• 1400 Kilometer Eiserner Vorhang: Ein DDR-Grenzer auf der Wanderung seines Lebens
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    16.6.2025 von Maritta Adam-Tkalec - Warum Günter Polauke mit 76 Jahren das Grüne Band an der Ost-West-Grenze entlangläuft: „Nur gegen Krieg reden, hilft ja nicht.“ Er hat interessante Begleitung.

    Es gibt Menschen, die halten niemals die Füße still oder den Mund geschlossen – weil sie etwas verbessern wollen in ihrer unmittelbaren Umgebung, für das Gemeinwesen, ja, auch für die Menschheit. Andere schrecken vor den damit einhergehenden Konflikten zurück. Zu ersteren gehört Günter Polauke, Jahrgang 1948, Prenzlauer-Berg-Nachkriegskind aus antifaschistischer Familie, der den Vornamen seines im Alter von 21 Jahren in der Normandie gefallenen Onkels bekam: ein unverbesserlicher Optimist mit stabilem Gemüt und jener Art positiver Energie, die leicht auf andere überspringt.

    Seit 11. Juni 2025 trägt er seine 76 Lebensjahre, davon etwa die Hälfte DDR-Zeit, gewissermaßen als zweiten Rucksack das Grüne Band entlang. Diesen freundlichen Namen trägt seit 9. Dezember 1989 die einstige Ost-West-Grenze. 1200 seltene oder gefährdete Tier- und Pflanzenarten leben dort, wo einst kahle Fläche, robuste Metallzäune und Minenfelder einen Todesstreifen bildeten. Heute erstreckt sich ein einzigartiger Natur- und Geschichtsraum, mal 30, mal 200 Meter breit, über exakt 1393 Kilometer. Am Rande liegen Städtchen und Dörfer, deren Einwohner tausendfach unerzählte Lebensgeschichten in sich tragen.

    Als 18-Jähriger mit MP am Todesstreifen

    Diesen Weg will Günter Polauke laufen ­– durch Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, bis zum Ende, 80 Prozent davon Kolonnenweg, also mit Betonlochsteinplatten belegte Strecke, auf der einst DDR-Grenzposten patrouillierten. Polauke gehörte zu ihnen. Von 1967 bis 1970 leistete er Wehrdienst im Grenzabschnitt bei Salzwedel, wurde Feldwebel, auch Ausbilder. Er weiß, worum es geht, wenn von Schüssen auf DDR-Flüchtlinge die Rede ist. Mindestens 260 Tote hat es in den Jahren des Eisernen Vorhangs gegeben. „Ich stand da als 18-Jähriger mit der MP und 60 Schuss Munition“, sagt er heute, „glücklicherweise ist niemand gekommen. Was ich getan hätte, wenn es passiert wäre? Ich weiß es nicht.“

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    Das Grüne Band beginnt am Dreiländereck Sachsen/Bayern/Tschechien und verläuft entlang der ehemaligen Staatsgrenze durch Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.Grafik: BLZ.

    Es treibt ihn um, dass jetzt so viele Menschen über Krieg reden. Eine Waffe zu tragen, bedeute Verantwortung: „Politiker vergessen, in welche Situation sie Soldaten versetzen. Sie entscheiden fernab, die Soldaten verbluten im Graben.“ Deshalb sagt Polauke: „Nun soll wieder kriegstüchtig gemacht werden? Das kann nicht sein.“

    Aber was kann man tun? „Worte allein helfen ja nicht.“ Seine Antwort: „Fang bei dir selber an.“ So kam es, dass er sich nach monatelanger Vorbereitung auf den Weg machte, um als Pilger am Grünen Band sein Leben noch einmal abzugehen. Als Katharsis, oder dialektisch mit Hegels Begriff der „Aufhebung“ gesagt: Überwinden eines Widerspruchs, wobei die positiven, wertvollen Elemente erhalten bleiben und fortgeführt werden und die negativen entfallen. In Günter Polaukes Worten klingt das so: „Das Leben rückwärts zu verfolgen, heißt zu gucken, was man hatte. Ich will mit mir selber ins Reine kommen und mit Leuten am Weg ins Gespräch treten.“

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    Zwischen den in Mödlareuth erhaltenen Sperranlagen, links der Metallzaun, rechts die Betonmauer und ein WachturmSven Goldmann/Berliner Zeitung

    In seinem Fall fällt die Auseinandersetzung intensiver aus, als es allein seine Jahre als Grenzschützer erklären können. Von Beruf Ökonom mit Diplom der Handelshochschule Leipzig, SED-Mitglied, war Polauke 1986 bis 1989 Bürgermeister des Ost-Berliner Bezirks Treptow. Das hieß auch: 17 Kilometer Grenze zu West-Berlin, ein Stück Kreuzberg, ein Stück Neukölln. „Da war ich als politisch Verantwortlicher an der Grenze“, sagt er. Infrage gestellt habe er sie nicht; es sei eine „politische Gegebenheit“ gewesen.

    Als Bürgermeister nahm er regelmäßig an Fahrten in die Grenzzonen teil. Er wusste, was da los war, kannte die Festlegungen, wie bei Grenzdurchbrüchen zu handeln war. Oberstes Gebot: „Schusswaffe nicht anwenden. Flucht im Vorfeld verhindern.“ Trotzdem starb ausgerechnet in seinem Bezirk Chris Gueffroy: der letzte Berliner Mauertote, ein 21-Jähriger, der nach einem Kneipenbesuch in einer Kleingartenanlage beschloss, den Grenzdurchbruch zu wagen. Er kam am Abend des 5. Februar 1989 durch Kugeln von DDR-Grenzsoldaten ums Leben. „Jeder Todesfall war schrecklich und traurig“, sagt Polauke.

    Nach der Wende trat er bald als Bürgermeister zurück; er war von Amts wegen in die gefälschten Kommunalwahlen von 1989 verwickelt: „Ich konnte nicht mehr vor die Volksvertreter treten“, sagt er. Im Februar 1990 fing er ganz unten wieder an: in einer Kaufhalle in Köpenick. Weil er aber nun mal ist, wie er ist, stand er bald wieder in Verantwortung im Ehrenamt, als gewählter Vorsitzender des Sportvereins TSC – und führte 1998 bis 2011 den traditionsreichen Verein aus der Nachwendekrise. Seit 2001 ist Polauke SPD-Mitglied. Mit seiner Biografie ging er immer offen um.

    Wegen der Weltpolitik als Einzelner in die Lage zu kommen, einen Menschen zu töten, das lässt menschliche Gemüter nicht so leicht los. Schon gar nicht einen wie Polauke, den ja Empathie den Menschen zutreibt. Um damit fertig zu werden, die kleine eigene wie die große Geschichte zu bewältigen, begibt er sich zweieinhalb Monate auf Wanderschaft.

    Der größte Teil wird Einsamkeit sein, viele Stunden zum Nachdenken, Rekapitulieren. Inneren Frieden schließen mit Menschen, mit denen man haderte und stritt, aber auch klar Haltung beziehen, zum Beispiel zum jüngsten Krieg in Europa: „Ich bin solidarisch mit den von Russland überfallenen Ukrainern. Aber der Krieg in der Ukraine ist nicht mein Konflikt. Dort wird nicht meine Freiheit verteidigt.“ Er zweifelt: „Haben wir alle Mittel zum Friedenschaffen ausgeschöpft?“

    Deshalb sucht er am Wegesrand das Gespräch; man müsse doch im Austausch bleiben, vor allem mit der Jugend – auch wenn die Meinungen ganz verschieden seien. Er spürt seit längerem: „Die Leute haben wieder Angst.“

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    Rast im thüringischen Hirschberg am Saale-Ufer. Günter Polauke trägt seine „Grenzgänger“-Kappe.Sven Goldmann/Berliner Zeitung

    An den ersten Wandertagen ergeben sich die Gespräche wie von selbst. Ein älterer Herr besucht zusammen mit seiner Frau und einer Freundin noch einmal die Orte, wo er selbst als Grenzer in den 1970er-Jahren Dienst tat. Ein anderer steht am Gartenzaun seines Hauses, und bald stellt sich heraus: Auch er war einst Grenzsoldat. Eine Frau erzählt von 40 Jahren Leben im Sperrgebiet, nicht mal der Bruder aus Jena habe sie besuchen dürfen. Jetzt allerdings, bei offener Grenze, habe ihr Ort keinen Bäcker mehr, keinen Arzt, keinen Bürgermeister.

    Eine alte Dame sucht an der Saalebrücke bei Hirschberg gezielt Kontakt mit Durchwandernden. Sie hat einen Zettel mit einem Gedicht von Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) dabei; das soll man laut vorlesen: „Ihr wilden Gänse habt es gut, / Ihr ziehet frei und wohlgemut / Von einem Strand zum andern Strand / Durchs ganze liebe deutsche Land.“ Und weiter: „Uns zahmen Menschen geht′s nicht so: / Wir reisten gern auch frei und froh / Ununtersucht und unbekannt / Durchs ganze liebe deutsche Land.“ So war es 1840, und ist es nicht wieder so? Das Trauma der Teilung lebt. Und wird neu belebt.

    Das Ziel: Günter Polauke wird, so alles gutgeht, Ende August wohlbehalten an der Ostsee ankommen.

    Dabei sein: Wer will, kann seinen Weg auf www.guenterpolauke.de oder auf Instagram begleiten und Tagebucheinträge lesen. Wer sich für ein Wegstück anschließen will, kann das tun.

    Hier kann man den Tatsachen nicht ausweichen: Die Leute in den Grenzgebieten traf die Nachkriegsordnung mit aller Härte. Ganze Orte wurden umgesiedelt. Wer blieb, sah „die andere Seite“ nur Meter entfernt. Doch Blickkontakt war untersagt. Das Regime wurde von Jahr zu Jahr strenger. Ein älterer Mann erzählt, was es bedeutete, dass der Gartenzaun zugleich der Grenzzaun war. Flog der Ball der Kinder beim Spiel über den Zaun, also die Grenze, baten sie in den ersten Jahren noch die Posten auf der anderen Seite, den Ball in die Saale zu werfen, sodass sie ihn an der nächsten Brücke einsammeln konnten. Bald war das undenkbar geworden.

    Zwei Tage lang begleiteten zwei Freunde Polaukes Gang, zweimal etwa 20 Kilometer Kolonnenweg durch die ersten heißen Tage des Jahres: Holger Friedrich, der Verleger der Berliner Zeitung, war dabei, weil „diese glaubwürdige Art der biografischen Aufarbeitung unterstützt gehört“.

    Der zweite war Heskel Nathaniel, ein aus Israel stammender Immobilienentwickler, der vor 20 Jahren, als er längst Berliner war, selbst eine große Aktion organisierte, um ein Zeichen zu setzen. Damals erschütterten Terroranschläge Israel. Bei einem Joint mit einem Freund sei die Idee entstanden: „Wir müssen all den schlechten Nachrichten eine gute entgegensetzen.“ Es sollte einen „Berg der israelisch-palästinensischen Freundschaft“ geben.

    Namenlose Berge, deren Erstbesteiger das Recht zur Namensvergabe haben, standen nur noch in der Antarktis. Die Aktion war dann eine Weltnachricht: 2004 segelten vier Palästinenser und vier Israelis, je drei Männer und eine Frau, 1000 Kilometer von Südchile in die Antarktis, wanderten zehn Tage durchs Eis und gaben einem 997 Meter hohen Berg den hoffnungsvollen Namen. Geholfen habe es nicht viel, sagt Heskel Nathaniel, aber was wäre, wenn alles wegen anscheinender Aussichtslosigkeit unterbliebe?

    Die Grenzanlagen: Heute in BUND-Hand

    Er erzählt die Geschichte in Nordhalben, Bayern, knapp südlich des einstigen Eisernen Vorhangs, in einem kleinen Café bei einem Schwedenbecher kurz vor dem Abschied von Günter Polauke, der nun gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit der Kriegslogik anwandert: durch in 35 Jahren gewachsene Gehölze, die auf dem einst kahl gehaltenen Grenzstreifen wuchern. Über weite Strecken verläuft parallel zum Kolonnenweg der sogenannte Kfz-Graben, der den Grenzdurchbruch mit Fahrzeugen stoppen sollte. Immer wieder stößt der Wanderer auf Reste des Originalmetallzaunes. Eine mächtige Infrastruktur, um 1400 Kilometer über Berg und Tal dicht zu machen.

    Heute spürt der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), was es heißt, das Biotop zu bewahren. Noch gibt es keine durchgehende Kennzeichnung des Wanderweges, obwohl die Zahl der Menschen stetig steigt, die zumindest Teilstrecken gehen.

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    Günter Polauke (M.) und Begleiter auf dem Kolonnenweg, links der Grenzstreifen mit Zaun und Kfz-GrabenSven Goldmann/Berliner Zeitung

    In Mödlareuth, wo die kleine Gruppe um Polauke startete, sind die Grenzanlagen in krasser Form erhalten. Schon immer trennte der Tannbach das jahrhundertealte, heute 55 Einwohner zählende Dorf. Seit 1810 verlief entlang des Bachs quer durch Mödlareuth die Grenze zwischen dem Königreich Bayern und dem Fürstentum Reussen-Lobenstein. Das störte nie, die Nachbarn feierten gemeinsam, gingen in eine Schule – bis die Spaltung Europas auch Deutschland trennte. Und ihr Dorf zerriss.

    1952 entstand eine übermannsgroße Bretterwand quer durchs Dorf, 1966 eine 700 Meter lange Betonsperrmauer mit Wachtürmen und all den Grenzanlagen, wie sie auch West-Berlin umschlossen. Amerikanische Militärs nannten Mödlareuth „Little Berlin“. Am 9. Dezember 1989 öffnete ein Bagger einen direkten Übergang. Die wichtigsten Grenzanlagen sind erhalten und heute Teil des Deutsch-Deutschen Museums Mödlareuth.

    Günter Polauke hat sich gefreut, dass man ihm dort freundlich begegnete, obwohl er von der „Täterseite“ kommt und unumwunden einräumt: „Ich bin kein Opfer.“ Doch er ist froh, dass die Grenze Vergangenheit ist: „Gut, dass wir heute darüber reden können.“

    #Allemagne #histoire #DDR #RDA #BRD #guerre_froide

  • 29 mai 1994 à Santiago du Chili il, y a 31 ans, mort d’Erich Honnecker, résistant antifasciste et septième chef d’état de la RDA
    http://www.glasnost.de/db/DokZeit/92honerkl.html

    Inhalt
    I. Erich Honecker nach seinem Ruecktritt / Chronologie
    II. Erklaerung Erich Honeckers vor dem Berliner Landgericht vom 3. Dezember 1992

    I. Chronologie:

    18.10.1989 Honecker tritt auf der 9. ZK-Tagung der SED
    von allen Aemtern zurueck
    03.12.1989 Ausschluss aus der SED
    08.12.1989 DDR-Staatsanwaelte werfen Honecker Vertrauens-
    missbrauch und Korruption, spaeter auch Hochverrat
    vor

    29.01.1990 Festnahme bei Entlassung aus der Charite nach
    Krebsoparation. Inhaftierung im Gefaengnis Rummelsburg.
    30.01.1990 Freilassung wegen Haftunfaehigkeit. Pfarrer Holmer nimmt
    das wohnungslose Ehepaar in Lobethal auf.
    03.04.1990 Uebersiedlung ins sowjetische Militaerhospital Beelitz
    bei Berlin
    01.12.1990 Haftbefehl der Berliner Justiz

    13.03.1991 Mit einer sowjetischen Militaermaschine wird das Ehepaar
    Honecker nach Moskau ausgeflogen
    14.03.1991 Bonn uebermittelt der UdSSR ein Auslieferungsersuchen
    18.11.1991 Honecker beantragt Asyl
    09.12.1991 Russlands Regierung: Honecker muss das Land bis zum
    13.12.1991 verlassen.
    11.12.1991 Flucht des Ehepaars in die chilenische Botschaft in
    Moskau

    19.02.1992 Chiles Aussenminister Vargas erkllaert, Honecker koenne
    in sein Land kommen, wenn Russland zustimmt.
    15.05.1992 Berliner Justiz legt 783 Seiten lange Anklageschrift
    wegen 49fachen Totschlags vor.
    29.07.1992 Von russischen Beamten wird Honecker gezwungen, Chiles
    Botschaft zu verlassen. Flug nach Berlin-Tegel. Inhaftierung
    im Gefaengnis Alt-Moabit 12a
    30.07.1992 Honecker werden zwei Haftbefehle verkuendet: wegen 49fachen
    Totschlags und Veruntreuung oeffentlicher Gelder zur Versor-
    gung der Funktionaerssiedlung Wandlitz
    16.08.1992 Ein aerztliches Gutachten attestiert Honecker Leberkrebs
    12.10.1992 Gutachter: Honeckers Lebenserwartung bestenfalls noch
    18 Monate
    16.10.1992 Haftverschonung wird abgelehnt
    12.11.1992 Prozesseroeffnung ohne Stoph. Wenig spaeter scheidet
    Miehle aus.
    03.12.1992 Honecker verliest vor Gericht seine ERKLAERUNG/s.unten
    17.12.1992 Gutachter schaetzen, dass Honecker nur noch 3 bis 6 Mon.
    lebt.
    21.12.1992 27. Strafkammer beschliesst: Prozess gegen Honecker geht
    weiter

    05.01.1993 Richter Braeutigam muss wegen Befangenheit aus dem Prozess
    ausscheiden.
    07.01.1993 Verfahren gegen Honecker wird von dem gegen die Mitange-
    klagten Kessler und Albrecht abgetrennt.
    12.01.1993 Berliner Verfassungsgerichtshof: Prozess-Fortsetzung
    und weitere Haft ist Verstoss gegen Menschenwuerde. 27.
    Strafkammer stellt Verfahren ein, hebt den Haftbefehl
    wegen Totschlags auf.
    13.01.1993 Aufhebung des zweiten Haftbefehls
    13.01.1993 Honecker wird nach 169 Tagen Untersuchungshaft entlassen
    und nach Chile ausgeflogen.

    II. Persoenliche Erklaerung von Erich Honecker vor dem Berliner Landgericht am 3. Dezember 1992

    Ich werde dieser Anklage und diesem Gerichtsverfahren nicht da-
    durch den Anschein des Rechts verleihen, dass ich mich gegen den
    offensichtlich unbegruendeten Vorwurf des Totschlags verteidige.
    Verteidigung eruebrigt sich auch, weil ich Ihr Urteil nicht mehr
    erleben werde. Die Strafe, die Sie mir offensichtlich zudenken,
    wird mich nicht mehr erreichen. Das weiss heute jeder. Ein Prozess
    gegen mich ist schon aus diesem Grunde eine Farce. Er ist ein po-
    litisches Schauspiel.

    Niemand in den alten Bundeslaendern, einschliesslich der Frontstadt
    Westberlin, hat das Recht, meine Genossen Mitangeklagten, mich,
    oder irgendeinen anderen Buerger der DDR wegen Handlungen anzukla-
    gen oder gar zu verurteilen, die in Erfuellung staatlicher Aufga-
    ben der DDR begangen worden sind.

    Wenn ich hier spreche, so spreche ich allein um Zeugnis abzulegen
    fuer die Ideen des Sozialismus, fuer eine gerechte politische und
    moralische Beurteilung der von mehr als einhundert Staaten voel-
    kerrechtlich anerkannten Deutschen Demokratischen Republik. Diese
    jetzt von der BRD als „Unrechtsstaat“ apostrophierte Republik war
    ein Mitglied des Weltsicherheitsrates stellte zeitweise den Vor-
    sitzenden dieses Rates und stellte auch einmal den Vorsitzenden
    der UN-Vollversammlung.

    Die gerechte politische und moralische Beurteilung der DDR er-
    warte ich nicht von diesem Prozess und diesem Gericht. Ich nehme
    jedoch die Gelegenheit dieses Politschauspiels wahr, um meinen
    Standpunkt meinen Mitbuergern zur Kenntnis zu geben.

    Meine Situation in diesem Prozess ist nicht ungewoehnlich. Der
    deutsche Rechtsstaat hat schon Karl Marx, August Bebel, Karl
    Liebknecht und viele andere Sozialisten und Kommunisten angeklagt
    und verurteilt. Das Dritte Reich hat dies mit den aus dem Rechts-
    staat der Weimarer Republik uebernommenen Richtern in vielen Pro-
    zessen fortgesetzt, von denen ich selbst einen als Angeklagter
    erlebt habe. Nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus und
    des Hitlerstaates brauchte die BRD nicht nach neuen Staatsanwael-
    ten und Richtern zu suchen, um erneut Kommunisten massenhaft
    strafrechtlich zu verfolgen, ihnen mit Hilfe der Arbeitsgerichte
    Arbeit und Brot zu nehmen und sie mit Hilfe der Verwaltungsge-
    richte aus dem oeffentlichen Dienst zu entfernen oder sie auf an-
    dere Weise zu verfolgen. Nun geschieht uns das, was unseren Ge-
    nossen in Westdeutschland schon in den 50er Jahren geschah. Es
    ist seit ca. 190 Jahren immer die gleiche Willkuer. Der Rechts-
    staat BRD ist kein Staat des Rechts, sondern ein Staat der Rech-
    ten.

    Fuer diesen Prozess wie fuer andere Prozesse, in denen andere DDR-
    Buerger wegen ihrer „Systemnaehe“ vor Straf-, Arbeits-, Sozial- und
    Verwaltungsgerichten verfolgt werden, muss ein Argument herhalten.
    Die Politiker und Juristen sagen, wir muessen die Kommunisten ver-
    urteilen, weil wir die Nazis nicht verurteilt haben. Wir muessen
    diesmal die Vergangenheit aufarbeiten. Das leuchtet vielen ein,
    ist aber ein Scheinargument. Die Wahrheit ist, dass die westdeut-
    sche Justiz die Nazis nicht bestrafen konnte, weil sich Richter
    und Staatsanwaelte nicht selbst bestrafen konnten. Die Wahrheit
    ist, dass die bundesdeutsche Justiz ihr derzeitiges Niveau, wie
    immer man es beurteilt, den uebernommenen Nazis verdankt. Die
    Wahrheit ist, dass die Kommunisten, die DDR-Buerger heute aus den
    gleichen Gruenden verfolgt werden, aus denen sie in Deutschland
    schon immer verfolgt wurden. Nur in den 40 Jahren der Existenz
    der DDR war das umgekehrt. Dieses Versaeumnis muss nun
    „aufgearbeitet“ werden. Das alles ist natuerlich rechtsstaatlich.
    Mit Politik hat es nicht das geringste zu tun.

    Die fuehrenden Juristen dieses Landes, gleich ob Angehoerige der
    Regierungsparteien oder der SPD, erklaeren beschwoerend, unser Pro-
    zess sei ein ganz normales Strafverfahren und kein politischer
    Prozess, kein Schauprozess. Man sperrt die Mitglieder eines der
    hoechsten Staatsorgane des Nachbarstaates ein und sagt, das hat
    mit Politik nichts zu tun. Man wirft den Generalen eines gegneri-
    schen Militaerbuendnisses militaerische Entscheidungen vor und sagt,
    das hat mit Politik nichts zu tun. Man nennt die heute Verbre-
    cher, die man gestern ehrenvoll als Staatsgaeste und Partner in
    dem gemeinsamen Bemuehen, dass nie wieder von deutschem Boden ein
    Krieg ausgeht, begruesst hat. Auch das soll mit Politik nichts zu
    tun haben.

    Man klagt Kommunisten an, die, seit sie auf der politischen Buehne
    erschienen sind, immer verfolgt wurden, aber heute in der BRD hat
    das mit Politik nichts zu tun.

    Fuer mich und, wie ich glaube, fuer jeden Unvoreingenommenen liegt
    auf der Hand: Dieser Prozess ist so politisch, wie ein Prozess ge-
    gen die politische und militaerische Fuehrung der DDR nur sein
    kann. Wer das leugnet, der irrt nicht, sondern der luegt. Er luegt,
    um das Volk ein weiteres Mal zu betruegen. Mit diesem Prozess wird
    das getan, was man uns vorwirft. Man entledigt sich der politi-
    schen Gegner mit den Mitteln des Strafrechts, aber natuerlich ganz
    rechtsstaatlich.

    Auch andere Umstaende lassen unuebersehbar erkennen, dass mit dem
    Prozess politische Ziele verfolgt werden. Warum war der Bundes-
    kanzler, war Herr Kinkel, der fruehere Geheimdienstchef, spaetere
    Justizminister und noch spaetere Aussenminister der BRD, so darauf
    aus, mich, koste es, was es wolle, nach Deutschland zurueckzuholen
    und wieder nach Moabit zubringen, wo ich unter Hitler schon ein-
    mal war? Warum liess mich der Bundeskanzler erst nach Moskau flie-
    gen, um dann Moskau und Chile unter Druck zu setzen, mich entge-
    gen jedem Voelkerrecht auszuliefern? Warum mussten russischen Aerzte
    die richtige Diagnose, die sie auf Anhieb gestellt hatten, ver-
    faelschen? Warum fuehrt man mich und meine Genossen, denen es ge-
    sundheitlich nicht viel besser geht als mir, dem Volke vor wie
    einst die roemischen Caesaren ihre gefangenen Gegner vorfuehrten?

    Ich weiss nicht, ob das alles noch rational zu erkaeren ist. Viel-
    leicht bewahrheitet sich hier das alte Wort: Wen Gott vernichten
    will, den schlaegt er zuvor mit Blindheit. Es ist doch wohl jedem
    klar, dass alle diejenigen Politiker, die sich einst um eine Audi-
    enz bei mir bemuehten und die sich freuten, mich bei sich begruessen
    zu duerfen, von diesem Prozess nicht unbeschadet bleiben. Dass an
    der Mauer Menschen erschossen wurden, dass ich der Vorsitzende des
    Nationalen Verteidigungsrates, der Generalsekretaer, der Vorsit-
    zende des Staatsrates der DDR war, der fuer diese Mauer als
    hoechster lebender Politiker die groesste Verantwortung trug, wusste
    jedes Kind in Deutschland und darueber hinaus. Es gibt demnach nur
    zwei Moeglichkeiten: Entweder haben die Herren Politiker der BRD
    bewusst, freiwillig und sogar begierig Umgang mit einem Totschlae-
    ger gesucht, oder sie lassen jetzt bewusst und genussvoll zu, dass
    Unschuldige des Totschlags bezichtigt werden. Keine dieser beiden
    Moeglichkeiten wird ihnen zur Ehre gereichen. Eine dritte Moeglich-
    keit gibt es nicht. Wer dieses Dilemma in Kauf nimmt, so oder so
    ein Mensch ohne Charakter zu sein, ist entweder blind oder ver-
    folgt ein Ziel, das ihm mehr gilt als die Bewahrung seiner Ehre.

    Nehmen wir an, dass weder Herr Kohl noch Herr Kinkel noch all die
    anderen Herren Ministerpraesidenten und Parteifuehrer der Bundesre-
    publik Deutschland blind sind (was ich dennoch nicht ausschliessen
    kann), dann bleibt als politisches Ziel dieses Prozesses nur die
    Absicht, die DDR und damit den Sozialismus in Deutschland total
    zu diskreditieren. Die Niederlage der DDR und des Sozialismus in
    Deutschland und in Europa allein genuegt ihnen offenbar nicht. Es
    soll alles ausgerottet werden, was diese Epoche, in der Arbeiter
    und Bauern regierten, in einem anderen als furchtbarem, verbre-
    cherischem Licht erscheinen laesst. Total sollen der Sieg der
    Marktwirtschaft (wie man den Kapitalismus heute euphemistisch
    nennt) und die Niederlage des Sozialismus sein. Man will, wie es
    Hitler einst vor Stalingrad sagte, „dass dieser Feind sich nie
    mehr erheben wird“. Die deutschen Kapitalisten hatten eben immer
    schon einen Hang zum Totalen.

    Dieses Ziel des Prozesses, den totgesagten Sozialismus noch ein-
    mal zu toeten, offenbart, wie Herr Kohl, wie Regierung und Opposi-
    tion der BRD die Lage einschaetzen. Der Kapitalismus hat sich oeko-
    nomisch genauso totgesiegt, wie sich Hitler einst militaerisch
    totgesiegt hat. Der Kapitalismus ist weltweit in eine ausweglose
    Lage geraten. Er hat nur noch die Wahl zwischen dem Untergang in
    einem oekologischen und sozialen Chaos und der Aufgabe des Privat-
    eigentums an Produktionsmitteln, d.h. dem Sozialismus. Beides be-
    deutet sein Ende. Nur der Sozialismus erscheint den Herrschenden
    der Bundesrepublik Deutschland offenbar als die akutere Gefahr.
    Dem soll dieser Prozess genauso vorbeugen wie der ganze Feldzug
    gegen das Andenken an die untergegangene DDR, wie deren Stigmati-
    sierung als „Unrechtsstaat“.

    Der unnatuerliche Tod jedes Menschen in unserem Land hat uns immer
    bedruckt. Der Tod an der Mauer hat uns nicht nur menschlich be-
    troffen, sondern auch politisch geschaedigt. Vor allen anderen
    trage ich seit Mai 1971 die Hauptlast der politischen Verantwor-
    tung dafuer, dass auf denjenigen, der die Grenze zwischen der DDR
    und der BRD, zwischen Warschauer Vertrag und NATO, ohne Genehmi-
    gung ueberschreiten wollte, unter den Bedingungen der Schusswaffen-
    gebrauchsbestimmung geschossen wurde. Das ist sicher eine schwere
    Verantwortung. Ich werde spaeter noch darlegen, warum ich sie auf
    mich genommen habe. Hier, bei der Bestimmung des politischen
    Ziels dieses Prozesses, komme ich jedoch nicht umhin, auch fest-
    zustellen, mit welchen Mitteln das Prozessziel Verunglimpfung der
    DDR erreicht werden soll. Dieses Mittel sind die Toten an der
    Mauer. Sie sollen und werden diesen Prozess wie schon vorangegan-
    gene Prozesse medienwirksam gestalten. Es fehlen dabei die ermor-
    deten Grenzsoldaten der DDR. Wir und vor allem Sie haben bereits
    erlebt, wie ohne Ruecksicht auf Pietaet und Anstand die Bilder der
    Toten vermarktet wurden. Damit soll Politik gemacht und Stimmung
    erzeugt werden. Jeder Tote wird so gebraucht, richtiger miss-
    braucht, im Kampf der Unternehmer um den Erhalt ihres kapitali-
    stischen Eigentums. Denn um nichts anderes geht es bei dem Kampf
    gegen den Sozialismus. Die Toten sollen die Unmenschlichkeit der
    DDR und des Sozialismus beweisen und von der Misere der Gegenwart
    und den Opfern der sozialen Marktwirtschaft ablenken. Das alles
    geschieht demokratisch, rechtsstaatlich, christlich-human und zum
    Wohle des deutschen Volkes. Armes Deutschland.

    Nun zur Sache selbst. Die Staatsanwaelte der Frontstadt klagen uns
    als gemeine Kriminelle, als Totschlaeger an. Da wir nun offen-
    sichtlich keinen der 68 Menschen, deren Tod uns in der Anklage
    vorgeworfen wird, persoenlich totgeschlagen haben, da wir auch de-
    ren Toetung ebenso offensichtlich nicht vorher befohlen oder sonst
    veranlasst haben, wirft mir die Anklage auf Seite 3 woertlich vor:

    „...als Sekretaer des NVR und Sekretaer fuer Sicherheitsfragen beim
    Zentralkomitee der SED (angeordnet zu haben), die Grenzanlagen um
    Berlin (West) und die Sperranlagen zur Bundesrepublik Deutschland
    auszubauen, um ein Passieren unmoeglich zu machen.“

    Ferner wirft mir die Anklage vor, in 17 Sitzungen der NVR vom
    29.11.1961 bis 1.7.1983 an Beschluessen teilgenommen zu haben,

    – weitere Drahtminensperren zu errichten (wobei das Wort
    „weitere“ erkennen laesst dass die Streitkraefte der UdSSR vorher
    schon solche Sperren errichtet hatten),
    – das Grenzsicherungssystem zu verbessern, die Schiessausbildung
    der Grenzsoldaten zu verbessern,
    – Grenzdurchbrueche nicht zuzulassen,
    – am 3.5.1974 persoenlich erklaert zu haben, von der Schusswaffe muss
    ruecksichtslos Gebrauch gemacht werden, was im uebrigen nicht zu-
    trifft,
    – und dem Entwurf des am 1. Mai 1982 in Kraft getretenen Grenzge-
    setzes zugestimmt zu haben.

    Die Vorwuerfe gegen mich bzw. gegen uns richten sich gegen Be-
    schluesse des NVR, gegen Beschluesse eines verfassungsmaessigen Or-
    gans der DDR. Gegenstand des Verfahrens ist somit die Politik der
    DDR, das Bemuehen des NVR, die DDR als Staat zu verteidigen und zu
    erhalten. Diese Politik soll durch dieses Verfahren kriminali-
    siert werden. Damit soll die DDR als „Unrechtsstaat“ gebrandmarkt
    und alle, die ihr dienten, zu Verbrechem gestempelt werden. Die
    Verfolgung von Zehntausenden und unter Umstaenden Hunderttausenden
    DDR-Buergern, von denen die Staatsanwaltschaft jetzt schon
    spricht, ist das Ziel dieses Verfahrens, das durch
    „Pilotverfahren“ gegen Grenzsoldaten vorbereitet sowie von unzaeh-
    ligen, die DDR-Buerger diskriminierenden anderen Gerichtsverfahren
    vor Zivil-, Sozial-, Arbeits- und Verwaltungsgerichten und von
    zahlreichen Verwaltungsakten begleitet wird. Es geht also nicht
    um mich oder um uns, die wir in diesem Prozess angeklagt sind. Es
    geht um die Zukunft Deutschlands, Europas, ja der Welt, die mit
    der Beendigung des Kalten Krieges, mit dem neuen Denken so glueck-
    lich zu beginnen schien. Hier wird nicht nur der Kalte Krieg
    fortgesetzt, hier soll ein Grundstein fuer ein Europa der Reichen
    gelegt werden. Die Idee der sozialen Gerechtigkeit soll wieder
    ein mal endgueltig erstickt werden. Unsere Brandmarkung als Tot-
    schlaeger soll dazu ein Mittel sein.

    Ich bin der letzte, der gegen sittliche und rechtliche Massstaebe
    zur Be- oder auch Verurteilung von Politikern ist. Nur muessen
    drei Voraussetzungen erfuellt sein:

    Die Massstaebe muessen exakt vorher formuliert sein. Sie muessen fuer
    alle Politiker gleichermassen gelten. Ein ueberparteiliches Ge-
    richt, also ein Gericht, das weder mit Freunden noch Feinden der
    Angeklagten besetzt ist, muss entscheiden.

    Mir scheint, dass alles dies einerseits selbstverstaendlich, ande-
    rerseits aber in der heutigen Welt noch nicht machbar ist. Wenn
    Sie heute dennoch ueber uns zu Gericht sitzen, so tun Sie das als
    Gericht der Sieger ueber uns Besiegte. Dies ist ein Ausdruck der
    realen Machtverhaeltnisse, aber nicht ein Akt, der irgendeinen An-
    spruch auf Geltung vor ueberpositivem Recht oder ueberhaupt Recht
    fuer sich beanspruchen kann.

    Das allein koennte schon genuegen, um darzulegen, dass die Anklage
    ein Unrechtsakt ist. Doch da wir die Auseinandersetzung auch im
    Detail nicht scheuen, will ich im einzelnen darlegen, was die An-
    klage, sei es aus boeser Absicht, sei es aus Verblendung, nicht
    darlegt.

    Wie bereits zitiert, beginnt die Anklage die chronologische Auf-
    zaehlung der Vorwuerfe gegen uns mit den Worten:

    „Am 12. August 1961 ordnete der Angeschuldigte Honecker als Se-
    kretaer des NVR und Sekretaer fuer Sicherheitsfragen beim Zentralko-
    mitee der SED an, die Grenzanlagen um Berlin (West) und die
    Sperranlagen zur Bundesrepublik Deutschland auszubauen, um ein
    Passieren unmoeglich zu machen.“

    Diese historische Sicht der Dinge spricht fuer sich. Der Sekretaer
    fuer Sicherheitsfragen des ZK der SED ordnete 1961 ein welthisto-
    risches Ereignis an. Das uebertrifft noch die Selbstironie der
    DDR-Buerger, die die DDR als die groesste DDR der Welt bezeichneten.
    Wenn auch heute Enno von Loewenstern die DDR zu einem „grossen
    Land“ machen will, um den Sieg der BRD entsprechend gewichtiger
    darstellen zu koennen, so versucht doch nicht einmal dieser
    Rechtsaussen des politischen deutschen Journalismus, die DDR zur
    Weltmacht hochzustilisieren. Das bleibt der „objektivsten Behoerde
    der Welt“, der Staatsanwaltschaft, vorbehalten. Jeder macht sich
    vor der Geschichte so laecherlich, wie er will und kann.
    Wahr ist, dass der Bau der Mauer auf einer Sitzung der Staaten des
    Warschauer Vertrages am 5.8.1961 in Moskau beschlossen wurde. In
    diesem Buendnis sozialistischer Staaten war die DDR ein wichtiges
    Glied, aber nicht die Fuehrungsmacht. Dies duerfte gerichtsbekannt
    sein und braucht wohl nicht bewiesen zu werden.

    Da wir - wie ich schon sagte - offensichtlich niemand pesoenlich
    totgeschlagen noch den Totschlag eines Menschen unmittelbar be-
    fohlen haben, wird der Bau der Mauer, ihre Aufrechterhaltung und
    die Durchsetzung des Verbots, die DDR ohne staatliche Genehmigung
    zu verlassen, als Toetungshandlung angesehen. Mit Politik soll das
    alles nichts zu tun haben. Die deutsche Jurisprudenz macht das
    moeglich. Nur vor der Geschichte und dem gesunden Menschenverstand
    wird sie damit nicht bestehen. Sie wird nur ein weiteres Mal de-
    monstrieren, woher sie kommt, wes Geistes Kind sie ist und wohin
    Deutschland zu gehen im Begriff steht.

    Wir alle, die wir in den Staaten des Warschauer Vertrages damals
    Verantwortung trugen, trafen diese politische Entscheidung ge-
    meinsam. Ich sage das nicht, um mich zu entlasten und die Verant-
    wortung auf andere abzuwaelzen; ich sage es nur, weil es so und
    nicht anders war, und ich stehe dazu, dass diese Entscheidung da-
    mals, 1961, richtig war und richtig blieb, bis die Konfrontation
    zwischen den USA und der UdSSR beendet war. Eben diese politische
    Entscheidung und die Ueberzeugungen, die ihr zugrunde liegen, sind
    der Gegenstand dieses Prozesses. Man muss schon blind sein oder
    bewusst vor den Geschehnissen der Vergangenheit die Augen ver-
    schliessen, um diesen Prozess nicht als politischen Prozess der Sie-
    ger ueber die Besiegten zu erkennen, um nicht zu erkennen, dass er
    eine politisch motivierte Entstellung der Geschichte bedeutet.

    Wenn Sie diese politische Entscheidung fuer falsch halten und mir
    und meinen Genossen die Toten an der Mauer zum strafrechtlichen
    Vorwurf machen, dann sage ich Ihnen, die Entscheidung, die Sie
    fuer richtig halten, haette Tausende oder Millionen Tote zur Folge
    gehabt. Das war und das ist meine Ueberzeugung und, wie ich an-
    nehme, auch die Ueberzeugung meiner Genossen. Wegen dieser politi-
    schen Ueberzeugung stehen wir hier vor Ihnen. Und wegen Ihrer an-
    dersartigen politischen Ueberzeugung werden Sie uns verurteilen.

    Wie und warum es zum Bau der Mauer gekommen ist, interessiert die
    Staatsanwaltschaft nicht. Kein Wort steht darueber in der Anklage.
    Die Ursachen und Bedingungen werden unterschlagen, die Kette der
    historischen Ereignisse wird willkuerlich zerrissen. Erich Honec-
    ker hat die Mauer gebaut und aufrechterhalten. Basta. So einfach
    vermag der bundesdeutsche Jurist die Geschichte zu sehen und dar-
    zustellen. Hauptsache, der Kommunist wird zum Kriminellen gestem-
    pelt und als solcher verurteilt. Dabei kann doch jeder Deutsche
    wissen, wie es zur Mauer kam und warum dort geschossen wurde. Da
    die Anklage so tut, als sei es dem Sozialismus eigen, Mauern zu
    bauen und daran Menschen erschiessen zu lassen, und als truegen
    solche „verbrecherischen“ Einzelpersonen wie ich und meine Genos-
    sen dafuer die Verantwortung, muss ich, ohne Historiker zu sein,
    die Geschichte, die zur Mauer fuehrte, rekapitulieren.

    Der Ursprung liegt weit zurueck. Er beginnt mit der Entstehung des
    Kapitalismus und des Proletariats. Der unmittelbare Beginn des
    Elends der deutschen Geschichte der Neuzeit ist das Jahr 1933.
    1933 haben bekanntlich sehr viele Deutsche in freien Wahlen die
    NSDAP gewaehlt, und der Reichspraesident Hindenburg, der schon 1932
    ebenfalls frei gewaehlt worden war, hat Adolf Hitler dann ganz de-
    mokratisch zum Reichskanzler berufen. Anschliessend haben die po-
    litischen Vorlaeufer unserer etablierten Parteien mit Ausnahme der
    SPD dem Ermaechtigungsgesetz zugestimmt, das Hitler diktatorische
    Vollmachten verlieh. Nur die Kommunisten hatten vor den genannten
    Wahlen gesagt: „Wer Hindenburg waehlt, waehlt Hitler, wer Hitler
    waehlt, waehlt den Krieg.“ Bei der Abstimmung zum Ermaechtigungsge-
    setz waren die kommunistischen Abgeordneten bereits aus dem
    Reichstag entfernt. Viele Kommunisten waren inhaftiert oder leb-
    ten illegal. Schon damals begann mit dem Verbot der Kommunisten
    der Untergang der Demokratie in Deutschland.

    Kaum war Hitler Reichskanzler, erlebte Deutschland sein erstes
    Wirtschaftswunder. Die Arbeitslosigkeit wurde ueberwunden, die An-
    rechtsscheine auf Volkswagen wurden verkauft, die kochende Volks-
    seele fuehrte zur Vertreibung und Ermordung der Juden. Das deut-
    sche Volk war in seiner Mehrheit gluecklich und zufrieden.

    Als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war und die Fanfaren die
    Siege in den Blitzkriegen gegen Polen, Norwegen, Daenemark, Bel-
    gien, Holland, Luxemburg, Frankreich Jugoslawien und Griechenland
    vermeldeten, kannte die Begeisterung keine Grenzen. Die Herzen
    fast aller Deutschen schlugen fuer ihren Kanzler, fuer den groessten
    Fuehrer aller Zeiten. Kaum einer dachte daran, dass das Tausendjaeh-
    rige Reich nur zwoelf Jahre bestehen wuerde.

    Nachdem 1945 alles in Scherben lag, gehoerte nicht die ganze Welt
    Deutschland (wie es in einem bekannten Nazilied vorausgesungen
    wurde), sondern Deutschland gehoerte den Alliierten. Deutschland
    war in vier Zonen geteilt. Freizuegigkeit gab es nicht. Dieses
    Menschenrecht galt damals bei den Alliierten noch nicht. Es galt
    nicht einmal fuer die deutschen Emigranten, die wie Gerhart Eisler
    aus den USA nach Deutschland zurueckkehren wollten.

    In den USA gab es damals Plaene (z.B. den Morgenthauplan),
    Deutschland fuer dauernd in mehrere Staaten aufzuteilen. Diese
    Plaene gaben Stalin Veranlassung zu seinem oft zitierten Satz:
    „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk und der deutsche
    Staat bleiben.“ Die damals von der UdSSR angestrebte Erhaltung
    der Einheit Deutschlands kam jedoch nicht zustande. Deutschland
    wurde im Ergebnis des 1947 von den USA ausgerufenen Kalten
    Krieges auf dem Weg ueber die Bildung der Bizone, der Trizone, die
    separate Waehrungsreform und schliesslich die Bildung der Bundesre-
    publik im Mai 1949 fuer lange Zeit zweigeteilt. Diese Teilung war,
    wie die zeitliche Abfolge beweist, nicht das Werk der Kommuni-
    sten, sondern das Werk der westlichen Alliierten und Konrad
    Adenauers. Die Bildung der DDR war eine zeitliche und logische
    Folge der Bildung der BRD. Nunmehr existierten zwei deutsche
    Staaten nebeneinander. Die BRD war jedoch nicht gewillt, die DDR
    anzuerkennen und mit ihr friedlich zu leben. Sie erhob vielmehr
    fuer ganz Deutschland und alle Deutschen den Alleinvertretungsan-
    spruch. Sie verhaengte mit Hilfe ihrer Verbuendeten ueber die DDR
    ein Wirtschaftsembargo und versuchte so, die DDR wirtschaftlich
    und politisch zu isolieren. Es war eine Politik der nichtkriege-
    rischen Aggression, die die BRD gegen die DDR fuehrte. Es war dies
    die Form des Kalten Krieges auf deutschem Boden.
    Es war diese Politik, die zur Mauer fuehrte.

    Nachdem die BRD der NATO beigetreten war, schloss sich die DDR dem
    Warschauer Vertrag an. Damit standen sich beide deutschen Staaten
    als Mitglieder feindlicher Militaerbuendnisse feindlich gegenueber.

    Die BRD war der DDR nach der Zahl ihrer Bevoelkerung, nach ihrer
    Wirtschaftskraft und nach ihren politischen und oekonomischen Ver-
    bindungen in vielfacher Hinsicht ueberlegen. Die BRD hatte durch
    den Marshallplan und durch geringere Reparationsleistungen weni-
    ger an den Kriegsfolgen zu tragen. Sie hatte mehr Naturreichtuemer
    und ein groesseres Territorium. Sie nutzte diese vielfache Ueberle-
    genheit gegenueber der DDR in jeder Hinsicht, besonders aber da-
    durch aus, dass sie DDR-Buergern materielle Vorteile versprach,
    wenn sie ihr Land verliessen. Viele DDR-Buerger erlagen dieser Ver-
    suchung und taten das, was die Politiker der BRD von ihnen erwar-
    teten: Sie „stimmten mit den Fuessen ab“. Der wirtschaftliche Er-
    folg verlockte die Deutschen nach 1945 nicht weniger, als er sie
    nach 1933 verlockt hatte.

    Die DDR und die mit ihr verbuendeten Staaten des Warschauer Ver-
    trages gerieten in eine schwierige Situation. Die Politik des
    Roll back schien in Deutschland zum Erfolg zu fuehren. Die NATO
    schickte sich an, ihren Einflussbereich bis an die Oder zu erwei-
    tern.

    Durch diese Politik entstand 1961 eine Spannungssituation in
    Deutschland, die den Weltfrieden gefaehrdete. Die Menschheit stand
    am Rande eines Atomkrieges. In dieser Situation also beschlossen
    die Staaten des Warschauer Vertrages den Bau der Mauer. Niemand
    fasste diesen Entschluss leichten Herzens. Er trennte nicht nur Fa-
    milien, sondern er war auch das Zeichen einer politischen und
    wirtschaftlichen Schwaeche des Warschauer Vertrages gegenueber der
    NATO, die nur mit militaerischen Mitteln ausgeglichen werden
    konnte.

    Bedeutende Politiker ausserhalb Deutschlands, aber auch in der
    BRD, erkannten nach 1961 an, dass der Bau der Mauer die Weltlage
    entspannt hatte.
    Franz Josef Strauss schrieb in seinen Erinnerungen: „Mit dem Bau
    der Mauer war die Krise, wenn auch in einer fuer die Deutschen un-
    erfreulichen Weise, nicht nur aufgehoben, sondern eigentlich auch
    abgeschlossen.“ (Seite 390) Vorher hat er ueber den geplanten
    Atombombenabwurf im Gebiet der DDR berichtet (Seite 388).

    Aus meiner Sicht haette es weder den Grundlagenvertrag noch Hel-
    sinki noch die Einheit Deutschlands gegeben, wenn damals die
    Mauer nicht gebaut oder wenn sie vor der Beendigung des Kalten
    Krieges abgerissen worden waere. Deswegen meine ich, dass ich ge-
    nauso wie meine Genossen nicht nur keine juristische, sondern
    auch keine politische und keine moralische Schuld auf mich gela-
    den habe, als ich zur Mauer ja sagte und dabei blieb.

    Es ist in der Geschichte Deutschlands sicher nur am Rande zu ver-
    merken, dass jetzt viele Deutsche sowohl aus dem Westen wie aus
    dem Osten sich die Mauer wieder wuenschen.

    Fragen muss man aber auch, was geschehen waere, wenn wir uns so
    verhalten haetten, wie das die Anklage als selbstverstaendlich vor-
    aussetzt. Das heisst, wenn wir die Mauer nicht gebaut, die Aus-
    reise aus der DDR jedem zugebilligt und damit freiwillig die DDR
    schon 1961 aufgegeben haetten. Man muss nicht spekulieren, um sich
    die Ergebnsse einer solchen Politik vorzustellen. Man muss nur
    wissen, was 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR geschehen ist.
    Genauso wie dort haetten auch 1961 in der DDR die ohnehin anwesen-
    den sowjetischen Truppen interveniert. Auch in Polen rief 1981
    Jaruzelski das Kriegsrecht aus, um eine solche Intervention zu
    verhindern.

    Eine derartige Zuspitzung der Ereignisse, wie sie von der Anklage
    als selbstverstaendliche politische, moralische und juristische
    Aktion von uns verlangt wird, haette das Risiko eines dritten
    Weltkrieges bedeutet. Dieses Risiko wollten, konnten und durften
    wir nicht eingehen. Wenn das in Ihren Augen ein Verbrechen ist,
    so werden Sie sich vor der Geschichte mit Ihrem Urteil selbst
    richten. Das waere an sich nicht bedeutungsvoll. Bedeutungsvoll
    ist jedoch, dass Ihr Urteil ein Signal sein wird, das die alten
    Fronten erneut aufreisst, statt sie zu schliessen. Sie demonstrie-
    ren damit im Angesicht eines drohenden oekologischen Kollapses der
    Welt die alte Klassenkampfstrategie der 30er Jahre und die Macht-
    politik, die Deutschland seit dem eisernen Kanzler beruehmt ge-
    macht hat.

    Wenn Sie uns wegen unserer politischen Entscheidung von 1961 bis
    1989 verurteilen, und ich gehe davon aus, dass Sie das tun werden,
    so faellen Sie Ihr Urteil nicht nur ohne rechtliche Grundlage,
    nicht nur als ein parteiisches Gericht, sondern auch unter voelli-
    ger Ausserachtlassung der politischen Gepflogenheiten und Verhal-
    tensweisen derjenigen Laender, die als Rechtsstaaten Ihren
    hoechsten Respekt geniessen. Ich will und kann in diesem Zusammen-
    hang nicht alle Faelle aufzaehlen, in denen politische Entscheidun-
    gen in diesen 28 Jahren Menschenleben gefordert haben, weil ich
    Ihre Zeit und Ihre Sensibilitaet nicht ueberstrapazieren will. Auch
    kann ich mich nicht mehr an alles erinnern. Nur folgendes will
    ich erwaehnen:

    1964 entschied der damalige Praesident der USA, Kennedy, Truppen
    nach Vietnam zu entsenden, um anstelle der besiegten Franzosen
    bis 1973 Krieg gegen die um ihre Freiheit, ihre Unabhaengigkeit
    und ihr Selbstbestimmungsrecht kaempfenden Vietnamesen zu fuehren.
    Diese Entscheidung des Praesidenten der USA, die eine eklatante
    Verletzung der Menschenrechte und des Voelkerrechts beinhaltete,
    wurde von der Regierung der BRD in keiner Form kritisiert. Die
    Praesidenten der USA Kennedy, Johnson und Nixon wurden vor kein
    Gericht gestellt, auf ihre Ehre fiel, zumindest wegen dieses
    Krieges, kein Schatten. Dabei hatte kein US-amerikanischer und
    kein vietnamesischer Soldat die Freiheit, zu entscheiden, ob er
    sich wegen dieses ungerechten Krieges in Lebensgefahr begeben
    wollte oder nicht.

    1982 setzte England Truppen gegen Argentinien ein, um die Falk-
    landinseln als Kolonie fuer das Empire zu erhalten. Die „Eiserne
    Lady“ sicherte sich damit einen Wahlsieg, und ihr Ansehen wurde
    dadurch, auch nachdem sie abgewaehlt worden ist, nicht beschaedigt,
    von Totschlag keine Rede.

    1983 befahl der Praesident Reagan seinen Truppen die Besetzung von
    Grenada. Niemand geniesst in Deutschland hoeheres Ansehen als die-
    ser Praesident der USA. Keine Frage dass die Opfer dieses Unterneh-
    mens rechtens zu Tode gekommen sind.

    1986 liess Reagan die Staedte Tripolis und Bengasi in einer Stra-
    faktion bombardieren, ohne zu fragen, ob seine Bomben Schuldige
    oder Unschuldige trafen.

    1989 ordnete Praesident Bush an, General Noriega aus Panama mit
    Waffengewalt zu entfuehren. Tausende unschuldige Panamesen wurden
    dabei getoetet. Wiederum fiel auf den Praesidenten der USA kein Ma-
    kel, geschweige denn, dass er wegen Totschlags oder Mordes ange-
    klagt wurde.

    Die Aufzaehlung liesse sich beliebig erweitern. Von dem Verhalten
    Englands in Irland ueberhaupt nur zu sprechen, duerfte als unan-
    staendig gelten.

    Nachdem, was die Waffen der Bundesrepublik Deutschland unter
    tuerkischen Kurden oder der schwarzen Bevoelkerung Suedafrikas an-
    richten, werden zwar rhetorische Fragen gestellt, doch niemand
    zaehlt die Toten, und niemand nennt die Schuldigen.

    Ich habe hier nur die als besonders rechtsstaatlich anerkannten
    Staaten mit nur einigen ihrer politischen Entscheidungen aufge-
    zaehlt. Jeder kann vergleichen, wie sich diese Entscheidungen zu
    der Entscheidung verhalten, an der Grenze des Warschauer Vertra-
    ges und der NATO eine Mauer zu errichten.

    Sie werden sagen, dass Sie ueber die Handlungen in anderen Laendern
    nicht entscheiden koennen und duerfen. Sie werden sagen, dass Sie
    das alles nicht interessiert. Doch ich meine, das Urteil der Ge-
    schichte ueber die DDR kann nicht gefaellt werden, ohne dass die Er-
    eignisse Berucksichtigung finden, die sich in der Zeit der Exi-
    stenz der DDR auf Grund der Auseinandersetzung zwischen den bei-
    den Bloecken in anderen Laendern abspielten. Ich meine darueber hin-
    aus auch, dass politische Handlungen nur aus dem Geist ihrer Zeit
    zu beurteilen sind. Wenn Sie die Augen davor verschliessen, was
    von 1961 bis 1989 in der Welt ausserhalb Deutschlands passierte,
    koennen Sie kein gerechtes Urteil faellen.

    Auch wenn Sie sich auf Deutschland beschraenken und die politi-
    schen Entscheidungen in beiden deutschen Staaten einander gegen-
    ueberstellen, wuerde eine ehrliche und objektive Bilanz zugunsten
    der DDR ausfallen. Wer seinem Volk das Recht auf Arbeit und das
    Recht auf Wohnung verweigert, wie das in der BRD der Fall ist,
    nimmt in Kauf, dass zahlreichen Menschen ihre Existenz genommen
    wird und sie keinen anderen Ausweg sehen, als aus dem Leben zu
    scheiden. Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Drogenmissbrauch, Be-
    schaffungskriminalitaet, Kriminalitaet ueberhaupt sind alle das Er-
    gebnis der politischen Entscheidung fuer die soziale Marktwirt-
    schaft. Selbst anscheinend so politisch neutrale Entscheidungen
    wie die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen sind Folgen ei-
    ner Staatsverfassung, in der nicht die frei gewaehlten Politiker,
    sondern die nichtgewaehlten Wirtschaftsbosse das Sagen haben. Wenn
    die Abteilung Regierungskriminalitaet des Generalstaatsanwalts
    beim Kammergericht ihre Aufmerksamkeit einmal hierauf richten
    wuerde, haette ich bald die Moeglichkeit, den Repraesentanten der
    Bundesrepublik wieder wie frueher die Hand zu schuetteln. - Diesmal
    allerdings in Moabit. Das wird natuerlich nicht geschehen, weil
    die Toten der Marktwirtschaft alle rechtens ihr Leben verloren.

    Ich bin nicht derjenige, der die Bilanz der Geschichte der DDR
    ziehen kann. Die Zeit dafuer ist noch nicht gekommen. Die Bilanz
    wird spaeter und von anderen gezogen werden.

    Ich habe fuer die DDR gelebt. Ich habe insbesondere seit Mai 1971
    einen betraechtlichen Teil der Verantwortung fuer ihre Geschichte
    getragen. Ich bin also befangen und darueber hinaus durch Alter
    und Krankheit geschwaecht. Dennoch habe ich am Ende meines Lebens
    die Gewissheit, die DDR wurde nicht umsonst gegruendet. Sie hat ein
    Zeichen gesetzt, dass Sozialismus moeglich und besser sein kann als
    Kapitalismus. Sie war ein Experiment, das gescheitert ist. Doch
    noch nie hat die Menschheit wegen eines gescheiterten Experiments
    die Suche nach neuen Erkenntnissen und Wegen aufgegeben. Es ist
    nun zu pruefen, warum das Experiment scheiterte. Sicher scheiterte
    es auch, weil wir, ich meine damit die Verantwortichen in allen
    europaeischen sozialistischen Laendern, vermeidbare Fehler begangen
    haben. Sicher scheiterte es in Deutschland unter anderem auch
    deswegen, weil die Buerger der DDR wie andere Deutsche vor ihnen
    eine falsche Wahl trafen und weil unsere Gegner noch uebermaechtig
    waren. Die Erfahrungen aus der Geschichte der DDR werden mit den
    Erfahrungen aus der Geschichte der anderen ehemaligen sozialisti-
    schen Laender fuer die Millionen in den noch existierenden soziali-
    stischen Laendern und fuer die Welt von morgen insgesamt nuetzlich
    sein. Wer seine Arbeit und sein Leben fuer die DDR eingesetzt hat,
    hat nicht umsonst gelebt. Immer mehr „Ossis“ werden erkennen, dass
    die Lebensbedingungen in der DDR sie weniger deformiert haben,
    als die „Wessis“ durch die „soziale“ Marktwirtschaft deformiert
    worden sind, dass die Kinder in der DDR in Krippen, in Kindergaer-
    ten und Schulen sorgloser, gluecklicher, gebildeter und freier
    aufwuchsen als die Kinder in den von Gewalttaten beherrschten
    Schulen, Strassen und Plaetzen der BRD. Kranke werden erkennen, dass
    sie in dem Gesundheitswesen der DDR trotz technischer Rueckstaende
    Patienten und nicht kommerzielle Objekte fuer das Marketing von
    Aerzten waren. Kuenstler werden begreifen, dass die angebliche oder
    wirkliche DDR-Zensur nicht so kunstfeindlich war wie die Zensur
    des Marktes. Staatsbuerger werden spueren, dass die DDR-Buerokratie
    plus der Jagd auf knappe Waren nicht soviel Freizeit erforderte
    wie die Buerokratie der BRD. Arbeiter und Bauern werden erkennen,
    dass die BRD ein Staat der Unternehmer (sprich Kapitalisten) ist
    und dass die DDR sich nicht ohne Grund einen Arbeiter-und-Bauern-
    Staat nannte. Frauen werden die Gleichberechtigung und das Recht,
    ueber ihren Koerper selbst zu bestimmen, die sie in der DDR hatten,
    jetzt hoeher schaetzen. Viele werden nach der Beruehrung mit dem Ge-
    setz und dem Recht der BRD mit Frau Bohley, die uns Kommunisten
    verdammt, sagen: „Gerechtigkeit haben wir gewollt. Den Rechts-
    staat haben wir bekommen.“ Viele werden auch begreifen, dass die
    Freiheit, zwischen CDU/CSU, SPD und FDP zu waehlen, nur die Frei-
    heit zu einer Scheinwahl bedeutet. Sie werden erkennen, dass sie
    im taeglichen Leben, insbesondere auf ihrer Arbeitsstelle, in der
    DDR ein ungleich hoeheres Mass an Freiheit hatten, als sie es jetzt
    haben. Schliesslich werden die Geborgenheit und Sicherheit, die
    die kleine und im Verhaeltnis zur BRD arme DDR ihren Buergern ge-
    waehrte, nicht mehr als Selbstverstaendlichkeit missachtet werden,
    weil der Alltag des Kapitalismus jetzt jedem deutlich macht, was
    sie in Wahrheit wert sind.

    Die Bilanz der 40jaehrigen Geschichte der DDR sieht anders aus, als
    sie von den Politikern und Medien der BRD dargestellt wird. Der
    wachsende zeitliche Abstand wird das immer deutlicher machen.

    Der Prozess gegen uns Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates
    der DDR soll ein Nuernberger Prozess gegen Kommunisten werden. Die-
    ses Unternehmen ist zum Scheitern verurteilt. In der DDR gab es
    keine Konzentrationslager, keine Gaskammern, keine politischen
    Todesurteile, keinen Volksgerichtshof, keine Gestapo, keine SS.
    Die DDR hat keinen Krieg gefuehrt und keine Kriegs- oder Mensch-
    lichkeitsverbrechen begangen. Die DDR war ein konsequent antifa-
    schistischer Staat, der wegen seines Eintretens fuer den Frieden
    hohes internationales Ansehen besass. Der Prozess gegen uns als die
    „Grossen“ der DDR soll dem Argument entgegengesetzt werden, „die
    Kleinen haengt man, und die Grossen laesst man laufen“. Das Urteil
    ueber uns soll damit den Weg voellig freimachen, um auch die Klei-
    nen zu „haengen“. Schon bisher hat man sich allerdings hierbei we-
    nig Zwang auferlegt. Der Prozess soll die Grundlage fuer die Brand-
    markung der DDR als „Unrechtsstaat“ bilden. Ein Staat, der von
    solchen „Verbrechern“ wie uns, von „Totschlaegern“ regiert wurde,
    kann nur ein „Unrechtsstaat“ sein. Wer ihm nahestand, wer ein
    pflichtbewusster Buerger der DDR war, soll mit einem Kainszeichen
    gebrandmarkt werden. Ein Unrechtsstaat kann natuerlich nur von
    „verbrecherischen Organisationen“ wie dem MfS, der SED usw. ge-
    fuehrt und gestuetzt worden sein. Kollektivschuld, kollektive Ver-
    urteilung soll an die Stelle individueller Verantwortlichkeit
    treten, um das Fehlen von Beweisen fuer die behaupteten Verbrechen
    zu verschleiern. Pfarrer aus der DDR geben ihren Namen fuer eine
    neue Inquisition, fuer eine moderne Hexenjagd. Millionen werden so
    gnadenlos ausgegrenzt, aus der Gesellschaft ausgestossen. Vielen
    werden die Existenzmoeglichkeiten bis aufs aeusserste eingeschraenkt.
    Es reicht, als IM registriert worden zu sein, um den buergerlichen
    Tod zu erleiden. Der Journalist als Denunziant wird hoch gelobt
    und reich entlohnt, nach seinem Opfer fragt niemand. Die Zahl der
    Selbstmorde ist tabu. Das alles unter einer Regierung, die sich
    christlich und liberal nennt, sowie mit Duldung, ja sogar Unter-
    stuetzung einer Opposition, die diesen Namen ebensowenig verdient
    wie die Bezeichnung „sozial“. - Das alles geschieht mit dem
    selbstverliehenen Guetesiegel des Rechtsstaats. Der Prozess offen-
    bart seine politische Dimension auch als Prozess gegen Antifaschi-
    sten. Zu einer Zeit, in der der rechte neonazistische Mob unge-
    straft auf den Strassen tobt, Auslaender verfolgt und wie in Moelln
    ermordet werden, zeigt der Rechtsstaat seine ganze Kraft bei der
    Verhaftung demonstrierender Juden und eben bei der Verfolgung von
    Kommunisten. Hier fehlt es auch nicht an Beamten und Geld. Das
    alles hatten wir schon einmal.

    Resuemiert man den politischen Gehalt dieses Prozesses, so stellt
    er sich als Fortsetzung des Kalten Krieges, als Negierung des
    neuen Denkens dar. Er enthuellt den wahren politischen Charakter
    dieser Bundesrepublik. Die Anklage, die Haftbefehle und der Be-
    schluss des Gerichts ueber die Zulassung der Anklage sind gepraegt
    vom Geist des Kalten Krieges. Die Praejudizien zu den Gerichtsent-
    scheidungen gehen auf das Jahr 1964 zurueck. Die Welt hat sich
    seitdem geaendert, aber die deutsche Justiz fuehrt politische Pro-
    zesse, als regiere noch Wilhelm II. Sie hat die voruebergehende
    liberale politische „Schwaeche“, die sie nach 1968 ueberfiel, wie-
    der ueberwunden und ihre alte antikommunistische Hochform wieder-
    gewonnen. Uns schalt man „Betonkoepfe“ und warf uns Reformunfaehig-
    keit vor. - In diesem Prozess wird demonstriert, wo die Betonkoepfe
    herrschen und wer reformunfaehig ist. Nach aussen ist man zwar aeu-
    sserst geschmeidig, wird Gorbatschow die Ehrenbuergerschaft von
    Berlin verliehen, wird gnaedig verziehen, dass er einst die soge-
    nannten Mauerschuetzen durch seinen Eintrag in ihr Ehrenbuch belo-
    bigte, aber nach innen ist man „hart wie Kruppstahl“. Den einsti-
    gen Verbuendeten von Gorbatschow stellt man dagegen vor Gericht.
    Gorbatschow und ich gehoerten beide der kommunistischen Weltbewe-
    gung an. Es ist bekannt, dass wir in einigen wesentlichen Punkten
    verschiedener Meinung waren. Doch unsere Differenzen waren aus
    meiner damaligen Sicht geringer als unsere Gemeinsamkeiten. Mich
    hat der Bundeskanzler nicht mit Goebbels verglichen, und ich
    haette ihm das auch nicht verziehen. Weder fuer den Bundeskanzler
    noch fuer Gorbatschow ist dieses Strafverfahren ein Hindernis fuer
    ihre Duzfreundschaft. Auch das ist kennzeichnend.

    Ich bin am Ende meiner Erklaerung. Tun Sie, was Sie nicht lassen
    koennen.

    Liste des chefs d’État allemands
    https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Liste_des_chefs_d%27%C3%89tat_allemands

    #Allemagne #histoire #DDR

  • A Simple House with a Complicated Past - New York Times
    https://www.nytimes.com/2006/06/01/garden/01berlin.html

    Eva Wendel and Peter Stenkhoff preserved the exterior of their blocky house in the former East Berlin, but took down walls and stripped away layers of carpet and tile to put in an oak parquet floor. Credit...Thomas Meyer/Ostkreuz for The New York Times

    1.6.2006 by Carly Berwick - A LOT of Germans would like to forget the recent past. But the simple, functional look of a 1970’s East Berlin house in the Communist-utilitarian style was precisely what led one couple to choose it.

    Three years ago Eva Wendel and Peter Stenkhoff, graphic designers with one child and another on the way, were house-hunting when they happened on a part of East Berlin they had never considered, discovered their dream property and bid on it the next day.

    A large, low-slung, stucco-sided shoebox, it came with a weighty history. From the late 1940’s to 1990, when Germany was reunited, the neighborhood and its tree-lined streets were a refuge for ruling party officials. The house was last inhabited by Egon Krenz, who had a very short tenure as Communist Party chief of East Germany in 1989, when the Berlin Wall fell.

    A house this style is relatively unusual in Berlin, which is distinguished by its sprawl of 19th-century town houses and its new glass-clad government buildings. This house would not be an obvious candidate for a preservation campaign, and in any event Berliners are divided when it comes to preserving Communist-era buildings.

    Many say they are architectural aberrations and scars of a regrettable past, while a sizable minority — many of them younger architects, artists and designers — argue that the 60’s and 70’s buildings have a gawky, historically particular beauty. For more than a decade a citywide debate raged over the fate of the boxy, copper-colored-glass 1976 Palace of the Republic, which served as the East German parliament building. Preservationists ultimately lost that battle and the building is being razed to make way for a replica of the Stadtschloss, a Baroque castle demolished by the East German government in 1950.

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    Eva Wendel and Peter Stenkhoff. Credit...Thomas Meyer/Ostkreuz for The New York Times

    Mr. Stenkhoff and Ms. Wendel’s house, also built in 1976, is in a neighborhood encircled by the Majakowski Ring, an oval road in the central borough of Pankow. The house is an example of the blocky East German style called Magdeburg, one of about a dozen in Pankow but the only one in its immediate neighborhood. Most of the houses here date to the 1930’s, and many are in a style that local people call Berliner Kaffeemühle, or coffee grinder, after its square shape and curved front.

    For decades the house was occupied by guests of ruling party members, including, according to one rumor, a man who hid here after taking part in a failed attempt to assassinate the Chilean dictator Augusto Pinochet. Then, in 1989, Mr. Krenz said, he moved in. Mr. Krenz, who was Communist Party chief of East Germany, said he lived in that house when he received a congratulatory telegram from President George Bush on opening the German borders.

    Now 69 and the author of a recently published memoir in German, “Backtalk: From Letters and Testimony, 1990 to 2005,” Mr. Krenz said that he changed little in the house. “The house was livable,” he said. “I felt good there.”

    In 2003 the government evicted Mr. Krenz after it won a lawsuit alleging that he had purchased the property illegally. It put the house — known locally as the Krenz villa — up for auction that spring.

    When Ms. Wendel and Mr. Stenkhoff, both now 38, discovered the villa, they were intrigued by its size — 2,690 square feet, unusual in Berlin — and its plentiful light. Its backyard is crossed by a narrow stream with a terrace overlooking apple and cherry trees and large oaks. “I felt it was like a ship on the water,” Mr. Stenkhoff said.

    Inside was a chaotic configuration of rooms, a throwback to Communist-era overcrowding, with five bathrooms in five color schemes. The ceilings had been lowered and the original floor buried under rugs and tile.

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    Years of carpet and tile to put in an oak parquet floor. The living area has its original folding wall; they added an Alvar Aalto sofa, custom shelving and the Egon Eiermann desk where Mr. Stenkhoff is seated. Credit...Thomas Meyer/Ostkreuz for The New York Times

    The couple, who own a graphic design firm, said that as fans of modernism they were taken with the streamlined shape of the house. “We saw the house and loved it, but a lot of West Germans don’t because it’s very 70’s,” Ms. Wendel said.

    Others, however, say that 1970’s structures represent a slice of contemporary history and deserve a place alongside Baroque castles. “There is a sort of culture war between those who orient their identity toward contemporary culture and those who will not acknowledge modernity,” said Adrian von Buttlar, a professor of modern art and architecture history at the Technical University of Berlin.

    The Berlin architect Philipp Oswalt, who pushed to save the Palace of the Republic as a cultural center, said: “For myself and the younger generation — I’m 41 — it was not a representation of East Germany alone. It became more and more the representation of the process of reunification after 1989.” (Indeed, the palace lasted longer as a post-reunification relic than as an East German meeting hall.)

    After months of back and forth with the agency in charge of selling former government properties, Ms. Wendel and Mr. Stenkhoff made a final bid of 372,000 euros (a little more than $400,000 at the exchange rate then). They learned that their bid had been accepted just as they were preparing to leave for two months in Mexico with their son, Anton, then 5 years old.

    When they returned they started the renovation, basing the new layout on original blueprints. They removed walls that had been added and restored the original ones, and dug through three layers of carpet and plastic tiles to find a plastic imitation of wooden parquet floors, which they were quick to replace with real oak.

    They removed two bathrooms but kept three, along with their original tiles, which looked like “colored diamonds,” in pink, orange and sparkling yellow, Mr. Stenkhoff said. They ripped out the one tiny kitchen, replacing wood cabinets with stainless steel shelves. The renovation cost about 50,000 euros ($54,000) and took about six months; the couple’s daughter, Lena, was born around the time they finished.

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    Ms. Wendel and her daughter, Lena, are on the terrace where Egon Krenz, East German Communist Party head when the Berlin Wall fell in 1989, posed in 1999. Mr. Krenz lived in the house until 2003. It was built in 1976 for a former East German official and housed guests of the ruling party. Credit...Thomas Meyer/Ostkreuz for The New York Times

    The Krenz villa is now a stripped-down version of its former self. The couple furnished it with Arne Jacobsen chairs; a lamp and a dining table by the Danish modernist Piet Hein; an Alvar Aalto sofa, which they bought from the Swiss company Wohnbedarf; work tables by the German designer Egon Eiermann; stainless steel kitchen shelving; and not much else.

    “I like the luxury of long, clean white walls,” Mr. Stenkhoff said.

    Few traces meanwhile remain of the high-ranking party members who moved in after the government appropriated houses inside the Majakowski Ring. In 1960 the East German elite retreated to the suburb of Wandlitz, leaving the houses to second-tier party members. One of those was former Foreign Minister Otto Winzer, who was too old to navigate the stairs of his 1930’s home. The Krenz house was built for him, although he died before he could move in.

    When the East German government dissolved, the properties in the area were transferred to a government agency, which started auctioning them off in 1996. Now the last available house is under contract.

    Tilman Rascher, a journalist for Deutsche Welle television, and his family moved next door to the Krenz villa in 2002. Other new neighbors include the actress Jasmin Tabatabai, a Waldorf school and the Chinese Trade Mission, which owns a couple of 1930’s buildings.

    Marianne and Martin Kothé, who live on the other side of the Krenz villa, arrived in 1998. They were both officials in the German government, which was moving from Bonn, and said they were attracted by the neighborhood parks and convenient location.

    Living among the ghosts of history’s losers lends a frisson to the neighborhood’s child-friendly, upwardly mobile vibe.

    The Kothés say they remember Mr. Krenz well. Convicted in 2000 of complicity in the deaths of people who tried to escape over the Berlin Wall, he was allowed to serve some of his four-year term under an open-prison system that allowed him to spend his days at home but return to jail each night. “The funny thing was, he was a decent neighbor,” Mr. Kothé said.

    #Berlin #Pankow #Majakowskiring #DDR #Architektur #Geschichte

  • Weil ein DDR-Stempel fehlt : Rentnerin aus Marzahn verliert nach 50 Jahren ihr Zuhause
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/zwangsversteigerung-li.2315820

    Les nantis continuont leur campagne contre la propriété des citoyens de l’état socialiste allemand. A cause d’un vice de procédure en #RDA pendants l’achat de sa maison il.y a cinquante ans une vendeuse à la retraite perd sa maison qui sera mise aux enchères au profit des descendants des proproétaires du terrain à l’époque nazie.

    14.4.2025 von Carola Tunk - Das Grundstück der Marzahnerin Kornelia Rienecker wird zwangsversteigert. Der Grund klingt absurd und hat mit einem fehlenden Stempel aus DDR-Zeiten zu tun.

    Um den Papierkram hat sich immer ihr Mann gekümmert. Und genau das wird Kornelia Rienecker aus Berlin-Marzahn nun zum Verhängnis, denn das Grundstück, auf dem ihr Häuschen steht, wird zwangsversteigert. Nun liegen ihre Nerven blank. Und all das nur, weil ein kleiner Stempel aus DDR-Zeiten unter einem Dokument fehlt, um das sich ihr verstorbener Mann nicht richtig gekümmert hat.

    Kornelia Rienecker hebt ihre Dokumente stets in Klarsichtfolien auf – und legt sie dann in den Schrank. Abheften ist ihre Sache eher nicht. Sie ist gelernte Verkäuferin, hat später aber in der Altenpflege gearbeitet. Ihr Mann war Koch. Ganz normale Leute, keine Papiertiger.

    Den Kaufvertrag für ihr Haus aus dem Jahr 1974 hat Kornelia Rienecker noch, genauso wie die dafür nötige Verzichtserklärung der Tochter des Vorbesitzers. Allerdings fehlt auf dem Dokument der Stempel eines Notars. Sie sagt, erst habe sich ihr Mann zwar noch um den Stempel bemüht, doch als es nicht sofort klappte, habe er es gut sein lassen.

    Bürokratie hat keine so große Rolle gespielt

    Sich in der DDR polizeilich umzumelden, sei kein Problem gewesen. „Wir sind zur Polizei, haben uns angemeldet.“ Damit war die Sache für sie erledigt. All das Bürokratische hat damals keine so große Rolle gespielt. Sie habe trotzdem über die Jahre hinweg immer Grundsteuer gezahlt.

    Nach dem Ende der DDR habe sie dann zu ihrem Mann gesagt: „Pass mal auf, wir müssen jetzt was tun, wir müssen ja unsere Tochter irgendwie absichern.“ Doch mit diesem Entschluss nahm das Unglück seinen Lauf. Sie hat sich bei den Behörden gemeldet. Die Idee war, dass die Tochter ins Grundbuch eintragen wird. Da wurde klar: Es gab gar keinen Grundbucheintrag auf ihre Familie. Anschließend suchten die Gerichte nach den Erben der Vorbesitzer – sie wurden gefunden. Am Ende verlangten die Erben viel Geld für das Grundstück. Eine erste Zwangsversteigerung 2023 scheiterte, weil zu wenig Geld geboten wurde – die Erben wollen mehr. Ein Nachkomme verlange gar eine Million Euro. Für Kornelia Rienecker unvorstellbar.

    Die 70-Jährige scheint sich nun für ihr früheres Ich zu schämen, dafür, dass sie sich nicht um die Buchhaltung gekümmert hat: „Wenn da ein Älterer ist, der dir alles aus der Hand nimmt, wie willst du das denn lernen?“ Es bricht aus ihr heraus: Sie sei erst richtig selbstständig geworden, als ihr Mann vor ein paar Jahren schwer erkrankt sei. Die Tränen laufen über ihr Gesicht. „Ich kann nicht mehr.“

    Anfangs sei sie noch sauer auf ihren Mann gewesen, inzwischen nicht mehr. Das sei alles so „larifari“ gewesen. „Aber so war er auch, so war sein Charakter“, sagt die Frau. Der Mann ist seit acht Jahren tot, ihre Tochter seit zwei. Doch es gibt kein Zurück. Nun sucht sie eine Wohnung, denn aus ihrem Häuschen, in dem sie seit einem halben Jahrhundert lebt, muss sie raus. Am 12. Mai soll die zweite Zwangsversteigerung stattfinden.

    Der Wunsch der Enkeltochter

    „Ich werde jetzt Uroma im Juli, und meine Enkeltochter hat schon gesagt: Ach Oma, es wäre so schön, wenn das Baby hier auch groß werden könnte, so wie ich“, sagt Kornelia Rienecker, doch Hoffnung hat sie kaum.

    Garten und Haus sind liebevoll dekoriert, an den Wänden hängen Bilder von Rieneckers Liebsten, auf den Möbeln stehen Porzellanhäschen und Eierlikör-Naschereien bereit. Draußen befindet sich ein Swimmingpool, der nicht mehr genutzt wird. Auf dem etwa 1300 Quadratmeter großen Grundstück verkaufte das Ehepaar früher außerdem frisch gezapftes Bier und heiße Bockwurst an die Nachbarschaft.

    Die Anwaltskosten, die sie bereits hat zahlen müssen, gehen in die Tausende. Heute sagt Kornelia Rienecker, das Geld hätte sie lieber für Reisen ausgegeben sollen. Sie habe nun einen neuen Lebenskameraden, eine Stütze. Doch auch sie selbst hat aus der Situation gelernt: „Ich bin jetzt ein bisschen genauer mit den Sachen.“

    #DDR #contre-révolution #capitalisme

  • Historischer Moment: Was sich vor 35 Jahren im Palast der Republik ereignet hat
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/ddr-volkskammer-sternstunden-des-deutschen-parlamentarismus-im-pala

    4.4.2025 von Sabine Bergmann-Pohl, Andreas H. Apelt - Am 5. April 1990 konstituierte sich die erste frei gewählte Volkskammer der DDR. Zeitzeugen berichten von einer politischen und emotionalen Ausnahmesituation.

    Es ist bedauerlich, dass es immer Jahrestage bedarf, um uns historische Ereignisse in Erinnerung zu rufen. Noch dazu jene, die zu den glücklichsten Momenten unserer an Glück nicht so reichen deutschen Geschichte zählen. Keine Frage, die Friedliche Revolution und die Wiedervereinigung Deutschlands gehören zu diesen Glücksmomenten, die uns und unsere Geschichte wirkmächtig und nachhaltig prägen.

    Dass die Wiedervereinigung trotz aller Schwierigkeiten und Probleme glückte, und innen- wie außenpolitisch abgesichert werden konnte, mag heute kaum noch jemand bestreiten. Zu offensichtlich sind die Erfolge aus 35 Jahren erheblicher gesamtdeutscher Anstrengungen. Dazu muss man nur mit offenen Augen durch das Land gehen und sich auch erinnern wollen.

    Freilich sind wir heute wieder an einem Punkt angelangt, der dringender Reformen, aber vor allem einer Änderung unseres politischen Selbstverständnisses bedarf. Wenn wir nur ein Stück jener Aufbruchstimmung des Herbstes 1989 für die Gegenwart sichern könnten, wären wir bei der Bewältigung der anstehenden Probleme deutlich weiter.

    Es war der 5. April 1990, vor genau 35 Jahren, als sich die erste frei gewählte Volkskammer in ihrem Sitzungssaal im Palast der Republik zu ihrer Konstituierung traf. Die 400 Abgeordneten waren gute zwei Wochen vorher (18. März) geheim vom Volk gewählt worden. Das ist schon deshalb erwähnenswert, da es doch vorher keine wirkliche Wahl im Sinne des Auswählens von Kandidaten gab. Gewählt wurde im Block der sogenannten Nationalen Front. Und das nicht einmal geheim, wagte doch kaum jemand vor den Augen der staatlichen Wahlkommissionen die Kabine aufzusuchen, vorausgesetzt, es gab überhaupt eine.

    Beeindruckende Wahlbeteiligung

    Mit einer beeindruckenden Wahlbeteiligung von 93,4 Prozent bewiesen die DDR-Bürger am 18. März 1990, wie wichtig ihnen die parlamentarische Demokratie ist. Es ist ein Wert, der nie wieder erreicht wurde und zeigt, dass Politikverdrossenheit zumindest im Osten kein Thema war.

    Beachtlich ist auch das Wahlergebnis. Während die Wahlforscher der CDU 20 bis 25 Prozent prophezeiten, wurde die von Lothar de Maizière geführte Partei mit 40,8 Prozent der Stimmen die mit Abstand stärkste Kraft. Allerdings hat sie ihren Sieg den Bezirken außerhalb Berlins zu verdanken, denn in der Hauptstadt kommt sie nach der SPD und der PDS gerade mal auf Platz drei. Den zweiten Platz belegte die SPD mit 21,9 Prozent, eine Riesenenttäuschung für die junge Partei, die fest mit einem Sieg rechnete.

    Gefolgt wird die Partei von der PDS, ehemals SED, mit 16,4 Prozent. Da das Wahlgesetz keine Fünf-Prozent-Hürde vorsieht, ziehen neben den großen Parteien bzw. Wahlbündnissen (CDU 163 Sitze, SPD 88, PDS 66, Deutsche Soziale Union/DSU 25, Bund freier Bürger/BfB 21, Bündnis 90 12) auch Parteien mit neun (Demokratische Bauernpartei/DBD), acht (Grüne), vier (Demokratischer Aufbruch/DA), zwei (Nationaldemokratische Partei/NDPD) oder nur einem Abgeordneten (Vereinigte Linke und Demokratischer Frauenbund) ins hohe Haus.

    Sie bilden insgesamt sieben Fraktionen, wobei die CDU/DA-Fraktion mit 167 Abgeordneten die mit Abstand größte ist. Entsprechend stellt sie auch den Präsidenten bzw. die Präsidentin. In besagtem Fall, dank einer Verfassungsänderung, ist die Präsidentin durch den Wegfall des Staatsrats zugleich Staatsoberhaupt. Ein Umstand, der bis heute wenig bekannt ist und doch die handelnden Akteure vor neue Herausforderungen stellt.

    Letzte Wahl zur DDR-Volkskammer: Ein Insider rekapituliert das Scheitern des Demokratischen Aufbruchs
    Bekenntnis zur deutschen Einheit

    Das Ergebnis der Wahlen ist ein eindeutiges Bekenntnis zur deutschen Einheit und sozialen Marktwirtschaft, aber auch zur Fortsetzung des eingeschlagenen Demokratisierungsprozesses. Entsprechend groß ist die Erwartungshaltung.

    Der Beitrag der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR im Prozess der Wiedervereinigung ist durch die Sitzungsprotokolle, Radio- und Fernsehaufzeichnungen oder sogar durch Fraktionsprotokolle wie die der CDU/DA-Fraktion gut dokumentiert. Allerdings spiegeln diese Dokumente nicht ansatzweise die Umstände der Arbeit, die massive Anspannung, die Hektik, die emotionalen Ausnahmesituationen, den Zeitdruck und die psychische wie physische Belastung, ja Erschöpfung der verantwortlichen Personen wider. Die Zeitzeugen werden das nicht vergessen. Das gilt für die Abgeordneten ebenso wie für die Mitarbeitenden in den Fraktionen.

    Kein Wunder, schließlich wurde das Leben fast aller DDR-Bürger über Nacht faktisch auf den Kopf gestellt. Die Geschwindigkeit der Veränderung ließ manchen kapitulieren. Dies betraf auch die neu gewählten Abgeordneten. Denn es waren Ingenieure, Pädagogen, Ärzte, Naturwissenschaftler und Theologen, die von heute auf morgen ihre Arbeitsstellen verließen, um in Berlin als Abgeordnete politische Verantwortung zu übernehmen. Die vergleichsweise jungen Mitglieder der Volkskammer (das Durchschnittsalter lag bei 41,8 Jahren) hatten keinerlei Vorbereitungszeit oder gar parlamentarische Erfahrung. Nur drei Prozent hatten der alten Volkskammer angehört.

    Gespenstische Aufmärsche

    Und das in einer historischen Ausnahmesituation. Alle waren aus einer freien Wahl hervorgegangen, von der Monate vorher noch niemand zu träumen wagte. Gerade einmal sechs Monate vor dieser Wahl feierten sich noch die SED-Machthaber mit viel Pomp selbst. Die Bilder dieser gespenstischen Aufmärsche tragen wir noch heute im Kopf. Nur wenige Wochen später ist der Spuk vorbei.

    Die Ereignisse um den 7. Oktober mit dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen die friedlich Demonstrierenden, die Ablösung Honeckers, der Rücktritt der Regierung, der Mauerfall, der Runde Tisch, die Besetzung der Berliner Stasizentrale, die Volkskammerwahl sind nur einige Etappen der Friedlichen Revolution. Sie sind Ausdruck des Veränderungswillens der Gesellschaft und des Wunschs nach demokratischer Selbstbestimmung im besten Sinne. Es waren die Menschen, die sich in besonderer Weise politisierten, eigene Vorstellungen in die Debatten einbrachten, kurzum die Chance zur Freiheit nutzten, den offenen Dialog forderten und sich für eine demokratische und gerechte Gesellschaft einsetzten.

    Die Arbeit der Volkskammer, ganz im Sinne des Souveräns, war eine Sternstunde in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Die letzte Wahlperiode der Volkskammer war zugleich die kürzeste und für die Abgeordneten härteste parlamentarische Bewährungsprobe. Mit 164 Gesetzen, drei Staatsverträgen und 93 Beschlüssen war der Umfang der Arbeit gewaltig. Die Zahl der Probleme aber auch.

    Dazu kamen äußerst miserable Arbeitsbedingungen. Es fehlten Büros, Telefone und andere technische Hilfsmittel. Selbst die Übernachtungsmöglichkeiten für die Abgeordneten waren begrenzt, sodass ein Bettenhaus des Ministeriums für Staatssicherheit in der Berliner Ruschestrasse den Abgeordneten zur Verfügung gestellt werden musste. Der Unmut der Abgeordneten, ausgerechnet hier zu wohnen, lässt sich nachvollziehen. Um diese Probleme schnell zu lösen, wurde eigens ein Vizepräsident eingesetzt.

    Ohnehin war das Arbeitspensum enorm und nicht mit der Arbeit der alten Volkskammer zu vergleichen. Denn während diese zwei- bis dreimal im Jahr tagte, kam das neue Parlament fast täglich zusammen. Manchmal wurde auch Sonnabend oder Sonntag gearbeitet. Es war ein Arbeitsparlament, das sich durch ungeheuren Fleiß auszeichnete, egal auf welcher Seite die Parlamentarier standen. Die Volkskammer war eine Schnittstelle von stets präsenter, längst nicht überwundener Vergangenheit, täglichen Herausforderungen und zu lösenden Zukunftsfragen. Allein das Präsidium, von der Mehrzahl der verbliebenen Mitarbeiter der alten Volkskammer oder des Staatsrates loyal unterstützt, hatte vor und hinter den Kulissen Mühe, einen Überblick zu behalten. Ungewöhnliche Aufgaben verlangten Geschick und Kreativität.

    Dies war auch nötig, glich doch das Hohe Haus nicht selten einem Hexenkessel. Hier kochten zuweilen die Emotionen von höchst eigensinnigen, von sich stets überzeugten, politisch hoch motivierten und zuweilen mit dem Kopf durch die Wand gehenden Abgeordneten. Doch waren auch die Debatten von großer Sachlichkeit bestimmt. Das machte die Sitzungen interessant und für die Zuhörerschaft reizvoll.

    Ohnehin sorgte die Liveübertragung der Sitzungen im Fernsehen für ein hohes Maß an Transparenz. Das führte dann allerdings auch zu Fernsehbildern eines leeren Plenarsaales. Dies war etwa Sitzungspausen geschuldet, weil politische Entscheidungen in den Fraktionsräumen vorbereitet wurden. Die Folge war sofort öffentliche Kritik, wobei die Kritiker unterstellten, dass die Abgeordneten ihre Arbeit vernachlässigten oder Geld fürs Nichtstun bekämen. Fairerweise ist zu erwähnen, dass es ebenso viel öffentliches Lob für die Arbeit gab und bis heute gibt.
    Die europäische Nachkriegsordnung besiegelt

    Geprägt hat das Parlament vor allem die Aufgabe, den Demokratisierungsprozess im Land voranzutreiben, einen Unrechtsstaat in einen Rechtsstaat zu überführen und damit die Voraussetzung zur staatlichen Einheit Deutschlands zu schaffen. Dazu zählten die parlamentarische Begleitung der Verhandlungen zur deutschen Einheit (Ausschuss Deutsche Einheit), das Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR, in dem sich die DDR zu einem „freiheitlichen, demokratischen, föderativen, sozialen und ökologisch orientierten Rechtsstaat“ bekannte, die Erklärung zur Garantie der polnischen Westgrenze, die Verabschiedung der „Währungs- Wirtschafts- und Sozialunion“, das „Ländereinführungsgesetz“, das „Gesetz über die Wahlen zu den Landtagen“ und natürlich der Beschluss über den „Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober 1990“.

    Mit der Schlussabstimmung über den „Einigungsvertrag“ am 20. September nahmen die Abgeordneten auch den Bericht des Ministerpräsidenten über das Ergebnis der „2 + 4 Verhandlungen“ zur Kenntnis. Dieser besiegelte bekanntlich die europäische Nachkriegsordnung. Ein nicht unwichtiger Aspekt der Arbeit der Volkskammer war die Aufarbeitung und Sicherung der Dokumente und Akten der Staatssicherheit.

    Mit der 38. Sitzung am 2. Oktober 1990 beendeten die Abgeordneten ihre Tätigkeit. Eine Tätigkeit, die allein das Ziel hatte, einen Staat und sich selbst so schnell und gründlich wie möglich abzuschaffen. Anders gesagt, es galt, das eigene Wirken möglichst unumkehrbar zu beenden.

    Die Wiederherstellung der deutschen Einheit machte alle 400 Abgeordneten der Volkskammer überflüssig. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, die den Umständen der Zeit geschuldet war. Heute würde sich wohl kaum ein Abgeordneter finden, der einen sicheren Arbeitsplatz aufgibt, um sich dann in einem Parlament – möglichst schnell – überflüssig zu machen.

    Bedeutende historische Leistung

    Die Abgeordneten der Volkskammer haben diese Bürde ebenso getragen, wie sie die hohe politische Verantwortung getragen haben. Sie haben nach Kräften versucht, den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Die Unsicherheit über die gemeinsame Zukunft konnten sie allerdings in dieser kurzen Zeit den Menschen in der dem Untergang geweihten DDR nicht nehmen. Es wäre auch ein Irrglaube gewesen. Denn selbst heute, 35 Jahre später, diskutieren wir noch immer über Ost- und West-Probleme, haben Bücher Konjunktur, die Vorurteile bedienen und gegenseitige Vorbehalte schüren. Zuweilen wird man, trotz vieler vorzeigbarer Erfolge, das Gefühl nicht los, die Mauer stünde noch.

    Was also bleibt vom Wirken dieser frei gewählten Volkskammer? Es bleibt eine bedeutende historische Leistung und ein bemerkenswertes Stück deutscher Parlamentsgeschichte, die den Gesamtprozess der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands begleitet, befördert und demokratisch legitimiert hat. Ohne die konkreten gesellschaftlichen Bezüge außer Acht lassen zu wollen, stellt sich das Jahr 1990 würdig in die Reihe der herausragenden Daten der deutschen Demokratie- und Parlamentsgeschichte von 1848, 1919 und 1949.

    Die historische Bedeutung dieser am 18. März 1990 frei gewählten Volkskammer liegt aber auch in der Bereitschaft vieler Menschen, politische Verantwortung zu übernehmen und diese mit aller Konsequenz zu tragen. Das ist, wie wir wissen, leider nicht mehr selbstverständlich.

    Sabine Bergmann-Pohl ist Ärztin. Als Politikerin war sie Präsidentin der frei gewählten Volkskammer der DDR, daraufhin Bundesministerin für besondere Aufgaben im Kabinett Helmut Kohl und später Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit.

    Andreas H. Apelt ist promovierter Politikwissenschaftler, Publizist und Schriftsteller. Im Jahr 1989 war er Mitbegründer der oppositionellen Vereinigung Demokratischer Aufbruch und des ersten gesamtdeutschen Vereins Deutsche Gesellschaft e.V.

    #Allemagne #histoire #DDR #démocratie

  • DDR, Krippentrauma und Widerstand gegen Forschung: Neue Studien widerlegen Klischees
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ddr-krippentrauma-und-widerstand-gegen-forschung-neue-forschung-wid

    30.3.2025 von Wiebke Hollersen - Neue Studien widerlegen das „Krippentrauma“ und zeigen, dass ostdeutsche Kinder auch nach der Wende weniger Gewalt erlebt haben. Die Forscher werden dafür angegriffen. Ein Interview.

    Es gibt seit acht Jahren eine Forschungsgruppe mit dem Namen „DDR-Vergangenheit und psychische Gesundheit: Risiko- und Schutzfaktoren“, sie hat ihren Sitz an der Universität Mainz. Weit weg von jenem Teil des Landes, dessen Vergangenheit sie durchleuchtet. Eine solche Entfernung kann in der Forschung ein Vorteil sein. Auch der Leiter der Gruppe stammt aus dem Westen, Elmar Brähler, ein Sozialpsychologe; sein Blick auf die DDR ist nicht durch sein Erleben der DDR beeinflusst.

    Die Gruppe wird attackiert, seit sie Studien veröffentlicht, die Klischees über die DDR widersprechen. So zeigten die Forscher, dass Menschen, die in der DDR eine Krippe besucht haben, nicht reihenweise psychische Schäden davon getragen haben. Sie wiesen auch nach, dass Menschen mit DDR-Sozialisation sogar seltener traumatische Erfahrungen in der Kindheit erlebten als Westdeutsche. Nun hat Christoph Kasinger, Psychotherapeut und Forscher in der Arbeitsgruppe, zwei neue Auswertungen zur Kindheit im Osten vorgelegt – die erneut auf Widerstand stoßen.

    Herr Kasinger, seit Jahren wird darüber gestritten, ob die frühkindliche Betreuung in der DDR ein Krippentrauma ausgelöst hat. Sie haben auf dem Kongress für Psychosomatik eine neue, große Untersuchung vorgestellt. Was wollten Sie herausfinden?

    Weil über die Erkenntnisse, die es zu dieser Frage schon gab, so viel gestritten wird, wollten wir sie an einer großen Gruppe von Menschen überprüfen. Wir haben Daten aus der Nationalen Kohorte verwendet, das ist eine groß angelegte bundesweite Studie, für die regelmäßig um die 200.000 Menschen zu ihrer Gesundheit und ihren Lebensumständen befragt werden. Wir haben die Daten von Personen, die nach 1988 geboren wurden oder nach Deutschland eingewandert sind, herausgelassen. Es blieb eine riesige Stichprobe übrig, Daten von 143.549 Personen. Das hat uns auch ermöglicht, zum ersten Mal die Auswirkungen von frühkindlicher Betreuung in der Bundesrepublik genauer zu untersuchen. Wir haben uns angeschaut, ob Menschen, die in beiden Teilen des Landes in der Krippe oder dem Kindergarten waren, häufiger unter Angststörungen oder Depressionen leiden.

    Und, haben ehemalige Kita-Kinder öfter psychische Probleme?

    Das haben wir tatsächlich nur bei einer Gruppe von Westdeutschen festgestellt. Menschen, die zwischen 1957 und 1973 in der Bundesrepublik geboren wurden und vor ihrem dritten Geburtstag schon in der Kita betreut worden sind, zeigen mehr Angst- und Depressionssymptome.

    Woran könnte das liegen?

    Wir können nicht sagen, ob das an der Erziehung in der Krippe lag. Aber ich würde vermuten, dass es eher an den sozialen und wirtschaftlichen Umständen lag, in denen die Kinder aufwuchsen. Im Westen kamen damals vor allem Kinder alleinerziehender Mütter so früh in die Krippe. Die Kinder waren vermutlich vielfach belastet.

    Bei Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, konnten Sie keine negativen Folgen der Betreuung außerhalb der Familie feststellen?

    Es geht nicht um die Frage, ob einzelne Menschen psychische Probleme haben. Sondern wir wollten wissen, ob Menschen, die als Kinder in der Krippe oder der Kita waren, besonders häufig psychisch krank sind. Hier haben wir nur in einer Gruppe eine Häufung gefunden: Bei Personen, die zwischen 1944 und 1956 in Ostdeutschland geboren und schon vor ihrem ersten Geburtstag in der Krippe betreut wurden.

    Vor dem ersten Geburtstag, das ist außergewöhnlich früh.

    Ja. Diese Menschen berichten, dass sie mehr Angst, mehr Depressivität und mehr Stress erleben. Allerdings ist auch da unklar: Lag das an der Krippe oder sind auch diese Menschen eine spezielle Stichprobe? Also sind da etwa Kinder von Vertriebenen stark vertreten oder Menschen, die in einem Heim oder einer Wochenkrippe waren. Eine Schwäche unserer Studie ist, dass wir die Art der Unterbringung nicht kennen; in der Nationalen Kohorte wird nur gefragt, ab welchem Alter die Menschen in Einrichtungen betreut wurden. Bei Ostdeutschen, die später geboren wurden und erst ab dem ersten oder gar dritten Geburtstag in der Kita waren, lässt sich keine Häufung von psychischen Problemen feststellen.

    Haben Sie die Ergebnisse überrascht?

    Ich muss bei dieser Antwort ein bisschen weiter ausholen. Ich bin 1990 geboren und in Baden aufgewachsen, weit weg von der DDR. Ich hatte auch keinerlei familiäre Bezüge zur DDR.

    Waren Sie selbst in der Kita?

    Ja, aber erst ab drei.

    Was wussten Sie über die DDR?

    Nur das, was ich so aufgenommen habe aus den Medien, dem öffentlichen Diskurs, Film und Fernsehen. Ich bin mit einer anderen Erwartung in dieses Thema gestartet, ich hätte einen schädigenden Effekt erwartet. Hinzu kommt auch noch, dass ich approbierter Psychoanalytiker bin. Wir befassen uns viel mit frühkindlichen Beziehungserfahrungen, und ich hätte angenommen, dass es einen negativen Einfluss hat, wenn Kinder früh die Krippe besuchen. Aber ich kannte andere Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die frühe Betreuung von Kindern außerhalb der Familie der Psyche nicht schaden muss und gerade in der DDR offenbar nicht geschadet hat. Aber ich war durchaus überrascht, dass sich das jetzt in der großen Stichprobe bestätigt.

    In den anderen Studien wurden viel weniger Menschen befragt, waren Sie deshalb skeptisch?In den anderen Untersuchungen hat sich ja auch gezeigt, dass Personen, die in der DDR in der Wochenkrippe betreut worden sind, durchaus von höheren psychischen Belastungen im späteren Leben berichten. Diese Menschen sind Teil unserer Stichprobe. Aber obwohl sie unter negativen Folgen leiden, zeigt sich das für die Gesamtzahl der Menschen, die in der DDR in der Krippe waren, nicht. Der Anteil der Wochenkrippen-Kinder an der Gesamtbevölkerung war vielleicht nicht so hoch. Wir haben die Daten von Menschen einbezogen, die zwischen 1944 und 1988 geboren wurden.

    Wie waren die Reaktionen, als Sie die Studie auf dem Kongress vorgestellt haben?

    Auch bei früheren Studien, die gezeigt haben, dass die Kinderbetreuung in DDR-Einrichtungen keine auffälligen Traumatisierungen hinterlassen hat, war ich Co-Autor. Was immer kommt, wenn wir diese Ergebnisse vorstellen, ist der Einwand: Sind die Ostdeutschen nicht durch die Erfahrung in der Diktatur gehemmter, ehrlich zu antworten? Man traut den Selbstauskünften von in der DDR geborenen Menschen offenbar nicht. Es gibt allerdings Untersuchungen, zum Beispiel zu Depressionen, in denen man sieht, dass sich Ost- und Westdeutsche nicht in ihrem Antwortverhalten unterscheiden. Und wir wissen ja eben von Menschen, die in der Wochenkrippe betreut wurden, dass das negative Folgen hatte – weil sie es in Befragungen gesagt haben.

    Ostdeutschen wird unterstellt, auch 35 Jahre nach dem Mauerfall nicht die Wahrheit zu sagen?

    Einer der Moderatoren auf dem Kongress hat zum Glück angemerkt: Man müsse sich dann auch fragen, ob es nicht auch Verzerrungen in Westdeutschland gibt. Er sei in einem erzkatholischen Dorf in Bayern aufgewachsen, wo die Kinder geschlagen worden seien, er sei heilfroh, dort nicht im Kindergarten gewesen zu sein. Man könnte sich auch fragen, ob Menschen darüber offen berichten.

    Frühere Studien haben einen Fragebogen verwendet, der vor allem nach traumatischen Erfahrungen in der Familie fragt. Das wurde kritisiert, weil man damit nicht erfassen kann, was in DDR-Kindergärten passiert ist.

    Bei sexuellem Missbrauch wird in diesem sogenannten „Adverse Childhood Experiences“-Fragebogen auch nach Erlebnissen außerhalb der Familie gefragt. Aber ansonsten kann ich die Kritik nachvollziehen. Es gibt allerdings auch Untersuchungen, die andere Bögen, etwa den „Childhood Trauma Questionnaire“ verwendet haben. Dabei kam ebenfalls heraus, dass Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, weniger traumatisierende Erfahrungen aus der Kindheit berichten.

    Sie haben gerade auch eine Studie veröffentlicht, in der Sie der Frage nachgegangen sind, ob sich das nach der Wende fortgesetzt hat. Ob Menschen, die im Osten aufgewachsen sind, immer noch weniger schlimme Erfahrungen aus der Kindheit berichten. Wie kamen Sie auf diese Fragestellung?

    Wir haben in so vielen Datensätzen immer wieder diese Ergebnisse gesehen: Personen, die in der DDR sozialisiert worden sind, berichten seltener über Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit. Mich interessieren transgenerationale Mechanismen in Gesellschaften. Gibt es psychische Risiko- oder Schutzfaktoren, die über Generationen hinweg wirken? Wir haben etwa 6000 Menschen in beiden Teilen des Landes befragt. Und interessanterweise haben wir dieselben Unterschiede gefunden: Menschen, die im Osten leben und nach 1988 geboren sind, berichten seltener über traumatisierende Erlebnisse in ihrer Kindheit als Menschen im Westen.

    Was könnten mögliche Erklärungen dafür sein?

    Es muss etwas weitergegangen sein, nur was? Das ist eine spannende Suche. Es gibt mehrere denkbare Erklärungen. Zum einen konnten Studien zeigen, dass Ostdeutsche das Erziehungsverhalten ihrer Eltern positiver erinnern. Die Erziehung wird als wärmer, weniger überbehütend, weniger strafend erinnert, im Vergleich zum Westen. Eine weitere Studie, die in unserem Forschungsverbund entstanden ist, konnte zeigen, dass Menschen, die im Westen aufgewachsen sind, mehr körperliche Bestrafung von den Eltern erlebt haben als im Osten aufgewachsene Menschen.

    Das klingt, als könnte es im Westen eine andere Erziehungskultur gegeben haben.

    In der Bundesrepublik wurde Literatur der schwarzen Pädagogik noch lange vertrieben und gelesen, etwa das Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer, das 1934 erstmals erschienen ist und zu einer gewissen Härte schon gegenüber Babys rät. In der DDR wurde es nicht neu verlegt und war nicht zu kaufen. Es könnte sein, dass andere Erziehungseinstellungen fortwirken. Es gab auch eine andere Gesetzeslage. In der DDR waren Körperstrafen in der Schule seit 1949 verboten, in der Bundesrepublik erst seit 1973, in Bayern erst seit 1983. Wir wissen aus der Forschung, dass Menschen, die als Kinder körperliche Misshandlung erlebt haben, selbst häufiger Gewalt anwenden.

    Es gibt auch die Hypothese, dass Kinder im Osten weniger traumatische Erfahrungen gemacht haben, gerade weil sie öfter im Kindergarten betreut wurden. Wieso kann es ein Kind schützen, in die Kita zu gehen?

    Sexueller Missbrauch findet nach wie vor am häufigsten in der Familie statt. Schon allein, dass ein Kind nicht in der Familie ist, kann es schützen. Außerdem fallen in der Kita vielleicht die Spuren von Missbrauch oder Gewalt auf. Und es kann Kindern helfen, mehr Erwachsene als Bezugspersonen zu haben, an die sie sich wenden können. Bei körperlicher Misshandlung kann es schützend wirken, dass die Betreuung in der Kita Druck aus der Familie nimmt. Es gibt noch einen weiteren Faktor, der in der DDR gewirkt haben könnte und im Osten weiter schützend wirken könnte: Die größere berufliche Selbstständigkeit der Frauen, die weniger abhängig von gewalttätigen Männern waren und diese Beziehungen leichter verlassen konnten.

    Das alles widerspricht dem Bild vom Osten, das es im Westen gibt, oder?

    Wenn wir die Ergebnisse im medizinischen oder psychotherapeutischen Kontext präsentieren, dann gibt es im Westen immer Therapeuten, die sagen, das kann doch gar nicht sein, sie haben da diesen einen Patienten mit DDR-Geschichte, bei dem das alles ganz anders war. Das kann ja sein, das widerspricht unserer Forschung nicht. Im Osten sind die Therapeuten weniger überrascht von den Ergebnissen.

    Viele in Westdeutschland sozialisierte Menschen sind der Auffassung, dass eine frühe Betreuung in der Kita generell schadet. Was ist da der Stand der Forschung?

    Es gibt die NICHD-Studie aus den USA, die größte und bisher umfassendste Studie zur frühkindlichen Betreuung. Da kam heraus: Man findet Unterschiede bei Kindern, die früh in der Krippe waren. Aber sie sind gering, kaum wahrnehmbar. „Wir könnten nicht in ein Klassenzimmer gehen und die Kinder identifizieren, die früh und viel in der Betreuung waren“, sagt Jay Belsky, der die Studie geleitet hat.

    Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, sich als Forscher mit der ostdeutschen Psyche zu befassen?

    Ich habe in Mainz meine Ausbildung als Psychotherapeut gemacht, und hier gibt es den Forschungsverbund „DDR-Vergangenheit und psychische Gesundheit“. Ich interessiere mich sehr dafür, wie die Sozialisation von Menschen und das Auftreten von psychischen Erkrankungen zusammenhängen. Die DDR bietet die historisch einmalige Chance, das zu untersuchen.

    Warum das denn?

    Man hat ein Design, das fast aus einem Experiment stammen könnte: Man hat eine Bevölkerungsgruppe mit der gleichen Vorgeschichte, der gleichen Sprache, einer ähnlichen Kultur. Diese Gruppe wurde aufgebrochen, in zwei Staaten mit unterschiedlichen soziopolitischen Bedingungen. Und dann ist diese Bevölkerungsgruppe wieder zusammengekommen. Wenn man hier Unterschiede findet, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass sie auf die unterschiedlichen Systeme zurückzuführen sind. Das eröffnet ein Untersuchungsfeld, in dem man schauen kann, welche politischen und sozialen Rahmenbedingungen schädlich für die psychische Gesundheit sind – oder eben eine Schutzwirkung haben. Man kann zum Beispiel fragen: In welchem soziopolitischen Rahmen kommt es zu weniger Kindesmisshandlung?

    Die Studien, die zeigen, dass die Kindheit in der DDR womöglich gewaltfreier war, werden sehr stark angegriffen. Oder es wird gar nicht darüber berichtet.

    Ich halte es für fast fahrlässig, nach den Ergebnissen so vieler Untersuchungen nicht auch zu gucken: Okay, was hat denn die DDR da scheinbar richtig gemacht?

    Aber das will man sich nicht fragen?

    Als Forscher habe ich, seit ich mich mit diesen Themen befasse, am eigenen Leib erfahren, wie viele negative Vorurteile es gegenüber Menschen gibt, die im Osten aufgewachsen sind oder der DDR, die so gar nicht stimmen. Ich hatte diese Vorurteile zum Teil ja auch.

    Ihr Forschungsverbund unterschlägt die negativen Seiten der DDR nicht, es gibt etwa Studien zu den Spätfolgen bei Menschen, die Repressionen erlebt haben.

    Es gab diese furchtbaren Seiten, wir beschönigen nicht. Ich möchte Menschen, die unter der DDR gelitten haben, keinesfalls ihre Erfahrungen absprechen. Sie sind in den Medien und in Filmen vielfach dargestellt worden. Es gab aber eben auch andere Erfahrungen. Ich kann vieles aus dem Buch von Dirk Oschmann, jetzt als Forscher, als Westdeutscher, 1990 geboren, nachfühlen. Über den Osten wird auf eine festgelegte Weise geschrieben und gesprochen. Das westdeutsche Narrativ über das Leben in der DDR ist primär negativ. Und es gibt scheinbar Widerstände, dass sich daran etwas ändern soll. Das merkt man an dem Gegenwind, der uns für unsere Ergebnisse entgegenschlägt.

    In den letzten Jahrzehnten gab es viele Enthüllungen über schreckliche Erfahrungen von Kindern in Westdeutschland, der Missbrauch an der Odenwaldschule, die vielen Missbrauchsfälle bei der katholischen Kirche. Wird das verdrängt?

    Meine Eltern haben in der Schule beide noch Lehrer erlebt, die mit Rohrstöcken geschlagen haben. In den 1960er und 70er-Jahren, in Baden-Württemberg. Ich glaube, das war keine Ausnahme.

    Zur Person

    Dr. phil. Christoph Kasinger, geboren 1990 in Achern, studierte Psychologie (M.Sc) in Frankfurt am Main und Istanbul. Seit 2020 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsmedizin Mainz im Projekt zur DDR-Vergangenheit und psychischen Gesundheit, in dem er 2024 seine Promotion erfolgreich abgeschlossen hat. Parallel dazu absolvierte er eine Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten mit der Fachkunde Psychoanalyse im Weiterbildungsstudiengang für Psychodynamische Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz.

    #pédagogie #traumatismes #DDR

  • DDR-Fotofirma Orwo ist insolvent - Nina Hagen machte einst Werbung
    https://www.berliner-zeitung.de/news/ddr-fotofirma-orwo-ist-insolvenz-nina-hagen-machte-einst-werbung-li

    28.3.2025 von Christian Gehrke - Die bekannte Foto- und Filmfirma Orwo aus Bitterfeld-Wolfen hat einen Insolvenzantrag gestellt. Hier entstand 1936 der erste Farbfilm der Welt.

    Fotografen und Filmemacher aus dem Osten kennen diesen Namen noch und Fans von Nina Hagen auch. Die Firma Orwo Net aus Bitterfeld-Wolfen, die einst aus dem bekannten DDR-Fotofilm-Hersteller ORWO hervorgegangen ist, ist insolvent. Die verbliebenen 270 Mitarbeiter bangen um ihre Jobs. Orwo Net hat beim Amtsgericht Dessau-Roßlau einen Insolvenzantrag gestellt, wie die Mitteldeutsche Zeitung schreibt.

    Das Unternehmen hat Geschichte: 1909 gegründet, wurde 1936 in der damaligen Filmfabrik Wolfen der erste praktikable Farbfilm der Welt hergestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb zunächst sowjetisches Eigentum, bevor er ab 1954 unter VEB Film- und Chemiefaserwerk Agfa Wolfen firmierte, wie die Zeitung weiter schreibt.

    Im Jahr 1964 wurde die Warenbezeichnung Original Wolfen (ORWO) eingeführt und die Filme weltweit verkauft. Das Kombinat beschäftigte zehntausende Mitarbeiter. Nina Hagen besang den Farbfilm aus Wolfen in ihrem dem Kulthit „Du hast den Farbfilm vergessen“ Das Kombinat wurde nach der Wende jedoch zerschlagen und die Produktion eingestellt. Die Firma existierte jedoch weiter. Bis zur Coronapandemie schrieb das Unternehmen mit dem Verkauf Fotobüchern und Kalendern schwarze Zahlen. Wie jetzt weitergeht, ist unklar

    #photographie #DDR #chimie #histoire #AGFA

  • SED-Vermögen für Kühlschränke im Tierpark und neue Toiletten im Technoclub
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/sed-vermoegen-fuer-kuehlschraenke-im-tierpark-und-neue-toiletten-im

    La privatisation continue. Après l’élimination de l’état socialiste allemand les vainqueurs de la guerre froide ont confisqué d’importantes sommes d’argent appartenant aux organisations politiques et syndicales de la #DDR. L’actuel gouvernement de droite berlinois vient d’attribuer un demi million d’Euros de ce trésor à plusieurs entreprises privées.

    Les représentants du régime capitaliste n’ont jamais abandonné la lutte des classes. Cette décision marque l’énième épisode de l’enrichissement de vautours bien placés qui s’arrachent les morceaux du cadavre d’une société anéantie.

    27.3.2025 von Alexander Reich - Der Senat hat eine halbe Million Euro aus dem SED-Vermögen verteilt. Der Tierpark wird neue Kühlanlagen für Futtermittel anschaffen, der RSO-Club neue Toiletten.

    Sport- und Freizeiteinrichtungen im Osten Berlins werden mit einer halben Million Euro aus dem SED-Vermögen gefördert. Eine entsprechende Vorlage des CDU-Finanzsenators Stefan Evers wurde im Senat abgesegnet. Insgesamt geht es um 555.736,09 Euro. Sie werden an den Tierpark, das Sportforum Hohenschönhausen und den Technoclub RSO in Schöneweide verteilt. Weiteres Geld wird an die Ost-Bundesländer verteilt.

    Genau genommen handelt es sich um noch vorhandene Mittel aus dem Vermögen der Partei- und Massenorganisationen der DDR. Man spricht vom PMO-Vermögen. Etwas mehr als 1,6 Milliarden Euro wurden nach 1990 eingezogen. Sie waren „nach materiell-rechtsstaatlichen Kriterien nicht rechtmäßig erworben“ worden.
    Die Kühlanlagen im Tierpark sind noch aus der DDR

    Der Tierpark wird mit dem Geld neue Kühlanlagen für Futtermittel beschaffen. Die würden dringend benötigt, „um frisches Tierfutter vorzuhalten“, erklärte Sprecherin Philine Hachmeister der Berliner Zeitung, etwa das Fleisch für die Tiger und Löwen. „Die vorhandenen Kühlanlagen stammen aus den 80er-Jahren und sind sehr wartungsintensiv und energetisch nicht mehr nachhaltig.“

    Hinterlassenschaften der DDR werden nun also aus Mitteln der SED ersetzt. Aus deren Besitz stammt der größte Teil des PMO-Vermögens: knapp 1,2 Milliarden Euro. Weitere 271 Millionen wurden beim Gewerkschaftsbund FDGB eingezogen, 36 Millionen bei der Jugendorganisation FDJ, 18 Millionen bei der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und so weiter.

    Tarnfirmen und geheime Konten: Wie die SED ihr Vermögen versteckte

    Graffitiparadies: Verfallene Bärenquell-Brauerei in Niederschöneweide

    Das Sportforum Hohenschönhausen, in dem einst „Diplomaten im blauen Trainingsanzug“ der DDR ausgebildet wurden, wird die Mittel für die Anschaffung von Fahrzeugen verwenden. Der Technoclub RSO (für Revier Südost) plant den Einbau einer „modernen Toilettenanlage“. Er residiert in neogotischen Klinkerbauten, die vor mehr als 100 Jahren von der Schultheiss AG errichtet wurden. Die Brauerei wurde nach dem Krieg zum Volkseigenen Betrieb. Im Biergarten an der Spree wurde nun die Sorte Bärenquell ausgeschenkt. Nach der Wende wurde das Gelände zum Lost Place. Der RSO-Club ist 2021 eingezogen. Der Laden brummt. Am 18. April wird DJ Hell erwartet.
    Berlin erhält nur etwas mehr als acht Prozent des PMO-Vermögens

    Für die Verteilung des PMO-Vermögens gibt es einen Schlüssel. Berlin erhält nur etwas mehr als acht Prozent. Der größte Teil geht mit 30 Prozent nach Sachsen, gefolgt von Sachsen-Anhalt (knapp 18 Prozent), Thüringen (16,3 Prozent) und Brandenburg (16,1 Prozent). 60 Prozent der Mittel sind für wirtschaftliche Umstrukturierungsmaßnahmen zu verwenden, die verbliebenen 40 Prozent für Investitionen in Soziales und Kultur.

    In Berlin muss die halbe Million für Kühlanlagen, Fahrzeuge und Toiletten noch vom Abgeordnetenhaus freigegeben werden. Die Zustimmung gilt als sicher. Ist der Sack zu, muss das Geld an den geförderten Standorten bis Ende 2028 ausgegeben sein.

    #Berlin #politique #capitalisme #lutte_des_classes #revanchisme #histoire

  • Der sperrigste Dissident: Zum 30. Todestag des DDR-Philosophen Wolfgang Harich
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/der-sperrigste-dissident-zum-30-todestag-des-ddr-philosophen-wolfga

    Wolfgang Harich (l.) anlässlich eines Prozesstermins in Berlin, 1991

    7.3.2025 von Jürgen Große - Wolfgang Harich war Marxist, Ökologe und einer der hartnäckigsten Provokateure der DDR. Bis zu seinem Tod mischte der „verquere Patriot“ die Politik auf.

    Was am letzten Oktobertag 1991 in einer Kölner Volkshochschule vorgetragen wurde, hatte diese als „Deutschland – Spaltung und Vereinigung“ angekündigt. Der Mann mit dem weißen Bart und der fistelnden Stimme schien Spaltung nicht zu scheuen. Im tiefsten Westen, nur wenige Hundert Meter entfernt vom Kölner Dom, teilte er kräftig gegen zwei urwestdeutsche, damals noch gut unterscheidbare Parteien aus. Die heutigen Grünen von Jutta Ditfurth bis zu Joschka Fischer, so der Redner, erwiesen sich „als historisch völlig ungebildet, wenn sie als Gegner der deutschen Einheit auftreten“. Sie hätten nicht begriffen, dass Umweltpolitik als nationale Politik beginnen müsste.

    Das Idol der CDU hingegen, der einstige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer? „Er war ein mieser kleiner Provinzpolitikaster, der gerade dazu taugte, Köln im Ersten Weltkrieg mit Graupen zu versorgen.“ Seine lokalpatriotische Mentalität hätte Adenauer nach 1945 „angewandt auf die Reparationsfrage: Die Westdeutschen sollten gut leben, keine Reparationen zahlen – die würden einseitig der Ostzone aufgebürdet werden, den ‚Brüdern und Schwestern‘“. Er sei verantwortlich dafür, „dass der kleinere, ärmere, schwächere Teil Deutschlands gegen seinen Willen in einem Separatstaat leben musste“.

    All dies kam einer Publikumsbeschimpfung nahe, war eine Provokation gegen jahrzehntealte Gewissheiten des Westens. Der Provokateur hieß Wolfgang Harich. Er begriff sich als Marxisten wie als Ökologen und gehörte zu den wenigen Linken, die Deutschlands staatliche Einheit wollten. Aber aus welchem Motiv? Bereits 40 Jahre zuvor hatte ihn sein Beharren darauf in Konflikt mit der SED-Führung und schließlich ins Gefängnis gebracht. Die Einheit galt Harich als Basis eines sozialistischen Rätedeutschlands, wovon ihm die DDR weit entfernt zu sein schien. Zwar war Harichs politische Hoffnung 1989 zerschellt, doch fand sie nun Eingang in seine ökologische Vision: Ein in Produktion und Konsum reduziertes Deutschland müsse zur Vorstufe eines ökologisch geläuterten Europas werden.

    Ökologische Verzichtsideen allerdings waren den Grünen während ihres politischen Aufstiegs immer peinlicher geworden. Erst jüngst argumentierte mit der taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, Autorin von „Das Ende des Kapitalismus“, jemand wieder ähnlich wie Harich, ohne den Vorläufer zu erwähnen. Harich der Nationalkommunist, Harich der Sozialökologe – diese intellektuellen Lebenslinien waren lange parallel hergelaufen und schließlich konvergiert.

    Ein intellektuelles Wunderkind

    Wolfgang Harich entstammte dem deutschen Bildungsbürgertum: Er wurde 1923 in Ostpreußen als Sohn eines Literaturhistorikers geboren. Ungeachtet seiner starken Selbststilisierung in seiner Autobiografie „Ahnenpass“ wird eine freigeistige, vernunftrepublikanische Atmosphäre sichtbar. Das Progressive war bei Familie Harich seit je mit dem Pädagogischen verbunden: Man wollte die Bildungsschätze den Arbeitermassen zugänglich machen, respektierte aber auch deren materielle Bedürfnisse. Harichs eigene literarhistorische Sympathien sollten später Jean Paul und Johann Gottfried Herder gelten, schwierigen Figuren für den parteimarxistischen Bildungskanon. Harich suchte an ihnen das Klassische hoch- und das Exzentrisch-Skurrile flachzuhalten. Ähnlich wie Peter Hacks war er aller ästhetisch-politischen Romantik abhold. Harichs Vernunftoptimismus in Kunst und Politik war Familienmitgift.

    Nach Kriegsdienst und Desertation aus der Wehrmacht trat Harich 1945 in die KPD ein. Er stieg in Literaturbetrieb, Universitätsphilosophie und Kulturpolitik der frühen DDR rasch auf. Harich gründete und verantwortete wesentlich die Deutsche Zeitschrift für Philosophie, hielt zugleich Vorlesungen an der Humboldt-Universität. Sein Rezeptions- und Produktionspensum war gewaltig. Er galt als intellektuelles Wunderkind, zeigte auch entsprechende Allüren. Doch waren sie stets ideenstrategisch fundiert. So kann er innerhalb der europäischen Geistesgeschichte als einer der letzten Politintellektuellen gelten, die mit dem „Geist“ zugleich Macht erlangen und gestalten wollten; ein später Nachfahre der Fürstenerzieher. In seiner Stellungnahme vor einem DDR-Strafgericht nannte Harich es Selbstüberschätzung, was ihn 1956 zum Quasi-Staatsstreich gegen Walter Ulbricht getrieben hätte. Sein Versuch einer „Plattform über den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ kam zur Unzeit, Moskaus Deutschlandstrategie hatte sich geändert. Harich wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er acht Jahre absaß, meist in Einzelhaft.

    Der Entlassene arbeitete zunächst unspektakulär wissenschaftlich, etwa an der Werke-Edition des materialistischen Klassikers Ludwig Feuerbach, wurde Autor eines Standardwerks über Jean Paul. Als Frühinvalide erhielt Harich ein ständiges Visum ins deutschsprachige Ausland, wo er die Anfänge der Umweltbewegung aufmerksam begleitete.

    Im Lebensrückblick behauptete Harich, schon in den späten 1940er-Jahren den Grundstein seiner ökologischen Interessen gelegt zu haben, zunächst durch naturwissenschaftliche und naturphilosophische Studien. Zwar sind Harichs Selbstzeugnisse mit Vorsicht zu genießen. Doch bleibt richtig, dass er stets zu den Marxisten mit straff „realistischem“, forschungsaffinem Theorieverständnis gehörte. Daher seine wachsende Sympathie und Bewunderung selbst für antimarxistische Denker wie Arnold Gehlen, Entnazifizierter und Stardenker der philosophischen Anthropologie.

    Mit seinem Gesprächsbuch „Kommunismus ohne Wachstum“, gemeinsam verfasst mit dem Linkssozialdemokraten Freimut Duve als Interviewer, setzte sich Harich 1975 zwischen alle Stühle. „Erste“ wie „Zweite Welt“ suchte er auf eine kulturelle Umorientierung zu Ressourcenschonung und Bedürfnisarmut einzuschwören. Staatliche Institutionen wie die des post- und spätstalinistischen Ostblocks pries er als hierzu gut geeignete Erziehungsmittel. Wieder eine Unzeitgemäßheit! In den 1970er-Jahren wollte Westeuropas Linke, namentlich im „Eurokommunismus“, undogmatisch und kompromisstauglich erscheinen, um die westeuropäischen Arbeitermassen am Wohlstand der Nachkriegsära beteiligen zu können. Ostblockherrscher wie Ceaușescu oder Honecker setzten ihrerseits auf materielle Massenberuhigung. So löste das Buch hüben wie drüben Befremden aus.

    „Alle sollen allen verzeihen“

    Bezüglich der West-Grünen hatte Harich ökopolitisch bald resigniert. Er erkannte, dass sie sich ins Industriesystem integrieren würden. Als diese Partei dann zum Sammelbecken später Wertewestler geworden war, die 1989/90 stellvertretend für ihre revolutionäre Vergangenheit mit den Restkommunisten der DDR abrechneten, trat Harich der PDS bei. Ebenso wie später Rudolf Bahro verzichtete er auf juristisch bewehrte Verfolgung seiner Richter von einst. Ja, eine strafrechtliche Aufarbeitung der politischen Justiz lehnte Harich generell ab.

    Es klang nur wenig sarkastisch, wenn er 1994 im Neuen Deutschland forderte, „alle sollen allen verzeihen“, doch zuvor müssten auch die Westdeutschen ihre ungenügende NS-Bewältigung und ihr egoistisch erkauftes Teilstaatsglück einräumen. Die Ostler hingegen sollten sich miteinander versöhnen und auch den Westlern ihren Verrat von 1949 an Einheitsdeutschland vergeben.

    Nicht ungern ließ sich Harich einen „verqueren Patrioten“ nennen. Im Jahrzehnt von jubilierendem Neoliberalismus und bonbonfarbener Spaßgesellschaft musste ihn seine Ideenstrenge einsam machen. Harichs ökosozialistischem Querdenken fehlte jene Bräsigkeit, die jenem Wort seit Roman Herzogs präsidialer Ermunterung anhaftete. Harich fehlte aber auch das Beliebige eines Narrentums auf eigene Faust. Er blieb bis ins Alter ein disziplinierter und systematischer Leser, wovon seine posthum veröffentlichte Studie über den Philosophen Nicolai Hartmann zeugt.

    Harich war passionierter Nietzsche-Feind

    Vielen, die wie der Verfasser erst in der späten DDR aufwuchsen, wurde Harich als Inaugurator einer bizarren Nietzsche-Diskussion bekannt. Auch darin trieb er seinen Eindeutigkeitswillen ins Extrem, versuchte er sich noch einmal in Ideenpolitik bis hin zu Verbotsersuchen an die DDR-Staatsführung. Doch selbst in dem lächerlichen und teils unwürdigen Bestreben, die greisen Machthaber zu ideenpolitischer Intervention zu bewegen, bewies er philosophische Konsequenz.

    Harich nahm Nietzsche beim Wort, wenn er in ihm das Menschenfeindlichste fand, was je von Menschen gedacht ward. Während Harichs Gegner auch in der DDR oft schon einem philosophisch weichgespülten Postmoderne-Nietzsche huldigten, nahm Harich den rasenden Sachsen noch einmal bitterernst.

    Er kritisierte ihn, wie wenig später sein ökologischer Geistesverwandter Rudolf Bahro, nicht nur aus historisch-materialistischer, sondern auch aus zivilisationskritischer Sicht: Nietzsche, das sei nur mehr die ästhetische Überhöhung des industriellen Verhängnisses und seiner lebenfressenden Megamaschine, das sei die pseudoaristokratische Verklärung des Allzumenschlichen, auch Allzumännlichen. Harichs Nietzsche-Feindschaft folgte teils schon differenzfeministischer Sicht, pazifistischer ohnehin. Aus „Nietzsche und seine Brüder“ (1994) sprach ein Bewunderer von Ludwig Klages.

    Bis zu seinem Tod am 15. März 1995 sah Harich sich philosophisch als materialistischen Ökologen. Dissident des Marxismus wollte er nie sein, undogmatische Marxisten wie Robert Havemann verachtete er. Harichs geistiger Machtwille war unleugbar. Aufgrund seiner unzeitgemäß ideenfixierten Konsequenz, ja Halsstarrigkeit, scheiterte er machtpolitisch. Was er alsdann erlitt, war das banale Martyrium eines Parteihäretikers und Staatsfeindes. Doch wie ein anderer Nietzsche-Kritiker und Geistesradikaler des 20. Jahrhunderts, der ebenfalls vor dreißig Jahren gestorbene Schriftsteller Emil Cioran, sagte: „In der modernen Gesellschaft reduziert sich Märtyrertum auf einen Konflikt mit der Polizei.“

    Jürgen Große ist Historiker. 2024 erschien seine Monografie „Die kalte Wut. Theorie und Praxis des Ressentiments“.

    #socialisme #DDR

  • DDR Mondbasis : 31-Jähriger lässt mithilfe von KI-Videos die DDR wieder aufleben
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/ddr-mondbasis-31-jaehriger-laesst-mithilfe-von-ki-videos-die-ddr-wi

    Die Protagonisten in den Videos der DDR-Mondbasis strahlen stets und lesen die Berliner Zeitung. Was denn sonst ?

    Depuis la disparition de la glace polaire sur terre la lune n’est plus seulent le fief des derniers nazis. Dans une station spatiale sur la lune l’état socialiste allemand a survécu les attaques de l’impérialisme et contnue d’offrir à ses citoyens une vie heureuse, si on peut croire l’intelligence artificielle au service d’un jeune créateur.

    Ida Luise Krenzlin - Erich Honecker lebt noch, die Kombinate produzieren, die Werktätigen feiern: Die KI-Videos von Philipp Ladage brechen Rekorde auf Instagram und bedienen positive DDR-Klischees.

    Der letzte Schluck Muckefuck am Morgen. Eine schöne Frau in einer grünen Bluse lächelt versonnen in ihre Tasse aus Meissner Porzellan. Einige Menschen sind bereits auf dem Weg in ihre Kombinate. Alle strahlen übers ganze Gesicht. In VEB-Dekoration laufen schon die Rummelwagen in Form von Spreewaldgurken vom Band. Der Instagram-Account „DDR Mondbasis“ lässt (freundliche) DDR-Klischees in Videos wiederaufleben.

    Bunt sind die Clips der DDR-Mondbasis, die gerade im Internet viral gehen. Mal wird Sport getrieben wie bei „Medizin nach Noten“, der poppigen Aerobic-Sendung aus dem DDR-Fernsehen. Frauen in eng geschnittenen Trikots tanzen Choreografien, Männer lassen ihre Muskeln spielen. Abends geht es zum Tanzabend ins HO-Klubhaus, dort werden Sektflaschen geöffnet – natürlich Rotkäppchen.

    Das darf doch alles nicht wahr sein! Die Farben sind zu knallig, die Menschen zu schön, sogar die DDR-Mode umfließt elegant die definierten Körper der Werktätigen. Fast verstrahlt wirken die DDR-Bürger in den Videos von Philipp Ladage. Als hätten sie Drogen genommen. „Das sind alles KI-generierte Videos!“, sagt der Macher am Telefon und muss lachen, „da ist nichts echt.“

    Philipp Ladage ist 31 Jahre alt und lebt in Hannover. Hauptberuflich arbeitet er im Lebensmitteleinzelhandel. Er hat keine familiären Bezüge zur DDR. Aber er hat sich schon als Kind mit der DDR und ihrer Alltagskultur beschäftigt. Wenn er mit seinen Eltern und seinem Bruder Berlin besuchte, „dann mussten die mit mir in jedes DDR-Museum dreimal rein“, erklärt Ladage sein Faible für den Look der Deutschen Demokratischen Republik.

    In den letzten drei Monaten wurden die KI-Videos 21 Millionen Mal aufgerufen. Am besten würden sie auf Instagram laufen. Aber auch auf YouTube hat Ladage viele Fans. Mittlerweile hat er einen Shop, in dem Fans Shirts und Beutel kaufen können.

    Die Produktion eines Videos sei sehr aufwendig, fünf bis zehn Stunden sitze Ladage an einem. Bei allen Arbeitsprozessen hole er sich Hilfe von der KI. Schon bei der Idee für die Story lässt er sich vom KI-Chatbot ChatGPT beraten. „Macht das Sinn im DDR-Kontext?“, fragt er den Chatbot. Die KI weiß, welches fiktive Event es in der DDR hätte geben können, welches Kombinat, welchen Wettbewerb. Ladage lässt sich einen Text schreiben, der Grundlage für ein Audio wird, das in typischer DDR-Intonation eingesprochen wird – alles KI-generiert.
    Zwischen Disko und Kneipe: KI-Videos zeigen Alltagsseiten der DDR

    „Pünktlichkeit ist der erste Schritt zum gemeinsamen Erfolg“, lässt die KI eine Triebwagenführerin sagen. Auch ein fiktives Trabant-Rennen am 1. Januar entsprang einer Idee der KI. Es findet jährlich am 1. Januar statt. Die schicken, auf Hochglanz polierten Rennpappen machen ihrem Spitznamen alle Ehre. Sie kurven durch eine Mondlandschaft, einem wiederkehrenden Setting der Videos.

    Urheber, Erfinder und Vater der DDR-Mondbasis, Philipp Ladage aus Hannover.DDR Mondbasis / Philipp Ladage

    Damit ist Philip Ladage beim großen Zeitfresser, der bildnerischen Umsetzung. Auch hier komme die Foto-KI ins Spiel. „Man beschreibt auf Englisch, wie die Szene aussehen soll. Dann kommt der richtige Prompt. KI-Bilder haben immer Fehler. Die editiere ich lieber selber.“ Und so entstehen die Looks, die viele begeistern.

    Wiederkehrende Figuren halten die Videos zusammen. Es gibt Klaus Kosmonaut, den Schallplattenunterhalter der Mondbasis. In eng geschnittenem und weit geöffnetem weißen Hemd füllt er schnell jede Tanzfläche.

    Die Resonanz auf die Videos sei überwiegend positiv. Kritik komme aber auch vor. Ladage würde mit seinen Videos entweder die DDR verherrlichen oder sich über sie lustig machen. „Damit kann ich leben. Das ist ausgewogen“, sagt Ladage. Er wolle das Publikum unterhalten. Das gelingt, die Mondbasis hat sogar schon Fans in Brasilien und den USA.

    #DDR #IA #histoire #parodie

  • Beste Witze aus der DDR: Erich Honecker muss zu einem wichtigen Termin ...
    https://www.berliner-kurier.de/ddr/beste-witze-aus-der-ddr-erich-honecker-muss-zu-einem-wichtigen-termi

    Auf der Autobahn hält die Polizei einen Trabi an. Der Fahrer kurbelt die Scheibe herunter, und der Polizist sagt: „Herzlichen Glückwunsch! Sie sind der 1000. Fahrer auf dieser Strecke und gewinnen deshalb 1000 Mark!“ Der Trabi-Fahrer strahlt: „Wahnsinn, mit dem Geld kann ich endlich meinen Führerschein machen!“ Die Frau neben ihm verdreht die Augen: „Hören Sie nicht auf ihn, Herr Polizist, er ist komplett betrunken!“ Da brüllt die Oma vom Rücksitz: „Hab ich euch nicht gesagt, dass wir mit dem geklauten Trabi nicht weit kommen?!“ Plötzlich klopft es aus dem Kofferraum: „He, was ist da vorne los? Sind wir jetzt endlich im Westen?“

    ...

    Erich Honecker muss zu einem wichtigen Termin und fährt mit seiner Limousine über die Landstraße. Plötzlich rumpelt es – der Fahrer hat versehentlich ein Huhn überfahren. „Können Sie zum Landwirt gehen und es beichten?“, fragt er. Honecker steigt aus, läuft zum nahe gelegenen Bauernhof und berichtet dem Bauern von dem Unfall. Als er zurückkommt, fehlen ihm ein paar Zähne, die Haare stehen in alle Richtungen ab und er hat ein blaues Auge. Die Fahrt geht weiter. Ein paar Kilometer später überfährt der Fahrer ein Schwein. „Dieses Mal gehen aber Sie beichten“, sagt Honecker. Der Fahrer steigt aus, geht zum nächsten Bauernhof. Als er zurückkommt, hat er einen großen Korb dabei – voll mit frischen Eiern, Brot, Würsten und Weinflaschen. „Was haben Sie dem denn gesagt?“, will Honecker wissen. Der Fahrer lacht. „Ich habe gesagt: Guten Tag, ich bin der Fahrer von Erich Honecker, ich habe das Schwein überfahren!“

    #DDR #humour

  • Rosa-Luxemburg-Steg
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Rosa-Luxemburg-Steg-10787-Berlin

    Etwa seit dem 25.09.2012 wird Rosa Luxemburgs nahe der Stelle gedacht, wo ihr Leichnam vermutlich in den Landwehrkanal geworfen wurde.

    Straßenverlauf im Zuge Lichtensteinallee über Landwehrkanal
    Ortsteil Tiergarten
    Postleitzahl 10787
    Falk‑Stadtplan Planquadrat M 12

    Geschichte von Rosa-Luxemburg-Steg
    Ehemaliger Bezirk Tiergarten
    Name seit 25.09.2012

    Der Rosa-Luxemburg-Steg hieß früher Lichtensteinbrücke.
    Örtliche Zuständigkeiten für Rosa-Luxemburg-Steg
    Arbeitsagentur Müllerstraße
    Jobcenter Nr. 0 Mitte - Seydelstraße
    Nr. 0 Mitte - unter 25-Jährige
    Amtsgericht Mitte
    Grundbuchamt Mitte
    Familiengericht Pankow/Weißensee
    Finanzamt Mitte/Tiergarten
    Polizeiabschnitt A 34
    Verwaltungsbezirk Mitte

    Berlin: Brücke wird nach Rosa Luxemburg benannt
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/brucke-wird-nach-rosa-luxemburg-benannt-6679231.html

    Ach der arme Tagesspiegel-Berichterstatter. Hat er doch befürchtet, dass Zoo-Lichtensteins Name mit einem Objekt weniger gewürdigt würde. Das ist nicht passiert. Nur der öffentliche Teil der Brücke wurde nach Rosa benannt, die Zoo-eigene Hälfte heißt unverändert Lichtensteinbrücke .

    25.09.2012 - Es gibt einen Platz, der ihren Namen trägt, eine Straße, einen U-Bahnhof. Und nun wird auch eine viel genutzte, aber doch namentlich wenig bekannte Brücke nach Rosa Luxemburg benannt.

    Es gibt einen Platz, der ihren Namen trägt, eine Straße, einen U-Bahnhof. Und nun wird auch eine viel genutzte, aber doch namentlich wenig bekannte Brücke nach Rosa Luxemburg benannt. Die Lichtensteinbrücke in Tiergarten wird ab heute den Namen Rosa-Luxemburg-Steg tragen. Das kündigte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit.

    Der Ort ist eng mit der Geschichte Luxemburgs verbunden. Im Januar 1919 war die Aktivistin der Arbeiterbewegung zusammen mit Karl Liebknecht verhaftet und ermordet worden. Ihre Leiche wurde von der Brücke in den Landwehrkanal geworfen und erst in der Nacht zum 1. Juni an der nahe gelegenen Schleuse geborgen. Beigesetzt wurde sie schließlich auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Liebknecht wurde am Neuen See getötet, nur wenige Schritte entfernt.

    Die Lichtensteinbrücke trug ihren Namen nach Angaben des Berlin-Lexikons „Luise“ seit 1873. Sie erinnert an Hinrich Lichtenstein, der 1844 den Zoologischen Garten gegründet hat. Im Krieg zerstört, wurde die Brücke Ende der 80er nach den Plänen der ICC-Architekten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte wiedererrichtet. Sie schufen auch das Luxemburg-Denkmal am Ufer des Kanals.

    An den Zoo-Gründer erinnern weiterhin die Lichtensteinallee sowie eine Schule in Gropiusstadt. Und eine Marmorbüste im Zoo. AG

    Soweit die fehlergeneigte mittlerweile historische Berichterstattung. Den neuesten und wahrscheinlich letzten Stand der Erkenntnisse zur Ermordung von Karl und Rosa gibt diese Veröffentlichung wieder:

    Jörn Schütrumpf, Der wahre Runge - Wilhelm Pieck und die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Nerlin, RLS, 1/2024
    https://www.rosalux.de/publikation/id/51484/der-wahre-runge
    Download: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Online-Publikation_Der_wahre_Runge.pdf

    Zu guter letzt hier noch die beiden weiteren Erinnerungen an Rosa im Berliner Straßenbild

    Rosa-Luxemburg-Straße
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Rosa-Luxemburg-Strasse-10178-Berlin

    Rosa-Luxemburg-Platz
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Rosa-Luxemburg-Platz-10178-Berlin

    Der mit Rosa ermordete Karl wird wird nur einmal geehrt.

    Karl-Liebknecht-Straße
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Karl-Liebknecht-Strasse-10178-Berlin

    An viele unserer Genossinnen und Genossen und Freiheitskämpder wurde in der #DDR mit der Widmung von Straßen, Plätzen und Gebäuden erinnert. Die meisten dieser Widmungen sind nach 1989 gelöscht worden. Ihnen werden wir wir eine separate Sammlung widmen.

    An den ersten Direktor des Berliner Zoo wird mit einer Allee zwischen spanischer Botschaft und Café am Neuen See und der ersten Brückenhäfte gedacht.

    Lichtensteinbrücke
    https://de.wikipedia.org/wiki/Lichtensteinbr%C3%BCcke

    Die Lichtensteinbrücke ist der östliche Steg einer Fußgänger-Doppelbrücke im Berliner Ortsteil Tiergarten. Der westliche Übergang heißt seit 2012 Rosa-Luxemburg-Steg. Die Stege überbrücken auf einem gemeinsamen Unterbau den Landwehrkanal.

    #Berlin #Tiergarten #Lichtensteinbrücke #Lichtensteinallee #Rosa-Luxemburg-Steg #Geschichte #KPD

  • Die Berliner Rockband Pankow und die Geschichte der wahren Mauerfall-Hymne
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/die-berliner-rockband-pankow-und-die-geschichte-der-wahren-mauerfal

    Gut gelaunt dem Ende entgegen: Die Berliner Band Pankow auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    11.1.2025 von Jens Blankennagel - Es war Ignoranz, dass kein Song aus dem Osten zum Soundtrack der Revolution in der DDR wurde. Pankow schrieben diesen Song und spielen ihn nun auf ihrer Abschiedstour.

    https://www.youtube.com/watch?v=_L50ahjDXqI

    Es gibt nur wenige Rockbands, die so dermaßen Berlin sind. Bereits der Name ruft es in die Welt hinaus: Pankow. Die Musiker griffen sich 1981 ganz bewusst den Namen eines Berliner Bezirkes – natürlich eines im Osten. Was sonst? Erstens klingt Steglitz total bieder, zweitens hätte die Staatsmacht eine DDR-Band mit einem Westnamen sofort verboten. Der Name Pankow ist wirklich gut: Die Band wäre weniger erfolgreich, wenn sie sich Friedrichshain genannt hätte. Der Name war doppeldeutig, eine Provokation: Im Westen wurde der Begriff „Machthaber in Pankow“ als verächtliche Bezeichnung für die DDR-Staatsführung benutzt, vor allem aber schwang im Wort Pankow ganz wunderbar der Begriff Punk mit.

    Die Band war schwer zu greifen: Einerseits war sie staatstragend genug, um Alben aufnehmen zu dürfen, andererseits klangen ihre provokanten Texte so sehr nach Berliner Schnauze, dass ein ganzes Album nicht erscheinen durfte. Trotzdem stiegen Pankow zur wohl besten der offiziellen DDR-Rockbands auf.

    Nun, am 17. Januar, beginnt ihre Abschiedstour. Das ist ein Grund, um die Band bei einer Probe zu besuchen. Aber es geht um viel mehr als die Band, es geht um die DDR als Diktatur sowie um die Stasi; es geht um geile Musik und wilde Konzerte, um mutige Texte und den Hang zur Provokation. Es geht um Zensur und Auftrittsverbote.

    Ein weiterer Grund ist, dass die Band zwar legendär war, heute aber der breiten Öffentlichkeit nicht so sehr bekannt ist. Aber wenn es so etwas wie rockhistorische Gerechtigkeit gäbe, dann müsste Pankow heute die bekannteste „Ostrock“-Band sein – und eben nicht die bräsigen Puhdys oder Karat mit ihren schwülstigen Texten. Denn Pankow hat den wahren Mauerfall-Song geschrieben, das aber wissen nur Leute im Osten.

    Deshalb soll hier entlang der Geschichte dieser Band auch über manche verpasste Chance in Ost und West erzählt werden, über Fehler nach dem Mauerfall, aber auch über den bis heute dominanten West-Blick auf den Osten. Denn bis heute regiert der Irrglaube, dass eine Band aus dem Westen die wahre Hymne zur Revolution in der DDR geschrieben hat.

    Im Proberaum: Sänger André Herzberg singt die Abschiedssingle „Bis zuletzt“.Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Orgie aus Rock, Punk und Blues

    Es ist ganz still hinter Tür Nr. 15. In den Noisy Rooms auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain können sich Bands stundenweise in Proberäume einmieten. So wie Pankow an diesem Wintertag. Nach mehr als drei Stunden ist nun Pause.

    Kern der Band sind Gitarrist Jürgen Ehle und Sänger André Herzberg. Ehle ist 68 und steht bei der Probe nicht mehr stundenlang durch, sondern spielt entspannt im Sitzen. Und Herzberg mit seinen 69 Jahren hat sich eine Art Handwerkergürtel umgeschnallt. „Für die Mundharmonikas“, sagt er. „Ich vergesse immer mal, wo ich sie hinlege.“ Die beiden sind grau geworden und etwas gebeugt, aber ihre Musik ist aufrecht.

    Keyboarder Kulle Dziuk spielt in bester Altberliner Drehorgelmanier die Melodie des Gassenhauers „Komm Kalineken, komm“. Es klingt so wunderbar volkstümlich, dass die anderen immer wieder laut lachen. Dann setzt die Band ein, erst langsam, dann schneller: „Pankow, Pankow, Pankow, kille kille Pankow, kille kille Hopsasa.“ Einer ihrer Klassiker. Der Text ist so sinnfrei wie irgendwas. Die Musik wird immer schneller, druckvoller. Sie endet in einer Orgie aus Rock, Punk und Blues, die abrupt abbricht. Ehle lächelt und sagt: „Als wär’s gestern gewesen.“ Herzberg lacht zurück und sagt: „Genau.“

    Jung und live: Sänger André Herzberg bei einem Konzert 1987 in Berlin. Christian Ruff

    Das Radio als Verbindung in die Welt

    Für mich war Pankow als Jugendlicher in den 80er-Jahren eine Offenbarung. Es war die Zeit, als die großen Geschwister Abba hörten, Smokie oder Bob Dylan. Wir hörten AC/DC, Blues, The Dubliners. Ich saß in meinem Plattenbauzimmer und wollte cool sein, aber niemand, der cool sein wollte, hörte Rockmusik aus der DDR. Ich auch nicht. Bis ich Pankow entdeckte.

    Stundenlang hing ich am Röhrenradio, das über meinem Bett stand. In der Provinz war es die wichtigste Verbindung in die große weite Welt der Musik. Ich hörte NDR und den britischen Soldatensender BFBS, den legendären DJ John Peel, Hardrock-Shows, Sendungen über Irish Folk. Nachts war da Musik zu hören, die kein Spießer verstand.

    Die Nacht der Nächte

    Als ich eines nachmittags meinen Schrank aufräumte, lief beim Sender DT64 ein Lied über eine „Inge Pawelczik“. Ein toller Song, schmissig, rockig, eine Prise New Wave. Es ging um das, was später One-Night-Stand hieß. Ich fand die Musik toll und dachte: Die Band muss aus dem Westen sein. Dann sagte der Moderator, die Band heiße Pankow und der Song habe in Berlin für einen kleinen Skandal gesorgt. Eine Frau gleichen Namens hatte sich beschwert; sie war Lehrerin und wollte mit Sex nicht in Verbindung gebracht werden. Ich wurde Fan.

    Im Keller des Kulturbundes gründeten wir einen Jugendclub und fragten, ob wir auch Bands einladen dürfen. Wir durften: Also luden wir Pankow ein, die dann in der größten Halle von Aschersleben spielte. Am nächsten Morgen saßen wir mit der Band im Hotel beim Frühstück. Später war ich bei einem Dutzend Konzerten dabei.

    Das Doppelherz von Pankow: Gitarrist Ehle und Sänger Herzberg .Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Wegen Pankow verpasste ich sogar die Hochzeit meiner Lieblingscousine. Ich war damals bei der Armee: Um endlich mal wieder Urlaub zu bekommen, musste ich einen Grund nennen. Ich behauptete, ich müsse zur Hochzeit meiner Cousine. Ich bekam frei, fuhr aber zu einem Pankow-Konzert in Halle. Als meine Cousine ein halbes Jahr später tatsächlich heiratete, bekam ich nicht frei: Ihre Hochzeit hatte ich als Urlaubsgrund bereits aufgebraucht.

    Der Zauber der Langeweile

    Eigentlich war die Band ein großer Spaß: guter Rock mit guter Bühnenshow, tolle Liebeslieder über Frauen mit so wunderbar altbackenen Namen wie Isolde oder Doris. Aber da war von Anfang an viel mehr, denn in der DDR klang ein Songtitel wie „Er will anders sein“ wie eine Kampfansage. Eigentlich waren Pankows Texte nicht explizit politisch. Die Band erzählte einfach vom Alltag. Doch das war in der DDR hochpolitisch, denn zwar passten die Texte gut zum realen Alltag, aber beide passten nicht so recht zu den DDR-Nachrichten. „Wir haben das Leben so erzählt, wie wir dachten, dass es ist“, sagt Herzberg in den Noisy Rooms, und Ehle sagt: „Aber wenn man nicht den Helden der sozialistischen Produktion auf die Bühne brachte, war das schon ein Problem. In Büchern und im Theater gab es so etwas, aber doch bitte nicht in der Unterhaltung.“ Unterhaltung hatte gefälligst seicht zu sein.

    Diese Band war nicht seicht: Ihre erste Platte war ein Konzeptalbum über den Alltag des Lehrlings „Paule Panke“. Live war es ein Hit, sie führten das Rockspektakel mehr als 300 Mal auf, die Plattenfirma schnitt ein Konzert mit: ihr erstes Album. Es war fertig produziert, wanderte dann aber in den Giftschrank. Paules Leben war nicht vorbildlich genug. „Mich hat das sehr gewurmt und wahnsinnig verletzt“, sagt Herzberg. Auch noch nach dem Mauerfall. Als Dank für diese Zensur warf er bei einem Empfang einem Ex-Amiga-Chef eine Torte ins Gesicht. „Es war eine große Genugtuung.“ Er lächelt versonnen.

    „Auszusprechen, dass der Kaiser nackt war, reichte schon aus. Dann warst du schnell marginalisiert“, sagt er. „Und ich habe immer dazu geneigt – auch schon aus Spaßgründen –, die Dinge auszusprechen. Ich wusste, dass das, was wir machen, provoziert.“

    Seine Texte, die seines Bruders und ihrer anderen Autoren waren anders: Da wird von einem Soldaten erzählt, der Wache steht. Es ist der wohl einzige Armee-Rocksong der DDR – und dann befriedigt sich dieser Soldat beim Wachdienst selbst. Oder es geht um den „Nebel“ des Suffs, der nicht aus dem Kopf verschwindet. Oder Herzberg singt „Ohne Rast, ohne Ruh, geht’s dem Untergang zu“ oder er schwärmt vom „Aufruhr in den Augen“ oder beklagt die „Langeweile“. Alles Dinge, die es im Sozialismus doch bitte so nicht geben sollte.

    Eingespieltes Team: Pankow wurden früher oft als die Stones des Ostens bezeichnet. Christian Ruff

    Herzberg sitzt da und nickt. „Man versteht den Wert dieser Band nur, wenn man versteht, dass die DDR eine Diktatur war und dass wir auf unsere Bandweise versucht haben, das zu durchbrechen.“ Sein Tonfall schwenkt auf ernst. „Diese Ideologie, die Verbote und all das … Die Verbote waren immer irrational.“ Er schüttelt noch immer ungläubig den Kopf. „So war das ganze Leben in der DDR: Sie haben immer versucht, dir Angst zu machen, und je nach deiner inneren Form von Renitenz hast du dagegen mehr aufbegehrt oder weniger. Oder du hast mitgemacht oder eben nicht. Oder du bist gar in den Westen gegangen, weil du dir gesagt hast: Das lasse ich mir nicht mehr gefallen.“

    Im Proberaum poltert das Schlagzeug von Stefan Dohanetz präzise los, der Bass steigt ein, die Gitarre. Sie spielen ihren Abschiedssong, den sie für die Tour geschrieben haben. Ihr erster Song seit 13 Jahren. Ihr letzter. Er klingt typisch Pankow: rauer Rock und ein klarer Text, der 35 Jahre Bandgeschichte erzählt. Dazu der einprägsame Refrain „Bis zuletzt“, in den sich Herzberg nun geradezu reinsteigert. Es ist erst ihre vierte Probe vor der Tour, doch der Song klingt schon wie ein Klassiker. Plötzlich bricht die Band ab, der Sänger schlägt sich die Hände vors Gesicht, weil er zwei Zeilen verwechselt hat. Sie lachen. Sie haben Spaß. Rock hält jung.

    Auf der Box neben Bassist André Drechsler liegt ein Zettel mit den 13 Songs, die sie proben; Nr. 9 ist „Langeweile“ – ihr größter Hit. Der Song, der das Ende der Band überdauern wird, für viele im Osten die eigentliche Hymne des Herbstes 1989. Die Zensur hatte die Brisanz des Textes nicht erkannt. „Wären wir damit ein paar Jahre vorher gekommen, hätten sie auch uns wahrscheinlich verboten“, sagt Ehle.

    Es gibt wenige Lieder, bei denen ich noch genau weiß, wo ich sie das erste Mal hörte, so wie „Langeweile“. Ich studierte in Berlin, saß 1988 im Wohnheim und musste für eine Prüfung lernen. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren, nicht etwa, weil ich versuchte, in einer Vier-Mann-Bude zu lernen, sondern weil ich immer wieder die Kopfhörer aufsetzte, um das Album und dieses Lied zu hören. Ich konnte nicht glauben, dass die Zensur es nicht verboten hatte.

    Den Text hat Herzberg geschrieben. Nun, 36 Jahre später, sagt er: „Wir waren als Künstler erwachsener geworden.“ Sie hätten nicht mehr nur einzelne Momente im Leben eines Lehrlings beschrieben. „Wir haben die allgemeine Stimmung eingefangen. Und das war eine Provokation.“ Er hat recht.

    Auch heute hat das Lied musikalisch und dramaturgisch Bestand: Es geht überraschend ruhig mit einem Banjo los und steigert sich immer weiter. Textlich gibt es kaum Vergleichbares, das die Stagnation und das Eingemauertsein in so wenigen Worten so präzise einfängt – die Kernzeilen lauten: „Dasselbe Land zu lange geseh’n, dieselbe Sprache zu lange gehört. Zu lange gewartet, zu lange gehofft, zu lange die alten Männer verehrt.“

    Ein Patzer im Proberaum: Herzberg ist mit den Zeilen seines eigenen Textes durcheinandergekommen. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Die Zeilen mögen aus heutiger Sicht lapidar klingen, waren aber ein Wirkungstreffer. Der Zauber guter Songs besteht darin, dass sie das Leben, die Liebe oder das Leid auf zwei, drei Strophen verdichten können und mit der richtigen Musik starke Emotionen auslösen. Dieses Lied machte Hoffnung, dass sich doch etwas ändert. Dann stand der Song beim Radio auf dem Index. Der Grund: Die Band gastierte in einer Talkshow im Westfernsehen, Herzberg und Ehle waren witzig, souverän, selbstbewusst, dann spielten sie „Langeweile“.

    Ein SED-Funktionär aus Suhl war geschockt und wetterte auf einer Parteitagung. Die Band wurde in der Presse heftig angegriffen, es folgte ein Auftrittsverbot im Bezirk Suhl. Das drohte nun im ganzen Land. Doch die Musiker gaben nicht klein bei. Die rettende Idee: Auf ihrer Tour stand hinter ihnen auf der Bühne ein Soldatenchor der sowjetischen Streitkräfte und schmetterte die frechen Texte mit.

    Ich sah Pankow in Berlin beim großen Sommerkonzert in Weißensee. Es war absurd, es war cool. Noch kurz davor wäre es selbst für die staatstragendsten Künstler unvorstellbar gewesen, freiwillig mit einem Chor der unbeliebten „Russen“ zu touren. Doch nun regierte Gorbatschow, ein Kommunistenführer, der von der DDR-Führung gehasst wurde. Es war genial, dass sich Pankow ein paar Soldaten in Paradeuniformen der Roten Armee auf die Bühne holten. Diese Schutzmacht war auch eine Provokation – die Botschaft an die Fans lautete: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Und die Stasi war machtlos. So wurde „Langeweile“ für viele zur Hymne des Aufruhrs 1989.

    Gelassenheit des Alters: Jürgen Ehle im Proberaum. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Zeit des großen Jubels und der großen Fehler

    Dann fiel die Mauer, alles war anders – ganz anders. Wir waren in der Nacht des Mauerfalls in West-Berlin. Es dauerte eine Weile, so viel reines Glück zu verarbeiten. Wirklich klar wurde es mir erst drei Tage später beim „Konzert für Deutschland“ in der Deutschlandhalle. Joe Cocker sang, Nina Hagen, die Toten Hosen. Aber Tränen stiegen bei mir ganz am Anfang auf, als Pankow spielten. Mir wurde klar: Wenn ich meine Lieblingsband aus dem Osten live in West-Berlin sehe, musste die Mauer tatsächlich offen sein.

    Die Zeit war einfach wunderbar. Ein großer Rausch. Diese Zeit war politisch wie nie, sie war schnell, chaotisch und unberechenbar. Eine Zeit der ungezählten Fehler in Ost und West. Der Fehler der meisten Ossis: Sie haben sich erstmal nicht mehr für Ostkünstler interessiert, weil sie so viel nachzuholen hatten. Der Fehler der meisten Wessis: Sie haben sich sowieso nicht so sehr für Künstler im Osten interessiert. Der entscheidende Unterschied: Die Ossis hatten eine ganze Welt zu entdecken, die Wessis nur ein kleines Land.

    Die Ost-Stars standen in fast leeren Konzerthallen, die Theater blieben leer, die Kultur war tot, und Pankow verloren den Sänger. „Der Fall der Mauer war für mich das Zusammenbrechen des ganzen Systems“, sagt Herzberg heute. „Da war für mich klar, dass alle Parameter meines Lebens neu sein mussten. Ich hab meine Familie verlassen, ich hab kurz überlegt, ob ich nach Amerika gehe. Da war dieses blinde Spüren: Alles ist zu Ende.“

    Die Band machte mit neuem Sänger weiter. Obwohl kaum jemand zu Ostrockkonzerten ging, behielten Pankow ein Stammpublikum. Ich sah sie 1991 zum zehnten Bandjubiläum und 1996 im Tränenpalast zum 15. Herzberg war zurückgekehrt, die Fans waren begeistert. Ein denkwürdiger Auftritt, der schon vorher für Schlagzeilen sorgte. Herzberg hatte 1992 seine Stasi-Akte gelesen und beantragt, dass er die Namen der Informellen Mitarbeiter erfährt. Das dauerte lange, sehr lange, vier Jahre. Er war gerade wieder bei Pankow eingetreten, als ihm mitgeteilt wurde: Jürgen Ehle war IM gewesen. „Das war ein ganz harter Schlag für mich.“ Auch, weil Ehle nicht das Vertrauen hatte, es ihm zu erzählen.

    Ehle wird nun sehr ernst und erzählt von einem PDS-Politiker, der sich 1990 als einziger Volkskammerabgeordneter freiwillig zu seinen Stasi-Kontakten bekannte. Er rief auch andere auf, darüber zu sprechen. Es hätte der Start für eine offenere Aufarbeitung sein können, doch der Mann wurde heftig angefeindet. „Die Reaktionen fand ich eklig“, sagt Ehle. „Wenn er schon den Mut hat und sagt, was los war, dann war die Reaktion völlig daneben.“ So, wie viele andere, sah Ehle nur einen Weg: schweigen.

    „Am Anfang ging es sehr schnell mit den Schubladen, man hat erst später gelernt, genauer hinzugucken“, sagt Ehle. Er überlegt: „Ich hatte Manschetten, ob ich vielleicht Dinge verdrängt habe. Aber diese Angst hat sich als unbegründet erwiesen.“ Die Akten hätten mit seinen Erinnerungen übereingestimmt.

    Beim Konzert 1996 im Tränenpalast spürten auch wir im Publikum bei Herzberg diese Wut, die Enttäuschung. Da war ein tiefer Riss zwischen den beiden, da war vieles zerstört, aber sie redeten miteinander, sie rockten und sie schwitzten gemeinsam. An dieser Band können etliche typische DDR-Dramen erzählt werden. Herzberg sagt: „Pankow war eine richtig gute Zeit, aber auch eine schreckliche.“

    Die Probe vor der Tour: 13 Songs standen an diesem Tag auf der Liste. Markus Wächter/Berliner Zeitung

    Der Wind weht aus Köln

    Schon Jahre davor fiel weit im Westen der neuen Republik die Entscheidung, dass die Musiker von Pankow keine gesamtdeutschen Stars werden. Anfang der 90er-Jahre wurde die passende Musik für eine TV-Doku über den Mauerfall gesucht. Ein Mann in einem Kölner Studio entschied sich der Legende nach für einen Song aus Hannover: „Wind of Change“ von den Scorpions, der einzige Song mit Ost-Bezug, den er kannte. Die Logik war einfach: Lieber eine bekannte Band aus dem Westen, als eine im Westen unbekannte Band aus dem Osten.

    Hätte nicht jemand auf die Idee kommen müssen, nach einem passenden Song aus dem Osten zu suchen? „Ja, auf jeden Fall, absolut“, sagt Herzberg. Ehle lacht trocken: „Dort herrscht nun mal eine völlig andere Wahrnehmung.“

    Der Witz daran: Die Scorpions haben den Song erst ein Jahr nach dem Mauerfall veröffentlicht, er hat rein gar nichts mit der DDR zu tun, trotzdem gilt er als Hymne des Mauerfalls. Bis heute. Zum Beispiel neulich auf Pro7: Der Reporter Jenke von Wilmsdorff zeigt eine 80er-Jahre-Doku, stundenlang geht es fast nur um den Westen, am Ende muss dann doch noch etwas Osten kommen – wegen des Mauerfalls. Wieder geht es um den Soundtrack dieser Zäsur und wieder wird die Scorpions-Legende ausgewalzt.

    Noch absurder ist nur das andere Märchen, dass „Looking for Freedom“ von David Hasselhoff die zweite Mauerfall-Hymne sei – zum 35. Jahrestag gerade wieder zu sehen im Werbespot einer Bank. Dort sitzen Kohl, Bush, Honecker, Gorbatschow und Thatcher am runden Tisch, ein Mann kommt und spielt den Dorfbums-Schlager des C-Movie-Darstellers aus Hollywood ab, Kohl springt auf den Tisch, tanzt unterm DDR-Wappen, irgendwann ruft Honecker: „Sie haben recht, Herr Hasselhoff, die Mauer kann weg.“

    Aha, in der DDR hat nicht die winzige Opposition ihre Freiheit riskiert, als sie aufbegehrte, und nicht das Volk, als es sich auf die Straßen traute. Nein, es war alles nur Fun, und Helmut Kohl hat mit David Hasselhoff die Mauer gestürzt und der Scorpions-Sänger pfiff dazu seine kleine Melodie.

    Es sind nur kleine Puzzlesteine der Ignoranz, bei denen es im Westen gern heißt: „Nun habt euch doch nicht so!“ Aber bei nicht wenigen im Osten sorgte so etwas für Frust und Wut, schnell war von Siegermentalität die Rede.

    Die Wahl der „Mauerfall-Hymne“ hätte anders enden müssen. Es geht nicht um „Langeweile“, sondern einen Song aus dem Osten, egal ob von Silly, Keimzeit, Sandow oder Pankow. Vielleicht hätte das ein klein wenig mitgeholfen, die Wahrnehmung von Themen aus dem Osten zu ändern.

    Das Ende vom Lied

    So weit dieses alte Kapitel aus der Geschichte des Rock. Natürlich sind die Pankower als Künstler verärgert, aber als Menschen sind sie altersweise genug, um nicht verbittert zu sein. Gerade spielen sie im Proberaum ihre Abschiedssingle nochmal, die zweite Version, denn das Fernsehen verlangt eine Kurzfassung. „Wir müssen uns der Diktatur der Fernsehmacher unterwerfen“, sagt Herzberg. Sie lachen. Dann spielen sie eine noch kürzere Version. Mitten im Lied ist diese effektvolle Pause, bevor Ehle mit seinem Gitarrensolo einsteigt. Die Funken springen über, die Band funktioniert, die Steine rollen.

    Sie sind bereit: Die Abschiedstour beginnt am 17. Januar im Cottbuser Glad House – der Anfang vom Ende. Bleibt eine letzte Frage: Es könnte geil werden. Ist es trotzdem vorbei? Ehle richtet sich auf und sagt nur: „Ja. Die Gründe bleiben, auch wenn die Tour gut wird.“ Herzberg erzählt, dass sie sich nur alle paar Jahre sähen. „Die gemeinsame Kreativität ist aus dem Fokus geraten.“

    Aber die Abschiedssingle ist doch gut. „Der Song ist nur entstanden, weil wir aufhören wollen“, sagt Ehle. Herzberg nickt und fängt an, noch stärker zu berlinern: „Ick find es großartig, dit so zu Ende zu bringen, weil du es noch mit einer solchen Energie machen kannst.“ Dann packen sie ihre Sachen und gehen hinaus in den Berliner Winter.

    #DDR #musique #rock

  • Berlin : Erinnerungen an das Haus des Reisens und einen für die DDR unverzichtbaren Begriff
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/berlin-erinnerungen-an-das-haus-des-reisens-und-einen-fuer-die-ddr-

    Das Haus des Reisens im Jahr 1973 H. Blunck/imago

    Dans cet article remarquable un traducteur et interprète raconte son expériene avec le régime de voyages restreints en #RDA. Les trotzkystes qualifièrent de « bureaucratique » l’état soviétique après 1927 et le bureaucratisme fut bien une caractéristique de l’état socialiste allemand. L’article confirme l’observation que les citoyens soumis à cette forme particulière d’état de droit eurent l’habitude de ne trop le prendre au sérieux et d’organiser leur vie et leurs besoins comme bien il leur sembla.

    27.12.2024 von Vincent von Wroblewsky - In der DDR war das Wort „Vorgang“ allgegenwärtig und für unseren Autor ein Rätsel. Auch im Zusammenhang mit seiner Stasiakte taucht es auf.

    Dafür gibt es keinen Vorgang.“ Diese knappe und endgültige, unwiderrufliche Auskunft bekam ich Anfang der Achtzigerjahre in der visavergebenden Reisestelle am Alexanderplatz. Sie hatte ihre Büros in einem der neuen Hochhäuser mit dem vielversprechenden Namen „Haus des Reisens“. Wie es sich zeigte, hätte es sich besser „Haus der Reiseverhinderung“ nennen sollen.

    Was hieß in diesem Fall „Vorgang“? Ich stand hilflos vor diesem Wort. Eine neue Herausforderung der Sprache, die mir nach meiner Ankunft aus Paris in Ost-Berlin, etwa dreißig Jahre früher, immer noch Rätsel aufgab, obwohl ich als Übersetzer und Dolmetscher einen guten Ruf genoss. Ließ sich das geheimnisvolle Wort ins Französische übersetzen? Nur sehr annähernd. Eines war klar: Mein „Anliegen“ – auch so ein Begriff aus der gleichen Bürokratenfamilie – war abgelehnt, bevor ich es überhaupt begründen konnte.
    Der schöne Plan scheitert

    Was wollte ich? Ich wollte ein Visum für meine zehnjährige Tochter, das ihr ermöglichen sollte, nach Frankreich zu fahren. Mein Freund Jean-Philipp kannte Sarah seit ihrer Geburt. „Seit ihrer Geburt“ ist nicht so dahingesagt. Er besuchte mich gerade, als sie zur Welt kam. Zu meiner ersten Begegnung mit der Neugeborenen begleitete er mich ins Krankenhaus Friedrichshain. Ich gab ihn als nahen Verwandten aus.

    Da er als begabter Germanist akzentfrei Deutsch sprach, wurde die Lüge akzeptiert, er durfte mit mir gemeinsam die neue Weltbürgerin begrüßen. Er hatte es sich genau vorgestellt. Ich würde Sarah zum Flugzeug bringen, er würde sie in Paris in Empfang nehmen, sie könnte die Ferien mit seiner Familie, vor allem mit seiner Tochter verbringen. Das würde sie unter anderem mit der französischen Sprache vertraut machen.

    Dieser schöne Plan scheiterte nun daran, dass es dafür keinen Vorgang gab. Warum hätte es ihn auch geben sollen? Es gab kaum Erwachsene in der DDR, die privat nach Frankreich reisen konnten, jedenfalls seit dem 13. August 1961, als die „Grenzsicherung“, weniger realistisch von den Herrschenden als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet, dafür sorgte, dass das „Staatsvolk“ dieser um das Wohl ihre Bürger so sehr besorgten Regierung („unsere Menschen“) nicht den Gefahren des Westens ausgesetzt wurden. Vor dem Mauerbau konnte man auch als Ostdeutscher von West-Berlin aus mit einem westdeutschen Pass in die weite Welt entfliehen, vorausgesetzt, man hatte das notwendige konvertible Kleingeld und scheute nicht die Transgression der DDR-Gesetze.

    Später, viel später, als die letzten Spuren der Mauer zur Touristenattraktion geworden waren, machte ich die Erfahrung, dass nicht nur der nicht vorhandene Vorgang ein Hindernis sein konnte. Ich bereitete mich darauf vor, in Berlin nach Paris einzuchecken, nun ohne Visum, einfach nur mit dem Ausweis, der mich als Bürger des Schengenraums auswies, als eine Mutter mit einem etwa zehnjährigen Mädchen auf mich zukam und mich fragte, ob ich bereit wäre, ihre Tochter bis Paris zu begleiten, wo sie erwartet würde. Ohne erwachsene Begleitung würde man sie nicht einsteigen und fliegen lassen, doch in der Obhut ihres Onkels, als der ich mich ausgeben könnte, könnten ihre Freunde in Paris sie in Empfang nehmen.

    Ich dachte an den Jahre zurückliegenden fehlenden Vorgang und sagte zu. Doch beim Einchecken war die Beamtin misstrauisch, das Mädchen kannte den Namen ihres Onkels nicht und auch ich konnte keine überzeugende Auskunft über sie geben. Die Bemühungen der Mutter und auch meine, die Beamtin umzustimmen, blieben vergeblich. So scheiterte der Plan der Mutter, die entsetzt und verzweifelt an die vergeblich wartenden Freunde in Paris dachte und zugleich versuchte, die schluchzende Tochter zu trösten.

    Maschinen der Interflug auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld Frank Sorge/imago

    Der Vorgang stellte sich als etwas komplizierter dar als vorgestellt und ich bedauerte die ebenso schnelle wie schlechte Vorbereitung, fühlte mich an der Enttäuschung von Mutter und Tochter mitschuldig.

    Mit dem Pass eines Landes, das es nicht mehr gibt

    Im Frühjahr 1990 war es dagegen einfach, mit meiner Tochter als ihr echter Vater nach Paris zu fliegen. Dafür war nunmehr kein Vorgang mehr nötig. Wir feierten in Ivry bei Paris ihren 14. Geburtstag in der Wohnung von Antoine Spire und seiner Frau Colette. Ich hatte für ihn gedolmetscht, als er für den Radiosender France Culture in der Hauptstadt der DDR bekannte Persönlichkeiten wie Christa Wolf interviewte. Der Geburtstag war für Antoine der Anlass, bei Berthillon Eis zu kaufen. Es erfreute sich des Rufs, das beste von Paris zu sein.

    Ein halbes Jahr später flog ich von Berlin nach Washington. Dort erwartete mich ein zehnmonatiger Forschungsaufenthalt im Woodrow Wilson International Center for Scolars. Auf Anregung ihrer Mutter begleitete mich Sarah. In Washington schlug sie das Angebot der deutschen Schule aus, die arme Verwandte aus dem Osten unentgeltlich aufzunehmen, sie entschied sich für eine normale amerikanische Schule. Auf diese Weise eignete sie sich eine gute Grundlage der englischen Sprache in ihrer amerikanischen Variante an. Und konnte neben Gitarre auch noch Französisch als Fach wählen.

    Für die Reise in die USA war kein Vorgang nötig. Aus- und Einreisevisum wurden in unseren blauen DDR-Pass gestempelt, und im Frühjahr 1991 flogen wir nach Berlin zurück, mit dem Pass eines Landes, das es nicht mehr gab. Langsam gewöhnte ich mich an das Leben in dem Land, das an die Stelle des verschwundenen getreten war.

    Die Umwelt und vor allem die Menschen waren nicht mehr die, die ich ein Jahr zuvor verlassen hatte. Nicht nur die Zukunft, auch die Vergangenheit waren nicht mehr die, die sie gewesen war. Das wurde mir besonders bewusst, als ich einen Einblick in meine Stasiakten nehmen konnte. In den 400 Seiten stieß ich erneut auf einen Vorgang. Einen operativen.

    Im Unterschied zu dem Vorgang, den es zu Beginn der Achtzigerjahre im Haus des Reisens nicht gab, fand ich im Internet Auskunft über diesen. Ich lese: „Der Operative Vorgang (OV) war ein Maßnahmenkatalog des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR für geheimdienstliche Ermittlungen und Aktivitäten gegen missliebige oder verdächtige Personen oder Personengruppen.“ Ja, das trifft zu. Man sah in mir eine missliebige und verdächtige Person. Am 13. Dezember 1963 wird aus einem Vorlauf ein Vorgang, und zwar „operativ“.

    Studenten in der DDR, 1964 imago

    Für diesen Operativ-Vorgang gibt es einen Decknamen: „Schlange“. Als Mitarbeiter ist der Leutnant Sperling ausgewiesen. Und natürlich ist der IM Tiger dabei, mein ehemaliger Kommilitone und angeblicher Freund, womit das Bestiarium sich vervollständigt.

    „Gründe für das Anlegen“ sind folgende: „Der von WROBLEWSKI, Vincent scharrt eine Gruppe von negativ eingestellten Personen um sich, die sich regelmäßig in verschiedenen Wohnungen zu sogenannten Diskussionsparties zusammenfinden. Diese Zusammenkünfte tragen organisierten Charakter. Bei diesen Zusammenkünften wird von den Teilnehmern gegen die Maßnahmen von Partei und Regierung gehetzt. An diesen Zusammenkünften nehmen auch Westberliner teil.“

    Was ich für normal und selbstverständlich hielt, dass sich junge Leute, zumal Studenten, treffen, um miteinander über Themen zu sprechen, die sie interessieren, politische, philosophische, künstlerische, um sich auszutauschen, sich gegenseitig ihre Erfahrungen, Hoffnungen, Sorgen mitzuteilen, auch gemeinsam zu essen, zu trinken, zu flirten, sich zu lieben, das wurde hier wiedergegeben als „eine Gruppe von negativ eingestellten Personen“, um gegen die „Maßnahmen von Partei und Regierung“ zu hetzen.

    Ich war noch mal davongekommen

    „Negativ eingestellt“ scheint das Stasisynonym für kritisches Denken zu sein. Es war dafür gesorgt, dass alle Beweise „erarbeitet“ werden konnten, um diese negativen Individuen zu überführen und ihrer Hetze gegen Partei und Regierung einen Riegel vorzuschieben, anders gesagt, sie hinter Schloss und Riegel zu bringen: „Durch das Vorhandensein von 4 GI’s welche dieser Gruppe angehören, besteht die Möglichkeit, den Charakter und damit diesen Personenkreis von innen heraus aufzuklären und op. zu bearbeiten, um dadurch in kürzester Zeit über die Konzeption dieser Gruppierung Klarheit zu gewinnen. Unterzeichnet Clasen Major, Ullrich Major, Brachlow Leutnant.“

    Letztlich reichten die Beweise nicht aus, nach vier Jahren Berichte fleißiger, umsichtiger informeller Mitarbeiter, Einsatz von moderner Überwachungstechnik, intensiven Abhörens meines Telefons, Kontrolle meiner Post, wanderte der operative Vorgang ins Archiv. Ich war noch einmal davongekommen.

    Ein Riesenaufwand für nichts, Hunderte, wenn nicht Tausende vergeudete Arbeitsstunden und viel Geld verschleudert. Doch will ich gerecht sein und nicht alles schlechtreden. Diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme trug zu einer der größten Errungenschaften der DDR bei – es gab keine Arbeitslosigkeit. Das zu leugnen, wäre schiere Undankbarkeit.

    spannende Lektüre

    Dennoch trauere ich den im Strom des Vergessens versunkenen Vorgängen, jenen, die es nicht gab, ebenso wie den operativen, nicht nach. Für meine Enkelin Frida, die unbeschwert die günstigen Fahrmöglichkeiten für Jugendliche nutzt und sich mit Selbstverständlichkeit in Europa und sogar darüber hinaus heimisch fühlt, ist der „Vorgang“ ein Fremdwort, ein Unwort, und ein Vorgang, den es nicht gibt, nicht vorstellbar, aber auch nicht etwas, das sie vermisst. Und es mag so bleiben, solange sie nicht eine Verwaltungskarriere anstrebt. Andernfalls würde ich ihr eine gewiss spannende Lektüre empfehlen, aus der sie über den geheimnisvollen Vorgang mehr erfahren würde, als mir je zugänglich war.

    Im Jahr 2018 erschien in zweiter Auflage das grundlegende Werk „Akte, Vorgang und Vermerk“ – ein kurzer Leitfaden zur Vorgangsbearbeitung und Schriftgutverwaltung. Darin findet sich eine Erklärung, gar eine Definition für diesen offensichtlich nicht nur in der DDR unverzichtbaren Begriff: „Ein Vorgang ist eine Sammlung von einzelnen, zusammengehörenden Dokumenten aus der Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls. Er ist damit Teil einer Akte …“ Meine Stasiakte hat es mir bestätigt, auch wenn fragwürdig bleibt, um welches Geschäft es sich handelte.

    Vincent von Wroblewsky lebt in Berlin und Paris. Er ist Philosoph, Autor, Übersetzer und Dolmetscher. 2023 erschien im Merlin Verlag seine Autobiografie „Vermutlich Deutscher“.

    #Allemagne #histoire #DDR #tourisme #Stasi

  • Kündigung eines DDR-Altmietvertrags wegen Eigenbedarfs ist möglich
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kuendigung-eines-ddr-altmietvertrags-wegen-eigenbedarfs-ist-moeglic

    Voici une épisode tardif de l’histoire de désappropriation du peuple après la dissolution de l’état socialiste allemand. La plus haute cour de justice allemande en dessous du tribunal constitutionnel décide que l’acheteur d’un appartement peut mettre à la porte son locataire même si celui a un contrat de location qui l’exclut à cause du contexte juridique en vigeur au moment de sa signature.

    Jusque hier le droit socialiste sur la location d’appartements définissait les droits des locataires qui habitent un appartement depuis le temps de la RDA. Le Bundesgerichtshof vient de renverser cette règle malgé le principe que les nouvelles lois ne s’appliquent en général que pour les nouveau contrats.

    En RDA les expulsioms n’étaient possibles que pour des raisons justifiées par l’intérêt de la société comme la construction d’une voie ferroviaire. Le droit au.logement étant inscrit dans la constitution il fallait en plus reloger les personned expulsées. Ils étaient donc prioritaires pour l’attribution d’un appartement moderne peu cher.

    Là un tribunal capitaliste vient de juger plus important le droit à la propriété privée que le droit au logement qui cesse alors d’exister par cette décision.

    16.12.2024 - Der Bundesgerichtshof entscheidet zugunsten des Vermieters, der Eigenbedarf angemeldet hatte.

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine richtungsweisende Entscheidung hinsichtlich DDR-Altmietverträge und Eigenbedarfskündigungen bekannt gegeben. Der Vermieter kann gegen den Mieter kündigen, wenn der Bedarf gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch nachgewiesen wird.

    Am 13. November 2024 urteilte der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zur Kündigung eines DDR-Altmietvertrags aufgrund von Eigenbedarf. Das teilte der BGH am Montag in einer Pressemitteilung mit. Die Entscheidung war nötig, da ein Streitfall zu einem Mietvertrag aus Ost-Berlin vorlag, der unter den Regeln des Zivilgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik (ZGB-DDR) geschlossen wurde.

    Der Sachverhalt stellt sich wie folgt dar: Die Beklagten bewohnten seit Juli 1990 eine Dreizimmerwohnung in Ost-Berlin, basierend auf einem Formularmietvertrag mit dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Kommunale Wohnungsverwaltung Prenzlauer Berg. Der Vertrag, auf unbestimmte Zeit geschlossen, folgte den damals geltenden Regelungen des ZGB-DDR. Diese sahen vor, dass eine Beendigung der Mietverhältnisse durch Vereinbarung, Kündigung oder gerichtliche Aufhebung möglich sei. Im Jahr 2020 und erneut 2022 erklärte der Kläger, der durch Eigentumserwerb Vermieter geworden war, die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs.

    Neue Zahlen: Jeder dritte Berliner Haushalt kann sich die Miete nicht leisten

    Erster Ansatzpunkt im Prozess war die Räumungsklage des Vermieters, der auf der Grundlage des Eigenbedarfs kündigte. Das Amtsgericht gab der Klage statt, wohingegen das Landgericht Berlin auf Berufung der Mieter die Klage abwies. Begründet wurde dies durch die Berufung auf die DDR-spezifischen Vorschriften, die eine Eigenbedarfskündigung nur bei gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen erlaubten.

    Mit der zugelassenen Revision strebte der Vermieter die Wiederherstellung des Urteils der ersten Instanz an. Der Bundesgerichtshof hob schließlich das Urteil des Landgerichts auf. Jedoch wurde das Verfahren zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurück an das Berufungsgericht verwiesen. Hier soll geprüft werden, ob der klägerische Eigenbedarf tatsächlich besteht. Diese Vorschrift sieht vor, dass ein berechtigtes Interesse des Vermieters vorliegt, wenn die Räume für den eigenen Bedarf oder den seiner Familienangehörigen und Haushaltsmitglieder benötigt werden.

    Die Entscheidung hebt hervor, dass eine Eigenbedarfskündigung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erfolgen kann, auch wenn der Vertrag ursprünglich dem ZGB-DDR unterlag. Der Gesetzgeber hat dies durch spezielle Schutzvorschriften im Zuge des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik modifiziert. Demnach gilt, dass der bundesdeutsche Gesetzgeber abschließend die Kündigungsmöglichkeiten regelt, auch im Kontext von DDR-Altverträgen. Der BGH schreibt in seiner Begründung: „Der (bundesdeutsche) Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit dem Wirksamwerden des Beitritts für das Gebiet der DDR die Befugnis des Vermieters zur Beendigung eines bestehenden Wohnraummietvertrags gegen den Willen des Mieters durch die spezielle gesetzliche Vorschrift in Art. 232 § 2 EGBGB und die darin angeordnete Geltung der (mietrechtlichen) Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs – für eine Übergangszeit modifiziert durch besondere, auf einer umfassenden Abwägung der Interessen von Vermieter und Mieter beruhende Schutzvorschriften – vollständig und abschließend geregelt. Mit dieser Regelungssystematik sowie mit dem sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Sinn und Zweck der gesetzlichen (Übergangs-) Bestimmungen wäre es nicht vereinbar, wäre gleich- oder sogar vorrangig zu diesen eine aus der Zeit vor dem Beitritt stammende, in einem DDR-Altmietvertrag enthaltene Regelung der Parteien zur Beendigungsbefugnis des Vermieters maßgeblich, welche – wie im Streitfall – demgegenüber auf die frühere Rechtslage abstellt.“

    Die vom Berufungsgericht genutzte Argumentation, die vom Vermieter angeführte Gründe nicht als „dringend“ im gesellschaftlichen Sinne zu bewerten, wurde somit verworfen. Dies macht deutlich, dass der geltende rechtliche Rahmen den Vertragsbedingungen von DDR-Mietverträgen übergeordnet ist, insbesondere bei einer Eigenbedarfskündigung.

    Quelle: BGH

    Bei der Erstellung des Artikels wurden KI-Technologien eingesetzt.

    Eine Geschichte sozialer Wohnpolitik
    https://www.jacobin.de/artikel/andrej-holm-deutsche-wohnen-enteignen-vergesellschaftung-verstaatlichung-kom

    8.3.2021 Von Andrej Holm
    Mit dem in der Verfassung verankerten Recht auf Wohnen und einer restriktiven Mietbegrenzung war die DDR von sozial sicheren Wohnverhältnissen geprägt. Räumungen waren nur bei Zuweisung anderer Wohngelegenheiten möglich und die Mietbelastung lag in den 1980er Jahren bei etwa 5 Prozent der durchschnittlichen Einkommen.

    Recht auf Urlaub, Kita, Wohnung : So sozial war die DDR
    https://www.mdr.de/geschichte/ddr/alltag/familie/so-sozial-war-die-ddr-102.html

    Recht auf Wohnen
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Recht_auf_Wohnen

    In der DDR war das Recht auf Wohnen in der Verfassung vom 6. April 1968 verankert.

    Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 (in der Fassung vom 7. Oktober 1974)
    http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr.html

    Artikel 37
    1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Wohnraum für sich und seine Familie entsprechend den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und örtlichen Bedingungen. Der Staat ist verpflichtet, dieses Recht durch die Förderung des Wohnungsbaus, die Werterhaltung vorhanden Wohnraums und die öffentliche Kontrolle über die gerechte Verteilung des Wohnraums zu verwirklichen.
    2 Es besteht Rechtsschutz bei Kündigungen.
    3 Jeder Bürger hat das Recht auf Unverletzbarkeit seiner Wohnung.

    Mietrecht : die Besonderheiten von Altbauwohnungen der ehemaligen DDR
    https://www.mietrechtslexikon.de/a1lexikon2/m1/minderung_ddr.htm

    Gelten Bestimmungen der DDR-Mietverträge noch ?
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/818861.gelten-bestimmungen-der-ddr-mietvertraege-noch.html

    Mietvertrag DDR, Neuer Mietvertrag
    https://www.wohnung.net/mietrecht/mietvertrag-ddr-neuer-mietvertrag.html

    #DDR #RDA #droit #logement #justice_de_classe #capitalisme

    • De ce que je comprends, le nouveau propriétaire a acheté le logement en 2020, sachant parfaitement qu’il était occupé et, à ce moment-là, encore dépendant de la loi protégeant les locataires de RDA. Donc il achète un bien dont il sait que ça va être problématique. Pourquoi ?

      Est-ce qu’on peut suspecter qu’il a acheté le logement, justement à cause de cela, très en-dessous du prix du marché ?

      [Sinon, accessoirement, est-ce qu’on sait qui sont les locataires ? Parce que locataire de RDA depuis 34 ans dans le même logement, il y a des chances que ce soient des gens pas bien riches et pas bien jeunes…]

    • Je crois que c’est comme tu le dis et que le nouveau propriétaire a spéculé que les tribunaux lui fassent une fleur en prenant une décision comnme celle qui vient d’être prise. Ce qui en rajoute à la gravité du cas est que le perdant dans ce genre de contentieux doit payer tous les frais de procédure et les avocats des deux partis.
      Le jugement a d’ailleurs été cité par des centaines de pages web tellement il est fondamental.

  • Wie der Osten den Westen verändert
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186546.frauenemanzipation-wie-der-osten-den-westen-veraendert.html

    Selbstbewusste Frauen in der DDR Foto: cradall.org

    5.11.2024 von Pia Sophie Roy - Frauenemanzipation in der DDR und im vereinten Deutschland – Notizen von einer Debatte in Berlin

    Er ließ keinen Zweifel: »Hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt«, wusste Wolfgang Schäuble, der maßgeblich an der Aushandlung des Einigungsvertrages beteiligt war, 1990. Von »nachholender Modernisierung« in Ostdeutschland war die Rede, womit die Abwicklung »überflüssiger« Institutionen, die Privatisierung oder Liquidierung von 97 Prozent der Volkseigenen Betriebe (VEB), die Umstellung des staatlichen, kostenlosen Bildungs- und Gesundheitswesens der DDR auf Weststandard und radikaler Eliteaustausch gemeint war. Auf einem Gebiet jedoch gelang es nicht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen: bei der Frauenemanzipation.

    Von einem »Gleichstellungsvorsprung« im Osten sprach 1992 anerkennend Rainer Geißler, ein westlicher Sozialwissenschaftler. Nicht alles sei schlecht in der DDR gewesen, befand er kühn. Das bedeutet natürlich nicht, dass im zweiten deutschen Staat für die Frauen alles bestens bestellt war, wie Ursula Schröter in ihren Rückblick auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke in Berlin zu berichten wusste.

    Auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 wurde die Gleichberechtigung in der DDR als erfüllt verkündet. Etwas voreilig, obwohl die Gleichstellung nicht nur verfassungsrechtlich fixiert und das neue Familiengesetz von 1965 frauenfreundlich war. Seit Mitte der 70er Jahre gab es in der DDR keine Geschlechterunterschiede mehr in der beruflichen Qualifikation von Frauen und Männern. Die hohe Quote bei der weiblichen Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Mutterschaft verdankte sich der Angebote staatlicher Kinderbetreuung. In der DDR trugen Frauen zu 47 Prozent zum Haushaltseinkommen bei, in der Bundesrepublik waren es 18 Prozent. Ostdeutsche Frauen nutzten zu 90 Prozent Kindergärten, zu 80 Prozent Krippen und Schulhorte. 90 Prozent der Frauen in der DDR waren Mütter, was laut der Soziologin nicht zu toppen war, eingedenk eines gewissen Prozentsatzes ungewollter Kinderlosigkeit.

    Ein auffallender Unterschied zum Westen war auch, dass DDR-Bürgerinnen ihr erstes Kind bereits mit Anfang 20 bekamen. Für diese frühe Mutterschaft hatte man im Westen die skurrilsten Erklärungen: Junge Menschen im Arbeiter-und-Bauern-Staat hätten den »Hebel Kind« genutzt, um eine Wohnung zu ergattern. Den Ehekredit hätte man »abkindern« können. Andere Westexperten machten das Fehlen von Alternativen für junge Leute wie etwa Auslandsreisen oder staatliche Nötigung verantwortlich für die frühe Mutterschaft in der DDR. »Unglaublich« nennt Ursula Schröter solche Interpretationen.

    Obwohl mit dem auf dem VIII. Parteitag beschlossenen Wohnungsbau- und Sozialprogramm der – nach dem Babyboom der 60er Jahre in Ost und West – sinkenden Geburtenrate entgegengewirkt werden sollte, drei Kinder pro Familie als wünschenswert galten, wollten DDR-Frauen mehrheitlich nur zwei Kinder, wie eine Befragung seinerzeit ergab. Interessant ist, dass der Kinderwunsch am größten bei Bäuerinnen war, gefolgt von Akademikerinnen, wesentlich geringer hingegen bei Arbeiterinnen. Befördert wurde die selbstbewusste Entscheidung von Frauen für oder wider Kinder dadurch, dass ab 1972 in der DDR Abtreibung rechtens war, »wenn Frau es will«. Dieses Recht wollten sich die Ostfrauen 1990 nicht nehmen lassen. Auf zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen bekundeten sie ihren Willen, den in der Bundesrepublik fortbestehenden Strafparagrafen nicht zu akzeptieren.

    In der Debatte zum Vortrag wurde offenbar, dass Anlass für die Streichung des Paragrafen 218 in der DDR – soviel Ehrlichkeit muss sein – eine Kampagne von Frauen in der Bundesrepublik war: »Wir haben abgetrieben!«, Bekenntnisse von 374 Frauen im »Stern« 1971, initiiert von Alice Schwarzer. Inge Lange, Kandidatin des Politbüros und Leiterin der Abteilung Frauen des Zentralkomitees der SED, gelang es nun mit ihren Mitstreiterinnen, die geschlossene Männerriege im obersten Gremium der »führenden Partei« im Staate für die Straffreiheit von Schwangerschaftsunterbrechungen zu überzeugen, um nicht eventuell vom Klassenfeind überholt zu werden und sich als progressiveren deutschen Staat präsentieren zu können. Der Coup gelang. Und realisierte eine Forderung der KPD aus Zeiten der Weimarer Republik. Schon merkwürdig, dass Kommunisten an der Macht vergessen konnten, wofür Jahrzehnte zuvor ihre viel beschworenen Vorbilder wie Clara Zetkin und Edwin Hoernle auch im Reichstag leidenschaftlich gestritten hatten. Oder auch den in der DDR gefeierten Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf, der mit seinem strafbesetzte Abtreibung anklagenden Drama »Cyankali« 1929 Aufsehen erregt hatte.

    Als ein Indiz für die stärkere Emanzipation der DDR-Frauen kann auch die hohe Zahl der Scheidungen gewertet werden. Waren es 1960 noch 14,2 Prozent, so 1985 schon 30,8 und zum Ende der DDR 47 Prozent. Aufschlussreich ist die Neuorientierung nach einer gescheiterten Ehe. Anfang der 70er Jahre bevorzugte der geschiedene Mann als neue Partnerin eine jüngere und weniger qualifizierte (sic!) Frau und umgekehrt die Frauen einen älteren und höher qualifizierten Mann. Beziehungen auf Augenhöhe stellten sich also auch in der DDR nicht automatisch ein. Insofern hatte der »Spiegel« 1969 nicht ganz unrecht, wenn auch in typischer Manier »alter weißer Männer« formuliert, als er schrieb: »Die beruflich erfolgreichen Ehepartnerinnen provozieren bei ihren Männern Minderwertigkeitskomplexe.« Einige Monate zuvor war auf einer Tagung der Akademie der Wissenschaften der DDR bedauernd festgestellt worden: »Aus Rücksicht auf den Ehepartner … scheut sich die eine oder andere Frau, eine größere Verantwortung, eine höhere gesellschaftliche Position einzunehmen als ihr Mann.« Patriarchalische Strukturen wirkten in der DDR fort. Auch die Männer müssen sich ändern, wenn Gleichberechtigung gelingen soll.

    Wie aber stand es nun um die Frauenemanzipation nach 1990? Ostdeutsche Frauen, die von der Massenarbeitslosigkeit viel stärker als die Männer betroffen waren, weil vor allem die Leicht- und Textilindustrie weggebrochen wurde, reagierten nicht mit einer Rückkehr in den Hausfrauenstatus. Das Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) registrierte: »Durch die Zuwanderung aus der ehemaligen DDR Anfang der 1990er Jahre hat sich die Wiedervereinigung auch auf das Arbeitsmarktverhalten und die Normen der Westdeutschen ausgewirkt.« Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde ebenso westdeutschen Frauen wichtiger. Und der Westmann lernte hinzu.

    Laut soliden Studien ist die Befürwortung egalitärer Geschlechterrollen im Osten dennoch prägnanter ausgeprägt als im Westen. Frauenerwerbstätigkeit wird hier durch ein engmaschigeres Netz der Kinderbetreuung abgesichert, wobei Thüringen mit über 91 Prozent an DDR-Niveau heranreicht. Generell sind alle ostdeutschen Bundesländer diesbezüglich vorbildlicher als die westdeutschen. Wieder, muss man sagen, denn nach 1990 wurden zunächst massenhaft auch Kindergärten und Krippen geschlossen. Westdeutsche Ignoranz. Begründet mit ideologischer Indoktrination, angeblicher »Erziehungsdiktatur«. Es hat eine Weile gedauert, ehe die Hirne westdeutscher Entscheidungsträger die Sinnhaftigkeit solcher Einrichtungen begriffen. Nicht zuletzt auf Druck der Ostfrauen. Mittlerweile hat ALLBUS, eine seit Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik alle zwei Jahre durchgeführte Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften bestätigt: »Es ist für ein Kind sogar gut, wenn die Mutter berufstätig ist und sich nicht nur um den Haushalt kümmert.«

    Auf ihre plötzliche erzwungene Arbeitslosigkeit reagierten Ostfrauen Mitte der 90er Jahre mit einem Gebärstreik – demografisch nach der Massenflucht aus der DDR im Sommer 1989 und der Übersiedlung Zigtausender qualifizierter junger Menschen, darunter viele Frauen, in den 90ern mangels Arbeit im Zuge der Deindustrialisierung Ostdeutschlands eine Katastrophe. Inzwischen gibt es wieder weniger Kinderlosigkeit im Osten als im Westen, in Thüringen am wenigsten. Im Osten wird dafür weniger geheiratet, uneheliche Kinder gibt es häufiger als im Westen. Bezüglich weiblicher Erwerbsarbeit sind seit 2020 jedoch nur noch geringe Unterschiede zwischen Ost und West zu verzeichnen. Einen »Ansteckungseffekt« konstatierte Ursula Schröter, die übrigens selbst als Beispiel einer emanzipierten Ostfrau gelten kann. Hatte die gebürtige Leipzigerin doch Mathematik studiert und war im EDV-Bereich eines VEB tätig, bevor sie nach Berlin übersiedelte und dort ihre Dissertation ablegte, um fortan sich der Soziologie zu verschreiben. DDR-Frauen waren wesentlich mehr auch in naturwissenschaftlichen und technischen Berufen präsent als ihre westdeutschen Geschlechtsgenossinnen.

    Fazit des Referats von Ursula Schröter und der lebhaften Diskussion in der Hellen Panke: Es ist etwas geblieben von der DDR im vereinten Deutschland, wovon auch die Westfrauen profitieren. Und dies ist den Ostfrauen zu verdanken. Denn sie gingen unbeirrt ihren Weg weiter, hielten an ihren Vorstellungen von einem guten, selbstbestimmten Leben selbstbewusst fest.

    #DDR #émancipation #féminusme #avortement

  • Walter Heynowski: Aufklärung und Abendlicht
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186585.nachruf-walter-heynowski-aufklaerung-und-abendlicht.html

    Ein Whistleblower des 20. Jahrhunderts: Walter Heynowski Foto: Barbara Morgenstern

    7.11.2024 von Hans-Dieter Schütt - Zum Tod des Filmdokumentaristen Walter Heynowski, Studio H & S

    Wahrheit leistet sich groteske Erfindungen. Da heißt ein Deutscher Siegfried Müller. Ein Fetzen Heldenmythos, zusammengenäht mit einem Lappen Durchschnitt: Das ergibt die Uniform, die wird nicht schlechthin getragen, die trägt – und zwar durch Zeiten und Geographien. Es ist das Kleid eines Allzeitschlächters unter wechselnden Befehlsgebern. Immer Nibelungen, immer Müller – im Gewöhnlichsten wartet die Barbarei auf ihre Stunde. Das war Kongo-Müller. Zynischer, zähnefletschender Horrorheld des Dokumentarfilms »Der lachende Mann«. Eine internationale Sensation damals, 1966.

    Die Befragung dieses Dauer-Söldners, unter Zuhilfenahme von sehr viel Alkohol vor der Kamera und unter Geheimhaltung der Tatsache, dass die Befrager aus der DDR kamen: Der Film begründete den Weltruhm von Walter Heynowski, Gerhard Scheumann und Kameramann Peter Hellmich. Und Dramaturg Robert Michel. Alles Unverwechselbare des fortan legendären Studios H & S war in diesem Werk verdichtet angelegt: die Besonderheit eines Typs oder eines Fakts, verknüpft mit historischer Tiefenbohrung und politisch aktueller Polemik. Spürsinnig, kämpferisch scharf. Aufklärung: ein Kampfmittel, den Spionen und Kundschaftern und Dichtern und Denkern abgeschaut. Das Journalistische: ein exzellentes Handwerk dort, wo es auch verblüffend journalistig wird.

    Der gebürtige Ingolstädter Heynowski war nach dem Krieg, 22-jährig, Chefredakteur der Satirezeitschrift »Frischer Wind«, später »Eulenspiegel«; ein geistreicher Gründertyp. Beim Deutschen Fernsehfunk wurde er Programmdirektor, erfand das Sandmännchen. H & S: an die hundert Filme. Brillante Enthüllungskunst. Und Enthüllung – zielt sie denn erfolgreich kernwärts – ist ein Geheimdienst eigenen Rechts. Speziell in drei Richtungen ermittelten Heynowski und Scheumann: Da war der Krieg in Vietnam (»Piloten im Pyjama«), da regten und räkelten sich in der Bundesrepublik alte und neue Nazis (»Kamerad Krüger«), und in Chile putschte der Imperialismus gegen Allende (»Krieg der Mumien«, »Ich war, ich bin, ich werde sein«). 1982 wurde die Selbstständigkeit jenes Studios aufgehoben, dem damals Welt und Währungen offenstanden. Zu viel Eigensinn, jenseits von Defa und DDR-Fernsehen? Auf jeden Fall Neid, Missgunst, Anwürfe.

    Heynowski, Jahrgang 1927, gehörte zu jenen, die in gewisser Weise schuldlos schuldig wurden. Wie Günter Grass, Dieter Hildebrandt, Martin Walser. Eine ganze Generation, Faschismus und Krieg, und die uralte Lehre: Der Mensch wird erst mählich wissend – oft über den Weg des frühen Irrtums; man rutscht über naiven Glauben, über das Inhalieren von Propaganda, über die allgemeine Ohnmacht und auch über reichlich blinde Zufälle hinein ins Unglück. Die Zeit wirft den Menschen ins Leben, das ihm oft genug keine Wahl lässt, und dann stolpert der Mensch herum, und erst viel später reibt er sich die Augen.

    Einen ersten Band Erinnerungen, nach dem Ende der DDR erschienen in der Eulenspiegel-Verlagsgruppe, nannte Heynowski »Der Film meines Lebens«, Untertitel: »Zerschossene Jugend«. Bitterste Trefflichkeit. Ein Buch gegen eine verhängnisreiche Umgangsart: Könnte man eine Katastrophe verhindern, ruft der mittig laufende Mensch: Warum ich? Trifft ihn die Katastrophe, weint er: Warum mich?

    Heynowski gehörte in diesem Sinne zu jenen, die einem Verdrängen, einem Verlangen nach »normalem« Umgang mit deutscher Vergangenheit nie nachgaben. Er war einer, der sich immer wieder vor Augen führte, dass er nur unter stark belastenden Zusammenhängen jung sein durfte – und in eine stille Bitte um Verständnis drängte sich stets der ehrende, verpflichtende Gedanke, wie gering doch in Westdeutschland noch immer jene Wenigen gelten, die einst in Lagern oder unter Fallbeilen starben, junge Widerstandskämpfer, Kommunisten zuerst, Hitler-Gegner von Anfang an. Eine scheinbar sorgenlose Mehrheit, die Wohlstand mit Demokratie gleichsetzen durfte – sie beschäftigt die Öffentlichkeit seit jeher intensiver als das Leid und das Los gequälter politischer Minderheiten, die für das anständige Leben der Vielen einst das ihre opferten. Auch deshalb drehten H & S ihre Filme. Und Heynowski wird über seinen Bruder, der im Westen geblieben war, sarkastisch sagen: »Wir hielten uns für die Sieger der Geschichte, aber der wahre Sieger ist er gewesen.«

    Aus seiner Jugend kannte Walter Heynowski den Reiz der Irrung, er träumte sich sogar zum Kriegsberichter, zum Glück galt er nicht als reinrassig, also förderungswert. Er ging dann wissentlich zu den Kommunisten, aber nach deren staatlichem Ende ist er kein Gewissenswechsler geworden. Einst aus geistiger Not in den Osten gekommen und gerade mal so die Haut gerettet, wurde er doch keiner, der sich nun, im neuen alten Westen, ohne Not häutete. Auch wenn nach dem Ende des Staatssozialismus auf H & S der Stempel hernieder krachte: Agitation, Propaganda!

    Ja, natürlich: Eindeutigkeit gehörte zum Arsenal der Vielfalt. Schwarz-Weiß-Bilder sind eine hochfeine Ästhetik, entsprechendes Können vorausgesetzt und den mutigen Willen, nicht missverstanden werden zu wollen. »Jede Ordnung sucht sich ihre Elite.« Ein Satz von Heynowski. Ein wahrer Satz, er verweist auf Möglichkeiten, die eine Ordnung jenen Künstlern gewährt, die sich einsatzbereit zeigen.

    Günter Gaus hat einmal geschrieben. »Unter alten Kommunisten in der DDR habe ich immer wieder das Bedürfnis gefunden, das, was man nach so vielen Opfern politisch in die Hand bekommen und was man daraus gemacht hat, vor kritischen Nachfragen zu schützen. Diese Einstellung enthielt einen Teil Selbstbetrug. Vor allem aber war es ein Selbstschutz vor jenen, die ihr gutes friedliches Leben einem fremden Heldentum zu verdanken hatten.« Die Jahre nach der deutschen Einheit waren Auf- und Abrechnungsjahre. Verständlich, dass vor allem im Osten gekehrt wurde. Denn mit ihrem Ende durfte (musste!) die DDR endlich beim richtigen Namen jener Dinge genannt werden, die dieses Ende herbeigeführt hatten. Für viele kam die Frage »Haben wir umsonst gelebt?« auf die Tagesordnung. Auch darüber schrieb Heynowski.

    Ehrliches Bedenken aber musste sich auseinandersetzen mit pauschalem Hoheitsgebaren, mit einer westlichen Selbstgewissheit, die geradezu staatsanwaltsam daherkam. Mit moralsatter Fraglosigkeit wurde in den Biografien von Christa Wolf und Bernhard Heisig oder Stefan Heym herumgeklaubt. So, als sei nur all das menschlich und akzeptabel, was gewissermaßen von früh an auf westdeutsches Leben hinauslief. In der DDR sein? In der DDR bleiben? Anmaßender Duktus schnitt Wege zur Selbstkritik ab und rief oftmals nur noch die verständliche Abwehr feindseliger Abwertungen, also Rechtfertigungen, hervor.

    H & S? Kalte Krieger! So das Aburteil. Den Kommunisten Walter Heynowski hat diese Grundstimmung nach 1990 in einen würdig Schweigenden verwandelt. Er wurde trotzig und erhobenen Hauptes still. Stille bewältigte Bitterkeit. Es gibt Haltungen, in denen man Gefahr läuft, sich zu überstrapazieren, es bedarf dann einer Hilfe zur Balance. So entsteht immer wieder Literatur. So entstehen immer wieder Autoren und Leser. Schreiben und Lesen ist erträglich machen von Unerträglichem. Der Leser trifft in Literatur, die ihn wirklich erfasst, immer auf sich selbst. In den autobiografischen Büchern, die Heynowski schrieb, begegnet man einer einfachen Wahrheit: Nichts ist untiefer als die eigene Biografie. Du stehst vor dir selber und begegnest dabei einem Unbekannten. Du ahnst, dass dich von dort, wohin du so gern schweigen möchtest, andauernd einige wichtige Wahrheiten anstarren. So wird die einfache Wahrheit zum Labyrinth. Wärmend gegen die Kälte draußen.

    Gerhard Scheumann starb 1998, auf einem Kongress der Film- und Fernsehschaffenden hatte er gegen Ende der DDR mediale Schönfärberei und ideologische Farblosigkeit benannt und war hanebüchen abgekanzelt worden. Nun ist auch Walter Heynowski gestorben, im Alter von 96 Jahren. Sein Verleger teilt mit, er habe noch ein Belegexemplar seines zweiten autobiografischen Buches in den Händen halten dürfen: »Generation im Abendlicht«. H & S war eine Legende, die sich in Kämpfe warf, der Wahrheit willen. Es ist ein Werk entstanden, dessen Lehrstück-Charakter von gestern scheint, aber es kann warten, in Gewissheit einer Zukunft, die wieder ganz anders nach politischen Wahrheiten hinter den Fassaden fragen wird. Ich höre das Wort Whistleblower und denke auch an H & S.

    Der zweite Band der Erinnerungen von Walter Heynowski, »Mäander der Erinnerung« (Das Neue Berlin, 352 S., geb., 28 €) erscheint am 11. November.

    #Allemagne #DDR #film_documentaire #nécrologie #antifascisme

  • 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz : Tage, die die Welt veränderten
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/4-november-1989-auf-dem-berliner-alexanderplatz-tage-die-die-welt-v

    Ein Jahr später, Stimmung gedrückt : Die Autorin am 4. November 1990

    Ceci est un reportage sur le plus grand mouvement pour le socialisme démocratique du vingtième siècle récupéré par la droite capitaliste et transformé en contre-révolution.

    4.11.2024 von Maritta Adam-Tkalec - Die Demonstration der Hunderttausenden auf dem Alexanderplatz heute vor 35 Jahren war die Folge dramatischer Ereignisse. Rückblick auf den Höhepunkt des Machtkampfs.

    Dies ist ein Zeitzeugenbericht zum 4. November 1989 von Maritta Tkalec. Lesen Sie auch das Stück von Wiebke Hollersen.

    In Ostberlin brannte die Luft. Am 7. und 8. Oktober war die Volkspolizei gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen, die am Palast der Republik, wo die Staatsspitze mit ihrem Ehrengast Michail Gorbatschow den 40. Jahrestag der DDR feierte, „Gorbi, Gorbi“ gerufen und Reformen in der DDR gefordert hatten. Sie wurden nach Prenzlauer Berg abgedrängt und von Sicherheitskräften unter die Knüppel genommen.

    Trotz – oder gerade wegen des brutalen Schocks – gingen am Tag darauf wieder Tausende, meist junge Leute, auf die Straße. In der Gegend rund um die Gethsemane-Kirche wurden sie von Polizisten und Stasi-Leuten wieder zusammengeschlagen. Es gab Hunderte Verletzte, mehr als 1000 Menschen wurden festgesetzt, „zugeführt“ hieß das. Betroffen waren friedliche Leute, auch unbeteiligte Passanten und selbst SED-Mitglieder, die die Zeit für Reformen für überreif hielten.

    Demo am 4. November 1989 am Alex: „Es sprachen Schauspieler, Schriftsteller, Leute von der SED“

    Diese Ereignisse brachten das Fass zum Überlaufen. Berichte über die Misshandlungen und Erniedrigungen der Festgenommen in Polizeirevieren, Haftanstalten und provisorisch eingerichteten Internierungslagern machten die Runde. Kaum waren die meisten Leute wieder frei, erzählten sie ausführlich, schrieben Erinnerungsprotokolle, sammelten Beweise für die Gewaltexzesse.
    Bürger trotz Gewalt nicht einzuschüchtern

    Derartiges hatte es in der DDR noch nicht gegeben. Die Ereignisse wurden zu einem Schlüsselmoment – und zum Wendepunkt. Als der Montag nahte, der 9. Oktober, und die nächste Montagsdemonstration in Leipzig stattfand, erschienen 70.000 Leute – so viel wie noch nie. Diesmal blieben die Knüppel stecken. Der Wind begann sich zu drehen.

    Der Berliner Zeitung war das noch nicht anzusehen. Zwar waren einzelne Redakteure unter den Demonstranten von der Gethsemanekirche gewesen, und man debattierte auf den Fluren. Doch ins Blatt gelangte – nichts. Noch nichts.

    Vielmehr ließ die Chefredaktion, angeleitet von der Abteilung Agitation der SED, wie üblich, wenn es um heikle Fragen ging, das Geschütz „Volkes Stimme“ auffahren. Am 10. Oktober druckte man angeblich spontane Reaktionen von Werktätigen aus den Bezirken der Republik, die über Radaumacher in verschiedenen Städten der DDR klagten; so hätten sich Leipziger Bürger in Anrufen bei den staatlichen Organen über Rowdytum und Störungen beschwert und verlangt, den Unruhestiftern entschieden zu begegnen. Aus Dresden war zu lesen, antisozialistische Randalierer hätten auf dem Hauptbahnhof und in der Innenstadt Einrichtungen und Grünanlagen zerstört, also Eigentum des Volkes.

    Frei schreiben, frei sprechen

    Ganz ähnlich klang es zwei Tage später: Da sendete der Berliner Rundfunk ein Interview mit Oberst Dieter Dietze, dem Ostberliner Polizeichef, zu den Vorgängen um die Gethsemanekirche – ein außergewöhnlicher Vorgang, der von hoher Nervosität zeugte. Das Interview druckte die Berliner Zeitung (alle anderen zentral gelenkten Blätter auch) im Wortlaut nach: Man solle gemeinsam für Ruhe und Ordnung sorgen.

    Der Polizeichef verteidigte das „geduldige” Vorgehen, schob den Demonstranten die Schuld zu, sagte zum Beispiel: „Aktive Handlungen, das hieß zunächst für uns Räumung der seit längerem blockierten Fahrbahnen nach fast pausenloser geduldiger Aufforderung. Erst als das Wegdrücken allein nicht mehr half bzw. unsere jungen Genossen, darunter viele, die ihren Wehrdienst versehen, tätlich angegriffen wurden, waren Zuführungen unvermeidlich.“ Dann versucht er die Spaltung: Unter „jene, die sich mit ehrlichen Absichten für gesellschaftliches Vorankommen in der DDR einsetzen“, hätten sich Rowdys gemischt.

    Der Empörung und Solidarität in der Bevölkerung kam man so nicht bei, vorsichtiges Einlenken wurde erkennbar, so in einem Fernsehinterview des DDR-Generalstaatsanwaltes am 18. Oktober, der zusagte, die Anzeigen der Bürger würden geprüft – und zugleich darauf beharrte, dass der Staat Rowdytum nicht dulden werde.

    An jenem Tag hatte das Politbüro die Absetzung Erich Honeckers beschlossen. Dann ging es Schlag auf Schlag, fünf Tage nach der Palastrevolte diskutierten Günther Schabowski und Ehrhardt Krack, Ostberliner Bürgermeister, auf der Karl-Liebknecht-Straße mit Demonstranten.

    Es braucht mehr Ostdeutsche in Medien und Wissenschaft!

    Und dann kam das ganz große Ding: Im Namen der Gewerkschaftsvertrauensleute der Berliner Theater beantragte Wolfgang Holz, Vertrauensmann der Gewerkschaftsgruppe Schauspiel des Berliner Ensembles, bei der VP-Inspektion Berlin-Mitte für den 4. November, einen Sonnabend, eine Demonstration für die Inhalte der Artikel 27 (Meinungs- und Pressefreiheit) und 28 (Versammlungsrecht) der DDR-Verfassung. Der Antrag wurde genehmigt.

    In der Berliner Zeitung war am 13. Oktober die interne Rebellion – endlich – ausgebrochen. Redakteur Torsten Harmsen hat Tagebuch geführt und die wichtigsten Notizen 2005 in einem Beitrag für die Zeitung zusammengefasst. Da liest man, was man selber vergessen hat, zum Beispiel, dass an jenem Tag die Parteigruppe – das politisch wichtigste Gremium in der Redaktion – einen Brief an die SED-Führung schickte: „Sie fordert, schnell eine Konferenz zu Medienfragen einzuberufen, das Eingreifen in journalistische Beiträge zu verbieten, Tabus aufzuheben, die Rechte und Pflichten der Presse gesetzlich zu fixieren. Vorbild ist Gorbatschows Politik der Glasnost.“


    Demonstranten auf dem Alexanderplatz während der Abschlusskundgebung am 4. November 1989 mit kreativ gestalteten Transparenten. Sie wollten eine demokratisch reformierte DDR. CC-BY-SA 3.0 de

    Am 1. November leitete den Aufzeichnungen zufolge ein Beitrag des Wirtschaftsressorts eine Welle der Enthüllungen von Amtsmissbrauch und Korruption ein. Es ging um einen korrupten IG-Metall-Chef. Und weiter: „Am selben Tag veröffentlicht eine Reformergruppe der Redaktion, deren Wortführer in der Abteilung Außenpolitik sitzen, ihre Thesen, in denen sie das noch immer herrschende ,feudalistische Kommandosystem‘ in der Redaktion anprangert. Der Chefredakteur reicht bei der Parteiführung seinen Rücktritt ein.“

    Die Rest-Chefredaktion riet von der Teilnahme an der Demonstration am 4. November ab. Wir waren trotzdem einige Dutzend. Wir hatten darüber diskutiert, was auf unserem Transparent stehen sollte. Es wurde nicht das Beste, aber das, was wir in jenem Moment verlangten: „Journalismus weg vom Geggelband“. Heinz Geggel war der berüchtigte Leiter der Abteilung Agitation des ZK der SED, der Mann, der den Willen der Parteiführung an die Medien übermittelte und über die Einhaltung aller Weisungen und Richtlinien wachte.

    Torsten Harmsen schrieb in sein Tagebuch von den ersten Erfahrungen mit einem selbstgefertigten Spruchband: „Das Transparent hängt durch; deshalb borgt uns eine Kollegin von der ,Freien Welt‘ ihren Schirm, mit dem wir das Tuch in der Mitte hoch halten. Das Meer der Menschen ist unübersehbar. Lachen. Beifall brandet auf, mal hier, mal dort – für eine gute Losung, ein originelles Plakat oder Personen wie Stefan Heym, die durch die Menge laufen. Es ist nicht allein die Masse, die beeindruckt. Es sind der Witz, der Humor, das Einverständnis in den Gesichtern, das Selbstbewusstsein, die sanfte Gewalt durch Einmütigkeit.“
    Buhs und Applaus auf dem Alex

    Der Alex war so voll wie nie – viele Hunderttausende, manche sprachen von einer Million Menschen. Die erste, offiziell genehmigte Demonstration in der DDR, die nicht vom Machtapparat ausgerichtet wurde. Alles friedlich. Die Ordner trugen Schärpen mit der Aufschrift „Keine Gewalt“. Die Vertreter der Staatsmacht, die von einem zum Podium hergerichteten W-50-Pritschen-LKW am Haus des Reisens herunter reden, solche wie Günter Schabowski, Markus Wolf, langjähriger Leiter des DDR-Auslandsgeheimdienstes wurden ausgebuht.

    Redner wie der Schriftsteller Stefan Heym bekamen Riesenapplaus. Er sagte: „Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen! Nach all’ den Jahren der Stagnation – der geistigen, wirtschaftlichen, politischen; – den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit. […] Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu erlernen!“

    Was für ein Gefühl, solche Sätze in Ostberlin, auf dem Alexanderplatz zu hören!

    Es hatte ein Aufbruch in eine demokratische Umgestaltung der DDR werden sollen. Dann kam nur fünf Tage später die Grenzöffnung – und abermals nahm der Lauf der Geschichte beschwingt eine neue Wendung.

    Ein Jahr später, am 4. November 1990, fanden sich noch einmal Demonstranten auf dem Alexanderplatz ein, ein paar Tausend vielleicht. Ein Foto, das in einer Zeitung erschien, zeigt mich im Kreis von Freunden unter einem Schild mit der Aufschrift „Wir war’n das Volk“.

    #Allemagne #RDA #DDR #socialisme #démocratie #histoire

  • Demo am 4. November 1989 am Alex : „Es sprachen Schauspieler, Schriftsteller, Leute von der SED“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/demo-am-4-november-1989-am-alex-es-sprachen-schauspieler-schriftste


    Rund eine Million Menschen nahmen am 4. November 1989 an einer Großdemonstration teil .

    La manifestation du 4 novembre 1989 par un million de citoyens de la RDA fut l’événement le plus important de l’histoire de l’état socialiste allemand. Le peuple revendiqua une transformation démocratique de son état et de sa société.

    Tous les événement suivants ne furent que les vomissements et la gueule de bois suite à l’intoxication par des substances nocives. Les toubibs capitalistes ne furent que trop contents de pouvoir appliquer leurs remèdes de cheval au patient affaibli par les poisons soigneusement administrées pendant des années. La cure réussit, le patient mourut. Depuis les vautours ne cessent de se disputer sa dépouille.

    3.11.2024 von Wiebke Hollersen - Heute kaum mehr vorstellbar: Kurz vor Mauerfall sprachen auf einer Demo Bürgerrechtler neben Stasi-Funktionären. Ein Tag, an dem die Ostdeutschen Geschichte schrieben. Unsere Autorin war dabei.

    Dies ist ein Zeitzeugenbericht zum 4. November 1989 von Wiebke Hollersen. Lesen Sie auch das Stück von Maritta Tkalec.

    An der Dorfkirche hing ein kleines Plakat, fast zu übersehen. Fotos aus der Zeit des Mauerfalls kündigte es an. Von den Demos aus dieser Zeit. Es war eine schöne Kirche in Menz, nicht weit von Rheinsberg, ich hatte sie mir nur von außen ansehen wollen, aber jetzt zog es mich hinein.

    Die Demos von 89. Es ist eine Zeit, an die ich mich erinnere wie an einen Traum. Einzelne Szenen und Bilder kleben in meinem Kopf, aber die Zusammenhänge sind verschwommen, und ich kann mir nur noch schwer vorstellen, diese Zeit wirklich erlebt zu haben.

    Einen Tag wie den 4. November 1989. Wenn ich dieses Datum höre, spüre ich etwas, was ich schwer beschreiben kann. Es ist kein Tag, der so berühmt geworden ist wie der 9. November. Aber in meinem damaligen Jahr war er fast bedeutsamer.

    4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz: Tage, die die Welt veränderten
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/4-november-1989-auf-dem-berliner-alexanderplatz-tage-die-die-welt-v

    Plötzlich konnte man widersprechen

    Am 4. November 1989 gab es „die größte nicht staatlich gelenkte Demonstration in der Geschichte der DDR“. So steht es auf Wikipedia. Sie soll auch „Alexanderplatz-Demonstration“ geheißen haben, steht da, aber diesen Namen habe ich noch nie gehört.

    Ohne in einem Geschichtsbuch nachzuschlagen, könnte ich nicht mehr sagen, wer die Demonstration organisiert hat (die Initiative ging von Schauspielern und anderen Theaterleuten aus) und wer alles geredet hat (mehr als zwanzig Menschen, darunter Ulrich Mühe, Gregor Gysi, Günter Schabowski, Christa Wolf).

    Schriftstellerin Christa Wolf während der Protestkundgebung am Alexanderplatz. Gueffroy/imago

    Es war meine erste echte Demo. Ich war 14 Jahre alt und meine Mutter hatte mir tatsächlich erlaubt, hinzugehen. Sie hatte mir sogar einen Zettel mitgeben, für die Schule, in der ich an diesem Tag morgens um acht erscheinen musste. „Meine Tochter nimmt nicht am Unterricht teil.“ So etwas in der Art stand auf dem Zettel. Ich besuchte eine Russischschule in Prenzlauer Berg, in der man nicht einfach so fehlen durfte, schon gar nicht, um an einer Kundgebung teilzunehmen, die sich gegen den Staat richtete.

    Aber es war der Herbst 1989, und unser junger Klassenlehrer war froh, dass nicht die halbe Klasse in den Sommerferien über Ungarn in den Westen abgehauen war. Außerdem hatte er sich nach den Demonstrationen, die es gerade erst, im Oktober, in Berlin gegeben hatte und die von Volkspolizei und Stasi brutal beendet worden waren, um Kopf und Kragen geredet. Es habe keine Gewalt gegeben, hatte er uns erzählt, oder erzählen müssen. Aber wir kannten Leute, die Leute kannten, die dabei gewesen waren. Wir hatten ihm widersprochen. Das ging auf einmal.

    Beginn des Marsches am westlichen Ende des S-Bahnhofs Alexanderplatz. Ralf Roletschek

    Viele Demonstranten tragen Transparente Rolf Zöllner/imago

    Die Sicherheitskräfte halten sich zurück und beobachten vom Rand her. Rolf Zöllner/imago

    Forderungen der Demonstranten im Zentrum Berlins rbb

    Demonstranten sammeln sich am Pressecafe Rolf Zöllner/imago

    Rund eine Million Demonstranten versammeln sich auf dem Alexanderplatzdpa

    Protestdemonstration, gegen Gewalt und für verfassungsmäßige Rechte, Presse-, Meinungs- und VersammlungsfreiheitRolf Zöllner/imago

    Der Protestzug zieht am Palast der Republik vorbei Michael Richter/dpa

    Teilnehmer der Demonstration Rolf Zöllner/imago


    Die Bürgerrechtskämpferin Bärbel Bohley spricht auf der KundgebungJens Kalaene/dpa

    Protestdemonstration, gegen Gewalt und für verfassungsmäßige Rechte, Rolf Zöllner/imago

    Oppositionsgruppen und Künstler hatten die Veranstaltung organisiert. dpa

    Die Angst war verschwunden

    Und für Sonnabend, den 4. November, an dem wir wie an jedem Sonnabend vier Stunden Unterricht gehabt hätten, konnte man auf einmal einen Entschuldigungszettel vorlegen. Und dann zur Demo gehen. Ohne weitere Ermahnung, ohne Appell, ohne Reinreden der Lehrer. Nur drei oder vier Kinder aus meiner Klasse kamen ohne Zettel in die Schule und mussten zum Unterricht. Wir anderen liefen die Greifswalder runter, Richtung Alex. Ich weiß nicht mehr genau, wer „wir“ waren. Ich glaube, meine Freundin Julia, deren Großväter beide evangelische Pfarrer waren und deren Eltern sich dem Staat weitgehend verweigerten, war mit dabei. Meine Eltern waren nicht in der Kirche, sondern hatten an den Staat geglaubt und waren dann zynisch geworden. In den letzten Jahren hatte meine Mutter mich immer häufiger ermahnt, in der Schule dieses oder jenes nicht zu sagen, um mir meine Chancen in diesem „Scheißstaat“, wie sie ihn inzwischen oft nannte, nicht zu verbauen. Aber selbst diese Angst war bei ihr und mir schon verschwunden.

    Vollkommen friedlich: Schätzungen zufolge nahmen eine Million Menschen an der Demonstration am 4. November 1989 teil

    Ich hatte die Straßen von Berlin noch nie so voll gesehen wie am 4. November 1989. Ich hatte noch nie so viele handgemalte Schilder und beschriebene Bettlaken gesehen. Dann verschwimmt der Traum, ich weiß nicht mehr, was wahr ist. Schaffte ich es wirklich, bis in die Nähe der Weltzeituhr zu gelangen? Unter einer halben Million, vielleicht einer Million Menschen? Hörte ich über die Lautsprecher etwas von den Reden? Oder habe ich das alles später im Fernsehen und in Dokumentationen gesehen?

    Irgendwann fingen die Dokus an, mich zu langweilen. Sie erzählten vom Wendeherbst immer nur wie vom Vorspiel zu den wirklich großen Ereignissen. Dem Mauerfall, der Wiedervereinigung. Den Ereignissen, bei denen die Westdeutschen ins Spiel kamen und die Kontrolle übernahmen.

    Im Herbst 2024 betrete ich die Kirche von Menz, um Bilder von den Demonstrationen aus dem Herbst 1989 zu sehen. Sie hängen an Stellwänden, jeweils sechs Schwarz-Weiß-Fotografien neben- und untereinander. Sie sind von Jürgen Graetz, einem Fotografen, der den Alltag in der DDR dokumentiert, aber viele seine Bilder erst lange nach dem Mauerfall veröffentlicht hat. Er stammt aus Neuglobsow am Stechlinsee, lebte aber eine Zeitlang in Ost-Berlin und hatte Kontakte in die Fotografenszene der ganzen Stadt.

    Ich bin allein in der Kirche. Auf einem Foto von Jürgen Graetz sind zwei Männer zu sehen, sie stehen sehr gerade, einer trägt eine Baskenmütze und eine Schärpe um den Oberkörper wie eine Miss World. Auf der Schärpe steht „Keine Gewalt“. Der andere Mann hält ein Transparent, auf dem in Schreibschrift steht: „Neue Worte, alte Macht, na dann – gute Nacht“. Ein Plakat auf dem Anorak eines Kindes fordert: „Wir wollen Astrid Lindgren lesen!“ Eine Hand hält ein großes Blatt oder eine Pappe mit nur zwei Worten: „Räumt auf“. Auf einigen Bildern fällt ein wenig Schnee, sie müssen später im Herbst aufgenommen worden sein.

    Die Menschen sehen stolz aus, aufrecht, überhaupt nicht so, wie sie später und manchmal bis heute beschrieben werden. Man sieht, wie kreativ sie waren, wie viele Wünsche in ihnen steckten, wie viele Ideen. Und man sieht, wie ernst sie das alles nahmen.

    So sahen wir also damals aus, denke ich. Es war also doch wahr. Ich denke auch: Das ist doch alles 100 Jahre her und nicht erst 35. So vollkommen anders, so weit weg erscheint mir diese Zeit.

    Schauspieler Ulrich Mühe (links) und Johanna Schall (rechts) sprechen auf der Abschlusskundgebung. CC-BY-SA 3.0 de

    Bürgerrechtler haben am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz geredet. Schauspieler, Schriftstellerinnen. Und Männer von der SED. Sogar der Auslandschef der Staatssicherheit. Das klingt im Nachhinein wie der komplette Wahnsinn. Diesen Leuten noch eine Bühne zu geben. Aber es war eine Zeit des Übergangs zwischen zwei Systemen, wie es sie nur ein einziges Mal in der deutschen Geschichte gab. Menschen, die politisch, ideologisch, gesellschaftlich so weit von einander entfernt waren, wie es auf ein- und derselben Bühne eigentlich überhaupt nicht möglich ist, sprachen nacheinander. Die Staatsvertreter wurden ausgebuht, sonst blieb alles vollkommen friedlich.

    Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin an diesem Tag vor 35 Jahren. Ich erinnere mich an ein Gefühl von Aufbruch, Erwachsenwerden und Glück. Der 4. November 1989, nahm ich an, würde in die Geschichte eingehen. Sechs Tage lang dachte ich das. Dann wachte ich auf, am Freitag, und in der Nacht war die Mauer gefallen.

    Finissage der Ausstellung von Jürgen Graetz mit den Bildern aus dem Herbst 1989: 9. November, 14 Uhr, Dorfkirche Menz, Kirchstraße 1, 16775 Stechlin. Dort stellt außerdem Andreas Domke sein Programm „Frei Land“ mit Liedern und Texten aus den Jahren 1989 und 1990 vor.

    #Allemagne #RDA #DDR #socialisme #démocratie #histoire

  • »Ich frage mich immer, woher sie ihren Optimismus nahmen«
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185758.jahre-ddr-ich-frage-mich-immer-woher-sie-ihren-optimismus-nahmen.

    1992 stand zwar noch der Palast der Republik, allerdings war das DDR-Emblem schon entfernt worden. Foto: akg

    Une histoire de communistes dissédents en RDA .

    4.10.2024 Interview: Wolfgang Hübner und Raul Zelik -Die Schriftstellerin Regina Scheer über die DDR, die Sozialistin Hertha Gordon-Walcher und verallgemeinernde Geschichtsschreibung

    In den meisten Medien ist von der DDR heute nur noch als der »zweiten Diktatur auf deutschem Boden« die Rede. Das ist insofern absurd, als in Westdeutschland 1945 deutlich weniger mit dem Faschismus gebrochen wurde als im Osten. Gleichzeitig gibt es aber auch keinen Grund, die DDR zu verklären: Sie haben eine Biografie über Hertha Gordon-Walcher (1894 bis 1990) geschrieben, die 1928 aus der KPD ausgeschlossen wurde und trotzdem später als Antistalinistin in die DDR ging. Was würde Gordon-Walcher zu 75 Jahren DDR sagen?

    Wie sie die DDR-Gründung beurteilte, weiß ich: Sie sah sie mit großer Hoffnung. Eine Standardformulierung der Walchers über die DDR lautete: »unsere gute Sache, die oft in schlechten Händen liegt«. Die Walchers haben sich ja auch in großer Bedrängnis geweigert, in den Westen zu gehen – was ich nicht immer verstanden habe, weil ja auch viele ihrer Freunde und Genossen dort lebten. Willy Brandt, der mit ihnen in der SAP (Sozialistischen Arbeiterpartei) gewesen war, kam im selben Monat wie Jacob aus dem Exil nach Berlin und versuchte sie davon zu überzeugen, dass unter Stalins Herrschaft kein Sozialismus, wie sie ihn sich vorstellten, möglich sein würde. Aber die Walchers entschieden sich für die DDR, auch als ihnen dort die alte Feindseligkeit der Stalinisten begegnete.

    In Ihrem Buch »Bittere Brunnen« steht, dass Jacob Walcher sehr enttäuscht über Brandts Entscheidung für die Bundesrepublik gewesen sei.

    Es gibt einen Briefwechsel der beiden dazu. Ich denke, Brandt sah einfach klar die Gründungsfehler der SED, den Mangel an Demokratie, den Umgang mit Andersdenkenden. Seine Hoffnung lag bei der Sozialdemokratie. Die Walchers hingegen, die aus den USA kamen, waren überzeugt, dass es im kapitalistischen Westen erst recht keine Entwicklung in ihrem Sinne geben würde und man mit den Widersprüchen umgehen müsse. Obwohl sie 1947 beide nicht mehr jung waren – Jacob war 60, Hertha 53 Jahre alt –, ließen sie sich mit aller Kraft auf die spätere DDR ein. Nur zwei Jahre später gerieten sie dann ins Visier der Kontrollorgane. Ihnen war klar, dass es ums Überleben ging und zwar nicht nur ums politische. Mehrere ihrer ehemaligen Kampfgefährten waren in der Sowjetunion im Gulag verschwunden, auch noch nach dem Krieg. Als 1952 im »Neuen Deutschland« stand, Jacob Walcher sei »ein Feind der Arbeiterklasse«, wussten sie deshalb, was ihnen drohte. Brandt schickte einen Boten, um ihnen mitzuteilen, dass es im Westen Wohnung und Arbeit für sie gebe. Aber sie haben dem Mann abgesagt. Die Walchers hatten natürlich auch starke Unterstützer. Der Präsident Wilhelm Pieck, mit Jacob Walcher 1918 Vorsitzender auf dem Gründungsparteitag der KPD, hielt viel von ihnen. Offen eingesetzt hat er sich nicht für sie, aber vielleicht Schlimmeres verhindert. Und sie waren mit Bertolt Brecht und Helene Weigel befreundet, die damals schon weltberühmt waren.

    Dass die »gute Sache in schlechten Händen« lag, war also keine Erkenntnis der späten DDR.

    Nein, das haben sie schon 1947 so formuliert. Jacob Walcher kam einige Monate vor seiner Frau aus den USA zurück, und in einem Brief, den er ihr aus dem zerstörten Berlin schickte, zeigte er sich überzeugt vom Wiederaufbau, vom beginnenden Wandel der Gesellschaft. Da schreibt er in etwa: Unsere gute Sache ist bisweilen in schlechten Händen, aber es bleibt eine gute Sache. Diese Hoffnung hat die beiden nie verlassen. Nach dem 20. Parteitag 1956 wurden sie wie viele wieder in die SED aufgenommen, haben ihre Renten wieder bekommen. Die beiden waren bescheidene Leute, die wenig Geld für sich brauchten und immer anderen etwas abgegeben haben. Aber sie waren raus, kaltgestellt.

    Was bedeutet das genau?

    Sie haben nie wieder politische Funktionen ausgeübt. Jacob Walcher war jahrzehntelang ein Politiker großen Formats gewesen, ein führender kommunistischer Gewerkschaftler. Hertha hatte durch ihre Arbeit bei Clara Zetkin, für Karl Radek im Kreml und für die Komintern, Einblicke und Erfahrungen wie wenige. Aber in der DDR beschränkte sich Jacobs Leben zunehmend darauf, Eingaben zu verfassen – über langweilige Hochhausfassaden, nicht funktionierende Busverbindungen und so weiter. Allerdings schrieb er unermüdlich politische Erinnerungen und historische Darstellungen, die natürlich niemand druckte. In seiner Wohnparteigruppe galt er, je nach Bedarf, als »Trotzkist« oder »Stalinist«. Die Staatssicherheit hat sie überwacht, aber es kamen ständig Leute zu ihnen, alte Kampfgefährten und junge Leute, vor allem aus dem Berliner Ensemble. Benno Besson, der junge Heiner Müller… Die Verbindung zu bewährten Freunden wie Gerhart Eisler, John Heartfield oder Paul Böttcher riss sowieso nie ab. Sie waren also nicht isoliert. Trotzdem frage ich mich immer, woher sie ihren Optimismus nahmen.

    Weil es nichts Besseres gab und die Erfahrung des Faschismus hinter ihnen lag?

    Ja, und Jacob hat in den USA ja auch als Dreher gearbeitet. Er sah die Situation der Arbeiter dort, den Rassismus… Das war für sie keine Alternative.

    Ihre Biografie Hertha Gordon-Walchers kann man unterschiedlich lesen: Es ist die Lebensgeschichte einer Sozialistin, die auch revolutionäre Kommunistin war, einer antifaschistischen Widerstandskämpferin, die für die DDR eintrat, aber dort wegen ihrer politischen Haltung zumindest anfangs ihr Leben riskierte. Das können die wenigsten heute wahrscheinlich noch richtig einordnen. Sie waren ja viel auf Lesungen. Hat das Publikum in Ost- und Westdeutschland das Buch unterschiedlich begriffen?

    Nach Ost und West kann man das nicht eindeutig aufteilen. In Osnabrück und Dortmund hatte ich Veranstaltungen vor einem politisch nicht unbedingt spezialisierten Publikum, und trotzdem waren viele hochinteressiert und aufgeschlossen. Außerdem hatte ich Einladungen aus Gewerkschaften, vor allem von älteren Linken, die das Buch politisch diskutieren wollten. Und dann gab es Lesungen, wo mein Publikum wirklich wenig mit dem Buch anfangen konnte. In der DDR gab es eine offizielle Geschichtsschreibung, die von Filmen wie »Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse« geprägt war. Leute, die damit aufgewachsen sind, konnten die Lebensgeschichte der Walchers überhaupt nicht zuordnen.

    Auch Ostdeutsche besitzen ein verkürztes Bild der DDR-Geschichte?

    Natürlich ist es unter Westdeutschen bisweilen noch seltsamer. In einem kleinen Kurort kam nach einer Lesung vor nur fünf Zuhörern ein Mann auf mich zu und fragte: »Glauben Sie etwa auch an diese sozialistische Lehre?« Als ich zu erklären begann, was ich unter Sozialismus verstehe, nahm er seine Frau und sagte: »Komm, wir gehen.«

    Wie war eigentlich Ihr eigener Werdegang in der DDR?

    Ich habe schon als Kind die ganzen sowjetischen Kinderbücher gelesen, Bücher wie Hedda Zinners »Wir fahren nach Moskau« vermittelten mir ein idealisiertes Bild der Sowjetunion. Auch die Erzählungen Tante Herthas haben mich geprägt, die mir gegenüber aber lange die Widersprüche und Konflikte aussparte. Weil ich einen Lyrik-Wettbewerb gewonnen hatte, durfte ich als 17-Jährige mit einer kleinen Gruppe von Musikstudenten zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution 1967 nach Moskau reisen und dort ausgerechnet im Hotel Metropol wohnen. Ich wusste von den Walchers, was das für ein Haus war, und mir hat das sehr viel bedeutet. Mit 17 wollte ich in die Partei eintreten und war dann zwei Jahre Kandidatin.

    Bis hierhin klingt es nach einer gradlinigen Biografie.

    Ja, aber durch das Studium der Theater- und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität ist mein Weltbild dann doch etwas differenzierter geworden, auch durch die Erfahrung des Einmarsches sowjetischer Truppen 1968 in Prag. Und am Ende der Kandidatur wollte ich gar nicht mehr unbedingt Parteimitglied werden. Die Parteileitung an der Sektion Ästhetik/Kunstwissenschaft hat mich daraufhin beiseite genommen: »Die Fragen, die du dir stellst, haben wir alle. Aber du hast Glück, dass du hier studierst. Hier kannst du über alles sprechen. Du bist als Kandidatin gekommen, wenn du jetzt nicht Mitglied wirst, heißt es, dass wir unseren Erziehungsauftrag nicht erfüllt haben. Wir stehen sowieso unter kritischer Beobachtung. Es geht nicht um Dich.« Einer unserer Dozenten hatte in der DDR jahrelang aus politischen Gründen im Zuchthaus gesessen, ein exzellenter Marxismus-Lehrer. Woanders hätte so jemand nicht lehren können. Und wegen solcher Leute wie ihm und Prof. Wolfgang Heise bin ich dann doch Parteimitglied geworden und bis in die 1990er Jahre geblieben. Was ich sagen will: Ich habe die DDR immer als widerspruchsvolle Gesellschaft erlebt und hatte lange das Gefühl, etwas machen zu können. Meine erste Arbeitsstelle nach dem Studium war die Zeitung »Forum«. Unsere Redaktion wurde wegen »konterrevolutionärer Tendenzen« 1973 aufgelöst. Aber ich habe erlebt, unter Gleichgesinnten eine gute, wahrhaftige Zeitung machen zu können. Mir wurde allmählich klar, dass die Konterrevolution in Teilen des Apparats steckte. Aber ich war doch – wie auch die Walchers – immer überzeugt, dass es eine andere DDR geben könnte.

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    Hat sich der Blick alter Kommunisten wie der Walchers auf die DDR mit der Zeit eigentlich verändert?

    Das kann ich so allgemein nicht beantworten. Ich habe 1987 zusammen mit der Historikerin Annette Leo, die auch an der Humboldt-Universität studiert, aber mit ihren Professoren ganz andere Erfahrungen gesammelt hatte als ich, lebensgeschichtliche Interviews mit KZ-Überlebenden geführt. Das waren alles Männer, die als junge Leute in Sachsenhausen gesessen hatten – die meisten Parteiarbeiter. Bis dahin war mein Wissen über ihre Biografien sehr holzschnittartig gewesen: Das Wachpersonal waren die Schweine, die Insassen die Helden. Im Prinzip stimmt das natürlich auch. Aber bei diesen 30 Interviews, die sich teilweise über zwei Jahre hinzogen, habe ich noch einmal sehr viel Neues, auch über die DDR-Geschichte, gelernt. Diese alten Männer waren politische Leute, die spürten, dass es mit der DDR zu Ende ging. Sie hatten mit dem Land große Hoffnungen verbunden, einige waren aber inzwischen sehr besorgt und desillusioniert. In meinen Roman »Machandel« schreibe ich über einen ehemaligen Häftling, dessen Freund im Slánský-Prozess hingerichtet wurde.

    Slánský war bis 1951 Generalsekretär der tschechischen KP und wurde dann in einem antisemitischen Schauprozess zum Tode verurteilt.

    Manche der Männer, die wir interviewten, kannten einen der Hingerichteten, der auch in Sachsenhausen gesessen hatte, sehr gut. Einer kannte ihn so gut, dass er sicher war, dass der kein Feind des Sozialismus gewesen war, im Gegenteil. Trotzdem musste er sich vor der Partei für diese Nähe verantworten. Und dieser Mann, der immer mutig gewesen war, distanzierte sich von dem tschechischen Lagerkameraden. Das hat uns sehr erschüttert. Ihn selbst auch. Wenn heute von »Kommunisten« die Rede ist, denkt man an Walter Ulbricht oder bürokratische Funktionäre, vielleicht an Stalin und seine Vasallen. Aber für mich verbinden sich mit dieser Bezeichnung Leute wie die alten Widerstandskämpfer. Leute wie die Walchers.

    Sie haben damals in der Literaturzeitschrift »Temperamente« gearbeitet.

    Ich war seit 1976 freiberufliche Autorin und Redakteurin. In den festen journalistischen Strukturen habe ich keinen Platz mehr für mich gesehen. Für »Temperamente« habe ich seit 1980 die Sparte Dokumentarliteratur betreut und mit damals jungen Autoren zusammengearbeitet. Das war zwar nicht gut bezahlt, ich habe nur 400 Mark im Monat verdient, aber ich habe mir als freie Mitarbeiterin den täglichen Frust erspart. Manchmal schrieb ich für den Rundfunk, für die »Weltbühne«, den »Sonntag«… Eigentlich gab es in der DDR gar keine freien Journalisten, aber weil ich auch Liedtexte machte und Gedichte und gelegentlich literarische Texte veröffentlicht hatte, bekam ich die Steuernummer. In den Schriftstellerverband bin ich erst 1989 eingetreten, kurz vor seiner Auflösung.


    Ab 2006 wurde der Palast der Republik abgerissen und wich dem Neubau des Berliner Schlosses. Foto: imago/Arnulf Hettrich

    Sie haben Ihren Roman »Machandel« gerade schon erwähnt. Ein wirklich vielschichtiges Buch: Es geht um die antifaschistischen Ursprünge der DDR und Alltagsfreiheiten, aber auch um Stalinismus, Spießigkeit und Repression. Wie kommt es eigentlich, dass Sie Ihren ersten Roman erst 2014, im Alter von 64 Jahren, veröffentlicht haben?

    Na ja, ich habe ja auch davor schon einige Bücher geschrieben. Die Trennung zwischen Belletristik und dokumentarischer Literatur, wie sie in Deutschland gemacht wird, habe ich nie verstanden. 1992 habe ich mit »AHAWAH, das vergessene Haus« mein erstes Buch veröffentlicht – über jüdisches Leben in Berlin-Mitte, für das ich 20 Jahre lang recherchiert hatte. Dann habe ich unter anderem ein Buch über die Liebermanns gemacht; eine Familiengeschichte. »Im Schatten der Sterne« war eine Darstellung der Widerstandsgruppe um Herbert Baum. Diese Geschichten wollte ich nicht fiktionalisieren, da kam es mir auf Genauigkeit und Nachprüfbarkeit im Detail an. Aber was ich in »Machandel« erzählen wollte, konnte ich nur als Roman schreiben.

    Es war gleich ein großer Erfolg.

    Bei den Lesungen habe ich festgestellt, dass das Buch im Osten und Westen unterschiedlich gelesen wurde. Im Westen meinten Leser zu mir, es sei für sie eine Aufarbeitung ihrer Flüchtlingsgeschichte. Darüber war ich ein bisschen überrascht, denn das Thema taucht zwar in »Machandel« auf, aber steht für mich gar nicht im Mittelpunkt. Andere Leser haben mir erzählt, dass sie kommunistische Funktionäre zwar immer verachtet hätten, aber dass dieser Hans Langner ihnen menschlich sehr nah gekommen sei, sie sehr mit ihm getrauert hätten. Und viele sagten mir, dass sie Elemente ihrer eigenen Familiengeschichte in dem Buch wiedererkannt hätten.

    Als in Berlin der Palast der Republik abgerissen war, sprühte jemand in großen Buchstaben auf die Reste des Fundaments: »Die DDR hat es nie gegeben.« Ein sarkastischer Kommentar auf die Geschichtsbereinigung. Wie kann man Jüngeren, die keinerlei eigene Erinnerungen mehr an die DDR haben, diese Widersprüchlichkeiten vermitteln?

    Das weiß ich nicht. Ich habe jetzt einige, zum Teil hochgelobte Bücher von jüngeren Autoren über die DDR gelesen, bei denen ich dachte: Die haben nicht erlebt, was die da beschreiben, sie sprechen eine andere Sprache und ihr Bild ist geprägt von den medialen Darstellungen der letzten 30 Jahre. Aber auch das kann man nicht verallgemeinern. Ich glaube daran, dass wahrhaftige künstlerische und literarische Darstellungen immer entstehen und auch bleiben. Wie gesagt, es geht nicht darum, Schwarz und Weiß zu benennen, sondern die Zwischentöne und Schattierungen aufzuzeigen.

    Die Argentinierin Lola Arias inszenierte 2016 im Gorki-Theater das Theaterstück »Atlas des Kommunismus«. Darin rekonstruieren Frauen im Alter zwischen 10 und 86 die Geschichte der DDR. Das ist neben »Machandel« für mich das gelungenste Beispiel einer differenzierten DDR-Geschichtsschreibung. Interessant, dass eine Südamerikanerin das besser macht, als viele deutschsprachige Autoren der Gegenwart.

    Mir gefiel das Stück auch, überrascht war ich, dass ich mehrere, die darin auftreten, kannte. Monika Zimmering …

    …1943 in London im Exil geboren …

    … hatte ich in meiner Zeit im Oktoberklub kennengelernt. Mit Ruth Reinecke, die ja immer schon am Gorki-Theater gespielt hat, hatte ich einmal ein Interview gemacht. Salomea Genin … Mich hat es überrascht und erfreut, dass es so viele Überschneidungen zwischen diesem Stück und meinen eigenen Erfahrungen gab. Das lag auch daran, dass die DDR nicht so groß war. Wenn man in Berlin lebte, kannte man sich innerhalb einer Generation. Auch mit Leuten, mit denen man politisch nicht so einverstanden war, gab es Verbindungen. Es wurde viel diskutiert, man kannte und erkannte sich.

    Wie sehen Sie im Rückblick eigentlich das Ende der DDR – vor allem die Zeit ab September 1989?

    Die Maueröffnung in diesem historischen Moment war eine Zäsur. Jetzt ging es vielen nicht mehr um Veränderungen in der DDR, sondern um eine Wiedervereinigung. Aber die zwei Monate davor, die Zeit der Demonstrationen und Runden Tische – die kommen mir im Nachhinein vor wie Jahre. In diesen Wochen schien alles möglich, es war eine glückliche Zeit. Ich bin anfangs selbst mit Listen für das Neue Forum rumgelaufen und habe Unterschriften gesammelt. Der Gründungsparteitag der PDS war für mich auch ein wichtiges Erlebnis. Da tauchten plötzlich ganz andere Leute auf als die bekannten Funktionäre und versuchten, die Partei zu erneuern. Für einige Zeit hatte ich das Gefühl, es könnte gelingen. Eine Weile war ich noch auf Versammlungen, die bis spät in die Nacht gingen. Ich dachte, dass aus dieser historischen Niederlage etwas Neues entstehen könnte. Aber als es dann um die Listenaufstellung für das Abgeordnetenhaus ging, sah ich plötzlich auch Verhaltensweisen, die mich abstießen. Ich habe mich dann zurückgezogen, was auch persönliche Gründe hatte. Kurz nach der Wiedervereinigung starb mein Lebensgefährte, wenige Wochen später auch Hertha Gordon-Walcher. Meine Zeitungen und Rundfunksender gab es nicht mehr, auch »Temperamente« wurde eingestellt. Ich musste Geld verdienen, die Miete wurde immer teurer, meine Tochter, die gerade in die Schule gekommen war, hatte ihren Vater verloren; die ältere stand im Abitur. Diese Einschnitte, Gefühle von Trauer und Verlust, prägen natürlich meine Erinnerungen an die Wendezeit. Aber die Vergangenheit, wir wissen es, ist nicht vergangen. Was wir täglich erleben, in Deutschland und in der Welt, hat seine Wurzeln auch in dieser Zeit des Systemwechsels. Schon deshalb ist es wichtig, sich zu erinnern.

    »Wenn heute von ›Kommunisten‹ die Rede ist, verbinde ich mit der Bezeichnung die alten Widerstandskämpfer. Leute wie die Walchers.«

    Regina Scheer, Jahrgang 1950, wurde in Ostberlin geboren und arbeitete als freie Redakteurin unter anderem für die DDR-Studentenzeitung »Forum« und die Literaturzeitung »Temperamente«. Einem breiten Publikum bekannt wurde sie mit ihrem Roman »Machandel«, für den sie 2014 den Mara-Cassens-Preis erhielt und der sehr unterschiedliche Perspektiven ...

    #DDR #histoire #antifascisme #biographie

  • Privatisierung nach der Wende: Wirtschaftskrimis, von der Treuhand geschrieben
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kolumne-ddr-osten-berliner-verlag-privatisierung-nach-der-wende-wir

    19.9.2024 von Mandy Tröger - Die Treuhand hatte die Aufgabe, die DDR-Unternehmen in die freie Marktwirtschaft zu überführen. Unsere Autorin schaut als Forscherin hinter die Kulissen.

    Seit Wochen reise ich durch Deutschland und rede über die Treuhandanstalt (THA). Bis heute scheiden sich an ihr die Geister: Für die einen hat die THA die einstige DDR-Wirtschaft erfolgreich privatisiert. Für andere hat sie Ostdeutschland „geschlachtet“, durch „Helden und Halunken … verkauft“ und im „Raubzug … geplündert“. Ein Wirtschaftskrimi erster Güte, so scheint es. Als Kind aus Ost-Berlin bin ich mit diesem Krimi aufgewachsen. Seitdem lässt er mich nicht mehr los.

    Heute bin ich Wissenschaftlerin und erforsche die Privatisierung der DDR-Zeitungen. Die THA spielte hier eine wichtige Rolle, denn mit der deutschen Einheit verwaltete sie das einstige DDR-Parteivermögen und damit die Presse. Das heißt, Anfang der 1990er verkaufte die THA fast alle 39 ehemaligen DDR-Tageszeitungen an finanzstarke BRD-Verlage, also zum Beispiel an die WAZ-Gruppe oder den Bauer-Verlag. Bis heute sind die Zeitungen Ostdeutschlands in ihren Händen. Damals hatte die THA das letzte Wort. Da sie ursprünglich aber nur für volkseigenes Vermögen geschaffen worden war, gab es zusätzlich die Abteilung Sondervermögen. Politischer Entscheider war die sogenannte Unabhängige Kommission, die Rechtsaufsicht hatte das Bundesinnenministerium. Das heißt, zwar verkaufte die THA die Zeitungen offiziell, aber viele andere Behörden waren mit von der Partie. Ich sehe mir an, welche Rolle die THA genau spielte.

    Dafür durchforste ich seit drei Jahren THA-Akten im Bundesarchiv in Lichterfelde. Das ist keine kleine Aufgabe. Immerhin produzierte die THA rund 45 Kilometer Akten. Davon wurden ungefähr zwölf vom Bundesarchiv übernommen – das sind rund 170.000 Akten. Ich habe bisher 149 Akten eingesehen, das sind 12,5 Meter. Scheint wenig, ist aber viel. Denn Wendezeit-Akten sind kompliziert: es gibt Lücken, viele handschriftliche Notizen und schlecht dokumentierte Verhandlungen. Außerdem ist ein Großteil der THA-Akten noch gar nicht erschlossen; das heißt, keiner weiß, was in ihnen eigentlich steht.

    Aktuell arbeite ich am Fall der Berliner Zeitung – Dank hoher Auflagen- und Abo-Zahlen war sie damals ein Filetstück unter den DDR-Zeitungen. Sie gehörte dem Berliner Verlag, und der blieb (anders als andere SED-Verlage) im Jahr 1990 im Besitz der SED-Nachfolgepartei PDS. Die verkaufte den Verlag noch vor der Einheit an ein Joint Venture des britischen Medien-Moguls Robert Maxwell und der westdeutschen Verlagsgruppe Gruner + Jahr. Damit ging der Berliner Verlag, als einziger DDR-Zeitungsverlag, 1990 an einen nicht-westdeutschen Investor. Laut dem damaligen PDS-Parteivorstand Gregor Gysi sei das Ziel „Alles, nur nicht Springer!“ gewesen. Das wurde geschafft. Zwei Jahre später fiel Maxwell von seinem Boot und ertrank. Die Presse munkelte über Mord oder Selbstmord, denn der Mogul hatte Millionen veruntreut. Für den Berliner Verlag begann danach ein leidvolles Besitzer:innen-Stelldichein.

    Das klingt wie ein Wirtschaftskrimi, ist aber eine Tragödie. Und wie bei allen Tragödien gibt es am Ende weder „Helden“ noch „Halunken“, sondern Menschen, die im Chaos tappen. Auch hinter den THA-Kulissen herrschte Chaos: Es gab Arbeitsüberlastung, Personalwechsel, Strukturänderungen und politischen Druck. Trotzdem privatisierte die THA im Wochentakt. Ein schweres Los für alle, die hier Helden sein wollen.

    #DDR #journalisme #capitalisme #Treuhand

  • DDR en timbres postales - culture et identité (1970 - 1989)

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  • DDR en timbres postales - culture et identité (1954 - 1966)

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  • DDR en timbres postales - télécommunication, technologie, science, formation

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