• „Wie ein böser Traum“: Der Firma Hartmann steht die letzte Fahrt bevor
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    Mit den neuen Ausschreibungsgewinnern kommen neue Lohndrücker umd noch mieser bezahlte Fahrer. Die ordentlichen BVG Tarifverträge gelten schon nicht mehr für Angestellte von BT, der zwecks Lohndumping gegründeten BVG-Tochter. Über die Fahrerlöhne beim Südwester und den neuen Ausschreibungsgewinnern wird nichts verlautbart. Sie können nur unter denen bei BT liegen. Ausbeutung ? Was sonst !

    2.4.2022 von Peter Neumann - Wie geht es Ihnen, Frau Hartmann? „Nicht gut. Ich stehe unter Strom“, sagt Claudia Hartmann, der das gleichnamige Busunternehmen in Mariendorf gehört. Und Ihnen, Herr Sarikaya? „Es kommt mir immer noch wie ein Traum vor. Wie ein böser Traum“, sagt Mustafa Sarikaya, einer der Busfahrer. „Vielleicht werde ich es erst begreifen, wenn am Sonntag tatsächlich Schluss ist.“ Der Mitarbeiter und seine Chefin stehen auf dem Betriebshof an der Greinerstraße unweit vom alten Gaswerk. Von den sonnengelben Bussen, die dort stationiert sind, werden die meisten schon bald nicht mehr da sein.

    Nicht mehr lange, dann sind alle Fahrzeuge verschwunden, denn die Omnibusgesellschaft Hartmann und die Firma „Der Südender“ werden abgewickelt. Nach 30 Jahren Tätigkeit für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben sie von dem Landesunternehmen keinen Auftrag mehr bekommen. An diesem Sonntag ist Schluss.
    Ein Lob für die „Jungs aus der Dispo“

    Ab 7 Uhr kehren die Busse nach ihren letzten Einsätzen für die BVG einer nach dem anderen auf den Betriebshof im Süden von Berlin zurück. Als letzter soll um 7.55 Uhr der Tourenwagen Nummer 52 eintreffen. Die finale Tour soll auf der Nachtbuslinie N40 zwischen der Turmstraße in Moabit zum Blockdammweg in Lichtenberg führen. Bus-Fans haben den Termin, der das Ende einer Geschichte markiert, in ihrer Szene großflächig angekündigt. Viele von ihnen wollen Abschied nehmen. „Ich weiß nicht, wie groß die Zahl sein wird und was uns Sonntagmorgen erwartet“, sagt Claudia Hartmann.

    Die Chefin zieht an ihrer Zigarette und versucht, die Endzeitstimmung zu vertreiben. Immer wieder rufen Fahrgäste an und äußern ihr Bedauern, erzählt sie. „Doch wir sind keine Opfer“, betont die Berlinerin, dessen Vater Wolfgang Hartmann in Steglitz in den 1960er-Jahren mit einem Reisebüro begann, vor 50 Jahren den „Südender“ und vor 30 Jahren die Omnibusgesellschaft Hartmann aufbaute. „Unser Ansporn ist, anständig durchzuhalten.“ Claudia Hartmann lobt ihre „Jungs aus der Dispo“, die sich erfolgreich darum bemühen, dass bis zum Schluss keine Fahrt ausfällt.

    Berliner Zeitung/Markus Wächter
    Busse – sogar an den Schranktüren. Claudia Hartmann in ihrem Büro.

    Was nicht einfach ist, weil von den zuletzt 280 Beschäftigten des Familienunternehmens viele schon gegangen sind. Seitdem die BVG Mitte Februar mitgeteilt hatte, dass die Geschäftsbeziehung in sechs Wochen endet, gab es viele Kündigungen. In den vergangenen drei Jahrzehnten setzte sich die Firma Hartmann bei jedem BVG-Vergabeverfahren im harten Preiswettbewerb durch, doch die jüngste Ausschreibung verlor sie. Die Aufträge für die nächsten knapp acht Jahre gehen an andere Betriebe, bestätigte die BVG. Neben dem Busverkehr Berlin, der Servicegesellschaft der Taxi-Innung und der bundeseigenen DB Regio Bus Ost bekommt ein Unternehmen, das im Berliner Nahverkehr bisher nicht tätig war, drei der sieben Lose: die Firma Schröder Reisen aus Langenau bei Ulm.

    Mustafa Sarikaya wird am Sonntag ebenfalls zum Betriebshof kommen, um die letzten Fahrten zu begrüßen. „Ich bringe meine Tochter mit“, sagt der Mann aus Friedenau. Sie ist elf Jahre alt. „So lange bin ich auch schon bei Hartmann. Die Stimmung ist familiär“ – Sommerfeste auf dem Hof, Weihnachtsfeiern. „Wenn man ein Problem hatte, konnte man immer zu den Vorgesetzten oder zur Chefin gehen“, erzählt der 46-Jährige. Als vor anderthalb Monaten die Nachricht kam, dass es ab Anfang April keine Aufträge von der BVG mehr gibt, war das für ihn ein Schock. „Auch meine Frau und meine Tochter haben geweint.“ Immerhin, Sarikaya gehört zu den Mitarbeitern, die einen neuen Job haben: „Am Montag fange ich bei Berlin Transport an“, einem Unternehmen der BVG.
    „Und dann wird es komisch“

    So viel steht fest: Der 3. April wird emotional, sagt Claudia Hartmann. Denn noch am selben Tag sollen 41 Mercedes-Busse vom Hof gefahren werden. „Als Erstes nimmt Evobus die Euro-5-Fahrzeuge zurück, um sie weiterzuverkaufen“, erklärt die Chefin. Später werden dann die 22 Busse der Abgasklasse Euro 6 abgeholt. Obwohl das Unternehmen ab Sonntag kein Geld mehr einspielt, wird Claudia Hartmann noch etliche Tage dort arbeiten. „Da ist noch viel zu tun: zum Beispiel Lohnabrechnungen, Zeugnisse, betriebliche Altersvorsorge, Ende Juni und Ende Dezember Bilanzen“, erklärt sie. Auch wenn die Beziehung mit der BVG kurzfristig endet – nicht wenige Mitarbeiter haben Kündigungsfristen bis Ende Oktober und müssen so lange bezahlt werden.

    Später im Jahr wird ihr Schreibtisch immer leerer werden, sagt Claudia Hartmann. „Und dann wird es komisch“ – was natürlich ironisch gemeint ist. Sie geht davon aus, dass bis Ende Oktober der Großteil der Firma abgewickelt sein wird. Was passiert dann mit ihr? Einen Moment habe sie daran gedacht, die Gastronomie, die es einst auf dem Firmengelände gab, wieder zu eröffnen. Die Gaststätte ihres Vaters habe die besten Buletten weit und breit gehabt, schwärmt die 53-Jährige. „Ich muss mir überlegen, ob ich im Busbereich weitermachen will. Aber erst einmal muss auch ich begreifen, dass es zu Ende ist.“ Da geht es ihr nicht anders als ihrem Fahrer Mustafa Sarikaya.

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