• Cory Doctorow Wants You to Fight Big Tech
    https://jacobin.com/2022/11/cory-doctorow-chokepoint-capitalism-monopoly-tech

    We talked to author and activist Cory Doctorow about his new book, Chokepoint Capitalism, copyright scams, surveillance capitalism, the lies of Big Tech, and the fight for the freedom to create.
    ...
    Cory Doctorow:

    We tell this story in the book about Uber drivers, and it’s interesting because Uber drivers are also in a chokepoint capitalist market. There are riders who want rides, and there are drivers who want to give rides. And then, in the middle, there’s this rent seeker, and there’s no way for drivers to reach riders without passing through the chokepoint that Uber has erected for itself. And they are the most atomized and vulnerable workers imaginable. They’re not even supposed to have any way to meet each other, let alone talk to each other or coordinate holistic action.

    In California, these workers who are so atomized and so divided were forced by their contracts to sign off on something called binding arbitration. That means that if Uber steals from you, you’re not allowed to sue them. You can only go to an arbitrator, who’s a fake, corporate judge — someone who’s paid by Uber to decide whether Uber is guilty of screwing you over. Even if you convince them that Uber is screwing over workers — and statistically, it’s far more likely with these arbitrations that they find in favor of their paymasters than they do in in favor of the people their paymasters are said to have wronged — it’s administrative. It has no evidentiary value. There’s no precedent. The next person who comes along can’t cite your case in order to win theirs. This is all of great advantage to Uber, who immediately set about stealing wages from their drivers.

    The drivers came together with technologists and a law firm and figured out how to automate arbitration claims. Now, for each arbitration claim the rewards that can be awarded to damaged parties are much smaller than you would get out of any courtroom. You’re not going to get punitive damages and so on. But they’re actually pretty expensive administratively. It costs a couple thousand dollars to pay the arbitrator to hear the case.

    Thousands and thousands of Uber drivers all filed arbitration claims at once. In aggregate, the cost of paying the arbitrators, even if Uber won every one of those cases, would exceed the amount that they would have to pay if the drivers could just bring a straightforward class-action suit. And Uber, in an amazing turn, had to go to court and say, “Your honor, what kind of idiot would think that these binding arbitration clauses could possibly be enforceable? This is clearly unreasonable. It had no business being in his contract.”

    They ended up paying the Uber drivers $150 million. This is the power of solidarity, even among these atomized workers. Solidarity combined with technology, combined with ingenuity, combined with coordination.
    ...
    Whether it’s pharma, finance, beer, athletic shoes, eyeglasses — every one of these is controlled by a cartel or an oligopoly or an oligopsony. In every circumstance, they’re hurting workers and customers and eroding our ability to make good policy. Because when there’s only three or four companies in a sector and it’s time to regulate them, it’s pretty easy for them to come together and come up with a common position and say, “Look, anything except this would mean the death of our industry.”

    We need to figure out how to turn anger about all of these seemingly different issues into one movement. If we can figure out how to get people to recognize that they’re not angry about running shoes or cheerleading or professional wrestling or beer or eyeglasses — what they’re actually angry about is capitalist monopoly, and what they actually want is pluralism — then we have the basis for a mass movement that really can make political change.

    #Uber #Arbeitskampf #Justiz #Privatisierung

  • Gorillas-Lieferdienst : Klassenkampf im Gerichtssaal | Telepolis
    https://www.heise.de/tp/features/Gorillas-Lieferdienst-Klassenkampf-im-Gerichtssaal-6666242.html

    7.4.2022 von Peter Nowak - Für die Betroffenen war die gestrige Verhandlung nur eine Etappe auf dem Weg zum Europäischen Gerichtshof.

    Die Kündigungen von drei Beschäftigten des Essenslieferanten Gorillas wegen Beteiligung an einem „wilden Streik“ sind wirksam. Die Klage der Betroffenen dagegen vor dem Berliner Arbeitsgericht ist gescheitert.

    In einem Fall hat das Gericht allerdings die fristlose Kündigung zurückgewiesen, weil nicht hinreichend dargelegt worden sei, wie der Rider – so werden die Gorilla-Fahrer genannt – am Streik involviert war. Da er noch in der Probezeit war, konnte allerdings das Beschäftigungsverhältnis nach einer Zweiwochenfrist beendet werden, so das Gericht.

    So konnten alle drei Beschäftigten nicht wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Trotzdem sehen sie in der Entscheidung keine Niederlage. Sie war vielmehr erwartet worden. Wer am Mittwoch die 90-minütige Verhandlung verfolgte, war schnell davon überzeugt, dass die Beschäftigten dort keinen Erfolg haben werden.

    Im Gerichtssaal war vielmehr eine Atmosphäre von Klassenkampf zu spüren. Arbeitsrichter Kühn drohte sogar mit Räumung des Saals, weil ein Besucher einem nicht-deutschsprachigen Rider die Dialoge im Gerichtssaal übersetzte. Da konnte schon von einer Diskriminierung gesprochen werden, denn die Mehrzahl der Rider ist migrantisch und untereinander kommunizieren sie auf Englisch. Da ist es besonders fatal, dass Menschen, die dann versuchen, die Sprachdefizite durch Übersetzung in Eigeninitiative ausgleichen, sanktioniert werden.

    Auch gegenüber dem Anwalt der Beschäftigten, Benedikt Hopmann, waren die Töne des Richters sehr rau. Er beschuldigte ihn, auf Kosten der Beschäftigten Politik betreiben zu wollen. Das zeigte sich für Kühn schon daran, dass über 50 Menschen den Prozess verfolgten, der dafür extra in einen größeren Saal umziehen musste.

    Für Hopmann ist das Interesse deshalb so groß, weil es viele Menschen gibt, die ein Interesse an einem Ende des regressiven Streikrechts in Deutschland haben, so seine Ausführungen im Gerichtssaal.

    Hoffnung auf EU-Recht?

    Diese Hoffnung allerdings bleibt trotz des negativen Urteils beim Berliner Arbeitsgericht weiter bestehen. Es war schon eingepreist und ist die Voraussetzung, damit die Kläger durch alle Instanzen und bis zum Europäischen Gerichtshof ziehen können. Das aber, so die Hoffnung von Hopmann, könnte das regressive Streikrecht in Deutschland kippen, das in der Pressemitteilung des Berliner Arbeitsgerichts noch einmal ausdrücklich bestätigt wurde.

    Das Gericht erachtete zwei der außerordentlichen Kündigungen für wirksam. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass die Teilnahme an einem Streik nur dann rechtmäßig sei, wenn dieser von einer Gewerkschaft getragen werde.

    Aus der Pressemitteilung des Berliner Arbeitsgerichts

    Hopmann verweist auf die Europäische Sozialcharta, die im Widerspruch dazu stehe. Sie stärke ausdrücklich das Recht auf Streiks ohne Gewerkschaften sowie politische Streiks, was Hopmann in einem Online-Vortrag auch gut begründet.

    Dass deutsche Regierungen der unterschiedlichen Zusammensetzungen die Europäische Sozialcharta behindern, kritisiert auch der gewerkschaftsnahe Jurist Wolfgang Däubler.

    Trotzdem wäre ein zu großer Optimismus verfrüht, dass das regressive deutsche Streikrecht durch EU-Recht liberalisiert wird. Das zeigte sich schon daran, dass der Anwalt des Essenslieferanten die Sozialcharta ganz anders auslegt.

    Hier wurde eben deutlich, dass es sich um einen Klassenkampf im Recht handelt. Das EU-Recht hat in verschiedenen Minderheitenfragen tatsächlich liberalen Positionen zum Durchbruch verholfen, aber ist nicht als besonders gewerkschaftsfreundlich aufgefallen. Trotzdem ist die aktuelle Auseinandersetzung wichtig.

    Neue Gesicht der Arbeitskämpfe in Deutschland

    Die Grundlage ist eine neue Welle von Arbeitskämpfen, die durch die Rider verschiedener Essenslieferanten initiiert wurden, die lange als schwer organisierbar galten. Doch mit der Gründung der Deliverunion zeigte sich, dass auch dort Organisierungsprozesse möglich sind, wie der Soziologe Robin De Greef in dem Buch „Riders Unite!“ nachgewiesen hat.

    Nun ist bei Gorillas eine neue Welle der Beschäftigten in den Kampf getreten. Sie ist transnational. Ihr Kampf dreht sich um mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, aber auch um überdachte Pausenräume. Sie haben mit ihren Arbeitskämpfen überhaupt erst wieder die Diskussion um das regressive deutsche Streikrecht auf die Agenda gesetzt.

    Das wurde in dem Redebeitrag von Gorilla-Riderin Duygu Kaya deutlich. Die Akademikerin aus der Türkei beschrieb gut, dass sie als Migrantin auch in Deutschland in prekäre Arbeitsverhältnisse wie bei Gorillas gezwungen ist. Sie erklärte, wieso die Beschäftigten dort in den Arbeitskampf traten und auch trotz Repression daran festhielten.

    Eigentlich wollte Kaya den Beitrag vor Gericht halten, um dort zu begründen, warum sie in den Arbeitskampf trat. Doch das ließ Richter Kühn mit der Begründung nicht zu, er könne keine Schmähkritik im Gerichtssaal dulden. Vielleicht, weil Kaya auch auf den NS-Hintergrund des regressiven deutschen Streikrechts erinnerte. Es wurde bereits 1934 von Hans-Carl Nipperday in seinem Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit formuliert und hat noch immer Gültigkeit.

    Solidarität mit Beschäftigten auch im Stadtteil

    So konnte Kaya ihre Rede vor dem Berliner Arbeitsgericht halten, wo die Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht zu einer Kundgebung aufrief. Dort haben sich verschiedene Gruppen, unter anderem die AG Taxi bei der Dienstleistungsgewerkschaft verdi, mit den Gorilla-Riders solidarisiert.

    Schon einige Tage zuvor haben Nachbarn ebenfalls ihre Solidarität gezeigt, als dort eine Gorilla- Filiale geschlossen wurde. Vorher hatten einige Anwohner gegen das „migrantische Unternehmen“ mobilisiert, das angeblich nicht in die bürgerliche Wohngegend passe. Auf der Kundgebung am 30. März setzte ein Mitarbeiter des Roten Antiquariats, das in der Straße seine Filiale hat, in einer Rede andere Akzente:

    Doch statt die Arbeitsbedingungen und die Kapitalstrategien zu kritisieren, werden die oftmals migrantischen Beschäftigten selber zu Sündenböcken erklärt. Es wird sich über die hohe Geschwindigkeit der Fahrradkuriere oder die blockierten Straßen mokiert aber nicht gesehen, dass die Beschäftigten im Zustellungsbereich einen gewaltigen Druck erleben und sie es sind, die die bestellten Waren transportieren aber nicht konsumieren. Die Logik ist klar, man will beliefert werden, aber der Lieferverkehr und die Arbeitskräfte sollen nicht stören. Die Kuriere sind jedoch die modernen Dienstboten unserer Zeit.

    aus einer Rede eines Mitarbeiters des Roten Antiquariats auf einer Solidaritätskundgebung für Gorillas-Beschäftigte

    Diese außerbetriebliche Solidarität ist der Erfolg der Arbeitskämpfe der Riders. Wenn es ihnen gelingt, über den Europäischen Gerichtshof ein regressives deutsches Streikrecht mit NS- Hintergrund zu kippen, wäre das ein besonderer Erfolg.

    #Berlin #Arbeit #Justiz #Gigworking #Kündigung #Arbeitskampf #Klassenkampf #Fahrradkurier #Transport

  • Solidarität mit den Gorillas Riders - AG Taxi Berlin
    http://ag-taxi.de/gorillas-soli.html

    13. November 2021 - Widerstand gegen moderne Sklaverei !

    Wir, die AG Taxi bei ver.di Berlin solidarisieren uns mit dem Kampf der Gorillas-Riders.

    Wir unterstützen Eure legitimen Forderungen.

    Aus unserer eigenen Erfahrung kennen wir prekäre Arbeitsbedingungen zu genüge. Nur wenige KollegInnen erhalten den gesetzlichen Mindestlohn. Auch wir erhalten Fahrtaufträge per App der Funkzentrale, die nach oft intransparenten Kriterien vergeben werden. Auch wir kennen den Zeitdruck, in wenigen Minuten oft unter Umgehung der Verkehrsregeln beim Kunden sein zu müssen.

    – Arbeitsmittel müssen vom Arbeitgeber gestellt werden.
    – Ausfallzeiten durch Reparaturen und die Reparaturkosten müssen vom Arbeitgeber getragen werden.
    – Ausführungsbedingungen für Aufträge müssen realistisch sein.
    – Willkür bei der Lohnzahlung und -kürzungen sind Illegal
    – Akkordlohn ist illegal.

    Klassenkapmf im Winter

    Ein derartiges Verhalten des Arbeitgebers bedeutet Frohn-Dienst bzw. moderne Sklaverei!
    Weder Smart-Phone noch Fahrrad, Moped, Auto, etc. sind vom Arbeitnehmer zu stellen und selbst zu erhalten. Betriebsbedingte Ausfallzeiten unterliegen der Lohnfortzahlung und dürfen nicht willkürlich reduziert oder gar gestrichen werden. Auch muß der Lohn nach Stunden abgerechnet werden. Nach Stückzahl abrechnen bedeutet Akkordlohn und der fördert Gefahren bei der Auftragserfüllung.


    Euer Kampf ist unserer !


    Bühne

    Solidarität mit allen, die sich gegen Arbeitsunrecht zur Wehr setzen!


    Aufruf zur Demonstration am 16.11.2021

    Die AG- Taxi erklärt sich solidarisch mit den Forderungen der Angestellten von Gorillas.

    #Berlin #Lieferdienste #Arbeitskampf

  • Lieferdienst Gorillas : Mini-Gorillas vs. vs. Rider-Rechte
    https://taz.de/Lieferdienst-Gorillas/!5812179

    16.11.20021, Erik Peter - Der Lieferdienst führt ein Franchise-Modell für seine Lagerhäuser ein. Der Schritt dient wohl dazu, die Gründung eines Betriebsrats zu verhindern.
    Protest mit Stinkefingern und Maske von Gorillas-Gründer Kagan Sumer

    Gruß des Ober-Gorillas

    Als „Herzstück unseres Unternehmens“ bezeichnet der Lebensmittellieferdienst Gorillas in einer aktuellen Mitteilung seine Fahrer:innen. Das Start-up lobt sich darin selbst für ein neues „Bonussystem“, das derzeit erprobt werde. Die Rider erhalten demnach weiterhin einen garantierten Stundenlohn von 10,50 Euro, können ihren Verdienst aber steigern, wenn sie drei oder mehr Auslieferungen pro Stunde schaffen, da jede Fahrt mit 4 Euro entlohnt werde. Im Konkurrenzkampf um Fah­re­r:in­nen setzt Gorillas damit auf dasselbe Modell wie andere Lieferdienste.

    Weniger offensiv verkauft Gorillas eine zweite Neuerung, über die zuerst der Spiegel berichtet hatte. Bereits ab diesen Dienstag, parallel zum groß mobilisierten Protest der Beschäftigten am Nachmittag in Kreuzberg, soll das Unternehmen in viele eigenständige Einheiten aufgeteilt werden. Die Warehouses genannten Lager, in denen die Fah­re­r:in­nen die Lebensmittel abholen, sollen künftig per Franchise-Modell geführt werden.

    Auf Anfrage der taz bestätigt Gorillas, dass „alle klassischen Unternehmeraufgaben an die neuen Betriebseinheiten übertragen“ werden sollen, zumindest testweise. Eigenständige Warehouse-Manager seien dann verantwortlich für „Schichtplanungsthemen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Einstellungen“.

    Gorillas spricht von mehr „Eigenständigkeit, Gestaltungsspielraum und Flexibilität“ für die einzelnen „Teams“ – hat aber womöglich ganz anderes im Sinn. Die Zerschlagung der Zentralstruktur dürfte auch die Bemühungen der Angestellten unterlaufen, einen Betriebsrat zu gründen. Gegen die für Ende des Monats geplante Wahl war Gorillas Anfang November gerichtlich vorgegangen.

    Am Mittwoch entscheidet das Berliner Arbeitsgericht über die beantragte einstweilige Verfügung auf Abbruch der Wahl. Der Arbeitsrechtler Martin Bechert, der auch eine Vielzahl gekündigter Gorillas-Fahrer vertritt, bezeichnet die Zerstückelung des Unternehmens im Spiegel als „Union Busting“ und „systematische Vereinzelung der Arbeitnehmer“. An eine Betriebsratswahl glaubt er nicht mehr.

    Goldgräberstimmung

    Für Gorillas geht die Expansion weiter. Als neues Dach dient der Firma eine niederländische Holding. Dieser wohl auch steuersparende Schritt solle die „nächste Wachstumsphase optimal unterstützen“. Jüngst war der Berliner DAX-Konzern Delivery Hero, der mit seiner Marke Foodpanda sowohl Restaurantessen als auch Lebensmittel liefert, bei Gorillas eingestiegen und hatte 8 Prozent der Anteile für 235 Millionen Dollar erworben.

    Der US-Konzern Doordash hat nach erfolglosen Verhandlungen mit Gorillas Wolt übernommen und sich eine Beteiligung an Flink gesichert, dem größten Gorillas-Konkurrenten in der Lebensmittellieferung. Der Umsatz im Online-Lebensmittelhandel ist im vergangenen Jahr um 58 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro gestiegen.

    #Berlin #Lieferdienste #Arbeitskampf

  • Berliner Krankenhäuser vor Erzwingungsstreik ? Vor Ende des Ultimatums
    https://www.unsere-zeit.de/vor-ende-des-ultimatums-159133

    Est-ce la lutte finale qui se prépare ? Le mouvement des hôpitaux de Berlin revendique l’applcation de la convention collective municipale (TvöD) pour tous les employès des hôpitaux appartemant à la ville de Berlin. La sénatrice de santé (SPD) et les patrons des anciens hôpitaux municipaux refusent des nègotiatiions. On se prépare à une grève dans la majorité des hôpitaux de la ville.

    Les revendications salariales vont de pair avec la revendication d’augmentations du nombre de soignants dans les services divers.

    Am 20. August läuft das Ultimatum der Beschäftigten von Charité und Vivantes ab. Ihre Kampagne läuft seit dem 12. Mai, dem Tag der Pflege. Zusammen mit ver.di und Unterstützern aus einem breiten Bündnis kämpfen die Beschäftigten für einen Entlastungstarifvertrag und die Übernahme des Tarifvertrages des Öffentlichen Dienstes (TvöD) auch für ausgegliederte Tochterfirmen der landeseigenen Krankenhäuser. Mit Onlinekonferenzen, Kundgebungen an den Klinikstandorten, einer gemeinsamen Kundgebung im Stadion Alte Försterei am 9. Juli und Warnstreiks wurden die Ziele in die Öffentlichkeit getragen.

    Die Gegenseite reagierte wie mit verteilten Rollen: Der Berliner Senat als Träger äußerte sich Anfang Juli in der Antwort auf die Anfrage des Abgeordneten Schlömer (FDP). Darin erklärt die Senatsverwaltung das Anliegen als nicht machbar. Vivantes und Charité seien zu verschieden, auch tariflich. Politiker der Senatsparteien SPD, Grüne und „Linke“ geben aber als Einzelpersonen (und Wahlkandidaten) Unterstützungserklärungen für die Beschäftigten ab. So bekannte sich SPD-Landeschef Raed Saleh mehrfach zu den Forderungen. Die „Linke“-Landesvorsitzende Katina Schubert unterstützte im Newsletter der Berliner Krankenhausbewegung die Initiative.

    Die Geschäftsführung der Vivantes-Kliniken ging offen gegen das Anliegen vor. Es begann schon im April mit aktiver Behinderung der Unterschriftensammlung für die Petition des Berliner Krankenhausbündnisses. Einer Notdienstvereinbarung für den Warnstreik bei Vivantes am 8. und 9. Juli verweigerten sie sich. Sie gingen noch einen Schritt weiter und ließen den Warnstreik der Pflege gerichtlich durch einstweilige Verfügung am 7. Juli untersagen mit der Begründung, dass es ja keine Notdienstvereinbarung gebe. In ihrer Pressemitteilung behauptete die Vivantes-Leitung perfiderweise, dass ver.di eine Notdienstvereinbarung verhindert habe. An der Charité konnte der Warnstreik stattfinden. Bei den Vivantes-Tochterfirmen kam es ebenfalls zu Warnstreiks mit mehreren hundert Teilnehmern. Am 3. August folgte ein weiterer Warnstreik in Teilbereichen der Tochterfirmen.

    Diese Kämpfe erfolgten bisher vereinzelt, unkoordiniert und ohne breite gesellschaftliche Verankerung. Genau dies wollen nun ver.di und die Berliner Krankenhausbewegung ändern. Trotz aller Ungleichzeitigkeit und Unterschiedlichkeit in den Ausgangsvoraussetzungen wird nun eine Bündelung aller handlungsbereiten Kräfte versucht mit dem Ziel: TVöD und Entlastungstarifvertrag für alle.

    In der Charité wurde bereits 2016 ein Entlastungstarifvertrag erkämpft, der Ende 2020 auslief. Am 6. August haben die Tarifverhandlungen für die Charité begonnen. Hier kämpfen Pflege und andere nichtärztliche Bereiche für einen noch besseren Entlastungstarif. Denn in der Umsetzung hatten sich viele Probleme durch den Unwillen der Geschäftsführung ergeben. Nun sollen Absicherungen eingebaut werden für den Fall, dass die festgelegten Mindestbesetzungen der Stationen nicht erreicht werden. Auch die negativen Erfahrungen aus den durch Bundesgesetz seit 2019 geltenden Personaluntergrenzen (PPuG) fließen mit ein. Die PPuG sind durchweg zu niedrig angesetzt und werden oft unterlaufen. Die Charité-Tochter CFM (Charité Facility Management) hatte bereits im Februar 2021 einen Tarifabschluss erreicht, der einige Verbesserungen, aber noch nicht den TVöD brachte.

    Anders die Lage in Vivantes. Hier gibt es noch keinen Entlastungstarifvertrag für die Pflege, aber den TVöD. In seiner Antwort auf die erwähnte Anfrage vertrat der Senat die Auffassung, dass für Tarifverhandlungen über Vivantes nur der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) zuständig sei. Der KAV wiederum ist nicht bereit, über einen Entlastungstarif zu verhandeln. Daraus erklärt sich auch der Versuch, die Streikbewegung zu kriminalisieren und damit zu spalten.
    Bei den 2.000 Beschäftigten der Vivantes-Tochterfirmen laufen aktuell Tarifverhandlungen. Ziel ist auch hier der TVöD. Ihre Warnstreiks erreichten viel öffentliche Aufmerksamkeit und konnten so in der gemeinsamen Kampagne der Krankenhausbewegung bisher am meisten Druck entfalten.

    Seit der gemeinsamen Streikversammlung in der Alten Försterei laufen die Vorbereitungen auf den absehbaren Erzwingungsstreik weiter. Methoden des gewerkschaftlichen Organizings werden breit vermittelt und angewendet. In den Kliniken laufen die Streikbereitschaftsabfragen in den Teams. Die Vorbereitungen sollen bis zum Ende des Ultimatums abgeschlossen sein.

    #Wirtschaft_Soziales
    #Arbeitskämpfe #Krankenhaus #Streik #travail #grève #hôpitaux #Allemagne #Berlin

  • jungle.world - »Man hat sich allein­gelassen gefühlt«
    https://jungle.world/artikel/2021/18/man-hat-sich-allein-gelassen-gefuehlt

    05.05.2021 von Jérôme Buske - Small Talk mit Felix über die ­Arbeitsbedingungen bei Clevershuttle in Leipzig

    »Man hat sich allein­gelassen gefühlt«

    Clevershuttle ist ein seit 2014 bestehendes Start-up-­Unternehmen mit Sitz in Berlin, das in mehreren Städten Fahrdienste anbietet, teilweise in Zusammenar­beitet mit lokalen Verkehrsbetrieben. Da die Flotte des Unternehmens aus mit Ökostrom betriebenen Elektrofahrzeugen und Wasserstofffahrzeugen besteht, vermarktet es sich als umweltfreundliche Alternative zum eigenen Auto und als Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr. In Leipzig können Fahrgäste, die ein ähnliches Fahrziel haben, per App ein Fahrzeug mit einem Fahrer oder einer Fahrerin buchen und auf diese Weise Kosten sparen. Weil die Firma gegen Arbeitsschutzauflagen verstoßen haben soll – was sie bestreitet –, hat sich ein Teil der Leipziger Belegschaft in einer Betriebsgruppe organisiert. Die Jungle World hat mit Felix* gesprochen, einem der dortigen Mitarbeiter.

    Sie haben mit anderen Mitarbeitern eine Betriebsgruppe gegründet. Warum?

    Die Bedingungen werden sukzessive schlechter. Die Gewinneinbußen werden auf die Löhne der Belegschaft umgelegt. Wir arbeiten für den Mindestlohn und lange Schichten von über zehn Stunden sind keine Seltenheit. Zuschläge für Feiertags- und Sonntagsarbeit gibt es nicht. Viele Fahrer und Fahrerinnen leiden an Müdigkeit und Erschöpfung; wenn es einmal zu einem Unfall kommt, steht die Firma nicht hinter ihren Mitarbeitern, da sie offenbar nur mangelhaft versichert ist. Beispielsweise fuhr ein Kollege gegen einen Bordstein und beschädigte einen Reifen, Clevershuttle hat versucht, ihn an der Zahlung des Schadens zu beteiligen, indem ein entsprechender Betrag vom Lohn abgezogen werden sollte. Dagegen wurde erfolgreich Einspruch eingelegt. Außerdem ist die Personalpolitik fragwürdig: Viele werden nach ihrer Probezeit nicht übernommen.

    Welchen Einfluss hat die Covid-19-Pandemie auf Ihre Arbeit?

    Die Probleme begannen auf dem Höhepunkt der zweiten Pandemiewelle: Als während der Weihnachtsfeiertage die Infektionszahlen anstiegen – die Siebentage­inzidenz lag in Leipzig zeitweise über 400 – wurden weiterhin verschiedene Fahrgäste in einem Auto befördert. Das führte oftmals zu absurden Situationen, etwa dass vier Kundinnen und Kunden aus drei Haushalten in einem Clevershuttle mitfuhren und fragten, ob dies überhaupt legal sei. Die Coronaschutzverordnung wurde seitens des Unternehmens mehrfach missachtet beziehungsweise »weit« ausgelegt: bis zum 24. Dezember bekamen wir keine FFP-2-Masken, und die ersten Schnelltests wurden von der Unternehmens­leitung erst zwei Wochen, nachdem der Gesetz­geber die Unternehmen dazu verpflichtet hatte, zur Verfügung gestellt. Wenig überraschend gab es in der Be­legschaft bald den ersten Covid-19-Fall. Man hat sich als Fahrer mit der Situation alleingelassen gefühlt.

    Wie reagierte die Belegschaft?

    Einige Kollegen kündigten, andere äußerten Kritik und beschwerten sich bei den Chefs. Die Beschwerden wurden jedoch größtenteils ignoriert, auch der Betriebsrat hat nichts unternommen. Auf die Kritik wegen der Verstöße gegen den Infektionsschutz wurde erwidert, dass es angeblich zu »keinem direkten Kundenkontakt« komme, weil in den Autos ja Plastikfolien als Barrieren angebracht sind.

    Wie geht es mit der Betriebsgruppe weiter?

    Derzeit befinden wir uns in einer Organisationsphase und machen zunächst auf die Missstände öffentlich aufmerksam. Darüber hinaus stehen wir in engem Kontakt mit der Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion.

    * Name von der Redaktion geändert.

    #Leipzig #Mietwagen #Arbeitskampf

  • ak 650 : Da hilft nur Enteignung
    https://www.akweb.de/ak_s/ak650/25.htm

    Das Management des Berliner Wombat’s Hostels will lieber das profitable Haus schließen, als Mitarbeitervertretung und Tarifvertrag zu akzeptieren

    Von Elmar Wigand

    Hostels sind privatkapitalistische Jugendherbergen, cool designt und auf alternativ gestylt. Sie lösen seit einiger Zeit die verstaubten, bürokratisch erstarrten Jugendherbergen und Naturfreundehäuser der Arbeiterbewegung und Wandervögel ab, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet hatten.

    Die ersten Backpacker-Hostels entstanden mit der Hippie-Bewegung der 1960er Jahre in Indien und Südostasien. In Europa breiteten sich Hostels seit Anfang der 1990er Jahre im Kontext der Ballermannisierung früherer Szenestadtteile aus. Ihr Aufstieg ist untrennbar verbunden mit der Liberalisierung des EU-Flugverkehrs ab 1997, die einen Markt für Billigairlines nach US-amerikanischem Vorbild schuf, sowie der Durchsetzung des »besten Niedriglohnsektors Europas« (Gerhard Schröder) durch die Hartz-Gesetze der rot-grünen Bundesregierung ab 2003. Die wachsende Masse sowohl an Tourist*innen als auch Niedriglöhner*innen bereiteten den Boden für Profite, die smarte Jung-Unternehmer und Investoren auf den Plan riefen.

    Das Wombat’s City Hostel in Berlin-Mitte schreibt seit vier Jahren Geschichte. Es ist das erste Hostel in Deutschland, dessen Belegschaft im Jahr 2015 einen Betriebsrat gründen und 2018 mit mehreren fantasievollen Streikaktionen einen Tarifvertrag der Gewerkschaft NGG erkämpfen konnte. Die Inhaber inszenierten und eskalierten dagegen einen kostspieligen, nervenaufreibenden Kleinkrieg in Gerichtssälen, Hotelfluren und auf der Straße. Das Management setzte spezialisierte Fertigmacher ein, zuletzt den Rechtsanwalt Tobias Grambow von der Hamburger Kanzlei Buse Heberer Fromm, um diese Organisierung zu brechen. Zu den Methoden gehörten die Anfechtung der Betriebsratswahl, Kündigungsversuche gegen Gewerkschafter*innen und Betriebsratsmitglieder, Austausch der Belegschaft durch Nichtverlängerung sachgrundlos befristeter Verträge, Auslagerung des Putzteams, Drohungen gegen Streikende und sexuelle Belästigungen.

    Anfang März 2019 sprühten Personalverantwortliche - vermutlich zugedröhnt nach einer eskalierten Party im Hostel - obszöne Penis-Bilder und Anti-Betriebsratsparolen auf die Straße vor dem Wombat’s. Bild Berlin berichtete darüber und blamierte damit öffentlich das Management. Widerstand, Geschlossenheit und Beliebtheit der Wombat’s-Gewerkschafter*innen wuchsen in den vergangenen Monaten beständig. So versammeln sich bei Protesten regelmäßig Beschäftigte aus verschiedenen Berliner Betrieben, die gegen Lohndumping und Auslagerungen sowie für die Wiedereingliederung ihrer Arbeitsplätze kämpfen, etwa von der Charité, dem Botanischen Garten, den Berliner Verkehrsbetrieben, den Taxi-Fahrer*innen gegen Uber und Co. oder dem Anne-Frank-Zentrum.
    Verfassungsrechtliche Dimension

    Der Fall ragt zudem inzwischen weit über Berlin hinaus und hat verfassungsrechtliche Dimensionen. Als letztes Mittel will das Management nämlich das wirtschaftlich kerngesunde Hostel zum 31. August 2019 schließen. Seit dieser Entscheidung ist das Wombat’s Berlin zu einem Präzedenzfall geworden. Hier verstoßen skrupellose Unternehmer ganz unverhohlen gegen das in Artikel 14 des Grundgesetzes festgeschriebene Gebot »Eigentum verpflichtet«. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht, in der mehrere Wombats-Aktivist*innen organisiert sind, fordert daher ein Gesetz, das die Sozialisierung von Unternehmen regelt, die von ihren Besitzern wider betriebswirtschaftliche Vernunft mutwillig zerstört werden sollen, um demokratische Grundrechte und Tarifverträge zu schleifen. Die Initiative fordert auch ein Vorkaufsrecht für Belegschaften, denen ihr Betrieb unter dem Hintern weg verkauft werden soll.

    Dieses Modell eines Workers Buy-out (WBO) existiert seit 1985 beispielsweise in Italien mit dem Macorca-Gesetz: Dort können Belegschaften, die durch aggressive Verkaufsmanöver oder herbeigeführte Pleiten von Arbeitslosigkeit bedroht sind, ihren Betrieb mit vergünstigten staatlichen Krediten kaufen und als Kooperative betreiben. Die Idee des Workers Buy-out erfreut sich derzeit auch in den USA wachsender Beliebtheit. Zu prüfen wären darüber hinaus Steuervergünstigungen für Genossenschaften und sozialverträgliche, tarifgebundene Unternehmen.
    Übernahme in Eigenregie

    Wer glaubt, es handele sich bei Wombat’s um einen krassen Einzelfall, der irrt. Die Liste der Firmen, die sich ähnlicher Methoden bedienen, ist lang: Burger King, OBI, die Reha-Kette Median, XxxLutz, Zara, der Betonteile-Hersteller KMB aus Marsberg oder der Düsseldorfer Bauunternehmer Otto Bach, der zur Kliemt Gruppe gehört. Sie alle haben Unternehmensteile zwecks Union Busting geschlossen oder komplette Belegschaften entlassen. Die Dunkelziffer ist in der zersplitterten Auslagerungs- und Subunternehmer-Ökonomie, in der Pleiten zum Alltag gehören und leicht herbeigeführt werden können, vermutlich riesig.

    Es wird Zeit, dass wir Strategien entwickeln, um sozialschädliche, kriminelle Unternehmer effektiv in die Schranken zu weisen. Dazu gehört sicher die konkrete Utopie der Übernahme in Eigenregie, wie sie nun auch unter den Kolleg*innen von Wombat’s diskutiert wird.

    Elmar Wigand ist Publizist und lebt in Köln. Er ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht.

    #Berlin #Solidarität #Tourismus #Mitte #Alte_Schönhauser_Straße #Arbeitskampf

  • Protest ǀ Goldesel — der Freitag
    https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/goldesel

    Protest Das Geschäft boomt, aber wenn es um das Verteilen des Profits geht, bleiben Fahrradkuriere außen vor. Nun starten sie den Arbeitskampf

    Rebekka Gottl | Ausgabe 08/2018

    Abgenutzte Reifen, gerissene Ketten, durchgesessene Sättel, vor dem Gebäude in der Oranienburger Straße hat sich ein beträchtlicher Haufen Schrott angesammelt. Immer mehr Menschen in rosa- und türkisfarbenen Jacken werfen verschlissene Fahrradteile dazu. „Lass mich dein Sklave sein“, schallt aus den Musikboxen der Refrain eines Ärzte-Songs. „Sie wissen überhaupt nicht, wie es ist, hier draußen zu sein“, empört sich Joe auf Englisch per Megafon. Er ist mit dem Fahrrad gekommen, mit dem er der Kundschaft Gerichte vom Restaurant zur Wohnungstür liefert und blickt wütend nach oben zum Delivery-Hero-Schriftzug. Etwa 40 Kuriere, die meisten zwischen 20 und 30 Jahre alt, haben sich hier vor der Berliner Zentrale des Lieferdienstnetzwerks versammelt, um gegen Lohn- und Arbeitsbedingungen beim Tochterunternehmen Foodora sowie des britischen Konkurrenten Deliveroo zu demonstrieren.

    Eine von ihnen ist Georgia Palmer. Die Pressesekretärin der FAU, der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union, sitzt zwei Tage später in einem Café und zieht ein Resümee. Sie trägt feste Schuhe, einen Kapuzenpulli und wirkt, als könne sie wenig aus der Ruhe bringen. „Nach den gescheiterten Verhandlungen mit Foodora setzen wir den Arbeitskampf jetzt erst einmal mit Protesten und gewerkschaftlichen Aktionen fort, um konkrete Forderungen durchzusetzen“, sagt Palmer. Die 25-jährige Philosophiestudentin brauchte kurzfristig einen Minijob. Die Idee, für Foodora Essen vom Produzenten mit dem Rad zur Kundschaft zu liefern, kam durch eine Freundin. „Ökologisch gesehen ein super Konzept“, findet auch Geraldine, mit einem knapp dreijährigen Beschäftigungsverhältnis hält sie den berlinweiten Rekord. Viele werfen den Job nach einem Sommer hin. Im Winter gebe es keinen Raum zum Aufwärmen und Foodoras Arbeitsklamotten sind laut Palmer „von schlechter Qualität, oft nicht wasserdicht und hauptsächlich groß und pink und mit vielen Logos bedruckt“.

    Anders als die Arbeitskleidung werden die Fahrräder nicht von Foodora gestellt, sie müssen selbst angeschafft und instand gehalten werden. Zwar hat das Unternehmen tags zuvor per Pressemeldung verkündet, den Kurieren eine Gutschrift von 25 Cent pro gefahrener Stunde zu gewähren, die sie beim kooperierenden Fahrradservice LiveCycle einlösen können, zufriedenstellen ließen sich die Fahrer damit nicht. Angesichts eines Stundenlohns von neun Euro ist das zu wenig, um Reparaturkosten selbst zu tragen. „Im Büro muss ich mich auch nicht mit meinem Chef streiten, damit ich nicht meinen eigenen Bürostuhl mitbringen und selbst reparieren muss“, vergleicht Palmer. Foodoras Entgegenkommen liegt unter der geforderten Fahrtkostenpauschale von 35 Cent pro Kilometer.

    Mit Marx den Aufstieg von Trump & Co. verstehen: Nach Brexit, dem politischen Wandel in den USA und den Wahlerfolgen rechter Parteien fragt dieser Sammelband, wie weit das Bonapartismus-Konzept trägt, um die Wiederkehr von Autoritarismus und Nationalismus zu verstehen und diskutiert dies in historischer Rückschau...

    Unmut verbindet

    Die Übernahme der Reparaturkosten, eine Lohnerhöhung und eine effektivere Schichtplanung, das sind die Forderungen, die die FAU in den Verhandlungen mit Foodora geäußert hat. Unmut verbindet, er führte dazu, dass sich die Boten der beiden Lieferdienste über WhatsApp organisierten und austauschten. So wuchs die Gruppe derer, die ihre Arbeitserfahrungen und ihren Frust teilten. Die merkten, dass sie nicht alleine sind, sich nicht selbst optimieren müssen, sondern an ihren Arbeitsbedingungen ansetzen und mitbestimmen können. Die geringfügig Beschäftigten begannen, sich unabhängig von gewerkschaftlichen Strukturen solidarisch zusammenzuschließen. Die Kooperation mit der anarchosyndikalistischen, sprich selbstbestimmten, FAU sei ein „organischer Übergang“. Nötig, um auf eine kollektive Interessenvertretung zurückgreifen zu können. „In einer Basisgewerkschaft wie der FAU haben die Arbeiterinnen selbst in der Hand, was wie umgesetzt wird“, erklärt Palmer. Je weniger Vermittlungsebenen es gebe, desto flexibler könne reagiert werden. Ein Ansatz, der in der Gig-Economy effektiv ist. „Firmen wie Foodora, Deliveroo oder Amazon nutzen neue Technologien, um eigentlich ganz alte, ausbeuterische Arbeitsbedingungen wieder einzuführen.“ Palmer spielt auf die Digitalisierung des Arbeitsablaufs an. Mit dem Piepen des Handys wird den Boten die Adresse des Restaurants mitgeteilt, die des Kunden wird erst nach Übergabe des Essens sichtbar. Das Abarbeiten der von der App vorgegebenen Aufträge strukturiert den Ablauf, macht ihn berechenbar und durch die Datenspeicherung jederzeit nachverfolgbar. „Maschinell“ sei das, sagen die Kuriere. In die Datenverwertung haben sie keinen Einblick. Die daraus resultierenden Statistiken würden, insbesondere bei Deliveroo, das Gehalt beeinflussen und als Druckmittel verwendet. „Das Unternehmensrisiko wird auf die selbstständigen Arbeiterinnen verlagert, diese werden aber durch die App wie Angestellte des Unternehmens kontrolliert. Ein extrem problematisches, perfides Doppelspiel“, sagt Palmer.

    Warum tragen Joe, Geraldine, Georgia und viele andere Kuriere, die um den aufgehäuften Fahrradschrott stehen, Jacken und Thermoboxen mit Firmenlogo, auf ein Piepsen des Handys und damit den nächsten Auftrag wartend? Bei einem Arbeitsmodell, in dem alles auf Unabhängigkeit ausgelegt sei, sollte es doch einfach sein, dem Unternehmen den Rücken zu kehren. Das hört man oft, wenn es um Jobs in der Start-up-Branche geht. Vergessen wird dabei die Tatsache, dass etliche Boten auf diese Arbeit angewiesen sind. „Viele sind noch nicht lange in Deutschland, beherrschen die Sprache noch nicht so gut und sind von diesem Job abhängig.“ Arbeitnehmer, die ihre Rechte nicht kennen, sind dabei kein Einzelfall. Zudem würden sich einige so weit mit dem Konzept des Unternehmens identifizieren, dass sie einen Misserfolg des Unternehmens als eigenen Tiefschlag empfänden. „Klassenkampf von oben, geschickt verpackt“, bezeichnet Palmer Foodoras Strategie. Es sei auch keine Lösung, von Job zu Job zu gehen, fügt sie hinzu im Hinblick auf jene, die auf Mini- oder Midijob-Basis angestellt sind und sich nach kurzer Zeit nach etwas Neuem umsehen.

    Sie selbst will bald zwar nicht mehr aufs Rad steigen und sich die Thermobox auf den Rücken schnallen, bei der internationalen Kampagne #deliverunion möchte sie aber weiter mitwirken. Geld bringt ihr das Engagement nicht, ihr Einkommen von Foodora würde wegfallen.

    Zurück zur Festanstellung?

    Die FAU-Flaggen wehen nicht nur auf Demos der Deliverunion-Kampagne, sondern auch bei Kundgebungen unter dem Motto #makeamazonpay. Diese Protestform gegen Amazon ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Arbeiter verbünden, um gegen niedrige Löhne, algorithmusgesteuerte Abläufe und permanente digitale Überwachung zu kämpfen. Obwohl sich die Amazon-Mitarbeiter und die Fahrradkuriere mit ihren Forderungen auf das jeweilige Unternehmen beschränken, ziehen sie an einem Strang. „Wir machen keine Branchentarifpolitik“, so Palmer. „Wir arbeiten lokal, solidarisieren uns aber gegenseitig mit Arbeitnehmerinnen in ähnlichen Situationen und unterstützen uns über Städte- und Ländergrenzen hinweg.“ Sich austauschen, nicht gegeneinander ausspielen lassen, parallel streiken. Nicht ohne Stolz sagt sie das. „Sie wollen nicht, dass wir zusammenarbeiten. Dass wir uns gegenseitig helfen“, ruft Joe ins Megafon. Das „befreiende Moment, sich zusammenzutun, um aus der Abhängigkeit und Ohnmacht herauszukommen“, motiviere dazu, sich für die Idee eines Tarifvertrags starkzumachen.

    Zurück zur Festanstellung, geregeltem Lohn und festen Arbeitszeiten? Nein, lautet Georgia Palmers Antwort. „40-Stunden-Woche-Lohnsklaverei“ sei kein Konzept, zu dem sie zurückwolle. Die versprochene Selbstbestimmung, die mit flexiblen Arbeitsverträgen einhergehen müsste, solle eingefordert werden, um Entscheidungen im Kollektiv zu treffen und die eingefahrenen Profite gleich zu verteilen.

    Fahrwerk, ein Fahrradkurierkollektiv aus Berlin, operiert nach diesen Kriterien. 2009 gegründet, „um sich selbst bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen“, transportiert man Sendungen nach dem Credo „Schneller. Umweltfreundlich. Selbst organisiert“. Die Open-Source-App CoopCycle aus Frankreich könnte bald die Plattform liefern. Funktionieren soll sie wie die Software von Gig-Economy-Plattformen. Mit einer gegensätzlichen Strategie, Kollektive werden ermutigt, sich zusammenzuschließen, um sich mithilfe der durch Nutzungsbeiträge finanzierten App zu organisieren. Eine Idee, die wegführt vom Profitdenken. Ein utopischer Gedanke? Vielleicht. Zur Zeit wird mit den verschiedensten Arbeitsformen experimentiert, es wäre reine Stagnation, dieser kollektiven Form selbstbestimmter Arbeit nicht wenigstens eine Chance zu geben.

    Für die hungrigen Kunden ändert sich dadurch nicht viel. Außer das schlechte Gewissen, das einen bei dem Gedanken quälen mag, der schlecht bezahlte Bote rast durch die Stadt, um das bestellte Essen noch dampfend an der eigenen Wohnungstür abzuliefern.

    #Berlin #Gewerkschaft #Arbeitskampf #Disruption #Ausbeutung #Fahrrad