31.8.2023 von Bettina Müller - Kollektives gebanntes Starren auf Berliner Kino-Leinwände im Jahr 1920. Expressionistische Bühnenbilder, die äußerst bedrohlich wirken, und dann die alles entscheidende Frage: Wer oder was schleicht da oben durch die Nacht und drückt sich an der Wand entlang?
Es ist eine große und schlanke Gestalt, fast wirkt sie katzenhaft, ist aber auch irgendwie mit einer Aura der Einsamkeit umflort. Gleichzeitig spürt man diese latente Bedrohung, die von ihr ausgeht. Und dann ist da auch noch dieses sargartige Gebilde, in dem das Wesen namens „Cesare“ schläft, und das von dem mysteriösen Dr. Caligari als Jahrmarktsattraktion durch das Land gekarrt wird.
Was niemand ahnt: Auf Geheiß des „Doktors“ mordet Cesare. Und als der in einer Szene die großen, schwarz umrandeten Augen zum ersten Mal nach langem tiefem Schlaf öffnet, fällt eine Kinobesucherin in Ohnmacht. Der Schock sitzt tief.
Es war vor allem diese Rolle, die den Schauspieler Conrad Veidt dem Kino-Publikum sehr eindrücklich nahe brachte und die sich nachhaltig im Unterbewusstsein festkrallte. Man war verstört und gleichzeitig fasziniert von diesem ungewöhnlichen Schauspieler. Der Film spiegelte das Verzerrte der Zeitumstände und die zerstörten Biografien der Menschen auf eine neue Art und Weise wieder.
Die Weimarer Republik lag in ihren Anfängen und stürzte dabei aber schon von einer Krise in die andere. Der expressionistische Stummfilm war geboren, der Angst und Entsetzen in düsteren Bildern kongenial auf die Leinwand bannte. Es war wirklich alles aus den Fugen geraten.
Für Conrad Veidt wurde es mit der Zeit schwierig, sich von diesem dämonischen Image wieder loszusagen, das vor allem eben durch diesen Film entstanden war. Dass er ursprünglich Theaterschauspieler war, rückte zunehmend in den Hintergrund. Es sollte ihm tatsächlich nie wieder gelingen, dieses düstere Image abzulegen.
Hinzu kam, dass das nicht zuletzt auch von der Filmproduktion gepflegt wurde, die Veidt auch auf zeitgenössischen Starpostkarten – führend war dabei der Berliner Ross-Verlag – als bestimmten Typus verkauften, was sich im Bewusstsein der Zuschauer, die noch nicht so wirklich zwischen der Alltagsrealität und der Kinowelt unterscheiden konnten, mit der realen Persönlichkeit Veidts vermischte.
Gerne zeigte man ihn mit einer Zigarette in der Hand, zwar war er elegant gekleidet, aber wirkte durch die schwarz umrandeten Augen, die einen Hauch von Drogenkonsum andeuteten, eher dekadent und verrucht. So wurde umso mehr auch der „dämonische Blick“ betont, der ihm stets nachgesagt wurde.
In der allerersten Biografie Veidts, die Paul Ickes 1927 über ihn schreiben würde, versuchte der Autor, ihn als eigentlich ganz normalen Menschen zu porträtieren. Als jemand, der natürlich dem ausschweifenden Berliner Lebensstil entsagte und stattdessen den Abend lieber bei seiner Familie verbrachte.
Nachdrücklich betonte Veidt selber darin auch, dass er ganz und gar undämonisch sei. Aus dieser ersten Biografie wurden dann aber auch gewisse familiäre Schwierigkeiten deutlich, die sich auf sein weiteres Leben ausgewirkt haben mögen: eine übergroße Nähe zu der Mutter und ein eher distanziertes Verhältnis zum Vater.
Vom Hochtaunus nach Berlin
Schon früh versuchte sich Veidt selber an einer Legendenbildung und setzte zum Beispiel das falsche Gerücht in Umlauf, er sei in Potsdam geboren worden. Auffallend schweigsam war er vor allem, was die Herkunft seines Vaters und dessen Familie anging. Denn die war unglamourös und passte eben auch nicht zu dem Bild, das sich die Kinozuschauer von dem Schauspieler machen sollten.
Ein uraltes Kirchdorf im Hochtaunus in einer sehr waldreichen Gegend war die Heimat der Familie Veidt: Rod an der Weil, wo Steinbeilfunde darauf schließen ließen, dass sich dort bereits in der Jungsteinzeit Menschen angesiedelt hatten. Lediglich um die 135 Einwohner hatte das Dorf „Rode uff der Wilen“ im Jahr 1511, 1279 wurde es zum ersten Mal als „Rode“ erwähnt.
Noch heute ist der Familienname „Veidt“ im Kreis weit verbreitet. Hans Walter Conrad Veidt wurde am 22. Januar 1893 als Sohn des Feldwebels Philipp Heinrich Veidt und dessen Ehefrau Amalie Marie Anna geb. Göhtz geboren, und das eben nachweislich in Berlin.
Der Vater, ursprünglich Zimmermann, war 1880 zum Militär eingezogen und 1887 zum Feldwebel ernannt worden. Im selben Jahre heiratete er in Berlin Anna Göhtz, zeitgleich hatte er sich stets an seiner Regimentsschule weitergebildet.
Doch es sollte anders kommen, als der ehrgeizige Philipp Veidt es sich ausgerechnet hatte. Kurz nach der Geburt seines Sohnes schied er am 31. August 1893 als Invalide aus dem aktiven Militärdienst aus, behielt aber die Berechtigung, weiter in der Militär-Verwaltung arbeiten zu dürfen.
Am 21. April 1896 wurde er Kanzlei-Hilfsarbeiter beim Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin. Stationen, die sich dem Lebenslauf aus seiner Personalakte als Kanzleisekretär entnehmen lassen, die im Bundesarchiv aufbewahrt wird.
Ein Jahr später, da war Conrad gerade vier Jahre alt, attestierte ihm der Berliner Arzt Dr. Hugo Flatow eine „hochgradige Nervosität einer Influenza“ und empfahl „zu seiner Wiederherstellung einen sofortigen vier bis sechs-wöchentlichen Urlaub“. Keine einfachen Umstände im Hause Veidt, doch am 1. Juli 1905 schien die Gesundheit des Vaters weitestgehend wieder hergestellt gewesen zu sein und Philipp Veidt wurde zum Geheimen Kanzleisekretär im Reichsschatzamt ernannt.
Für ihn, den strammen preußischen Soldaten, war der Berufswunsch seines Sohnes vermutlich ein Desaster, waren schon die schulischen Leistungen des Sohnes auf dem Gymnasium nicht berauschend gewesen. Stattdessen hatte Conrad seine Freizeit lieber ständig in der Nähe des Deutschen Theaters in der Hoffnung verbracht, einmal dort vorsprechen zu dürfen.
Als dieser Traum eines Tages dann tatsächlich wahr wurde, er dem legendären Max Reinhardt vorsprechen durfte und er schließlich seine erste Statistenrolle erhielt, gab es für ihn kein Zurück mehr. Der Erste Weltkrieg unterbrach die künstlerischen Ambitionen, die Veidt sinnvoll nutzte, indem er Fronttheater spielte.
Philipp Veidt erlebte den Erfolg seines Sohnes nicht mehr. Am 22. Juni 1917 wurde er tot in seiner Wohnung in der Salzburger Str. 5 in Berlin-Schöneberg aufgefunden. Als Todesursache war im Sterbebuch der Alt-Schöneberger Kirche „Gasvergiftung“ eingetragen.
Ein tragischer Tod, der – ebenso wie die Herkunft der Familie Veidt – bis heute in keiner Biografie genannt wurde. Als Conrad Veidt dann durch Max Reinhardts Bruder Edmund erneut ans Deutsche Theater vermittelt wurde, war das der Beginn seiner steilen Karriere in Deutschland.
Physiognomie und Ausstrahlung, alles schien perfekt in die Zeit der Weimarer Republik zu passen. Zeitweise gehörte Veidt in den 1920er-Jahren zu den beliebtesten Filmstars – hinter den heute fast vergessenen Schauspielern Harry Piel, Otto Gebühr und Harry Liedtke, positionierte er sich im Ranking einer Filmzeitschrift in den Jahren 1923 bis 1926 auf Rang 4.
Dabei gab sein Privatleben stets Anlass zu Spekulationen: Veidt heiratete insgesamt dreimal, wobei böse Zungen stets behaupteten, dies sei nur dem Versuch geschuldet gewesen, seine unzähligen weiblichen Fans nicht mit dem Wissen zu verstören, dass er eigentlich homosexuell sei.
Das Gerücht hatte sich besonders seit dem Film „Anders als die anderen“ hartnäckig gehalten, einer der unzähligen sogenannten Aufklärungsfilme des Regisseurs Richard Oswald, in dem Veidt einen homosexuellen Musiklehrer spielte, der sich in seinen Schüler verliebte und am Ende Selbstmord beging.
Emigration 1933
Unkonventionelle Rollen mit oft heiklen Themen, die dritte Ehefrau Halbjüdin, und vor allem sein Ruf als Gegner des neuen Regimes führten 1933 schließlich zu seiner Emigration nach England. Vor allem mit dem Film „Jew Suess“ – nicht zu verwechseln mit dem antisemitischen Machwerk „Jud Süß“ von Veit Harlan – einem historisches Drama, in dem Veidt als Süß Oppenheimer, Minister des württembergischen Herzogs, für die Gleichberechtigung der Juden an dessen Hof kämpft, machte er sich bei den deutschen Machthabern noch unbeliebter.
Die weitere Konsequenz: 1938 nahm Veidt die britische Staatsbürgerschaft an. Einer seiner in Deutschland kaum bekannten englischen Filme, „The Passing of the Third Floor back“ (Der Fremde vom dritten Stock), den man zum Beispiel bei YouTube sehen kann, zeigte in gewisser Weise auch das ewige Dilemma eines Schauspielers, dem sein Image wie Pattex anhaftete, sodass es weiter auf seine Rollen Einfluss nahm.
Veidt spielte darin einen mysteriösen Fremden, der in einer schäbigen Londoner Pension die Geschicke der Bewohner zu beeinflussen schien. Das machte er in einer Szene ohne Worte und lediglich durch einen langen hypnotisierenden Blick, der die junge Pensionsbewohnerin davon abhalten sollte, die von ihrer Mutter erzwungene Ehe mit einem unsympathischen Geschäftsmann einzugehen.
Bis zum Ende wurde die wirkliche Identität Veidts darin nicht aufgelöst, sie blieb, wie er Zeit seines Lebens selber, rätselhaft und ambivalent. 1940 übersiedelte Veidt schließlich nach Amerika, wo er vor allem 1942 durch die Mitwirkung am Hollywood-Klassiker „Casablanca“ auffiel, in dem er schon wieder den bad guy spielen musste, den bösen Deutschen, auch bedingt durch den hörbaren Akzent, der ihm noch weniger Spielraum als sonst ließ.
Ein Jahr später erlag er am 3. April 1943 beim Golfspiel einem Herzinfarkt. Conrad Veidt, dessen Filmografie über 100 Rollen beinhaltet, hat seine Heimat nach der Emigration nicht mehr wiedergesehen. Die Urne mit seinen sterblichen Überresten fand ihre letzte Ruhe in London. Die Nachricht vom Tod der Persona non grata Conrad Veidt durfte in Deutschland nicht gemeldet werden.