Nikolai Bersarin : Von der Schwierigkeit, in Berlin einen Helden zu ehren
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En honneur du premier commandant russe de Berlin et de ses décisions humanitaires qui on sauvé la vie á de niobreux habitants de la ville détruite par la guerre
20.4.2025 von Maritta Adam-Tkalec - Der Befreier Berlins, erster Stadtkommandant, brachte das Leben in der Stadt wieder in Gang. Dennoch verlor er nach der Wende die Ehrenbürgerwürde.
Am 21. April 1945 erreichte die 5. Sowjetische Stoßarmee in Marzahn die östliche Berliner Stadtgrenze. Ihr Kommandeur, Generaloberst Nikolai Erastowitsch Bersarin, betrat als erster der Befreier Berliner Boden. Am 27. April eroberten Bersarins Leute den Alexanderplatz. Am folgenden Tag wurde er zum Stadtkommandanten von Berlin ernannt, der alten Tradition folgend, dem ersten, der die Ortsgrenze überquerte, dieses Amt zu übergeben.
An jenem Tag hockte der Führer noch in seinem Bunker nahe dem Brandenburger Tor, erteilte Befehle und fantasierte von „Entsatzarmeen“. Am 28. April heiratete er mitternachts, diktierte sein Testament, setzte sich am 30. April die Pistole an den Kopf und drückte ab.
Am 2. Mai 1945 zwangen die Soldaten Bersarins die Berliner Truppen der Wehrmacht, der SS, des Volkssturms und der Hitlerjugend zur Kapitulation. Sie befreiten in unserer Stadt Zehntausende Gefangene, KZ-Insassen, Deserteure, untergetauchte und noch inhaftierte Juden und Hunderttausende Zwangsarbeiter: Ukrainer, Polen, Italiener, Franzosen und Russen – Männer und Frauen schier aller europäischen Nationen.
Bersarins Befehl Nr. 1
Am selben Tag erließ Bersarin den Befehl Nr. 1: „Wiederherstellung des zivilen Gesundheitswesens …; Schutz aller Lebensmittelbetriebe und -magazine …; Versorgung der kranken Kinder und der Neugeborenen mit Milch …; Sicherung der sanitär-epidemischen Wohlfahrt“.
Monatelang hatte die deutsche Propaganda gewarnt, mit dem Eindringen der „Steppenhorden“, der „slawischen Untermenschen“, werde die Hölle über die Deutschen hereinbrechen. Aber in Bersarin erlebten sie keinen Rächer an der Hauptstadt jenes Landes, das am 22. Juni 1941 den „ungeheuerlichsten Versklavungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte kennt“ (Ernst Nolte, 1963), entfesselt hatte. Die sowjetischen Streitkräfte hatten zuerst ihre überfallene Heimat verteidigt, dann aber unter größten Opfern den entscheidenden Beitrag geleistet, um Deutschland, Europa und die Welt vom Schreckensregiment deutscher Rassenkrieger zu erlösen.
Bersarin hatte sein Vaterland vom ersten bis zum letzten Kriegstag als Offizier verteidigt und bemerkte in seiner Rede zur Einsetzung des neuen Berliner Magistrats am 20. Mai 1945: „Unsere Menschen vergossen ihr Blut, litten schwere Not. Ich habe während meines ganzen Lebens nichts gesehen, was dem ähnlich war, als die deutschen Offiziere und Soldaten wie Bestien gegen die friedliche Bevölkerung vorgingen.“ Aber er verzichtete auf Vergeltung und Abrechnung.
In erstaunlich kurzer Zeit erlangte er die Zuneigung der Bevölkerung. Peter Jahn, Herausgeber und Mitautor der Bersarin-Biografie (Elefanten Press, 1999), schreibt, in dessen Verantwortung sei der leblose Stadtkörper reanimiert worden – sicherlich als Teil eines Machtkalküls: Man wollte in der Konkurrenz mit den Westmächten Einfluss sichern, auch durch Sympathiegewinn in der Bevölkerung.
Bersarin veranlasste das Naheliegende: Die Sowjettruppen löschten Brände, bargen Leichen, entminten Straßen, organisierten Lebensmittel, setzten die Verwaltung in Gang. Die Verordnung Nr. 080 vom 31. Mai regelte die Milchversorgung der Berliner Kinder. Mit viel Menschenkenntnis setzte Bersarin Fachleute aus diversen Parteien als Bürgermeister oder in den neuen Magistrat ein.
Die Wiederbelebung Berlins
Am 14. Mai eröffnete er den U-Bahn-Verkehr. 21 Wasser- und sieben Gaswerke gingen in Betrieb. Am 25. Mai nahmen auf Bersarins Befehl Polizei, Stadtgericht und Staatsanwaltschaft die Arbeit auf. Der Berliner Rundfunk ging am 31. Mai auf Sendung. Am 14. Mai sprach Bersarin mit führenden Theaterleuten über die Wiedereröffnung der Bühnen. Mitte Mai öffneten die meisten Schulen.
Befehl Nummer 2 mit Bersarins Unterschrift ließ (antifaschistische) Parteien und Gewerkschaften zu. Das Plündern und Vergewaltigen hatte die Militärführung unter Androhung schwerer Strafen verboten. Dennoch kam es hunderttausendfach zu Übergriffen, bevor die neue Ordnung hergestellt war.
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Nikolai Bersarin am 8. Mai 1945 vor dem Sitz der Kommandantur in Alt-Friedrichsfelde. Hier befand sich sein Büro.i mago
Laut Jahn gaben Russen wie Deutsche, die Bersarin in den knapp acht Wochen seines Wirkens erlebten, zu Protokoll, dass er über die Befehlserfüllung hinaus persönliche Hingabe zeigte an die Aufgabe, Berlin zum Laufen zu bringen. Von einer Stunde zur anderen hatte der Militär umgeschaltet von Kriegsführung auf Friedensmanagement. Peter Jahn schreibt: „Der Feind von gestern war zum Objekt der energischen Fürsorge geworden. Er handelte, als wären es ‚seine Berliner‘.“ Wer hätte das gedacht vom Bolschewiken.
Geboren 1904 als Sohn eines Fabrikarbeiters und einer Näherin in St. Petersburg, trat Bersarin als 14-jähriger Vollwaise ohne formale Schulbildung in die Rote Armee ein. Dort fand er Essen, Unterkunft, Familienersatz und erledigte einfache Arbeiten. Nach 1920 begann er eine militärische Ausbildung, in der er auch elementare Schulbildung fand. 1923 in den Fernen Osten versetzt, bekämpfte er im Amurgebiet „Weiße Banden“.
Ein Leben als Soldat
Vorgesetzte lobten seine Leistungen als bester Schütze, seine Disziplin, Willenskraft, Autorität und organisatorische Begabung. Und der Mann las – keinem kulturellen Kanon folgend. Viele Jahre blieb er in Irkutsk stationiert, heiratete, bekam zwei Töchter. Fern von Moskau lebte es sich vergleichsweise ungezwungen mit dem Reiten, Jagen und Skilaufen. Es heißt, die Familie habe einen jungen Bären als Haustier gehalten. Bersarin stieg die Offiziersränge hinauf, gehörte zum Stab der Amur-Armee, war 1938 Divisionskommandeur und stoppte Groß-Japan-Träume von der Ausdehnung bis zum Baikalsee.
Während der stalinistischen Säuberungen 1937/38 verloren Bersarins wichtigste Förderer, hohe Generäle, Positionen und Leben. Neider denunzierten auch den hoffnungsvollen jungen Offizier – er verdanke seine Karriere Volksfeinden, hieß es. Hatte es in Beurteilungen nicht immer geheißen, er neige zur Selbstüberschätzung? Bersarin fand Fürsprecher und kam davon.
Im Großen Vaterländischen Krieg führte Bersarin diverse Armeen, beklagte jedoch weiter schwelendes Misstrauen, denn zentrale Posten bekam er nicht. Nach einer Verletzung (13 Geschosssplitter im Körper) wurde er im Frühling 1944 schließlich Oberbefehlshaber der 5. Stoßarmee, einer Elitetruppe für Angriffsoperationen. Sie befreite unter Bersarins Kommando Moldawien, die Südukraine und Teile Polens, eroberte den Brückenkopf Küstrin – den Schlüssel zu Berlin.
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Juni 1945 in Berlin: zwei ältere Männer inmitten von Trümmern imago
Marschall Schukow, Oberkommandierender der Roten Armee, widmet in seinen Memoiren Bersarins 5. Stoßarmee einen gesonderten Abschnitt: „Sie sollte das Regierungsviertel nehmen, darunter die Reichskanzlei mit dem Hauptquartier Hitlers. Besonders kompliziert war der Auftrag in der ersten Etappe, der darin bestand, den stark befestigten Schlesischen Bahnhof zu stürmen und die Spree mit ihren hohen Kais zu forcieren.“
Als Deutsche das noch arbeitende Kraftwerk Klingenberg sprengen wollten, eroberte es eine von Bersarins Sturmtruppen. Es wurde sofort entmint, herbeigeholte Arbeiter hielten das Werk in Gang. Schukow schreibt, Bersarins Armee habe am zügigsten angegriffen.
Tod eines leidenschaftlichen Bikers
Am 18. Juni 1945 erschien die Seite 1 der Berliner Zeitung im schwarzen Trauerrahmen mit einem Foto Nikolai Erastowitsch Bersarins. Daneben eine Mitteilung des „Kriegsrats der Gruppe der sowjetischen Okkupationstruppen in Deutschland“: Der Berliner Stadtkommandant war tot. Ein Unfall. Am Sonnabend, den 16. Juni, frühmorgens, war er mit dem Motorrad in Friedrichsfelde in einen Lkw-Konvoi gerast.
Der Unglücksort Schloßstraße Ecke Wilhelmstraße (heute Am Tierpark Ecke Alfred-Kowalke-Straße) lag auf dem Weg vom Hauptquartier der sowjetischen Streitkräfte in Karlshorst zur Stadtkommandantur Alt-Friedrichsfelde 1. Bersarin lenkte eine Wehrmachtsmaschine Marke Zündapp KS 750 mit Beiwagen, in dem seine Ordonnanz saß. Seine Offiziere hatten dem begeisterten Motorradfahrer das Beutestück kurz zuvor geschenkt.
Wahrscheinlich steuerte der 41-Jährige die Maschine – äußerst geländegängig und mit heulendem Motorgeräusch – zum ersten Mal. Jedenfalls fuhr er ungebremst auf und starb sofort. So wie sein Begleiter.
Der Tod löste Spekulationen aus: Hatte Stalin den erfolgreichen und beliebten Militär wegen dessen deutschfreundlicher Politik umbringen lassen? Tatsächlich murrten Rotarmisten, weil Bersarin den Berlinern höhere Lebensmittelrationen zugestand, als sie die Familien der Soldaten daheim bekamen. Historiker fanden jedoch keine Hinweise auf einen Mord.
Gedenken am Unfallort
Warum aber trug der Generaloberst einen Monteuroverall? Die schlichte Antwort: Er tarnte sich. Sein Vorgesetzter, Marschall Georgi Schukow, hatte ihm das Motorradfahren verboten. Er hielt die Gefahr für groß, dass der Stadtkommandant von umherstreifenden SS-Leuten erkannt und erschossen werden könnte. Obendrein hielt Stalin Motorradfahrer für Rowdys, das Krad eines sowjetischen Kommandeurs für unwürdig. Bersarin aber fuhr leidenschaftlich gerne, während des Feldzugs hatte er eine Harley-Davidson aus US-Hilfslieferungen benutzt.
Das Telegramm Schukows an Stalin mit der Todesnachricht informiert über die Umstände: „An der Kreuzung Wilhelmstraße, an der ein Verkehrsposten gerade eine Lastwagen-Kolonne passieren ließ, verringerte Bersarin nicht das Tempo und verlor die Kontrolle über das Motorrad. Er fuhr in die linke Seite eines Lastkraftwagens vom Typ Ford 6.“ Dieser war ein Geschenk des niederländischen Königs an die Rote Armee gewesen. Mit Schädel-, Arm- und Beinbruch sowie zertrümmertem Brustkorb endete ein wahrhaft sowjetisches Leben.
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2020 wurde eine Gedenktafel zu Ehren Nikolai Bersarins enthüllt, nahe der Unfallstelle an der Straße am Tierpark. Markus Wächter/Berliner Zeitung
1946 benannte der Gesamtberliner Magistrat einen Platz und eine Straße im Arbeiterbezirk Friedrichshain nach Bersarin. 1975 ernannte ihn die DDR-Hauptstadt zum Ehrenbürger. Mit der Anerkennung machte der Senat nach der Wiedervereinigung Schluss. Im Januar 1992 ließ man die Umbenennung der Bersarinstraße in Petersburger Straße exekutieren. Für den Bersarinplatz trafen die Argumente, die für die Wegbenennung der Straße galten, rätselhafterweise nicht zu.
Die Bersarin zu DDR-Zeiten verliehene Berliner Ehrenbürgerschaft entsorgte der Senat auf billigem Wege: Bei der Vereinigung übernahmen sie Bersarin einfach nicht aus der Ost-Berliner Ehrenbürgerliste. Wenigstens dieser Frevel konnte im Jahr 2003 beendet werden.
Nikolaï Berzarine
▻https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Nikola%C3%AF_Berzarine
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