagen die Grundstückspreise bei 700 Euro pro Quadratmeter. Wir konnten für 2000 Euro pro Quadratmeter bauen und sehr günstigen Wohnraum zum Preis von 3000 bis 4000 Euro pro Quadratmeter anbieten.

    Schon 15 Jahre später kostete der gleiche Baugrund fast das Zehnfache. Wenn wir heute über eine Miete im Neubau von 20 bis 25 Euro pro Quadratmeter in Berlin sprechen, macht eben der Grundstücksteil zwei Drittel dieser Miete, und das Bauen acht, neun, vielleicht zehn Euro aus. Sicher haben wir bei den Baukosten in den letzten 20 Jahren fast eine Verdoppelung vorgenommen. Aber nicht die höheren Baukosten sind unser erstes Problem, sondern die Tatsache, dass das knappe Gut der Grundstücke den Spekulanten überlassen wurde.

    Wir kriegen ein Grundstück sehr teuer serviert und machen nur eine Marge von 15 oder 20 Prozent darauf. Und wenn nach außen das Preisschild von 6000 oder 8000 Euro pro Quadratmeter steht, sind wir dann die bösen Bauträger.

    Steglitzer Kreisel: „Wer da klagt, sind sture Leute“

    Aber Sie machen sicher keine Verluste. Den Steglitzer Kreisel sind Sie rechtzeitig losgeworden, und unglückliche Käufer klagen jetzt gegen den neuen Eigentümer. Wie sehen Sie dieses Problem?

    Wenn beim Steglitzer Kreisel eine Wohnung anbezahlt wurde, kann der Käufer sein Geld über den Notar zurückerstattet bekommen. Wer da klagt, sind sture Leute, die es nicht akzeptieren, dass man von einem Immobilienunternehmen, das die Umsetzung nicht bewerkstelligt bekommt, die Umsetzung auch gerichtlich nicht erzwingen kann.

    Die Gesellschaft, der heute der Steglitzer Kreisel gehört (Adler Group, Anm.d.Red.), ist derzeit aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, diesen Bau zu realisieren. Es gibt finanzielle, technologische Fragen, aber auch die Genehmigung des Sockels ist eine große Herausforderung. Ich habe seinerzeit als CEO der CG Gruppe AG vor Jahren den Bau begonnen und bin dann von Mehrheitsgesellschaftern aus meinem eigenen Unternehmen gedrängt worden. Und damit ist mir die Verantwortung für die Fertigstellung quasi entrissen worden.

    In dem Fall ist aber niemandem ein Schaden entstanden, außer dass der ein oder andere Kunde den Traum hat, aus 100 Metern Höhe aus seinem Apartment nach Tempelhof zu schauen und das zu günstigsten Konditionen. In Wirklichkeit haben wir andere Probleme. Wir haben viele Kunden in Deutschland, die tatsächlich vor der Insolvenz eines Bauträgers stehen, die Kaufpreise einbezahlt haben und dann ihre Wohnung nicht bekommen. Das ist sehr belastend für junge Familien, die sich ihren Traum erfüllen wollten, oder Kapitalanleger, die jetzt ihre Rendite nicht ausbezahlt bekommen, sowie alle anderen Käufer und Bürger, die in einer solchen Situation stecken.

    Was bauen Sie derzeit in Berlin, auf welche Projekte sind Sie stolz?

    Wir haben uns in den letzten zwei Jahren sehr zurückgehalten. Bis dahin haben wir über 5000 Wohnungen in Berlin gebaut, darunter die Lichtenberger Lofts oder ein Apartmenthaus in der Otto-Suhr-Allee in Charlottenburg. In Berlin haben wir ein ganz großes Potenzial.

    Wir haben uns 2022 allerdings zurückgezogen, weil die Grundstückspreise explodiert sind. Bereits im Jahr 2021 hat mein Unternehmen aufgehört, irgendetwas in Berlin zu kaufen, weil der Neubau sich nicht mehr rechnete.

    Um es kurz zu machen: Die Kaufkraft einer Stadt, einer Kommune oder eines Volkes bestimmt den Immobilienpreis. Ich könnte die Verknappung zwar dafür nutzen, um einen exorbitanten Preis aufzurufen, und das kann auch kurz funktionieren. Aber auf Dauer funktioniert das nicht. Im Augenblick sind wir ausgestiegen, weil die Kaufkraft eines Berliners nicht mehr den Mietpreis bedienen kann, den ich brauche, um die Grundstückkosten zu bezahlen und noch etwas zu verdienen.
    Neue Wohnungen: „Kaufkraft in Berlin ist für eine Hauptstadt sehr schlecht“

    Die Berliner sind für Sie also zu arm. Haben Sie sich deswegen auf andere Städte umorientiert?

    Wir sind seit 20 Jahren in ganz Deutschland unterwegs, haben Standorte unter anderem in Köln, Leipzig und Karlsruhe. Wenn Sie von Köln nach Frankfurt, Karlsruhe, Augsburg, Stuttgart, München gehen, haben Sie natürlich eine ganz andere Kaufkraft als hier in Berlin. Und interessanterweise sind die Immobilien da nicht unbedingt teurer als in Berlin.

    Es ist in der Tat eine schlechte Nachricht, dass die Kaufkraft in Berlin für eine Hauptstadt in Europa sehr schlecht ist. Wenn Sie überlegen, dass selbst in Prag die Kaufkraft 1,5 Mal so groß ist wie in Berlin, dann ist das ein trauriges Ergebnis, das einer seit Jahrzehnten verfehlten Wirtschaftspolitik.

    Die Realität ist aber, dass auch gebürtige Berliner sich oft keinen neuen Mietvertrag leisten können, geschweige denn eine Eigentumswohnung.

    Man kann sich immer darüber unterhalten, dass sich niemand eine Wohnung leisten kann. Aber man könnte auch mal die Frage stellen: Wieso kann sich niemand eine Wohnung leisten? Weil es geil bzw. sexy ist, arm zu sein, wie es einmal der Slogan von Berlin war? Das tut mir ein bisschen leid für diese Stadt.

    Es wird dann gesagt, Berlin sollte weiter sozial durchmischt bleiben, Quartiere für Menschen mit günstigeren Mieten sollten neu hergestellt bzw. bewahrt werden. Und dann scheitern wir schon schnell an ideologischen Straßenkämpfen in dieser Stadt.

    Hier ein Beispiel: Ich war bis 2019 für den Postbanktower in Kreuzberg zuständig. Die Politik lehnte das ausgewogene Planungskonzept mit 400 frei finanzierten Wohnungen jedoch ab und entschied, dass ausschließlich Sozialwohnungen (und anstatt von Wohnungen für den frei finanzierten Markt teure Büroflächen) entstehen sollten. Es wurde aus rein ideologischen Gründen verhindert, Wohnraum zu schaffen. Ich finde den Wunsch nach bezahlbarem Wohnraum berechtigt. Aber es muss auch der Bürger bedient werden, der sich eine Wohnung im freien Markt leisten kann. Das führt dann zu einer gesunden Durchmischung.

    Die Politik hat nun einen allmählichen Heizungstausch eingeleitet. Setzen Sie auch auf Wärmepumpen?

    Ich bin ein absoluter Fan von Geothermie. Ich finde den Ansatz sehr schön, dass wir die Wärme zum Heizen und Kühlen aus der Erde holen und die Ausschläge in der Temperatur nach oben und dann wieder nach unten kalibrieren können. Das kann man dauerhaft so regulieren, dass man für diese Zwecke kaum noch Strom verbraucht. Und Geothermie funktioniert auch bei den Hochhäusern auf dem dafür geeigneten Boden sehr gut, bei Felsen geht es dann manchmal nicht. Bei unseren Projekten in Köln, Karlsruhe, Stuttgart und München bauen wir bereits die Geothermie ein.

    Doch grundsätzlich hat jedes Projekt seine Herausforderung und seine Lösung. In Berlin würden wir künftig theoretisch eher mit Photovoltaik, Luft-Wärmepumpen und mit dem Blockkraftwerk arbeiten.
    Energiewende: „Ich bezweifle, dass das Stromnetz den Ausbau der Elektromobilität mittragen kann“

    Deutschlands zweitgrößter Vermieter, LEG Immobilien, will ab 2027 jährlich bis zu 9000 Wohnungen auf Luft-Luft-Wärmepumpen oder Split-Klimaanlagen umstellen. Wäre das etwas für Sie?Das ist nicht bezahlbar und auch energetisch nicht vertretbar. Die Stromnetze werden es in dem Ausmaß nicht schaffen. Ich bezweifle auch, dass das Stromnetz den Ausbau der Elektromobilität mittragen kann. Wir schalten Atomkraftwerke aus und fahren dann Kohlekraftwerke hoch, um mehr Strom zu produzieren. Das ist Unfug, ich will mich an so was nicht beteiligen.

    Wenn wir im Sommer dann draußen nachts 32 Grad haben und alle die Wohnung auf 18 Grad herunterkühlen werden, dann ist es vorbei mit dem Klimaschutz, solange wir nicht ausreichend grünen Strom produzieren, aber auch Wasserstoff als Alternative zum Strom.

    Sie nennen sich einen überzeugten Sozialdemokraten. Gleichzeitig haben Sie 2020 mehr als 800.000 Euro an die Berliner CDU gespendet: Warum?

    Die Sozialdemokraten sind für mich in ihrer Ursprungsform keine Ideologen. Das sind Menschen, die Chancengerechtigkeit wollen, die fleißigen, engagierten Menschen eine Zukunft geben, die trotzdem in der Lage sind, wenn es notwendig ist, Menschen dazu aufzufordern, etwas abzugeben, damit der Ausgleich stattfindet. Ich habe im Zusammenhang mit der CDU-Spende deutlich gemacht, dass dies nichts mit meinem Wahlverhalten zu tun hat und ich deshalb noch lange nicht diese Partei wähle.

    Ich habe die Spende jedoch gemacht, weil ich der Überzeugung war, dass die Stadt Berlin eine bürgerliche Klasse haben muss. Die Stadt war den Grünen, den Linken und der SPD und ein paar versprengten Ehrhardt-CDU-Leuten ausgeliefert, die nicht in der Lage waren, einen vernünftigen Ausgleich zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Prosperität zu schaffen. Die CDU ist doch morgen wieder weg. Aber sie ist stark genug, um mitzuwirken. Die SPD ist stark genug, um mitzuwirken. Und es bleibt doch der Einfluss der Linken und der Menschen, die auch die Verteilung propagieren.
    „Wenn am Schluss der Polizist ohne Wohnung ausgeht, wird er die AfD wählen“

    Was sind Ihre Vorschläge gegen den Wohnungsmangel in Berlin? Der BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e. V. schlägt etwa Mehrgeschossigkeit vor.

    Wir können mit einem Helikopter über Berlin fliegen, und ich zeige Ihnen Flächen für 200.000 Wohnungen. Wir müssen die Ressourcen, die wir haben, besser nutzen. Da, wo ein einstöckiges Gebäude ist, müssen wir ein fünfstöckiges bauen. Wir müssen jetzt nicht zehn, siebzehn Stockwerke bauen, es reichen auch sieben oder acht. Wir müssen nur vor allen Dingen schnell Baurecht schaffen.

    Und ich schlage es schon länger vor: Lassen Sie uns doch die Autobahn überdecken. Das ist überhaupt kein Problem. Ich habe der früheren Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) angeboten, mit ihr über die von uns erstellten Pläne zu diskutieren, wie wir auf die Weise 60.000 Wohnungen bauen können: 50 Prozent davon bezahlbar, 50 Prozent frei finanziert und 100 Prozent CO₂-neutral. Leider gab es dazu keine Reaktion. Mit dem Bauen könnten die Berliner „morgen“ beginnen.

    Es fehlt also die Bereitschaft der Politik?

    Es fehlt die Bereitschaft der Politik, da mitzuwirken. Die Immobilienwirtschaft wird von allen Parteien seit vielen Jahren als Faustpfand für die Ideologie genommen. Ich gehe nach Kreuzberg und bekomme ein Bauprojekt nicht genehmigt, weil mir der Verordnete der Linken sagt: Wenn hier 400 Menschen mit mittleren bis höheren Einkommen einziehen, verliere ich mein Mandat, weil ich 400 Menschen mehr habe, die garantiert nicht links wählen.

    In gleicher Weise argumentiert ein Bürgermeister der CSU eines Vororts in München. Dort spricht man offen darüber, dass die Zuziehenden oftmals jung und damit eher den Grünen oder den Sozialdemokraten zugewandt sind. Also ist auch dort das Interesse an einer neuen Bebauung nicht vorhanden – obwohl die Möglichkeit dazu besteht, da auch dort eine Wiederwahl gefährdet würde. Die Politiker sorgen leider nicht wirklich immer konsequent für mehr Wohnraum, sondern kümmern sich oft nur darum, dass sie nächstes Mal wiedergewählt werden.

    Wir müssten den Wohnungsbau aus ideologischen Diskussionen herausnehmen und einfach einen Masterplan entwickeln für diese Stadt, wo die Grünen, die FDP, die Linken, die SPD und die CDU sich überlegen: Wie entsteht möglichst schnell mehr Wohnraum? Wenn ein Polizist, ein Ukrainer und ein Syrer sich um eine Wohnung schlagen, am Schluss der Polizist immer ohne Wohnung ausgeht, wird er die AfD wählen.

    Und wir müssen das verhindern. Wenn wir Demokratie und Freiheit haben wollen, müssen wir ganz schön kämpfen, ganz schnell viele Wohnungen bauen, damit der Wohnungsmangel nicht dazu führt, dass die Menschen aus Verzweiflung anfangen, Unfug zu wählen.

    Vielen Dank für das Gespräch.

    Zum Gesprächspartner

    Christoph Gröner, 56, geb. in Karlsruhe, ist ein deutscher Immobilienunternehmer. Seit der Gründung des Unternehmens im Jahre 2008 ist er der geschäftsführende Gesellschafter, seit 2022 auch der Vorstandsvorsitzende der Gröner Group AG. Im Herbst 2023 gründete er die neue Firma ecobuilding AG, die er mit dem ehemaligen CDU-Politiker Ronald Pofalla leitet. Seine frühere Immobilienentwicklungsgesellschaft, die CG Gruppe AG, wurde 2020 vollständig von der Consus Real Estate übernommen, die zur Luxemburger Adler Group gehört.

    #Berlin #Wohnen #Immobilien #Spekulation #Stadtentwicklung #Politik

  • Aufruf zum Protest gegen das Sponsoring des „Bundespresseballs“ durch „Uber“. Freitag, den 12.04.2024 19:00 Uhr
    https://www.berlin.de/polizei/service/versammlungsbehoerde/versammlungen-aufzuege

    Berliner Taxifahrerinnen und Taxifahrer protestieren gegen das Sponsoring des „Bundespresseball“ durch „Uber“. Wir sehen darin eine gefährliche Einflussnahme auf die offizielle „öffentliche Meinung“ durch einen Konzern, der unablässig Gesetzesverstöße seiner Geschäftspartner ermöglicht und kaschiert. „Uber“ steht für ein System, das mit viel Geld durchgesetzt wird. Seine Grundlage sind Schwarzarbeit, Dumpinglöhne, Steuerhinterziehung und Verkürzung von Sozialabgaben.

    Uber-Partnerbetriebe verstoßen flächendeckend gegen Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz.

    Durch zu niedrige Angaben über gezahlte Löhne ergaunern sich Betriebe und ihre Angestellten im Interesse des Uber-Konzerns Lohnsubventionen in Form von Sozialleistungen. Damit finanzieren sie Dumpingpreise und die Zerstörung des Taxigewerbes.

    #Berlin #Taxi #Uber

  • Freenow-Chef Alexander Mönch: „Wer über die Runden kommen will, muss Regeln brechen“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/freenow-chef-alexander-moench-wer-ueber-die-runden-kommen-will-muss

    Lang hats gedauert. Jetzt hören wir endlich einmal interessante Argumente. Was fehlt sind die Forderung nach konsequenter Überwachung der Zahlung des Mindestlohns oder besser. Wenn das nicht kommt, wird es nur Scheinlösungen geben. Wirklich gute Fahrerinnen und Fahrer lassen sich mit Gehältern auf Milo-Niveau nicht rekrutieren. Die Taxibranche braucht sie, um zukunftsfähig zu werden und ihren Kunden wirklich guten Service bieten zu können. Mal sehen, ob die Politik den Taxiunternehmen genug Druck zum eigenen Glück macht.

    5.4.2024 von Peter Neumann - Mietwagen mit Fahrer sind billiger als Taxis. Doch legal lassen sie sich nicht betreiben, klagt Alexander Mönch. Jetzt zieht er Konsequenzen. Andere als Uber.

    Wer sich günstiger als im Taxi durch die Stadt chauffieren lassen will, muss künftig auf einen Anbieter verzichten. „Wir werden uns in wenigen Monaten, noch im Laufe dieses Jahres, aus dem Geschäft zurückziehen und in Deutschland keine Fahrten mit Mietwagen mehr vermitteln“, sagte Alexander Mönch von Freenow der Berliner Zeitung.

    Seine Begründung wird ihm bei seinen Mitbewerbern keine Freunde machen. Denn Mönch argumentiert, dass das Geschäftsmodell, wie es auch die App-Betreiber Uber und Bolt nutzen, legal nicht umsetzbar sei. „Wer in dieser Branche über die Runden kommen will, muss Regeln brechen“, erklärte er. Für die Fahrgäste werde der Ausstieg verkraftbar sein. Eine vom Senat geplante Regelung lasse die Fahrpreise in Berlin ohnehin steigen.

    Handy zücken, App antippen: Schon erscheint ein Auto, das einen ans Ziel bringt, und meist ist die Fahrt preiswerter als im Taxi. Mietwagen mit Fahrer: So nennen Juristen die Fahrzeuge, die für App-Betreiber wie Freenow unterwegs sind. Diese vermitteln die Touren, andere Unternehmen stellen Autos und Fahrer. Allein in Berlin sind Tausende solcher Autos unterwegs. Sie sind zu einer ruinösen Konkurrenz fürs Taxi geworden.

    Warum Gewinne legal nicht möglich sind – das ist die Erklärung

    „Die Taxibranche steht am Abgrund“, bekräftigte Alexander Mönch. Auch Freenow habe ihr „einiges zugemutet“. Vor 13 Jahren begann das Joint Venture von Daimler und BMW damit, Taxifahrten zu vermitteln. 2019 kamen weitere Mobilitätsoptionen dazu – unter anderem Mietwagen mit Fahrer, so der Deutschland- und Österreich-Chef von Freenow. Die Flotte wuchs rasch an. Vor drei Jahren waren in Berlin 3000 Fahrzeuge im Angebot.

    „Grundlage war unsere Erwartung, die Fahrzeuge flexibel so auslasten zu können, dass das Geschäft für alle Beteiligten auskömmlich ist“, so Mönch. „Doch wir müssen feststellen, dass diese Erwartung in der Praxis nicht eingetreten ist. Staus und Baustellen verlangsamen die Mobilität. Auch bei großer Nachfrage ist es meist nicht möglich, Fahrzeuge und Fahrer durchgehend auszulasten. Selbst wenn sich immer wieder neue Aufträge anschließen, brauchen die Fahrer Zeit, um zum nächsten Kunden zu gelangen. Legal und eigenwirtschaftlich sind keine Gewinne möglich.“ Ein pessimistisches Fazit.
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    „Mit der Zeit kamen wir zu der Einschätzung, dass es nicht möglich ist, als Mietwagenunternehmer Gewinne zu erwirtschaften, wenn man sich an alle Gesetze und Verordnungen hält“, berichtete der Freenow-Manager. Gleiches gelte auch für die Fahrer. „Sie müssten pro Stunde mindestens 40 Euro Umsatz erwirtschaften, an allen Tagen, zu allen Zeiten. Nach unserer Kalkulation ist das aber schlichtweg nicht möglich. Denn im Mietwagenverkehr wird anders als beim Taxi der volle Mehrwertsteuersatz fällig, und für jede vermittelte Fahrt ist eine relativ hohe Provision zu zahlen. Zugleich sind die Fahrpreise häufig niedriger als im Taxi, es kommt also weniger Geld herein.“

    Der neueste Trick – „komplett illegal und gefährlich“, meint Freenow

    Mönch: „Wir haben schon im vergangenen Jahr auf Missstände in der Mietwagenbranche hingewiesen – nicht zur Freude der Mitbewerber.“ Behörden stellen fest, dass in dieser Branche Steuern hinterzogen und Lizenzen gefälscht werden, rief er in Erinnerung. Sozialdumping und die Aufstockung von Bürgergeld seien weitere Themen. Und dann ist da noch die 80:20-Regelung: Autobesitzer sind mit ihrem Privatwagen für Mietwagenunternehmer unterwegs. „Der Unternehmer sagt: 80 Prozent der Einnahmen für dich, 20 Prozent für mich. Ohne Lizenz, ohne Ordnungsnummer – komplett illegal und gefährlich, da weder Fahrgäste noch Fahrer versichert sind.“

    „In jüngster Zeit sind unsere Bedenken immer lauter geworden. Wir haben das Unrecht benannt, und jetzt ziehen wir folgerichtig die Konsequenz“, bekräftigte der Freenow-Manager. „Konkret bedeutet dies, dass Freenow in diesen Bereich nicht mehr investiert. Das Geld, das wir bislang im Mietwagensegment ausgegeben haben, kommt in Zukunft dem Taxigeschäft zugute.“

    Mönch erläuterte, welche Ausgaben umgelenkt werden sollen. „Um für Fahrer und Betriebe interessant zu sein, muss man als Fahrtenvermittler Anreize zur Zusammenarbeit bieten. Zu solchen Incentives gehört zum Beispiel ein Mengenbonus: Wer innerhalb einer bestimmten Zeitspanne eine bestimmte Zahl von Fahrtaufträgen ausführt, bekommt eine Prämie – zum Beispiel 100 oder 150 Euro“, berichtete er. „Die Unternehmen sind auf Anreize und Unterstützungsleistungen angewiesen, um ihre Kosten halbwegs decken zu können. Mit ihnen wird das Mietwagengeschäft erhalten, denn es kann eigenwirtschaftlich nicht existieren.“

    Was der Senat in Berlin vorhat – und warum Freenow die Pläne gut findet

    Ridehailing: Das ist ein anderer Begriff für die Dienstleistung, um die es geht. Wer von A nach B gelangen will, ruft per App einen Fahrdienst herbei. „Mit dem Ridehailing ist in Berlin und vielen anderen Städten ein taxigleicher Service entstanden“, so der Freenow-Manager. „Doch bislang kann sich die Taxibranche mit ihren starren, staatlich regulierten Tarifen nicht gegen die Konkurrenz wehren, die ihre Fahrpreise flexibel festlegen darf.“ Der Niedergang spiegelt sich in den Konzessionszahlen. Waren in Berlin vor Corona mehr als 8000 Taxis zugelassen, sind es derzeit laut Senat noch 5626. Ihnen stehen offiziell 4426 Mietwagen gegenüber. Wahrscheinlich sind es einige mehr.

    Was tun? „Es geht nicht darum, Wettbewerb zu verhindern. Es geht darum, unfairen Wettbewerb zu beenden, gegen Sozialdumping vorzugehen und den Mindestlohn zu sichern“, betonte Mönch. Das Stichwort laute: Level Playing Field. „Das muss das Ziel sein: Zwei Dienste, die aus Kundensicht den gleichen Service abliefern, müssen den gleichen Regeln unterliegen.“

    Freenow unterstütze Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU), sagte Alexander Mönch. „Es ist richtig, dass Berlin die Instrumente anwenden will, die das novellierte Personenbeförderungsgesetz den Städten und Gemeinden an die Hand gibt. Die Senatorin geht mit großem Elan voran.“ In der ersten Stufe plant die Senatsverwaltung, einen Taxitarifkorridor mit Festpreisen zu ermöglichen. Für Taxifahrten, die telefonisch oder per App vermittelt werden, können den Fahrgästen Festpreise angeboten werden, die um bis zu zehn Prozent unter oder bis zu 20 Prozent über dem Basistarif liegen. Das könnte ab Mai 2024 möglich sein, ein konkretes Datum nennt der Senat aber noch nicht.

    „Wir sind uns sicher, dass dadurch Taxifahren für die Fahrgäste attraktiver wird“, so der Freenow-Manager. „Zum einen wird die Branche mit guten Algorithmen auf Angebot und Nachfrage reagieren. Zum anderen bekommen die Kunden im Voraus exakte Fahrpreise genannt, auf die sie sich verlassen können. In München ist das seit September 2023 bereits Praxis. Es funktioniert sehr gut.“

    Die Jagd auf schwarze Schafe in Berlin hat begonnen: Das ist der Zeitplan

    Damit nicht genug: „Aus unserer Sicht ist absehbar, dass Berlin auch Mindestbeförderungsentgelte für den Mietwagenverkehr einführen wird. Das ist notwendig, damit Mietwagenplattformen Taxifahrpreise künftig nicht mehr unterbieten können.“ Manja Schreiners Sprecherin Britta Elm bekräftigte, dass die Verwaltung so eine Regelung vorbereitet – „voraussichtlich zum Jahresende“.

    „Wir sind weit davon entfernt, die Berliner Taxibranche reinzuwaschen“, betonte Alexander Mönch. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder berichtet, dass es auch dort Schwarzarbeit und Sozialbetrug gibt. „Wir müssen verhindern, dass die schwarzen Schafe, die den Mietwagenbereich verlassen müssen, beim Taxi landen. Erste gefälschte Taxikonzessionen wurden bereits entdeckt. Doch als Plattform, die beide Bereiche abdeckt, können wir sicherstellen, dass Unternehmen, die wir links verlieren, nicht rechts wieder bei uns anfangen.“

    Jahrelang hat die Taxibranche beklagt, dass Verwaltung und Politik die Missstände untätig hinnähmen. Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Am 17. März haben sich Freenow und andere Firmen mit dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, kurz Labo, getroffen. Bis zu diesem Freitag (5. April) müssen sie der Behörde Daten zu ihren Partnerunternehmen liefern. Das Amt wiederum hat bis zum 19. April Zeit, die Angaben mit eigenen Daten über erteilte Konzessionen zu vergleichen. Dann teilt es mit, welche Mietwagenunternehmen von der Vermittlung auszuschließen sind. Bereits am 25. April müssen die Plattformen ihren Datenbestand bereinigt haben. Dann dürften keine illegalen Unternehmen, Konzessionen und Fahrzeuge mehr in der Vermittlung sein.

    Wie äußern sich die anderen Plattformen, die in Berlin tätig sind? „Für Uber hat darüber hinaus gesetzeskonformes Handeln oberste Priorität“, sagte Uber-Sprecher Oliver Mattutat. „Sofern sich unsere Partner nicht an die Regeln halten und wir davon Kenntnis erlangen, ziehen wir Konsequenzen, bis hin zu einer dauerhaften Sperrung auf unserer Plattform.“

    Uber und Bolt verteidigen sich – und nennen Zahlen für Berlin

    Das Argument, dass Mietwagenbetreiber Regeln brechen müssen, um über die Runden zu kommen, kann man bei Uber nicht nachvollziehen. „Ein eigenwirtschaftlicher Betrieb ist sehr wohl möglich“, betonte Mattutat. „Flexible Preise bei Mietwagen, die sich an Angebot und Nachfrage orientieren, sorgen für deutlich höhere Auslastung, bei bezahlbaren Preisen für die Verbraucher. Diese hohe Auslastung schafft bessere Verdienstmöglichkeiten der Unternehmen.“ Entgegen vieler Mythen erzielten die Mietwagenpartner hohe Umsätze, so der Sprecher. In Berlin betragen sie im Schnitt rund 40 Euro pro Stunde. Die Vermittlungsprovision liege nicht, wie oft behauptet, bei 30 Prozent, sondern im niedrigen zweistelligen Prozentbereich.

    „Ein eigenwirtschaftlicher und wirtschaftlich nachhaltiger Betrieb von Mietwagen unter Einhaltung aller Regeln und Gesetze ist möglich“, bekräftigte Johannes Söller, Unternehmenssprecher von Bolt. Zentral für den Erfolg sei die „vollkommene Preisflexibilität, womit die Fahrzeuge ihren Preis an Angebot und Nachfrage anpassen können. Das Resultat ist eine mehr als doppelt so hohe Auslastung und mehr als doppelt so viele Fahrten pro Stunde im Vergleich zum Taxi.“ Söller nannte Zahlen: 2016 waren Taxis in Berlin im Schnitt nur zu 25 Prozent ausgelastet, in Hamburg betrug die Quote vor zwei Jahren 34 Prozent. Dagegen kommen die durch Bolt vermittelten Mietwagen in Berlin auf durchschnittlich 70 bis 80 Prozent. Bei annähernd gleichen Fixkosten erwirtschaften Mietwagenbetreiber rund 25 Prozent mehr in der Stunde als vergleichbare Taxiunternehmer.

    Freenow bleibt bei seiner Entscheidung. Taxibetreiber und ihre Fahrgäste werden profitieren, davon ist Alexander Mönch überzeugt. „Wenn die großen schwarzen Schafe den Markt verlassen müssen, ist für diejenigen, die sich an die Regeln halten, wieder mehr drin. Sie werden belohnt. Das sollten die Taxibetreiber als Chance verstehen und die Qualität hochschrauben“, sagte er. Heute sei Hamburg bundesweit ein gutes Beispiel. Dort gehe die Taxibehörde scharf gegen Regelbruch vor. „Wenn sich die Berliner Behörden noch intensiver am Hamburger Modell orientieren könnten, kommt auch Berlin auf dem Weg zu einem gesunden Taximarkt weiter voran. Ich bin mir sicher: Die Entwicklungen in Berlin können ein Vorbild für andere Städte werden.“

    #Berlin #LABO #Uber #Freenow #Taxi

  • Jahrelange Bauarbeiten im Osten der Stadt: Größte Berliner Trinkwasserleitung wird erneuert
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/jahrelange-bauarbeiten-im-osten-der-stadt-grosste-berliner-trinkwasserl

    4.4.2024 von Stefan Jacobs - Unter der Landsberger Allee fließen elf Prozent des Berliner Trinkwassers in die Stadt – und Abwasser hinaus. Jetzt werden die uralten Leitungen erneuert.

    Die Landsberger Allee ist für die Berliner Wasserversorgung etwa so wichtig wie die Stadtautobahn für den Autoverkehr und der Hauptbahnhof für Zugreisende: Nirgends sonst ballt es sich so wie hier. Vier Trinkwasserleitungen mit Durchmessern zwischen 76 und 120 Zentimetern verlaufen unter der Fahrbahn. Der Bruch eines dieser zwischen 89 und 125 Jahre alten Rohre wäre aus Sicht von Fachleuten der Berliner Wasserbetriebe (BWB) dramatisch: Die Wassermassen würden sofort die Umgebung frei spülen, wodurch auch die Nachbarrohre brächen – und hunderttausende Berliner zwischen Lichtenberg, Prenzlauer Berg und Mitte auf dem Trockenen säßen oder sich mit einem Rinnsal aus dem heimischen Hahn begnügen müssten.
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    Um dem zuvorzukommen, eröffnen die Wasserbetriebe Mitte April eine Großbaustelle. Bis 2029 sollen zwischen dem S-Bahnhof Landsberger Allee und der Vulkanstraße – also größtenteils auf dem Lichtenberger Abschnitt der Magistrale – neue Trinkwasserleitungen verlegt sowie zwei Abwasserdruckleitungen saniert werden. Gebaut wird in mehreren Abschnitten; bereits im Winter wurden Bäume auf dem Mittelstreifen der Magistrale gefällt.
    An der Landsberger Allee erneuern die Berliner Wasserbetriebe bis 2029 die Trink- und Abwasserleitungen.

    Denn unter dem sollen zunächst eine Abwasserleitung erneuert und dann ein provisorischer Fahrstreifen angelegt werden. Etwa ein Jahr soll dieser erste Bauabschnitt dauern. Gearbeitet wird laut BWB in zwei Schichten an sechs Tagen pro Woche.

    Eva Exner, Netzbau-Chefin der Wasserbetriebe, beschreibt die Nutzung des Mittelstreifens als stadtverträglichste Variante, weil dadurch die Bäume an den Straßenrändern verschont bleiben. Außerdem seien durch die Asphaltierung des Mittelstreifens während der gesamten Bauzeit zwei Fahrspuren pro Richtung nutzbar. Zurzeit sind es je drei. Hinzu kommen Abbiegespuren an den Kreuzungen, die zumindest zeitweise gesperrt werden. „Wir haben die Auflage, uns von Kreuzung zu Kreuzung zu bewegen“, sagt Exner. Insgesamt erstreckt sich die Baustelle über zwei Kilometer.
    Ab 2026 wird es auch für Fahrgäste der BVG unangenehm

    So weit wie möglich geschont werden soll auch die Kundschaft der BVG. Während der meisten Zeit sollen Straßenbahnen und Busse regulär fahren. Allerdings sind Sperrungen nicht zu vermeiden, weil beispielsweise der kreuzende Weißenseer Weg samt seiner Tramtrasse unterquert werden muss. Größere Einschränkungen stehen nach Auskunft von Exner ab 2026 an. Die wären aber ohnehin notwendig, weil die BVG nahe dem S-Bahnhof ohnehin Gleise erneuern müsse. Diese Arbeiten würden mit denen der Wasserbetriebe abgestimmt.
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    Millionen Euro sind – inklusive Inflation – für die Arbeiten einkalkuliert

    Sämtliche Querungen für Fußgänger und Radfahrer sollen während der Bauzeit benutzbar bleiben. Möglich wird das durch zwei bautechnische Besonderheiten. Zum einen werden die gusseisernen Abwasserleitungen nicht komplett herausgerissen, sondern saniert, indem eine Art Schlauch aus Polyethylen-Kunststoff eingefädelt wird – mit reichlich Speiseöl als biologisch abbaubarem und gesundheitlich unbedenklichem Schmiermittel. Zum anderen bleiben die alten Wasserleitungen unter den südlichen Fahrstreifen im Boden und werden so weit verfüllt, dass sie nicht brechen. Dadurch muss nur für die neuen Leitungen unter den nördlichen Fahrstreifen gebuddelt werden.

    Nach Auskunft von Vorstandschef Christoph Donner haben sich die Wasserbetriebe auch im Interesse ihrer CO₂-Bilanz für diese Variante entschieden, um unnötigen Tiefbau und aufwändigen Abtransport der alten Leitungen zu vermeiden.
    Berlin und sein Wasserhaushalt
    Streit um Regenwasser von der Autobahn Berlin will notfalls den Bund verklagen
    Kein Interesse? Warum Berlin derzeit keine Abwasser-Daten zum Drogenkonsum in der Hauptstadt erhebt
    Serie: Berlins Herausforderungen Hauptschwammstadt

    Die einmalige Ballung der dicken Rohre unter der Landsberger Allee ist historisch mit der Stadt gewachsen: Direkt hinter dem Ende der Baustelle an der Vulkanstraße befindet sich das um 1890 gebaute Zwischenpumpwerk Lichtenberg, das als Zwischenspeicher und Verteiler für Trinkwasser aus dem Wasserwerk Friedrichshagen – dem einzigen großen im östlichen Teil Berlins – dient.

    #Berlin #Lichtenberg #Landsberger_Allee #Bauarbeiten