7.7.2024 von Maritta Adam-Tkalec - Rolf Heinemann machte seine Softwarefirma trotz Treuhand-Schikanen zum Spitzenkonzern. Er berichtet von Arroganz, Dummheit und tollen Partnern.
Einer aus dem Osten sprach im März 1990 auf der Computermesse Cebit in Hannover bei den wichtigsten Datenbankanbietern jener Zeit wegen einer möglichen Zusammenarbeit vor. Der mit einer Arbeit über Datenbanktechnik promovierte Maschinenbauingenieur Rolf Heinemann leitete seit der Gründung des Kombinats Robotron diese Entwicklungsrichtung. Das Kombinat Robotron beschäftigte zuletzt 68.000 Menschen, darunter auch Spitzenforscher und Tüftler auf dem Gebiet der Softwareentwicklung.
Heinemann hatte eigene Datenbanklösungen für Unternehmen zu bieten – die heißeste Ware des in Schwung gekommenen Computerzeitalters. Siemens-Nixdorf, Sybase, IBM etc. winkten ab. Sie hielten den Mann aus Dresden für nicht kompatibel mit ihren gehobenen Westansprüchen. Software aus dem Osten? Brauchen wir nicht, bekam er zu hören – und reichlich Überheblichkeit zu spüren.
„Robotron ist jetzt wieder ein Kombinat; man nennt das heute Konzern“
„Die Leute an den Ständen hatten keine Ahnung – aber davon sehr viel“, spottet er heute, aber die waren „eben bloß Verkäufer“. „Siemens hielt mich für doof; die Datenbankanbieter auf der Messe hielten sich für die Größten und sagten: ‚Ihr da drüben wisst doch nicht, was eine Datenbank ist.‘ Aber ich wusste, was die konnten und was nicht“, erinnert sich Heinemann im Gespräch und sagt: „Was die konnten, konnten wir schon lange.“
Bloß gut, dass er Besseres zu tun hatte, als sich zu ärgern. Heute trifft man Heinemann im Büro seiner Firma Robotron Datenbank-Software GmbH (RDS) auf einem weitläufigen Betriebsgelände am Rand Dresdens – mehr als 600 Mitarbeiter, 70 Millionen Euro Jahresumsatz, Tochterfirmen unter anderem in der Schweiz, Tschechien und in Neuseeland. „Dort wachsen wir am schnellsten“, sagt er, und das klingt, als staune der erfolgreiche Unternehmensgründer selbst darüber. „Der Doofe“ sagt: „Robotron ist jetzt wieder ein Kombinat; man nennt das heute Konzern.“
Rolf Heinemann, mehrfacher DDR-Meister im Orientierungslauf, bildete auch sportlich ein Team mit seiner Frau Ulrike, ebenso DDR-Meisterin. Hier beide im Trainingsanzug der DDR-Nationalmannschaft. Rolf HeinemannRolf Heinemann ist 1937 in Schönebeck bei Magdeburg geboren, also 87 Jahre alt. Er kommt nicht mehr so oft ins Büro wie früher, mischt aber weiter mit. Die Geschäfte führen seine beiden Söhne. Braun gebrannt, im bequemen hellen Anzug beantwortet er am Nachmittag Fragen in seinem schlichten Büro, und am Abend sitzt er noch genauso frisch und voller Spannkraft in einem Saal gleich neben der Kreuzkirche und stellt sein Buch vor: „Eine Lebensgeschichte zwischen Sport und Robotron“.
Der Sport steht im Titel nicht zufällig an erster Stelle: Heinemann hat alle möglichen Sportarten betrieben, aber als Orientierungsläufer wurde er mehrfach DDR-Meister (so wie übrigens auch seine Frau Ulrike), saß in nationalen wie internationalen Sportgremien und kümmert sich bis heute um den Sport im heimatlichen Bereich. Ohne ihn stünde die Biathlon-Anlage in Zinnwald (Robotron-Arena) längst nicht so schmuck da.
„Ohne den Sport wäre auch aus allem anderen nichts geworden“, sagt er und meint nicht nur Kraft, Ausdauer, Gesundheit oder die besonderen Fähigkeiten für den Orientierungslauf wie schnelles Zurechtfinden in unübersichtlichem Gelände. Letzteres beherrschte er offenkundig meisterlich. Unschätzbar wertvoll waren ihm die Kontakte und engen, dauerhaften Freundschaften im In- und Ausland. Man könnte sagen, der Mann lebte mit enormen Mengen von Vitamin B – Beziehungen.
So kam es, dass er vor 1990 das gegen die DDR verhängte Hightech-Embargo brach: Er betrieb ein von seinen schwedischen Sportfreunden eingeschmuggeltes Kopiergerät im Schlafzimmer, ohne dass die Stasi es bemerkte; auf ähnliche Weise kam 1984 ein Apple-Rechner ins Haus, an dem Sohn Ulf Wettkampfprogramme für den Orientierungslauf entwickelte (und sich für die Informatik begeisterte). Und 1985 ließ er Volkseigentum wandern: vom Stand der Leipziger Frühjahrsmesse wechselte ein dort als Messemuster genutzter Rechner PC1715 erst in den Heinemann’schen Trabi, dann zu seinen Kollegen in Dresden.
Als Heinemann im März 1990 zur Cebit reiste, war er 53 Jahre alt, ohne Westgeld, aber mit intaktem Selbstbewusstsein, einer eigenen Datenbank-Software und der Gewissheit, dass diesem Bereich die Zukunft gehörte. DDR-Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski hatte den Robotron-Infodienst stets mit einschlägiger Fachliteratur aus aller Welt versorgt und Heinemann war sicher: „Wir können das. Wir hatten zwar im Hardwarebereich fünf bis sechs Jahre Rückstand, aber was Datenverarbeitung betraf, waren wir auf dem neuesten Stand.“
Mit der amerikanischen Firma Oracle hatte Rolf Heinemann über die Jahrzehnte einen verlässlichen Partner, der Robotron-Chef besuchte den Firmensitz mehrfach. Rolf HeinemannBei Robotron arbeiteten sie bereits mit einer angepassten Variante des Datenverarbeitungssystems von Oracle, einem der großen Anbieter aus den USA, und diesen, seinen eigentlichen Favoriten, hatte er sich fürs Ende des Cebit-Parcours durch die Welt der Besserwisser aufgehoben. Und siehe da: Die Oracle-Leute wurden sofort hellhörig. Man kam ins Gespräch, fand einander sympathisch. Der erste Schritt war getan für Rolf Heinemanns Plan: eine eigene Firma gründen, sich selbstständig machen, statt in die Fänge der Treuhand zu geraten. Zu diesem Zeitpunkt, im März 1990, waren weder Wirtschafts- und Währungsunion noch die deutsche Einheit vollzogen.
Anders als die meisten wartete er nicht in Angststarre ab. Er beschaffte sich das Handbuch „Wie gründe ich eine GmbH“. Das verriet ihm allerdings nicht, was er bald mit der famosen Treuhandanstalt erleben würde. Unfassbare Geschichten, wie sie einem im Osten landauf, landab, sei es traurig oder wütend, erzählt werden. So wie dieser Tage in einer Gaststube in der Rhön, wo ein alter Bergmann bei Bierchen und Boonekamp über das Schicksal seines Kalibergwerks Merkers sprach: „Alles hamse dichtgemacht, alles. Nichts ist geblieben hier.“
Zuerst brauchte Rolf Heinemann Stammkapital für die GmbH, 65.000 Mark. Er setzte alles ein, was nach dem Umtausch in Westmark privat möglich war, und fand Gesellschafter, die, statt umgehend ein Westauto zu kaufen, ihr frisch Umgetauschtes in das Wagnis steckten. Am 23. August 1990 wurde die RDS gegründet. Wie alle Ausgründungen hatte auch diese von der alten Kombinatsleitung die Genehmigung erhalten, den Namen Robotron weiter zu verwenden. Doch man versteckte ihn im Kürzel. „Er kam uns anfangs zu ostlastig vor“, heißt es in Heinemanns Buch.
Der Softwarebetrieb des Kombinates selbst stand inzwischen – ebenfalls in eine GmbH umgewandelt – unter Treuhandverwaltung. Sein alter, noch amtierender Chef gewährte ihm aus der gut gefüllten Robotron-Kasse 32.000 DM Kredit. Die neue Firma RDS schrieb von Anfang an schwarze Zahlen und bald sollte es sich als sehr, sehr schlau herausstellen, den Kredit mit den ersten Einnahmen ohne Verzug, schon im Oktober 1991, zurückzuzahlen und somit die Treuhand, die infolge des Kredits RDS-Anteile hielt, wieder aus den Büchern zu entfernen.
Ein gewisser Herr Adenauer tauchte auf
Denn bald darauf vergab die Treuhand den Rest des verbliebenen Softwarebereiches zu sehr, sehr günstigen Konditionen an einen Herrn namens Peter C. Adenauer, Großneffe des ehemaligen Bundeskanzlers, und, wie man damals munkelte, gut bekannt mit Treuhandchefin Birgit Breuel. Dieser Adenauer tauchte alsbald bei Heinemann auf und verlangte mehr Geld für die längst zurückgezahlten Anteile, der Wert der Firma sei ja inzwischen gestiegen. Heinemann klärte ihn auf: „Das Geschäft ist abgeschlossen.“ Keine Chance.
Adenauer gönnte sich ein fürstliches Gehalt, einen sehr großen Wagen und führte das einst stolze Unternehmen für Softwareentwicklung des Kombinates Robotron bald in die Pleite. „Der Mann hatte keine Ahnung, aber Ansprüche“, so erklärt Heinemann dessen Versagen: „Auf Oststühlen wollte er nicht sitzen und nicht mit tschechischen Koh-i-noor-Bleistiften schreiben.“ Adenauer schaffte sofort Westzeug an, ließ das DDR-Inventar auf den Müll werfen – und von dort holte es Heinemanns Ehefrau Ulrike, um die eigenen Büros noch für lange Zeit auszustaffieren: Möbel, Druckerpapier, Radiergummis und Bleistifte en masse. „Mit Bleistiften von damals schreiben wir heute noch“, sagt der Firmenchef.
Als er eine Immobilie für den Firmensitz suchte, glaubte er, aus dem Treuhandfundus mit den vielen aus volkseigenen Beständen übernommenen Gebäuden eines erwerben zu können: Er durfte sich bewerben, doch ein Käufer aus dem alten Bundesgebiet wurde bevorzugt. Mit dem Übernahmevertrag hatte der auch die Verpflichtung unterschrieben, Arbeitsplätze zu erhalten. Bald bekam Heinemann einen Anruf von der Treuhand: Der Käufer wisse nichts mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzufangen – ob nicht er hundert übernehmen könne? Im Gegenzug könne er die Immobilie günstig mieten.
„So ging das mit der Treuhand“, resümiert Heinemann. Die Selbstständigkeit habe verhindert, dass ihm und seinen Mitstreitern geschah, was die DDR-Restmasse erleben musste: „Die von der Treuhand verteilten Betriebe wurden von den neuen Eigentümern erst abgeschöpft, dann plattgemacht. Das war ein zielgerichtetes Treiben.“ Viele im Osten hätten den Absturz nicht verwunden. Bis heute werde Respekt und Anerkennung versagt.
Hasso Plattner war mehrfach da
Besonders skurril empfand er die von der Bundesregierung bezahlten „Berater“, Herren mit Lederköfferchen, meist aus der Gegend um Düsseldorf. Die hat er besonders gerne abserviert. Wenn Hasso Plattner, Chef der großen Konkurrenz von SAP, daherkam, um Leute abzuwerben („Der war mehrfach da!“), herrschte bei Heinemann Alarm.
Die eindrucksvolle Robotron-Story ist ohne Rolf Heinemann nicht denkbar – er verband Bodenständigkeit mit Weltläufigkeit, Qualifikation mit Bescheidenheit, klar definierte Werte und Prinzipien mit gutem Blick für den richtigen Moment einer Entscheidung. Er hatte und hat ein Team, das sich immer wieder als Glücksfall erwies. Die ganze Familie war beteiligt, am Sport wie am Unternehmen. Die beiden Söhne haben das operative Geschäft inzwischen übernommen. Auf seine fairen amerikanischen Partner von Oracle lässt er nichts kommen.
Sie waren es auch, die ihm die Augen für den Wert des Namens Robotron öffneten. Mitte der 1990er fragte Heinemann bei der Treuhand an, ob er nicht die Rechte erwerben könne. Die unwirsche Antwort: Der Name sei nicht verkäuflich, und er könne das sowieso nicht bezahlen. Unbeeindruckt fragte er beim Deutschen Patent- und Markenamt in München an, wo er die sachliche Auskunft erhielt: „Die Marke Robotron ist im Besitz des Kombinats Robotron und wurde 1987 für zehn Jahre bezahlt.“ Er könne ab 1. April 1997 wieder vorsprechen. Falls sich die Treuhand nicht melden und für die Verlängerung bezahlen würde, könne er die Löschung der Marke und neue Namensnutzung beantragen. Die Superschlauen von der Treuhand verpennten den Termin. Fuchs Heinemann schnappte zu.
Für das Buch gab er viele Stunden Interviews. Profis vom Verlag Rohnstock Biografien haben ein tolles Stück zeitgeschichtlicher Dokumentation daraus gemacht. Eingeschoben sind immer wieder Berichte von Ulrike Heinemann, von den Söhnen Ulf und Björn, von Mitarbeitern der Firma – die Perspektivenwechsel belegen den speziellen Teamgeist in einem einzigartigen Familienunternehmen aus dem Osten, das sich mit Stolz zu seinen DDR-Wurzeln bekennt.
Am Ende steht die Frage: Was wäre möglich gewesen, wenn im Zuge der deutschen Einheit Tausende solcher Geschichten wohlwollend ermöglicht worden wären, anstatt sie voller Verachtung zu verhindern?
Zum Buch
Titel: Rolf Heinemann. Eine Lebensgeschichte zwischen Sport und Robotron
Erschienen im Verlag Rohnstock Biografien, Berlin 2024
Umfang: 400 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 25 Euro
Bestellungen über Direktbezug über die Firma Robotron: Astrid.Knoebel@robotron.de
Berliner Buchvorstellung: Der Robotron-Retter Rolf Heinemann stellt das Buch am 20. September vor – um 17 Uhr im Verlag Rohnstock Biografien, 13187 Berlin-Pankow, Breite Straße 2a