• Rolf Hochhuth zum Kudamm-Karree: „Es ist unerhört, dass solche Politiker nicht vor Gericht müssen“ | Berliner Zeitung
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    Rolf Hochhuth ist als Störenfried bekannt. Der Autor, einer der bedeutendsten Dramatiker der Nachkriegszeit, gehört seit Jahrzehnten zu den lautesten Unterstützern der Bühnen am Kurfürstendamm. Hochhuth hat den Ruf des Woelffer-Privattheaters in den 50ern als wegweisendes zeitkritisches Forum maßgeblich geprägt. Für ihn ist der geplante Abriss der Theater ein Symptom des Verschwindens von Kultur in Berlin. Er hat sogar ein Drama über ihre Geschichte geschrieben, das im Sommer erscheinen soll. 

    Nun sitzt er in seiner Wohnung zwischen Hotel Adlon und Holocaustmahnmal, trägt Hemd und Krawatte, ringsum türmen sich Bücherstapel. Vor ihm vor ihm steht eine Tasse Suppe, die er nicht angerührt hat. Wenn es um die Theater geht, kann sich Hochhuth in Rage reden. Er ist wütend, seine Stimme zittert, er überbietet sich mit drastischen Vokabeln.

    Herr Hochhuth, weshalb geht Ihnen der drohende Abriss der Theater so nahe?

    Ich habe eine ganz besondere Beziehung zu den Kudamm-Bühnen, weil dort am 20. Februar 1963 Erwin Piscator meinen „Stellvertreter“ uraufgeführt hat.

    Das ist das Stück, mit dem Sie berühmt wurden. Erinnern Sie sich noch an die Premiere?

    Aber sehr. Das war meine geistige Geburt. Ich habe das Stück ja in der Angst geschrieben, dass ich gar keine Bühne dafür finde. Ich hätte auch keine gefunden, hätte es nicht Erwin Piscator gegeben.

    Und die Bühne selber? Hatte die für sie auch eine Relevanz?

    Selbstverständlich. Sie war, als Berlin geteilt war, eine der bedeutendsten Bühnen Deutschlands. Die ganze internationale Dramatik der Gegenwart, die großen Amerikaner, die Franzosen, wurden ja dort uraufgeführt, dort und im Schillertheater. Vor allem wusste auch jeder von der Tradition dieses Hauses. Zwei Juden hatten die Bühnen gebaut und aus eigener Tasche bezahlt. Max Reinhardt und der berühmte Oskar Kaufmann. Es ist genau wie Theodor Fontane es gesagt hat: Die Juden finanzieren die deutsche Kultur, und wir Arier finanzieren den Antisemitismus. Es ist eine Kulturschande ohne Beispiel.

    Kulturschande ist ein harter Ausdruck.

    Darin drückt sich das Denken von Barbaren aus.

    Irritiert es sie, dass es so wenig Kritik an dem geplanten Abriss gibt?

    Andere sagen vielleicht nichts, weil sie wissen, dass die Einheitspresse es doch nicht druckt.

    Aber es ist viel darüber diskutiert worden, der Streit um den Verkauf geht Jahrzehnte zurück.

    Es war vor allem eine unerträglich bösartige Sozialdemokratin, Fugmann-Heesing, die die Bestandsgarantie zur Erhaltung dieser Bühnen für 8 Millionen D-Mark verhökert hat, ohne das Parlament zu befragen….

    … die frühere Finanzsenatorin, die 1989 dem damaligen Eigentümers Rafael Roth die Sicherung für die Theater verkaufte.

    Ein Verbrechen ohne Beispiel. Es ist unerhört, dass solche Politiker nicht vor Gericht müssen, wenn sie ohne das Parlament zu befragen, diesen Abriss ermöglichen. Aus Hass auf Kunst. Es kann ja kein anderes Motiv geben.

    Sie haben sich gar nicht geeinigt. Die Wahrheit wird vertuscht. Ein Theater wird völlig vernichtet, und das andere wird in einen Keller verlegt. Ich bitte Sie! Muss Berlin ein Theater in den Keller verlegen? In der prominentesten Straße? Bismarck hat über den Kudamm gesagt: Diesen herrlichen Corso den blöden Berliner Behörden aufzuzwingen, war der härteste Kampf meines Lebens.

    Der Senat vertritt die Ansicht, dass es keine andere Lösung gab.

    Es ist unbegreiflich. Ich hatte darüber mit Herrn Momper gestritten. Er sagte dann, ich weiß es jetzt noch: Aber wenn doch diese Theater den Wert des Gesamtareals dermaßen drücken…

    Das sagte Herr Momper zu Ihnen?

    Ist das nicht ekelhaft? Der Kaiser hat Theater gebaut, die Demokratie reißt sie ab.

    Waren die zwei Boulevardtheater als Kulturstandorte nicht wichtig genug?

    Wer seinen Hund töten will, bezichtigt ihn der Tollwut. Das ist ein fabelhaftes Theater. Es gab große Regisseure, Oscar Fritz Schuh, oder eben Piscator, und den Gründer Max Reinhardt. Man muss sich vorstellen, was das für eine kulturelle Leistung der Familie Wölffer ist, dass sie jahrzehntelang ohne Subventionen ausgekommen sind.

    Nach der 150. Aufführung meiner „Hebamme“ mit Inge Meysel fragte mich der Großvater des jetzigen Woelffer: Wollen Sie das Theater jetzt nicht kaufen, Herr Hochhuth? Das hätte mir sehr wenig Mühe gemacht finanziell. Weil Berlin damals in den 70ern ummauert war, hätte ich vom Bund große Zuschüsse bekommen. Ich hätte das natürlich tun müssen. Aber es gibt so manche Momente, da ist man wie vom Pferd getreten. Ich sagte, Herr Wölffer, wenn ich selbst ein Theater habe, werde ich ja nichts mehr schreiben können. Ich hätte nur sagen müssen: Wenn Sie und ihr Sohn es weiter führen… aber das kann man sich hinterher gar nicht mehr erklären. Da ist man ein Idiot.

    Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das Theater mit dem maroden Einkaufszentrum ringsum jetzt sehen?

    Das war ja ein Flachbau, mit einem schönen freien Platz dafür, wie es sich für ein Theater gehört. Wie man überhaupt auf die Idee kommt, einer Frau Kressmann-Zschach zu erlauben, das aufzustocken und es schon äußerlich so zuzurichten, dass es von Tausend anderen Warenhäusern gar nicht mehr unterschieden werden kann, dann zeigt man schon, dass man der Kultur nur einen sehr geringen Stellenwert beimisst.

    Die Architektin Kressmann-Zschach hat das Kudamm-Karrée in den 70er Jahren gestaltet.

    Man kann ja so weit gehen zu sagen: Die Demokratie hat sehr großen Anteil daran, dass die Kunst keine Rolle mehr spielt. Glauben Sie dass es einen Touristen gibt, der sich für Kunst interessiert und eine Stadt besucht, die von Demokraten statt von Fürsten gebaut wurde? Gut, Frankfurt am Main, oder Lübeck. Aber sonst?

    Sind Sie in Kontakt mit dem Unterstützerkreis der Kudamm-Bühnen?

    Ich habe mehrmals öffentlich darüber geschrieben. Es ist ein Zeichen des Raubtierkapitalismus, der uns regiert, dass denkmalgeschützte Gebäude vernichtet werden können.

    Aber die Theater sind ja nicht denkmalgeschützt.

    Aber das hätte man ja machen können! Bevor die Kressmann-Zschach ihr barbarisches Einkaufszentrum daraufsetzte. Wir haben über 86 Einkaufszentren in Berlin, muss man da wo so ein großes Theater ist auch noch eins hin bauen? Und das Theater in den Keller verlegen? Es ist so schändlich, dass man nur lachen kann darüber.

    Das ist eigentlich ein Theaterstück.

    Das ist der dritte Akt meines Stücks. Da schreibe ich gerade dran. Das Stück heißt: Germany, 52. US-Bundesstaat.

    Ist diese Geschichte typisch für Berlin? Hätte sie auch in London oder Paris spielen können?

    Undenkbar.

    Aber der Kapitalismus funktioniert global.

    Ja, aber die Behörden sind dort so an Kultur interessiert, dass sie so etwas verhindern. So etwas lässt sich ja verhindern. Die Behörden können sagen: Hier wird nicht das 87. Warenhaus hingebaut. Wir sind eben ein Kulturvolk zweiten Ranges.

    Woran liegt das genau?

    Es ist die hündische Unterwürfigkeit der Politik gegenüber dem Großkapital – die identisch ist in allen Parteien.

    Sie haben im Februar 2017 auch im Kulturausschuss gesprochen. Wie sind ihre Worte da aufgenommen worden?

    Man hat mir das Wort abgeschnitten, weil ich länger als vier Minuten reden wollte.

    Wie waren die Reaktionen der Politiker?

    Völlig gleichgültig. Allein die Wirtschaft ist in diesem Land maßgebend.

    Andererseits sind die Theater sind ja nicht alleine. Der gesamte Kudamm hat sich stark verändert. Fast alle Cafés und Kinos sind von Modeketten verdrängt worden.

    Das Verschwinden der Cafés ist auch ein Verschwinden der Kultur. Das ist gar keine Frage. In all das müssten natürlich die Behörden eingreifen. Dass man jetzt im Kranzler nur noch Textilien kaufen kann, und wenn man ein Stück Torte will, muss man in einen Lift klettern, kleiner als ein Klo, und in den dritten Stock fahren. Oder dass das unsterbliche Café Möhring jetzt ein Textilgeschäft ist.

    Zurück zu Ihrem neuen Buch, in dem die Kudamm-Bühnen Thema sind. Um was geht es genau?

    Um ihre Vernichtung natürlich. Und um ihre große Geschichte. Denn wenn da ein 18-Jähriger Student im Publikum ist, der kann ja nicht mehr wissen, wer Max Reinhardt ist.

    Sie arbeiten das Thema dokumentarisch auf?

    Ich kann mit diesem Wort nichts anfangen. Als der Stellvertreter herauskam, wurde mit das angeklebt wie ein Viehstempel: Dokumentartheater. Ich habe mich sehr dagegen gewehrt.

    Wie gehen Sie denn mit der Geschichte um? Halten Sie sich an die historischen Vorfälle?

    Der dritte Akt nötigt mich zu einer ungewöhnlichen Machart: Ich habe Edith Hanke, die große Kabarettistin, wieder zum Leben erweckt, die hat ja sehr oft am Kudamm gespielt. Hinter sich hat sie Stühle stehen, wenn sie auf die Bühne tritt und sagt: Ich möchte Sie bitten, verehrtes Publikum, mitzureden, denn ich habe die gesamte Berliner Prominenz, Fugmann-Heesing, Momper, eingeladen, zu dieser Diskussion zu kommen, aber sie waren alle zu feige zu dem zu stehen, was sie angerichtet haben, nämlich die Vernichtung der Bühnen. Und deswegen habe ich hier Stühle frei. Kommen Sie aus dem Publikum. Das muss so sein.

    Und dann sollen wirklich Leute kommen?

    Ja, natürlich. Das Titelbild ist auch eine große Publikumsdiskussion, wie sie auf der Straße stadtgefunden, hat auf dem Kurfürstendamm. Das zeigt die totale Ohnmacht des Normalverbrauchers.

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