• Arbeitsrechtverstöße - Wie Lieferdienste ihre Verantwortung auslagern
    https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2025/08/berlin-lieferdienste-arbeitsbedingungen-verstoesse-arbeitsrecht-lieferando.htm

    22.08.25 von S. Adamek, A. Grandjean, F. Grieger, J. Wiese - Bargeldübergaben, Druck, undurchsichtige Beschäftigungsformen: In der Branche der Lieferdienste herrschen zunehmend prekäre Arbeitsbedingungen. „Kontraste“ konnte sie nun erstmals im Umfeld des Lieferando-Subunternehmens Fleetlery dokumentieren. Von S. Adamek, A. Grandjean, F. Grieger, J. Wiese

    An einem Juliabend werden etwa 70 Lieferkuriere zu einem geheimen Treffpunkt in Berlin-Neukölln gelotst. Dort sollen sie auf offener Straße teils stundenlang in Kleingruppen warten. Dann kommt ein Kleinwagen mit großen Mengen Bargeld, die ein Mann schließlich in Briefumschlägen an die einzelnen Fahrer verteilt. Reporter des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ und von rbb24 Recherche konnten diese Vorgänge erstmals selbst beobachten.

    Es handelte sich mutmaßlich um die Auszahlung von Lieferkurieren, die für den Subunternehmer Fleetlery Bestellungen für Lieferando ausfahren. Zu dem Bargeld werden keine Quittungen oder Rechnungen ausgestellt, wie zugespielte Chatverläufe und Aussagen mehrerer Fahrer belegen. Wie unter solchen Umständen Steuern oder Sozialabgaben entrichtet werden, ist unklar.

    „Ich hatte keinen Vertrag. Soweit ich weiß, wurden keine Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern bezahlt“, berichtet ein Lieferfahrer, in diesem Text Rawi Singh genannt. Sein richtiger Name und seine Identität sind der Redaktion bekannt.

    Er habe seine Lieferaufträge in der Fleetlery-App erhalten. Alle weiteren Arbeitsanweisungen seien aus einer WhatsApp-Gruppe gekommen, die von einem Mann - hier Yassin N. genannt - betrieben worden sei. Rawi Singh habe keinen gesicherten Stundenlohn erhalten, sondern sei pro Fahrt bezahlt worden.

    Lieferando: Führen Überprüfungen durch

    Diese Schilderungen stehen im Widerspruch zu den eigenen Verlautbarungen von Lieferando und dem Subunternehmen Fleetlery. Lieferando erklärte auf Anfrage von „Kontraste“, man prüfe, dass Fahrer bei sogenannten Flottenpartnern „angestellt und versichert sind sowie eine Arbeitserlaubnis haben“. Lieferando kooperiere „bewusst nur mit ausgewählten Dienstleistern, die diese Anforderungen erfüllen“. Auch das Subunternehmen Fleetlery gibt an, „nur sozialversicherungspflichtig angestellte Kurierinnen und Kuriere“ beschäftigt zu haben. Dies gelte auch für regionale Partner, also weitere Sub-Sub-Unternehmen.

    Bei Yassin N., der als Chef von Rawi Singh agierte, handele es sich um „unautorisierte Dritte“. Diese stünden in keinem Zusammenhang mit Fleetlery. Eine Erklärung, weshalb diese „unautorisierten Dritten“ Zugang zur Fleetlery-App haben und Fahrer dafür bezahlen, Lieferando-Bestellungen auszufahren, gab das Unternehmen nicht.

    Lieferdienste fallen bei Untersuchung durch

    Subunternehmerkonstruktionen sorgen in der Branche immer wieder für Probleme bei der Einhaltung von Arbeitsrechten. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) untersucht seit Jahren, wie es um die Arbeitsbedingungen in der Branche steht. In ihrer jüngsten Erhebung stellten die Forscher eine generelle Verschlechterung fest.

    So erhielt der Lieferdienst Lieferando vier Punkte und war damit noch das am besten bewertete Unternehmen. Wer zehn von zehn Punkten erhält, erfüllt sämtliche Mindeststandards, hält sich an Menschenrechte und die Kernarbeitsnormen der Vereinten Nationen.

    Die großen Player Uber Eats und Wolt erhielten gar keine Punkte. Man habe bei diesen Firmen „keine Hinweise“ darauf gefunden, „dass Beschäftigte in allen Fällen den Mindestlohn verdienen“, sagt WZB-Forscher Patrick Feuerstein im Interview mit „Kontraste“. Auch habe man keine Hinweise auf die Einhaltung des Gesundheitsschutzes und den Zugriff auf Arbeitsverträge gefunden. Der Grund: Diese Lieferfirmen arbeiten überwiegend nicht mit eigenen festangestellten Kurieren, sondern beauftragen Subunternehmen.

    Mit diesen Befunden konfrontiert, antwortet Wolt, man habe sich in diesem Jahr nicht aktiv an der Bewertung beteiligt, da sie methodische Mängel aufweise. Die WZB-Forscher konnten für ihre Bewertung also nur selbst gesammelte Informationen nutzen, besonders von Fahrern, die für Subunternehmer arbeiten.

    Nach Darstellung von Uber Eats zeichnet der Bericht „durch die Nutzung von einigen Einzelfällen ein verzerrtes Bild der Lieferbranche“. Lieferando stellt heraus, im Ranking die „fairste Bestellplattform Deutschlands“ zu sein. Die Methodik überbelichte jedoch die Kritik an Lieferando.

    2.000 Kündigungen bei Lieferando

    Lieferando galt in der Branche lange als Vorzeigebeispiel. Der Großteil der Fahrer ist direkt festangestellt und es gibt Betriebsrätestrukturen. Doch kürzlich kündigte Lieferando an, 2.000 festangestellte Kuriere zu entlassen und setzt stattdessen auf Fleetlery und weitere Subunternehmer.

    Für Patrick Feuerstein ist es „ein absolutes Alarmsignal“, wenn Firmen wie Lieferando, die bislang versucht hätten, grundlegende Arbeitsbedingungen in Deutschland zu wahren, jetzt auch auf das Subunternehmermodell wechselten.

    Statt der festangestellten Lieferando-Kuriere übernehmen bei einigen Restaurants jetzt offenbar auch Fahrer von Yassin N. die Auslieferungen. Um für Yassin N. arbeiten zu können und in der Fleetlery-App freigeschaltet zu werden, habe er anfangs erst einmal 50 Euro an ihn zahlen müssen, erklärt Lieferfahrer Singh. Der Zugang zur App sei ein ständiges Druckmittel gewesen: „Wenn man mal an einem Tag nicht online geht, wird man von Yassin N. als Fahrer entfernt, man wird direkt in der App blockiert.“

    In einer Chatnachricht, die „Kontraste“ vorliegt, schreibt Yassin N. an einem Sonntag: „Mir ist es ehrlich gesagt sehr egal was ihr für Probleme habt. (…) Wir haben in Berlin über 700 Bestellungen. (…) geht sofort online!!!!“

    Yassin N., der den mutmaßlichen Fleetlery-Fahrern Anweisungen erteilte, war dabei offenbar bewusst, dass er Arbeitsrecht bricht. In einer Chatnachricht schreibt er: „Wer von uns oder wo anders ein Arbeitsvertrag hat, kann gerne weiterhin arbeiten alle anderen geht bitte offline, sehr viel Polizei und Zoll unterwegs bitte passt auf wer erwischt oder angehalten wird soll mir sofort schreiben“.

    Auf Anfrage wollte sich der Mann nicht zu den Vorwürfen äußern. Fleetlery wiederum erklärt, man kenne die Person des „Flottenmanagers“ nicht und prüfe, ob er möglicherweise für einen ihrer Partner tätig sei. Generell prüfe man regelmäßig die Einhaltung von Arbeitsrechtsnormen auch bei den Partnerunternehmen. Eine Gebühr für die Freischaltung der Accounts werde durch Fleetlery auch nicht erhoben. Noch am selben Tag schrieb Yassin N. in seiner WhatsApp-Gruppe, er werde seine Arbeit einstellen und die „Flotte abgeben“ und forderte: „Bitte arbeitet weiter ganz normal.“

    Caroline Dressel, Professorin für Arbeitsrecht an der HTW Berlin, hat angesichts dieses Falls und der Aussagen Fleetlerys den Eindruck, „man versucht hier so ein bisschen, Verantwortlichkeiten an verschiedenen Stellen wegzuschieben“. Für Zoll- und Steuerbehörden werde es so schwierig, bei dem System „durchzusteigen“.

    Dieser Text erschien zuerst auf tagesschau.de

    Sendung: rbb24 Abendschau, 22.08.2025, 19:30 Uhr

    #Arbeit #Ausbeutung #Lieferdienst #Rider

  • Arbeiter:innen-Arzt Alexander Fürst: „Ein Volksarzt im besten Sinne“
    https://taz.de/Arbeiterinnen-Arzt-Alexander-Fuerst/!6124741

    28.10.2025 von Bettina Müller - Arbeiter:innen-Arzt Alexander Fürst: „Ein Volksarzt im besten Sinne“

    Der „Gewerksarzt“ behandelte Ende des 19. Jahrhunderts Arbeiter, Arme und Bedürftige, oft ohne Gegenleistung. In Berlin ist er fast vergessen.
    Eine mit Kutschen befahrene Straße im 19ten Jarhundert, Gemälde
    Anonym, ohne Titel   Foto: Museen Tempelhof Schöneberg, Archiv

    taz | Es ist ein Mittwoch, der 8. Juni 1898, an dem Professor Rudolf Virchow die regelmäßige Sitzung der renommierten Berliner Medizinischen Gesellschaft eröffnet. Unter seinem Vorsitz diskutieren Ärzte unter anderem über die damals aktuellen Entwicklungen in Klinik und Forschung. Doch bevor zu den Tagesordnungspunkten übergegangen wird, gedenken die Mediziner den in der Zwischenzeit verstorbenen Mitgliedern der Gesellschaft. So erheben sich auch alle für ihren Kollegen Doktor Alexander Fürst, der am ersten Pfingstfeiertag im Alter von nur 54 Jahren gestorben ist. Zwei Tage zuvor hatte bereits der Verein für Innere Medizin den Tod des Mannes betrauert, der „einfach und bescheiden“ gewesen sei.

    Er will anderen Menschen helfen, und das wird zu seinem Lebensziel

    Auch in medizinischen Zeitschriften erinnern Kollegen an den praktischen Arzt und Spezialist für Augenerkrankungen, von dem bekannt war, dass er sein eigenes Wohl gegenüber dem seiner Patienten stets zurückstellte. An Ruhm und Macht war er nie interessiert. Heute – in dieser profitorientierten Welt – ist der Mediziner und Menschenfreund, der auch als „Gewerksarzt“ beliebt war, völlig in Vergessenheit geraten. Wer war dieser stille Menschenfreund?
    Frühes Leben

    Alexander Fürst wird am 15. April 1844 im ostpreußischen Braunsberg als Sohn des Kaufmanns Jakob Bär Fürst und dessen Ehefrau Rosa geboren. Er ist das dritte Kind des Paares, sie haben bereits die Söhne Julius und Selmar. 1846 wird noch Bernhard geboren, 1851 Lina und 1853 Adolf. Die Kleinstadt Braunsberg hat eine jüdische Gemeinde, die ab 1845 eine eigene Synagoge betreibt und deren Repräsentantenvorsteher J. B. Fürst ist. Als Nachfolger seines Materialwarengeschäfts ist Bernhard auserkoren worden.

    Alexander ist darüber nicht unglücklich, gilt seine Leidenschaft doch der Medizin. Er will anderen Menschen helfen und das wird zu seinem Lebensziel, das er konsequent und unbeirrt bis zum Ende verfolgen wird. Nach dem Besuch des Braunsberger Gymnasiums, das er 1862 mit dem Abitur in der Tasche verlässt, studiert er in Königsberg Medizin und legt in Berlin sein Staatsexamen und die Doktorprüfung mit der Dissertation „De versione foetus spontanea et artificiali“ ab, die auf den 6. Juni 1866 datiert ist.

    Im Rahmen seiner weiteren Ausbildung arbeitet er als Assistent am Schöneberger „Maison de Santé“, eine ursprünglich 1861 von Eduard L. Levinstein gegründete Brunnen- und Badeanstalt. Als Fürst dort Assistenzarzt wird, eröffnet Levinstein auch noch eine Abteilung für psychisch Kranke und verzichtet dabei als einer der ersten Ärzte in Deutschland auf Zwangsbehandlung und Fixierung der Patienten.
    Fachgebiet Augenheilkunde

    In Danzig nimmt Fürst die nächste Assistentenstelle an, diesmal an einer Augenheilanstalt. Dort fällt er eine Entscheidung. Er will sich vor allem der Ophthalmologie, der Augenheilkunde, widmen und im Besonderen der Behandlung der granulösen Augenerkrankung in Ostpreußen, bei der sich entzündliches Gewebe unter anderem im Auge ansammeln kann. 1869 lässt er sich als praktischer Arzt in Memel nieder. Doch der in den Startlöchern stehende Deutsch-Französische Krieg verhindert seine ärztliche Tätigkeit, sodass auch er zu den Waffen eilen muss.

    Was er nicht ahnt, ein anderer Gegner ist kurz davor, sich in der Stadt einzunisten. Unbemerkt haben sich bereits erste Infektionsherde der gefürchteten Lepra gebildet und diese bakteriell bedingte Krankheit kann schmerzhafte Hautwucherungen und Nervenschäden hervorrufen, oder tödlich enden. Vor allem aber, so wird Robert Koch 1896 in seinem Aufsatz über „Die Lepra-Erkrankungen im Kreis Memel“ schreiben, kann sie über einen langen Zeitraum unbemerkt bleiben.

    Während also die Lepra im Memeler Kreis klammheimlich Krankheitsherde bildet, kehrt Doktor Fürst unversehrt aus dem Krieg zurück. Seine Berufung findet er zunächst in der „Heilanstalt für mittellose Kranke“, das dem Jüdischen Krankenhaus von Memel angeschlossen ist. Dort behandelt er „mit einer geradezu unvergleichlichen Sorgfalt und Aufopferung“ – so eine Zeitschrift – unentgeltlich mittellose Kranke, finanziert wird das aus Spenden der in der Region Handel treibenden russisch-jüdischen Kaufleute.

    Eines Tages stellt sich in der Praxis von Doktor. Fürst, der auch eine eigene Praxis in der Friedrich-Wilhelm-Straße hat, Heinrich Schleppkau vor, der an einer schweren Augenentzündung leidet. Und der geschulte Blick des Arztes vermutet einen möglichen Zusammenhang zu einer Lepraerkrankung. Um das zu verifizieren, stellt sich der junge Mann an der Augenklinik in Königsberg und dann auch im Verein für wissenschaftliche Heilkunde vor. Doch das Ganze verläuft offenbar im Sand. Der erkrankte junge Mann wird, wie auch sein Bruder Karl, an der Lepra sterben.

    In Kochs Aufsatz werden die beiden Brüder die Namensliste der an Lepra Erkrankten einleiten, wobei Koch ihre Nachnamen auf den Anfangsbuchstaben anonymisieren wird, sie jedoch aus dem entsprechenden Kirchenbuch hervorgehen. Wann genau sich die Lepra im Memeler Kreis eingenistet hatte, konnte aber auch er nicht mit Sicherheit sagen, er schätzte die „ersten Andeutungen“ auf das Jahr 1870.

    Hätte Fürst das Drama verhindern können? Als Einzelner im Angesicht eines schwerfälligen Medizinalsystems wohl kaum. So verhallten auch zahlreiche Appelle anderer Ärzte an die Organe der öffentlichen Gesundheitspflege, unerkannte Leprafälle im Kreis Memel zu erkennen und für die Isolierung der Erkrankten zu sorgen, ungehört.
    Der Weg nach Berlin

    Der unverheiratete Doktor hat Memel in der Zwischenzeit verlassen und ist 1885 nach Berlin gezogen, wo bereits seine beiden Brüder Selmar und Adolf leben. Lina ist inzwischen mit dem Kaufmann Ladendorff in Königsberg verheiratet, wo auch Julius wohnt. Fürst will in Berlin seine ärztliche Tätigkeit im Rahmen der sozialen Fürsorge an dem großen Heer der Berliner Arbeiterschaft fortführen. Zu diesem Zweck will er auch „Gewerksarzt“ werden, wozu er aber erst nach zwei Jahren Arbeit in der Stadt berechtigt ist. So ist er zunächst als „Dr. med. prakt. Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer“ im Adressbuch zu finden, sein Wissen wird er fortan auch in medizinischen Fachzeitschriften preisgeben.

    Im November 1886 verstirbt in Braunsberg der Vater der Geschwister. Ein Jahr später findet man Alexander Fürst unter der Adresse „Ackerstraße“ im Berliner Norden wieder, eine Straße, die als Sitz des Verbrechens und des Elends bekannt ist. 1888 kann er endlich als „Gewerksarzt“ wirken. Diese Ärzte waren beim Gewerks-Kranken-Verein angestellt, einer Kassen- und Ärztegemeinschaft, die der Berliner Magistrat 1846 ins Leben gerufen hatte. Der ursprüngliche Gedanke war dabei die Ressourcenzusammenlegung zur Finanzierung einer flächendeckenden kassenärztlichen Versorgung. Die Krankenkasse gewährte weiterhin ein Krankengeld, die Gewerksärzte wurden aus Zahlungen der angeschlossenen Unterstützungskassen in die Vereinskasse bezahlt.

    Eine freie Arztwahl hatten die Arbeiter dabei nicht, was zu großen Spannungen innerhalb des sowieso oft kritisierten Systems führte. Da wurde zum Beispiel das „Simulantenthum unter den Arbeitern“ von der Tagespresse bemängelt, aber auch das Phänomen, dass der Gewerksarzt nur dazu diente, sich den Krankenschein ausstellen zu lassen, der Patient dann aber mit dem Krankengeld seinen favorisierten Arzt aufsuchte. Diese Konflikte werden auch das Leben von Doktor Fürst erschwert haben. Medizin als soziale Wissenschaft, dieses Credo, das er zum Beispiel mit dem Medizinstatistiker Salomon Neumann gemeinsam hatte, wurde so unterwandert.

    Jeder praktische Arzt thäte nur gut daran, sich die wenigen Seiten der Fürst’schen Arbeit gründlich einzuprägen

    Dass Fürst als Arzt äußerst angesehen war, ergibt sich aus vielen Hinweisen. Fürst vertrat zudem vehement die Ansicht, dass ein Hausarzt, der während des Studiums auch in allen „Specialfächern“ ausgebildet wurde, nicht zwingend „nur“ als ebensolcher arbeiten sollten. Das erläuterte er vor allem in seinem hochgelobten Aufsatz „Hausarzt und Ophthalmologie“, der ein Jahr vor seinem Tod in der Deutschen Medizinal-Zeitung erschien, während er auch noch ständiger Mitarbeiter des von Prof. Hirschberg herausgegebenen Centralblatt für praktische Augenheilkunde war. Darin plädierte er für eine „Grenzregulierung“ dieser beiden ärztlichen Richtungen, weil das Auge oft „ein warnender Multiplikator für sonst noch unerkennbare Anomalien“ sei. Die Hausärzte sollten daher auch die während des Studiums erworbenen Spezial-Fähigkeiten einsetzen und so Patienten nicht unnötig abweisen.
    Früher Tod

    „Und wenn ihr euch nur selbst vertraut“, schrieb er am Ende auch und zitierte dabei aus Goethes „Faust“, „Vertrau’n Euch auch die andern Seelen!“ „Jeder praktische Arzt thäte nur gut daran, sich die wenigen Seiten der Fürst’schen Arbeit gründlich einzuprägen“, schrieb ein Mediziner über den Fürst’schen Aufsatz, in dem er nicht nur über den Missstand aufklärte, sondern auch ganz präzise Hinweise für die Grenzregulierung gab.

    Ein Jahr später ignoriert der Mediziner Fürst jedoch sein eigenes Leiden, ein schmerzhaftes Karzinom im Unterleib, von dem nur er etwas weiß. Am 25. Mai 1898 stirbt er in seiner Wohnung am Lützowufer 4 im Beisein seines Bruders Adolf. Vier Tage später wird er auf dem jüdischen Friedhof Weißensee bestattet.

    Noch im Tod wirkt Alexander Fürst weiter als Wohltäter, belegt sind mehrere Legate, darunter 5.000 Mark für das Asyl für Obdachlose in der Fröbelstraße. Der beliebte Kassenarzt, der sich dem Konkurrenzwesen unter der Berliner Ärzteschaft verweigerte, an Titeln überhaupt nicht interessiert war, war tot. „Ein Volksarzt im besten Sinne“, nannte ihn eine medizinische Zeitschrift. Das wäre für ihn wohl das schönste Lob gewesen.

    Eine Ausstellung über Dr. Levinsteins „Maison de Santé“ (Zwischen Wellness und Wahnsinn) zeigt das Museum Schöneberg noch bis zum 12. April 2026.

    Mehr von Nettina Müller
    https://taz.de/Bettina-Mueller/!a48915

    #Berlin Prenzlauer_Berg #Fröbelstraße #Tiergarten #Lützowufer #Geschichte #Arbeiterbewegumg #Iatrokratie #Epidemien

  • Crimini di guerra italiani - una storia difficile

    Il podcast segue il percorso personale e intellettuale di una giovane autrice, #Anita_Fallani, che, partendo da una riflessione sui crimini di guerra contemporanei, si interroga sul ruolo dell’Italia in episodi simili avvenuti nel passato.

    Attraverso interviste, letture, visite in archivio, il podcast costruisce un’indagine in tempo reale, con la protagonista che guida gli ascoltatori nella sua scoperta.

    Ogni episodio ruota attorno a interviste a studiosi, l’utilizzo di documenti storici e frammenti audio di repertorio, da cui l’autrice trae nuovi spunti per un racconto a metà tra un’inchiesta storica e una ricerca personale.

    https://www.youtube.com/playlist?list=PLlcZfiOunO5H-vthLFdVSc6kuk_sDhTlW

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    Il presente che brucia

    Anita trasmette a chi ascolta la sua inquietudine per le guerre in corso oggi e per il modo in cui i crimini di guerra vengono trattati sui media e nelle corti internazionali.

    Per questo si mette in contatto con Cuno Tarfusser, ex Giudice Penale Internazionale. Il giudice spiega cos’è un crimine di guerra e come questi reati sono definiti e perseguiti. Ma gli italiani hanno mai commesso crimini simili? Anita decide di scoprirlo e inizia a contattare storici specializzati, tra cui Valentina Nocentini, docente di Lingua e Cultura italiana alla Pepperdine University e Valeria Deplano docente di Storia contemporanea presso l’Università degli Studi di Cagliari.

    La Libia oggi è un posto dove il rispetto del diritto umanitario è una chimera. Qui l’Italia continua ad avere un rapporto forte e ambiguo. Ma proprio la Libia è stato il primo teatro di guerra in cui militari italiani hanno commesso delle azioni che, oggi, definiremmo crimini di guerra..

    https://www.youtube.com/watch?v=ie5OtCZET58&list=PLlcZfiOunO5H-vthLFdVSc6kuk_sDhTlW&index=5


    #Libye

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    Col ferro e col fuoco

    Anita si imbatte nella vicenda Gheddafi-Berlusconi, la visita in Italia del 2009, la conferenza privata con pubblico “solo femminile” e ovviamente la foto di Omar al-Mukhtar cucita sulla divisa.

    Anita incontrerà gli storici Valeria Deplano ed Eric Gobetti per raccontare un’altra Italia, l’Italia di Mussolini che annuncia sprezzante che «Col ferro e col fuoco, imporremo la nostra civiltà» per giustificare le nuove imprese coloniali.

    Da un lato si “pacifica” la Libia e dall’altro si aggredisce l’Etiopia. Qui gli italiani si macchiano di varie brutalità, dall’uso dei gas alla strage di Debre Libanos…

    Qui emergono due personaggi molto rilevanti, “i due marescialli” : Rodolfo Graziani e Pietro Badoglio. Badoglio assumerà il governo dell’Italia dopo la deposizione di Mussolini mentre Graziani riformerà l’esercito fascista della RSI.

    Eppure nessuno dei due sarà mai processato per crimini di guerra.

    https://www.youtube.com/watch?v=KPbaCIurMM8&list=PLlcZfiOunO5H-vthLFdVSc6kuk_sDhTlW&index=4


    #Silvio_Berlusconi #pacte_d'amitié #Mouammar_Kadhafi #Kadhafi #Omar_al-Mukhtar #colonialisme #colonisation #Mussolini #Benito_Mussolini #fascisme #Ethiopie #Debre_Libanos #RSI #Rodolfo_Graziani #Pietro_Badoglio

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    Si ammazza troppo poco!

    Generale #Mario_Roatta, Generale #Alessandro_Pirzio_Biroli, Generale #Mario_Robotti, Generale #Carlo_Tucci, Generale #Silvio_Bonini. È importante notare che, nonostante le accuse, molti di questi individui non furono mai processati, e le richieste di estradizione da parte dei paesi vittime spesso non furono accolte. La mancanza di processi e la scarsa documentazione pubblica hanno contribuito a una limitata consapevolezza storica su questi crimini.

    Anita si concentra su alcuni casi eclatanti avvenuti in Grecia e Jugoslavia, parlandone con Eric Gobetti e Marco Mondini sui campi di concentramento italiani di #Arbe per slavi e greci. Emergono dispacci, comandi, ordini tragici, uno è quello che ha dato il titolo all’episodio…

    https://www.youtube.com/watch?v=xg_mUlc_ZjA&list=PLlcZfiOunO5H-vthLFdVSc6kuk_sDhTlW&index=3


    #justice #impunité #Grèce #Yougoslavie #camps_de_concentration

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    Nessuna giustizia nessuna pace

    È cambiato il momento storico. La guerra fredda è finita, sono riemersi dei fascicoli volutamente dimenticati per decenni in un armadio. Fascicoli che contenevano migliaia di documenti riguardanti i crimini commessi dai nazifascisti dopo l’8 Settembre del 1943. Inizia la prima stagione processuale italiana contro questi criminali. Anita intervista il procuratore #Marco_de_Paolis che condusse gli interrogatori, Isabella Insolvibile, professoressa di Storia contemporanea all’Università Mercatorum e lo storico Marco Mondini, per capire invece la storia dei crimini di guerra fascisti compiuti sul territorio italiano. Una storia che inizia ben prima dell’8 settembre del 1943…

    https://www.youtube.com/watch?v=W-3vBvvkcvU&list=PLlcZfiOunO5H-vthLFdVSc6kuk_sDhTlW&index=2

    #podcast #audio
    #histoire #historicisation #crimes_de_guerre #Italie #archive

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    ajouté à la métaliste sur le colonialisme italien:
    https://seenthis.net/messages/871953

  • Ein Kohlehändler über Beharrlichkeit: „Ich bleibe bis zum Schluss“
    https://taz.de/Ich-bleibe-bis-zum-Schluss-Dirk-Koegler-ist-einer-der-letzten-Kohlehaendler-in-Berlin/!6116958


    „Der letzte Mohikaner“, so nennt sich Dirk Kögler selbst. So viele Kohlenhändler gibt es ja wirklich nicht mehr Foto: Dagmar Morath

    21.10.2025 von Karlotta Ehrenberg - Wer in Berlin Kohle braucht, ruft bei Dirk Kögler an. Der Kreuzberger hat sie im Angebot. Er ist einer der letzten Kohlehändler in der Stadt.

    Wenn Dirk Kögler die Bestellungen in seiner Kreuzberger Brennstoffhandlung am Festnetztelefon entgegennimmt, kommt die Rechenmaschine zum Einsatz. Namen und Adressen werden säuberlich mit Kuli auf einem Block notiert. Obwohl er dick angezogen ist – der Allesbrenner in der Ecke ist aus –, sieht man dem stämmigen Mann die körperliche Arbeit an. Er hat Kohlenstaub auf Gesicht und Händen – vor der Nachmittagsschicht im Büro wurde ausgeliefert. Kögler zündet sich eine Zigarette an.

    Dirk Kögler: Bin gerade erst rein. Heute Morgen hat sich ein Fahrer krankgemeldet, da mussten wir mit zwei statt mit drei Lkws fahren. Normalerweise schleppe ich ja nicht mehr mit, aber heute musste ich mit ran. Mit vier Leuten haben wir knapp 180 Zentner weggemacht. Braunkohle-Briketts vor allem, aus der Lausitz, das meiste die Treppen hoch bis in die Wohnungen. Die jungen Leute wollen heute nicht mehr schleppen, und die Alten schaffen es nicht mehr.

    taz: 180 Zentner, das sind also 9 Tonnen. Ist das normal für einen Tag?

    Kögler: Heutzutage ja. Früher haben wir 15 bis 20 Tonnen geschafft. Als ich Kind war, haben wir aber auch nur hier im Karree gearbeitet, ganze Häuser und Straßenzüge haben wir beliefert. Nach der Wende waren auch Großkunden dabei, ein Krankenhaus zum Beispiel. Heute liefern wir in das ganze Berliner Stadtgebiet. Auch das Kohlenlager ist weit weg, in Britz, da müssen wir morgens alles aufladen. Bis vor ein paar Jahren habe ich meinen Lkw hier vor der Tür geparkt und darauf Kohlen zwischengelagert, das geht jetzt nicht mehr – Parkraumbewirtschaftung. Das Hauptproblem ist aber, dass wir nicht mehr Auto fahren können. Überall sind diese Poller, zur Verkehrsberuhigung. Neulich haben wir eine Dreiviertelstunde gebraucht, um zum Abladen in eine Straße zu kommen. Und dann stehen überall die Paketlieferanten rum. Und das Ordnungsamt verteilt Strafen. Das macht alles keinen Spaß mehr.

    Im Interview: Dirk Kögler

    Der Mensch

    Dirk Kögler, Jahrgang 1969, lebt seit seiner Geburt in Berlin-Kreuzberg, wo er in seiner Brennstoffhandlung eben auch noch Kohle im Angebot hat. Das Büro und ein kleiner Direktverkauf befinden sich in der Körtestraße 18. Auf einem der vielen Fotos an der Wand ist Kögler mit Frank Zander zu sehen. Der Sänger bat den Kohlenhändler um ein Bild mit „einem der letzten Berliner Originale“.

    Die Kohle

    Schwarzer Popel gehörte zum Berliner Winter lange Zeit genauso fest dazu wie der dauergraue Himmel. Damit ist schon seit einer Weile Schluss. Laut des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg lag die Zahl der Wohnungen mit Ofenheizung im Jahr 2022 bei nur 1,7 Prozent. Da darin auch elek­trisch betriebene Nachtspeicherheizungen enthalten sind, ist der Anteil der Kohleöfen also noch geringer.

    taz: Früher gehörten mit Kohlen beladene Lkws zum Berliner Stadtbild dazu.

    Kögler: Ja. In den 70er Jahren waren wir in Westberlin 970 Kohlenhandlungen.

    taz: Neben Ihnen findet Google nur noch „Holz-Kohle“ in dieser Gegend. Das ist jetzt aber eine Bar …

    Kögler: Soweit ich weiß, gibt es in ganz Berlin nur noch den Teiche, den Engelke und mich. Die Alten haben alle dichtgemacht, da kam keiner mehr nach. Ich bin der einzige, der weitergemacht hat.

    taz: Und auch Sie sind schon vier Jahrzehnte dabei. Geht das nicht auf den Rücken?

    Kögler: Nee, Rücken haben Kohlenträger meistens nicht. Wir haben alle mit 15, 16 angefangen, da baut sich genug Muskulatur um die Wirbelsäule auf. Das Problem sind die Gelenke, die gehen mit der Zeit kaputt. Deswegen muss ich mich beim Tragen jetzt ein bisschen bremsen.

    taz: Sie haben die Kohlenhandlung von Ihren Eltern übernommen.

    Kögler: Ja. Ich führe das Geschäft nun schon in der vierten Generation, mein Uropa mütterlicherseits hat das Geschäft gegründet. Wir sind alle in Kreuzberg geboren und waren alle in der Kohle, auch die Cousins und Cousinen. Es gab den Laden in der Nostitzstraße und dann den hier in der Körtestraße, seit 1907, glaube ich.
    Kohlenhändler Dirk Kögler.
    Schleppen gehört zum Geschäft Foto: Dagmar Morath

    taz: Der Laden heißt noch nach Ihrem Vater.

    Kögler: Ja, er ist 2020 gestorben. Ich hab ihn hier im Büro auf dem Boden gefunden. Jetzt bin ich der Letzte. Sonst gibt es nur noch den Onkel. Der hat früher immer gekotzt, wenn er mit dem Alten mit musste. Mir hat das gefallen. Schon mit drei haben sie mich mit auf Tour geschickt, wahrscheinlich, damit sie mich unter Kontrolle haben. Mein Opa hat viel erzählt, und erlebt hat man unterwegs auch immer was. Und zur Senatsreserve zu fahren war auch immer schön.

    taz: Was ist Senatsreserve?

    Kögler: Westberlin hatte damals stadteigene Lager, falls mal eine Blockade kommt. Das waren riesige Kohlenberge auf verschiedenen Plätzen, verteilt über die Stadt. Auf die mussten wir zugreifen, wenn nichts aus der DDR kam. Von dort kriegten wir die Kohle ja, da gab es ein Abkommen. Und wenn die drüben im Oktober die Güterwaggons für die Kartoffel- oder Rübenernte brauchten, dann kam hier nichts mehr an, und wir mussten zur Reserve. Da haben sich alle Kohlenarbeiter getroffen, und es wurde viel gequatscht. Das fand ich toll.

    taz: Trotzdem haben Sie in den 80er Jahren erst mal einen anderen Beruf gelernt.

    wochentaz

    Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

    Kögler: Ich hab sogar Abitur gemacht. Meine Mutter wollte, dass ich zur Bank gehe oder zur Versicherung. In den 80er Jahren sah es ja auch so aus, als ob bald Schluss ist mit Kohle, immer mehr Häuser waren saniert. Zwar gab es ein Gesetz, das vorschrieb, dass mindestens eine Feuerstelle pro Wohnung erhalten bleibt, insgesamt wurden es aber weniger. Ich hab dann eine Ausbildung als Speditionskaufmann gemacht. Aber dann fiel die Mauer, und hier im Geschäft war tierisch was los.

    taz: Ohne den neuen Markt in Ostberlin wären Sie nicht in das Geschäft eingestiegen?

    Kögler: Richtig, ich bin ein Wendeopfer (lacht). Nee, ich hab mich darüber gefreut. Ich hab ja schon vorher beim Tragen geholfen und ich mochte die Arbeit.

    taz: Was genau mochten Sie daran?

    Kögler: Den Umgang mit der Kundschaft. Heute kommen 98 Prozent übers Telefon, bei meiner Oma hat vielleicht einmal die Woche das Telefon geklingelt, da kamen alle hier rein und haben persönlich bestellt. So eine Straße war wie ein Dorf. Die Leute haben hier ein Leben lang gewohnt, die kannte man schon aus der Schule. Auch die Leute aus den Geschäften wohnten hier alle, die Kassiererin von Reichelt hast du an Heiligabend in der Kirche getroffen. An jeder Ecke wurde man begrüßt, mit jedem Kunden wurde kurz gequatscht. Klar, manchmal konnte das auch lästig werden. Zum Beispiel die Vertriebenen. Deren Geschichten konnte ich irgendwann nicht mehr hören.

    taz: Wieso?

    Kögler: Jedes Mal, wenn ich dahin bin, haben die von Königsberg und Schlesien und so erzählt, dann wurde das Fotoalbum ausgepackt und geflennt. Die wussten, im Winter haben wir keine Zeit dafür und haben dann extra im Frühjahr bestellt. Tja, und dann musste man sich setzen und Fotos anschauen.

    taz: Was für ein Extraservice!

    Kögler: Normal. Wir haben den alten Leuten auch die Asche runtergetragen oder die Mülltüte. In der Coronazeit hat mich ein Kunde gebeten, ihm Klopapier mitzubringen. Der war deswegen schon dreimal vergeblich die Treppen runter. Hab ich natürlich gemacht.

    taz: Die Bevölkerung dieser Stadt hat sich schon sehr verändert.

    Kögler: Ja, richtige Berliner gibt es hier eigentlich nicht mehr. Die kommen aus Hamburg und München, bleiben 2,3 Jahre und ziehen dann weiter. Früher hatte ich Kunden, da hab ich die Kinder aufwachsen sehen. Und die mich natürlich auch.

    taz: Sind die neuen Ber­li­ne­r:in­nen auch anders drauf?

    Kögler: Ja, das merk ich schon bei der Bestellung. Irgendwann hab ich eine E-Mail gekriegt, da stand drin: Ich bestelle 3 Tonnen zu dem und dem Tag. Wie stellt der sich das vor?! Ich muss doch meine Touren planen, außerdem weiß ich doch gar nicht, ob ich an dem Tag genug Platz auf dem Lkw hab. Auch hab ich mittlerweile fast Angst, den Leuten zu sagen, dass ich um acht komme, vor zehn steht ja kaum einer auf. Einer hat mich mal gefragt: Liefern Sie auch nach 22 Uhr?

    taz: Das ist die Lieferando-Bestell-Mentalität.

    Kögler: Ja, genau. Die wollen alles immer sofort. Die lagern auch nicht mehr ein. Früher haben die alten Leute noch vor dem Urlaub eingekellert, das war noch die Mentalität aus dem Krieg, so nach dem Motto: Frieren ist schlimmer als hungern. Da ging es also im Juni schon wieder los. Heute hab ich bis September nichts zu tun. Viele werden auch erst wach, wenn es plötzlich kalt wird. Dann kommt der ganze Stress auf einmal.

    taz: Und was machen Sie dann in den Sommermonaten?

    Kögler: Ich fahre Pflanzen aus. Früher habe ich auch eine Weile auf dem Bau beim Abriss gearbeitet, aber das war nichts für mich, immer an einem Ort sein, immer mit denselben Leuten. Ich komme gern rum.

    taz: Haben Sie da nie überlegt, aus Berlin weg und in die Welt zu gehen?

    Kögler: Nein, nie. Als ich zwanzig war, fiel ja auch die Mauer, da kam die Welt hierher! Da war was los. Nicht nur im Geschäft, sondern überhaupt. Für eine Weile war das wie ein rechtsfreier Raum hier, da konnte man alles tun. Überall war Fete angesagt.

    taz: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Tour nach Ostberlin?

    Kögler: Nein. Viele Ostberliner waren aber froh, dass sie jetzt woanders bestellen konnten. Einige Kohlenhändler im Osten waren ja wie der liebe Gott, der über das begehrte Gut entscheidet. Die haben ihre Kunden richtig schlecht behandelt. Tja, und das hat sich dann gerächt. Das hat mir mein Vater schon beigebracht: Behandele die Leute anständig, sonst bleiben sie weg. Deswegen habe ich 2022, als die große Energiekrise war, auch niemanden extra bedient. Da haben alle Kunden das Gleiche gekriegt.

    taz: Bleiben wir noch etwas in der Wendezeit. Neben vielen neuen Kunden brachte der Mauerfall ja auch Konkurrenten, oder?

    Kögler: Ja, aber die hatten kein Personal mehr. So ein DDR-Kohlenarbeiter hat 33 Ost-Pfennig gekriegt für den Zentner, mit in den Kriechkeller krabbeln und in die Kästen stecken und so. Eine Straße weiter hat der Kohlenarbeiter aber eine Mark West gekriegt und musste dafür nur Kohlen reinbringen. Zack, da waren die Arbeiter weg.

    taz: Wie lang hat der Boom im Kohlengeschäft gedauert?

    Kögler: Kurz. Innerhalb von vier bis fünf Jahren haben die im Osten alle Öfen rausgekloppt. Das ging viel schneller als in Westberlin.

    Mein Opa hat schon immer gesagt: Mit der Kohle ist es bald vorbei. Das war in den Sieb­ziger­jahren. Jetzt ist 2025, und ich und mein Onkel sind immer noch da!

    taz: Der Gedanke, dass es mit dem Geschäft bald Schluss sein könnte, hat Sie also immer begleitet.

    Kögler: Mein Opa hat schon immer gesagt: Mit der Kohle ist es bald vorbei. Das war in den Siebzigerjahren. Jetzt ist 2025, und ich und mein Onkel sind immer noch da! Und die Alten gucken uns von oben zu. (lacht) – Nee, ich halte es wie meine Eltern: Alles ohne Angst, nichts ohne Sorgen. Zur Not geh ich wieder Lkw fahren.

    taz: Der politische Wandel bedroht Ihr Geschäft ja nicht nur, er feuert es auch manchmal an.

    Kögler: Ja. Als der Krieg in der Ukraine losging, haben die Leute hier bis zur Ecke gestanden. Jeder, der noch einen Ofen hatte, wollte Kohlen im Keller haben. Für den Fall, dass die Russen das Gas abdrehen.

    taz: Bei einer so hohen Nachfrage kann man den Preis kräftig erhöhen …

    Kögler: Das mache ich grundsätzlich nicht. Die Kohle ist ja schon so viel teurer geworden, das ist ja an den Gaspreis gekoppelt. Wenn ich heute zu den Leuten komme, dann sind die Fenster vor Kälte beschlagen, die heizen oft nur noch ein Zimmer. Früher in den Siebzigern, da haben mir die Leute im Unterhemd aufgemacht.

    taz: Ihre Preispolitik geht also auch auf den Anstandsappell Ihres Vaters zurück. Was haben die Eltern Ihnen sonst noch mitgegeben?

    Kögler: Zum Beispiel, dass, wenn jemand eine andere Meinung hat, du den zwar doof finden kannst, dem wird aber nichts getan. Leben und leben lassen, so haben sie mich erzogen. Und so lebe ich bis heute. Und deswegen verstehe ich auch nicht, dass die da alle aneinander geraten und rumwüten.

    taz: Sie spielen auf die oft angeheizte Stimmung in den gesellschaftlichen Debatten an. Bekommen Sie die in Ihrem Alltag zu spüren? Gibt es etwa Leute, die Sie dafür anpöbeln, dass Sie trotz des Klimawandels noch Kohle verkaufen?

    Kögler: Nein, so was hört man eher hinten rum.

    taz: Auf meine Anfrage hin haben Sie aber gezögert, ob Sie bei diesem Interview mitmachen wollen.

    Kögler: Ja. Ich will nicht, dass einer auf die Idee kommt, meinen Laden oder den Lkw anzuzünden. So was ist einem Bekannten passiert. Dem haben sie zwei Betonmischer angezündet.

    taz: Es sind nicht nur Aktivisten, die meinen, dass mit der Kohle endlich Schluss sein muss. Auch Politik und Wissenschaft fordern das. Können Sie das verstehen?

    Kögler: Ich bin kein Freund davon, alles radikal zu machen. So wie früher, radikal die Straßenbahn weg. Oder die Güterzüge. Ich hab die Kohle immer mit der Eisenbahn bekommen, dann haben sie die Schienen rausgeholt. Jetzt kriege ich sie mit Lkws. Das ist doch auch nicht umweltfreundlich. Und dann heißt es, Gas ist besser als Kohle, und sie bauen so was wie diesen LNG-Terminal. Die ganze Erde bebt, die Robben sind alle weg, alles versaut. Das ist doch Mist.

    taz: Als „letzter Mohikaner“ im Kohlengeschäft haben Sie sich inzwischen einen richtigen Namen gemacht.

    Kögler: Ja, über mich wurde schon so einiges geschrieben. Am Schlimmsten war ein Artikel, in dem behauptet wurde, dass Schluss ist mit der Kohle. Das hat mich fast Kunden gekostet, weil die alle dachten, dass ich aufhöre.

    taz: Wird hier der Ofen im Kohlenhandel denn nicht bald aus sein?

    Kögler: Das Geschäft wird immer weniger, aber noch läuft es. Und ich bleibe bis zum Schluss.

    #Berlin #Kreuzberg #Körtestraße #Energie #Arbeit #Kohle

  • Debatte um neues Gesetz in Berlin - Rechnet die IHK bei der Umlage für Ausbildungsplätze falsch?
    https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2025/10/ausbildungsplatzumlage-ihk-berlin-bvg-azubis.html

    8.10.25 von Ute Schuhmacher - Seit Monaten wird in Berlin um die Ausbildungsplatzumlage gerungen. Alle Unternehmen sollen sie zahlen, aber nur Ausbildungsbetriebe bekämen Geld. Laut IHK müsste die Mehrheit von diesen draufzahlen. Neue Zahlen belegen etwas anderes. Von Ute Schuhmacher

    Die geplante Ausbildungsplatzumlage in Berlin führt seit Langem zu Diskussionen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) bezeichnet sie als „Strafzahlung“ und prophezeit, dass selbst die meisten Betriebe, die ausbilden, am Ende mehr in den Topf einzahlen als sie herausbekommen. Im Juli unterstrich sie das mit Zahlen der BVG. Das Unternehmen hatte seine Daten in den Ausbildungsumlagerechner auf der Internetseite der IHK eingegeben. Das Ergebnis alarmierte die BVG-Geschäftsführung: Ein Minus von 660.000 Euro warf der IHK-Rechner aus - und das, obwohl die BVG 483 Azubis hat.

    Dem rbb liegen nun interne Zahlen der Senatsverwaltung für Arbeit vor, die zu einem völlig anderen Ergebnis kommen. Danach würde die BVG zwischen 400.000 Euro und 1,5 Millionen Euro Plus machen. Wie hoch der Betrag wird, hängt davon ab, wie viel die Unternehmen für jeden Azubi aus dem Umlagetopf bekommen werden. Das muss im Gesetzgebungsverfahren noch festgelegt werden. Wie kann es aber sein, dass der IHK-Rechner auf ein Defizit kommt und die Senatsverwaltung auf ein Plus?

    Eine Frau mit Kopftuch arbeitet in einer Übungswerkstatt für Handwerksausbildung. (Quelle: imago-images/Michael Gottschalk)

    IHK-Rechner mit falschen Zahlenkombinationen?

    Zur Diskussion stehen unterschiedliche Ausbildungsumlagemodelle. Bei dem einen zahlen Unternehmen den geringstmöglichen Beitrag in den Umlagetopf ein, bekommen pro Azubi aber auch nur 2.250 Euro im Jahr ausgezahlt. Bei einem anderen Modell wird mehr in den Umlagetopf eingezahlt und pro Azubi 14.000 Euro ausgezahlt. Dazwischen werden diverse Abstufungen beraten. Die IHK hatte für ihren Rechner im Sommer nun den geringsten Betrag angesetzt, den Unternehmen aus dem Umlagetopf bekommen können. Kombiniert hatte sie den aber nicht mit dem niedrigsten Einzahlungsbeitrag, sondern mit dem höchstmöglichen. So kam das Minus von 660.000 Euro für die BVG zustande.

    Inzwischen hat die IHK ihren Rechner upgedatet. Sie geht nun davon aus, dass Unternehmen pro Azubi 6.252 Euro bekommen. Das wäre die Hälfte von dem, was ein Azubi im Schnitt verdient. Kombiniert wird das aber weiter mit dem Maximalbetrag, den Unternehmen an Umlage zahlen müssten. Nach den internen Berechnungen der Senatsverwaltung für Arbeit wäre der aber nur fällig, wenn die Unternehmen pro Azubi 14.000 Euro bekämen.

    Die internen Berechnungen der Senatsverwaltung für Arbeit enthalten neben der BVG noch andere Beispiele. Alle Rechnungen gehen davon aus, dass die Ausbildungsumlage 7.000 Euro pro Azubi beträgt und damit jedes Unternehmen jährlich 0,24 Prozent seiner Bruttolohnsumme in den Ausbildungstopf bezahlt. Ein Unternehmen dessen Bruttolohn im Jahr 600.000 Euro beträgt, müsste damit pro Jahr 1.440 Euro in den Ausbildungsumlagetopf bezahlen. Wie viele Menschen in dem Betrieb arbeiten, ist für die Berechnung irrelevant. Wenn dieses Unternehmen zwei Azubis im ersten Lehrjahr hätte, bekäme der Betrieb 14.000 Euro wieder ausgezahlt.

    Für Azubis im zweiten oder dritten Lehrjahr gibt es weniger

    Im zweiten, dritten oder auch vierten Lehrjahr gibt es weniger aus dem Ausbildungsumlagetopf. Denn es wird davon ausgegangen, dass dann die Azubis für die Unternehmen eine zunehmend größere Entlastung sind. Im zweiten Lehrjahr soll es deshalb noch die Hälfte der festgesetzten Ausbildungsumlage geben, im dritten und vierten Ausbildungsjahr 25 Prozent.

    Rechnet man das für das Beispiel des Unternehmens mit zwei Azubis und 600.000 Euro Bruttolohnsummen durch, bekäme der Betrieb im zweiten Lehrjahr 7.000 Euro, im dritten und ggf. vierten Lehrjahr 3.500 Euro. Für jeden Azubi, der am Ende seine Prüfung erfolgreich ablegt, ist noch mal ein Prüfungsbonus von 25 Prozent vorgesehen. Das wären im Beispielfall weiter 3.500 Euro obendrauf. Unter dem Strich hätte der Betrieb deutlich mehr eingenommen als eingezahlt. Für Unternehmen, die nicht ausbilden, ist das anders.

    Geld allein löst das Problem nicht

    Die IHK, andere Verbände und Unternehmensvertreter betonen immer wieder, das Geld aus ihrer Sicht nicht das vordringliche Problem ist. Zu viele Jugendliche seien schlicht nicht ausbildungsfähig. Das zu ändern sei Aufgabe der Schulen und damit des Staates. Seit diesem Jahr gibt es in Berlin deshalb das 11. Pflichtschuljahr für alle, die nach dem Verlassen der Schule nach der 10. Klasse keinen Ausbildungsplatz, Freiwilligendienst oder etwas Vergleichbares gefunden haben.

    Das Ziel des 11. Pflichtschuljahres ist es, die Schülerinnen und Schüler für eine Ausbildung zu qualifizieren. Das allein reicht Berlins Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) aber nicht, denn 2024 kamen rechnerisch auf 100 Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchten, 72 Ausbildungsplätze. Kiziltepe argumentiert mit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1980: Danach sollen 100 Bewerberinnen und Bewerbern 112,5 betriebliche Ausbildungsplätze angeboten werden, damit die Jugendlichen auch eine Auswahl haben.

    2.000 zusätzliche Ausbildungsverträge oder Ausbildungsumlage

    Ob die Ausbildungsumlage kommt, hängt weiter davon ab, ob Ende des Jahres 2.000 Ausbildungsverträge mehr unterschrieben sind als 2023. Diese Zahlen liegen erst Ende des Jahres vor, wenngleich das Ausbildungsjahr schon im September begonnen hat.

    Das liegt daran, dass auch in den vergangenen Jahren rund ein Drittel aller Ausbildungsverträge eines Jahres erst nach dem Beginn des Ausbildungsjahres geschlossen wurden. Sollte das Zweitausenderziel nicht erreicht werden, soll die Ausbildungsumlage im Abgeordnetenhaus im ersten Quartal des kommenden Jahres beschlossen werden, sagt die Arbeitssenatorin. Darauf hatte sich die schwarz-rote Koalition verständigt. Widerstand gegen die Umlage gibt es beim Koalitionspartner CDU dennoch. Um den Zeitplan einhalten zu können, ist der Gesetzentwurf jetzt in erster Lesung im Parlament.

    Sendung: rbb24 Inforadio, 09.10.2025, 10 Uhr

    #Berlin #Arbeit #Ausbildung #IHK #Politik

  • Vietnamesische Auszubildende verschwinden aus Berliner Berufsschulen
    https://www.berliner-zeitung.de/news/vietnamesische-auszubildende-verschwinden-aus-berliner-berufsschule

    Jedes Mal wenn wir dachten, schlmmer kann es nicht werden, wurde es schlimmer.

    1.10.2025 von Eva Maria Braungart - Hunderte Schüler aus Vietnam lernen an den Berufsschulen. Doch ein Drittel scheint wie verschwunden. Gewerkschaften vermuten Menschenhandel.

    In Berlin erscheinen offenbar immer mehr vietnamesische Schüler nicht mehr zum Unterricht in den Berufsschulen. Wie der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) berichtete, scheint rund ein Drittel von ihnen wie verschwunden zu sein. „Niemand weiß, wo die abgeblieben sind“, so Sebastian Riesner, der als Vertreter der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Mitglied der Schulkonferenz ist.

    „Günstigstenfalls“, so Riesner, landeten die jungen Menschen „in irgendwelchen Nagelstudios, schlimmstenfalls in der Prostitution, wo sie ihre Schulden abbezahlen“. Bei der Berufsschule in Weißensee in Pankow kommen mittlerweile 700 der insgesamt 5000 Schüler aus Vietnam.

    2000 Auszubildende aus Vietnam in Berlin

    Auffällig ist laut RBB, dass ein Großteil von ihnen kaum Deutsch spricht, obwohl sie in Vietnam B1-Sprachzertifikate erworben haben. Für ein Visum ist dies – neben dem Ausbildungsvertrag – eine der zentralen Voraussetzungen. Dies stelle die Schulen und Lehrer vor einige Herausforderungen. „Dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, das will ich nicht ausschließen“, so Gerrit Buchhorn, Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gastronomieverbands Berlin (Dehoga).

    Laut Bundesagentur für Arbeit sollen rund 16.000 junge Menschen aus Vietnam derzeit in Deutschland eine Ausbildung absolvieren – allein 2000 davon in Berlin. Doch die Zahlen variieren stark. Unklar ist etwa, wie viele Vietnamesen mit Ausbildungsvisum tatsächlich einen Aufenthaltstitel beantragt haben – und wie viele ihre Ausbildung abgebrochen haben und somit ausreisepflichtig wären.

    Viele Vietnamesen werden von Agenturen in ihrer Heimat angeworben und an deutsche Betriebe vermittelt. Dafür verlangen die Agenturen nach Informationen des RBB bis zu 20.000 Euro von den jungen Menschen. Viele nehmen Schulden auf, um so nach Deutschland zu kommen. Vermittler würden „den Leuten vor Ort das Blaue vom Himmel versprechen“, so Gerrit Buchhorn. Der Berliner Dehoga-Chef spricht von einem „ganzen Markt, der da herrscht“. Die Migrationsexpertin Mimi sprach gegenüber dem RBB von einem „zwielichtigen“ und „undurchschaubaren“ Markt. Viele der Agenturen seien Teil eines internationalen Netzwerks Organisierter Kriminalität. Auch Handel mit Sprachzertifikaten gebe es dort. Junge Vietnamesen ohne Deutschkenntnisse stünden vor einem „extrem hohen Risiko“, hierzulande ausgebeutet zu werden, warnt Mimi Vu.

    Das BKA äußerte sich auf RBB-Anfrage wie folgt: „Dem BKA liegen vereinzelt Hinweise zu potenzieller Ausbeutung von vietnamesischen Auszubildenden vor.“ Riesner hält viele der Vermittlungsorganisationen für „Schlepperorganisationen, die billige Arbeitskräfte nach Deutschland schaffen“. Weiter spricht er von „Arbeitskräfteschleusung und modernem Menschenhandel“.

    #Ausbeutumg #Arbeit #Migration #Deutschland #Vietnam

  • Natürlich muss die deutsche #Staatsanwaltschaft erst einmal unter D...
    https://diasp.eu/p/17877319

    Natürlich muss die deutsche #Staatsanwaltschaft erst einmal unter Druck gesetzt werden, bevor sie sich bequemt #Ermittlungen einzuleiten 😱

    siehe: https://www.zdfheute.de/politik/muenchener-sniper-ermittlungen-un-100.html

    Damit steigt der Druck auf die deutsche Justiz. Linke und Grüne fordern längst Konsequenzen. So verlangt der Bundestagsabgeordnete Helge Limburg (Grüne) eine Unterrichtung durch den #Generalbundesanwalt in der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses am 8. Oktober.

    Ein Armutszeugnis für den deutschen #Rechtsstaat und damit die Gleichheit vor dem #Gesetz, denn bei einem russischen Scharfschützen hätte man nicht mal bis 3 zählen können und es wäre schon Ermittlungen eingeleitet worden.

    #Problem #Arbeitsverweigerung #Mord #UNO #Politik #Unabhängigkeit #Justiz #Problem #Israel (...)

  • Transporter-Fahrer gegen Radfahrer - das geht heftig aus

    Ein Radler machte Fotos von einem riskanten Manövers des Transporters. Was danach geschah wurde zu einem brisanten Fall für den Richter.
    https://www.berliner-kurier.de/berlin/transporter-fahrer-gegen-radfahrer-das-geht-heftig-aus-li.2357631

    Leg dich nicht mit Transporterfahrer an. Euer Kutscher hat wegen solcher Mörder das Radfahren in der Berliner Innenstadt aufgegeben. Nach täglich etwa zwei ähnliche Begegnungen reichte es. Das war vor über zwanzig Jahren.

    Der Job macht die Leute kirre. Stress, keine Knete, Verachtung vom Chefausbeuter, wat willste. Verurteilt wurde der Falsche. Boss, Miethaie und Stadplaner müssten in den Knast.

    18.9.2025 vonBerliner KURIER
    Foto
    Der Angeklagte Maznun Azak sitzt in einer blauen Jacke vor dem Richter. Pressefoto Wagner

    Kurze Zündschnur: Ein Transporter-Fahrer ärgert sich über einen Radfahrer. Der liegt kurz darauf verletzt auf der Straße, und Autofahrer Maznun A. (53) steht nun vor Gericht. Der Lagerarbeiter war am 13. August 2024 mit einem Transporter in Kreuzberg unterwegs. Ein Wendemanöver dann auf der Köpenicker Straße – aus Sicht von Radfahrer Luke S. (44) war es riskant, behinderte mehrere Fahrradfahrer.

    S. zückte sein Handy – „ich machte ein Foto“. Dann stieg er wieder aufs Rad. An einer roten Ampel eine Begegnung: „Der Fahrer öffnete das Fenster und schrie mich an. Ich war schockiert.“ Mit Tempo 20 bis 25 sei er weitergefahren. Der Transporter habe ihn dann überholt – „der Fahrer hielt, stieg aus und warf mich vom Fahrrad“.
    Streit eskalierte auf offener Straße

    Der Radler rutschte über die Straße: „Ich hatte Glück, dass es keinen Gegenverkehr gab“. Die Folgen erheblich: „Kopf aufgeschlagen, Schulter ausgekugelt, Arm gebrochen, Lunge geschädigt.“ Zehn Monate habe er nicht arbeiten können, so der Massagetherapeut. „Rad fahre ich nicht mehr.“

    Der Angeklagte aber pocht auf Unschuld: „Ich wollte nur mit ihm reden und ihm sagen, dass er die Bilder löschen soll. Er kann mich doch nicht einfach auf der Straße fotografieren.“ An einer roten Ampel sei es der Radfahrer gewesen, der „komische Bewegungen gemacht, mit dem Handy gewedelt und gepöbelt“ habe.

    Transporter-Fahrer A.: „An einer Bushaltestelle fuhr ich dann rechts ran. Er war 30 bis 40 Meter hinter mir, fuhr auf mich zu.“ Er will ihm Zeichen gegeben haben: „Mit der Hand – ich wolle mit ihm reden“.

    Richter kontert die Darstellung des Angeklagten drastisch

    Doch S. sei schneller geworden. Fahrer A.: „Ich ging auf ihn zu, wollte ihn am Rucksack halten. Da ist er runtergefallen.“ Der Richter kontert: „Vom Rad gestürzt. Wenn man bei der Geschwindigkeit reingreift, muss man mit massiven Verletzungen rechnen.“

    Ein Augenzeuge (40): „Er hat ihn am Rucksack gepackt und zu Boden gerissen“. Der Radfahrer sei über den Lenker gestürzt. Der Autofahrer habe dann Zeugen wegschicken wollen: „Geht einfach weiter. Der Herr wird schon wieder aufstehen.“

    Der Angeklagte wollte Freispruch. Das Gericht sah es anders. Schuldig des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und der gefährlichen #Körperverletzung. Zwei Jahre #Haft auf #Bewährung und eine #Führerscheinsperre von 18 Monaten ergingen. Zudem soll A. ein Schmerzensgeld von 2000 Euro zahlen. (KE)

    #Berlin #Verkehr #Justiz #Arbeit

  • Trinkgeld im Job: Was erlaubt ist und was nicht
    https://www.telepolis.de/features/Trinkgeld-im-Job-Was-erlaubt-ist-und-was-nicht-10528334.html

    Arbeitnehmerprivileg : Trinkgeld steuerfrei, Selbständige müssen Trinkgeld versteuern. Nicht erwähnt : Trinkgelder werden vollatândig mit dem Bürgergeld verrechnet.

    14.8.2025 von Bernd Müller - Trinkgeld gehört für viele zum Einkommen dazu. Doch was ist rechtlich erlaubt? Wir klären die wichtigsten Fragen zu den Zusatzzahlungen.

    Ob im Restaurant, beim Friseur oder im Taxi – in vielen Branchen gehört das Trinkgeld für die Beschäftigten fest zum Einkommen dazu. Viele Kunden honorieren damit guten Service und wollen die oft nicht üppig entlohnten Arbeitnehmer unterstützen. Doch so selbstverständlich die Praxis des Trinkgeldgebens auch sein mag, so unklar sind vielen die rechtlichen Rahmenbedingungen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

    Was ist Trinkgeld eigentlich genau?

    Rechtlich gesehen ist Trinkgeld eine Geldzuwendung, die ein Kunde freiwillig zusätzlich zum eigentlichen Rechnungsbetrag für eine Dienstleistung gibt. Juristisch spricht man von einer sogenannten „Anstandsschenkung“. Das bedeutet: Es besteht kein Rechtsanspruch darauf. Der Kunde entscheidet selbst, ob und in welcher Höhe er etwas geben möchte.

    Wichtig ist dabei die Abgrenzung zum regulären Arbeitslohn. „Der Arbeitgeber darf das Trinkgeld auf keinen Fall auf den vertraglich vereinbarten Lohn anrechnen“, betont Fachanwalt für Arbeitsrecht Peter Meyer gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Das Trinkgeld ist also eine reine Zusatzleistung. Andererseits hat aber auch der Arbeitnehmer keinen einklagbaren Anspruch darauf. Er kann vom Kunden nicht verlangen, dass dieser zwingend Trinkgeld zahlt.

    Worin unterscheidet sich Trinkgeld vom Bedienungsgeld?

    Während das Trinkgeld eine freiwillige Leistung ist, handelt es sich beim Bedienungsgeld um einen verpflichtenden Aufschlag auf den Rechnungsbetrag. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte „Kofferträgergeld“ in Hotels oder das „Metergeld“, das bei Möbelumzügen oft zusätzlich berechnet wird.

    Der entscheidende Unterschied: Trinkgeld geht direkt und ungekürzt an den Mitarbeiter, der die Leistung erbracht hat. Bedienungsgeld dagegen fließt zunächst an den Arbeitgeber. Für ihn stellt es eine Form des steuerpflichtigen Arbeitsentgelts dar, das er nach den üblichen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Regeln behandeln muss. Auf welche Weise es dann an die Mitarbeiter weitergegeben wird, hängt von der jeweiligen betrieblichen Praxis ab.

    Darf der Arbeitgeber auf das Trinkgeld seiner Mitarbeiter zugreifen?

    Nein, das ist gesetzlich ausgeschlossen. Das Trinkgeld gehört allein dem Arbeitnehmer, der die entsprechende Leistung erbracht hat. Der Arbeitgeber hat kein Recht, es ganz oder teilweise einzubehalten. Das gilt auch dann, wenn der Kunde mit EC- oder Kreditkarte zahlt und das Trinkgeld zunächst auf dem Geschäftskonto des Unternehmens landet. Auch in diesem Fall muss der Chef es in voller Höhe an seine Mitarbeiter auszahlen.

    Eine Ausnahme von dieser Regel ist nur möglich, wenn im Betrieb eine gesonderte Vereinbarung zur Verteilung der Trinkgelder getroffen wurde, etwa in Form eines sogenannten Trinkgeldpools (auch Tronc-System genannt). Aber selbst dann gilt: Der Arbeitgeber darf nicht eigenmächtig und willkürlich über die Aufteilung entscheiden.
    Wer entscheidet über die Verteilung des Trinkgelds, wenn es gesammelt wird?

    In vielen Unternehmen, insbesondere in der Gastronomie, ist es üblich, die Trinkgelder in einem gemeinsamen Topf zu sammeln und dann nach einem bestimmten Schlüssel an alle Mitarbeiter zu verteilen. Damit sollen auch die Beschäftigten „hinter den Kulissen“, etwa in der Küche, an den zusätzlichen Einnahmen beteiligt werden.

    Doch Vorsicht: „Der Arbeitgeber darf nicht eigenmächtig und nach Gutdünken über die Verteilung entscheiden“, gibt Arbeitsrechtler Meyer zu bedenken. Die Aufteilungskriterien müssen transparent und nachvollziehbar sein. In Betracht kommen etwa die Funktion des Mitarbeiters, die geleistete Arbeitszeit oder eine prozentuale Beteiligung am Umsatz.

    In vielen kleineren Betrieben gibt es oft keine schriftlich fixierten Regeln zur Trinkgeldverteilung. Stattdessen wird die Aufteilung meist intern unter den Mitarbeitern abgesprochen, erklärt Prof. Michael Fuhlrott, ebenfalls Fachanwalt für Arbeitsrecht, laut dpa
    .
    Sind Arbeitnehmer verpflichtet, ihre Trinkgeldeinnahmen offenzulegen?

    Eine allgemeine Auskunftspflicht gegenüber dem Arbeitgeber besteht nicht. Der einzelne Mitarbeiter muss also nicht unbedingt offenlegen, wie viel Trinkgeld er während seiner Schicht eingenommen hat.

    Etwas anderes kann sich aber aus dem Arbeitsvertrag oder einer speziellen Betriebsvereinbarung ergeben. Das ist insbesondere dann relevant, wenn die Trinkgelder nicht individuell behalten, sondern in einen gemeinsamen Pool eingezahlt und später nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden. Dann kann durchaus eine Pflicht zur Abrechnung und Meldung der Trinkgeldeinnahmen bestehen.
    Haben Beschäftigte einen Anspruch auf Barzahlung des Trinkgelds?

    Nein, einen solchen Anspruch gibt es nicht. Ob das Trinkgeld in bar oder bargeldlos gezahlt wird, hängt von den Gepflogenheiten im jeweiligen Betrieb und natürlich auch von den Wünschen und Möglichkeiten der Kundschaft ab.

    Gerade bei Kartenzahlungen oder Trinkgeldzahlungen über spezielle Online-Systeme haben die Beschäftigten aber oft das Nachsehen. „Besonders in Branchen wie Paketdiensten und Lieferservices empfiehlt sich daher nach wie vor die Barzahlung des Trinkgelds, da es sonst oft gar nicht bei den ausführenden Mitarbeitern ankommt“, rät Fachanwalt Meyer.

    Müssen Arbeitnehmer ihr Trinkgeld versteuern?

    Das hängt von der Art und Weise der Trinkgeldzahlung ab. Freiwillige Trinkgelder, die Kunden direkt und ohne Umwege an die Mitarbeiter zahlen, sind in der Regel steuer- und sozialversicherungsfrei. Der Beschäftigte kann also über diese Zusatzeinnahmen frei verfügen.

    Anders sieht es aus, wenn das Trinkgeld zunächst an den Arbeitgeber geht und von diesem über ein Tronc-System an die Belegschaft verteilt wird. Dann handelt es sich um steuerpflichtiges Arbeitsentgelt, für das auch Sozialabgaben anfallen. Gleiches gilt für verpflichtende Bedienungsgelder oder Serviceaufschläge.

    Übrigens: Selbstständige und Freiberufler müssen generell auch freiwillig gezahlte Trinkgelder als Betriebseinnahmen versteuern.

    Welche Trinkgeld-Höhe ist in welcher Branche üblich?

    Feste Regeln zur Höhe des Trinkgelds gibt es nicht. Sie hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa von der Art des Betriebs, der Region oder der Zufriedenheit des Kunden mit der Leistung.

    In der Gastronomie sind laut Arbeitsrechtler Fuhlrott je nach Segment zwischen fünf und 20 Prozent des Rechnungsbetrags als Trinkgeld üblich. In anderen typischen Trinkgeld-Branchen wie dem Friseurhandwerk, bei Taxifahrten oder Lieferdiensten liegt die Spanne meist um die zehn Prozent des Preises, schätzt sein Kollege Meyer. Feste Vorgaben gibt es aber nicht. Letztlich entscheidet jeder Gast selbst, wie viel er geben möchte – oder ob er überhaupt etwas gibt.

    Fazit: Trinkgeld ist immer eine freiwillige Zusatzleistung. Es sollte als Anerkennung und Wertschätzung für gute Arbeit verstanden werden, nicht als selbstverständliche Pflicht. Für Arbeitgeber gilt: Finger weg vom Trinkgeld der Mitarbeiter! Klare, transparente und fair ausgehandelte Regeln im Betrieb können helfen, Streitigkeiten und Unzufriedenheit in der Belegschaft zu vermeiden.

    #Arbeit #Einkommen

  • 663 ungenehmigte Taxis in Berlin aufgeflogen: Verkehrsverwaltung geht gegen kriminelle Strukturen vor
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/663-ungenehmigte-taxis-in-berlin-aufgeflogen-verkehrsverwaltung-geht-ge

    Wir wussten es immer schon. War doch klar. Seit uns Uber-Fahrer sagen, dass sie auf Taxi umsteigen möchten,weil sie zu schlecht verdienen, seit es, viel länger noch, Betriebe gibt, die sowohl Taxis als auch Mietwagen betreiben, seit wir vor vielen Jahren in einem offensichtlich „geklonten“ Taxi ohne eigene Konzession arbeiten sollten, seit es Modelle plausibel-kreativer Buchführung fürs Taxi gibt, seit für eine Studie ermitteltbwurde, dass drei Viertel aller Taxibetriebe fingierte Abrechnungen bei Steuer und sozialversicherung einreichen, so lange wussten wir von den unkonzessionierten Taxis.

    Neu ist die eher niedrige ermittelte Zahl von um die 10 Prozent unkonzessionierter Taxis. Es gibt vermutlich mehr davon.

    Der Uber-Konzern hat ein System für Sozialbetrug in industriellem Maßstab in die Stadt gebracht. Die kriminellen Milieus im Gewerbe wurden gestärkt, weil die Uber-Bande ihnen ein todsicheres, von gesetzlichen Einschränkungen befreites Business-Modell erschlossen hat. Mit ihm wurden neue Schlupflöcher geöffnet, durch die uns allen in die Tasche gegriffen wird. Nicht konzessionierte Taxis „offiziell“ vermitteln zu lassen, ist eine logische Folge der großflächig etablierten Parallel- und Schattenwirtschaft.

    Das Problem hat Auswirkungen weit über das Taxi- und Mietwagengewerbe hinaus. Durch Ausbeutung und Sozialbetrug ist eine neue Randgsellschaft entstanden, deren Mitglieder Tricksereien und Betrug zum Teil ihrer Identität gemacht haben. Diese Menschen ziehen sich in eigene religiöse und kulturelle Zirkel zurück, und erleben Staat und Gesellschaft als bedrohliche Beutegreifer, gegen die sie sich mit allen Mitteln zur Wehr setzen. Diesen Gegnern einen Teil der Beute abzujagen ist für sie nicht nur Ehrensache sondern überlebensnotwendig.

    Fragen sie mal Lehrer an Berliner Problemschulen nach den Haltungen ihrer Schutzbefohlenen.

    10 Prozent Illegale Taxis sind nur die Spitze des Eisberis. Würde die nachgewiesene Zahlung des Mindestlohns an alle Fahrer als Kriterium für die Zuverlässigkeit von Betrieben durchgesetzt, müsste über die Hälfte der Taxi- und sämtliche Uber-Mietwagenbetriebe verboten werden.

    Das Taxi- und Mietwsgengewerbe ist kaputt. Es braucht eine Revolution, um zukunftsfähig zu werden

    11.4.2025 von Benedikt Schmidt - Vor einem Jahr kam heraus, dass etwa 1600 sogenannte Mietwagen bei Uber und Co. ohne Erlaubnis vermittelt wurden. Jetzt hat sich die Verwaltung die Taxis vorgeknöpft.

    Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheit, kurz Labo, hat die von ihr erteilten Zulassungen aller Taxis in Berlin mit den Datensätzen der Vermittlungsdienste und Rufzentralen abgeglichen. Dabei kam heraus, dass bisher mehr als 600 Taxis in der Hauptstadt an Fahrgäste vermittelt wurden, obwohl sie dazu keine behördliche Erlaubnis hatten.

    Das erklärte die fürs Labo zuständige Senatsverkehrsverwaltung am Freitag. Insgesamt hat die Behörde 663 „Fahrzeug-Datensätze“ beanstandet, weil sie keine Fahrerlaubnis für die Wagen erteilte, diese abgelaufen war oder aufgrund von Verstößen von einem Sachbearbeiter widerrufen wurde.

    Ein Sprecher der Verkehrsverwaltung teilte auf Nachfrage mit, hinter der Gesamtzahl würden sich zwar keine doppelt gezählten Datensätze verbergen. Es könne aber sein, dass darunter „Karteileichen“ seien, also „Taxiunternehmen, die aus dem Markt gegangen sind, ohne daran zu denken, sich bei dem Vermittler ,abzumelden’“.

    Für den Datenabgleich hatten sämtliche in Berlin tätige Vermittler die Daten der bei sich registrierten Fahrzeuge und ihre zugehörigen Unternehmen an das Amt übermittelt. Dazu zählen die App-basierten Vermittler Freenow, Bliq, Uber, Bolt und taxi.eu sowie die analogen Rufzentralen von Hermann Waldner (unter anderem Würfel-Funk und Taxi Berlin).

    Als Stichtag des Abgleichs hat man sich auf den 1. November 2024 verständigt. Insgesamt ist der Datensatz rund 13.000 Einträge groß: Taxi-Unternehmen melden ihre Fahrzeuge in der Regel bei mehreren Plattformen an. Diese kassieren pro Vermittlung eine Provision.
    Offensive gegen mutmaßliche Betrüger

    „Das Labo wird Maßnahmen gegen die beanstandeten Unternehmen einleiten, soweit die Unternehmen nachweislich weiterhin Beförderungsleistungen erbracht haben“, heißt es in einer Mitteilung der Verkehrsverwaltung.

    Wie berichtet, geht das Land Berlin seit geraumer Zeit ruppig gegen die Plattformen und die von ihr vermittelten Firmen vor. Der Abgleich der Taxi-Bestandsdaten ist Teil einer größeren Offensive gegen kriminelle Strukturen in dem Sektor: Analog zu der jetzt erfolgten Maßnahme hatte das Labo vor einem Jahr die bei den Vermittlern hinterlegten Daten sogenannter Mietwagenbetriebe untersucht und rund 1600 auffällige Fahrzeuge entdeckt. Mutmaßlich hatten Kriminelle die Genehmigungen gefälscht und sich damit bei den Plattformen angemeldet. So konnten sie ihr Geschäft betreiben und zugleich bei Steuern und Sozialabgaben sparen.

    Uber und Bolt vermitteln auch Taxis

    Im Gegensatz zu Taxis kann man die per App vermittelten Mietwagen nicht heranwinken und nur auf den Plattformen von Uber und Co. bestellen. Sie müssen nach jeder Tour an ihren Betriebssitz zurückkehren. Im Straßenverkehr erkennt man sie an der blauen Ordnungsnummer auf der Heckscheibe. In aller Regel handelt es sich um Fahrzeuge der Automarke Toyota.

    Bolt, Uber und Co. vermitteln neben diesen Mietwagen seit Längerem auch klassische Taxis. Seit diese in Berlin Festpreise vereinbaren können, ist die Taxivermittlung für die Plattformen attraktiver geworden – denn nun können sie einen exakten Preis in der App anzeigen.

    Um gegen nicht genehmigte Fahrzeuge und deren Vermittlung vorzugehen, hatte das Labo die mit Vermittlern getroffene Vereinbarung für einen fairen Markt im Dezember 2024 auf die Taxibranche ausgeweitet. Seit einiger Zeit gehen die Sachbearbeiter im Labo zudem restriktiver mit der Vergabe von Fahrgenehmigungen um. In der Branche heißt es, das Labo habe einen faktischen Konzessionsstopp verhängt. Zoll, Polizei und weitere Behörden arbeiten eng zusammen und führen viele Kontrollen durch.

    Die Maßnahmen zeigen Wirkung, das verdeutlicht die Verkehrsverwaltung anhand aktueller Zahlen: Ende März 2025 waren in Berlin nur noch 436 Mietwagenunternehmen mit 2335 Fahrzeugen unterwegs, darunter fallen auch Hunderte Autos gehobener Chauffeurdienste, die gar nicht auf den Apps registriert sind. Vor einem Jahr waren in Berlin noch fast 4500 Mietwagen konzessioniert. Die Zahl der Taxis ist im gleichen Zeitraum kaum gesunken. Ende März 2025 waren 5680 Wagen registriert.

    #Berlin #Taxi #Uber #Sozialbetrug #Steuerhinterziehung #Ausbeutung #Arbeit

  • We Shouldn’t Have to Work This Hard
    https://jacobin.com/2025/03/work-keynes-scandinavia-class-leisure

    23.3.2025 by Meagan Day - Poorer Americans work long hours to afford basic necessities. Richer Americans work long hours in pursuit of “the good life” that’s perpetually just beyond their

    In 1930, economist John Maynard Keynes famously predicted that technological progress and economic growth would solve the problem of material scarcity. In one hundred years, Keynes anticipated in his essay “Economic Possibilities for Our Grandchildren,” humanity was on track to develop the productive capacity to meet its needs with minimal effort, replacing lives of labor with lives of leisure.

    The system would require each worker to contribute just fifteen hours of labor per week, freeing people to focus on living “wisely and agreeably and well.” The love of money would finally be recognized as a “disgusting morbidity,” even a mental illness requiring the intervention of specialists. People would devote their time to stimulating, diverting, and fulfilling pursuits. Days wasted on trivial labor would be an ugly memory, provoking a collective shudder before becoming increasingly hard for subsequent generations to fathom.

    That was ninety-five years ago. Unless a major upset occurs in the next five years, Keynes’s rosy prediction was a bust.

    For part of the twentieth century, it seemed plausible. In the United States, working hours were decreasing while material satisfaction was rising. But in the 1980s, the train went off the tracks. Up to that point, two trends seemed reliable: that people worked less overall in the richest countries, and that the more a person earned, the less they worked. The United States turned the whole theory on its head.

    After 1980, Americans started working longer hours despite surging productivity, nearly erasing two decades of postwar leisure gains. Just as surprisingly, the increase applied to low and high earners alike, albeit differently. Low earners were forced to work more to survive, while high earners voluntarily worked more to compete.

    As sociologist Jamie McCallum observes in Worked Over: How Round-The-Clock Work Is Killing the American Dream, “The most significant change for low-wage workers was that they increased their weeks worked per year, but for the rich it was hours in a week.” Imagine a fast-food worker who never gets a vacation, then imagine a finance firm manager working late every night.

    Today Americans live in the richest country in the world and work like dogs. Transcending a class that has to work long hours to afford basic necessities often means joining a class that chooses to work long hours to alleviate persistent status anxiety. Whatever time isn’t outright stolen from us, we give away. Instead of enjoying Keynes’s age of abundance and leisure, we’re trapped in a rat race that can’t be won.
    Nose to the Grindstone

    Keynes assumed that productivity would naturally yield free time, as societies and individuals with the means to replace work with leisure would inevitably choose to do so. But increasingly productive capitalist societies don’t work like that. Instead, they consolidate wealth and power in the hands of a few ultrarich elites. Our productivity has soared as Keynes anticipated, but the profits have gone to a handful of people at the very top who wring more work out of the rest, yielding immeasurable wealth for a few and scarcity for everyone else.

    The relationship between economic inequality and longer hours for low earners is fairly straightforward. As wealth concentrates, capitalists reshape the economic landscape, weakening labor protections, breaking unions, halting or reversing wage gains, and pushing for tax cuts that primarily benefit themselves. Resulting budget shortfalls justify austerity measures that gut social safety nets.

    Workers thus have to take on longer hours or multiple jobs just to maintain basic living standards. Meanwhile, deregulation enables more exploitative labor practices while rising costs for essentials like housing, health care, and education force additional work hours simply to survive.

    But how does runaway inequality compel people who can afford to relax to work more instead? Economists Jan Behringer, Martin Gonzalez Granda, and Till van Treeck attribute it to “Veblen effects,” named for sociologist Thorstein Veblen’s writings on consumption and social status and referring to pressure to keep up with the lifestyles of those on the higher rungs. The problem is that the people above high earners — the top 1 percent towering over the rest of the top 20 percent — have become vastly richer in recent decades.

    Consequently, high earners’ sense of what constitutes “the good life” is distorted, producing a permanent sense of subjective material deprivation and endless striving to mitigate it. The researchers point out that the leisure time shift coincided with a significant increase in the income share of the top 1 percent. In this skewed landscape, intangible things like leisure time are less valuable than cash, which workers can exchange for status symbols like a bigger house that shore up their economic position.

    In Worked Over, McCallum focuses less on social status jockeying than basic self-preservation in a cutthroat economic environment. Constant downsizing and layoffs have put high earners in competition to prove themselves indispensable by outperforming one another. In 1979, long workweeks of fifty hours or more were more prevalent among the bottom two hourly earnings quintiles. By the 2000s, they were most common in the top quintile.

    This “long hours premium” imposed on high earners “rose alongside inequality of earnings within high-paying occupations,” McCallum observes. “This inequality drives competition among employees who fear their own disposability during slumps as they see their peers moving ahead. This fear translates into working longer and longer.”

    In Fear of Falling: The Inner Life of the Middle Class, Barbara Ehrenreich identified another impetus to voluntary overwork, especially for the professional-managerial class positioned just below the rich — something “subtler and more psychological. And that’s a fear of going soft. Of losing it,” she said, meaning the “self-discipline and willpower that it takes to achieve in a professional career.”

    One can never rest, for downward social mobility hangs over the heads of these professionals like the sword of Damocles. This pressure stems from the meritocratic belief that “the good life” is a testament to hard work and skill, and can be lost through negligence and the deterioration of talent. “Going soft” would be a humiliating exposure of the professional’s unworthiness all along.

    In “Economic Prospects for Our Grandchildren,” Keynes offered a more existential explanation for voluntary overwork, speaking derisively of the condition of being a pathological busybody obsessed with one’s own “purposiveness.” Such people are unable to live in the moment, always living for some future time, like a man who “does not love his cat, but his cat’s kittens; nor, in truth, the kittens, but only the kittens’ kittens.” People rationalize their refusal to appreciate the present by appealing to the strong association between hard work and virtue.

    Keynes anticipated that there would come a time when this justification would fall away, forcing people to relax. “We have been trained too long to strive and not to enjoy,” he wrote, but we can become “delightful people who are capable of taking direct enjoyment in things.”
    Escaping the Rat Race

    The bad news, as demonstrated by the American story, is that an age of leisure will not automatically flow from increased productivity. The good news is that political interventions can bring us closer to this vision.

    “While Keynes’ predictions regarding productivity growth have actually been exceeded over the past nearly 100 years,” conclude Behringer, Gonzalez Granda, and van Treeck, “the obstacles to more leisure time are primarily socio-political in nature.”

    The Scandinavian social democracies, even in their recently weakened states, offer the starkest counterexample. They are highly productive, but their workers put in six to ten fewer hours per week than their American counterparts do, a trend that holds for low and high earners alike.

    Unions have proven essential in translating productivity gains into shorter working hours. American union membership has collapsed since the postwar period; Scandinavian union rates have fallen recently, but workers in the region still maintain a powerful, centralized collective bargaining system that secures shorter workweeks, generous paid leave, and predictable schedules.

    The comprehensive welfare systems in these countries further reduce overwork. With universal health care, subsidized childcare, free education through university, and robust social safety nets, Scandinavians don’t face the same financial pressures that drive Americans to sacrifice their free time for a paycheck. Importantly, these welfare policies have also increased female workforce participation, reducing women’s spousal dependency and decreasing the pressure on men to work long hours to support their families.

    Scandinavian societies have seen inequality expand and their welfare states erode in recent years, but these features are still significantly more pronounced than in the United States. And beyond direct material impacts, they also have positive social effects that are difficult to quantify. Scandinavian countries maintain what sociologists call “low power distance” cultures, where extreme wealth disparities and conspicuous consumption are regarded with suspicion rather than admiration. Status anxiety still exists, but the structural features of the economy take the edge off, making it easier for other prosocial values to emerge. It becomes possible to locate the value of solidarity over competition, social cohesion over social rank, efficiency over theatrical displays of work commitment, and leisure over performance.

    By contrast, the United States has a culture of competitive individualism fostered by our winner-take-all economic system. Here, things that might otherwise be considered entitlements are almost always commodities instead. Every element of a decent life, from health care to shelter to education, is sold on the private market. The richer the person, the higher the bid, the better the living. Relaxation is a failure to grow wealth, which is in turn a failure to live well. It’s a remarkable perversion: capitalism has actually weaponized the concept of “the good life” against the notion of doing what we want with our time.

    When essential components of a dignified life are collectively guaranteed rather than individually bought and sold, “the good life” ceases to be a function of wealth or a reward contingent upon endless work. Instead, it becomes a baseline expectation rooted in human dignity and social citizenship.

    The Scandinavian countries got this way through sustained class struggle. Workers’ movements wrested control of productivity gains from capital, refusing to accept that increased efficiency should only benefit shareholders and executives. Ending unnecessary toil requires expanding economic democracy, not just relying on market rationality.
    Something Worth Belonging To

    In 1991, the New York Times ran an article about Workaholics Anonymous, a new twelve-step program whose participants tended to be high earners — yuppies whose descent into work madness had been concealed by ’80s office culture norms until the consequences became unignorable.

    “No matter how much work I did,” said Matt, a middle manager at a large corporation, “it was never enough.” Matt “worked for a company that attracted workaholics, so I didn’t feel strange or out of place when I’d be working every night and part of most weekends.” Likewise, Dan, a cofounder of the program, reached his breaking point when he exploded in rage at his assistant over sluggish progress on a corporate assignment.

    “Workaholics are the most antisocial people you can find,” said Dan, citing his own broken relationships, sacrificed at the altar of productivity. There’s truth there: every hour spent working is an hour not spent socializing with family, friends, and neighbors. But paradoxically, status anxiety itself is a deeply social impulse. We all want recognition and affirmation from the collective. We all want to belong.

    Making it to the top rungs of a stratified class society is a pitiful substitute for true social belonging. Real belonging would be citizenship in a society that affirms the inherent worth of each person’s life, the value of our fleeting time, and our equal and shared claim to the fruits of human advancement.

    Keynes was wrong to predict that the age of shared abundance would smoothly flow from productivity gains. But his vision of human liberation from needless work remains powerful — not as an inevitability but as a political horizon worth fighting for. This isn’t utopian fantasy but a concrete possibility, already partially realized in social democracies and more fully realizable in democratic socialist societies that don’t yet exist.

    We can reclaim our time for pursuits that give life meaning: creativity, connection, contemplation, and labors of love. To do it, we’ll need to confront the economic elites who preside over the rat race.

    #Arbeir

  • Charlottenburg-Wilmersdorf: Taxifahrer stirbt nach schwerem Verkehrsunfall
    https://www.berliner-zeitung.de/news/charlottenburg-wilmersdorf-taxifahrer-stirbt-nach-schwerem-verkehrs

    Im Westen nichts neues könnte der Titel dieser Meldung lauten. Die Arbeit im Taxi und der geringe Verdienst machen krank. 65 Jahre ist ein normales Alter zum Sterben in dem Job.

    13.3.2025 - Ein 65-Jähriger kommt auf dem Heilmannring in Charlottenburg von der Fahrbahn ab und stößt mit mehreren Autos zusammen. Er stirbt noch am Unfallort.

    In Charlottenburg-Wilmersdorf ist es am Mittwochabend zu einem schweren Verkehrsunfall mit einem Toten gekommen. Nach Angaben der Polizei fuhr ein 65-jähriger Taxifahrer gegen 22.45 Uhr den Heilmannring entlang. Hier kam er aus bislang unerklärlichen Gründen in der Nähe der Einmündung zum Halemweg von der Fahrbahn ab. Dabei stieß er mit mehreren am Rand geparkten Autos zusammen und beschädigte insgesamt fünf Autos sowie eine Straßenlaterne.

    Trotz sofort eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen verlor der Fahrer nach dem Unfall das Bewusstsein und verstarb noch am Unfallort. Ein Fachkommissariat für Verkehrsdelikte der Polizeidirektion 2 führt derzeit umfassende Ermittlungen zur Ursache des Unfalls durch.

    Quelle: Polizei Berlin

    #Berlin #Charlottenburg-Nord #Heilmannring #Taxi #Arbeit #Krankheit

  • Streik bei der BVG in Berlin: Unausweichlich – aber die Gewerkschaft Verdi spielt mit dem Feuer
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/streik-bei-der-bvg-in-berlin-unausweichlich-aber-die-gewerkschaft-v

    Die Berliner Zeitung ist eine bürgerliche. Sie versteht nicht, dass Streiks großer, zumal öffentlicher Betriebe imner mehr bedeuten als die von sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften vertretenen Forderungen. Wenn bürgerliche Medien das verstehen, werden ihre Artikel zu Waffen im Klassenkampf. Dann äußern sie Bedenken gegen die abhängig Beschäftigten. Deshalb muss ein Punkt des folgenden Artikels richtig gestellt werden: Es ist genug Geld vorhanden, um.alle Forderungen der BVG-Belegschaft zu erfüllen. Man muss es nur beschaffen. Dann bleibt weniger für Polizei, für Krieg und Rüstung.

    Darum geht es in Wirklichkeit bei diesem Streik: Das Kapital, sein Staat und seine Betriebe geben nur in höchster Not ein Stück vom Kuchen her. Erst wenn beide, Verteilung von Gewinn und Machtverhältnisse, in Frage gestellt sind, sucht das Bürgertum den Kompromiss.

    Wer da im Rahmen von Budgets argumentiert, wirtschaftlichen Erfolg, Lohnansprüche und Daseinsvorsorge gegeneinander ausspielt, stellt sich auf die Seite von Kapital und Staat. Das ist für bürgerliche Medien ganz normal. Die gehören den einzig wahren Bürgern, den Bourgeois, den Reichen. im Ernstfall treten sie mit der Presse und der Polizei gegen die Arbeiterklasse an. Das ist im Westen nichts Neues.

    Auf welcher Seute stehst Du?

    27.1.2025 von Peter Neumann - Am Montag streiken BVG-Mitarbeiter für höhere Löhne. Doch die Gewerkschaft weckt Erwartungen, denen sie nicht gerecht werden kann. Neue Unzufriedenheit droht. Ein Kommentar.

    Alle Jahre wieder: Stillstand. U-Bahn-Stationen bleiben geschlossen, Busse und Bahnen in den Betriebshöfen. Die meisten Fahrgäste werden es irgendwo mitbekommen haben. Andere dürften mal wieder aus allen Wolken fallen, wenn sie damit konfrontiert werden, dass an diesem Montag bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) nichts mehr geht. Im Streit um höhere Löhne und Gehälter hat die Gewerkschaft Verdi die mehr als 16.000 Beschäftigten dazu aufgerufen, bis Dienstag, 2.59 Uhr, die Arbeit niederzulegen.

    Alle Jahre wieder: Streik. Wer alt oder behindert ist, nicht so einfach zum nächsten S-Bahnhof laufen kann, ist wieder mal dazu verurteilt, zu Hause zu bleiben. Doch die meisten Betroffenen werden sich, wenn auch murrend, ihrem Schicksal fügen, sich in volle S-Bahnen drängen oder Umwege fahren, weil sie nun mal zur Arbeit oder zum Unterricht müssen. Andere werden sich aufs Fahrrad schwingen und sich durch den Verkehr schlängeln, der dichter sein wird als sonst. Die BVG, die für drei Millionen Fahrten pro Tag genutzt wird, ist wichtig. Aber eine Zeit lang kommt Berlin ohne sie Feuer

    Ein Konflikt, der viele Menschen in Berlin angeht

    Alle Jahre wieder: Verständnis. Wann immer man sich bei einem BVG-Streik umhört, bekommt man nicht nur Wut über die Streikenden zu hören. Man trifft auch auf Menschen, die den Bus- und Bahnfahrern mit Sympathie begegnen (um die Mitarbeiter in der BVG-Verwaltung geht es ihnen nicht). Dieses Land ist in vielen Bereichen ein Billiglohnland. Die Zahl der Menschen, die hart arbeiten, Schichtdienst leisten und wenig Lohn bekommen, ist hoch. Vor allem allerdings in der privaten Wirtschaft.

    Nicht wenige Menschen haben das Gefühl, dass es sich um einen Stellvertreterkonflikt handelt, der auch sie angeht. Während der Handwerksgeselle, der Produktionsarbeiter, die Sekretärin in kleinen und mittleren Privatbetrieben meist fast keine Möglichkeiten haben, gegen schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen aufzubegehren, gibt es bei der BVG die Bereitschaft, aber auch die Netzwerke, um solche Konflikte durchzufechten.

    Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob Verdi mit ihren Forderungen diesmal nicht übertreibt – und wohin das alles führen wird. In diesem Zusammenhang ist auffällig, wie sehr die Gewerkschaft betont, dass sie sich an den Ergebnissen von Mitgliederbefragungen orientiert. 750 Euro pro Monat mehr für alle, um 200 oder 300 Euro höhere Zuschläge für das Fahr- und Werkstattpersonal und ein Warnstreik, bevor die Arbeitgeberseite ein Angebot vorlegt: Das alles ist das Votum von Mitgliedern.

    Wenn eine Gewerkschaft auf diese Weise Willensbildung organisiert, ist das erst einmal gut. Wie andere Organisationen in Politik und Wirtschaft muss auch sie auf populistische Kritik reagieren und eine neuartige Konkurrenz dulden. Es ist nicht so, dass die AfD, das rechte Spektrum, keine Fans bei diesem Unternehmen hat. Auch BVG-Mitarbeiter schmähen das System, in dem nach ihrer Einschätzung die immer gleichen Akteure das immer gleiche demokratische Spiel unter sich ausmachen, als ineffizient. Bei der BVG hat Verdi 2005 eine Lohnsenkung durchgewunken, sonst übte sich die Gewerkschaft lange Zeit in Zurückhaltung. Diesmal liegt die letzte Lohnerhöhung vier Jahre zurück.

    Für den öffentlichen Verkehr wird es weniger Geld geben

    Dass die Gewerkschaft nun radikaler auftritt, ist verständlich. Auch ihre Mitglieder sind selbstbewusster geworden. Die Nachwendezeiten, in denen die Arbeitslosigkeit hoch und jeder um seine Stelle froh war, sind vorbei. Nicht erst seit den Corona-Diskussionen über Systemrelevanz wissen viele Arbeitnehmer um ihren Wert. Bei der BVG zeigen sich die neuen Zeiten an der hohen Fluktuation. Verdi-Leute erzählen, dass Fahrer für den Fall, dass diese Lohnrunde nicht genug bringt, die Kündigung androhen.

    Doch das neue Selbstbewusstsein birgt auch eine Gefahr und könnte Verdi am Ende schaden. Denn es ist klar, dass die Arbeitgeberseite die gewünschte 25- bis 30-prozentige Lohnerhöhung nicht liefern wird. Nicht liefern kann, denn angesichts der wieder einsetzenden Sparzwänge ist es schlichtweg illusorisch, zu verlangen, den jährlichen Aufwand fürs BVG-Personal um 250 Millionen Euro zu erhöhen. Ein BVG-Vorstand, der auf eine solche Forderung eingehen würde, hätte seinen Job verfehlt.

    So gesehen spielt die Gewerkschaft ein riskantes Spiel. Wenn Verdi wie erwartet in den Verhandlungen nur einen kleinen Teil der gewünschten Lohnerhöhungen herausschlagen kann, wird das die Unzufriedenheit und Verdrossenheit an der BVG-Basis weiter erhöhen. Fahrer werden ihre Ankündigungen wahr machen und zu anderen Firmen wechseln – solange der sich verschlechternde Arbeitsmarkt das noch ermöglicht. Weitere Stellen werden frei, es wird noch schwieriger, das bestellte Angebot zu fahren.

    Alle Jahre wieder: Streik bei der BVG. Doch diesmal findet er in einer Situation statt, die sich rapide verschlechtert. Menschen, die im Fahrdienst und in Werkstätten arbeiten wollen, werden selten – und es wird immer teurer, sie zu beschäftigen. Die Zeitenwende in der Politik wird dazu führen, dass es für Wohltaten wie den öffentlichen Verkehr bald wieder weniger Geld geben wird. Und wer weiß, vielleicht kommen ja auch in Deutschland libertäre Fans des freien Marktes an die Macht, für die der Individualverkehr im Tesla das Nonplusultra ist – Busse und Bahnen dagegen etwas für Verlierer.

    Alle Jahre wieder: Stillstand. Dieser Streik ist unausweichlich. Aber er wird nichts klären. Nur eines ist absehbar: Für den öffentlichen Verkehr in Berlin brechen magere Zeiten an.

    #Berlin #Verkehr #Arbeit #Lohn #Streik #BVG #Verdi #Presse

  • Verdi beschließt Streik bei der BVG: Wie komme ich trotzdem ans Ziel?
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/verdi-beschliesst-streik-bei-der-bvg-wie-komme-ich-trotzdem-ans-zie

    Jeremy Arndt beim Tarifstreit 2024. Er ist auch dieses Mal Verhandlungsführer der Gewerkschaft Verdi. Reiner Keuenhof/imago

    Nächsten Montag ist Homeoffice angesagt.
    Alle anderen sollten ein #Taxi nehmen. Ab und zu ist das ja wohl drin. Es tut einem gut, den Stress im Verkehr den Profis zu überlassen. Die Kolleginnen und Kollegen brauchen die Gehaltsanpassung dringend. Kann man nur unterstützen.

    23.1.2024 von Peter Neumann - Es ist wieder so weit: Die Gewerkschaft Verdi legt 24 Stunden den Bus- und Bahnverkehr lahm. Doch es gibt Alternativen. Unsere Tipps für die Fahrgäste.

    Was schon erwartet wurde, ist eingetreten. Im laufenden Streit um höhere Löhne und Gehälter bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) kommt es zu einem ersten Warnstreik. Die Gewerkschaft Verdi hat dazu aufgerufen, die Arbeit niederzulegen. Der Ausstand soll von Montag, 27. Januar, 3 Uhr, bis Dienstag, 28. Januar, 3 Uhr, dauern, beschloss die Tarifkommission am Mittwochnachmittag. Klar ist schon jetzt: Ein großer Teil des öffentlichen Verkehrs in der Hauptstadt wird lahmgelegt. Schließlich wird die BVG normalerweise täglich für rund drei Millionen Fahrten genutzt. Wie kommen die Berliner und ihre Gäste trotzdem durch die Stadt? Wir geben einen Überblick.

    Welche Verkehrsmittel sind von dem Warnstreik betroffen?

    Als Regel gilt: Alle Busse und Bahnen, die von BVG-Beschäftigten gefahren werden, stehen still. Dazu gehören alle U-Bahnen und alle Straßenbahnen sowie die meisten Linienbusse, die auf Stadtlinien in Berlin unterwegs sind.

    Welche Verkehrsmittel im Bereich der BVG sind nicht betroffen?

    Busse, die von privaten Subunternehmern gefahren werden und diesen auch gehören, sind wie gewohnt im Einsatz. Mehr als 20 Tages-Buslinien könnten ganz oder teilweise weiter betrieben werden, teilte die BVG mit. Um welche Linien es im Einzelnen geht, will die BVG demnächst mitteilen. Auch der Fahrdienst Muva, der im Osten Berlins per App oder telefonisch gerufen werden kann, und die Fähren sollen verkehren. Die im ganzen Stadtgebiet verstreuten Jelbi-Punkte, an denen App-Nutzer Fahrräder, E-Scooter und andere Fahrzeuge mieten können, bleiben offen. Busse des Regionalverkehrs, die aus dem Umland kommen, sind ebenfalls nicht von der Arbeitsniederlegung betroffen.

    Welche Alternativen zur BVG kann ich nutzen?

    Verkehrsmittel, die nicht von BVG-Mitarbeitern betrieben werden, sind von dem Warnstreik nicht betroffen. Dazu zählt die S-Bahn Berlin – sie gehört nicht der landeseigenen BVG, sondern zum bundeseigenen Bahnkonzern. Die Regionalverkehrszüge der Deutschen Bahn, der Ostdeutschen Eisenbahn (ODEG) und der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) stehen ebenfalls als Alternativen zur Verfügung. Allerdings: Vor allem die S-Bahn könnte voll werden.

    Wird es bei der S-Bahn zusätzliche Fahrten geben?

    Als die BVG im vergangenen Winter streikbedingt ausfiel, schaffte es die S-Bahn Berlin, auf einigen Strecken das Zugangebot tagsüber zu verstärken. Auf Bestellung des Landes Berlin und des Verkehrsverbunds VBB galt auf den Linien S3 und S5 ein dichterer Fahrplan als sonst. Ob es auch diesmal zu Aufstockungen kommt, ist noch nicht bekannt.

    Worum geht es bei dem Tarifstreit eigentlich?

    Um eine bessere Bezahlung für die rund 16.600 Beschäftigten des landeseigenen BVG-Konzerns. So sollen die Brutto-Monatsentgelte, die in den Lohn- und Gehaltstabellen verzeichnet sind, um 750 Euro steigen, fordert Verdi und bezieht sich auf eine Befragung von Mitgliedern. Das entspricht im Schnitt einem Plus von 25 Prozent. Für bestimmte Berufsgruppen soll der Aufschlag noch größer ausfallen. So soll die Fahrdienstzulage auf 300 Euro pro Monat angehoben werden. Die Schichtzulage wiederum soll auf 200, die Wechselschichtzulage auf 300 Euro pro Monat erhöht werden. Ebenfalls auf der Forderungsliste: Die Weihnachtszuwendung (derzeit 1900 Euro) soll künftig ein volles Monatsgehalt umfassen. Der neue Entgelttarifvertrag soll zwölf Monate gelten, so Verdi.

    Wie wahrscheinlich ist es, dass es in diesem Streit rasch zu einer Einigung kommt?

    Nicht sehr wahrscheinlich. Denn die BVG hat bereits signalisiert, dass sie die Forderungen der Gewerkschaft für zu hoch hält. „Die aktuelle Verdi-Forderung ist nicht finanzierbar“, sagte Personalvorständin Jenny Zeller-Grothe der Deutschen Presse-Agentur. „Ich glaube, das ist für die Gewerkschaft auch keine Schock-Erkenntnis, sondern das wird Verdi bewusst sein.“ Nach Berechnungen der Gewerkschaft würden die jährlichen Personalkosten um rund 250 Millionen Euro steigen. Zum Vergleich: 2023 betrug der Personalaufwand fast 821 Millionen Euro.

    Sind weitere Warnstreiks bei der BVG zu erwarten?

    Davon muss man ausgehen. Bei Verdi weiß man insgeheim, dass die Forderung rekordverdächtig hoch ist. „Es ist die höchste Forderung, die wir bislang aufgestellt haben“, bestätigt Jeremy Arndt, Verhandlungsführer von Verdi. Aber hoch ist auch der Druck, dem die Funktionäre ausgesetzt sind. „Noch nie haben wir bei einer Mitgliederbefragung so viele Rückmeldungen in dieser Art bekommen: Wenn die Löhne nicht endlich deutlich steigen, dann kündigen wir. In dieser Vehemenz haben wir das bisher nicht erlebt“, so der Gewerkschafter. Der derzeit geltende Entgelttarifvertrag wurde 2021 abgeschlossen, die Inflation nagt. Mit Fahrergehältern zwischen 2807 und 3011 Euro brutto pro Monat stünde Berlin inzwischen bundesweit auf dem letzten Rang (allerdings ist die Wochenarbeitszeit mit 37,5 Stunden niedriger als anderswo).

    Wie geht es mit dem Tarifstreit bei der BVG weiter?

    Der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) Berlin und die Gewerkschaft Verdi haben weitere Termine vereinbart. Danach sind für den 31. Januar, den 11. und 26. Februar, den 21. März und 10. April weitere Verhandlungen vorgesehen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich der Tarifkonflikt bis ins Frühjahr hinein hinzieht. Die Zitterpartie für die Berliner Fahrgäste dauert an. Die Streikgefahr bleibt.

    Wegen des Streiks komme ich zu spät zur Arbeit – oder gar nicht. Was geschieht jetzt?

    Grundsätzlich gilt: Der Arbeitnehmer trägt das Wegerisiko. Das bedeutet: Es ist Sache des Beschäftigten, dafür zu sorgen, dass er seinen arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsplatz rechtzeitig zum Arbeitsbeginn erreicht. Und wenn jemand nicht an der Arbeitsstelle erscheint? Dann kommt der Grundsatz „ohne Arbeit kein Geld“ zum Tragen. Auch eine Abmahnung könnte zulässig sein, wenn man gar nicht oder zu spät zur Arbeit kommt – zumindest wenn der Streik rechtzeitig angekündigt wurde.

    #Berlin #Verkehr #Arbeit #Streik #BVG #Verdi #Gewerkschaft

  • Raphael Grably / X
    https://x.com/GrablyR/status/1881676556889940384

    L’un des premiers actes de Donald Trump aura donc été de gracier Robert Keith Packer (parmi 1600 autres).
    Un participant à la tentative de coup d’État du 6 janvier 2021.
    Il portait alors un sweatshirt «Camp Auschwitz».

    sweatshirt sous-titré #Arbeit_macht_frei (en anglais)

  • Strafrecht beim Entgelt - Kanzlei Wittig Ünalp
    https://www.ra-wittig.de/ratgeber/arbeitgeber-strafrecht/strafrecht-beim-entgelt

    Eines der wichtigsten Schutzgüter im Arbeitgeberstrafrecht ist das Arbeitsentgelt (einschließlich der Sozialabgaben). Der Arbeitnehmer soll das ihm zustehende Arbeitsentgelt erhalten. Er soll auch kein Lohndumping erleiden müssen. Dieses wird von einer Reihe von Strafgesetzen und Ordnungswidrigkeiten erfasst.

    Die wichtigsten Gesetze und Normen sind hier die folgenden:

    Mindestlohngesetz
    § 291 StGB (Lohnwucher)
    § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt)
    § 266 StGB (Untreue)
    § 263 StGB (Betrug)
    Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz
    Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
    § 15a InsO (Insolvenzantragspflicht)

    1. Mindestlohngesetz

    Die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns ist dem Gesetzgeber ein derart bedeutsames Anliegen, dass er in § 21 MiLoG diverse Bußgeld-Tatbestände festgelegt hat.

    Insbesondere wird die (vorsätzliche oder fahrlässige!) Nichtzahlung oder die nicht rechtzeitige Zahlung des Mindestlohns mit einem Bußgeld von bis zu € 500.000,- bedroht. Gerade im Niedriglohnsektor kann es hier beispielsweise zu Problemen kommen, wenn arbeitsvertraglich eine bestimmte Anzahl an Überstunden als vom Lohn erfasst angesehen werden. Wird der Mitarbeiter auf Mindestlohn beschäftigt, führt dies bei Überstunden immer zu Verstößen. Aber auch bei Gehältern knapp über dem Mindestlohn kann eine solche Regelung dazu führen, dass der Arbeitnehmer unter den Mindestlohn fällt.

    Auch bei Verzögerungen aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten sollte der Arbeitgeber daher (neben den Sozialabgaben) auch immer zumindest den Mindestlohn pünktlich an die Mitarbeiter auszahlen. Ansonsten drohen neben Verzugszinsen weitere erhebliche Belastungen durch empfindliche Geldbußen.

    Ebenfalls gefährlich ist es in vielen Fällen, Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit nicht aufzuzeichnen oder diese Aufzeichnungen nicht aufzubewahren. Hier drohen dem Arbeitgeber bis zu € 30.000,- Bußgeld.

    2. Lohnwucher (§ 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB)

    Die Vereinbarung eines deutlich zu geringen Gehalts stellt den Arbeitgeber vor die Gefahr wegen Lohnwucher belangt zu werden. Wucher beschreibt dabei nicht nur die Forderung eines zu hohen Preises, sondern auch die Zahlung eines zu geringen Preises. Es kommt hier auf ein „auffälliges Missverhältnis“ an. Zudem muss der Arbeitgeber die Unerfahrenheit des Arbeitnehmers bei der Vereinbarung des Gehalts ausgenutzt haben. Unter Unerfahrenheit im Sinne des Wuchertatbestandes versteht man dabei „eine auf den Mangel an Geschäftskenntnis und Erfahrung zurückgehende Eigenschaft des Ausgebeuteten, durch die er sich vom Durchschnittsmenschen unterscheidet“ (so der BGH).

    Die Gerichte gehen dabei von einem auffälligen Missverhältnis schon dann aus, wenn der gezahlte Lohn maximal 2/3 eines vergleichbaren Tariflohns beträgt.

    Besonders problematisch für den Arbeitgeber ist beim Vorwurf des Lohnwuchers zudem die Regelung des § 291 Absatz 2 S. 2 Nr. 2 StGB: Bei „gewerbsmäßiger“ Begehung liegt ein sogenannter besonders schwerer Fall vor, der mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu bestrafen ist. Eine Freiheitsstrafe ist hier somit in diesem Fall zwingend. Wird aber einer Vielzahl von Arbeitnehmern über einen längeren Zeitraum der zu niedrige Lohn gezahlt, so wird regelmäßig „Gewerbsmäßigkeit“ vorliegen.

    Bedenkt man zudem, dass bei Feststellung von Lohnwucher die Lohnvereinbarung gem. § 138 BGB nichtig ist und den betroffenen Arbeitnehmern hier der angemessene Lohn nachzuzahlen ist, so ist bei einem derartigen Vorwurf die richtige Verteidigungsstrategie von erheblicher Bedeutung. Eine Beratung aus einer Hand ist hier auch im Hinblick auf die Einheitlichkeit der arbeitsrechtlichen Ausführungen in beiden Verfahren nicht nur zielführender, sondern insbesondere auch regelmäßig deutlich kostensparender.

    3. Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB)

    Diese Norm wird gerne auch – rechtlich nicht ganz genau – als „Sozialversicherungsbetrug“ bezeichnet. Tatsächlich geht es hier nicht vorrangig um die Täuschung der Sozialversicherung, sondern bereits um das „Nichtzahlen“ von Sozialabgaben. Erst § 266a Abs. 2 StGB erfasst ein Verhalten, das eine Art Täuschung der zuständigen Stelle darstellt.

    Gerade weil § 266a StGB ausdrücklich nicht voraussetzt, dass Arbeitsentgelt gezahlt worden ist, ist diese Regelung eine typische „Vor-Insolvenz-Tat“. Dem Arbeitgeber gehen die finanziellen Mittel aus, deswegen zahlt er Löhne und Sozialabgaben nicht.

    Ein Kardinalfehler ist dabei regelmäßig die – nachvollziehbare – Entscheidung, bei den Zahlungsverpflichtungen zunächst die Gehaltszahlungen der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Dies führt regelmäßig zu Strafverfahren wegen „Sozialversicherungsbetrugs“. Besser wäre hier, zunächst die Sozialabgaben zu zahlen und erst im Anschluss die Gehälter soweit möglich zu zahlen.

    Grundsätzlich aber sollte in einer derartigen Situation umgehend rechtliche Beratung eingeholt werden. Hier können Rechtsanwälte mit den Sozialversicherungen eine Regelung erzielen, die eine Strafbarkeit des Arbeitgebers vermeidet.

    4. Untreue (§ 266 StGB)

    Zwar ist die Untreue eine Straftat, die eher gegenüber dem Arbeitgeber begangen wird als durch diesen (auch hier ist im Kündigungsschutzverfahren natürlich ebenfalls ein entsprechender Vortrag zur strafrechtlichen Würdigung notwendig); eine Untreue-Strafbarkeit lässt sich aber auch für den Arbeitgeber schnell verwirklichen.

    Führt der Arbeitgeber beispielsweise Langzeitarbeitszeitkonten für seine Mitarbeiter, so ist er gesetzlich zur Insolvenzsicherung des dort vorhandenen Wertguthabens verpflichtet. Gerät der Arbeitgeber nun in Zahlungsschwierigkeiten, mag hier schon vor endgültiger Zahlungsunfähigkeit eine Situation auftreten, in der das Wertguthaben derart gefährdet erscheint, dass die Strafgerichte hier bereits einen Schaden des Arbeitnehmers annehmen.

    In diesem Falle wäre eine Verurteilung des Arbeitgebers wegen Untreue jedenfalls naheliegend. Inwiefern dies auch bei Arbeitszeitkonten gilt, die jährlich auf null gesetzt werden und für die keine gesetzliche Insolvenzsicherungspflicht besteht, ist nicht entschieden. Die Gefahr ist aber auch in diesem Falle gegeben.

    Der Arbeitgeber sollte daher stets prüfen, ob Gelder, welcher er für den Arbeitnehmer betreut, mit ausreichender Sicherheit angelegt sind, um bereits im Vorfeld die Gefahr einer Verurteilung wegen Untreue zu vermeiden.

    5. Betrug (§ 263 StGB)

    Der Betrug kommt (leider) selbstverständlich in allen Formen und Farben in der Berufswirklichkeit vor. So ist der Vorwurf des Prozessbetrugs gegenüber der anderen Partei bei vielen Anwälten praktisch gang und gäbe. Im Hinblick auf die Beweislast bezüglich eines solchen Vorwurfs ist dies aber regelmäßig wenig mehr als Schall und Rauch.

    Dies bedeutet nicht, dass es nicht doch immer wieder Fälle gibt, in denen tatsächlich ein Prozessbetrug gegeben ist. Hier ist nicht nur während des Prozesses ein besonderer Vortrag zum Vorliegen Betrug angezeigt, da bei vielen Arbeitsrichtern aus den eingangs benannten Gründen doch eine gewisse „Betrugsvorwurfs-Müdigkeit“ festzustellen ist.

    Besonders interessant ist auch die Möglichkeit, eigentlich rechtskräftige Titel angreifen zu können, wenn dem Gegner ein Prozessbetrug nachgewiesen werden kann. Finden sich somit nachträglich Beweise, so kann hier der Arbeitgeber in einigen Fällen von täuschenden Arbeitnehmern Schadensersatz verlangen.

    Im Hinblick auf die erhebliche rechtliche Schwierigkeit eines solchen Vorgehens sollte aber selbstverständlich bereits im Rahmen der ursprünglichen Verhandlung auf ein Obsiegen hingewirkt werden.

    Besonders interessant ist auch die Möglichkeit, eigentlich rechtskräftige Titel angreifen zu können

    Betrug bei Vergleichen, Aufhebungsverträgen & Sozialversicherung

    Eine Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen Betrugs droht vor allem im Rahmen von Vergleichen und Aufhebungsverträgen. Sagt ein Arbeitgeber eine Abfindung zu, von der er ausgeht, dass er sie nicht zahlen kann, so macht er sich wegen Betrugs strafbar.

    Häufiger ist aber der Fall des „echten“ Sozialversicherungsbetrugs: Da pro Tag abgegoltenem Urlaub je ein Tag Arbeitslosengeld gestrichen wird, wird oft dazu tendiert, in einem Vergleich den Urlaub als bereits gewährt und genommen darzustellen. Die eigentliche Urlaubsabgeltung wird dann im Rahmen der Abfindungssumme berücksichtigt. Der Arbeitnehmer erhält somit mehr Arbeitslosengeld und der Arbeitgeber spart sich die auf die Urlaubsabgeltung – im Regelfall – anfallenden Sozialabgaben. Damit aber liegt beim Arbeitgeber nicht nur Beihilfe oder gar Mittäterschaft zum Sozialversicherungsbetrug zugunsten des Arbeitnehmers vor, er begeht auch selbst Sozialversicherungsbetrug zu eigenen Gunsten.

    Derartige Täuschungen sind zudem oft leicht zu erkennen. Besonders auffällig wird es, wenn derartige Vergleiche im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung abgeschlossen werden und der Arbeitnehmer jedenfalls im aktuellen Jahr noch gar nicht gearbeitet hat.

    Auch wenn Fachanwälte für Arbeitsrecht immer wieder solche Vergleiche anregen, sollten Arbeitgeber hiervon stets Abstand nehmen. Die ersparten Aufwendungen werden niemals die möglichen strafrechtlichen Risiken des Vergleichs aufwiegen können.

    6. Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz

    Das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz enthält eine ganze Reihe an Ordnungsvorschriften. Insbesondere müssen bestimmte Arbeitgeber – beispielsweise im Baugewerbe oder im Logistikgewerbe – sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter stets entsprechende Ausweisdokumente mit sich führen. Zudem wird die leichtfertig erteilte falsche Auskunft nach § 266a Abs. 2 StGB mit einem Bußgeld bis zu € 50.000,- belegt.

    Weiterhin findet sich in § 10 SchwarzArbG eine dem Lohnwucher ähnliche Regelung: Werden Ausländer entgegen den Normen des Aufenthaltsgesetzes beschäftigt und damit Arbeitsbedingungen gewährt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen deutscher Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stehen, droht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Auch hier ist eine deutlich schärfere Strafe bei gewerbsmäßigem Handeln vorgesehen. Anders als beim Lohnwucher bezieht sich die Norm nicht nur auf das Arbeitsentgelt, sondern auf die Arbeitsbedingungen allgemein.

    Die beste Art eine derartige Strafe zu vermeiden, ist es bereits bei der Beschäftigung von Ausländern sicherzustellen, dass die Vorgaben des Aufenthaltsgesetzes umfassend eingehalten werden. Hier sollte bei Unsicherheiten stets fachkundiger Rat eingeholt werden.

    7. Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

    Auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) enthält viele einzelne Vorschriften, die den Arbeitgeber zu genauer Dokumentation der Entleihung eines Arbeitgebers zwingen. Ziel ist dabei insbesondere, eine – insbesondere wirtschaftliche – Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer gegenüber den Festmitarbeitern zu verhindern. Unter anderem muss sichergestellt sein, dass Leiharbeitnehmer über freie Stellen im Unternehmen aufgeklärt werden – gegebenenfalls auch durch zentralen Aushang. Erfolgt dies nicht, droht eine Geldbuße bis zu € 2.500,-.

    Dieses Bußgeld erscheint im Vergleich zu den bis zu € 500.000,-, die bei Nichtgewährung gleicher Arbeitsbedingungen oder die nicht rechtzeitige Zahlung des Mindeststundenentgelts für Zeiten ohne Überlassung droht.

    Auch ohne das Einstellen von Leiharbeitnehmern kann mancher Arbeitgeber erhebliche Probleme mit dem AÜG bekommen. Gerade bei Unternehmen, bei denen der Inhaber über eine Vielzahl an GmbHs verfügt, die in ähnlichen Branchen tätig sind, geschieht es gelegentlich, dass Arbeitnehmer eines Unternehmens auch langfristig beim anderen Unternehmen eingesetzt werden, der Inhaber die einzelnen Unternehmen insgesamt als „seine Firma“ ansieht. Dies kann in einigen Fällen dazu führen, dass rechtlich hier eine Arbeitnehmerüberlassung angenommen wird, für die der Arbeitgeber dann keine Erlaubnis hat. Es drohen Bußgelder bis zu € 30.000,-. Da in diesen Fällen zudem auch keine erforderliche Meldung erfolgt sein wird, wäre hier eine weitere Geldbuße von bis zu € 30.000,- anzusetzen.

    Hier lohnt es sich somit vor einer „Weitergabe“ von Arbeitnehmern an andere – auch eigene – Unternehmen, stets rechtlichen Rat einzuholen, um eine derartige Situation zu vermeiden.

    Zudem entsteht für Arbeitgeber bei unentgeltlicher Überlassung von Arbeitskraft auch aus steuerlicher Sicht ein Problem, wenn sie die Überlassung nicht korrekt verbuchen.

    8. Verletzung der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO)

    Nur am Rande mit dem Arbeitgeberstrafrecht zu tun hat die Insolvenzantragspflicht bei juristischen Personen. Sie soll hier dennoch aufgrund der häufigen Verbindung mit Taten nach § 266a StGB erwähnt werden.

    Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung muss die Geschäftsführung oder der Vorstand innerhalb einer Frist von drei Wochen einen Eröffnungsantrag stellen. Das Versäumen der Antragsstellung oder die falsche Antragsstellung wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

    Sobald der Arbeitgeber daher in eine Situation kommt, in welcher er die Gehälter und Sozialabgaben nicht mehr (vollständig) zahlen kann, so sollte umgehend prüfen lassen, inwiefern nicht aktuell schon eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten ist. Falscher Stolz kann den Arbeitgeber hier teuer zu stehen kommen.

    #Arbeitsrecht #Mindestlohngesetz #Lohnwucher #Veruntreuung #Arbeitsentgelt #Untreue #Betrug #Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz #Arbeitnehmerüberlassungsgesetz #Insolvenzantragspflicht #Insolvenz

  • Flink : Neustart ohne Betriebsrat
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187757.union-busting-flink-neustart-ohne-betriebsrat.html

    23.12.2024 von Moritz Aschemeyer - Ein Jahr nach Schließung plant Lieferdienst Wiedereröffnung von Freiburger Standort.

    Im Freiburger Straßenverkehr dürften bald wieder vermehrt Radkurier*innen mit pinken Regenjacken und Transportrucksäcken zu sehen sein. Grund dafür ist die Wiedereröffnung der Filiale des Kurierdienstes Flink in der Innenstadt. Der Lieferdienst, der Lebensmittel und andere Supermarktartikel anbietet, hatte im Oktober 2023 unvermittelt den Betrieb in der Stadt eingestellt und den etwa 60 Beschäftigten betriebsbedingt gekündigt. Flink begründete den Schritt vor Gericht mit stagnierenden Auftragszahlen und hohen Raummieten. Für den bis 2026 laufenden Gewerbemietvertrag bemühe man sich um eine Nachmiete – dies war offenbar vergeblich.

    Die nun anstehende Wiedereröffnung am alten Standort stößt bei einigen ehemaligen Beschäftigten auf wenig Begeisterung. »Als ich durch Freunde auf eine Werbekampagne zur Wiedereröffnung aufmerksam wurde, war ich schon überrascht. Vor allem aber bin ich wütend«, sagt Aenne Wagner zu »nd«. Die Studentin arbeitete bis zur Schließung bei Flink. »Da versucht man, Mitbestimmung im Betrieb zu etablieren, wird gekündigt, und ein Jahr später scheint es wirtschaftlich doch nicht so schlimm gewesen zu sein.«

    Flink hat sich auf die schnelle Lieferung von Lebensmitteln und Alltagsprodukten spezialisiert. Das Unternehmen wurde im Jahr 2020 als Start-up gegründet und entwickelte sich zu einem der führenden Anbieter im Bereich des sogenannten Quick-Commerce, wobei die Zustellung innerhalb von zehn Minuten erfolgen soll.
    Betriebsrat durch Schließung hinfällig

    Wagner hatte gemeinsam mit einigen Kolleg*innen die Gründung eines Betriebsrates initiiert, der am 16. Oktober 2023 gewählt werden sollte. Die Wahl wurde durch die Standortschließung drei Tage vorher hinfällig. Die geschassten Kurier*innen vermuteten die Verhinderung einer Betriebsratsgründung als eigentlichen Grund der Schließung und reichten Kündigungsschutzklagen ein, bei denen sie sich unter anderem auf vermeintliche Aussagen regionaler Manager*innen zur Profitabilität des Standorts und kurz zuvor erfolgte Umbauten beriefen. Die Behinderung von Betriebsratswahlen ist nach dem geltenden Betriebsverfassungsgesetz strafbar.

    Das Arbeitsgericht Freiburg wies die Klagen jedoch als nicht stichhaltig genug zurück und ließ das Unternehmen gewähren. Es habe ein strukturelles Informationsungleichgewicht gegeben. »Ohne Einblick in die internen Prozesse war es unmöglich, die Missbräuchlichkeit der Schließung zu beweisen«, so Wagner. Deswegen habe man auch auf eine Berufung verzichtet. Wagner fordert rechtliche Nachbesserungen zum Schutz von Betriebsratswahlen. »Vorstellbar wäre etwa eine gesetzliche Vermutung, die eine missbräuchliche Betriebsschließung ab Beginn einer Betriebsratsgründung annimmt und so die Beweislast umkehrt.«

    Bei der wiedereröffneten Niederlassung haben sich Wagner und mehrere ehemalige Kolleg*innen beworben – vergeblich, wie sie sagen. Eine Weiterbeschäftigung an einem anderen Standort war nach der Schließung nicht erstreitbar, da Flink einzelne Betriebe ausgründete.
    Unternehmen mit schlechtem Ruf

    Dass Mitbestimmungsorgane bei dem Lieferdienst keinen leichten Stand haben, hatte auch eine Auseinandersetzung in Berlin gezeigt. Ein dortiger Wahlvorstand hatte sich im Herbst 2022 aufgelöst, nachdem die Geschäftsführung gegen dessen Zustandekommen geklagt hatte. Bis heute besteht bei Flink kein Betriebsrat, sondern lediglich sogenannte »Ops Committees« – diese vom Unternehmen initiierten freiwilligen Mitarbeiter*innenvertretungen stehen unter anderem wegen fehlender arbeitsrechtlicher Grundlage in der Kritik. Auch auf dem Bewertungsportal »Kununu« schneidet das Unternehmen unterdurchschnittlich ab. Es wird vor allem für seinen schlechten Umgang mit Beschäftigten kritisiert und eine hohe Arbeitsbelastung bemängelt.

    Eine nd-Anfrage zur Wiedereröffnung des Freiburger Standorts ließ Flink bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Gegenüber dem Online-Magazin »Perspektive« hatte das Start-up hingegen erklärt, durch eine in diesem Jahr geschlossene Partnerschaft mit den Lieferdiensten Rewe Express und Lieferando sehe man die Möglichkeit, in Freiburg »langfristig und nachhaltig ertragreich« zu operieren.

    Der Lieferdienstmarkt war lange Zeit stark umkämpft. Doch nachdem Konkurrent Getir und mit ihm Gorillas sich im Mai vom europäischen Markt zurückgezogen hatten, konnte Flink seine Marktposition ausbauen. Noch schreibt das Unternehmen keine schwarzen Zahlen, aber trotz schwieriger Marktbedingungen hat der Lieferdienst in einer Finanzierungsrunde dieses Jahr 150 Millionen Dollar an Land ziehen können.

    #Deutschland #Lieferdienste #Arbeit #Ausbeutung #Betriebsrat

  • Verdi fordert über 30 Prozent mehr Lohn: Warum der BVG ein heißer Streikwinter droht
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/verdi-fordert-ueber-30-prozent-mehr-lohn-warum-der-bvg-ein-heisser-

    Die Kollegen vin der BVG kämpfen für uns alle.

    16.12.2024 von Peter Neumann - Stehen Busse und Bahnen bald still? Für das größte Landesunternehmen von Berlin verlangt die Gewerkschaft Lohnerhöhungen, die sich auf mehrere hundert Millionen Euro summieren.

    Knapp vier Wochen vor Beginn der Tarifverhandlungen für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wachsen die Erwartungen. „Sie werden sich wundern, was noch fährt oder repariert wird, wenn die Verhandlungen nichts Zählbares bringen“, lautete ein Kommentar bei Facebook. „600 Euro ist mein Tipp, was rauskommt“, das sei das Minimum, so ein anderer Facebook-Post. Die Gewerkschaft Verdi fordert noch größere Lohnerhöhungen – im Schnitt deutlich mehr als 30 Prozent. Eine Berechnung zeigt, dass die BVG mit jährlichen Zusatzkosten in dreistelliger Millionenhöhe rechnen müsse.

    Frieden, Freude, Weihnachtszeit: Im Advent 2024 gerät aus dem Blick, dass Berlin zu Beginn des kommenden Jahres Warnstreiks bei U-Bahn, Bus und Straßenbahn drohen. Die Gewerkschaft Verdi hat den Entgelttarifvertrag, der die Löhne und Gehälter für die mehr als 16.000 Beschäftigten des landeseigenen BVG-Konzerns festlegt, fristgerecht gekündigt. Für den 15. Januar haben Verdi und der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) Berlin die erste Verhandlungsrunde terminiert. Die Fronten sind verhärtet.
    Verdi droht: Es könnte so schlimm werden wie die BVG-Streiks 2008

    Die BVG hält sich vor dem Start bedeckt, offizielle Stellungnahmen gibt es nicht. Dafür zeigte sich die Gewerkschaft bislang offener. „Fahrgäste in Berlin müssen ab Januar 2025 mit Warnstreiks bei der BVG rechnen“, sagte Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt der Berliner Zeitung. „Verdi geht davon aus, dass die Tarifauseinandersetzung ähnlich intensiv wird wie 2008. Damals haben wir die BVG in mehreren Wellen insgesamt rund sechs Wochen lang bestreikt. Der Tarifstreit 2025 könnte auf einen Konflikt mit ähnlich schweren Folgen hinauslaufen. Darauf bereiten wir uns jetzt vor.“ Insider halten es für möglich, dass Verdi in der zweiten Januarhälfte 2025 ein erstes Achtungszeichen gibt.

    BVG in Berlin: Warum ab Januar 2025 Warnstreiks drohen

    Wie berichtet würden die Forderungen, die Verdi dem KAV Ende Oktober zugeleitet hat, auf rekordverdächtige Lohnerhöhungen hinauslaufen. So verlangt die Gewerkschaft, dass die Tabellenentgelte um 750 Euro pro Monat steigen. Die Fahrdienstzulage soll von monatlich 100 auf 300 Euro angehoben werden. Für das Fahrpersonal würde dies heißen, dass die Löhne um deutlich mehr als ein Drittel steigen. Derzeit sieht der Tarifvertrag Nahverkehr in der Entgeltgruppe 5, in der es um das Fahrpersonal geht, einen Brutto-Monatslohn ab 2700 Euro vor. Würde sich Verdi durchsetzen, kämen 1050 Euro dazu.

    Ähnlich stark würden BVG-Beschäftigte profitieren, die in Wechselschicht arbeiten. Auch die entsprechende Zulage soll auf 300 Euro im Monat steigen, so die Gewerkschaft. Für die Schichtzulage sieht der Verdi-Forderungskatalog eine Dynamisierung und Erhöhung auf 200 Euro im Monat vor. Die Erhöhung der Tabellenentgelte, die für die gesamte Belegschaft gelten soll, käme bei ihnen ebenfalls hinzu – genauso wie die Weihnachtszuwendung in Höhe eines 13. Monatsgehalts, eine weitere Forderung.
    Prekäre Lage: BVG erwartet für 2024 und 2025 jeweils ein hohes Defizit

    Beobachter schätzen, dass der Personalaufwand des Landesunternehmens auf zwei Jahre gerechnet auf fast eine halbe Milliarde Euro steigen würde, wenn Verdi die Forderungen 1:1 durchsetzt. Zum Vergleich: Die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die der neue Manteltarifvertrag vorsieht, summieren sich auf 70 Millionen Euro für zwei Jahre. Für 2023 weist der Geschäftsbericht im BVG-Konzern bereits Personalaufwendungen von fast 913 Millionen Euro aus. Für dieses Jahr erwartet das Landesunternehmen ein Defizit von 58 Millionen Euro. Auch für 2025 planen die Finanzer ein negatives Bilanzergebnis.

    750 Euro mehr Lohn: Wofür das BVG-Personal in Berlin streiken will

    Dem Vernehmen nach gehört der Verdi-Katalog für die Entgelttarifverhandlungen für die BVG zu den höchsten Forderungen, die jemals in der Nachkriegsgeschichte der deutschen Gewerkschaftserhöhung erhoben worden sind. Verdi Berlin lässt sogar die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die in dieser Hinsicht als wenig scheu gilt, hinter sich. Andere aktuelle Forderungen von Verdi wirken vergleichsweise moderat: So verlangt die Gewerkschaft für den neuen bundesweiten Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst acht Prozent mehr Lohn, mindestens 350 Euro pro Monat.

    Dass Verdi bei der BVG einen sehr großen Schluck aus der Pulle fordert, hat mehrere Gründe. So liegt der jüngste Abschluss eines Entgelttarifvertrags einige Jahre zurück: Die jüngsten Entgeltrunden fanden 2019 und 2021 statt. Zwar hat die BVG seitdem 2023 und 2024 einen Inflationsausgleich von insgesamt 3000 Euro gezahlt. Auch enthielt der Manteltarifvertrag, auf den sich Verdi und der KAV im April einigten, lohnwirksame Bestandteile. Beispiele: Ein Urlaubsgeld von 500 Euro wurde eingeführt; Zulagen stiegen.
    Bei den Personalratswahlen bekam die Gewerkschaft Verdi Konkurrenz

    Beide Verhandlungspartner sind sich darin einig, dass der neue Tarifvertrag eine spürbar bessere Bezahlung bringen muss. Die Frage ist nur: in welchem Maße? Übernähme der KAV die Forderungen 1:1, müsste das Land der BVG noch mehr zahlen. Es verwundert deshalb nicht, dass die Gewerkschaft den CDU/SPD-Senat stärker in die Pflicht nehmen will. Angebotskürzungen wären laut Verkehrsvertrag mit dem Land nicht statthaft. Allerdings steht für das kommende Jahr eine Revision des Vertrags an.

    Nicht nur die Verdi-Mitglieder, die sich in einer Befragung mehrheitlich für große Lohnerhöhungen ausgesprochen haben, treiben Jeremy Arndt und die anderen Mitglieder der Verhandlungskommission an. Wie berichtet, setzen auch andere Gruppen die Gewerkschaft unter Druck. Das zeigte sich bei den Personalratswahlen im November.

    Zwar errang Verdi im Gesamtpersonalrat 16 von 29 Sitzen. Anders sieht es beim Fahrpersonal aus. So entfielen im Busbereich Süd von 1042 gültigen Stimmen nur noch 337 auf Verdi. Den ersten Platz errang dagegen die offene Liste, die 560 Voten bekam. Im Nordbereich, BO Nord genannt, landeten 1023 gültige Stimmen in den Wahlurnen. Kraft durch Basis bekam 561 Voten, die Liste „Verdi gemeinsam mit Euch“ 323.

    Verdi-Konkurrenten, die nicht dem Deutschen Gewerkschaftsbund angehören, treten ebenfalls mit hohen Forderungen an. So verlangt das Trio Gkl Berlin, dbb Beamtenbund und Tarifunion und die NahVG Nahverkehrsgewerkschaft eine Erhöhung der Tarifentgelte um 600 Euro pro Monat. Ab Januar 2026 sollte eine Anhebung um acht Prozent folgen – um nur zwei Beispiele aus dem Katalog von Ende November zu nennen.

    BVG-Personalratschefin: „Die Forderungen der BVGer sind legitim, und wir werden sie verteidigen“

    Auch wenn es klare Trennstriche zwischen diesen Gewerkschaften und Verdi gibt: In der grundsätzlichen Einschätzung sind sich die Akteure einig: „Das Entgelt passt nicht mehr. Es ist zu niedrig. Im bundesweiten Vergleich ist Berlin weit unten. Kurz gesagt: Es gibt Nachholbedarf“, stellen gkl, dbb und NahVG in einem Flugblatt fest.
    „Zum heutigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um über einen Konflikt zu sprechen“

    „Die Forderungen der BVG-Beschäftigten sind legitim und wir werden sie verteidigen“, sagte Janine Köhler im November der Berliner Zeitung. Sie ist die neue Vorsitzende des Gesamtpersonalrats und Mitglied der Verdi-Tarifkommission. „Um sie durchzusetzen, werden wir die nötigen Mittel, die uns zur Verfügung stehen, in die Hand nehmen.“ Über Arbeitsniederlegungen will die GPR-Vorsitzende derzeit aber nicht reden.

    „Zum heutigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um über einen Konflikt zu sprechen“, sagt sie. „Wir müssen die Verhandlungen abwarten, die Mitte Januar 2025 beginnen. Ich stelle fest, dass aufseiten des Arbeitgebers ein gewisses Verständnis für die Forderungen da ist. Zu welchen Mitteln wir greifen müssen, möchte ich offenlassen. Wir haben noch nicht angefangen zu verhandeln.“

    Doch alle Beobachter sind sich einig: Berlin droht ein heißer Windroht

    #Berlin #BVG #ÖPNV #Arbeit #Lohn #Streik #Verkehr #Inflation #Gewerkschaft

  • Wolfgang Zimmer: Nobel-Friseur in Berlin-Mitte gibt auf und erklärt schonungslos warum
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/wolfgang-zimmer-nobel-friseur-in-berlin-mitte-gibt-auf-und-erklaert

    Bei diesem Mann konntest du wochenlang zwölf Stunden am Tag malochen. Arbeitszeitgesetz? Für Looser. Jetzt macht er dicht. Ausbeutung von Menschen lohnt sich nicht mehr. Immobilien- und Finanzkapital sind die Bringer.

    Mittelständlers Beschreibung von ungeliebten Bewerbern gibt Auskunft zur Frage, wie man heute als Handwerker, als Arbeiter über die Runden kommt. Ein Mix aus mies bezahltem Job für die Krankenversicherung kombiniert mit Stütze und Schwarzarbeit sind nötig, um von einfachen Tätigkeiten leben zu können.

    Das Ergebnis von fünfzig Jahren Liberalismus, zunächst noch rheinisch dann mit Neo-Präfix ist niederschmetternd. Eine zerstörte Gesellschaft. Top oder Flop, kämpf dich nach oben oder geh unter bei dem Versuch. So sieht es aus für alle, die nicht mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund geboren wurden.

    Das muss sich ändern, das müssen wir ändern, noch bevor das Menetekel VW die restlichen guten Jobs bei Industrie und Verwaltung trifft. Gelingt das nicht, wird das Kapital in Krieg und Faschismus flüchten. Es hat schon angefangen.

    14.12.2024 von Michael Maier - Die Kunden rennen ihm die Tür ein. Trotzdem schließt Wolfgang Zimmer seinen Friseur-Salon. Immer neue Hürden und Fehler der Politik machen das Arbeiten sinnlos.

    Wir treffen Wolfgang Zimmer in seinem hellen Friseursalon in einem Dachgeschoss in den Rosenhöfen. Die Räume haben noch das Flair der großen Aufbruchszeit in Berlin-Mitte. Alle wollten hier sein, es war eine Mischung aus Unfertigem und individuellen Visionen. Das ist heute alles vorbei, die Ernüchterung ist groß. Denn die verheerende politische und wirtschaftliche Entwicklung hat gerade die engagierten und erfolgreichen mittelständischen Unternehmen schwer getroffen. In einem Land, in dem der Bundeswirtschaftsminister nicht weiß, was eine Insolvenz ist, geben immer mehr Unternehmen auf.

    Wolfgang Zimmer ist einer der international anerkanntesten Friseure. Er hat prominente Namen in seiner Kundenkartei: Politiker, Schauspieler, Filmstars und Topmodels wie Sharon Stone, Eva Padberg, Claudia Schiffer und Linda Evangelista. Vor einigen Jahren gewann er den von L’Oreal gestifteten „Friseur-Oscar“. Neben seiner Arbeit für die Promis ist Zimmer immer mit beiden Füßen auf dem Boden geblieben: Über tausend ganz normale Kunden und Kundinnen bedient er, jede und jeden mit demselben Respekt, als kämen sie alle aus Hollywood. Doch nun ist Schluss. In ungewöhnlich klaren Worten analysiert Zimmer, warum er seinen Laden dichtmacht. „Eine Ära geht zu Ende“, sagt eine Kundin am Tresen. Im Hintergrund läuft Wellness-Musik. Es gibt Espresso und einen Kuchen, der nach Wehmut schmeckt.

    Herr Zimmer, wie lange sind Sie in Ihrem Gewerbe tätig?

    Ich bin seit 48 Jahren immer im Beruf, davon über 36 Jahre selbstständig. Viele Kunden sagen, jetzt geht eine Ära zu Ende. Aber das ist nicht ganz richtig. Ich gebe einen Teil meines Berufes ab. Ich werde kein Geschäft mehr haben, wo ich Kunden bediene. Es geht für mich im artistischen Bereich weiter, wo ich schon vorher gearbeitet habe. Ich arbeite für Fotoproduktionen, mache Haarkonzepte für die Fashion Week oder Filmproduktionen. Ich darf seit über 22 Jahren die Berlinale begleiten und bin für das Styling vieler ausländischer Gäste verantwortlich. Ich betreue einige Designer in Mailand und gebe Seminare für Friseure und habe an der Universität der Künste Kurse für Mode- und Trendentwicklung gegeben. Es wird mir also nicht langweilig.

    Sie haben hier in den Berliner Rosenhöfen bei den Hackeschen Höfen sehr erfolgreich gearbeitet. Mit welchen Erwartungen waren Sie nach Mitte gekommen, und wie stellt es sich heute dar?

    Ich bin vor 22 Jahren von der West-City nach Mitte gegangen, weil ich am Puls der Zeit sein wollte. Für mich war Mitte wie SoHo in New York. Ich habe es nie bereut, es war eine tolle Zeit! Viele Einzelkämpfer haben die Ärmel hochgekrempelt, es war nicht alles perfekt, aber jeder hat angepackt. Heute werden die Einzelkämpfer rausgedrängt. Wir sehen nur noch Ketten, wie überall.

    Warum geben Sie das Geschäft auf?

    Zuerst: Die Miete wird sich drastisch erhöhen. Mein Mietvertrag läuft Ende des Jahres aus. Man kann die geforderte Miete nicht mehr mit Haareschneiden erwirtschaften. Der Staat macht es uns Mittelständlern und Kleinhandwerkern nicht sehr einfach. Es werden uns immer weitere Kosten aufgedrückt, die wir nicht ohne weiteres an unsere Kunden weitergeben können. Wenn ich „nur“ Haare schneiden dürfte und mich darauf konzentrieren könnte, wäre die Welt in Ordnung. Aber wir werden heute über bürokratische Hürden gejagt und müssen uns an Datenschutzverordnungen, geänderten Gesetzgebungen, Feuerschutz, Gesundheitsschutzmaßnahmen, Berufsgenossenschaft, Innung, Handwerkskammer abarbeiten. Die ganzen Betriebskosten wie zum Beispiel Energiekosten oder Beiträge zu Krankenkassen sind gewaltig gestiegen.

    Durch den demografischen Wandel und die Lustlosigkeit vieler Menschen, sich nicht durch Arbeit und persönliches Engagement in die Gesellschaft einzubringen, steigt der Druck auf die noch arbeitende Bevölkerung immer weiter. Ich habe mich nie gefragt, was kann der Staat für mich tun, sondern hatte immer die Einstellung: Was kann ich für dieses Land tun? Diese Grundeinstellung scheint immer mehr verloren zu gehen. Der Mittelstand ist in der Defensive und kann das irgendwann nicht mehr tragen.

    Einzelkämpfer wie ich in Berlin-Mitte werden es immer schwerer haben. Ich bin jetzt in Berlin-Mitte, vorher war ich 15 Jahre im Westen, in einer Altbauetage. Ich bin sehr dankbar für die Zeit, ich habe immer meinen persönlichen und beruflichen Traum leben dürfen. Ich habe immer gemacht, was ich wollte. Ich jammere nie, packe Sachen an, sage mir oft: Jetzt erst recht! Heute habe ich mit meiner Lebenserfahrung den Entschluss gefasst, so nicht mehr weiterarbeiten zu wollen. Das hat keinen Sinn. Ich möchte allen meinen Kunden danke sagen, für die jahrelange Treue und für das mir und meinem Team entgegengebrachte Vertrauen.

    Ein großer Dank gilt meinen Mitarbeitern, die mir immer zur Seite gestanden haben. Der Weg hin zu der Entscheidung aufzuhören ist mir sehr schwergefallen. Aber jetzt fühle ich mich frei und wohl damit.

    Sie geben das Geschäft auf, weil die Kosten so gestiegen sind, dass Sie es trotz der massiven Nachfrage bei den Kunden nicht mehr wirtschaftlich führen können?

    Ja. Bisher waren die Rahmenbedingungen für mich in Ordnung. Jetzt steigt die Miete aber unverhältnismäßig hoch an. Im Gewerbebereich kann jeder Vermieter das nehmen, was er haben möchte. Kleine, mittelständische Geschäfte werden so aus den Zentren der Stadt verdrängt. Ich habe das Gefühl, dass es vielen Vermietern egal ist, ob Ladenflächen leer stehen oder nicht. Wenn die Läden dann leer stehen, wird es als Verlust abgeschrieben, es zahlt also der Steuerzahler. Dazu kommen alle anderen Kosten, die drastisch gestiegen sind: Lebensmittel, Energie, Handwerker.

    Wenn die Politik die Leute nicht mitnimmt und ihnen erklärt, wie es weitergeht, dann verlieren die Menschen das Vertrauen in den Staat. Es wird nicht erklärt, wofür Geld ausgegeben wird oder wofür auch nicht. Wir haben einen riesengroßen Vertrauensbruch. Arbeit muss sich wieder lohnen.

    Welche Erfahrungen haben Sie im Personalbereich?

    Ich habe in den vergangenen Jahren sehr viele Bewerbungsgespräche geführt mit Leuten, die bei mir anfangen wollten. Es gibt Bewerber, die Power haben und arbeiten wollen. Aber es gibt auch Menschen, die sagen mir im Bewerbungsgespräch: „Herr Zimmer, eines muss ich Ihnen sagen: Im Monat bin ich zwei Tage im Durchschnitt krank.“ Ich frage dann, haben Sie eine chronische Krankheit, dann sagte mir der Bewerber: „Nein, das steht mir doch zu, ich zahle ja Krankenkassenbeiträge.“ Oder ein anderer sagte: „Ich möchte nur ein Jahr arbeiten, weil danach möchte ich mich gerne wieder ein halbes Jahr arbeitslos melden.“ Das wird einfach so gesagt!

    Wie oft haben Sie das erlebt?

    Das habe ich öfter erlebt. Bewerber sagen auch, dass ihnen die Öffnungszeiten nicht gefallen. Ein Friseur sagte zu mir: „Ich habe nur Lust, zwischen 11 und 17 Uhr zu arbeiten.“ Oder: „Ich will nur zwei, drei Tage arbeiten, den Rest mache ich schwarz und habe dann mehr Geld, als würde ich normal arbeiten.“ Die Hürde, das auch ganz offen zu sagen, ist heute sehr niedrig. Und es gibt auch viele, die den Staat ausnutzen. Es wird ihnen so leicht gemacht, dass sie sagen: „Es steht mir doch zu.“ Immer weniger Leute wollen Verantwortung für sich selbst tragen. Immer mehr Menschen wollen für weniger Arbeit mehr Geld bekommen. Das funktioniert nicht. Es gibt aber zum Glück noch viele, die nehmen die Herausforderungen an.

    Haben Sie diese Veränderung über Jahre beobachtet?

    Ja. Ich habe in den ersten 20 Jahren meiner Friseurlaufbahn mit vielen Mitarbeitern zusammenarbeiten dürfen, von denen keiner das Unternehmen verlassen hat. Die Gesellschaft hat sich sehr stark verändert. Es ist gut, dass die Menschen mehr Freizeit haben wollen – wenn es finanzierbar ist. Auch Freizeit kostet Geld. Es ist toll, wenn ein Staat solidarisch ist. Wir alle arbeiten gerne für Menschen mit, die geistig und körperlich beeinträchtigt sind oder in Not geraten. Aber ich habe keinen Bock, für Leute mitzuarbeiten, die unser Sozialsystem ausnutzen. Der Staat macht das schon. Wer ist der Staat? Wir alle sind der Staat.

    Sie haben viele Leute im Lauf der Jahre ausgebildet. Hat sich die Einstellung zum Arbeiten an sich, zum Beruf geändert?

    Ich würde es nicht verallgemeinern. Ich habe sehr viele Friseure ausbilden dürfen. Einige von ihnen zählen heute zu den besten der Stadt. Aber man kann sehen, wie es sich verändert hat: In früheren Jahren hatten wir sechs bis acht Berufsschulklassen jedes Semester. Heute sind es nur noch halb so viele. Die jungen Menschen haben zum Teil keine Lust mehr, eine Ausbildung anzufangen, wo sie acht Stunden oder mehr arbeiten müssen, vielleicht sogar samstags, wenn andere freihaben. Ich hatte das Glück, mit Menschen zu arbeiten, die zuverlässig sind und Spaß an ihrem Job haben und deshalb von anderen Kollegen gerne genommen wurden. Einige machen sich jetzt selbstständig. Keiner wird auf der Straße stehen.

    Auch über meinen großen Kundenstamm habe ich mir viele Gedanken gemacht. Ich habe meine ehemaligen Mitarbeiter, die heute selbstständig sind, angerufen. Alle haben gesagt, das finden wir toll. Aber einige haben gesagt, wir würden deine Kunden gerne übernehmen, aber wir haben nicht das Personal dazu. So ist es mir auch gegangen: Ich hätte auf einen Schlag fünf, sechs Friseure einstellen können. Aber man bekommt kein Personal. Viele meiner Kollegen sagen: Wir könnten viel mehr Kunden annehmen, aber es fehlen die Mitarbeiter. Und das sind Chefs, die rund um die Uhr arbeiten.

    War Corona ein Einschnitt?

    Der Staat hat geholfen. Dafür möchte ich danken. Das Problem: Mein Geschäft war einmal sechs Wochen, einmal sieben Wochen geschlossen. Wir wussten nicht, wann wir wieder öffnen können. Da war ein furchtbares Gefühl. Wir konnten dem Personal nicht sagen, wie es weitergeht. Ich habe den Mitarbeitern das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent aufgestockt. Die Ungewissheit, wie lange können wir finanziell durchhalten – das war das Schlimmste.

    Sie mussten auf Ihre Reserven zurückgreifen?

    Ja klar. Ich habe den Vermieter gefragt, ob er mir entgegenkommen kann. Er hat gesagt, er kann mir die Miete zwei oder drei Wochen stunden. Das hilft natürlich gar nicht. Ich glaube, in dieser Zeit hat ein Umdenken begonnen. Ich weiß es nicht, aber plötzlich haben die Leute gesagt, ich möchte mehr Zeit für mich haben. Das war auch in der Gastronomie so: Wo sind die Menschen, die vor Corona dort gearbeitet haben?

    Sie mussten Kredite aufnehmen?

    Die IBB hat uns geholfen, das war positiv. Wir haben einen zinslosen Kredit bekommen. Aber den mussten wir natürlich zurückzahlen. Das ist kein geschenktes Geld. Wir mussten hart arbeiten. Meine Mitarbeiter, die immer hinter mir gestanden haben, haben sechs Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag gearbeitet – da sage ich: Hut ab! Viele Unternehmer konnten die Kredite nicht zurückzahlen.

    Sie sind ja eher ein 1968er, ein Linksliberaler. Als Selbstständiger haben Sie gelernt, dass das Geld irgendwo herkommen muss. Glauben zu viele Leute, dass das Geld auf den Bäumen wächst?

    Ich finde, es soll allen gutgehen – aber jemand, der viel tut, soll auch viel profitieren. Wir brauchen weniger Steuern und gute Rahmenbedingungen, um erfolgreich wirtschaften zu können. Der Staat ist außerdem ein schlechtes Vorbild. Er lebt zum großen Teil von Schulden. Wir leisten uns ein System, das nicht mehr tragbar ist.

    Sie haben einen super Laden, es gibt genug Kunden, die gerne für Ihre Arbeit zahlen – also eigentlich der wirtschaftliche Idealfall. Trotzdem machen Sie Schluss.

    Mir fehlt die Kraft, um mich auf die veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einzustellen. Ich habe das Glück, diese Entscheidung aus freien Stücken treffen zu können, und freue mich auf die neuen Herausforderungen.

    So spricht der von Ereignissen Getriebene. Ein Kleinbürgee versteht nicht, was die Stunde geschlagen hat. Er ist wie ein Frosch im Brunnen, der sich mit Wasser füllt. Er sieht nicht die Quelle und versteht nur, dass er bald keinen Dreckklumpen zum Ausruhen mehr haben wird. Seine Perspektive beschrânkt sich auf einen winzigen Ausschnitt des Himmels. Dafür kennt er alle Mitbewiohner des Schlamms, in dem er sitzt, nur zu genau.

    Wählt der Mann AfD? Vermutlich noch nicht, denn die ganz Rechten sind im hippen Fashion-Business noch nicht en vogue , zu konservativ, zu viel Provinz, zu unkultiviert. Aber was nicht ist, kann ja noch werden bei den Gottbegnadeten.

    #Berlin #Mitte #Rosenthaler_Straße #Gentrifizierung #Ausbeutung #Arbeit #Handwerk #Kapitalismus #Kleinbürgertum #Berlinale

  • Übergriffig gegen Lieferando-Rider: Schwach, schwächer, am schwächsten
    https://taz.de/Uebergriffig-gegen-Lieferando-Rider/!6039535

    11.10.2024 von Lilly Schröder - Lieferando-Fah­re­r*in­nen werden ausgebeutet. Doch die Übergriffe gegen sie kommen von Kun­d*in­nen und Restaurantangestellten.
    Lieferando Fahrer fährt durch den Regen

    Lieferando Fahrer Foto: Jochen Tack/imago

    Männer empfangen sie nackt an der Tür oder lassen ihr Handtuch im letzten Moment fallen. Sie werden unangemessen nach Dates gefragt und verbal sexuell belästigt – sei es auf der Straße, im Restaurant oder in Privatwohnungen. Davon berichten Berliner Lie­fe­rando-Kurier*innen.

    Die sexuelle Belästigung bei Ridern ist kein hauptstadtspezifisches Pro­blem. Von Bremen über Karlsruhe bis nach Köln berichten Ku­rie­r*in­nen der taz von Vorfällen. „Ich habe noch nie eine Frau bei Lieferando getroffen, die nicht belästigt wurde“, erzählt Anne Gardiner (Name von der Redaktion geändert), eine Kurierin aus Bremen, die sich bei der Interessenvertretung Lieferando Workers Collective engagiert. Die Verantwortung sieht sie bei Lieferando: „Wenn die Firma die Rechte der Mit­ar­bei­te­r*in­nen nicht schützt, dann tun andere es auch nicht.“

    Der orangefarbene Lieferdienst steht seit Langem wegen niedriger Löhne, Verletzung von Ar­bei­te­r*in­nen­rech­ten, Gewerkschaftsfeindlichkeit und einer „Hire & Fire“-Unternehmensführung in der Kritik. Die meist migrantischen Ku­rie­r*in­nen sind dem schutzlos ausgeliefert. „Die meisten von uns sprechen kein Deutsch und wissen nicht was ihre Rechte sind“, berichtet Anne. „Außerdem wollen sie kein Stress riskieren, aus Sorge ihr Visum zu verlieren.“ Lieferando profitiere von dieser Tatsache.

    Die Ausbeutung der wehrlosen Kuriere ist integraler Bestandteil des Geschäftsmodells. Der systematisch Machtmissbrauch durchzieht das gesamte Unternehmen, das wie eine undurchsichtige Black Box agiert. In den meisten Städten, den sogenannten Remote-Städten“ gibt es keine An­sprech­part­ne­r*in­nen, sondern nur eine Mail-Adresse, an die sich die Ku­rie­r*in­nen wenden können. In den sogenannten Hub-Städten wie Berlin und Hamburg hingegen gibt es wenigstens in der Theo­rie Ansprechpartner*innen.
    Perfides Katz- und Maus-Spiel

    In der Praxis entpuppt sich diese „Unterstützung“ jedoch als ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, um Ku­rie­r*in­nen ihre Rechte vorzuenthalten. So ist etwa das Büro des Betriebsrats am Berliner Ostkreuz nicht einmal ausgeschildert, bis vor Kurzem gab es keinen Briefkasten. Daher ist der Betriebsrat für die Rider kaum zu finden.

    Dabei ist es angesichts der auf Entrechtung basierenden Unternehmensstruktur essenziell, dass es mittlerweile vereinzelt Betriebsräte sowie eine Interessenvertretung gibt. Ihre Forderungen – Verifikationsmechanismen, um Kun­d*in­nen bei Fehlverhalten zu blockieren, die Möglichkeit, Fahrten bei Sicherheitsbedenken abzubrechen, sowie die Etablierung einer sensibleren Firmenkultur – sind richtig und wichtig.

    Allerdings gehen die Übergriffe gegen Rider nicht von der Firma aus, sondern von Re­stau­rant­mit­ar­bei­te­r*in­nen, Kun­d*in­nen und Ver­kehrs­teil­neh­me­r*in­nen, die offenbar eine Genugtuung in der Erniedrigung wehrloser Menschen finden. Diese Übergriffe offenbaren die Abgründe einer Gesellschaft, die solche Praktiken nicht nur ungestraft duldet, sondern möglich macht.

    Es steht außer Frage, dass Lieferando ein unmoralisches Unternehmen ist, das die Graubereiche im Arbeitsrecht ausreizt wie Cum-Ex-Banker das Steuerrecht. Aber ihr Machtmissbrauchssystem kann die Firma nur aufrechterhalten, weil es von außen gestützt wird.

    Es braucht daher nicht nur schärfere Regelungen innerhalb des Unternehmens, um Ku­rie­r*in­nen besser zu schützen. Es bedarf einer Entpatriarchalisierung, eines gesellschaftlicher Wandels, sodass migrantische Menschen, die sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden, nicht zur Zielscheibe der Erniedrigung werden. Ein Mindestmaß an Menschlichkeit ist gefragt.

    #Berlin #Arbeit #Lieferfahrer

  • „Liebling Kreuzberg“ kehrt zurück – als Frau und als Spielfilm
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/tv-medien/berlin-kult-serie-liebling-kreuzberg-kehrt-zurueck-als-frau-und-als

    Der Vollständigkeit halber

    24.7.2024 von Cornelia Geißler - Noch immer laufen Wiederholungen der beliebten Berliner Fernsehserie. Für den Herbst kündigt die ARD Nachschub an. Zwei Darstellerinnen von damals sind noch dabei.

    Das RBB-Fernsehen überbrückt die Sommerflaute mit Wiederholungen von „Liebling Kreuzberg“ und schreibt im Programm dazu: „Kultserie mit Manfred Krug“. Ein paar Wochen noch, dann aber läuft „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ im Hauptprogramm der ARD, zur Primetime am 27. September. Als Spielfilm! Manfred Krug, der Schauspieler, der in fünf Staffeln und damit insgesamt 58 Folgen von 1986 bis 1998 den eigensinnigen, menschenfreundlichen Anwalt Robert Liebling spielte, ist dann schon acht Jahre tot. Wie kommt er wieder?

    Nun, Manfred Krugs Rolle wird in der Produktion von Odeon Fiction und ARD Degeto nicht von einem anderen Mann übernommen. Viel ist noch nicht über den Ende vergangenen Jahres gedrehten Fernsehfilm bekannt. Aber wir wissen, dass die Arbeitsstelle diesmal überwiegend in weiblicher Hand ist. Zeit ist vergangen, auch die juristischen Herausforderungen sind andere. Die Rechtsanwältin Dr. Talia Jahnka, gespielt von Gabriela Maria Schmeide, hat die Kanzlei auf wirtschaftlich sichere Füße gestellt.

    Anwalt der Schwachen, Anwältin der Schwachen

    Sie wird eines Tages überrascht von Lisa Liebling (Luise von Finckh), die mit dem Staatsexamen in der Tasche die Arbeit ihres Großvaters fortführen will. Ihre Existenz hat sich in der Original-Serie immerhin schon angekündigt. Im Januar 1994 schaut sich Robert Liebling seine schwangere Tochter Sarah (Roswitha Schreiner) an und sagt zu ihr: „Ich hätte nicht übel Lust, selbst noch ein Kind zu machen. Aber im Moment reicht das Geld nicht.“ Nun wird dieser Spross der Familie auch solche Klienten unterstützen, die sich anwaltlichen Beistand kaum leisten können. Die Szene fiel Manfred Krug Jahre später noch einmal auf, am 20. Juli 1998 zitiert er die Sätze in seinem Tagebuch, das unter dem Titel „Ich bin zu zart für diese Welt“ 2023 im Kanon-Verlag erschienen ist.

    Roswitha Schreiner spielte von 1986 bis 1998 in 24 Folgen die Tochter des Anwalts Robert Liebling. Im Film „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ ist sie die Mutter der Anwältin Lisa Liebling. imago stock&people

    Die Serie war damals ein riesiger Erfolg. Jurek Becker, Drehbuchautor der ersten drei Staffeln, und Manfred Krug erhielten 1988 gemeinsam den Adolf-Grimme-Preis. 1995 ging die Auszeichnung auch noch an den Drehbuchautor der vierten Staffel, Ulrich Plenzdorf, der die Handlung aus Kreuzberg auf das wiedervereinigte Berlin ausweitete.

    Jurek Becker ist 1997 gestorben, Ulrich Plenzdorf 2007. Das Spielfilm-Drehbuch schrieb Andrej Sorin. Und der nimmt zwei Figuren von damals wieder auf. Lieblings freche Tochter Sarah, die den Zuschauern mit Taschengeld-Problemen und als Schulschwänzerin auffiel, trägt als gestandene Frau den Doppelnamen Liebling-Haage. Roswitha Schreiner darf die Rolle nun als Erwachsene spielen – diesmal nicht als Tochter, sondern als Mutter der Hauptfigur. Und Anja Franke ist als Senta Kurzweg der Kanzlei treu geblieben.

    #Berlin #Kreuzberg #TV #Recht #Justiz #Serien #Arbeit

  • Original vermisst: Die ARD hat „Liebling Kreuzberg“ politische Korrektheit verordnet
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/tv-medien/original-vermisst-die-ard-hat-liebling-kreuzberg-politische-korrekt

    Der Pilot zu noch ’ner Anwaltsserie in der ARD. Informationsgehalt Fehlanzeige, zumindest wenn es um das in Deutschland geltende Arbeitsrecht gilt. Man kann Angestellte, zumal langjährige nicht einfach entlassen.

    Davor hat der Gesetzgeber die Pflicht für Arbeigeber gesetzt, bei vermeintlichem Fehlverhalten Beschäftigte zunächst abzumahnen. Erst wenn die Abmahnung unwidersprochen bleibt oder von einem Gericht bestätigt wurde kann eine Arbeitnehmerin bei wiederholtem Verstoß gegen ihre Pflichten gekündigt werden. Anderenfalls ist die Kündigung unwirksam oder wird für den Arbeitgeber teuer, so das Vertrauensverhältnis mit ihrer Angestellten derart zerrüttet ist, dass der Arbeitnehmerin eine weitere Beschäftigung nicht zugemutet werden kann. Dann wird eine Abfindung fällig, die bei langjährig Beschäftigten etlichen Monatsgehältern entsprechen kann.

    In der Serie entlässt die junge Anwältin mit Prädikatsexamen ihre Mitarbeiterin einfach so, wie es in den USA üblich ist, und das noch mit einer fadenscheinigen Begründung. So etwas kommt zwar auch in juristischen Berufen vor, ist aber unwahrscheinlich und vermittelt Zuschauerinnen, das sie als Berufstätige im Grunde keine Rechte haben. Sollte es der rechten AfD gelingen, ihre Juristen in höchstrichterliche Positionen zu bringen, besteht die Gefahr, dass derartige Praktiken gängige Münze werden. Noch herrscht jedoch eine auf Interessenausgleich gerichtete Entscheidungspraxis der Arbeitsgerichte vor, die zumindest dem Wortlaut der Gesetze genügt.

    Torsten Wahl - Manfred Krug als Anwalt Liebling, das war genialer Kult. Im Pilotfilm zu ganz neuen Folgen der Serie geht es jedoch allzu korrekt zu. Wenigstens Winfried Glatzeder ist dabei.

    Manfred Krug gibt auf Kassetten besondere Sprüche als Anwalt Liebling zum Besten, Anja Franke ist immer noch als Sekretärin Senta die gute Seele in der Kanzlei, Roswitha Schreiner spielt weiter die Sarah Liebling und im Kühlschrank wartet grüne Götterspeise, die Lieblingsspeise von Robert Liebling – es ist also alles bereitet für den Eintritt einer neuen Generation: Sarahs Tochter Lisa (Luise von Finckh) tritt das Erbe ihres verstorbenen Großvaters an.

    Sie kreuzt eines Tages unangemeldet auf und erklärt der verdutzten Chefin Talia Jahnka (Gabriela Maria Schmeide), sie trete vertragsgemäß als neue Partnerin in die Kanzlei ein. Und wie das Wort korrekt auszusprechen ist, erklärt sie auch gleich, nämlich mit Pause mitten im Wort: Partner:in.

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    Nicht nur angesichts diesen forschen Neustarts dürften viele wehmütig an das Vorbild denken: „Liebling Kreuzberg“ lief von 1986 bis 1998 sehr erfolgreich in der ARD. Anja Franke gibt im ARD-Begleit-Interview erstaunlich offen zu, wie sehr sie das Original vermisst: „Ein klassischer Chauvi mit Herz wie Robert Liebling, der ehrlich und schonungslos sagt, was er denkt – egal, wem er damit auf den Schlips tritt – so einer findet heute leider im politisch korrekten Fernsehen nicht mehr statt.“ Hauptdarsteller Manfred Krug, der selbst immer wieder schnoddrige Sprüche beisteuerte, konnte auf die Drehbücher von so renommierten und starken Autoren wie Jurek Becker und Ulrich Plenzdorf bauen.

    Alban Rehnitz und Lynn Schmitz, die Produzenten der Firma Odeon Fiction, die das Erbe der damaligen Nova Film übernommen haben, wollen nun in der Neuauflage die Themen unserer Zeit kontrovers und unterhaltsam verhandeln und nennen, in dieser Reihenfolge: Diskriminierung, Armut, Rassismus, Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit, Diversität. Lisa Liebling erklärt bei ihrem Start, sie habe eigentlich in der Antidiskriminierungsstelle des Senats anfangen wollen – und führt sich so auf, als sei die Kanzlei Liebling eine Filiale davon. Ihr erster Mandant ist ein älterer Herr, der angibt, er wäre wegen seines Alters aus seinem Stammlokal verwiesen worden – Winfried Glatzeder spielt ihn als Vertreter des 80er-Jahre-Kreuzbergs. Doch vor Ort stellt sich heraus, dass der alte weiße Mann eine Transfrau beleidigt hatte – und zwar mit einem so schlimmen Wort, dass es der Film den Zuschauern gar nicht zumuten will.

    Winfried Glatzeder als Hans Saffermann, rechts am Bildrand zu erkennen, soll sich bei Mai Ninh Phan (Nhung Hong) entschuldigen.

    Winfried Glatzeder als Hans Saffermann, rechts am Bildrand zu erkennen, soll sich bei Mai Ninh Phan (Nhung Hong) entschuldigen.Stefan Erhard/Odeon Fiction GmbH/ARD Degeto

    Luise von Finckh als Lisa Liebling agiert auch in weiteren Fällen eher wie eine politische Aktivistin, Pardon: Aktivist:in. Doch nie sieht man sie in seriöser Robe vor Gericht. Die spannendere Figur ist ihre Gegenüber in der Kanzlei – und Gabriela Maria Schmeide eine Schauspielerin ganz anderer Klasse. Denn ihre Tania Jahnka verteidigt nicht nur das „generische Maskulinum“, sondern steckt im steten Konflikt zwischen dem sozialen Engagement und den ökonomischen Zwängen. Insgesamt aber will der Pilotfilm so eifrig Fleißbienchen politischer Korrektheit sammeln, das man am liebsten zu alten Manfred-Krug-Folgen bei ARD Plus wechseln möchte. Obwohl die ARD mit „Die Kanzlei“ und „Heiland – Wir sind Anwalt“ bereits zwei Anwaltsserien etabliert hat, soll auch „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ fortgesetzt werden.

    Kanzlei Liebling Kreuzberg. Ab Mi, 25.9., in der ARD-Mediathek, am Fr, 27.9., um 20.15 Uhr in der ARD

    #Berlin #Kreuzberg #TV #Recht #Justiz #Serien #Arbeit

  • Busfahrer über BVG-Krise: »Mittlerweile ist es die Hölle«
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185514.oepnv-busfahrer-ueber-bvg-krise-mittlerweile-ist-es-die-hoelle.ht

    24.9.2024 von Christian Lelek - Unter der BVG-Krise leidet auch das Fahrpersonal

    Die Berliner Verkehrbetriebe stecken in einer handfesten Krise. Regelmäßig wird ein neuer Notfahrplan präsentiert, der das Angebot eindampft, sodass sich die Anfahrhäufigkeit veringert. Trotzdem fallen immer mehr Züge aus. Konnte die BVG im Jahr 2022 noch 99,2 Prozent aller geplanten U-Bahn-Fahrten anbieten, waren es bis August dieses Jahres 93 Prozent. Jede 15. U-Bahnfahrt fiel aus.

    Auch das Busangebot nimmt entgegen der Aussage von BVG-Vorstand Henrik Falk kontinuierlich ab. Falk hatte im August behauptet, das reale Busangebot der BVG sei so groß wie nie. Einer Analyse des Centers Nahverkehr Berlin zufolge, auf den sich ein RBB-Bericht beruft, sank die Fahrleistung der BVG-Busse von angebotenen 94,5 Millionen Fahrkilometern 2021 mittlerweile auf 90,2 Millionen Fahrkilometer – in etwa so viel wie 2016. So die Prognose. Bestellt habe das Land Berlin eigentlich 97,9 Millionen Kilometer. Für 2030 sind 101 Millionen Buskilometer vereinbart. Dass sie erreicht werden, während Vorstandschef Falk ein Wachstum innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre ausschließt, ist fraglich.

    Die Krise spüren nicht nur die Fahrgäste. Gerade die Beschäftigten sind tagtäglich mit dem eingeschränkten Betrieb der landeseigenen Verkehrsbetriebe konfrontiert. Dabei scheint der Mangel an tauglichen Fahrzeugen und Personal nur ein Aspekt zu sein, der zu einer erhöhten Arbeitsbelastung führt. Umgekehrt scheinen, wenn man den Beschäftigten glaubt, die Arbeitsbedingungen ein Grund dafür zu sein, dass Kolleg*innen ihr Arbeitsverhältnis beenden.

    Jan Förster fährt seit 18 Jahren für die BVG. Exemplarisch schildert er »nd« eine Fahrt von vergangener Woche auf der Linie 265 von Schöneweide zum Märkischen Museum: »Statt 7,58 geplanter Stunden, hatte ich am Ende 8,45 Stunden gearbeitet und dabei nur einen Bruchteil meiner Pausen genommen.« Am Ende habe er ensprechend Verspätung gesammelt, die er an den nächsten Kollegen übergeben habe. Sie fahre regelmäßig dem Fahrplan hinterher, sagt Försters Kollegin Petra Roth. Sowohl Roth als auch Förster sind Mitglieder im Personalrat der BVG. »Wenn du 20 Minuten hinterherhängst, drückst du dir schonmal einen Toilettengang weg. Ich versuche dann trotzdem eine kleine Pause zu machen, meine Stulle zu essen und eine Zigarette zu rauchen«, sagt Roth. Mittlerweile habe die BVG die Fahrzeiten für die einzelnen Strecken zwar verlängert, gleichzeitig aber die Ein- und Ausfahrten zu den Betriebshöfen verkürzt, sagt Roth.

    »Manchmal komme ich mir vor, als müssten wir an vorderster Front die Prügel einstecken für das, was andere zu verschulden haben.«
    Petra Roth Busfahrerin

    Von ganz jung bis ganz alt würden die Fahrgäste zudem immer respektloser, wie Roth sagt. »Dann bekomme ich einen Spruch gedrückt und werde sitzen gelassen, ohne dass ich antworten kann«, sagt sie. »So was nimmst du den Arbeitstag über mit.« Ihr Kollege pflichtet ihr bei. Er sei eigentlich ein leidenschaftlicher Busfahrer, sagt Förster. »Mittlerweile ist aber das, was man als Busfahrer innerhalb wie außerhalb des Busses erlebt, die Hölle.« Die auf das Hauptstadtimage gemünzten Werbekampagnen der BVG hätten geradezu dazu eingeladen, sich in den Fahrzeugen gehen zu lassen. Damit zurück blieben aber die Fahrer, sagt Förster. Auch die Verkehrssituation habe sich verändert. Es gehe rücksichtsloser und aggressiver zu. »Manchmal komme ich mir vor«, sagt Roth, »als müssten wir an vorderster Front die Prügel einstecken für das, was andere zu verschulden haben.« Roth meint, vorprogrammierte Ansagen des Unternehmens könnten dazu führen, dass das Fahrpersonal nicht persönlich den Kopf hinhalten muss, wenn es darum geht, Probleme zu kommunizieren.

    Förster spricht davon, dass die BVG ihre digitales Potenzial nicht ausschöpfe. »Warum muss ich, wenn selbst die Fahrzeiten jedes Fahrzeugs in Echtzeit eingesehen werden können, Vorfälle, die sich während der Fahrt ereignen, auf Zetteln dokumentieren«, fragt er.

    Doch nicht für alles sei das Unternehmen verantwortlich. Die Verkehrspolitik trage entschieden dazu bei, dass nicht die volle Leistung erbracht werden könne. »Es hat mit der Personalsituation erstmal nichts zu tun, wenn die Vorrangschaltung der Ampeln nicht funktioniert, wenn Bezirke unabgesprochen voneinander verzögernde Baustellen gewähren.« Und dann sei da noch der Faktor Geld: Der BVG stünden für das, was der Senat mit ihr will, zu wenig Mittel zur Verfügung, sagt Förster.

    Stichwort Geld: Das sei ein Ansatzpunkt, die Belastung zu kompensieren und den Beruf attraktiver zu machen, sagt Försters Kollegin Roth. Die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern müsse inzwischen über 100 Euro für einen Wochenendeinkauf aufbringen. Auch Miete und Energie seien teurer geworden. Nächstes Jahr steht die Tarifrunde zum Entgelt bei der BVG an.

    Förster plädiert mit Blick auf den hohen Krankenstand für mehr Regenerationszeit in Form von längeren Wendezeiten und mehr Urlaub. Elemente, die eigentlich im Manteltarifvertrag geregelt werden, der erst dieses Jahr erneuert wurde. Vor einigen Jahren hat Förster seine Arbeitswoche von 37,5 auf 31 Stunden reduziert. Ihm seien während der Fahrten durch die große Belastung immer mehr Fehler unterlaufen. »Ich habe dann eigenständig die Reißleine gezogen.«

    Roth vermisst auch den innerbetrieblichen, »fast schon familiären Zusammenhalt«, den sie zu Beginn kennengelernt habe. Damals habe sie gewusst, wer vor ihr fährt und wer hinter ihr. Man habe sich verabredet, um die Heimwege teilweise gemeinsam zu verbringen. Heutzutage sei das anders.

    Sicher liege es an der hohen Fluktuation, vielleicht auch an der heutigen Generation und zunehmenden Sprachbarrieren oder daran, dass jede*r mehr auf sich schaue, sagt Roth. »Früher gab es ein Verständnis davon, dass wir zusammen stark sind.« Noch sei es so, dass ein Kern von Mitarbeiter*innen vor den Arbeitskämpfen die Kolleg*innen durch ihren Enthusiasmus mitreißen könnte. »Darauf hoffe ich auch für die anstehende Tarifrunde. Dennoch wird die gewerkschaftliche Kultur immer weniger weitergegeben.«

    #Berlin #Verkehr #Arbeit #Gewerkschaft #BVG

  • Nachruf auf Rolf Feja: Einmal ein Auto aufs Dach legen!
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/nachrufe/nachruf-auf-rolf-feja-einmal-ein-auto-aufs-dach-legen-12201926.html

    Und wieder ist ein Teil unserer Geschichte verschwunden, untergegangen ohne Buch, ohne Film bleiben Erinnerungen von Kindern und Kollegen.

    5.9.2024 von Karl Grünberg - Rolfs Vater war LKW-Fahrer, von Montag bis Freitag war er unterwegs. Kam er nach Hause, fragte er als Erstes die Mutter, ob sich die sechs Kinder benommen hätten. Wenn nicht, setzte es erstmal was. In den Ferien aber nahm er die Kinder abwechselnd mit auf Tour, Fahrtwind schnuppern, andere Länder erkunden, im Lkw schlafen. In der Schule berichteten sie dann stolz, dass ihr Vater einen sehr großen Mercedes fährt, besser als jeder Porsche. Von Autos hatte ihr Vater sowieso die größte Ahnung.

    Sein erstes Geld hatte er verdient, indem er sich mit Wassereimer und Schwämmen vor eine Autowaschanlange gestellt und die verdreckten Felgen auf Hochglanz gebracht hatte, eine Mark pro Auto. Mit 18 machte Rolf seinen Führerschein und kaufte sich als Erstes einen schrottreifen NSU. Jede freie Minute schraubten Rolf und seine Kumpels an ihren Autos.

    Ihr liebster Sport: die Kurve zur Autobahn am Kreuz Schöneberg Richtung Steglitz so scharf nehmen, dass das Auto nur noch auf zwei Rädern fuhr. Ziel: wenigsten einmal ein Auto aufs Dach zu legen. Mit einer Ente schaffte Rolf es endlich. Weil auch das irgendwann langweilig wurde, fuhr Rolf bei Autorennen auf der Avus mit: heulende Motoren, Adrenalin, Benzingeruch, jubelnde Zuschauer.

    Im ersten Leben kutschierte Rolf Kranke, Getränke, Betonmischer durch die Gegend. Bis er seinen Taxischein machte, für Rolf eine Offenbarung. Er liebte es, mit dem Auto durch die Stadt zu cruisen, er liebte es, für andere Menschen da zu sein, sich mit ihnen zu unterhalten.

    Der Vater war früh gestorben, die Mutter kümmerte sich nun alleine um die Kinder. Waren die Jungs frech, mussten sie vor der kleinen Frau antreten und sich ihre Strafe abholen. Rolf wiederum war groß und kräftig, er boxte und machte was her. Als er noch zuhause wohnte, erlaubte die Mutter der Schwester ihre ersten Discobesuche - wenn Rolf dabei war. Er gab seiner Schwester in der Disco dann ein, zwei Küsse auf die Wange, und schon traute sich keiner mehr an sie ran.

    Rolf war eine rote Socke, spendete Geld für Salvador Allende, ging auf Demos gegen Atomkraft und Rasterfahndung, unterschrieb gegen die Isolation der RAF-Gefangenen. War am 9. November immer auf die Straße – in Erinnerung an die Opfer der Pogromnacht von 1938. Er war gegen Bush und gegen den Krieg in Afghanistan, kettete sich gegen Castortransporte an die Schienen. Den „Spiegel“ hatte er im Abo, alle Ausgaben seit 1970 hat er gesammelt. Stieg ein Abgeordneter in sein Taxi, wusste er, wer das war, und für was er stand.
    Keine echte Freiheit

    „Ich akzeptiere andere Meinungen, sie sind nur häufig falsch“, sagte er gerne. Einmal, als er schon Vorsitzender der Taxi-Innung war und mit Politikern in Talkrunden debattierte, soll einer von denen gesagt haben: „Wenn Sie das nächste Mal kommen, komme ich nicht.“ Gegenüber seinen Fahrgästen war Rolf alte Schule. Hielt die Tür auf, trug die Koffer von der Haustür zum Auto, scheute sich nicht davor, Besoffene aus der letzten Kneipe in Neukölln abzuholen. In einer „taz“-Reportage über Taxifahrer steht dies: Seit drei Jahen fährt Rolf Feja Helga zur Dialyse. Sie guckt ihn an. „Ich bin froh, dass ich dich hab.“ „Ach, ist doch gut Helga“, sagt Rolf. „Am Wochenende mache dir was mit Apfel und Streusel“, sagt Helga. Sie biegen in ihre Straße ein. „Ick fahr dich direkt vor die Haustür, dit is ja klar“, sagt Feja und manövriert sein Taxi durch die engen Gassen. Er nimmt ihre Hand: „Schönes Wochenende, meine Kleene.“

    Mitte der 80er lernte Rolf seine erste Frau kennen, bekam mit ihr zwei Jungs. Sie trennten sich, und Rolf bekam das Sorgerecht zugesprochen, und musste sich nun, selbstständiger Taxifahrer mit Anfang 30, um seine zwei Jungs allein kümmern. „Am Tag seines Todes habe ich mein Staatsexamen bestanden. Ich finde, das sagt, was unser Vattern geleistet hat“, sagt einer von ihnen.

    Streng war er als Vater, und er war viel arbeiten. Die Jungs mussten bald kochen, putzen, einkaufen. Doch Rolf schaffte es irgendwie, immer zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein. Fragte in der Schule bei den Lehrern nach, wie es läuft. Stand im Taxi vor der Schule, um zu schauen, ob die Jungs auch dort ankamen. Fuhr sie im Taxi zum Fußballtraining. Am Wochenende aber besuchten sie ihn bei seinen Spielen, denn Rolf war Schiedsrichter. Er pfiff bis zur Oberliga. In Neukölln, da wo er wohnte, trainierte er diverse Kindermannschaften.

    Ein Schulfreund seines Sohnes kam aus dem Libanon. Als seine Familie vom Flüchtlingsheim in die erste eigene Wohnung ziehen durfte, organisierte Rolf die Möbel. Als sein Sohn mit einem Schwerstbehinderten arbeitete, fuhr er beide von A nach B. Als der Krieg in der Ukraine losbrach, sammelte er Ukrainer an der Grenze ein und brachte sie nach Berlin.

    Etwas anderes als Taxifahren konnte er sich gar nicht vorstellen. Das Auto, beginnen und aufhören, wann er wollte. Obwohl es keine echte Freiheit war, das wusste auch Rolf. Der Verdienst so gering, dass man eine Frau braucht, um sich das Geschäft zu leisten - so ein gängiger Spruch unter Taxifahrern. Rolf liebte es, nicht zu wissen, mit wem er als nächstes ins Gespräch kommen würde. Er liebte es aber auch, am Flughafen Tegel mit den Kollegen Skat auf der Motorhaube zu spielen, um Centbeträge.

    Was Rolf weniger liebte, waren die neuen Fahrdienste à la Uber. Da konnte er fuchsig werden, wenn er die vielen neuen Wagen sah, die den Taxis die Kunden wegschnappen ohne Taxischein, Taxameter und Kontrolle. Immer wieder traf er sich mit Politikern, dann hatte der Innungsvorsitzende zwar ein Hemd an, darüber aber stets die Lederweste, auf dem Kopf die Schiebermütze und unter der Nase den großen Schnurbart. So sprach er auch auf Demos oder stürmte Veranstaltungen und schlug für die Taxifahrer und deren Zukunft Rabatz.

    Rolf in Rente? Niemand konnte sich das vorstellen. Kurz bevor es soweit war, starb er an einem Herzinfarkt.

    #Berlin #Taxi #Geschichte #Arbeit

  • @resistenze_in_cirenaica a publié 5 « carnets de Cyrène » (I quaderni di Cirene), publiés par #Resistenze_in_Cirenaica (https://resistenzeincirenaica.com).
    #Cyrène, du nom d’une ville de Cyrénaïque, en Libye actuelle...

    Les cahiers sont peuvent être achetés sur ce site : https://openddb.it/case-editrici/ric

    Moi, je les ai achetés lors d’un événement qu’ils ont organisés à Bologne en mai 2024 :
    https://resistenzeincirenaica.com/2024/05/14/24-e-25-maggio-due-giorni-di-ibridazioni-in-cirenaica
    (https://seenthis.net/messages/1053726)

    https://resistenzeincirenaica.com/category/i-quaderni-di-cirene