• Die Bürgergesellschaft ist am Ende

    https://www.nzz.ch/feuilleton/elite-und-politik-die-buergergesellschaft-ist-am-ende-ld.1306099

    Der Erfahrungsraum europäischer Gesellschaften löst sich auf. Die Individuen definieren sich wie im Ständestand über Gruppenzugehörigkeiten. Die Bürgergesellschaft geht am Identitätsgerede zugrunde.

    von Jörg Baberowski 15.7.2017

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    Wir haben vergessen, dass der Verachtung der Bürger für die Politiker die Verachtung der Politiker für die Bürger vorangegangen ist. Es gibt Le Pen und Wilders nur, weil die Demokratie als Staatsform nicht mehr leistet, was sie einst versprochen hatte, und weil sie von einer Elite gesteuert wird, die sich in liberale Posen wirft, aber alle Menschen verachtet, die die Wirklichkeit nicht als buntes Strassenfest erleben.

    Wandel und Beharrung müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, damit Menschen sich mit Veränderungen arrangieren können. Die meisten Menschen wollen in Ordnungen leben, die ihrem Leben entsprechen und es nicht täglich infrage stellen. Wer den Konsequenzen von Entscheidungen nicht ausweichen kann, wird dem Wandel der Verhältnisse anders begegnen als Menschen, die jederzeit das Weite suchen können. Wer keine Wahl hat, wird zu einer Schachfigur, die nach Belieben hin und her geschoben werden kann. Wandel, der nur noch als Diktat erlebt wird, erzeugt Ohnmacht und Wut, im besten Fall Resignation. Das ist die Welt, in der wir leben.

    Die Ideologie

    Der Siegeszug der identitären Politik, die nur noch Kultur, Religion und Geschlecht zu ihrem Gegenstand hat, von sozialen Fragen aber nichts mehr hören will, ist eine Folge dieses Wandels. Die politische Elite hat sich von den sozialen Strukturen befreit, deren Teil sie einmal gewesen war, sie schwebt ohne Bodenhaftung in einer Welt von Gesinnungsfreunden, in der es kein anderes Ziel mehr zu geben scheint als jenes, die Nation als Organisationsprinzip des Politischen zu zerstören.

    Die Ideologie des neoliberalen Globalismus hat am Ende doch gesiegt, nur tritt sie inzwischen in neuen Gewändern auf. Nicht vom ökonomischen Vorteil ist die Rede, sondern vom freundlichen Gesicht gegenüber jedermann. Wer hätte es noch vor Jahrzehnten für möglich gehalten, dass Wettbewerbsfetischisten und Linke einmal die gleiche Sprache sprechen würden, wenngleich sie es aus unterschiedlichen Gründen tun: die einen, weil sie grenzenlose Gewinne machen wollen, die anderen, weil sie von der Weltgesellschaft träumen.

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    #Bürgergesellschaft #Neoliberalismus #Identität #Globalismus
    #Civil_society #neoliberalism #Identity #globalism

    via https://diasp.eu/p/5958745