Arbeitsrechtverstöße - Wie Lieferdienste ihre Verantwortung auslagern
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22.08.25 von S. Adamek, A. Grandjean, F. Grieger, J. Wiese - Bargeldübergaben, Druck, undurchsichtige Beschäftigungsformen: In der Branche der Lieferdienste herrschen zunehmend prekäre Arbeitsbedingungen. „Kontraste“ konnte sie nun erstmals im Umfeld des Lieferando-Subunternehmens Fleetlery dokumentieren. Von S. Adamek, A. Grandjean, F. Grieger, J. Wiese
An einem Juliabend werden etwa 70 Lieferkuriere zu einem geheimen Treffpunkt in Berlin-Neukölln gelotst. Dort sollen sie auf offener Straße teils stundenlang in Kleingruppen warten. Dann kommt ein Kleinwagen mit großen Mengen Bargeld, die ein Mann schließlich in Briefumschlägen an die einzelnen Fahrer verteilt. Reporter des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ und von rbb24 Recherche konnten diese Vorgänge erstmals selbst beobachten.
Es handelte sich mutmaßlich um die Auszahlung von Lieferkurieren, die für den Subunternehmer Fleetlery Bestellungen für Lieferando ausfahren. Zu dem Bargeld werden keine Quittungen oder Rechnungen ausgestellt, wie zugespielte Chatverläufe und Aussagen mehrerer Fahrer belegen. Wie unter solchen Umständen Steuern oder Sozialabgaben entrichtet werden, ist unklar.
„Ich hatte keinen Vertrag. Soweit ich weiß, wurden keine Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern bezahlt“, berichtet ein Lieferfahrer, in diesem Text Rawi Singh genannt. Sein richtiger Name und seine Identität sind der Redaktion bekannt.
Er habe seine Lieferaufträge in der Fleetlery-App erhalten. Alle weiteren Arbeitsanweisungen seien aus einer WhatsApp-Gruppe gekommen, die von einem Mann - hier Yassin N. genannt - betrieben worden sei. Rawi Singh habe keinen gesicherten Stundenlohn erhalten, sondern sei pro Fahrt bezahlt worden.
Lieferando: Führen Überprüfungen durch
Diese Schilderungen stehen im Widerspruch zu den eigenen Verlautbarungen von Lieferando und dem Subunternehmen Fleetlery. Lieferando erklärte auf Anfrage von „Kontraste“, man prüfe, dass Fahrer bei sogenannten Flottenpartnern „angestellt und versichert sind sowie eine Arbeitserlaubnis haben“. Lieferando kooperiere „bewusst nur mit ausgewählten Dienstleistern, die diese Anforderungen erfüllen“. Auch das Subunternehmen Fleetlery gibt an, „nur sozialversicherungspflichtig angestellte Kurierinnen und Kuriere“ beschäftigt zu haben. Dies gelte auch für regionale Partner, also weitere Sub-Sub-Unternehmen.
Bei Yassin N., der als Chef von Rawi Singh agierte, handele es sich um „unautorisierte Dritte“. Diese stünden in keinem Zusammenhang mit Fleetlery. Eine Erklärung, weshalb diese „unautorisierten Dritten“ Zugang zur Fleetlery-App haben und Fahrer dafür bezahlen, Lieferando-Bestellungen auszufahren, gab das Unternehmen nicht.
Lieferdienste fallen bei Untersuchung durch
Subunternehmerkonstruktionen sorgen in der Branche immer wieder für Probleme bei der Einhaltung von Arbeitsrechten. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) untersucht seit Jahren, wie es um die Arbeitsbedingungen in der Branche steht. In ihrer jüngsten Erhebung stellten die Forscher eine generelle Verschlechterung fest.
So erhielt der Lieferdienst Lieferando vier Punkte und war damit noch das am besten bewertete Unternehmen. Wer zehn von zehn Punkten erhält, erfüllt sämtliche Mindeststandards, hält sich an Menschenrechte und die Kernarbeitsnormen der Vereinten Nationen.
Die großen Player Uber Eats und Wolt erhielten gar keine Punkte. Man habe bei diesen Firmen „keine Hinweise“ darauf gefunden, „dass Beschäftigte in allen Fällen den Mindestlohn verdienen“, sagt WZB-Forscher Patrick Feuerstein im Interview mit „Kontraste“. Auch habe man keine Hinweise auf die Einhaltung des Gesundheitsschutzes und den Zugriff auf Arbeitsverträge gefunden. Der Grund: Diese Lieferfirmen arbeiten überwiegend nicht mit eigenen festangestellten Kurieren, sondern beauftragen Subunternehmen.
Mit diesen Befunden konfrontiert, antwortet Wolt, man habe sich in diesem Jahr nicht aktiv an der Bewertung beteiligt, da sie methodische Mängel aufweise. Die WZB-Forscher konnten für ihre Bewertung also nur selbst gesammelte Informationen nutzen, besonders von Fahrern, die für Subunternehmer arbeiten.
Nach Darstellung von Uber Eats zeichnet der Bericht „durch die Nutzung von einigen Einzelfällen ein verzerrtes Bild der Lieferbranche“. Lieferando stellt heraus, im Ranking die „fairste Bestellplattform Deutschlands“ zu sein. Die Methodik überbelichte jedoch die Kritik an Lieferando.
2.000 Kündigungen bei Lieferando
Lieferando galt in der Branche lange als Vorzeigebeispiel. Der Großteil der Fahrer ist direkt festangestellt und es gibt Betriebsrätestrukturen. Doch kürzlich kündigte Lieferando an, 2.000 festangestellte Kuriere zu entlassen und setzt stattdessen auf Fleetlery und weitere Subunternehmer.
Für Patrick Feuerstein ist es „ein absolutes Alarmsignal“, wenn Firmen wie Lieferando, die bislang versucht hätten, grundlegende Arbeitsbedingungen in Deutschland zu wahren, jetzt auch auf das Subunternehmermodell wechselten.
Statt der festangestellten Lieferando-Kuriere übernehmen bei einigen Restaurants jetzt offenbar auch Fahrer von Yassin N. die Auslieferungen. Um für Yassin N. arbeiten zu können und in der Fleetlery-App freigeschaltet zu werden, habe er anfangs erst einmal 50 Euro an ihn zahlen müssen, erklärt Lieferfahrer Singh. Der Zugang zur App sei ein ständiges Druckmittel gewesen: „Wenn man mal an einem Tag nicht online geht, wird man von Yassin N. als Fahrer entfernt, man wird direkt in der App blockiert.“
In einer Chatnachricht, die „Kontraste“ vorliegt, schreibt Yassin N. an einem Sonntag: „Mir ist es ehrlich gesagt sehr egal was ihr für Probleme habt. (…) Wir haben in Berlin über 700 Bestellungen. (…) geht sofort online!!!!“
Yassin N., der den mutmaßlichen Fleetlery-Fahrern Anweisungen erteilte, war dabei offenbar bewusst, dass er Arbeitsrecht bricht. In einer Chatnachricht schreibt er: „Wer von uns oder wo anders ein Arbeitsvertrag hat, kann gerne weiterhin arbeiten alle anderen geht bitte offline, sehr viel Polizei und Zoll unterwegs bitte passt auf wer erwischt oder angehalten wird soll mir sofort schreiben“.
Auf Anfrage wollte sich der Mann nicht zu den Vorwürfen äußern. Fleetlery wiederum erklärt, man kenne die Person des „Flottenmanagers“ nicht und prüfe, ob er möglicherweise für einen ihrer Partner tätig sei. Generell prüfe man regelmäßig die Einhaltung von Arbeitsrechtsnormen auch bei den Partnerunternehmen. Eine Gebühr für die Freischaltung der Accounts werde durch Fleetlery auch nicht erhoben. Noch am selben Tag schrieb Yassin N. in seiner WhatsApp-Gruppe, er werde seine Arbeit einstellen und die „Flotte abgeben“ und forderte: „Bitte arbeitet weiter ganz normal.“
Caroline Dressel, Professorin für Arbeitsrecht an der HTW Berlin, hat angesichts dieses Falls und der Aussagen Fleetlerys den Eindruck, „man versucht hier so ein bisschen, Verantwortlichkeiten an verschiedenen Stellen wegzuschieben“. Für Zoll- und Steuerbehörden werde es so schwierig, bei dem System „durchzusteigen“.
Dieser Text erschien zuerst auf tagesschau.de
Sendung: rbb24 Abendschau, 22.08.2025, 19:30 Uhr










