• SEZ an der Landsberger Allee gehört jetzt wieder Berlin: Das ist geplant
    https://www.berliner-zeitung.de/news/sez-an-der-landsberger-allee-gehoert-jetzt-wieder-berlin-das-ist-ge

    Na wunderbar, das SEZ ist wieder in Berliner Hand und zugleich auch nicht. Freibad, Wellenbad, Sportplatt und Partylocation wird es nicht wieder geben. Die „Stadt“ hat Angst daran wie die DDR pleite zu gehen und wird nun wohl das Gelände für Immobilienprojekte ausschreiben. Eklig.

    1.12.2023 - Der jahrelange Rechtsstreit um die Nutzung des früheren Sport- und Erholungszentrums (SEZ) in Berlin-Friedrichshain ist nach Angaben von Finanzsenator Stefan Evers (CDU) beendet.

    Das Land könne nun wieder über das vor 20 Jahren verkaufte Grundstück an der Landsberger Allee verfügen und dieses neu entwickeln, teilte Evers am Freitag mit. Laut aktuellem Bebauungsplan sind dort rund 500 Wohnungen und eine neue Schule vorgesehen.
    Das SEZ in Berlin-Friedrichshain musste 2002 schließen

    Das SEZ, 1981 eröffnet, war mit seinen verschiedenen Sport und Freizeitangeboten ein Prestigeobjekt in der ehemaligen DDR. Nach der Wende wurde der Betrieb zu teuer. 2002 musste das SEZ schließen.

    Das Grundstück war 2003 vom Land an einen Investor verkauft worden. Seit 2016 wurde vor Gericht darüber gestritten, ob der damalige Käufer seine vertraglichen Pflichten eingehalten hat. Das Kammergericht hatte 2022 entschieden, dass der Investor das SEZ- Gelände an das Land zurückgeben muss. Seine dagegen gerichtete sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde wies der Bundesgerichtshof nach Angaben der Finanzverwaltung nun ab. Damit bleibe das Urteil des Kammergerichts bestehen. Die Details der Rückgabe des Areals und dessen weitere Entwicklung würden zeitnah geklärt.

    „Das SEZ geht zurück an das Land Berlin und kommt damit endlich wieder den Berlinerinnen und Berlinern zu Gute“, erklärte Evers. „Das ist eine großartige Nachricht. Ich danke allen Beteiligten, die sich in diesem viel zu langen Rechtsstreit mit viel Herzblut für die Interessen der Allgemeinheit eingesetzt haben. Jetzt geht es darum, aus dieser Fläche gemeinsam das Beste für Berlin zu machen.“

    #Berlin #Friedrichshain #Landsberger_Allee #Danziger_Straße #SEZ #Sport #Wohnen #Politik #DDR

  • Gert Wunderlich: »Wenn die Sonne tief steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.«
    https://www.jungewelt.de/artikel/463451.ddr-grafik-meister-der-form.html

    18.11.2023 von Peter Michel - Eine Erinnerung an den Plakatkünstler, Typographen, Buch- und Schriftgestalter Gert Wunderlich anlässlich seines 90. Geburtstages

    »Die Meisterung der Form, wenn sie keine leere Virtuosität, sondern eine wahre ­Meisterschaft sein soll, kommt aus einer ­Disziplin, die den ganzen Menschen ergreift.«, Johannes R. Becher

    Am 15. August 2023 verstarb Gert Wunderlich. Er war international geachtet und anerkannt. Gemeinsam mit seiner Frau Sonja sorgte er bis in die Gegenwart dafür, dass Maßstäbe einer anspruchsvollen Gebrauchsgrafik nicht aus dem Gedächtnis verschwinden. Seinen 90. Geburtstag erlebte er nicht mehr. Am 8. September 2023 wurde er auf dem Leipziger Südfriedhof beigesetzt.

    »Überklebt – Plakate aus der DDR« war der Titel einer Ausstellung, die 2008 in der Galerie der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) stattfand, kuratiert von der Kunsthistorikerin Sylke Wunderlich. Auch ihr Vater, Gert Wunderlich, war zur Eröffnung am 22. Oktober erschienen. So sahen wir uns nach vielen Jahren wieder. Er gehörte zu den Lesern und Unterstützern unserer Zeitschrift Icarus.¹ Wir erinnerten uns an die gemeinsame Arbeit im Künstlerverband und an die jährlichen Ausstellungen der besten Plakate. Wir waren uns darin einig, dass die Plakatkunst in der DDR eigenständig war, dass sich – wie Friedrich Dieckmann in einem Katalogtext schrieb – an der Spitze der Zunft ein künstlerischer Eigensinn behauptet hatte, »der wusste, was in der Welt an relevanter Plakatgrafik produziert wurde, in Polen und in Japan, in Frankreich, Westdeutschland oder den USA, und ihr eine Kunst humaner Differenzierung, des intrikaten Effekts, der malerischen Figur, auch der vehementen Collage entgegensetzte, fast verträumt manchmal, dann wieder scharfzüngig oder auf ernsthafteste Weise verspielt«.²

    Der Leipziger Verlag Faber & Faber hatte im selben Jahr in seiner Reihe »Die Graphischen Bücher« einen Band mit einem Text des Wuppertaler Ästhetikprofessors Bazon Brock herausgegeben. Dieses Buch trug den Titel »Kotflügel. Sprechmaschine nackt im Damenjournal«. Brock war als Provokateur bekannt, er hielt auf dem Kopf stehend Vorträge, warf seine Schuhe in den Ätna und gründete ein Institut für Gerüchteverbreitung. Er war an Happenings mit Joseph Beuys beteiligt, bemühte sich, der öffentlich verbreiteten Ideologie entgegenzusteuern und hatte auf die Künstlergeneration der »Neuen Wilden« entscheidenden Einfluss. Gert Wunderlich gestaltete dieses Buch, legte jedem Exemplar acht schon 2006 geschaffene Originaltypographiken auf Transparentfolie bei und schrieb in eine der Ausgaben: »Wenn die Sonne tief steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.« Hier übertraf wohl eine Ironie die andere. Als die Weimarer Ausstellung »Aufstieg und Fall der Moderne«, in der es 1999 um die Diskriminierung in der DDR entstandener Kunst ging, von allen Seiten heftig kritisiert wurde, hatte sich auch Bazon Brock eingemischt. Im Deutschlandradio Berlin äußerte er, angesichts dessen, was Ausstellungen und Kunstmarkt den Künstlern im Westen zugemutet hätten, sei die Kritik an der Weimarer Ausstellung lachhaft.³ Er war es also gewöhnt, dass man Kunst wie Müll behandelt.

    Die transparenten Originaltypographiken von Gert Wunderlich verstehe ich demgegenüber als Zeugnisse des Bestehens auf einer künstlerischen Leistung, die unwiederholbar ist und die man achten muss. Wunderlich spielte mit Schriften, farbigen und schwarzen, winzigen und großen Typen, mit geometrischen Formen, die die Funktion von Schriftzeichen übernehmen, mit spannungsvoll komponierten Flächen, mit herausfordernden Verrätselungen – und wenn man die Grafiken gegen das Licht hält, entstehen Assoziationen zu den Sprachblättern von Carlfriedrich Claus. Das sind Werke eines Künstlers, der sein typographisches Handwerk perfekt beherrschte und der solche Spiele – die natürlich ihren Eigenwert haben – braucht, um klare Botschaften ebenso meisterhaft unter die Leute zu bringen.
    »affiche directe«

    Sein Plakat »Hemmungsloser Maximalprofit tötet Moral« aus der Serie »affiche directe«, das 2008 entstand, ist ein Beispiel dafür. Der Begriff »Maximalprofit« steht schwer, schwarz und blockhaft im Zentrum. Die roten Schriftzüge bilden die weitergehende Aussage: »Profitgier tötet«, wobei die kalligrafisch scheinbar schnell hingeworfene und die massige Blockschriftzeile in ihrer Gegensätzlichkeit jeweils nach oben oder unten weisen und nach links einen Keil bilden. Es werden Bezüge zur frühen nachrevolutionären russischen Kunst deutlich. Die Serie »affiche directe« entstand seit den 1970er Jahren zu gesellschaftspolitischen Themen, die national und international von entscheidender Bedeutung waren – und noch sind. Hier stellten Gert und Sonja Wunderlich ihre eindeutige Haltung in einer breiten Öffentlichkeit aus. Sie stießen die Betrachter mit ihren Plakaten und Postkarten sehr direkt auf aktuell brennende Probleme, provozierten ein Weiterdenken und forderten zum Handeln auf. Sie nutzten dafür typographische, schriftgrafische und fotografische Mittel. Auf einem Plakat aus dem Jahr 1999 sind auf schwarzem Grund das NATO-Symbol und das Hakenkreuz miteinander verzahnt; darüber in Gelb das Wort »Aggressoren« und oben die Jahreszahlen 1939 und 1999 mit schlagwortartigen Schriftzügen: »Überfall deutscher Truppen auf Polen: 1.9.1939« und »Bombenkrieg der NATO gegen Serbien. Ohne UN-Mandat: 24.3.1999«.
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    Gert Wunderlich/Stiftung Plakat OST (2)

    Gert Wunderlich: Nie wieder Faschismus, Plakat (2006)

    Einige Postkarten dieser Serie schickte Gert Wunderlich an uns. Meist sind sie mit persönlichen Widmungen versehen. Wir bewahren sie als Zeugnisse unserer Freundschaft. »Kriege sind vom Aussterben nicht bedroht … Megaprofite, imperiale Gewalt und religiöser Fanatismus sind gegenwärtig«, steht auf einer dieser Postkarten aus dem Jahr 2014. Auf einer anderen wird davor gewarnt, Russland permanent als »Reich des Bösen« zu diffamieren. Auf der Rückseite einer Postkarte zur anhaltenden inneren Spaltung der Deutschen zitiert Gert Wunderlich eine Äußerung Stefan Zweigs aus dem Jahr 1938 über den Hass zwischen Systemen, Parteien, Klassen, »Rassen« und Ideologien. Anlässlich der V. Internationalen Plakatausstellung in Leipzig 2022 entstand sein Plakat mit dem Text des Gedichtes »Das große Karthago …« von Bertolt Brecht. Im selben Jahr beteiligten sich Sonja und Gert Wunderlich an einem japanischen Plakatwettbewerb gegen den Krieg und nutzten dafür die Nationalfarben der Ukraine.

    Das schöpferische Spiel mit der Schrift ist typisch für Gert Wunderlichs Plakatkunst. Als er das Plakat für die Internationale Buchkunstausstellung in Leipzig schuf, ordnete er die vierfach wiederholten Schriftzeichen der Abkürzung »iba« spiegelbildlich um eine senkrechte Mittelachse. Für die Thomas-Mann-Ehrung 1975 sind auf einer dunkelblauen Fläche drei Schriftzeilen an den oberen und unteren Rand sowie in die Mitte gestellt, so dass unter dem Wort »Mann« die Fliege genügt – die der Schriftsteller gern anstelle einer Krawatte trug –, um den Betrachter darauf zu stoßen, worum es geht. Beinahe monumental ist auf einem Plakat für eine Aufführung des »Rings des Nibelungen« die blockhafte Masse der schweren Typen auf einen Bühnenboden gestellt – als ein Zeichen für die Gewalt der Wagnerschen Musik. Ebenso symbolisiert ein kräftiger Punkt mit auf- und abschwellenden Linien die Kunst der Grafik auf einem Plakat für die Ausstellung »100 ausgewählte Grafiken 1977«. Solche Klarheit des Aufbaus bestimmte auch ein Schriftplakat zur Abrüstung 1983 und ein Plakat mit kyrillischer Schrift für eine Ausstellung grafischer Arbeiten der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst 1989 in Moskau. Fast alle diese Arbeiten sind Kulturplakate. Der Blickfang ist auf weite Sicht konzipiert, die notwendigen weiterführenden Informationen sind klein gedruckt. Wer neugierig geworden ist, tritt an das Plakat heran.
    Konsequenter Lebensweg

    Gert Wunderlich wurde am 18. November 1933 in Leipzig geboren. Er erlernte in den Deutschen Grafischen Werkstätten den Beruf des Schriftsetzers und studierte anschließend an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) bei Irmgard Horlbeck-Kappler, Wolfgang Mattheuer und Elisabeth Altmann im Grundstudium. Sein Fachstudium absolvierte er bei den Designern, Kalligraphen und Typographen Albert Kapr, Oskar Zech und Otto Erler. Nach dem Diplom arbeitete er bis 1960 als Buchgestalter in der Druckerei »Fortschritt« Erfurt. 1959 wurde Wunderlich in den Verband Bildender Künstler aufgenommen. Seine erste große internationale Aufgabe war die Tätigkeit als Sekretär der Internationalen Buchkunstausstellung in Leipzig. Das dafür geschaffene Plakat machte ihn über die Grenzen der DDR hinaus bekannt. 1966 wurde er Aspirant bei Albert Kapr, 1967 Assistent, 1968 Oberassistent und 1971 Dozent. Der Bund Deutscher Buchkünstler, der seinen Sitz in Offenbach am Main hat, nahm ihn im selben Jahr als Mitglied auf. 1979 übertrug man ihm eine Professur mit künstlerischer Lehrtätigkeit sowie die Leitung der Abteilung Buchgestaltung/Gebrauchsgrafik an der HGB. 1982 wurde Wunderlich zum Vorsitzenden des DDR-Zweigs des International Council of Graphic Design Associations (Weltdachverband für Grafikdesign und visuelle Kommunikation, Icograda) gewählt. Eine erste Gastdozentur im Ausland führte ihn 1988 an die Akademie für Kunst und Design nach Beijing. Von 1991 bis 1999 bildete er Meisterschüler aus. 1992 erfolgte die Berufung als Professor neuen Rechts an der Leipziger Hochschule, bis 1999 leitete er dort die Fachklasse für Typographie, Buch- und Plakatgestaltung. Nach seiner Emeritierung ging Wunderlich 1999 noch einmal als Gastdozent für praktisch-künstlerischen Unterricht nach Beijing und hielt Vorträge an der Universität Xiamen und an der Kunsthochschule Suzhou. Er arbeitete in zahlreichen nationalen und internationalen Jurys mit und war von 1992 bis 2011 Mitglied des Kuratoriums zur Verleihung des Gutenberg-Preises der Städte Leipzig und Mainz.

    Gert Wunderlich gehörte zu den Typographen, die bis heute Maßstäbe setzen. Die klassische Ausbildung, die er nach dem Zweiten Weltkrieg in Leipzig erhielt, ist heute nicht mehr allgemein üblich. Sie schloss Offenheit gegenüber anderen Kunstbereichen ein. Schon in den 1950er Jahren – als das noch nicht selbstverständlich war – beschäftigte er sich mit dem Erbe des Expressionismus und des Bauhauses. Bewährtes und Neues zusammenzuführen, war Wunderlich wichtig. Stets war er der Auffassung, dass die typographische Form dem Inhalt entsprechen müsse; er wählte Formen, die es ermöglichen, einen Text dauerhaft erlebbar zu machen und zugleich die Lesbarkeit zu sichern. Das ist ohne gestalterische Disziplin nicht möglich; visuelles Marktgeschrei verbietet sich.

    Wunderlich entwickelte neue Schriften, darunter die »Antiqua 58«. Die von ihm geschaffene Linear-Antiqua »Maxima« gehörte wegen ihrer guten Lesbarkeit, ihrer Formschönheit und Ausdruckskraft in den 1980er Jahren zu den meistgenutzten Groteskschriften in der DDR und wurde für alle Buchgenres, aber auch zum Beispiel im Berliner Nahverkehr genutzt.
    Eigene Buchkunsttradition

    Die von Wunderlich gestalteten Bücher sind kaum zählbar. Wolfgang Hütts Bücher über Lea Grundig und Willi Sitte gehören dazu, der Sammelband »Weggefährten. 25 Künstler der DDR«, die vom Künstlerverband herausgegebene Publikation »Gebrauchsgrafik in der DDR«, Günter Meißners Buch über Werner Tübke, das Gert Wunderlich und seine Frau Sonja gestalteten, und andere. Gemeinsam mit den beiden älteren Buchgestaltern Albert Kapr und Walter Schiller gilt Gert Wunderlich als Vertreter einer Buchkunsttradition, die sich seit den 1950er Jahren in der DDR herausbildete – oft unter materiellen Schwierigkeiten und begleitet von kulturpolitischen Auseinandersetzungen. Die Zusammenarbeit mit Grafikern und Illustratoren war ihm stets wichtig, um ein ganzheitliches buchkünstlerisches Werk zu schaffen. Zwischen 1991 und 2011 schuf er zum Beispiel für den Leipziger Bibliophilen-Abend vorbildhaft gestaltete Bücher und Buchkassetten mit Holzstichen von Karl-Georg Hirsch, Lithographien und Steindrucken von Jiří Šalamoun und Rolf Münzner, Holzschnitten, Kupferstichen und Radierungen von Baldwin Zettl, Hans Ticha, Joachim John, Rolf Kuhrt und anderen. Seine Arbeiten zu Texten von Edgar Allan Poe, Bertolt Brecht, Volker Braun, Hermann Kant, Rolf Hochhuth, Lothar Lang und anderen sind Meisterwerke, die ihresgleichen suchen. Viele Verlage schätzten Gert Wunderlich als einfühlsamen, maßstabsetzenden Gestalter. Wenn man solche Bücher in die Hand nimmt und sieht, wie alle Teile zusammenspielen, wie komplizierte Texte und unterschiedliche grafische Elemente ein Ganzes geworden sind, wird einem die ästhetische Verarmung der Gegenwart bewusst. Aus dem Kulturgut Buch ist in vielen Fällen ein Wegwerfartikel geworden, eine Ware wie jede andere.
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    Gert Wunderlich/Stiftung Plakat OST

    Gert Wunderlich: Plakat für den Wettbewerb »100 Ausgewählte Grafiken« 1977 (1977)

    Bis kurz vor seinem Tod bestritt Wunderlich unzählige Einzel- und Gruppenausstellungen und wurde vielfach ausgezeichnet. Seine Arbeiten sind in Sammlungen auf der ganzen Welt zu finden. Der 1933 Geborene konnte auf das Erreichte stolz sein. Es machte ihn sympathisch, dass er bei alledem bescheiden auftrat und nicht vergaß, woher er kam. Wir trafen uns im Sommer 2013 zum letzten Mal. Der Anlass war traurig und unser Treffen war zufällig. In der Menschenmenge vor der Feierhalle auf dem Gertraudenfriedhof in Halle sahen wir uns, als wir von Willi Sitte Abschied nahmen.

    Der Grafikdesigner Kurt Weidemann schrieb: »Wer Typographie macht, dem muss es völlig wurscht sein, ob er im Trend liegt, up to date ist oder nicht. Wer dauernd neuen Idolen dient oder sie nur abkupfert, verliert seine Identität. Wer Angst davor hat, als altmodisch bezeichnet zu werden, darf seinen Kontrahenten Ahnungslosigkeit und Unkenntnis der Geschichte vorwerfen.«⁴ Gert Wunderlich besaß dieses Selbstbewusstsein. Und die Anmerkung Kurt Weidemanns betrifft wohl nicht nur die Typographie.

    Anmerkungen

    1 Icarus, Zeitschrift für soziale Theorie, Menschenrechte und Kultur, herausgegeben von der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde

    2 Friedrich Dieckmann: Eigensinn und Eigenart. Plakate aus der Deutschen Demokratischen Republik. In: Überklebt – Plakate aus der DDR, Schwerin 2007, S. 9

    3 Gespräch mit Bazon Brock, Deutschlandradio Berlin, Mai 1999. Siehe auch: Peter Michel: Ankunft in der Freiheit. Essays gegen den Werteverlust der Zeit, Berlin 2011, S. 42

    4 Kurt Weidemann: Typografen sind Dienstleute. In: Sonja und Gert Wunderlich: Graphik-Design, herausgegeben von der Stiftung Plakat Ost, Leipzig 2013, S. 94

    #art #DDR

  • Kurt Hager über Wissenschaftsmissbrauch im Sozialismus – Ein sinnentstellender Fehler
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/osten-ddr-kurt-hager-ueber-wissenschaftsmissbrauch-im-sozialismus-e

    Les Trotzkystes qualifient le socialisme de type stalinien comme règne de la bureaucratie. Ils ont raison. Voilà la preuve.

    19.11.2023 von Erhard Geißler| - Wie die Genossen das Politbüromitglied Kurt Hager ins offene Messer des Klassenfeinds laufen ließen.

    Vor fünf Jahrzehnten wurde die Gentechnik eingeführt. Sofort gab es nicht nur große Erwartungen, sondern auch erhebliche Bedenken. Genetic Engineering ist nicht nur mit Sicherheitsrisiken verbunden, sondern besitzt auch erhebliches Missbrauchspotenzial.

    In der DDR wurde das vor allem von einigen prominenten Schriftstellern artikuliert. Ernst Schumacher warnte in der Berliner Zeitung vor „kaltblütigen Genexperimentatoren“ und Jurij Brezan meinte, alle müssten nun „Angst vor Biologen haben“. Auch im Sozialismus?

    Wenn man wissen will, wie sich Partei- und Staatsführung der DDR zu den neuen Entwicklungen verhielten, bietet sich eine Lektüre der Werke des Chefideologen Kurt Hager an. Der hatte sich 1979 ausführlich zu Vorzügen und Nachteilen der Gentechnik in seiner Schrift „Philosophie und Politik“ geäußert. Die kann man noch heute ausleihen, beispielsweise in der Deutschen Nationalbibliothek.

    Sie residiert an zwei Standorten, in Frankfurt am Main und Leipzig, und verfügt folglich über zwei Hager-Broschüren. Im Leipziger Exemplar steht, was der informierte Leser von einem solchen Autor erwartet: Unter sozialistischen Produktions­verhältnissen sei der Missbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgeschlossen.

    Ein sinnentstellender Fehler

    In der Frankfurter Ausgabe steht auf Seite 24 jedoch das glatte Gegenteil: „Gesellschaftliche Garantien zum Missbrauch von Forschungsresultaten bietet aber allein der Sozialismus“. So heißt es auch in der Broschüre, die man in Madison, Wisconsin, ausleihen kann. Wie das? Unterschiedliche Ost- und Westtexte?

    Ich stieß auf diese merkwürdige Tatsache erst neulich. Dirk Oschmann, Katja Hoyer, die Berliner Zeitung und andere hatten endlich eine breite Diskussion darüber angestoßen, wie überaus vielschichtig es in der DDR tatsächlich zugegangen war, und ich begann in diesem Zusammenhang über den sinnentstellenden Fehler in Hagers Broschüre zu recherchieren.

    Hagers Text ist das Schlußwort, das er im November 1979 auf dem V. Philosophen­kongress der DDR gehalten hatte. Es war von einer Arbeitsgruppe entworfen worden, welche die Abteilung Wissenschaften des Zentralkomitees der SED einberufen hatte. Die Gruppe legte einen 54-seitigen Entwurf vor.

    Etwa ein Viertel des Textes beschäftigt sich unter der Überschrift „Sozialismus und Wissenschaft“ mit neuen Entwicklungen in Naturwissenschaft und Technik, vor allem mit Mikroelektronik und mit den Pros und Kontras der Gentechnik. Und in diesem Zusammenhang ist der überraschende Satz über den im Sozialismus garantierten Wissenschaftsmissbrauch in den Text geraten, ganz sicher nicht absichtlich, sondern wohl beim Diktieren oder Abschreiben.

    Der Entwurf wurde dann gründlich überarbeitet und stark gekürzt. Aber die Passagen, die sich mit der Gentechnik und ihren Implikationen beschäftigten, wurden fast unverändert übernommen. Wer der Endkorrektor war, ist nicht überliefert. Das finale Manuskript ist im Bundesarchiv nicht in den Unterlagen des Büros Hager oder anderer Einrichtungen der SED-Führung archiviert, sondern in den Akten des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen. Vielleicht war ein Wissenschaftler der Korrektor?

    Aber vielleicht war es auch Hager selbst. Dafür sprechen die wenigen, sehr speziellen Detailkorrektoren. Beispielsweise wurde hinter der ursprünglichen Formulierung, die „vielschichtige Problematik von Gesundheit und Krankheit“ sei eine Herausforderung der marxistisch-leninistischen Philosophie, hinter „Krankheit“ eingefügt: „und Sterben“ – also ein realsozialistisches Tabuthema. Das konnte sich eigentlich nur ein Politbüromitglied erlauben.

    Dieser Teil des Manuskriptes wurde also bei der Endkorrektur offensichtlich ganz genau, Wort für Wort, gelesen, von wem auch immer. Um so erstaunlicher ist, dass dabei der sinnentstel­lende Fehler übersehen wurde.

    Jedenfalls war es Hager selbst, der ihn während seines Vortrages übersah. Ich nahm damals am Kongress teil und hörte sehr gespannt zu, denn ich war von Anfang an bei der Einführung der Gentechnik in der DDR beteiligt. Kurz vor der Tagung war ich vom Gesund­heits­minister zum Vorsitzenden der Kommission zur In-vitro-Rekombination von DNA berufen und damit für die Sicherheit gentechnischer Experimente verantwortlich gemacht worden.

    Deshalb fiel mir auf, dass sich der Redner in diesem Zusammenhang nicht an sein Manuskript hielt und minuten­lang völlig frei sprach. Allerdings war manches davon fachlich nicht korrekt. Dies habe ich dann wenige Tage später meinem Chef, dem Genossen Direktor des Zentralin­stituts für Molekularbiologie, mitgeteilt. Hager habe sich „fast ausschließlich auf veraltete Informationen bezogen“. Man soll ihm das in geeigneter Form mitteilen, damit „vor einer eventuellen Veröffentlichung des Gesamttextes noch eine Durchsicht und Überarbeitung erfolgen“ könne.

    Aber mein Brief kam zu spät: Im Dietz-Verlag war man bereits dabei, den Druck des Schlusswortes vorzubereiten. Schon am 6. Dezember waren die Korrekturbögen fertig und wurden Hager – auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin – übersandt, mit der Bitte, die „von dir bearbeiteten Fahnenabzüge so bald wie möglich“ zurückzuschicken. Zwei Tage später antwortete Hager – ohne Kommentar zu den Fahnen. Auch dieses Mal hatte er den Fehler also übersehen. Und deshalb ging der Druckauftrag ohne weitere Änderungen an die Druckerei Neues Deutschland.

    Bereits am 14. Dezember 1979 erhielt der Verlag die ersten 100 Exemplare der Broschüre. 25 wurden sofort an Kurt Hager weitergeleitet. Drei Tage später wurden 41.280 Exemplare an den Buchhandel ausge­liefert. Besondere Abnehmer wurden individuell versorgt: Je 500 Exemplare gingen ans Ministerium für Staatssicherheit, an die Nationale Volksarmee und an die Partei­hochschule. Inhaltsschwere Lektüre für die Weihnachtsfeiertage – oder für die Wache in der Stasi-Zentrale oder in den Objekten der NVA. Aber offenbar stieß nicht einer auf den sinnentstellenden Fehler – oder scheute davor zurück, ihn zu melden.

    Ich scheute mich nicht. Ich fand ihn, als ich um den Jahreswechsel herum den Wissenschafts­teil der Broschüre sehr genau, Wort für Wort las, auf der Suche nach Hagers Fehleinschätzungen. Die waren nicht übernommen worden. Wohl aber der peinliche Lapsus.

    Ich war zwar schon seit mehr als zwei Jahrzehnten kein SED-Mitglied mehr, war aber auch kein Dissident. Wenn dieses Zitat Richard Löwenthal, dem westdeutschen Pendant unseres „Sudel-Ede“ Karl-Eduard von Schnitzler, in die Hände fiele … Nicht auszudenken, wenn der die Haltung der Partei- und Staatsführung zur Gentechnik lächerlich machte.

    Also suchte ich gleich im Januar 1980 meine Vorgesetzen an der Akademie der Wissen­schaften auf. Mein Institutsdirektor hörte entgeistert zu, sah aber keine Handlungsmöglichkeit. Der Direktor des Forschungsbereiches Molekularbiologie und Medizin ebenso. Vermutlich aus Angst, als Überbringer der schlechten Nachricht bestraft zu werden, riskierten diese einflussreichen Genossen lieber, einen ihrer obersten Chefs ins offene Messer des Klassenfeinds stolpern zu lassen.

    Also wandte ich mich eine Etage höher und informierte den Akademie-Präsidenten. Als ZK-Mitglied hatte der direkten Zugang zu Hager. Trotzdem wandte er sich nicht an den, sondern nur an den Leiter der Abteilung Wissenschaften des ZK. Der aber meinte, man solle die Sache besser auf sich beruhen lassen.

    Auslieferung der Exemplare wird gestoppt

    Hager wurde tatsächlich nicht informiert, aber die Auslieferung der restlichen 5700 Exemplare wurde am 5. Februar 1980 gestoppt. Die Mitarbeiter des Dietz-Verlags wurden über den „sinnentstellenden Fehler“ informiert und darüber, dass der „bereits im Manuskript enthalten“ war. Diesen peinlichen Befund konnte man Hager natürlich nicht mitteilen. Und vermutlich deshalb wurde auch keine Rückrufaktion der Broschüre gestartet, denn das hätte der Chef sicher gemerkt, vielleicht sogar selbst genehmigen müssen.

    Davon drang natürlich nichts nach außen. Und die fehlerhafte Schrift war weiter im Umlauf. Also fasste ich mir ein Herz und schrieb selbst an Kurt Hager, am 25. März 1980. Aber darauf gab es wochenlang keine Reaktion. Das war merkwürdig, denn auf Eingaben von Bürgern wurde gerade in Partei- und Sicherheitskreisen meist sehr aktuell und akkurat reagiert.

    Tatsächlich reagierte man – von mir unbemerkt – sofort auf mein Schreiben und beschloss, eine korrigierte Auflage der Broschüre zu drucken: Am 11. April wurde die Druckerei beauftragt, 10.000 Exemplare einer „zweiten Bindequote“ zu produzieren. Fünf Tage später begann deren Auslieferung. Hager selbst bekam diesmal kein Stück.

    Erst danach wurde mein Brief beantwortet. Ich wurde ins Haus des ZK der SED eingeladen, ins Büro Hager. Am 30. April erwarteten mich dort der Leiter des Büros sowie der Direktor des Dietz-Verlags. Man sei mir ja sooo dankbar, aber sie hätten bereits Bescheid gewusst. Zehn Genossen hätten Korrektur gelesen, aber ein elfter habe den Fehler dann doch noch gefunden.

    Druck und Auslieferung der Broschüre seien sofort gestoppt und eine korrigierte Ausgabe gedruckt worden. Die wurde mir in die Hand gedrückt. Es sei ihnen unvorstellbar, wieso ich trotzdem ein fehlerhaftes Exemplar in die Hand bekommen hätte. Aber nun sei die Sache aus der Welt, und den Genossen Hager, den wolle man damit gar nicht erst beunruhigen.

    Ich zog von hinnen – und merkte schon damals bald, dass ich nach Strich und Faden belogen worden war. Es gab nicht nur mein Exemplar. Die fehlerhafte Broschüre wurde immer noch im Buchhandel angeboten. Ich informierte den Verlagsleiter darüber am 16. Mai schriftlich. Der zeichnete meinen Brief ab und gab ihn in die Ablage. Eine Antwort blieb er mir schuldig.

    Und noch heute kann man Hagers verballhorntes Statement in mindestens 17 deutschen Bibliotheken unkommentiert lesen, allein im Bundesarchiv in fünf Exemplaren. Korrigierte Broschüren haben es in weit weniger Sammlungen geschafft, aber immerhin auch nach Los Angeles und nach Shanghai. In Hagers Nachlass befindet sich nur ein Exemplar, eines mit dem Fehler. Zu Lebzeiten hat er wohl nie von dem Vorfall erfahren.

    Notabene zur gleichen Zeit, als Hagers Rede veröffentlicht wurde, erschienen in der „West-Presse“ die ersten Meldungen, in der sowjetischen Waffenschmiede Swerdlowsk – dem heutigen Jekaterinburg – habe es in einer Biowaffeneinrichtung eine Explosion gegeben, die eine tödliche Milzbrandepidemie ausgelöst hätte. Missbrauch der Wissenschaft gab es tatsächlich im Sozialismus, unter brutalem Bruch völkerrechtlicher Verträge. Rechtssicher bewiesen werden konnte das aber erst nach der Wende.

    #socialisme #DDR #bureaucratie #sciences #histoire #biologie #recherche_génétique #culture #polirique

  • 34 Jahre nach dem Mauerfall : Die Ostdeutschen haben das Streiten verlernt
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/kommentar-34-jahre-nach-dem-mauerfall-die-ostdeutschen-haben-das-st
    Le sentiment d’indignation et l’absence complète de peur au sein de la vaste majorité des citoyens ont été deux facteurs principaux de la fin de l’état socialiste allemand. Aujourd’hui cet esprit n’existe plus en Allemagne de l’Est.

    9.11.2023 von Anja Reich - Die Menschen in der DDR haben eine Staatsmacht gestürzt, sich in wilden Debatten die Freiheit erkämpft. Warum sind viele von ihnen heute so still? Ein Kommentar.

    Ich bin gerne im Berliner Westen in diesen Tagen, im tiefen Westen. Am Botanischen Garten zum Beispiel, wo man sich im Café zwischen dem „Frühstück Lichterfelde“ (Croissant, Café Crema, Konfitüre) und dem „Frühstück Wannsee“ (Quark, frisches Obst, Tee, Orangensaft) entscheiden muss. Wo am Zeitungs- und Lottoladen das Schild „Pause bis 14 Uhr“ hängt, wo die alten Zeitungsaufsteller mit der alten Werbung stehen: „Heute schon B.Z. gelesen?“ und ein Plakat für die Räuber-Hotzenplotz-Vorstellung in der Kirchengemeinde wirbt.

    Das Leben scheint langsamer dort, die Leute scheinen mehr Zeit, bessere Laune und die unumstößliche Gewissheit zu haben, dass alles immer so weitergeht: Frühstück Wannsee, Räuber Hotzenplotz, Pause bis 14 Uhr. Ich genieße das. Wie man etwas genießt, das es nicht mehr lange geben könnte. Meine Ausflüge in den Westen kommen mir vor wie ein Abschied von einer Welt, in der ich nie so richtig angekommen bin.

    Es klingt seltsam, ich weiß. Und der Westen kann überhaupt nichts dafür. Die Ostdeutschen sind schuld, mit ihrem Mut, ihrer Kraft, ihrer Lust, alles einzureißen, jede Gewissheit infrage zu stellen. Sie haben damals, vor 34 Jahren, Maßstäbe gesetzt, an denen ich von da an alles gemessen habe, nach denen mir das bundesrepublikanische Leben oft langweilig vorkam, die Gespräche zu gepflegt, zu belanglos. Es ging um die Erhaltung eines Zustandes, die immer gleichen Querelen zwischen den immer gleichen Parteien, den nächsten Urlaub, die neue Wohnung, das neue Auto.

    Ich konnte erstmals quatschen, wie ich wollte, dabei stellte sich heraus, du hast eine Position. Es war atemberaubend.
    Günter Schabowski

    Ich sehnte mich nach der wilden Wendezeit zurück, in der nichts blieb, wie es war. Vor allem die Diskussionen fehlten mir. „Ich konnte erstmals quatschen, wie ich wollte, dabei stellte sich heraus, du hast eine Position. Es war atemberaubend“, sagte Günter Schabowski über die Tage, in denen er mit seinem Versprecher zum Reisegesetz die Mauer zum Einsturz gebracht hatte. „So viel wie in diesen Wochen ist in unserem Land noch nie geredet worden“, sagte Christa Wolf bei der Demonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz. „Wir schlafen nicht oder wenig, wir befreunden uns mit neuen Menschen, und wir zerstreiten uns schmerzhaft mit anderen.“

    Es ist eine Erfahrung, die mein Leben geprägt hat. Das Reden, Streiten, Zweifeln. Kein Satz stört mich mehr als: Das ist nicht die richtige Haltung. Kein Einwand löst so viel Widerstand in mir aus wie: Darf man das denn sagen? Ich fühle mich unwohl mit Menschen, bei denen ich merke, sie halten sich zurück, aus Angst oder taktischen Gründen oder warum auch immer. Und liebe es, wenn Leute sich um Kopf und Kragen reden, sagen, was sie wirklich denken.

    Die DDR wird oft als Diktatur beschrieben und selten als das Land, das Reformen eingeleitet und seine Staatsmacht gestürzt hat.

    Ich habe daran andere Ostdeutsche erkannt, auch noch viele Jahre nach dem Mauerfall, auch welche, die 1989 noch Kinder waren. Nicht sagen, was die Chefs erwarten, offen sein für andere Meinungen, damit rechnen, dass jeden Moment alles zu Ende sein könnte, keine Angst vor der Zukunft haben.

    Aber während ich das schreibe, merke ich, ich beschwöre Erinnerungen, die zur Vergangenheit gehören. Es ist 34 Jahre her, fast ein halbes Menschenleben. Die wunderbare Christa Wolf ist tot, genau wie der zerstreute Günter Schabowski. Die DDR wird heute vor allem als Diktatur beschrieben und selten als das Land, das Reformen eingeleitet, wilde Debatten geführt, seine Staatsmacht gestürzt hat. Revolutionäre von damals erzählen mir heute Verschwörungstheorien über Juden, über Politiker, über den 11. September. In dem brandenburgischen Ort, in dem ich meine Wochenenden verbringe, haben bei der Landratswahl mehr als 50 Prozent für den AfD-Kandidaten gestimmt. Wer diese Leute sind, weiß ich nicht. Das Volk schweigt wieder, hat das Reden und Streiten verlernt.

    Der 9. November ist der Tag in der Geschichte, der die deutsche Welt ins Wanken brachte, der das Gute an Deutschland hervorgebracht hat und seine Abgründe. Vor 34 Jahren stürmten Ostberliner die Grenzübergänge, ohne dass ein Schuss fiel, vor 85 Jahren verübten Deutsche ein Pogrom, mit dem die Vertreibung und Ermordung des jüdischen Volkes begann. Noch nie habe ich mich beiden Ereignissen so nahe gefühlt wie in diesem Jahr, kam mir die Langeweile des gewöhnlichen Kapitalismus in Berlin-Lichterfelde so beruhigend vor – und so trügerisch. Ich habe das Gefühl, die Leute wachrütteln zu müssen, und auch mich selbst, mich an die Lehren des 9. November zu erinnern: Lieber streiten und quatschen als schweigen. Und keine Angst vor der Zukunft haben.

    #histoire #Allemagne #DDR

  • Die DDR-Bürger und der Alkohol : Warum man im Osten den Schnaps so liebte
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/die-ostdeutschen-liebten-den-alkohol-existenzielle-sorglosigkeit-li

    Les visites familiales et chez les amis en RDA comptent parmi mes pires excès. Les visites à Berlin-Est se terminaient sytématiquement dans le bar au coin de #Schiffbaurdamm et #Albrechtstraße à cent cinquante mètres de l’entrée au poste de contrôle « Tränenpalast ». On y transformait les restes du « Zwangsumtausch » en cigarrettes Karo sans filtre et quelques bières pour dessoûler.


    Fasching in der Kneipe, Husemannstraße, Prenzlauer Berg, Berlin, 1987, Harald Hauswald/Ostkreuz

    L’arrivée au dernier bar était une victoire à fêter. On avait réussi l’avant dernier exploit de la journée au royaume du socialisme réel parce que nos aimables hôtes avaient fait tout leur possible pour nous faire boire au moins quatre à cinq verres de Schnaps par heure passée ensemble. Il était toujours possible de ralentir le processus d’énivrement en entrcoupant la routine par une ou deux bières. Pourtant le prochain « Pfeffi » ou « Klarer » approchait inexorablement accompagné d’un chaleureux baiser de la voisine de comptoir solidaire.

    Après le séjour au dernier bar avant la sortie vers l’Ouest il ne restait plus que la traversée de la Spree à réussir. Pour l’identification de la bonne file d’attente devant les guichet de douane on pouvait compter sur les gentils gardiens de frontière trop contents de se débarasser de ces ivrognes puants et désorientés. C’est beau le socialisme à 2,5 grammes d’alcool par litre dans le sang.

    Cet article explique pourquoi le socialisme d’à côté nous a causé autant de maux de tête.

    17.10.2023 vin Chiara Maria Leister - Berliner Luft, Pfeffi, Blauer Würger: DDR-Bürger waren Weltmeister im Schnaps-Trinken. Dem Verbot von Kneipen trotzten sie, ihr Konsum ging weiter. Warum?

    In der DDR hat es an vielem gefehlt, doch eines gab es ganz bestimmt: Alkohol, der keine Mangelware war. Im Gegenteil: Die Schnapsregale im Konsum waren stets gefüllt. Statistisch waren die Ostdeutschen sogar Weltmeister im Konsumieren von Hochprozentigem.

    16,1 Liter – so viel Schnaps trank im Jahr 1988 ein DDR-Bürger im Schnitt und hatte damit einen doppelt so hohen Alkoholkonsum wie die Westdeutschen zu dieser Zeit. Anders ausgedrückt waren es 23 Flaschen Weinbrand, Klarer oder Likör pro Kopf. Damit stellten die Ostdeutschen nicht nur den Durchschnittsverbrauch ihrer sozialistischen Nachbarn in Ungarn und Polen in den Schatten, sondern tranken sich sogar an die Weltspitze.

    Aber warum waren vor allem die hochprozentigen Getränke in der DDR so beliebt? Die Antwort ist simpel: Bei Wein mangelte es an Vielfalt. Wenn, dann hatte man den Rosenthaler Kadarka. Doch der süffige, tiefrote bulgarische Wein mit seinem lieblichen Geschmack war bei weitem nicht so verbreitet wie das Bier, das mit 142 Litern pro Kopf im Jahr 1988 definitiv gängiger war bei den Bürgern der DDR. Doch konnte es dem Kristall Wodka, im Volksmund „Blauer Würger“ genannt, genauso wie dem Nordhäuser Doppelkorn, Goldbrand und dem Longdrink Kirsch Whisky nicht das Wasser reichen.

    So grau die Gebäude der DDR auch waren, so farbig sah es in ihrem Schnapsregal aus. „Kein Warenangebot zeigte sich so bunt, optisch ansprechend und immer verfügbar wie im Schnapsregal“, schreibt auch der Ethnologe und Historiker Thomas Kochan in seiner Studie und Doktorarbeit über Getränke in der DDR. Zudem dienten die Schnapsflaschen als omnipräsente Tauschobjekte oder Geschenkartikel und nicht zuletzt als Luxusgüter, mit denen man sich selbst verwöhnte.

    Der Verbrauch von Schnaps war sogar so hoch, dass die 1948 gegründete VEB Nordbrand Brennerei zum größten Hersteller von Schnaps in Europa wurde. Mit der Anlage konnten pro Jahr 32 Millionen Liter reiner Alkohol und später auch 60 Millionen Liter Branntwein produziert werden. Auch heute noch darf der Nordhäuser Doppelkorn im Osten des Landes bei keiner Feier fehlen.

    Blauer Würger auf der Grünen Wiese

    Mal abgesehen von Schnaps, hat sich auch ein Cocktail unter die Lieblinge der Ostdeutschen gemischt: die „Grüne Wiese“, auch als „Grüne Witwe“, „Grüner Frosch“ oder „Grüner Engel“ bekannt. Auch in Westdeutschland wurde er gern getrunken. Wie der Name schon verrät, handelt es sich um ein grünes Getränk; es besteht aus Sekt – Rotkäppchen, versteht sich –, Organgensaft und Blue Curaçao.

    Anfangs gab es Schwierigkeiten mit dem Likör, da in der DDR grundsätzlich nur giftige Flüssigkeiten mit blauer Farbe gekennzeichnet werden durften. Außerdem wurde er nur in „Gestattungsproduktion“ hergestellt, also als DDR-Produktion von Waren im Auftrag westlicher Unternehmen, sodass er nur im Intershop oder in Delikatläden erhältlich war.

    Grün ging es dann mit dem Pfefferminzlikör weiter. Auch heute noch ist der besonders in den neuen Bundesländern bei den Jugendlichen eine beliebte Spirituose. Geschmacklich könnte man den leuchtend grünen, minzigen Pfeffi mit Berliner Luft verwechseln. Beides tranken die Ostdeutschen gern, immerhin stammen die Marken aus der DDR und beherrschen den Pfefferminzlikör-Markt: Nordbrand aus Thüringen mit dem quietschgrünen Pfeffi, und Schilkin aus Berlin mit der klaren Berliner Luft.

    Die Gründe für die Schnapsliebe der Ostdeutschen

    Für wen der Alkohol aber so gar nichts war, der konnte sich in speziellen Läden der DDR auch alkoholfreie Besonderheiten beschaffen. In den sogenannten Delikatläden konnten Produkte des „gehobenen Bedarfs“, die es im Einzelhandel nicht gab, gekauft werden. Dort gab es beispielsweise Trinkfix, ein Kakaogetränk beziehungsweise Trinkschokolade, die mit etwa acht Mark allerdings ordentlich zu Buche schlug. Doch auch in den normalen Lebensmittelläden konnten die Preise hoch sein. So war Kaffee, etwa Mokka Fix oder Rondo, mit 8,75 Mark für 250 Gramm sehr teuer. Doch zum Kaffeekränzchen durfte das Koffein-Getränk nicht fehlen; es wurde schlichtweg versucht, nur so viel davon zu kochen, wie tatsächlich gebraucht wurde – passgenau eben.

    Nach der Wende übrigens, im Jahr 2002, war der Konsum der Ostdeutschen mit jährlich 5,9 Litern Schnaps pro Kopf deutlich geringer – er hatte sich mehr als halbiert. Warum aber haben die meisten der Ostdeutschen gern und viel Alkohol getrunken? Eine mögliche Antwort: Verzweiflung. Obwohl der Schnaps laut DDR Museum mit Preisen zwischen 15 und 80 Mark nicht gerade günstig war bei einem Durchschnittsmonatsgehalt von 500 Mark, heißt es, dass die Spirituosen als eine Art Fluchtmittel aus dem grauen Alltag der DDR gedient haben. Der Historiker Thomas Kochan jedoch begründet den hohen Alkoholverbrauch anders.


    Spirituosen, Weine und Zigaretten in einem Schaufenster in der Rosenthaler Straße, 1990, Rolf Zöllner/imago

    Laut seiner Studie spielten „die Erfahrung einer konkurrenzarmen Kollektivgesellschaft“‚ „ein wenig gefördertes Leistungsdenken“, „gemeinschaftliche Verantwortungsfreiheit“ und „existenzielle Sorglosigkeit“ größere Rollen. Er schreibt aber auch, dass es sich generell um eine Gesellschaft gehandelt habe, in der es stets einen Anlass zum Trinken gab, ob während der Pause oder im Feierabend. Bei seinen Recherchen entdeckte er sogar eine „Wodka-und-Bockwurst-Diät“. Wie die ausgesehen haben soll? Na, ein kleines Gläschen Wodka zum Frühstück, ein großes mit einer Bockwurst zum Mittagessen und schließlich noch mal ein kleines Glas zum Abendessen.
    Die Folgen des Alkoholkonsums bei den DDR-Bürgern

    Doch so lustig das auch klingen mag, so hatte der Alkoholkonsum in der DDR auch seine Folgen. Im September 1989 erwähnte Politbüro-Mitglied Kurt Hager in einer internen Sitzung die Zahl von 250.000 Alkoholikern in der DDR. Der Alkoholkonsum stellte ein Problem für die DDR-Regierung dar, er passte nicht zum Idealbild eines vernünftigen, sozialistischen, nüchternen Menschen. Deshalb kämpfte SED-Generalsekretär Walter Ulbricht in den Sechzigern gegen die Kneipen an, sodass zahlreiche von ihnen geschlossen werden mussten.

    An ihrer Stelle gründeten sich Milchbars, kulturelle Gaststätten und Weinstuben. Der Konsum von Wein wurde sogar durch Kampagnen mit Slogans wie „Trink nicht wahllos – greif zum Wein!“ beworben. Umgekehrt sollte ein Werbeverbot den Konsum von Schnaps eindämmen. Aber umgestimmt hat das die DDR-Bürger letztlich nicht, dafür liebten sie ihre Spirituosen zu sehr.

    Und wenn man ihre Zahlen mit der heutigen Rate an Alkoholikern vergleicht, waren es doch gar nicht so viele: Laut Bundesgesundheitsministerium haben in Deutschland derzeit etwa neun Millionen der 18- bis 64-Jährigen einen problematischen Alkoholkonsum – das sind aufgerundet 18 Prozent in dieser Altersgruppe. Folgt man den DDR-Zahlen von Hager, waren es 1989 in der DDR nur 1,52 Prozent bei 16,43 Millionen Bürgern.

    #DDR #alcool

  • Friseure in der DDR: Als Fußpilzmittel und Sprühpflaster zum Einsatz kamen
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/friseure-in-der-ddr-als-fusspilzmittel-und-spruehpflaster-zum-einsa

    18.10.2023 von Enno Kramer| - Not macht erfinderisch: Das galt zu DDR-Zeiten für viele Bereiche des alltäglichen Lebens – auch für den Friseurberuf. Ein Blick in die Vergangenheit.
    In Deutschland gibt es immer weniger Friseure. Das geht aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervor. Demnach verzeichnet die Agentur seit 2017 einen Rückgang sozialversicherungspflichtig beschäftigter Friseure von mehr als 16 Prozent. Zwar steigt die Zahl männlicher Friseure kontinuierlich, jedoch ist der Rückgang an Friseurinnen überproportional hoch.

    Das sah zu DDR-Zeiten noch ganz anders aus. Das Geschäft florierte, und viele Kunden ließen sich aufgrund niedriger Preise sogar wöchentlich die Haare schneiden. Auch die Öffnungszeiten wichen stark von den heutigen ab: Viele Friseursalons hatten bis 22 Uhr geöffnet und ließen in einem Zweischichtsystem arbeiten.

    Aufgeteilt waren die Salons in drei verschiedene Preisklassen: Klasse eins war meist ein besonders guter Friseur, Klasse zwei kennzeichnete den Durchschnitt und Klasse drei lockte mit günstigen Frisuren – wurde aber von vielen gemieden. Heute wirken die Preistafeln von damals fast schon wirklichkeitsfremd.

    Bei einem drittklassigen Friseur etwa kostete ein kurzer Herrenhaarschnitt 65 Pfennige, eine Kopfwäsche für Frauen mit Kurzhaarfrisur 80 Pfennige und eine Dauerwelle 7,25 Mark. Am preisintensivsten war eine Kaltwelle, die in der Regel aber auch unter der Zehn-Mark-Grenze blieb. Das sah bei erstklassigen und so manchen zweitklassigen Friseuren der DDR anders aus.


    Kaum vorstellbar: Haarschnitte für weniger als eine Mark

    Haarschnitte waren damals wie heute abhängig vom eigenen Geldbeutel. Nicht jedem war es vergönnt, die Haare von Promi-Friseuren wie Ralf Bohmgarn schneiden zu lassen. „Ich arbeitete in einem gehobenen Salon, wo der Haarschnitt wesentlich teurer war als andernorts – hier ließen sich Kunden wie der Oberst im Ministerium für Staatssicherheit, Alexander Schalck-Golodkowski, die Haare schneiden“, erinnert sich der passionierte Friseur, der nach der Wende seinen eigenen Salon in Prenzlauer Berg eröffnete und diesen bis heute betreibt.

    Begrenzte Zahl an Lehrstellen: Friseure brauchten gute Noten

    Wer in der DDR Friseur werden wollte, musste sich erst einer zweijährigen Ausbildung unterziehen. Aufgrund einer begrenzten Anzahl an Lehrstellen waren hier besonders gute Schulnoten zum Erlernen des Handwerks ausschlaggebend. „Ohne ein ordentliches Zeugnis brauchte man sich gar nicht erst bewerben – keine Frage“, bestätigt Bohmgarn.

    „Angefangen hat die Ausbildung mit einem halben Jahr Herrensalon, worauf die Zeit im Damensalon folgte – erst nach insgesamt zwei Jahren kam dann die Gesellenprüfung. Um im Anschluss den Meisterbrief zu bekommen, musste man noch drei Jahre lang als Geselle arbeiten“, erläutert der 59-jährige Starcoiffeur, der nach der Wende auch für „Wetten, dass ..?“ unter Wolfgang Lippert oder Thomas Gottschalk arbeitete.

    Schon in der DDR hatte Ralf Bohmgarns Alltag nur wenig mit dem eines gewöhnlichen Friseurs gemein. Neben seiner Anstellung im Salon frisierte der gelernte Maskenbildner zur damaligen Zeit bei relevanten Modeschauen oder Fachtagungen. Auch die Ansagerinnen des DDR-Fernsehens mussten erst mal durch seine Maske: „Damals habe ich weit über dem Durchschnitt – und zeitweise mehr als ein Arzt – verdient. Der Friseurberuf allein machte aber nicht reich. Ich kann mir vorstellen, dass man als Friseurin in einer Kleinstadt mit 400 Mark ohne Trinkgeld gut verdient hat, sonderlich viel war das aber nicht.“

    Zusätzlich zum Job duellierte sich der Haarkünstler auch im Preisfrisieren und nahm mit der Nationalmannschaft an überregionalen Wettkämpfen teil. „Damals war das Preisfrisieren ein richtiger Sport. Zur Trainerin der damaligen Nationalmannschaft hatte ich einen guten Draht“, sagt Bohmgarn. Sein Ruf eilte ihm voraus – viele Kundinnen und Kunden hatte er eben dieser Reputation zu verdanken.

    Besonders beliebt unter Bohmgarns Kundinnen seien der asymmetrische Marleen-Schnitt oder der auftoupierte Crazy-Schnitt gewesen. „Auch der bekannte Titus-Schnitt war lange sehr gefragt“, fügt der gebürtige Rostocker hinzu – eine Kurzhaarfrisur, bei der auf der Stirn ein Pony lang gelassen wird und die Haare im Rücken bis zum Nacken gekürzt werden.

    Im Alltag der drittklassigen Friseursalons sah es indes meist völlig anders aus als in solchen, in denen Bohmgarn arbeitete. Nicht allein die Kunden sahen sich hier aufgrund finanzieller Engpässe oft vor Probleme gestellt. Auch die Haarschneider selbst mussten aufgrund der Mangelwirtschaft in der DDR häufig erfinderisch sein und improvisieren – ob beim Werkzeug oder bei anderem Zubehör.

    Schonende Mittel auf Naturbasis gab es nicht, stattdessen wurde mit purer Chemie gearbeitet: Fußpilzmittel aus der Apotheke zum Färben oder flüssiges Sprühpflaster, wenn die Haarpracht mal wieder stehen sollte. In Ost-Berlin schworen manche Kollegen außerdem auf Zuckerwasser anstelle von Haarspray.

    In anderen Friseursalons fehlten passende Strähnchenhauben, sodass man auf Badekappen zurückgreifen musste und mithilfe einer Häkelnadel die einzelnen Strähnen herauszog. Aufgrund der prekären Versorgungslage sahen sich Friseure immer wieder gezwungen, kreativ zu werden. Abgeschnittenes Haar wanderte nach einem Friseurbesuch nicht einfach in den Mülleimer, sondern diente als wertvolles Exportgut.

    Genutzt wurde das Schnitthaar oft zur Herstellung von Dämmmaterial oder von sogenannten Sanssouci-Pantoffeln, die das Parkett des Potsdamer Schlosses schonen sollten – wenn dieser Verwendungszweck sich auch vor einigen Jahren als Irrtum entpuppte: Im Filz hängen gebliebener Sand und Schmutzpartikel sorgten über Jahre hinweg auf dem Parkett des Schlosses für eine schleifpapierähnliche Wirkung.

    #DDR #coiffeurs #travail #socialisme

  • Bruce Springsteen’s Nebraska and Born in the U.S.A. Captured Two Sides of Reagan’s America
    https://jacobin.com/2023/10/bruce-springsteen-nebraska-born-in-the-usa-reagan-america


    Cet article décrit comment la musique de Bruce Springsteen sur son disque Nebraska transmet une vue intérieure de la vie des gens ordinaires, du prolétariat et des assassins par manque de tout. L’auteur dessine le rôle du groupe E Street Band dans la transformation des compositions dans l’hymne rock Born in the U.S.A.. . Pourtant il y manque une pièce au puzzle pour compléter l’inage du musicien le plus états-unien des annés 1980.

    C’est bien lui qui a orchestré la répétition générale pour la prise du mur de Berlin par le peuple en 1989. Ronald Reagan n’a fait qu’itérer le geste berlinois obligatoire de chaque président US depuis Kennedy. Le vieil homme n’attirait plus les foules comme son légendaire prédecesseur. C’est Bruce Springsteen qui a injecté le venim de la liberté type USA dans les coeurs lors de son concert à Berlin-Est.

    https://www.youtube.com/watch?v=PXsQS2HbD2c

    10.10.2023 by William Harris - Back in the old smug, condescending days, when boyish, prep school–faced conservative intellectuals wore bow ties and peered from lordly heights at pop culture, Washington Post columnist George Will stuffed wads of cotton in his ears and stood through the whole four-hour duration of a Bruce Springsteen concert. He arrived at a stadium in the suburbs of Washington, DC, without knowing how marijuana smelled or what Springsteen’s music sounded like, and emerged, still a bit puzzled about whether he’d been in the company of stoners, feeling as if he had the wind at his back. Here, at last, was a “wholesome cultural portent.” A star without even “a smidgen of androgyny.” An image of an ideal, made-for-Reagan working class. “Rock for the United Steelworkers” that didn’t languish in shuttered-factory blues, or export blame onto the rich, or “whine” and curl into helplessness. Springsteen was a greasy-denim, bandana-sporting dynamo — abruptly muscle-ripped, after a waifish early career — whose power cords and corn-fed “homilies” instructed fans to “‘downsize’ their expectations,” to buckle in for a lifetime of hard work, to embrace “family and traditional values,” and to well up with passion when they saw the stars and stripes.

    https://www.youtube.com/playlist?list=PLiN-7mukU_REYdA_UUaejpJvf5nitRok9

    “If all Americans — in labor or management, who make steel or shoes or cars or textiles,” Will wrote in his next column, “made their products with as much energy and confidence as Springsteen and his merry band make music, there would be no need for Congress to be thinking about protectionism.” We lived in lazy, profligate times, fearful of the rest of the world’s productive capacity, but Springsteen — the “hardest working white man in show business,” one critic quipped — made music infused with the great American work ethic. It was the summer of 1984, and Springsteen wasn’t the only act on tour: Ronald Reagan, too, was out cruising the country, parading down the campaign trail. Will whispered his way into the president’s ear: it was time for the Republican Party to nourish itself on the hearty blue-collar patriotism of Born in the U.S.A.

    Five days after Will’s column came out, the America Prouder, Stronger, Better tour, the follow-up to 1980’s Let’s Make America Great Again campaign, pulled its plush, dollar-soaked bandwagon into the slipshod center of New Jersey. Out came Reagan, striding into the gushy set of a Robert Altman movie. “America’s future rests in a thousand dreams inside your hearts,” he told the crowd. “It rests in the message of hope in songs of a man so many young Americans admire — New Jersey’s own, Bruce Springsteen. And helping you make those dreams come true is what this job of mine is all about.” Seven records in, Springsteen had just released his first truly superstar-level pop album; now he found himself sent off to fight in the culture wars.
    Nebraska Death Trip

    Young Springsteen wasn’t much for political statements. His first, nervous public pronouncement occurred on stage in 1980, the night after Reagan ascended to the White House. “I don’t know what you thought about what happened last night,” he told the student body at Arizona State University. “But I thought it was pretty frightening.”

    Four years later, he hissed out another. After the DC show, the Born in the U.S.A. tour swung through the Rust Belt, stopping in Pittsburgh the night after Reagan’s New Jersey speech. Five songs in, Springsteen paused to let everyone know he’d heard the president’s words. “I kind of got to wondering what his favorite album of mine must’ve been, you know. I don’t think it was the Nebraska album. I don’t think he was listening to this one.” Then he launched into the spare, spectral, quickstep acoustic haze of “Johnny 99.”

    “Johnny 99” is both classic Springsteen and Bruce way out on the margins: it opens with an auto plant closing and ends with a convict pleading for a judge to exchange his ninety-nine-year sentence for the death penalty. The man’s job left; the bank kept hounding him about his mortgage; things kept boiling, until one night he mixed wine and gin and killed a stranger. All the rusty, nine-to-five New Jersey imagery, familiar from Springsteen’s early albums, returns here, but the old twilight avenues of hope and escape have shut down. No more Chuck Berry, no more open roads, no more hand-me-down vistas of rock ’n’ roll freedom. Just execution lines, judges, cops, cracked dreams, and lowercase bosses.

    Gone, too, are the candied sax solos, the glistering piano, the alert straight-time drums, the revving electric melodies of Springsteen’s E Street Band — all subbed out for solo Springsteen, alone and acoustic and austere. And not really even Springsteen — he hides himself beneath a series of character masks, pared down to near invisibility, another nobody on an album filled with rootless, cruel, pummeled lives. Calm, confused murderers, singing from the electric chair; families fraying amid foreign wars and Midwest farm disasters; sad, wonder-filled children, crouching in corn fields below steel-gated, light-spangled mansions. This is the world of Nebraska, Springsteen’s seventh album, released in 1982 at the nadir of a recession let loose by Reagan’s crushing of the labor movement and Federal Reserve chair Paul Volcker’s yanking up of the interest rate. An album right on time and out of it, stalking a ghost-thick past.

    As Warren Zanes argues in his new book, Deliver Me From Nowhere: The Making of Bruce Springsteen’s Nebraska, the record stands as the essential hinge point in Springsteen’s career, uprooting the far left post of what a Springsteen album might sound like and planting it way out in the hinterland. Nebraska limned one hushed, saturnine, cult-worshipped half of where Springsteen’s music might go. The other half, represented by the huge pop splash of 1984’s Born in the U.S.A., couldn’t have been more different. It traded out noirish black and white for full-on florescent color, ghostly quiet for up-to-date synth and continent-sized snares, authorial vacancy for all Bruce, all the time.

    Yet bafflingly, alluringly, these two twinned, polarized albums were cooked up in the same notebooks and studio sessions and even briefly planned together as a double album. The whole of Springsteen, stirring inside one record sleeve. And not just Springsteen: part of the retrospective magnetism of that legendary 1982–84 run is how much of our own time-trapped, culture war–haunted world of feeling still seems to live here, pinched within these wide, confining boundaries. Nebraska and Born in the U.S.A.: two records that caught a view of the future in the rearview.
    The ’50s in the ’80s, the ’80s in the ’50s

    After The River (1980), the suits at Columbia Records expected Springsteen’s star to keep rising. In the same market-saturating week, he’d already appeared on the cover of Time and Newsweek, and he was coming off his first number-one album and first top-ten single, “Hungry Heart.” His writing had grown starker, more grounded and realist, deepening his music’s air of working-class authenticity without letting go of youth and romanticism — even tacking, at times, toward new frontiers of melody and pop-friendliness. Radio loved him; the live shows rocked all night. Critics poured in prophecies and execs laid down plans. He was half Dylan, half Elvis, born under a blistering James Brown sun — proof that rock ’n’ roll could keep its mainstream middle lane open, post-disco and post-punk.

    Back in New Jersey, however, Bruce was planless. A bit mapless, too: few people, bandmates included, really knew where he lived. He’d rented a modest ranch house in Colts Neck, ill-furnished and thick with orange shag carpeting, and fell into a meditative sort of depression. He’d lost touch. His family had long ago packed up for California. He was single. His only friends were his employees. A radio DJ asked him whether he had a life outside of music, and he confessed that he didn’t, really, that he only had one non-biz friend, a guy named Matty who “owns a motorcycle shop.” He sat in the dark at night and watched whichever movies flashed onto his TV, falling into a trance over Terrence Malick’s Badlands (1973), a fictionalization of the Charles Starkweather murder spree in 1950s Nebraska. He pored over the gothic enigmas of Flannery O’Connor. He paged through WPA-era songbooks of old folk tunes and felt his mood mirrored in the desolate rural world of country and blues. Driving at night through Freehold, the dead-end town where he grew up, he’d stop his car in front of his grandparents’ old ramshackle house — the house he lived in, more or less without parental supervision, suffering and exploiting a kind of terrible freedom, until he was six. In a zig-zag, groping-in-the-dark way, he was working.

    Back at home he would sit with his guitar at the edge of his bed and his feet on the orange shag carpet and sing. His roadie, Mike Batlan, had bought him a TEAC 144, a relatively cheap, newish piece of technology that captured multitrack recording on a simple cassette tape. It gave off only a lo-fi sound, but it suited Springsteen’s needs perfectly: he was just sketching, recording drafts that he planned to polish up in a sleek Manhattan studio with the E Street Band. With Batlan as a silent background presence, Springsteen entered a bedroom world of his own, singing rough songs into a cassette. He had no idea that he was recording Nebraska.

    The songs came out as confessions, or testimonies, often sung from the perspective of first-person characters and addressed to some unreachable Kafkaesque authority, mixing intimacy and distance. They told stories of loneliness, of people whose communities collapse and whose moral compasses spin out of control: narrators who kill people without much immediate reason, or spend their days haunted by a bittersweet past.

    Springsteen approached these characters with a sort of still, low-toned empathy: he presented their lives plainly, without judgment, framed by spare landscapes of context. He could do this because he felt they were a part of him. He, too, lived in a community-less vacuum. He, too, felt called back to a mysterious, melancholic childhood, where the air in his grandparents’ house hung stale with the never-finished grieving of a long-dead daughter, and where the lights in his father’s house were always shut off, obscuring a figure alone in the kitchen, drinking silently each night after long days at the factory.

    Springsteen’s childhood memories brought him back to the 1950s, as did much of Nebraska’s source material: the Nebraskan serial killer Charles Starkweather, for instance, who murdered eleven people in the Great Plains between 1957 and ’58, inspired the album’s title and its opening song. These sources conjured up a menacing, alienated, depraved 1950s, a world of seething undercurrents and nighttime despondence far removed from the fizzy fountain drink, drive-in milkshake, jukebox imagery of old-time rock ’n’ roll lore.

    This was a 1950s activated by the brash class war of Reagan’s 1980s: farmers in debt, workers fired, communities falling apart. The cusp of a new world. Leftist critics often knock Springsteen for being an unreconstructed New Deal liberal, nostalgic for an idealized set of historical images — proud male breadwinners, cozy class compromise, national glory days — that never really existed. But Nebraska strips the shine off this postwar myth. Spend time with this record, and you start to see the seeds of the neoliberal 1980s scattered all over the disquieting fields of the 1950s.
    Bedroom Versus Studio

    Really for the first time across the full stretch of an album, Nebraska brought Springsteen’s great mature theme into view: the confusion of public and private, the way the wider social world seeps into our personal lives. Never before had he turned out a suite of songs so thematically unified. Singing on the edge of his bed, Springsteen knew he had something good. But he also knew he had something different — too angular for Columbia Records, too quiet and darkly vulnerable for the E Street Band. And, anyway, he had a range of material, a promising but shaggy draft, much of it sitting oddly against the low-frequency landscape of barren heartland violence. He scribbled a light note, confident and uncertain and jokey, and sent the tape off to his manager, Jon Landau. Landau listened and felt concerned for Springsteen’s mental health — all this strange, bleak, unexpected material. Then he sent the lone copy of the tape back, rallied the band, and booked a studio at the Power Plant in Manhattan.

    The sessions sailed. After three weeks they pretty much had an album recorded — the only catch being that the album wasn’t Nebraska. A handful of songs off that cheap, lint-covered cassette had pulled away under the band’s influence, shown the ability to nestle inside the synth-y smash of a snare or a cinematic orchestral swell and transform into something new. Those storm-dark Nebraska clouds parted, and things felt lighter, more electric and anthemic. On the demo tape, “Born in the U.S.A.” came across muted and depressed, a bitter song about a beat-down, jobless Vietnam vet born in a land of broken promises. Once E Street drummer Max Weinberg’s drum-machine-inspired snare crashed its way in, however, the track hit liftoff. It took on color and surge and pop-chart reverb and grew vexing, its music and lyrics waging a bewitching war.

    New possibilities opened up, worlds away from anything the rural, recession-haunted demo conjured. Football stadium shows, car commercials, Prince- and Madonna-level fame, a biting lefty protest anthem that George Will, too, might play on repeat. Something everyone might love or resent without anyone, Bruce included, really understanding.

    The studio filled up with pop dreams, and Springsteen only felt more confused. The band had worked its magic on a good portion of the cassette, but the majority of its songs stayed reticent. The cleaner, bigger, and more baroque these songs sounded, the more they lost their character. And their characters. As Springsteen says: “Every step I took in trying to make [the songs] better, I lost my people.” The songs and the people they portray only lived if they were given space, left a bit askew — no synth, no polish, just dusty harmonica, dark-fabled glockenspiel, and lonesome lo-fi distance.

    In 1982, these jagged songs had Springsteen’s heart. At first, he thought he’d turn out a double album, presenting two radically distinct sides of the same artist: bright, polished rock scored by the E Street Band up against faintly lit solo folk-country. But in the end, he decided to halt the mixing process on the glamorous album that was shaping up to be Born in the U.S.A., and to go somewhere more lonely and baleful: the next Springsteen album was already here, in his pocket, on the cassette tape that he’d mixed with an old waterlogged boom box he’d left sitting on his couch in Colts Neck, half dead after a canoe trip. It would take months to master, proving all but impossible to translate this drugstore-shelf tape to studio-level technology so it could be pressed to vinyl, and impossible, too, to enhance the tape’s sound quality really at all — much more than Springsteen anticipated, the record had to remain quiet and echoey, poor and pebbled and gaunt. But for Nebraska’s fans, many of whom — Bruce included, Zanes reveals — view the album as Springsteen’s best work, contingency and imperfection made the record. The sad hiss of the bedroom trumped the studio’s clean automated perfection.

    In a postmodern twist, the sonic texture of this ’50s-haunted, black-and-white-cover rural album offered a view of the future — musically, technologically, socially. Critics trace the origin of lo-fi music back to many possible sources — the Beach Boys’ Smiley Smile, Bob Dylan’s Basement Tapes, Paul McCartney’s McCartney — but Nebraska remains a perennial contender. A whole grainy, out-of-joint, DIY sound tumbled out of this record — the lean, half-haunted, zombied-out stuff of twenty-first-century nostalgia. A sound that doubled as a new at-home tech, bowling-alone way of life. Back in his bedroom, Springsteen presaged the solitary figure of the DJ, the end of the band, the rusted digital world. Bedroom beats and bedroom depression, thin and tinny and plugged in.
    Postmodern Futures

    This was the future Springsteen let us glimpse in ’82: communities vacuumed up, the working class in splinters. He returned in 1984 with a new picture. In between he’d suffered a breakdown, drove across the country with his one friend Matty looking for romantic salvation in the quaint communities his music idealized, and finally wound up in Los Angeles. He hid in the city’s anonymity and took on its routines. Therapy. Weight lifting. “I was a big fan of meaningless, repetitive behavior,” he told one biographer.

    If Nebraska seemed like an odd-fitting anachronism that surreptitiously captured its era, Born in the U.S.A. was its through-the-looking-glass opposite: a plainly right-on-time album that nevertheless felt retrograde. On its cover, famously, were Springsteen’s Levi-clad ass cheeks, red bandanna hanging from a pocket and the American flag striped in the background. The music videos had him greased up underneath cars, driving into work at oil refineries, and operating huge drills at construction sites. Springsteen picked up Reagan-era imagery, populist and all-American and nostalgia-soaked, and played with it, catching himself in a tangle of ironies along the way: a crystallized, made-for-MTV portrait of the working class styled just as the late-century proletariat frayed into pictureless disorganization.

    At best, Bruce in the hard hat offered a partial view of late-century workers; at worst, Born in the U.S.A.’s imagery played right into the Right’s post-’60s culture-war script, pitting flag-draped construction workers against stoned student-radical brats, macho jingoists and ordinary Real Men against down-with-the-patriarchy hysterics. Part of these images’ value lay in their playful showmanship, their wink and feint. But part of their power, too, rested in how they traded on authenticity, leaving the world stranded in a no-man’s-land between scare quotes and grounded belief.

    Suspicious critics saw the record as Springsteen’s cynical attempt to cash in on the Reaganite moment. Springsteen countered, in frustration, that he’d been misunderstood, and that hucksters like Reagan and Will had exploited his art. As anyone who listens to the lyrics knows, “Born in the U.S.A.” indicts the US empire in a way few products of American pop culture ever have. The song is “not ambiguous,” Springsteen once said. But meanwhile, as anyone who hears the music and the way Springsteen sings the hook knows, the song traffics also in very different feelings: an unresolved alchemy where invective turns into pride, pride into spent bitterness, all swirled up in a confused, downtrodden euphoria. Contra Springsteen and Will, it’s hard to imagine a more ambiguous song. This is what gives it its power, its troubled cultural endurance.

    As an album, Born in the U.S.A. is fun and uneven, a ridiculous stretch of hit after hit that plays well on a road trip but never reaches sustained depth or unity. As a leadoff song, however, festooned with the album’s lightning-rod imagery, “Born in the U.S.A.” haunts more than anything Springsteen’s ever done — in no small part because of the way it bears the mark of the Nebraska demo. You can still hear those ghosts smothered under its snares.

    A whiff of ironic prophecy hangs about Nebraska and Born in the U.S.A. Between them, these two albums’ joined-at-the-hip contrariness traced the outlines of our postindustrial, “new economy” cultural condition just as it was coming into formation. Somewhere drifting between their opposed sounds stalls a world lonely and backward-looking, image-obsessed and distrustful of images, disarrayed and yet held together by clapped-out archetypes that won’t leave us alone, pinballing around in our culture-war fever dreams. The self-divided compact of “Born in the U.S.A.,” the limit-case extremism of Nebraska: they leave us with the rug-pulling sense that we still don’t understand as much as we think we do, that we live in a cracked world in which identity can be pieced together through anything, shame and neglect mixing with pride.

    In the late ’70s and early ’80s, the future seemed to be stirring in a thousand obvious subterranean musical worlds: the nighttime eeriness of David Bowie and Iggy Pop’s Berlin, the plastic mechanical mayhem of Devo’s gray, deindustrial Akron, the cold techno coming out of Detroit, or the gender- and race- synthesizing fun house of Prince’s freaky Paisley Park cyborg pop. And yet some sad, essential part of our time has been better captured by a body of music shorn of any futuristic trace: the neo-trad, contradiction-dense heartland rock of Bruce Springsteen.

    #Berlin #DDR #USA #Reagan #néolibéralisme #musique

  • Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung - Stadt Raum Geschichte
    https://stadt-raum-geschichte.de

    Das Portal Stadt - Raum - Geschichte des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialgeschichte (IRS) in Erkner bei Berlin bietet den Zugriff auf das digitale Archiv der Wissenschaftlichen Sammlungen und ist zugleich ein Fachportal des Forschungsschwerpunkts Zeitgeschichte und Archiv des IRS.

    Der Forschungsschwerpunkt „Zeitgeschichte und Archiv“ des IRS untersucht Themen der Stadt- und Urbanisierungsgeschichte, der transnationale Planungsgeschichte, der DDR-Planungs- und Architekturgeschichte sowie der Transformationsgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Forschungsansätze sind durch eine interdisziplinäre Vielfalt gekennzeichnet und reichen von der sozial- und politikgeschichtlichen Zeitgeschichte über die Architektur- und Kunstgeschichte bis hin zur Digital History.
    Zum Forschungsschwerpunkt gehört mit den „Wissenschaftlichen Sammlungen zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR“ das wichtigste Spezialarchiv zu diesem Thema. Dieses Portal integriert die Findhilfsmittel und digitalisierten Bestände des Archivs mit den Ansätzen, Ergebnissen und Projekten der Forschung im Schwerpunkt.

    Forschungsschwerpunkt ’Zeitgeschichte und Archiv’

    Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) e.V.

    Flakenstraße 29-31
    15537 Erkner

    Tel: +49 3362 793 0
    Fax: +49 3362 793 111

    E-Mail (allgemein): kontakt(at)leibniz-irs.de
    E-Mail (Wissenschaftliche Sammlungen): archiv(at)leibniz-irs.de

    #DDR #histoire #urbanisme #architecture #archive #photographie

  • Jüdisches Berlin : Auf der Spur der Gemeinde Adass Jisroel
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176672.religion-juedisches-berlin-auf-der-spur-der-gemeinde-adass-jisroe

    C’est une histoire pour rechauffer le coeur des antisemites. Le dernier ex-membre d’une communauté juive traditionnelle éradiquée par les nazis s’empare du patrimoine immobilier de la communauté disparue - dont le cimetière. La ville de Berlin lui file des millions pour rénover les lieux de culte où il n’y a plus de cérémonies depuis longtemps. Enfin son fils vend une partie du cimetière de la communauté à un promoteur qui y fait construire des appartements. Personne n’a jamais pu vérifier où les membres de la famille ont placé les millions qu’ils ont empoché. Fin de l’histoire.

    Moi non plus je ne vais pas perdre mon temps avec une enquête sur la véracité des accusations. Des gens mieux placés que moi ont déjà échoué avec ce projet. Je constate qu’apparamment le philosemitisme inévitable en Allemagne invite les petits et grands malins à monter des combines pour se remplir les poches. Je n’y vois rien de particulièrement juif. C’est mauvais pour la réputation des juifs quand même. #wtf

    https://www.nd-aktuell.de/img/490/270157
    In der Adass-Jisroel-Synagoge (hier 1988) in der Tucholskystraße 40 finden schon seit Jahren keine Gottesdienste mehr statt. Foto: imago/Rolf Zöllner

    29.9.2023 von Karsten Krampitz - Religiöses Leben war im Gesellschaftskonzept der SED eigentlich nicht vorgesehen. Die Kirchen galten als Überbleibsel der alten kapitalistischen Ordnung und sollten früher oder später absterben. Aber was war mit dem Judentum in der DDR? In den 80er Jahren zählten die völlig überalterten Gemeinden noch knapp 400 Mitglieder, davon 200 in Ostberlin. Seit 1965 hatten sie keinen eigenen Rabbiner mehr. Im dritten Band der Kulturgeschichte der DDR von Gerd Dietrich ist nachzulesen, wie Klaus Gysi, jüdischstämmiger Kommunist und Vater des Linke-Politikers Gregor Gysi, sich nach der Wende erinnerte: Die DDR sei Gefahr gelaufen, »früher ›judenfrei‹ zu werden als die Bundesrepublik«.

    »Dies musste unbedingt verhindert werden«, so der frühere Staatssekretär für Kirchenfragen in einem Anflug von Sarkasmus. Dem antifaschistischen Renommee der Deutschen Demokratischen Republik und damit auch ihrer Reputation im Ausland wäre ein irreparabler Schaden entstanden. Und so scheute die DDR keine Kosten, das letzte bisschen jüdisches Leben am Leben zu halten. Aus Staatsmitteln wurden die Mitarbeiter und Funktionäre der Jüdischen Gemeinde entlohnt, ein jüdisches Altersheim betrieben, ebenso eine koschere Fleischerei und eine jüdische Bibliothek in Ostberlin. Darüber hinaus finanzierte der Staat den Wiederaufbau und die Instandhaltung der Synagogen und Gebetsräume in Ostberlin, Dresden, Leipzig, Erfurt, Karl-Marx-Stadt, Halle, Magdeburg und Schwerin.

    Davon, dass sich die Anstrengungen der SED, einschließlich Symbolpolitik und politischer Inszenierungen, reziprok zur Mitgliederentwicklung der Jüdischen Gemeinden verhielten, erzählt »Jüdisch in der DDR«, die neue Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Berichtet wird aber auch vom Gefühl des Fremdseins in der postnazistischen Gesellschaft, vom Exodus so vieler Jüdinnen und Juden in den ersten Jahren nach der Staatsgründung als Reaktion auf den stalinistischen Antisemitismus.

    Indem die Kuratoren den Blickwinkel von den jüdischen Gemeinden erweitern auf die Familien all jener DDR-Bürger, die ihrer jüdischen Herkunft wegen als »Opfer des Faschismus« anerkannt waren, gelingt ihnen eine Perspektive auf die DDR, für die in den Erinnerungsdiskursen bislang kaum Platz war. Unfreiheit und Repression werden nicht geleugnet, und dennoch war dieser Staat, der vorgab, auf seinem Territorium jeden Rassismus und Antisemitismus »ausgerottet« zu haben, für viele Juden eine Hoffnung.

    Vergessene Glaubensgemeinschaft

    Ein Kapitel aber fehlt in der Ausstellung – die Geschichte um die Israelitische Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel; eine orthodoxe Gemeinde, die im SED-Staat formal-juristisch nicht existierte, aber dennoch SED und MfS arg zu beschäftigen wusste. In der Hauptstadt der DDR hatten die Adassianer Ende 1986 sogar eine eigene Ausstellung: »Vernichtet und Vergessen. Adass Jisrael: Die jüdische Gemeinde in Berlin, 1869 bis 1942«, organisiert in den Räumen der Humboldt-Universität.

    Der Jüdischen Gemeinde zu Berlin rechtlich gleichgestellt, erreichte Adass Jisroel in den Jahren der Weimarer Demokratie bis zu 30 000 Gläubige, die vom Krankenhaus, den Schulen und den drei Synagogen Gebrauch machten. Was sich heute jeder Vorstellung entzieht: In den 1920er Jahren war Berlin das Zentrum jüdischen Lebens, jüdischer Kultur. Die zahlreichen osteuropäisch-jüdischen Migranten hatten das Scheunenviertel nahe der Artilleriestraße, heute Tucholskystraße, wo sich eine der Synagogen von Adass Jisroel befand, in einen jiddischen Mikrokosmos verwandelt – mit koscheren Bäckereien, Restaurants und Metzgereien. In dieser Gegend gab es jüdische Buchläden, ein jüdisches Volkshaus, jüdische Kinderheime und vieles mehr. An dieser Blüte jüdischen Lebens wird die Gemeinde Adass Jisroel ihren Anteil gehabt haben.

    Mit Hitlers Machtantritt 1933, der beginnenden Entrechtung und Verfolgung jüdischer Menschen in Deutschland setzte auch der Niedergang von Adass Jisroel ein. Gegen die von den Nazis geforderte Selbstauflösung wehrte man sich lange. Man wolle lieber in Schönheit sterben, hieß es. Im Jahr 1939 wurde Adass Jisroel verboten und in die sogenannte Einheitsgemeinde zwangseingegliedert. Bald schon war es nicht mehr möglich, das Deutsche Reich zu verlassen, das eigene Leben zu retten. Von den Berliner Juden, einschließlich derer, die von den Nazis dazu erklärt worden waren, wurden in der Shoa 55 696 Frauen, Männer und Kinder ermordet, unter ihnen auch viele, die der Israelitischen Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel angehörten.

    Für die historische Rückschau 1986 an der HU, konkret in der »Kommode« am August-Bebel-Platz, zeichnete Mario Offenberg verantwortlich, Sozialwissenschaftler und Publizist aus Westberlin, dessen Familie elf Angehörige im Holocaust verloren hat. Sein Urgroßvater war Mitbegründer von Adass Jisroel. Von der Ausstellung berichtete »nd« damals unter der Überschrift »Schwur der Antifaschisten in der DDR verwirklicht«. Überhaupt finden sich im Archiv bis 1990 etliche Berichte zu Adass Jisroel, wie auch zu Mario Offenberg, der sich heute Moshe nennt und 1977 auf der Leipziger Dokfilmwoche mit dem Preis der Palästinensischen Befreiungsorganisation ausgezeichnet wurde.

    Die Geschichte von Adass Jisroel zeigt auch, wie das Politbüro aus jüdischer Geschichte außenpolitisches Kapital zu schlagen versuchte. Dem Gremium und eigentlichen Machtzentrum im Staat gehörten immerhin der Rabbinersohn Albert Norden und der Auschwitz-Überlebende Hermann Axen an. Über die Bedeutung von Adass Jisroel schwärmte Klaus Gysi am 15. Januar 1988 in einem Brief an Honecker: »Trotz ihrer kleinen Mitgliederzahl hat sie ziemlichen Einfluss bei den Juden in den USA, ebenso in anderen Ländern und in Israel.«

    Friedhöfe oder Bauland

    Historiker und Historikerinnen, die sich mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ostberlin beschäftigen, wissen von dem Konflikt um den Friedhof der Jüdischen Gemeinde in Weißensee, der mit über 115 000 jüdischen Grabstätten zu den größten seiner Art in Europa zählt. In den 80er Jahren war der Magistrat bemüht, hier eine Durchfahrtsstraße zu bauen. Die Pläne dazu stammten noch aus der Kaiserzeit; daher durchzog den Friedhof auch immer ein breiter, frei gehaltener Streifen. Dennoch löste das Vorhaben in der DDR wie auch international große Empörung aus. In der jüdischen Religion sind Friedhöfe heilige Orte, vielleicht sogar wichtiger als Synagogen. Auch nach 1000 Jahren dürfen Gräber nicht »aufgelöst« werden. Zum Beten können sich Gläubige auch in Privatwohnungen treffen; die Toten aber brauchen einen festen Ort, der in Hoffnung auf die Auferstehung auch Beit HaChayim genannt wird, »Haus des Lebens«.

    Vom damaligen Protest gegen den Straßenbau über den Jüdischen Friedhof berichten jetzt auch die Ausstellungsmacher im Jüdischen Museum. Im Oktober 1986 ordnete Honecker die Einstellung der Baumaßnahmen an – ein erster Erfolg der in der DDR sich langsam formierenden Zivilgesellschaft. Bekanntermaßen aber gibt es in Weißensee noch einen zweiten jüdischen Friedhof, zwei Kilometer nördlich an der Wittlicher Straße gelegen, mit circa 3000 Grabstätten, der zu Adass Jisroel gehört. Und auch um diesem jüdischen Friedhof tobte ein schwerer Konflikt mit dem SED-Staat.

    Genau genommen handelte es sich um das Gelände neben dem Friedhof, auf dem das MfS ein Gebäude für die Kreisdienststellen Weißensee und Hohenschönhausen bauen wollte und noch dazu Wohnblocks für die Mitarbeiter – als sich im Oktober 1986 lautstarker Protest meldete. Eine Gruppe orthodoxer Juden aus Westberlin und dem westlichen Ausland, allen voran der oben erwähnte Mario Offenberg, bot der Staatssicherheit die Stirn: Das Grundstück gehöre noch zum Friedhof Adass Jisroel, der gerade erst mit staatlicher Hilfe aufwendig saniert worden war – angeblich aber nicht alle Gräber. Heiliger Boden sei das. Auf dem »Haus des Lebens« dürften keine anderen Häuser und schon gar keine Dienststellen, von wem auch immer, errichtet werden. Die Empörung der orthodoxen Juden ist im Rahmen einer größeren Dokumentation auf den Internetseiten des Stasi-Unterlagen-Archivs, das nunmehr zum Bundesarchiv gehört, gut dokumentiert.

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    Wie das Nachbargrundstück des Adass-Jisroel-Friedhofs in Berlin-Weißensee zu nutzen sei, war zu DDR-Zeiten umstritten. Foto: Sebastian Wallroth/CC-BY-3.0

    Konkret handelte es sich um 9000 Quadratmeter Ödland, das ursprünglich für eine mögliche Erweiterung des Friedhofes vorgesehen war. In den 50er Jahren war das »Vorratsland« an eine Gärtnerei verpachtet und schließlich im Jahr 1982 von der Jüdischen Gemeinde Berlin, damals Rechtsnachfolgerin von Adass Jisroel, für 28 456 DDR-Mark erworben worden.
    Internationale Abhängigkeiten

    Wie aus einer MfS-Information vom 1. Oktober 1986 hervorgeht, hatte das Bauprojekt bereits begonnen: »Die Wohnungen sollen Anfang 1988 bezogen und das Dienstgebäude der Kreisdienststellen ab Mitte 1988 genutzt werden.« Weiter heißt es in dem Papier, dass ein Bürger Westberlins, namentlich Mario Offenberg, die Bauarbeiter behelligt und sie immer wieder angesprochen habe, dass an diesem Ort jüdische Begräbnisse stattgefunden hätten, es sich demzufolge um heiligen Boden handele. Hinzu kamen Briefe an den Staatssekretär für Kirchenfragen, den Oberbürgermeister sowie den Bezirksbürgermeister von Weißensee, denen notariell beglaubigte Aussagen beigefügt waren. Ein Oberst Studt, bei den Rückwärtigen Diensten des MfS verantwortlicher Leiter im Bereich Bauwesen, beteuerte nach wiederholter Überprüfung: »Es gibt keinerlei Fakten, die vermuten lassen, dass auf dem Baugelände Bestattungen stattgefunden haben.«

    Zur gleichen Zeit sah sich aber der Staatsrat mit Eingaben konfrontiert aus den USA, Großbritannien und Israel. In den Büros des Staatssekretariats für Kirchenfragen werden sämtliche Alarmglocken geläutet haben. Die Volkswirtschaft des kleinen Landes war mehr denn je von westlichen Krediten abhängig, also auch vom Ansehen der DDR im Ausland. Für ein paar neue Stasi-Büros drohte das antifaschistische Image der Republik schweren Schaden zu nehmen. Honecker tat also gut daran, den Konflikt beizulegen. Auf seine Weisung hin wurden die Baugruben wieder zugeschüttet, sodass buchstäblich Gras drüber wachsen sollte. Immerhin: Eine kleine Gruppe jüdischer Menschen hatte verhindert, dass die Stasi vor Ort eine Dienststelle errichtet. Alle Achtung!

    Wie der 2006 verstorbene Historiker Lothar Mertens in seiner Habilitationsschrift über die Jüdischen Gemeinden in der Sowjetischen Besatzungszone/DDR aufzeigt, wurde Mario Offenberg in der Folgezeit nicht müde, in Briefen an das Staatssekretariat für Kirchenfragen und an Honecker persönlich, die Wiedereinsetzung von Adass Jisroel in die alten Rechte zu verlangen. Durfte es doch nicht sein, dass eine Gestapo-Verfügung aus dem Jahr 1939 immer noch Gültigkeit besaß. Als Offenbergs Rechtsvertreter fungierte in jener Zeit der Ostberliner Anwalt und spätere DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière. Und obwohl sich die Jüdische Gemeinde in Ostberlin mit schweren Bedenken trug, zeigte sich die SED-Führung tatsächlich zur Wiederherstellung des alten rechtlichen Zustandes bereit, einschließlich Rückübertragung der früheren Immobilen.

    Schon bald aber führten der energische Einspruch der Westberliner Jüdischen Gemeinde unter Heinz Galinski wie auch der dubiose juristische Status der Offenberg-Gruppe dazu, dass Honecker die Zugeständnisse zurücknehmen ließ. Wie Lothar Mertens schreibt, waren weder die »Israelitische Synagogen-Gemeinde, Adass Jisroel, Berlin« noch die »Gesellschaft zur Förderung von Adass Jisroel Berlin e. V.« im Westberliner Vereinsregister beim Amtsgericht Charlottenburg eingetragen. Der gesamte Briefverkehr war über ein Postfach abgewickelt worden, und auch im Westberliner Telefonbuch kam Adass Jisroel nicht vor.

    Anerkennung und Wohlstand

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    Geschäftsführer der Gemeinde: Mario Offenberg Foto: KdoTA/Akbar

    Mit dem Mauerfall aber wurden die Karten neu gemischt. Am 18. Dezember 1989, auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Verbot durch die Nazis, überreichte der neue stellvertretende Ministerpräsident der DDR Lothar de Maizière dem Gemeindevorsitzenden von Adass Jisroel, Ari Offenberg, dem Vater von Mario Offenberg, feierlich die Regierungserklärung, die eine Rückgabe aller früheren Gemeindestätten in Ostberlin ausdrücklich einschloss (Synagoge, Gemeindezentrum, Krankenhaus und Friedhof). Wie der Journalist Hendryk M. Broder später in einem Artikel für »Die Zeit« feststellte, war diese Regierungserklärung nahezu identisch mit dem Forderungskatalog, den der Offenberg-Anwalt de Maizière im Jahr zuvor dem Staatssekretariat für Kirchenfragen vorgelegt hatte.

    Adass Jisroel erhielt von der DDR-Regierung Immobilien im Millionenwert, einschließlich eines ehemaligen SED-»Ferienobjekts« am brandenburgischen Mellensee. Darüber hinaus wurde ihr der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt und eine nicht unbeträchtliche Anschubfinanzierung, über deren Verwendung nie Rechenschaft abgelegt wurde, so Broder. Adass Jisroel habe von der Regierung der DDR 1990 3 Millionen Mark und 42 000 Dollar bekommen. Broder schrieb von einer »Phantomgemeinde«, einem »Familienunternehmen« der Offenbergs. Auf den Namen Adass Jisroel gebe es kein Copyright. Mario Offenberg, Geschäftsführer der Israelitischen Synagogen-Gemeinde, wird das dezidiert anders gesehen haben. Und für einige Jahre wird es infolge der Immigration sowjetischer Juden dort auch tatsächlich so etwas wie ein Gemeindeleben gegeben haben. Aber das scheint lange her zu sein.

    Wer heute am Freitagabend die Adass-Jisroel-Synagoge, Tucholskystraße 40, besuchen will, wird von den wachhabenden Polizisten belehrt, dass es einen Gottesdienst und dergleichen hier schon seit Jahren nicht mehr gebe. In der Torstraße 85, im Gebäude des alten Krankenhauses von Adass Jisrael, um das Mario Offenberg mit der DDR-Regierung schwer gerungen hatte, vermietet heute das »Clubhouse Berlin« teure Apartments. Und der Friedhof, auf dem vermutlich seit vielen Jahren niemand mehr beerdigt wurde, ist für Besucher nicht zugänglich.

    Auf dem einstigen Ödland, wo angeblich jüdische Gräber liegen sollten, weshalb Minister Erich Mielke seinerzeit der Hausbau verweigert wurde, hat seit 2017 die Wohnungsbaugenossenschaft BeGeno16 Wohnraum für 250 Menschen geschaffen. Wo einst das MfS-Dienstgebäude hätte stehen sollen, finden sich heute, laut Broschüre der Bauherren, Eigentumswohnungen. Wie auf dem Gelände, für das sich Adass Jisroel einst so energisch einsetzte, Wohnungen gebaut werden konnten, ist unklar. Überhaupt: Was ist eigentlich aus dem »Ferienobjekt« geworden, das die Modrow-/de Maizière-Regierung der Israelitischen Synagogen-Gemeinde überlassen hatte? Wer hat vom Verkauf der Immobilen profitiert? Was ist mit dem Geld geschehen?

    Moshe Offenberg ließ Fragen dazu unbeantwortet. Es handele sich um »Entstellungen und Insinuationen«, schreibt er. Der Geschäftsführer von Adass Jisroel durfte im Dezember letzten Jahres von Stadtbild Deutschland e. V. einen Preis entgegennehmen: für die rekonstruierte Fassade des Gemeindehauses in der Tucholskystraße. Langsam wird es Zeit, hinter die Fassade zu schauen.

    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176419.ausstellung-ein-anderes-land-juedisch-in-der-ddr-antisemitismus-i

    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175807.religion-juedisches-berlin-schabbat-schalom.html

    #Berlin #DDR #histoire #religion #juifs #avidité #philosemitisme #Mitte #Weißensee

  • In Zeiten des abnehmenden Lichts
    https://www.zdf.de/filme/filme-sonstige/in-zeiten-des-abnehmenden-lichts-114.html
    Si vous voulez avoir une impression de l’état mental de l’élite dela DDR/RDA en 1989 ce film est un « must ». Version originale en allemand.

    Le scénario est la dernière oeuve de Wolfgang Kohlhaase qui est l’auteur de la plupart des grands films tournés en RDA.

    Stab
    Regie Matti Geschonneck
    Drehbuch Wolfgang Kohlhaase, Eugen Ruge
    Produktion Oliver Berben, Sarah Kirkegaard, Dieter Salzmann
    Kamera Hannes Hubach
    Schnitt Dirk Grau

    Descritig anglais
    https://en.wikipedia.org/wiki/In_Times_of_Fading_Light

    Cast
    Bruno Ganz as Wilhelm Powileit
    Hildegard Schmahl as Charlotte Powileit
    Sylvester Groth as Kurt Umnitzer
    Alexander Fehling as Alexander « Sascha » Umnitzer
    Natalia Belitski as Melitta Umnitzer
    Evgenia Dodina as Irina Umnitzer
    Angela Winkler as Stine Spier
    Stephan Grossmann as Harry Zenk
    Nina Antonova as Nadeschda Iwanowna
    Thorsten Merten as Tabbert
    Gabriela Maria Schmeide as Lisbeth
    Sophie Pfennigstorf as Nolle
    Inka Friedrich as Vera
    Stefan Haschke as Schlinger
    Axel Wandtke as Bunke
    Jörg Pose as Herr Sondermann
    Sarina Radomski as a Friendship Pioneer Leader
    Pit Bukowski as Worker
    Jean Denis Römer as Supplier
    Ronald Kukulies as TBA
    Nadja Engel as TBA
    Alexander Hörbe as TBA
    Rike Eckermann as TBA
    Friderikke-Maria Hörbe as TBA

    Spoiler
    https://de.wikipedia.org/wiki/In_Zeiten_des_abnehmenden_Lichts_(Film)

    Der Film beginnt mit einer Szene in der russischen Kleinstadt Slawa im Ural. Szenen aus dem trostlosen Stadtleben, die Kamera schwenkt über die verfallenen Überreste eines Gefangenenlagers aus den Zeiten des sowjetischen Stalinismus. Eine Luftaufnahme zeigt Landarbeiter auf einem Lkw während des Rückweges von der Kartoffelernte, und es wird der Titel des Films erklärt: „Der Herbst mit seinem abnehmenden Licht.“

    Danach wechselt der Schauplatz: Wir sind in Ost-Berlin im Herbst 1989. Kurt Umnitzer besucht seinen Sohn Sascha, der sich von seiner Frau Melitta und seinem Sohn Markus getrennt hat, in dessen illegal besetzter und verwahrloster Altbauwohnung. Sie suchen in einer Odyssee durch das trostlose nächtliche Ost-Berlin eine Gaststätte, landen schließlich in einem billigen Stehimbiss, wo Kurt Sascha das Versprechen abnimmt, zum Geburtstag seines Großvaters zu erscheinen und den Tisch aufzubauen. Sascha verspricht es, obwohl er zu diesem Zeitpunkt vermutlich weiß, dass er an diesem Tag schon im Westen sein wird.

    Anschließend schildert der Film im Wesentlichen chronologisch den 90. Geburtstag von Wilhelm Powileit, verdientes Mitglied der Partei und überzeugter Stalinist. Zunächst werden die privaten Vorbereitungen im Hause Powileit und dessen Stiefsohn Kurt Umnitzer gezeigt. Mehrfach telefonieren Kurt und Wilhelm, weil Sascha in der Powileitschen Villa einen großen alten Ausziehtisch („Nazitisch“) aufbauen soll. Dazwischen erhält Kurt Umnitzer einen Anruf aus Gießen von Sascha, der am Tag zuvor die DDR verlassen hat. Kurt fährt daraufhin zu seinem Stiefvater, um die Geburtstagsvorbereitungen zu unterstützen, während Kurts Frau Irina, Saschas Mutter, sich betrinkt. Da Sascha nicht erscheint, stellt Wilhelm Powileit den Tisch selbst auf, indem er mehrere große Nägel durch die Tischplatte schlägt und den Tisch damit für alle erkennbar ruiniert.

    Während der Geburtstagsfeier kommen die erwarteten Gratulanten: Vertreter der örtlichen SED-Kreisleitung, die Patenbrigade, eine Pioniergruppe, die ein sowjetisches Partisanenlied singt. Wilhelm Powileit begegnet den Gratulanten überwiegend gelangweilt bis herablassend, Blumen kommentiert er wiederholt mit den Worten „Bringt das Gemüse auf den Friedhof“, eine hohe staatliche Auszeichnung mit „Ich habe schon genug Blech“. Es kommt, zum Teil unter zunehmendem Alkoholgenuss, zu politischen Diskussionen. Wilhelm Powileit beschimpft die seiner Meinung nach zu inkonsequente Parteiführung in der DDR und vor allem in der Sowjetunion („die Tschows“), seinen Sohn Kurt, Enkel Alexander, seine Frau Charlotte, der er unterstellt, dass sie ihn vergiften will.

    Er erzählt die Geschichte seiner Flucht vor den Nazis aus Deutschland in die Emigration und schließt dabei mit dem Fazit „Wir waren nicht vorbereitet – und jetzt sind wir wieder nicht vorbereitet“. Es wird deutlich, dass Wilhelm von einer beginnenden Demenz gezeichnet ist und Charlotte unter seinen Eskapaden und seinem Starrsinn leidet.

    Zum Unwillen von Wilhelm, aber begrüßt von Kurt, erscheint Saschas Frau Melitta mit Wilhelms Urenkel Markus. Bei Markus’ Versuch, sich ein Würstchen vom Geburtstagsbuffet zu nehmen, bricht der Tisch zusammen und das Buffet wird vollkommen unbrauchbar.

    Später taucht die stark betrunkene Irina auf. Auf ihr Drängen hin verkündet Kurt schließlich, dass Sascha in den Westen geflohen ist. Irina, die an dem Verlust ihres Sohnes leidet, sagt: „Wer die Kinder verliert, verliert die Zukunft.“

    Die Gäste singen mit Irinas Mutter Nadeschda Iwanowna ein russisches Lied, wobei sie aufgrund fehlender Sprachkenntnisse den Text des Liedes vollkommen missdeuten.

    Nachdem die Gäste nach und nach das Haus der Powileits verlassen haben, gehen die beiden Alten schlafen. Charlotte bereitet für Wilhelm einen Tee und schüttet Tropfen aus einem Medizinfläschchen hinein, bevor sie die Teetasse in sein Schlafzimmer bringt. Als sie später nach ihm sieht, ist Wilhelm tot, von dem Tee hat er aber anscheinend nicht getrunken.

    Der Film endet wieder in Slawa. Zwei Jahre später, diesmal im Winter, stehen Charlotte, Kurt, Sascha, Melitta, Markus, Stine Spier und Nadeshda Iwanowna am Grab von Irina, die offensichtlich an ihrer Alkoholsucht gestorben ist und in ihrer Heimat begraben sein wollte.

    A télécharger (jusqu’au 06.10.2023)
    https://nrodlzdf-a.akamaihd.net/dach/zdf/19/10/191003_2200_sendung_neu_fdw/6/191003_2200_sendung_neu_fdw_a1a2_3328k_p36v14.mp4

    Avec explications pour malvoyants
    https://nrodlzdf-a.akamaihd.net/dach/zdf/19/10/191003_2200_sendung_neu_fdw/6/191003_2200_sendung_neu_fdw_a3a4_3328k_p36v14.mp4

    https://de.wikipedia.org/wiki/Matti_Geschonneck
    https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Kohlhaase

    #DDR #film #hybris #communisme #histoire #mur

  • Die Nacht der Nächte
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/mauerfall-erinnerungen-die-nacht-der-naechte-li.1043

    Cet articles est une déscriotion de la nuit quand les berlinois de l’Est ont convaincu les soldats gardant la frontière de les laisser passer sans autorisation préalable. L’auteur raconte ses émotions quand il a enfin osé rejoindre la foule et comment il a fait une virée nocturne à Berlin-Ouest avant de rentrer chez lui. Il parle aussi de l’euphorie et les illusions qui ont permis aux réactionnaires de l’Ouest de prendre les rènes en DDR, de l’annexer et de récupérer tous les biens que les citoyens de l’Allemagne socialiste avaient crée pendant quaratant ans.

    9.11.2019 von Jens Blankennagel - Berlin-Ich stand im grellen Scheinwerferlicht der DDR-Grenzer und pinkelte an die Berliner Mauer. Es ging nicht anders, im Todesstreifen gab es keine Toilette und keinen Baum. Nur dieses extrem ausgeleuchtete freie Schussfeld. Kurz davor wäre das, was ich da tat, noch eine unmögliche Provokation gewesen. Der Staat hätte sich das nicht gefallen lassen; ein paar Uniformierte hätten sich auf mich gestürzt und mich verhaftet. Mindestens.

    Grenzübergang Invalidenstraße – Ostseite. Obwohl ich seit Jahren in Berlin lebte, war ich dort noch nie gewesen. Die Mauer war tabu. An jenem Tag aber war alles anders als an den 10.315 Tagen davor – seit die DDR die Grenze geschlossen hatte. Es war der 9. November 1989, der Tag, an dem alles möglich schien. Und an den antifaschistischen Schutzwall zu pinkeln, war enorm befreiend.

    Es gibt eine Sache, die absolut unzuverlässig ist: die menschliche Erinnerung. Denn obwohl ständig etwas passiert, funktioniert die Wahrnehmung anders: Es gibt Lebensjahre, die in der Erinnerung wie ein paar belanglose Tage zerfließen. Fachleute sprechen von der Notwendigkeit, vergessen zu können, damit das Gehirn nicht überhitzt. Das Gedächtnis ist gnadenlos und speichert nur wichtige Dinge, die mit großen Emotionen verknüpft sind. Jeder hat eine eigene Galerie von Situationen voller unvergesslicher Details. Meist sind es private Erlebnisse.
    Es gibt aber auch gesellschaftliche Ereignisse, bei denen fast alle sagen können, was sie gemacht haben: die Mondlandung, die Terroranschläge am 11. September 2001.

    Bei mir und vielen anderen ist es der 9. November 1989. Der Tag, an dem die Mauer fiel: unvorhersehbar und bis heute eigentlich unfassbar.
    Das wahrhaft historische Datum jener Umbruchszeit

    Um 18.57 Uhr hatte Günter Schabowski im Namen der SED-Führung zur Presse gesagt: „... haben wir uns entschlossen, heute, äh, eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, äh, über Grenzübergangspunkte der DDR, äh, auszureisen.“ Verwirrung im Saal. Nachfragen. Dann der entscheidende Satz, ganz lapidar: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort. Unverzüglich.“

    Wir studierten an der Humboldt-Uni und wollten am Abend ins Kino „Volkshaus“, vorher saßen wir in einer Kneipe. Der Kellner brachte die Rechnung und tuschelte: „Jeder kann jetzt rüber. Ham se im Radio jesagt.“ Wir fragten: „Reisen oder Ausreisen?“ Er antwortete: „Ausreisen.“ Wir sagten: „Das wollen wir nicht. Wir bleiben hier.“ Der Kellner sagte mit glänzenden Augen, die das Gegenteil verkündeten: „Icke och.“

    Ich habe vergessen, welcher Film kam. Niemand von uns erinnert sich an den Film. Jedes Jahr Anfang November nehme ich mir vor, es zu recherchieren. Inzwischen weiß ich, dass es egal ist, denn das, was danach kam, war viel zu groß für das davor.

    Der Tag ist das wahrhaft historische Datum jener Umbruchszeit. Ein Tag, der in diesem Jahr in Berlin mit einer großen Reihe von mehr mal als 200 Veranstaltungen gefeiert wird. Doch in den vergangenen Jahre wurde dieser Tag vom offiziellen Blick meist zweitrangig behandelt. Das zeigt sich auch in der aktuellen Ost-Debatte, die vor einigen Jahren aufflammte, nach den Pegida-Demonstrationen und weil der Aufstieg der AfD im Osten besonders stark. Also sprechen Politiker wieder mahnende Worte, dass der Osten nicht vergessen werden dürfe.

    Doch sie machten es bislang nicht am 9. November, der vor 30 Jahren ein Tag der Euphorie war, und der das vergangene Jahrhundert für Deutschland so exemplarisch zusammenfasst: 1918 - Aufrufung der Republik. 1923 - Hitler-Putsch. 1939 - Pogrome der Nazis an Juden. 1989 - Mauerfall.

    Nein. Gefeiert und gemahnt wurde bislang immer am 3. Oktober, am bürokratischen Vollzugsdatum der Einheit. Es ging sowieso schon bald nicht mehr darum, dass die Ostdeutschen erst zaghaft, dann hunderttausendfach auf die Straße gegangen sind. Lieber wurden andere Storys erzählt: So glaubt nicht nur David Hasselhoff daran, dass er die Ossis zum Sturz der Mauer inspiriert hat. Und natürlich wurde auch kein Song aus dem Osten zur Mauerfall-Hymne, sondern „Wind of Change“ – ein Lied, das die Scorpions erst 1991 veröffentlicht haben.
    Mit dem Taxi und einer Flasche Sekt zur Grenze

    Am 9. November standen wir nach dem Kino auf der „Straße der Befreiung“, die so tot war, wie eine Ausfallstraße aus der Hauptstadt der DDR abends nun mal war. Ein paar Schwarztaxis, ein paar Angetrunkene. Berlin lag schon im Bett.

    Wir fuhren nach Biesdorf und schalteten im Studentenclub den Fernseher an. Nachrichten zu schauen war damals Pflicht. Und da sahen wir sie: Die Leute, die am Brandenburger Tor riefen: „Die Mauer muss weg!“ Kurz danach schauten wir in die begeisterten Gesichter von denen, die sich den Gang über die Grenze ertrotzt hatten. Ein Freund rief: „Ich muss dabei sein.“ Nun gab es kein Halten mehr. In jenen Tagen bestand zwar die Gefahr, dass der Staat durchgreift – wie es üblich ist, wenn offensichtlich wird, dass ein marodes Staatsgebilde wegsackt. Doch wir hatten ein wenig Demo-Erfahrung und gingen übermütig davon aus, dass auch an diesem Tag kein Schuss fallen wird.

    Jemand lief zur Telefonzelle und bestellte Taxis. Wir planten eine Republikflucht, eine schwere Straftat. Wir nahmen Taxigeld mit, Personalausweise und jeder eine Flasche Sekt. Zu den Leuten, die im Club blieben, sagten wir: „Wir zahlen, wenn wir aus dem Westen zurück sind.“

    Dem Taxifahrer sagten wir, als sei es ganz normal: „Nach West-Berlin bitte.“ Er grinste. „Welcher Übergang?“ Wir hatten keine Ahnung. Das einzige, was wir vom Westen kannten, war der Reichstag, den man vom Bahnhof Friedrichstraße aus sah. Über den richtigen Grenzübergang hätten wir erst kurz vor der Rente nachgedacht, wenn uns der Staat die erste West-Reise erlaubt hätte. „Also Invalidenstraße“, sagte der Fahrer.
    Mutige Leute auf der Straße sorgten für unumstößliche Fakten

    In der DDR konnten Tage wie Minuten vergehen, aber nicht, weil so viel, sondern weil so wenig passierte – besser gesagt: fast immer das gleiche. Das war gut fürs Herz, weil die Aufregung fehlte, aber schlecht fürs Hirn. Nun aber stand die größte vorstellbare Aufregung bevor. Nie hätten wir gedacht, dass Wunder so einfach sein können: Der richtige falsche Satz in einer Pressekonferenz und bald danach war die Mauer so durchlöchert, dass sie nicht mehr gestopft werden konnte. Aber nicht, weil Herr Schabowski es so gewollt hatte, sondern weil ein paar kleine Leute diesen Politiker einfach beim Wort nahmen.

    Hätten sie es nicht getan, wäre der historische Moment verflogen. Am Tag danach hätte nicht deutsch-deutscher Freudentaumel geherrscht, sondern deutsche Bürokratie: Die DDR-Bürger wären brav arbeiten gegangen und danach zum Amt, um die Sache mit dem Reisepass zu klären. So aber sorgten mutige Leute auf der Straße für unumstößliche Fakten und vollendeten, was mit den Leipziger Montagsdemos begonnen hatte.

    Kurz vor Mitternacht setzte uns das Taxi ab. Ich musste pinkeln, stand aber nicht allein an der Mauer. Die Szenerie an der Grenze wirkte völlig surreal. Alle strahlten den Grenzer an, der neben der geöffneten Schranke stand, er lächelte schief. Ab und an umarmte ihn jemand oder gab ihm Sekt. Seine Dienstmütze hing ihm ganz unsoldatisch im Nacken, in den Lauf seiner Kalaschnikow hatte jemand eine gelbe Blume gesteckt.
    In jener Nacht verließen wir dieses Land ohne Wehmut

    Wir waren jung und naiv, so wie es in diesem Alter sein soll. Der Zufall hatte uns in dieses Land hineingeboren, und wir machten das Beste daraus. Wir hatten noch keine großen Ziele im Leben, wollten uns verlieben, Spaß haben, uns betrinken.

    Politisch waren wir so altklug, wie man es mit 23 nun mal ist. Wir redeten fast nie über Geld, über Honecker oder die SED, lieber über Frauen, den Sinn des Lebens oder gute Jeans, aber noch lieber über Musik. Das neue Album der Pixies war mein Schatz, den ich im Sommer aus Ungarn mitgebracht hatte, statt wie andere in den Westen zu gehen. Heimlich war ich ein wenig stolz darauf, dass ich es mir mit dem schweren Gang in den Westen nicht leicht gemacht hatte.

    Wir waren staatstragend genug, um studieren zu dürfen, aber auch klug genug, um billige Propagandalügen zu durchschauen. Wir liehen uns gegenseitig verbotene Bücher wie Stephan Heyms „Schwarzenberg“ oder Georg Orwells „1984“ und glaubten in unserer Naivität daran, dass sich die DDR verändern ließ.

    In jener Nacht verließen wir dieses Land ohne Wehmut. Auf der anderen Seite ein Empfangskomitee. Leute, die ich für Spießer hielt, jubelten mir zu – dem Langhaarigen in Lederjacke. Nie wieder drückten uns so viele Fremde ihre Küsse ins Gesicht. Die Massen öffneten ein Spalier für uns. Es war ein wenig beschämend: Was hatte wir schon geleistet, außer ein paar Mal zu demonstrieren? Ein Stück weiter, dort, wo die Scheinwerfer nicht hinreichten, die erste Ernüchterung. Ein Bettler fragte: „Kriege ich auch einen Schluck Sekt?“
    Niemals wieder waren sich Ost und West so nah wie in dieser Nacht

    Der Westen lag vor uns wie ein großes Versprechen. Über ihn wussten wir zwar mehr als die meisten Westdeutschen über den Osten, weil wir fast nur Westfernsehen schauten, aber wir hatten keinen blassen Schimmer, was sich wo in West-Berlin befand. Die Landkarten der DDR endeten an der Mauer, dahinter gab es kein Leben: West-Berlin – eine weiße Fläche, eine Geisterstadt.

    Wir liefen los, aber es gab nur Wiesen und eine leere Straße. Das sollte das legendäre West-Berlin sein? Wir kannten nur zwei Namen: Kudamm und Gedächtniskirche. Ein Spaziergänger sagte: „Kudamm? Das sind bestimmt vier Kilometer.“

    Wir hielten den Daumen in den Wind. Dieses Mal stoppten ganz schnell Autos. In jener Nacht war jeder, der wach war, ein Freund. Zwanzig Minuten später standen wir an der Gedächtniskirche.

    Wir ließen uns durch West-Berlin treiben, ohne darüber nachzudenken, ob unser Tun irgendwelche Konsequenzen haben könnte. Da offenbar alle Ossis nur den Kudamm kannten, gab es dort eine unvorstellbare Freudendemo. Alle ließen ihr Glück an den Trabis aus und klopften auf deren Dächer. Die Trabis hielten stand, und die Insassen lächelten selig. Niemals wieder waren sich Ost und West so nah wie in dieser Nacht.
    Alles schien einfach: Mauern öffnen, Freundschaften schließen

    Wir waren euphorisiert und zukunftsfroh. Im nächtlichen Glitzer des Kudamms dachten wir nicht darüber nach, ob es den viel diskutierten Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus geben könnte. Wir waren einfach glücklich. Wir ahnten nicht, wie groß die Probleme der Einheit sein würden. In jener Nacht schien alles leicht: Das Öffnen der soeben noch unzerstörbaren Mauer oder das Schließen einer Freundschaft. Ich steckte mir eine Karo an, und ein Fremder fragte. „Ich bin zwar aus dem Westen, aber ich liebe diese Zigaretten. Hast du eine?“

    Ich schaute in die Schachtel und gab ihm meine allerletzte Karo. Wir rauchten und quatschten, dann lief er plötzlich los, kaufte eine Schachtel Roth-Händle und schenkte sie mir.

    Er war Pressefotograf und hatte gerade seinen Auftrag abgebrochen: Er sollte DDR-Flüchtlinge in einem Notaufnahmelager an der Grenze fotografieren. Nun machte er ein Foto von uns vor der Gedächtniskirche. Die Turmuhr stand auf 2.40 Uhr. Die Stadt dröhnte, Autos hupten unablässig, und die Menschen grölten sich heiser. Es roch nach Silvester.

    Wir gingen in eine Kneipe. Der Fotograf wollte eigentlich nur kurz bleiben und dann noch mehr Bilder dieser Nacht einfangen. Doch wir redeten und redeten. Er kramte sein letztes Geld zusammen und bestellte Bier für uns, bis er pleite war. Von jener Nacht blieben mir neben den Erinnerungen ein Bierdeckel aus der Kneipe und ein Freund fürs Leben, der irgendwann mit dem Foto aus dieser denkwürdigen Nacht vor meiner Tür stand.
    Eine Steigerung war einfach nicht möglich

    Nie hätten wir gedacht, dass diese Zeit des begeisterten Zuhörens und des gegenseitigen Erzählens zwischen Ost und West schneller enden würde als bei Verliebten. Wir dachten nicht, dass die überbordende Sympathie bald von Vorurteilen besiegt werden würde und dass es bei vielen in billigen Schlagworten gipfeln würde wie Besser-Wessis und Mecker-Ossis.

    Wir begriffen auch noch nicht, dass wir das Ende unseres bisherigen Lebens erlebten. Wir dachten auch nicht, dass diese Nacht ein vergiftetes Geschenk war: die schönste Mitgift an das neue Deutschland, aber auch die bitterste. Denn eine Party mit solchen Ausmaßen erzeugt einen gewaltigen Rausch. Doch niemand sah voraus, wie groß der Kater werden würde. Der Mauerfall weckte viele Hoffnungen, die niemand erfüllen konnte. Der absolute deutsch-deutsche Höhepunkt war bereits in der ersten Nacht erreicht, ohne dass beide Seiten überhaupt realisiert hatten, dass sie im Bett lagen. Eine Steigerung war nicht möglich.

    Wir traten aus der Kneipe und wussten nicht, was kommen würde. Nicht im Geringsten. Mit der S-Bahn ging es zur Grenze. Natürlich schwarz. Der Wagen war voller durchnächtigter Grenzgänger. Sie hatten dieses Lächeln im Gesicht, das nicht verlöschen wollte. Jemand gab uns eine Sonderausgabe der BZ – Titelseite: „Die Mauer ist weg! Jeder darf ab sofort durch! Deutschland weint vor Freude. Die ersten sind schon da! Wir reichen uns die Hände!“
    Niemand ahnte, was danach kommen würde

    Wir besaßen nur, was wir am Leib trugen und wussten nicht, ob sie uns wieder in unsere Heimat lassen würden. Das war uns bis zum Grenzübergang Friedrichstraße egal. Dann aber sahen wir die ernsten Gesichter der DDR-Grenzer. Sie hatten das nächtliche Chaos überwunden. Nach ein paar Stunden, die komplett aus der deutschen Ordnungswelt gefallen waren, herrschten wieder alte Verhältnisse. Ein Grenzer drückte mir einen Einreisestempel in den Personalausweis. Die Stempel waren gegen die Vorschrift, denn der „Perso“ war kein Reisepass, da durfte gar nicht reingestempelt werden.

    Später hieß es, mit den Stempeln sollten die Republikflüchtigen der ersten Nacht identifiziert werden – falls sich das Rad der Geschichte doch zurückdrehen ließ. Es kam anders. Und der Stempel macht es mir unmöglich, diesen Ausweis, der bis dahin nicht viel galt, wegzuwerfen.

    Wir ahnten nicht, dass sich fast alles ändern würde: wir selbst, die Regierung und das Volk, die Preise und die Mieten, die Autos und die Urlaube, Frauen und Männer, die Kleidung, das Essen, die Musik. Wir wussten nicht mal, was der Begriff Immobilie bedeutete und ahnten erst recht nicht, dass viele unserer Eltern und gefühlt die Hälfte der Bevölkerung schon bald arbeitslos sein würden.

    Niemand wusste, dass nicht allzu so viel übrig bleiben würde vom einzigen Leben, das wir kannten: nicht die grauen Fassaden der verfallenen Häuser, aber auch nicht der Begriff Kaufhalle, nicht die Straßen des Friedens oder die Polikliniken.

    Und wer hätte gedacht, dass sich die Debatten schon bald weniger um die Zukunft drehen würden, sondern viel mehr um die Vergangenheit und darüber, ob denn jemand Stasi-Spitzel war. Und dass auch so manche Leute aus dem Westen kommen würden - die nie ernsthaft für ihre Demokratie haben kämpfen müssen - und die uns in altväterlichem Ton erklären würden, wie wir unser Leben in der DDR gefälligst zu interpretieren hätten. Dieses falsche Leben im falschen Land.

    Wir träumten von rauschenden Rockkonzerten, coolen Klamotten und Schallplatten, die wir bald jederzeit kaufen konnten; wir wollten endlich nicht mehr nur auf den Balkan trampen, sondern durch Frankreich. Wir wünschten uns Zeitungen mit frischen Meinungen und aufregende politische Debatten und dass uns niemand mehr sagt, wie wir unsere Haaren tragen sollen.
    Das Volk hatte eine Revolution zelebriert

    Die Sonne war längst aufgegangen, als wir im Wohnheim ankamen. Die anderen Studenten wollten nun – ahnungslos wie sie waren – zur Uni. Wir erzählten, dass wir vom Kudamm kommen, dass die Mauer offen ist und die Vorlesungen ganz sicher ausfallen werden. Sie schüttelten nur den Kopf und fuhren zur Uni.

    Als wir im Bett lagen, war die historische Nacht längst nicht vorbei. Das Gehirn ließ sich viel Zeit mit dem Begreifen. Bei mir dauerte diese Nacht gefühlt vom Mauerfall am Donnerstag bis zum Sonntag. Da stand das „Konzert für Berlin“ in der Deutschlandhalle an: mit den Toten Hosen, Nina Hagen, BAP, Melissa Etheridge, Joe Cocker, mit Lindenberg, Westernhagen und Kunze – und auch ein paar Ostkünstlern.

    Bei mir stellte sich das emotionale Hoch gleich am Anfang ein. Der Saal war erst halbvoll, als Pankow spielte – jene Band, die mit dem Song „Langeweile“ eine kluge Beschreibung des Alltags in der späten DDR geliefert hatte: „Dasselbe Land zu lange gesehen, dieselbe Sprache zu lange gehört, zu lange gewartet, zu lange gehofft, zu lange die alten Männer verehrt.“ Als ich die markante Stimme von André Herzberg hörte, lösten sich bei mir die Emotionen und die Tränen. Ich weinte still vor mich hin und begriff: Wenn mir meine Lieblingsband aus dem Osten im tiefsten Westen den perfekten Abgesang auf die DDR vorsingt, muss die Mauer tatsächlich gefallen sein.

    Was für ein grandioser Abschluss für diesen emotionalen Ausnahmezustand. Am nächsten Morgen, einem Montag, hatte uns der Alltag in Ost und West wieder, und im Alltag wird nur selten gejubelt. Doch ein gewisser Stolz hielt sich noch recht lange, denn obwohl Krenz & Co. von einer „Wende“ sprachen, hatte das Volk doch eine Revolution zelebriert – so wie es Lenin gelehrt hatte: „Eine revolutionäre Situation gibt es dann, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen.“ Noch dazu war kein Schuss gefallen.
    Mehr bekommen, als erwartet. Aber auch weniger, als versprochen

    Viele gingen schon bald davon aus, dass das neue, starke Deutschland irgendwann Fußballweltmeister werden musste, andere glaubten, dass nun die Zeiten des Friedens und des reinen Glücks anbrechen - das Ende der großen weltweiten Konflikte, gar das Ende der Geschichte.

    Niemand ahnte, dass Helmut Kohl nicht so richtig liegen würde mit seinem Glauben an all jene Dinge, die blühen oder eben nicht. Keiner hätte geglaubt, dass die Treuhandanstalt bald ganze Betriebe für eine Westmark verkaufen würde. Niemand ahnte, dass schon bald Asylbewerberheime brennen und dass Neonazis das neue ostdeutsche Schreckgespenst werden würden.

    Genauso wenig konnte jemand voraussehen, dass die Techno-Klänge aus den Kellern der DDR-Industrieruinen zum internationalen Exportschlager werden würden und Rotkäppchen-Sekt zum gesamtdeutschen Marktführer. Es gab noch tausend andere Überraschungen, die die Zukunft bereithielt. Auch, dass ein Ostdeutscher die Tour de France gewinnen würde, und dass eine unscheinbare Frau aus dem Osten zur ersten Kanzlerin wurde.

    Niemand dachte, dass viele Ostdeutsche immer wieder radikale Parteien wählen würden - wohl auch um den Westen zu ärgern, denn sie fühlten sich ein wenig wie Pubertierende, die von den Erwachsenen zu wenig wahrgenommen werden.

    All das konnte niemand wissen. Wir ahnten nicht mal, dass wir bald die Deutsche Mark bekommen würden, diese heilige Währung. Wir glaubten auch nicht, dass wir bald eine Auswahl aus 20 verschiedenen Brötchen und 30 unterschiedlichen Joghurts haben würden. Wir wussten nicht, welche exotischen Länder wir besuchen würden und dass manche Strände noch schöner sind als auf den Werbefotos. Vor allem glaubte niemand daran, dass das graue Berlin schon bald die coolste Stadt überhaupt sein würde – Weltniveau.

    Wir wussten nicht, dass wir mehr bekommen würden, als wir erwartet hatten, aber auch weniger, als uns versprochen wurde. Denn am Anfang glaubten wir dem Westen fast alles – vor allem, weil wir dem Osten kurz vor dem Mauerfall fast nichts mehr glauben konnten. Wir dachten nicht, dass nun so viele Freiheiten auf uns warteten, aber auch die volle Verantwortung für unser Leben.

    All das ahnten wir nicht, und es wäre es uns damals für den Moment auch ziemlich egal gewesen. Tagelang waren wir so aufgekratzt, dass wir nicht mal merkten, wie kalt es eigentlich war. Als wir unsere 100 Westmark Begrüßungsgeld abholen wollten, lag morgens eine Flasche Maracuja-Brause im Auto, in der sich tatsächlich Eis gebildet hatte.

    Aber gefroren haben wir in jenen Tagen nicht. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern.

    Wir erlebten die mit weitem Abstand außergewöhnlichsten Tage unseres bisherigen Lebens, und wir wussten ganz genau, dass uns die Erinnerung an diese Zeit des reinen Glücks niemand würde nehmen können.

    #Berlin #DDR #mur #1989 #histoire

  • Babyboomer gesteht : Meine DDR-Jugend war so was von spätrömisch dekadent !
    https://www.berliner-zeitung.de/open-mind/babyboomer-gesteht-meine-ddr-jugend-war-so-was-von-spaetroemisch-de

    Les vols de longue distance et les grosses bagnoles décriés pour leur empreinte climatique n’étaient pas l’affaire des citoyens de la DDR ni des petits employés et ouvriers à l’Ouest. C’est plutôt une affaire de la génération qui a grandi après 1989. Avec l’avènement du néo- libéralisme et ses machinations raffinées qui cassaient les prix et salaire des simples gens que les dégats extrèmes se sont généralisés.

    Comme pour la plupart des développements en Europe les USA avaient quelques dizaines d’années d’avance sur nos contrées. Le génocide des amérindiens a servi d’inspiration aux campagnes de conquête et d’extermination nazie, le fasciste Henry Ford et ses frères d’armes ont donné l’exemple pour la montée des Volkswagen, Citroën, Agnelli et l’exemple de la déstruction des réseaux de transport public accompli autor de 1960 aux USA a été suivi par Margret Thatcher et les autres dirigeants européens à partir des années 1980. Le cauchemar du chacun sa voiture, son vol vers les ïles et ses appareils électroniques pour tout usage nous a atteint que plus tard.

    Les « boomers » n’y sont pas pour grand chose et surtout pas ceux des classes populaires.La catastrophe climatique est un phénomène de l’hybris du capitalocène en pleine expansion aujourd’hui. Ce n’est pas une histoire à régler entre les générations mais entre les classes opprimées et celles au pouvoir.

    28.9.2023 von Torsten Harmsen - Die Babyboomer sind schuld an den Krisen der Welt, sagen manche. Doch haben sie wirklich in Saus und Braus gelebt und alle Ressourcen verpulvert? Eine Kolumne.

    Ich stehe an der Straßenecke. Plötzlich sausen zwei jugendliche Typen mit Elektrorollern heran. Mitten auf dem Gehweg springen sie ab und klatschen sich zum Abschied mit den Händen ab. Das geht etwa so: „He Bro“ – klatsch, klatsch – „Jo, Alta, bis bald“. Und weg sind sie. Die E-Scooter bleiben mitten auf dem Gehweg stehen, und zwar quer.

    Ich will noch rufen: „He, könnt ihr die Dinger mal an den Rand stellen!“ Aber ich beiß’ mir auf die Zunge. Denn ich bin der Letzte, der andere wegen ihrer Rücksichtslosigkeit ermahnen darf. Ich bin nämlich schuld, und zwar an der ganzen Misere, an den Welt-Krisen, weil ich in den 1960er-Jahren geboren bin. Gerade hat der Wirtschaftsprofessor Bernd Raffelhüschen gefordert, die sogenannten Babyboomer besonders zu belasten, weil sie die Probleme von heute verursacht hätten.

    „Da raffelt’s doch im Hüs’schen“, regt sich mein innerer Berliner auf. „Ick hab jar nischt verursacht.“ Ich versuche zu beschwichtigen: „Du bist doch gar nicht persönlich gemeint.“ – „Doch, ick nehm et aber persönlich. Ick hab immer jearbeet, meene Steuern bezahlt und so weita. Und jetze komm se, und ick bin der Buhma-Buhmann. Die Juurend denkt, wir ham in deren Alta in Saus und Braus jelebt und allet vapulvat.“

    Wasserkaraffe im Zimmer und Plumpsklo „über’n Hof“

    Ja, manchmal scheint es so. Ich würde gerne eine Zeitmaschine bauen und ein paar Leute in die Sechziger und Siebziger mitnehmen, um ihnen meine spätrömisch-dekadente DDR-Kindheit zu zeigen. Diese ist ja leider nur bruchstückhaft in Schwarz-Weiß-Bildern überliefert. Also gucken wir mal.

    Urlaub auf Malle oder in Gran Canaria? Nee, ich fuhr mit meinen Eltern nach Unterpörlitz in Thüringen, mit dem Zug. Wir hatten ein Zimmer „bei Leuten“, das Plumpsklo „über’n Hof“. Man musste Slalom um die Hühnerkacke laufen. Eine Dusche gab’s nicht, aber auf dem Zimmer eine Waschschüssel und eine Karaffe mit kaltem Wasser. Aber man konnte schön wandern.

    Stets warme Räume im Winter? Nee, die Wohnung kühlte in der Nacht aus. Am Morgen musste ich mein kleines Öfchen beheizen. Kohlen-und-Asche-Geschleppe strukturierte die Tage. Ja, stimmt, wir pusteten Kohlendreck und Klimagase durch den Schornstein, denn es gab nichts anderes. Aber jede Kohle, jeder Holzscheit waren wertvoll. Heute brennt in jeder Gartenkolonie in lauen Sommernächten irgendein „Häuptling Qualmkopp“ fette Schwedenfeuer ab, um damit das Weltall zu heizen. Just for fun.
    Irgendwann habe ich alles nachgeholt

    Rund um die Uhr aufs Handy gucken und Videos streamen? Nee, diese Tätigkeit, für die heute Server irgendwo auf der Welt Unmengen an Energie aus fossilen Quellen fressen, war mir unbekannt. Ich guckte im Fernseher vielleicht drei Sendungen in der Woche. Ging ich einkaufen, kam alles in Beutel und Papiertüten. Plastiktüten gab es kaum. Mein Roller und mein Fahrrad hatten keine Motor-Antriebe. Langstreckenflüge? Ein Auslandssemester? Ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Lateinamerika? Pustekuchen! FDJ statt FSJ.

    Aber konnte ich was dafür? Nein, genauso wenig wie die Leute, die heute die Bedingungen nutzen, die es gibt. Und zugegeben: Nach dem Ende der DDR habe auch ich kräftig nachgeholt. Ich bin geflogen, durch die Welt gereist, wurde gasbeheizt, habe im Internet gesurft und im Winter Tomaten gekauft. Kurz: Ich habe mich verhalten wie die Generationen nach mir. Denn es ist eben kein Generationen-Problem, sondern eine Frage des Systems. Und man kann schön davon ablenken, wenn man Generationen aufeinanderhetzt. Wir sollten lieber über die Sache reden. Darauf ein pseudo-cooles „He Bro“ und „Jo, Alta“!

    #société_de_consommation vs. #DDR #climat #boomer

  • Salvador Allendes Tochter besucht Berlin : „Ich werde seine letzte Umarmung nicht vergessen“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/salvador-allendes-tochter-besucht-berlin-ich-werde-seine-letzte-uma

    Les relations entre la gauche chilienne et celle de l’Allemagne de l’Est sont toujours proches. Cinquante ans après l’assassinat de son père Isabel Allende, fille du président socialiste chilien, rend visite au quartier de Berlin bâtisé en son honneur.

    13.9.2023 von Torsten Harmsen - Genau 50 Jahre ist es her, dass in Chile das Militär gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende putschte. Als der Präsidentenpalast La Moneda beschossen wurde, waren auch Allendes Töchter Beatriz und Isabel bei ihrem Vater. Sie folgten schließlich seiner Anordnung, den Palast mit den anderen Frauen und Kindern zu verlassen, bevor Kampfjets mit der Bombardierung begannen. Allende, der seinen Amtssitz bewaffnet verteidigte, verließ den Palast nicht lebend. Für viele Menschen war jener Tag des Putsches ein großer Schock.

    Isabel Allende, die an jenem 11. September 1973 alles hautnah miterleben musste, besucht 50 Jahre danach Berlin, auf Einladung der SPD. Sie ist die jüngste von drei Töchtern, die Salvador Allende mit seiner Frau Hortensia Bussi hatte. Mitunter wird sie mit der gleichnamigen Schriftstellerin Isabell Allende verwechselt. Diese ist jedoch eine Nichte zweiten Grades von Allende.

    Am kommenden Sonntag, dem 17. September, wird Allendes Tochter Isabel nach Köpenick fahren. „Sie hatte den Wunsch, das Allende-Viertel zu besuchen“, heißt es in der Ankündigung des Heimatvereins Köpenick. Sie ist zum ersten Mal hier. Geplant sind ein Rundgang durch das Viertel, eine kleine Rede an der Büste Salvador Allendes, die vom Künstler Dietrich Rohde stammt, und ein Besuch im Kiezklub.
    Im Köpenicker Neubauviertel heißen Straßen nach Allende und Neruda

    Marie Isabel Allende Bussi wurde 1945 in Santiago de Chile geboren. Sie studierte Soziologie, arbeitete unter anderem als Wissenschaftlerin und Assistenzprofessorin einer Journalistenschule, begleitete ihren Vater bei Wahlkampagnen, wirkte am Aufbau der neuen Gesellschaft in Chile mit. Nach dem Putsch ging sie mit Mutter und Schwestern ins Exil nach Mexiko, wo sie unter anderem einen Abschluss in Politik machte und sich gegen Pinochets Diktatur engagierte.

    Etwa eine Million Chilenen verließen während der Militärdiktatur Pinochets das Land. Davon gingen etwa 30.000 nach Europa. Die DDR nahm etwa 2000 von ihnen auf. Hier spielten die Ideen Allendes eine große Rolle. Dieser hatte nach seinem Wahlsieg 1970 mit dem Linksbündnis Unidad Popular mitten in einer bürgerlichen Demokratie eine sozialistische Revolution in Gang gesetzt. Nach deren Niederschlagung – stark forciert durch verdeckte CIA-Operationen – kamen vor allem viele Sozialisten und Kommunisten in die DDR. Symbolik spielte dabei eine große Rolle.

    Weithin bekannt wurde zum Beispiel das Köpenicker Allende-Viertel – ein Neubaugebiet, das ab 1971 auf dem Köpenicker Amtsfeld nahe der Altstadt entstanden war. Hier wurden am 3. November 1973, nicht einmal acht Wochen nach dem Militärputsch, Straßen nach Salvador Allende und Pablo Neruda benannt, dem bekannten chilenischen Dichter und Literaturnobelpreisträger. Auch die neue Schule erhielt den Namen Allendes. Ein Jahr später kam noch die Pablo-Neruda-Schule dazu. Weitere Namensgebungen folgten.
    Die Sozialistische Partei als das „Haus der Familie Allende“

    Immer wieder gab es im Allende-Viertel Besuche von bekannten Vertretern der zerschlagenen Unidad Popular – oft im Rahmen politischer Veranstaltungen. Es kamen unter anderem Gladys Marin, Generalsekretärin des Kommunistischen Jugendverbandes, Osvaldo Puccio, der einstige Privatsekretär Allendes, und Luis Corvalán, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chiles. Puccio und Corvalán hatten beide in Konzentrationslagern des Pinochet-Regimes gesessen. Vor allem Letzterer war sehr bekannt aufgrund einer großen Kampagne für seine Freilassung, die dann 1976 im Austausch gegen einen sowjetischen Dissidenten erfolgte.

    Isabel Allende war damals nicht in der DDR, sondern in Mexiko. Als sich die Chilenen 1988 in einem Referendum gegen eine weitere Amtszeit Pinochets aussprachen, kehrte sie nach Chile zurück. Sie setzte die Tradition ihres Vaters fort, engagierte sich in der 1989 wieder zugelassenen Sozialistischen Partei, die sie das „Haus der Familie Allende“ nennt. Ihr Vater hatte 1933 die Partido Socialista de Chile mitbegründet.

    Als Pinochet 1998 in London verhaftet wurde, setzte sich Isabel Allende für dessen Auslieferung nach Spanien ein. Dort sollte ihm der Prozess gemacht werden. Zu diesem kam es nie. Die Phase des demokratischen Neubeginns in Chile – genannt Transition – war sehr kompliziert und widersprüchlich. 1993 kandidierte Allende erstmals erfolgreich für das Abgeordnetenhaus. Dreimal schaffte sie die Wiederwahl als Abgeordnete, bevor sie 2009 die Wahl zur Senatorin gewann. Von 2014 bis 2015 fungierte sie als Präsidentin des Senats – als erste Frau überhaupt. Von 2015 bis 2017 war sie Vorsitzende der Sozialistischen Partei – erneut als erste Frau.

    Erinnerung an die Wärme, unendliche Liebe und den Humor des Vaters

    Heute ist sie Senatorin für den Wahlkreis der Region von Valparaiso. Sie engagiert sich vor allem für eine Reform der Verfassung. Erst am 11. September hielt sie eine Rede auf dem Platz vor La Moneda. Sie wandte sich gegen „Geschichtsrevisionisten“, die durch Verdrehung der Fakten versuchten, die Unidad Popular und Präsident Allende für den Staatsstreich verantwortlich zu machen.

    Die wahren Täter seien diejenigen, die die Institutionen zerstört, den Präsidentenpalast bombardiert hätten, die Tausende Chilenen verfolgten, folterten, ermordeten und verschwinden ließen. „Der Staatsstreich war ein Verbrechen“, und es gebe keinen Kontext, keine politische Ideologie, keinen Zufall und keinen Grund, um die Enteignung des Volkswillens und der Menschenwürde zu legitimieren, so die Senatorin.

    „Heute, wo die Demokratie in der Welt neuen autoritären Bedrohungen ausgesetzt ist, ist es notwendiger denn je, das Engagement jedes Einzelnen für die Demokratie zu erneuern“, sagte Isabel Allende. Und sie erinnerte sich daran, dass sie an jenem 11. September, dem Tag des Putsches, mit ihrer ältesten Schwester Beatriz in den Präsidentenpalast gegangen war, um ihren Vater zu unterstützen. Er schickte sie fort, bevor das Militär den Palast aus der Luft bombardierte. Sie sagte: „Ich werde seine letzte Umarmung, seine Wärme, seine unendliche Liebe und seinen Humor nicht vergessen.“

    Der Treffpunkt für den Besuch von Isabel Allende ist am 17. September, 11 Uhr, im Allende-Viertel in Köpenick, Kieztafel in der Pablo-Neruda-Straße neben dem Allende-Center.

    #Chili #DDR #Berlin #réfugiés #histoire #socialisme #Köpenick #Salvador-Allende-Straße

  • Flucht vor der Junta : DDR-Rettungsaktionen für Antifaschistinnen und Antifaschisten aus Chile
    https://www.youtube.com/watch?v=g4HFqxWywuE&pp=ygURUnVkb2xmIEhlcnogQ2hpbGU%3D


    A propos du soutien que la RDA a apporté aux victimes du régime fasciste chilien après le putsch des généraux contre le gouvernement de l’Unidad Popular en 1973.

    Mehr als 60 Gäste in der jW-Maigalerie und etwa 2.500 Nutzer des Livestreams verfolgten am Donnerstag abend ein Gespräch zwischen dem früheren Offizier der DDR-Auslandsaufklärung Rudolf Herz (M.) und Verleger Frank Schumann (l.) unter der Moderation von jW-Autor Arnold Schölzel (r.). Herz half ab Oktober 1973 in Chile, Verbindungen ins Ausland aufrechtzuerhalten und bei der Flucht eines hochrangigen Politikers der Unidad Popular. In den nächsten Tagen erscheinen im Verlag am Park seine Erinnerungen: »Ich war OibE ›Kern‹ in Chile«.

    Ich war OibE ›Kern‹ in Chile« 
    https://www.eulenspiegel.com/verlage/verlag-am-park/titel/ich-war-oibe-kern-in-chile.html

    La notoire Stasi partageait son caractère à double tranchant avec toutes les institutions policières et services secrets des pays à vocation paisible et démocratique. Elle était à la fois un appareil de surveillance et de répression et un organisme capable de défendre des personnes en danger.
    La DDR (RDA, République Démocratique d’Allemagne) a ainsi aidé les victimes de la dictature des colonels en Grèce entre 1967 et 1974 comme celles du régime Pinochet au Chili à partir du 11.9.1973.
    Ce livre raconte la mission de sauvetage de l’officier de la section du renseignement extérieur HVA Rudolf Herz au coeur du Chili de 1973.

    Erinnerungen an den Putsch 1973
    240 Seiten, 12,5 x 21 cm, broschiert mit Abbildungen, erscheint 18. September 2023, Buch 18,– €, ISBN 978-3-89793-373-6

    Im Herbst 1973, nach dem Putsch, schickte die Auslandsaufklärung den »Offizier im besonderen Einsatz« (OibE) Rudolf Herz nach Chile. Sein Deckname: Kern, seine Legende: Außenhändler, seine Mission: gefährdete Chilenen vor der Junta in Sicherheit und außer Landes bringen. Zweimal war er im Einsatz – von 1973 bis 1975 und von 1978 bis 1983. Herz gehörte zu jenen, die in Chile den Opfern des faschistischen Terrors halfen und im Auftrag der DDR das Überleben sicherten. Darüber schreibt er. Herz alias Kern gehört zu den wenigen, die noch aus eigener Erinnerung berichten können. Authentisch, analytisch, anschaulich und lebendig.

    Missing
    https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Missing_(film,_1982)


    Ce récit est intéressant quand on le compare avec la trame de Missing , le film de Costa Gavras avec Jack Lemmon dans le rôle d’un père états-unien à la recherche désespéré de son fils disparu pendant le coup d’état.

    Le scénario est adapté du roman homonyme de Thomas Hauser, lui-même inspiré de l’histoire vraie d’un journaliste américain, Charles Horman (en). Horman a effectivement disparu lors du coup d’État du 11 septembre 1973, mené par le général Augusto Pinochet, qui renverse le gouvernement du président chilien Salvador Allende.

    #DDR #Chili #antifascisme #stasi #vidéo #histoire #témoignage

  • Aufgewachsen in der DDR : Wenn Träume unerfüllt bleiben
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/aufgewachsen-in-der-ddr-nicht-eingeloeste-traeume-li.375502
    Chacun a ses raisons pour ne pas réaliser ses rêves. En RDA la frontière visiblement imperméable remplissait ce rôle pour beaucoup. Pendant au moins vingt cinq ans seulement les plus téméraireres et le plus intelligents arrivaient à contourner « le mur » et découvrir de leurs propres yeux le monde entier. Voici l’histoire d’une spécialiste de la culture et de la langue française qui n’a jamais quitté la RDA.

    Soyons honnêtes, qui entre nous européens est assez attiré par les pays lointains pour y passer plus qu’un séjour touristique ? Qui est assez riche pour se rendre dans les contrées lointaines de ses rêves ? La plupart d’entre nous accepte un destin préconfiguré qui une fois arrivé á l’age adulte nous fait paraître une vie exceptionnelle hors de notre portée. En fin de compte nous sommes heureux de ne pas être obligés à dépasser les limites.

    4.8.2023 von Rahel von Wroblewsky| - Meine Mutter war Romanistin, sie hat an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin studiert, sie hat fließend Französisch gesprochen, sie hat Bücher aus dem Französischen übersetzt, Filme im Studio Camera in der Oranienburger Straße eingesprochen, französische Chansons gehört, Gedichte auf Französisch gelesen, aber sie war niemals in Frankreich oder in einem anderen frankophonen Land.

    Sie war 19, als die Mauer gebaut wurde und 47, als sie fiel. Die Ost-Berliner Jahre dazwischen waren, was fremde Sprachen und Kulturen anbelangte, karg. Es gab so gut wie keine französischen Muttersprachler:innen in diesem Teil der Stadt, mein Vater war einer der wenigen von ihnen, zwar Deutscher, aber im Exil seiner Eltern in Frankreich geboren, doch meine Eltern trennten sich, als ich ein Jahr gewesen war.

    Vor kurzem war ich in Marokko und habe meinen Freund besucht. Mein Freund ist in der Elfenbeinküste geboren, seine Muttersprache ist Französisch, und an einem Abend saßen wir mit seinen Freunden auf einer Terrasse in Marrakesch, wir aßen, tranken Wein, die Freunde sprachen auf Französisch, zwischendurch spielte mein Freund Gitarre und der Abend war nach der Hitze des Tages herrlich frisch.

    Das Essen war fantastisch, ich liebte es, der melodiösen Sprache zu lauschen, meinem Freund beim Spielen zuzuhören, ich sah auf die Palmen vor dem Haus bis zu den Bergen des Atlas am Horizont, und ich spürte, wie glücklich ich in diesem Moment war.

    Ich spreche kein Französisch, ich habe es nie gelernt. Mit siebzehn habe ich es kurz versucht, zwei Monate lang an einer Volkshochschule in Ost-Berlin, weil es an den meisten ostdeutschen Schulen keinen Französischunterricht gab, aber ich habe damit schnell wieder aufgehört. Es ergab keinen Sinn.

    Es gab niemanden, mit dem ich diese Sprache hätte sprechen können, geschweige denn ein Land, in das ich hätte fahren dürfen, um sie zu praktizieren. Mein Vater war mir damals fremd. Wir hatten keinen Kontakt, seit meine Eltern geschieden waren, und das Verhältnis zu meiner Mutter war nicht gut. Ich hatte keinen Bezug zu ihrer geliebten Sprache, vielleicht auch, weil ich kaum einen Bezug zu ihnen hatte, im Gegensatz zu meiner Großmutter, bei der ich aufgewachsen war.

    Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist das Lied „Bruder Jakob“, das meine Mutter mir manchmal auf Französisch vorgesungen hat. „Frère Jacques, dormez-vous?“. Ein unverständliches Lied aus einem abstrakten Land, von dem ich keinerlei Vorstellung besaß.

    Neben ihrem Studium der Romanistik hatte meine Mutter Theaterwissenschaften studiert. Nach dem Abschluss ist sie als Dramaturgin ans Volkstheater nach Bautzen gegangen, während ich in Berlin bei meiner Großmutter blieb.

    Später wurde ihr eine befristete Stelle am Berliner Ensemble angeboten, die nach einem Jahr in eine feste Stelle gemündet hätte, aber sie hat diese Stelle abgelehnt. Das Theater war ihr zweiter großer Traum.

    Einmal hat sie mir gegenüber erwähnt, sie hätte diese Stelle wegen mir nicht annehmen können, als alleinerziehende Mutter sei es zu unsicher gewesen, sich auf eine Probezeit einzulassen, und ich glaube, dass sie mir das zeit ihres Lebens unbewusst vorgeworfen hat.
    In der DDR aufgewachsen

    Nach dem Zwischenspiel in Bautzen hat meine Mutter keine Kunst mehr gemacht, sie hat sie nur noch verwaltet. Sie hat zuerst im Filmarchiv der DDR gearbeitet, später im Schriftstellerverband der DDR Autor:innen betreut.

    Sie war zuständig für die Dramatiker:innen und Kinderbuchautor:innen und manchmal hat sie eine Rezension für eine Zeitung geschrieben oder eine Kritik zu einem Theaterstück. Sie hat zugesehen, wie andere die Träume lebten, die sie sich verboten hat. Ins Theater ging sie nur noch als Zuschauerin und Frankreich blieb ihr nach wie vor verschlossen. Nach der Wiedervereinigung wurde der Schriftstellerverband der DDR aufgelöst und meine Mutter arbeitslos, davon hat sie sich nie wieder erholt.

    Sie hat noch ein paar Jahre in verschiedenen ABM-Stellen gearbeitet und Berlin danach verlassen. In ihren letzten Lebensjahren hatte sie sich nach Süddeutschland zurückgezogen und ihre Zeit damit verbracht, ein altes marodes Haus wiederaufzubauen, das sie in einem kleinen Dorf gekauft hatte, für wenig Geld. Ich habe nie verstanden, warum meine Mutter nach der Wende kein einziges Mal nach Frankreich gefahren ist.

    An diesem Abend auf der Terrasse in Marrakesch passierte etwas Seltsames mit mir. Vielleicht waren es die Palmen vor dem Haus, vielleicht der Klang der französischen Sprache, vielleicht eine Kombination aus beidem.

    Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass ich als Jugendliche der Überzeugung gewesen war, ich würde nie in ein Land reisen können, in dem es Palmen gibt. Ich musste daran denken, wie eingesperrt ich mich damals gefühlt hatte, wie ohnmächtig, mit dieser Mauer rundherum um mein Land. Wie groß meine Sehnsucht nach der Welt gewesen war.
    Eingesperrt gefühlt

    Wie gerne hätte ich im Ausland studiert, wie gerne eine andere Sprache erlernt. Als die Mauer sich öffnete, war ich 25, studierte Philosophie an der Ost-Berliner Humboldt-Universität und hatte eine Tochter, die ich allein großzog. Ich konnte nicht mehr so einfach ins Ausland gehen, und in den folgenden dreißig Jahren habe ich meine Träume vergessen.

    Ich habe an die Mauer nicht mehr gedacht, aber trotzdem war sie noch da. Ich trug sie in mir, sie hat mich seitdem begleitet, ohne dass ich sie wahrnehmen wollte, aber an diesem Abend in Marrakesch habe ich sie gespürt. Ich habe sie gespürt, weil sie plötzlich verschwunden war.

    Ich war draußen, ich war in der Welt, die ich als Jugendliche nur aus der Ferne hatte betrachten können, ich spürte dieses riesige Glücksgefühl, und in diesem Moment waren mir meine Eltern plötzlich ganz nah.

    Es ist nicht wahr, dass sie mir nichts mitgegeben haben, sie haben mich beeinflusst in meinem Lebensgefühl. Von ihnen habe ich meine Liebe zu Sprachen geerbt, ihre Liebe zur Literatur, durch sie habe ich gutes Essen und Trinken schätzen gelernt, und als mein Freund erzählte, dass sein Vater ein großer Weinkenner gewesen sei und wie genüsslich er bei Gesellschaften Weine dekantiert hatte, lächelte ich ihn wissend an.

    Manchmal habe ich mir vorzustellen versucht, wie sich meine Eltern gefühlt haben müssen, als die Mauer gebaut wurde, ohne Vorankündigung, über Nacht. Der Feuilletonist und Chronist der Berliner Stadtgeschichte Heinz Knobloch hat einmal darüber geschrieben: „Als Kind hatte ich vor, eines Tages bis zum Ende der Welt zu laufen. … Nun ist es selber gekommen. Man hat es vor der Haustür.“

    Ich stelle mir vor, dass es für meine Eltern so gewesen sein muss. Sie waren so jung, meine Mutter war 19, mein Vater 22 Jahre alt, sie waren Studenten, sie sprachen mehrere Sprachen, sie hatten Freunde in aller Welt, sie waren neugierig, abenteuerlustig, voller Pläne und Projekte, wie man es als junger Mensch eben ist – haben sie sich nicht amputiert gefühlt, zu Boden gerissen, mitten im Sprung?! Waren sie nicht mit einem Mal vollkommen abgeschottet, isoliert?!

    Mit der Mauer arrangiert

    Mein Vater hat mir einmal erzählt, sie hätten geglaubt, dass es nur eine vorübergehende Absperrung gewesen sei. Aber wie haben sie sich gefühlt, als sie begreifen mussten, dass diese Mauer für länger stehen bleiben wird? Wie haben sie sich mit ihr arrangiert?

    Ich bin 1964 geboren, hineingeboren in die ummauerte DDR, in den ummauerten Teil Berlins. Die Mauer war ein fester Bestandteil meines Lebens, ich habe versucht, sie zu verdrängen, aber gleichzeitig habe ich mir nie vorstellen können, dass sie eines Tages nicht mehr existiert.

    Für mich hatte sie den Charakter der Ewigkeit. Sie war der schmerzhafte Teil meines Lebens, an ihr endeten meine Träume, an ihr zerbrach meine Liebe zu einem Mann, der nach seinen Besuchen in den unerreichbaren Teil der Welt verschwand, hinter ihr fanden Konzerte statt, die ich niemals besuchen konnte, sie war der Ursprung meines Fernwehs, das bis heute an mir zerrt.

    Als sie sich nach 28 Jahren öffnete, erlebte ich die unglaublichste Nacht meines Lebens. Eine Nacht, die mir bis heute unwirklich erscheint. Natürlich bin ich nach der Maueröffnung durch die Welt gereist, anders als meine Mutter, ich bin in New York gewesen, in Buenos Aires, in Lima und in Wien, an der dänischen Ostseeküste, am Atlantik und am Mittelmeer, ich habe meinen Vater in Frankreich besucht, wo er inzwischen wieder lebt, ich war in Kambodscha, in Kroatien, in Italien und an vielen anderen Orten dieser Welt, aber nirgendwo konnte ich länger bleiben.

    Doch inzwischen bin ich frei. Meine Kinder sind erwachsen, nichts hält mich mehr zurück, und im nächsten Jahr werde ich für mindestens drei Monate ins Ausland gehen. Vielleicht nach Marokko, vielleicht an einen anderen Ort in der Welt, doch zunächst fange ich einen Französischkurs an.

    Ich träume davon, diese Sprache doch noch zu lernen, in einer Umgebung, in der ich sie hören, lesen, sprechen, riechen und schmecken kann. Die Mauer ist offen, sie existiert nicht mehr, seit 34 Jahren schon, sie kann mir nichts mehr anhaben, aber für meine Mutter kam ihre Öffnung zu spät.

    Als ich auf der Terrasse in Marrakesch an diese Zeit dachte, kamen mir die Tränen. Ich weinte nicht nur, weil ich so glücklich war, sondern auch, weil ich an meine Mutter denken musste, und ich habe mich dann verstohlen von der Gesellschaft weggeschlichen, mich auf die Brüstung der Terrasse gelehnt, meinen Tränen freien Lauf gelassen und dabei auf die Palmen vorm Haus und in die Ferne geblickt.

    Rahel von Wroblewsky, geboren 1964, ist Schriftstellerin und Lektorin. Sie lebt in Berlin.

    #DDR #voyage #culture

  • DDR-Bauten am Alexanderplatz : Warum testeten NVA-Soldaten die Statik des Pressecafés ? Karla Dahms war dabei
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/ddr-bauten-am-alexanderplatz-karla-dahms-warum-testeten-nva-soldate

    On discute beaucoup la place des femmes en RDA. Voici un témoignage qui peut intéresser les architectes et ingénieurs d’aujourd’hui.

    1.8.2023 von Maritta Adam-Tkalec - Als Karla Dahms, 79, in der Zeitung las, dass in das Pressecafé am Alexanderplatz mit einem neuen Betreiber wieder Leben einziehen soll, erinnerte sie sich an die Probleme, die die ersten Nutzer nach 1974 mit der kühnen, weit auskragenden Stahlkonstruktion hatten. Sie fand, der neue Mieter, der Berliner Gastronom Alexander Freund, sollte davon erfahren. Karla Dahms ist Diplom-Bauingenieurin und arbeitete zu den Zeiten, als all die neuen, modernen Bauten rund um den #Alexanderplatz entstanden, als Statikerin im Ingenieurhochbaukombinat Berlin (IHB).

    Der Betrieb saß in dem Gebäude in der #Karl-Liebknecht-Straße, vor dem der vier Meter hohe Bauarbeiter steht, 1968 von Gerhard Thieme in Bronze gegossen, und kraftvoll, bodenständig und visionär in die lichte Zukunft schaut. Viele nennen ihn „Goldfinger“, weil der Zeigefinger der linken Hand von vielen Berührungen blank ist. Karla Dahms nennt ihn „Prämienhalter“. Das wird zu erklären sein. Als Statiker hat sie zum Beispiel Teile des Hauses der Statistik berechnet, und bekam für die Arbeit die Medaille „Erbauer des Stadtzentrums“. Was sie über das Pressecafé berichtet, hat mit Schwingungen zu tun.

    Frau Dahms, was war damals mit dem Pressecafé los?

    Die Stahlkonstruktion mit der Auskragung wurde für geplante Lastenannahmen berechnet. Wenn diese nicht überschritten werden, ist die Konstruktion sehr sicher. Wenn also die Leute artig auf ihren Stühlen sitzen, gibt es kein Problem. Aber kurz nach der Eröffnung 1974 gab es Tanzveranstaltungen. Der Betreiber fand: Musik und Tanz müssen sein. Diese kleine Konzeptänderung hatte zur Folge, dass der Kaffee der Gäste, die im auskragenden Bereich saßen, überschwappte und in den Untertassen schwamm. Gäste und Personal haben das beobachtet. Was war die Ursache der Schwingungen?

    Und was passierte dann?

    Im Pressecafé wurden Belastungsproben durchgeführt. Erst suchte man Freiwillige aus unserem Betrieb, dem IHB, die als Testtänzer agieren sollten. Dann hat man zusätzlich Soldaten der Nationalen Volksarmee herbeigeholt, um verschiedene Tänze aufzuführen – alle möglichen Varianten, wie zum Beispiel Polka, bei der man stampfen musste, und auch Polonaisen. Bewegungen mit unterschiedlichen Tempos und Rhythmen. Da war die Bude voll mit mehreren Dutzend Uniformierten. Mehrere Varianten der Bestuhlung und der Tanzflächenlage wurden ausprobiert. Die erzeugten Schwingungen wurden gemessen. Unsere Abteilung war nicht zuständig, wir haben uns das aber aus Interesse angeschaut – und uns nebenbei über die NVA-Soldaten im Paartanz amüsiert. Eigentlich war das Pressecafé nicht als Tanzlokal geplant, weder hinsichtlich der Grundfläche noch der Statik.

    Wurde daraufhin am Bau etwas verändert?

    Es gab Überlegungen, den auskragenden Teil abzustützen. Doch das setzte sich nicht durch – der freie Durchgang unter dem „schwebenden Gebäudeteil“ sollte bleiben. Das Nein wurde städtebaulich-ästhetisch begründet. Und auch sonst ist an der Konstruktion nichts geändert worden.

    Was dann?

    Das Veranstaltungskonzept: Musik und Tanz durften nur noch im hinteren, nicht auskragenden Teil des Bereiches stattfinden. Die Kapelle bekam einen dementsprechenden Platz. Auch Disco war möglich, aber eben nur im genannten Bereich. Wildes Toben war auszuschließen. Diese Veränderungen wurden realisiert. Herr Freund will ja oben, im ehemaligen Pressecafé, viele Steakesser an langen Tischen platzieren und auch Musik im Restaurant haben. Deshalb empfehle ich, sich die Statik und die Nutzungspläne der Architekten anzusehen, sonst schwappt der Kaffee wieder über den Tassenrand.

    Gab es an anderen Gebäuden ähnliche Probleme?

    Einmal rutschte eine an der Außenfassade des Centrum-Warenhauses, heute Galeria Kaufhof, gegenüber vom Hotel, vorhandene Außentreppe ab. Man dachte offenbar zuerst, da sei Sabotage im Spiel gewesen. Das musste also untersucht werden. Die Abteilung Statik, in der ich arbeitete, musste den Nachweis führen. Das Ergebnis: In einem U-Bahn-Tunnel unter der Treppe hatte es gebrannt, die stählernen Stützpfeiler hatten sich verformt, die Tragfähigkeit des Untergrundes war nicht mehr gegeben. Diesen Zusammenhang hatte man zunächst nicht erkannt. Wir kamen zudem zu dem Ergebnis, dass es keine Fehler in der Statik gab und keine Gefahr für das Gebäude bestand.

    Waren Sie als Bauingenieurin in den 1960er- und 1970er-Jahren eine Seltenheit?

    In meiner Abteilung waren wir von neun Mitarbeitern drei Frauen – solche wie ich. Wir waren präsent, aber es war schon noch eine Männerwelt.

    Erzählen Sie mal …

    Also, nehmen wir zum Beispiel die Prämien. Wir haben ja alle nicht so viel verdient, zum Beispiel netto 620 Mark der Deutschen Notenbank (MDN). Daher waren Prämien wichtig. Jeder kannte die Gehaltshöhe aller anderen. Auch die Prämienvergabe lief öffentlich ab, da handelte es sich manchmal um fünf DDR-Mark mehr oder weniger für den oder die. Es ging ja auch um die Anerkennung der eigenen Leistung. Prämien gab es zum Beispiel zum Frauentag am 8. März, zum Tag des Bauarbeiters am 22. Juni und zum Republikgeburtstag am 7. Oktober und schließlich die Jahresendprämie. Ich wollte NIE anlässlich des Frauentages prämiert werden – ich wollte mich an den männlichen Kollegen messen, meiner Qualifikationsstufe entsprechend. Ich bin schließlich Ingenieur! Aus meiner Sicht war Gleichberechtigung gegeben – ich hatte keine Probleme mit der Anerkennung. Auch drei Kinder waren unproblematisch, man nahm Rücksicht aufeinander. Unser Chef war kirchlich orientiert, deshalb sind wir am 1. Mai nicht zur Demonstration gegangen, sondern haben Brigadeausflüge gemacht, zum Beispiel in den Spreewald.

    Sie nennen den Bauarbeiter, die Skulptur des proletarischen Helden, „Prämienhalter“. Warum?

    Vor allem war dieser Bauarbeiter wie ein Vertreter der Beschäftigten des IHB, quasi wie ein Maskottchen. In dem neuen Gebäude an der Karl-Liebknecht-Straße, gleich neben dem Pressehaus, hatten alle Betriebsteile unseres Hochbaukombinats ihren Sitz gefunden. Für den Spitznamen „Prämienhalter“ war die ausgestreckte, obere Hand ideenstiftend: Er hielt die Hand hin für die über unser Gehalt hinausgehende Prämie, die da kommen sollte – also das, was wir wollten.

    Wie sind Sie Bauingenieur geworden?

    Das hat mit dem Mauerbau zu tun. Ich hatte im Sommer 1961 die 11. Klasse im Schiller-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg in einer sogenannten Ost-Klasse absolviert. Wir freuten uns auf die 12. Klasse, beginnend im September. Dann kam der 13. August, und nach den Ferien konnte ich meine Schule nicht mehr erreichen, denn ich wohnte ja in Karlshorst, also in Ost-Berlin. Das Abitur konnte ich erst mal vergessen, denn im Osten nahm man mich mit meiner West-Schullaufbahn in keiner Oberschule auf. Eigentlich wollte ich Lehrerin oder Rechtsanwältin werden. Meine Mutter ging mit mir zur Berufsberatung. Da saßen viele Vertreter von Betrieben, die ihre Lehrlingszahl erhöht hatten, um Jugendlichen wie mir Lehrberufe zu ermöglichen. Mir wurden zum Beispiel Berufe wie Bonbonkocher angeboten, solche in der Metallverarbeitung und Gastronomie. Das kam für mich nicht infrage. Schließlich tauchte das Angebot Hochbauzeichner auf. Weil ich zusagte, kam ich zum Bauwesen.

    Also eine Berufsausbildung …

    Ja, von 1964 bis 1967, und nach Lehrabschluss ging es an die Fachschule in Cottbus. Da wurde ich nach drei Jahren Direktstudium Hochbauingenieur im IHB: Ingenieur für Statik, und das ist mir gut bekommen. Als ich schon Mutter von drei Kindern war, kam dann 1971 bis 1973 die Chance, im Fernstudium den Hochschulabschluss zu machen und 1975 meine Diplomarbeit zu schreiben.

    Wie haben Sie denn das geschafft?

    Jeden Donnerstag bis Sonnabend waren die Seminare in #Cottbus. Also fuhr ich zum Studium und zurück, und mein Mann hat sich rundum um die Kinder gekümmert. Wenn ich am Sonnabend am späten Nachmittag nach Hause kam, war der Tisch gedeckt. Er hatte mit den Kindern gebacken. Das war schön und gab Kraft. Als dann mein Mann ein Fernstudium in Weimar absolvierte, habe ich mich eben um die Kinder gekümmert.

    Wie haben Sie die deutsche Vereinigung erlebt?

    1977 war ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Bauakademie gewechselt. Sie wurde 1990 evaluiert und aufgelöst. Ich habe mich 1993 schließlich mit einem Ingenieurbüro selbstständig gemacht – ein Planungsbüro für Bauwerkserhaltung. Große, renommierte Firmen, die Plattenbauten instand setzen wollen, brauchten mein Wissen. Ich habe viele Vorträge auf Informationsveranstaltungen gehalten, mein Bekanntheitsgrad stieg. Es gab viel zu tun – so habe ich die Instandsetzung von Hochhäusern von der Planung bis zur Ausführung geleitet, zum Beispiel in Rostock-Lütten Klein und Rostock-Evershagen. Skelettbauten, mit und ohne Stelzen. Komplizierte Sachen. Ein Höhepunkt: Ich war Gutachterin für das Museumsprojekt „phæno“ der berühmten Architektin Zaha Hadid in Wolfsburg.

    #DDR #Berlin #Allemagne #femmes #architecture #histoire

  •  »Wir mussten uns immer etwas einfallen lassen« 
    https://www.jungewelt.de/artikel/455343.werksleiter-in-der-ddr-wir-mussten-uns-immer-etwas-einfallen-lassen

    L’industrie de l’état socialiste allemand comprenait plusieurs entreprises qui fabriquaient des produits de meilleure qualité que ceux des concurrents occidentaux. Dans son autobiographie le directeur d’usine Wolfgang Beck raconte comment c’était possible. Sa conclusion : l’organisation de la production selon les principes socialistes est plus humaine et efficace que celle pratiquée sous les régimes capitalistes - mais le pouvoir absolu du parti SED empêchait son succès.

    Cet article corrige quelques mythes et mensonges que les médias de la classe au pouvoir ne cessent de colporter.

    22.7.2023 von Arnold Schölzel - Als Teil der VEM-Firmengruppe wird bis heute in Wernigerode produziert. Archivfoto vom Tag vor der 40-Jahr-Feier (15.11.2001)

    Als damals jüngster Betriebsdirektor der DDR wurden Sie 1984 mit 34 Jahren Chef des Elektromotorenwerks Wernigerode. Allein dort gab es mehr als 3.000 Beschäftigte, an anderen Standorten noch mehr, und Sie exportierten in 47 Länder. Ihre Motoren waren der Konkurrenz auf dem Weltmarkt technisch überlegen. Ihrem Buch entnehme ich: Ein Betriebsdirektor war zwar für Produktion und Planerfüllung verantwortlich, zugleich aber auch für so ziemlich alles, was es in der sozialistischen Industrie sonst noch gab: Kantinen, Sozialeinrichtungen, Frauentagsfeiern, Feuerwehr, Zivilverteidigung, Kampfgruppen, Sportvereine, Stadtfest und vieles andere. Ich habe mir beim Lesen gesagt: Das kann niemand bewältigen. Ging offenbar doch, aber wie?

    Es stimmt, wir Betriebsdirektoren mussten alles organisieren und einigermaßen in der Materie Bescheid wissen. Da half zum Beispiel, dass wir uns untereinander kannten, uns austauschten und Partisanenaktionen starteten, wenn es eng wurde. Das passierte zum Beispiel beim Import von Kugellagern. Immer am Jahresende wollte der Generaldirektor des zuständigen Importbetriebes wenig Devisen ausgeben, weil davon seine Jahresendprämie abhing. Der Generaldirektor meines Kombinats erhielt die aber für realisierte Exporte – ein echter Interessenkonflikt. Ende 1984 wurden mal wieder die Kugellager nicht geliefert. Ich telefonierte mit Schweinfurt und verabredete eine Direktzustellung. Wir machten einen Lkw der Kampfgruppe einsatzbereit, ich besorgte über die Kreisdienststelle der Staatssicherheit alle Genehmigungen. Von Schweinfurt rollten zwei Tonnen Kugellager Richtung Grenze, beide Fahrzeuge trafen sich im Niemandsland, und alles wurde unter Bewachung umgeladen. Nach 24 Stunden lief unsere Produktion wieder. Das Nachspiel: Der Importbetrieb alarmierte die Bilanzinspektion der DDR wegen angeblichen Missbrauchs von Valutamitteln und illegaler Einfuhr und schickte sie los, um die Kugellager zu beschlagnahmen. Wir behaupteten einfach, alles sei schon verbaut. Für mich gab es ein Disziplinarverfahren, das nach einigen Monaten eingestellt wurde.

    Wir hatten eine andere Perspektive als die Generaldirektoren der Kombinate. Wir standen praktisch Tag und Nacht Gewehr bei Fuß. Ich war oft schon um fünf oder vier Uhr im Betrieb. Wenn ich meinen Rundgang machte, wusste ich genau, wo ich hinsehen musste: Da stand manche Flasche, obwohl Alkohol strikt verboten war – wir hatten nicht nur friedliche Schäfchen in der Produktion.

    Und hinzu kamen Leute auf der Leitungsebene, die nicht sehr sympathisch waren, weil sie Wasser predigten und Wein tranken. Ihr Parteisekretär gehörte ja offenbar dazu.

    Ja, der »rote Riese« – wir sind nie richtige Freunde geworden. Verallgemeinert gesagt, betrachte ich es als einen der Krebsschäden des sozialistischen Systems, dass sich die Partei in alles eingemischt hat. Manches war sicher akzeptabel, aber vieles ging über jede Hutschnur. Und mein Exemplar von Parteisekretär war auch noch vom Stamme »Nimm«.

    Diese Einmischung, die Sie im Buch schildern, ging sehr weit, ob das die Planvorgaben waren oder die Organisation im Betrieb.

    Das war wie eine doppelte Buchführung. Wir haben einmal an die Partei berichtet, einmal meinem Generaldirektor, und dann kam noch die staatliche Ebene. An die SED hat nur der Parteisekretär berichtet und ließ sich dafür von mir die Zahlen geben.

    Außerdem wollten das Statistikamt, der Beauftragte des Zentralkomitees der SED, Ministerien und der Außenhandel Berichte von Ihnen.

    Es herrschte das staatliche Außenhandelsmonopol, schon weil unsere Währung nur eine Binnenwährung war. Wir in den Betrieben waren für die Außenhändler eine Art Fachidioten, die für die Geschäfte leider benötigt wurden. Die Valuta, die mit unseren Produkten eingenommen wurden, haben wir in der Regel nicht gesehen. Das führte zu Gerüchten in der Belegschaft. 1989 standen Arbeiter vor meinem Büro und forderten die Herausgabe der Westmark, aber in meinem Tresor war keine.

    Ihre Produkte waren auf dem Weltmarkt sehr erfolgreich. Woran lag das?

    In Bangkok sah ich 1986 ein Förderband mit einem VEM-Motor – VEM hieß kurz unser Kombinat. Unsere Motoren kann man nämlich von weitem erkennen, sie hatten ein besseres Design als andere. Ein Elektromotor hat hinten immer einen Lüfter, und deren Schutzhauben sind in der Regel rund, unsere hatten gerundete Ecken. Wir hatten aber auch technisch etwas voraus. Wenn wir Bleche für die Motorengehäuse aus Eisenhüttenstadt erhielten, steigerten wir bei uns im Werk im Glühverfahren die Effizienz. Die westlichen Bleche hatten eine Isolationsschicht aus dünner Folie oder Lack, wir schufen eine Isolationsschicht durch Oxidierung. Die war um ein Vielfaches dünner als bei den westlichen Blechen, und der Motor hatte eine höhere Leistungsfähigkeit. Die Isolation zwischen den Blechen ist aus physikalischen Gründen nötig, aber die Dicke der Schicht bestimmt die Energieausbeute. Das Verfahren hat Günther Warnecke in Wernigerode entwickelt. Es war einmalig, und wir konnten die Leistung der Motoren fast eine Achse tiefer anlegen.

    Was bedeutet das?

    Die Höhen zwischen Boden und der Motorwelle, die vorn rausguckt, werden nach energetischer Leistung gestaffelt, Achshöhen nennt man das (Richtmaß für den Abstand zwischen dem Mittelpunkt der Welle und der Auflagefläche eines Fußmotors, jW). Und da schnitten wir gut ab. Wir haben zum Beispiel Motoren nach Carrara in die Marmorsteinbrüche geliefert. Die Marmorblöcke werden mit sogenannten Seilsägen geschnitten, der Antrieb dafür kam aus Wernigerode.

    Warum kam die Konkurrenz nicht auf die Idee mit der Oxidschicht?

    Wir verfügten über preiswertes Gas und Öl aus der Sowjetunion in Fülle. Die Glühöfen für die Bleche waren gasbetrieben. Auf der anderen Seite wurden wir vom Westen genug gebeutelt. Viele Dinge, die wir benötigten, standen auf der Cocom-Liste, der Embargoliste des Westens, die es seit 1949 gab – ein Produkt des antikommunistischen Wütens mit McCarthy und anderen in den USA an der Spitze. Vieles konnten wir nur über den DDR-Außenhandelsbetrieb Koko (»Kommerzielle Koordinierung«, jW) Alexander Schalck-Golodkowskis erhalten, das heißt unter Umgehung von Cocom.

    1988 sollten bestimmte Arbeiten für die Motoren ins Ausland verlagert werden. Elmo Wernigerode sollte das in Mönchengladbach machen. Was war da los?

    Erich Honecker war 1987 in der BRD, und davor gab es in der DDR eine große Amnestie. Damit verlor ich die mehr als 400 Leute im Knast, die für uns arbeiteten – allesamt keine politischen Gefangenen, sondern Mörder und andere Schwerverbrecher. Einige schafften es nach der Freilassung nur bis zum Bahnhof in Brandenburg an der Havel, brachen irgendwo ein oder klauten Alkohol aus dem Bahnhofskiosk. Wir hatten danach für die großen Motoren keine Wickelkapazitäten mehr und holten Leute aus der Verwaltung. Dann kam der Befehl, das nach Mönchengladbach zu verlagern, obwohl ich durch meine guten Kontakte nach Italien ein Angebot aus Malta hatte, das preisgünstiger war. Die Regierung dort wollte mit enormen Fördermitteln Industriearbeitsplätze aufbauen. Wir hatten mit Mönchengladbach nur Verluste, aber es ging darum, unsere Märkte weltweit zu sichern. Wir konnten keinem Kunden erzählen, dass wir nicht liefern können, weil wir eine Amnestie hatten.

    Warum gab es nach Italien so gute Kontakte?

    Unsere Motoren waren den italienischen, zum Beispiel von Marelli, weit überlegen. Das lag an einer technischen Besonderheit: Elektromotoren haben oben den Anschluss für das Stromkabel, nennt sich Klemmbrett. Die Italiener hatten dafür keine vernünftigen Lösungen und ihre Motoren rauchten immer wieder ab.

    Sie schildern im Buch eine Sabotageaktion an einem Motor, der dann in die Bundesrepublik geliefert worden war. Gab es so etwas öfter?

    Besonders die Jungs im Knast waren nicht zimperlich. Trotz strenger Kontrolle der fertigen Motoren passierte das – sie hatten eine Schraubenmutter in einen Wickelkopf gesteckt. Bei jedem Anlauf des Motors entwickeln sich dort große Kräfte, irgendwann scheuert das Kabel durch, und dann ist es passiert. Aber so etwas war die absolute Ausnahme.

    Wir führen dieses Gespräch am 5. Juli. In der heutigen Rheinischen Post aus Düsseldorf ist unter der Überschrift »Die Bahnkrise hat System« zu lesen: »Angesichts ihres hohen Marktanteils ist es der Bahn egal, ob Züge ausfallen oder zu spät kommen. An dieser DDR-Mentalität setzt die Monopolkommission an und fordert eine Aufspaltung. Richtig so.« Das schreibt die Wirtschaftschefin der Zeitung fast 33 Jahre nach dem Ende DDR. Was denken Sie, wenn Sie so etwas lesen?

    Purer Hass. Ich war vor 14 Tagen zur Lesung aus dem Buch »Der Osten: eine westdeutsche Erfindung« von Dirk Oschmann. Interessant waren die Gespräche der Leute hinterher: Was bin ich gewesen? Wo komme ich her? Es ging um die soziale Heimstatt der Menschen im Betrieb. Bei allen Problemen und allem Ärger, die das Arbeitsleben mit sich bringt – diese vermissen sie heute. Daher kommt der Frust. Die Menschen möchten kommunizieren und fragen nach anderen, neuen Möglichkeiten. Es geht nicht darum zu jammern, sondern das Ganze sachlich darzustellen. Ich bin kein Philosoph, sondern Techniker, für mich ist der rechte Winkel immer noch ein rechter Winkel und hat nicht 60 Grad. Gestern aber lief im Fernsehen der Film »Ein Tag in der DDR«, und ich staune, wie sie uns darstellen. Das erste, was ich sah: Diese Bierflaschen gab es in der DDR nicht, und die Bierkästen sahen anders aus. Dann haben sie noch einen alten verrosteten Laster ausgegraben. Bei aller Liebe: Solche Dinger gab es in der DDR nicht. Die Behauptung, dass die gesamte Wirtschaft marode war, ist Propaganda.

    Der Westen wundert sich, warum das Gedächtnis der DDR-Leute so lebendig ist – und damit auch die DDR. Wie erklären Sie sich das?

    Wir haben zwei Gesellschaftssysteme kennengelernt, können vergleichen und abwägen. Das führe ich im Buch ja vor. Es ist eine Hommage an alle Betriebsdirektoren, die das erlebt haben. Mir hat einer gesagt, wenn ich noch ein paar Dinge aus meinem Betrieb nehme und die einsetze, stimmt alles überein. Wie gesagt: Der Betrieb die soziale Heimat!

    Das Buch enthält eine exemplarische Geschichte?

    Wir mussten uns immer etwas einfallen lassen. Im Studium war insbesondere das dialektische Denken des Marxismus-Leninismus wichtig. Ich finde, das sollten Studierende heute wieder lernen, die Grundgesetze der Dialektik. Das wollte ich unbedingt auch in meinem Buch drin haben. Diese Denkweise eröffnet auch Blicke in die Zukunft, hin zu dem, was ich Bedarfsökonomie nenne und bei den Inuits gefunden habe: Man darf nur das verbrauchen, was tatsächlich benötigt wird. Aber wo sind wir heute? Zumal, wenn ich sehe, dass alle Haushalte gekürzt werden, nur der fürs Militär nicht.

    Die Vielzahl Ihrer Funktionen ist unglaublich. Sie waren Abgeordneter im Bezirkstag und schließlich auch in der Volkskammer. War das nicht einfach zu viel?

    Das war es, und ich habe irgendwann auch »Schluss« gesagt. Aber die Tatsache, dass das Elmo noch Bestand hat, hat damit zu tun, dass ich als Volkskammerabgeordneter einen guten Draht in die Modrow-Regierung hatte. Sonst hätten die uns platt gemacht wie andere Kombinate und Betriebe auch. Ich war in der Arbeitsgruppe, die das Kombinat 1990 in eine Aktiengesellschaft umwandeln sollte, der einzige Betriebsdirektor. Ich war kein großes Licht, aber wir haben sehr schnell mitbekommen, dass die Treuhandgesellschaft kommt. Außerdem kannte ich ihren ersten Direktor, dessen Name heute fast vergessen ist: Peter Moreth von der LDPD in Magdeburg. Er hat uns im Elmo besucht, und wir haben zusammen die erste GmbH der DDR gegründet. Später habe ich auch Detlev Karsten Rohwedder kennengelernt, der ab August 1990 die Treuhand zunächst kommissarisch leitete. Ich kann nur sagen: Er war sehr, sehr vernünftig. Zu mir sagte er zum Beispiel: »Sorgen Sie dafür, dass Ostdeutschland nicht das Land der Tochterunternehmen wird.« Ich bin darum heute noch der Meinung, dass nicht die RAF Rohwedder ermordet hat. Es reicht, sich anzuschauen, was danach kam.

    Die Figuren aus dem Westen, die bei Ihnen im Betrieb auftauchten, schildern Sie jedenfalls als unfähige Clowns. Welche Firma konnte sich dann das Elmo unter den Nagel reißen?

    Als Birgit Breuel an die Macht in der Treuhand kam, wurden sogenannte Management-KGs geschaffen. Ich nannte das die Klubs der Schwererziehbaren. Das Elmo hatte sich ja bewährt, und wir wollten jetzt eine vernünftige Umbewertung in D-Mark. Aber dann tauchte Adolf Merck­le auf, der durch Ratiopharm unheimliche Gewinne erzielte und Milliardär geworden war. Er erhielt von der Treuhand eine Mitgift zur Übernahme von VEM, das heißt einen Verlustvortrag von 800 Millionen, vielleicht sogar einer Milliarde D-Mark. Er übernahm den ganzen VEM-Verbund und dazu Immobilien, die er zunächst gar nicht wollte. Wir besaßen zum Beispiel ein wunderschönes Ferienheim in Altenberg sowie ein Gästehaus, ein Jugendklubhaus und eine Skihütte. Das passte alles nicht in eine Kapitalgesellschaft. Sie sind aber heute noch in der VEM Immobilien GmbH im Besitz der Merckle-Gruppe. 2017 erwarb dann eine chinesische Unternehmerfamilie die drei profitabelsten deutschen VEM-Standorte. In Wernigerode arbeiten heute noch 300 bis 350 Leute.

    Sie haben in Blankenburg einen Betrieb gegründet. Was wird da produziert?

    Wir haben in Wernigerode angefangen, Speziallacke zu entwickeln. Mit Nanopartikeln lassen sich funktionale Lacke herstellen – wärmeleitende, antimikrobakterielle und andere. Als Mikroelektroniker kannte ich mich bereits mit kleinen feinen Teilen aus. Und so gibt es heute einen Spezialklebstoff, mit dem zum Beispiel Solarzellen zwecks Kühlung verklebt werden können. Solarzellen haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, sich bei Sonneneinstrahlung zu erwärmen, wodurch ihre Leistung sinkt. Wird aber die Solarzelle wie in unserer Energiebox gekühlt, erhöht sich ihr Wirkungsgrad – und zwar erheblich. Das Prinzip solcher Thermogeneratoren hat der Physiker Thomas Seebeck bereits 1821 entdeckt. In afrikanischen Ländern können so ganze Dörfer bei geringem Aufwand mit Strom und Wasser versorgt werden. Ich habe noch sehr gute Kontakte nach Uganda, weiß aber auch, dass zum Beispiel in Tansania die Entsalzung von Meerwasser, das ins Grundwasser eindringt, ein großes Problem ist. Das kann mit unserer Energiebox gelöst werden. Ein weiteres Beispiel ist Bangladesch: Das Wasser, das aus dem Himalaja kommt, ist stark mit Arsen belastet. Die Entgiftung wird mit geringen Kosten hier möglich.

    Der Titel Ihres Buches lautet: »Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft«. Warum sind Sie so davon überzeugt?

    Erstens bin ich der Meinung, dass die Entwicklung immer weitergeht.

    Die technische?

    Auch die gesellschaftliche. Zweitens wollte ich ein bisschen das Denken anheizen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das sozialistische Wirtschaftssystem unheimlich gute Ansätze hat – wenn man die Partei aus ihnen rausnimmt. Am Ende meines Buches habe ich als Fazit acht Thesen formuliert, die sich mit dem produzierenden und dem verbrauchenden Teil der Gesellschaft befassen. Ich halte zum Beispiel überhaupt nichts davon, dass wir die Gesundheitsversorgung am Kommerz und nicht am Bedarf orientieren. In einer der Thesen steht, dass das, was wir in der DDR an kostenloser Bildung genießen durften, heute überall zu vermissen ist. Auf der einen Seite hat die Parteiherrschaft im Betrieb, der Lobbyismus, nichts zu suchen. Auf der anderen Seite muss die gesamte gesellschaftliche Struktur auf anderen Grundlagen als heute stehen, zum Beispiel dem Prinzip der materiellen Interessiertheit. Das steckt hinter dem Titel.

    Dr.-Ing. Wolfgang Beck wurde 1950 geboren, studierte an der Technischen Universität Dresden Elek­trotechnik und arbeitete ab 1975 in seiner Heimatstadt Blankenburg am Harz im Forschungs- und Entwicklungswerk der Deutschen Reichsbahn. 1984 wurde er zum damals jüngsten Betriebsdirektor der DDR berufen und leitete den VEB Elektromotorenwerk (Elmo) Wernigerode bis zur Übernahme durch eine westdeutsche Firma.

    Im Frühjahr erschien Wolfgang Becks Autobiographie »Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft« (Rohnstock-Biografien/THK- Verlag, Arnstadt 2023, 267 Seiten, 19,90 Euro)

    #DDR #Allemagne #histoire #biographie #industrie #socialisme

  • BMW aus DDR-Produktion siegt bei Oldtimerschau
    https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/beitraege/2023/07/bmw-ddr-gewinn-oldtimer-schau-bad-saarow.html


    Ein alter BMW aus DDR-Produktion

    19.7.23 Antenne Brandenburg, Frank Mauske - Zwischen über hundert Oldtimern zog ein aus DDR-Zeit stammender BMW die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Als eins von 50 Stück weltweit hat das Auto einen historischen Wert, von dem viele Besucher erst am Wochenende erfahren haben.

    Den Pokal für das besterhaltene Original gewann am Sonntag bei der Oldtimerschau in Bad Saarow (Oder-Spree) ein BMW aus der DDR. Der unrestaurierte Oldtimer stammt aus Eisenach und sei im Jahr 1955 als einer von 150 Exemplaren gebaut worden, sagte Besitzer Frank Mauske dem rbb.

    Heute gebe es nur noch 50 solcher Autos. Der Besitzer ist sich sicher: „In dem Zustand gibt es mit Sicherheit weltweit kein Weiteres.“ Denn Mauske habe den Oldtimer nie neu lackiert oder gepolstert. Der Erstlack sei unwiederbringlich und der unrestaurierte Zustand nicht reproduzierbar.

    Skepsis von Besuchern

    Viele Besucher der „Bad Saarow Classics“ Veranstaltung sollen daran gezweifelt haben, ob der BMW tatsächlich aus der DDR stammt. Mauske könne die Skepsis der Leute verstehen, denn das Auto sei nicht repräsentativ für die DDR-Zeit.

    „In der DDR brauchte man natürlich andere Wagen als schöne Coupés und Cabrios“, so Mauske. Leute wie beispielsweise Dramatiker Bertolt Brecht, Dichter Johannes R. Becher und Naturwissenschaftler Manfred von Ardenne seien Besitzer solcher Autos gewesen.


    Innenraum eines BMW aus DDR-Produktion | Bild: rbb

    Ein toller Zeitzeuge

    Das Auto sei eine Vorkriegskonstruktion, aus dessen Restteilen nach dem Krieg weitergebaut wurde, sagte der Autoexperte Ulf Schulz dem rbb. „Das Tolle ist, dass es sozusagen die letzte BMW-Zeit in Eisenach widerspiegelt.“

    Denn kurz danach habe der Wartburg-Pkw des Automobilwerks Eisenach den BMW in der Eisenacher Produktionslinie ersetzt. Zudem habe BMW nicht mehr in der DDR unter dem Namen „Bayrische Motorenwerke“ produzieren wollen. Demnach sei der Gewinner der Oldtimerschau: „Eine tolle Geschichte und ein toller Zeitzeuge“, sagte der Autoexperte.

    Gerade deshalb gehe Besitzer Mauske auch so vorsichtig mit seinem Exemplar um und fährt das Auto nur zu besonderen Anlässen wie zur Oldtimerschau. Im Rahmen des hundertjährigen Jubiläums von Bad Saarow galt das Motto der diesjährigen Oldtimerschau „100 Jahre Mobilität“. Über 100 Oldtimer sollen ihre bis zu 90 Jahre alte Technik hier vorgestellt haben.

    BMW 327
    https://de.wikipedia.org/wiki/BMW_327#EMW_327

    Der BMW 327 ist ein Tourensportwagen, den die Bayerischen Motoren Werke von 1937 bis 1941 in ihrer Zweigniederlassung Eisenach bauten. Die Karosserien lieferte der Berliner Hersteller Ambi-Budd. Während der vierjährigen Produktionszeit wurden 1606 Cabriolets und 265 Coupés hergestellt.

    Fahrwerk und Karosserie
    Der Wagen hat den gleichen, jedoch verkürzten Kastenrahmen wie die Limousine BMW 326. Die Vorderräder sind an oberen Querlenkern und einer unteren Querblattfeder aufgehängt. Hinten hat der BMW 327 eine Starrachse an zwei Längsblattfedern. Die Fußbremse wirkt hydraulisch auf alle vier Räder, die Handbremse mit Seilzug auf die Hinterräder.

    Die Gelenke der Achsen werden über eine Zentralschmieranlage mit 4,75 mm dicken Leitungen geschmiert, die der Fahrer etwa alle 30 km bei Nässe und 50 km bei Trockenheit während der Fahrt mit einem Fußhebel im Innenraum zu betätigen hat. Die damals üblichen Schmiernippel gibt es nicht.[1]

    Als Karosserievarianten wurden ab 1937 ein zweitüriges 2+2-sitziges Cabriolet und ab 1938 ein entsprechendes Coupé angeboten, alle in der damals zeitgemäßen Stromlinienform. Um der Frontscheibe eine leichte Keilform zu geben, ist sie in der Mitte durch einen Steg geteilt. Auch das Heckfenster des Coupés ist zweiteilig. Das von außen zugängliche Reserverad liegt verdeckt im Heck. Ein kleiner Kofferraum, unter dem sich der Kraftstofftank befindet, ist nur von innen zu erreichen. Die Türen des Cabriolets sind vorn, die des Coupés hinten angeschlagen.

    Hergestellt wurden die Karosserien in der damals gebräuchlichen Gemischtbauweise, das heißt, ein auf den Rahmen aufgesetztes Holzgerüst trägt die Blechaußenhaut.

    Motor und Getriebe
    Der längs hinter der Vorderachse eingebaute 6-Zylinder-Reihenmotor mit einem Hubraum von 1971 cm³ stimmt im Wesentlichen mit dem Motor des BMW 326 überein. Er hat eine über Duplexkette angetriebene seitliche Nockenwelle, hängende Ventile und zwei Solex-Flachstromvergaser. Durch eine höhere Verdichtung (1 : 6,3 statt 1 : 6) und eine von 3750 min−1 auf 4500 min−1 angehobene Drehzahl leistet er allerdings 55 (40 kW) statt 50 PS (37 kW).

    In der sportlicheren Version BMW 327/28 mit dem Dreivergasermotor des BMW 328 werden 80 PS (59 kW) erreicht. Äußerlich ist diese stärkere Variante nur an den Rädern mit Zentralverschluss-Flügelmutter und einem geänderten Tachometer zu erkennen.

    Eine Einscheibentrockenkupplung und das Getriebe liegen hinter dem Motor, von wo die Kraft über eine Kardanwelle an die Hinterräder gelangt. Das Getriebe hat vier Vorwärtsgänge und einen Rückwärtsgang. Synchronisiert sind bei dem anfänglichen Hurth-Getriebe nur der dritte und vierte Gang; der erste und zweite Gang haben einen Freilauf. Das spätere ZF-Getriebe ist vollsynchronisiert. Der Schalthebel liegt in Wagenmitte.

    ...

    Die Produktion von EMW-327-Cabrios (unter der Bezeichnung EMW 327/2) wurde 1952 von Eisenach in das Karosseriewerk Dresden verlagert. Das Werk in Eisenach lieferte hierfür weiterhin die Fahrgestelle und Motoren nach Dresden. Von 1952 bis 1955 wurden etwas mehr als 500 Stück gefertigt.

    In den Jahren 1953 bis 1955 wurde zudem eine Coupé-Version des 327 (unter der Bezeichnung 327/3) in Handarbeit gefertigt. Am EMW-Coupé waren die Türen, im Gegensatz zum Vorkriegs-BMW Coupé, vorne angeschlagen. Es wurden, vornehmlich für den Export, 152 Exemplare gebaut.

    #DDR #BMW #Oldtimer

  • Das ehemalige Pressecafé am Alexanderplatz öffnet wieder
    https://www.berliner-zeitung.de/news/das-ehemalige-pressecafe-am-alexanderplatz-oeffnet-2024-wieder-li.3

    Das Pressecafe am Alexanderplatz war in Ostberlin bekannt als Treffpunkt von afrikanischen Studenten und Diplomaten. Es wurden Geschäfte im kleinen Ost-West-Handel gemacht. Dank Reisefreiheit für Ausländer und unkontrollierten Diplomatenkoffern war vieles möglich. Die Kollegen vom VEB Horch und Guck immer mit dabei. Auch die Damen der Hauptstadt mit Hang zu exotischen Bekanntschaften zog es ins Pressecafe. Es war ein Ort der öffentlichen Privatsphäre.

    10.7.2023 von Xenia Balzereit - Das Pressecafé im Haus des Berliner Verlags öffnet im Frühjahr 2024 wieder. Der Berliner Gastronom Alexander Freund will den Pavillon mit zwei gastronomischen Angeboten betreiben. In die untere Etage soll den Plänen zufolge wieder ein Pressecafé einziehen – eines, das sich in seiner Ästhetik an das alte DDR-Pressecafé und das inzwischen wieder freigelegte Fries von Willi Neubert anlehnt. In der oberen Etage greift künftig der BEAST Berlin Steakclub die Steakhaus-Vergangenheit des Gebäudes auf.

    Im Steakclub bietet Freund dann klassische Gerichte der US-Steakhouse-Kultur: Steak Cuts, Spare Ribs und Burger. Es soll aber auch vegane Gerichte und viel Obst und Gemüse geben. Für das Café im Erdgeschoss plant Alexander Freund eine Lunch- und Frühstückskarte sowie Snacks zum Mitnehmen. Im Café sollen drinnen 100 und draußen 200 Menschen Platz finden. Im Steakclub essen die Gäste an langen Tafeln, dort soll es etwa 310 Sitzplätze geben.

    Das Pressecafé als Tor zur Welt

    Alexander Freund betreibt bereits eine Reihe von Restaurants in Berlin, etwa das Fischer & Lustig im Nikolaiviertel oder das Jäger & Lustig an der Grünberger Straße in Friedrichshain. Dort traf sich gerne die DDR-Politprominenz, um Wild zu essen.

    Mit dem Pressecafé hat Freund wieder einen geschichtsträchtigen Ort zu seinem Projekt gemacht. Der Pavillon, der mit seiner Stahlkonstruktion auf den Gehweg ragt, war zu DDR-Zeiten für Journalisten ein mondäner Treffpunkt, ein Tor zur Welt, ein ästhetisch ansprechendes Forum. Dort lagen Zeitungen aus diversen Ländern aus, die in der DDR sonst kaum zu haben waren. Beim Lesen saß man auf Stühlen, die denen des westlichen Designers Ernst Moeckl nachempfunden waren und bei den Konferenzen in der oberen Etage blickte man auf den Alexanderplatz, das Zentrum Ost-Berlins.

    Das Steakhouse Escados zog nach der Wende in das Gebäude ein. Dessen Schriftzug überdeckte jahrzehntelang das Neubert-Fries. Seit 2021 ist das Kunstwerk wieder sichtbar.

    #Berlin #Mitte #Alexanderplatz #Karl-Liebknecht-Straße #Memhardstraße #DDR #Geschichte #Gastronomie #Architektur #Kunst

  • Angela Davis : eine Amerikanerin in der DDR
    https://www.mdr.de/geschichte/ddr/kalter-krieg/angela-davis-amerikanerin-solidaritaet-briefe-100.html

    La solidarité internationale était une des raisons d’être de l’état est-allemand. C’était un sujet où ses dirigeants étaient entièrement d’acord avec la majorité des citoyens ordinaires. Ma famille de la DDR m’a étonné quand ils continuaient après 1989 à collecter des dons et les envoyer au Vietnam par cargaison de conteneur EVP et par coli postal pour les dons individuels. Chez nous à l’Ouest la solidarité internationale se limitait (et c’est toujours comme ça) aux cartes postales de noël pour Amnesty.

    Angela Davis était alors considérée comme symbole de la lutte contre l’oppression et la ségrégation raciste de l’impérialisme américain. Ce mouvement prenait une ampleur que les historiens et journalistes de droite n’ont jamais compris. Ils essayent toujours de le dénoncer comme campagne organisée sous des contraintes généralisées alors que c’est faux. Va savoir pourquoi. Depuis les raisons pour les réactionnaires de l’acabit de Pécresse de haïr Angela n’ont fait qu’augmenter. La célèbre professeure d’université s’est muée du personnage du parti communiste des États Unis le mieux connu en militante de la cause féministe et gay.

    Aujourd’hui au contraire de ses camarades communistes qui ont perdu leur influence avec la disparition du bloc de l’Est Angela Davis ne cesse de représenter les causes actuelles de la lutte contre l’oppression par les élites capitalistes . C’est la raison pour l’acharnement de la droite contre elle.

    Angela Davis ist eine schwarze Bürgerrechtlerin, die von 1970 bis 1972 unschuldig hinter Gittern sitzt. Sie ist des Mordes, Menschenraubes und der Verschwörung angeklagt. Aus der DDR erreichen sie in dieser Zeit mehr als eine Millionen Briefe und Postkarten. 1972 wird sie in allen Punkten freigesprochen und sagt: „Diese Briefe haben meine Gefängniszelle aufgeschlossen“. Als Angela nach ihrem Freispruch die DDR bereist, um sich bei ihren Unterstützern zu bedanken, warten sehnsüchtig Tausende in Berlin, Magdeburg und Leipzig auf die Ankunft der jungen Frau.
    Angela Davis’ Kampf

    Bereits im jungen Alter ist Angela Davis politisch aktiv. Nach ihrem Erststudium der französischen Literatur in Massachusetts und Paris zieht sie nach Frankfurt am Main, um Philosophie und Soziologie zu studieren. Dort wird sie Mitglied im Hochschulverband der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und nimmt an ersten Protestaktionen teil. Nach ihrer Rückkehr in die USA verstärkt sich Angelas politisches Engagement. Vordergründig setzt sie sich nun für die schwarze Bürgerrechtsbewegung ein und wird Mitglied der „Black Panther Party“. Angela engagiert sich für die Freilassung von schwarzen Gefangenen. Einer der Haftinsassen ist George Jackson. Jonathan Jackson, Georges Bruder, versucht ihn im August 1970 aus einem Gerichtssaal zu befreien. Doch der Versuch missglückt. Es kommt zu einer Schießerei und vier Toten. Eine der verwendeten Waffen ist auf Angela Davis zugelassen. Das FBI setzt die untergetauchte Angela Davis auf die Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher der USA. Einige Wochen später, am 13. Oktober, wird sie verhaftet.
    Solidaritätskampagne für Angela

    Bis zu ihrem Prozess im Jahr 1972 entwickeln sich weltweit Kampagnen und Proteste für Davis. Viele Menschen glauben, dass die Vorwürfe konstruiert sind, um die Stimme der jungen Frau und Black Power-Aktivistin mundtot zu machen. Die Ungerechtigkeit stößt besonders in der DDR auf Gegenwehr. Die Solidarität, die Bürgerrechtlerin Davis dort erhält, ist beispiellos. Mit Briefen, Postkarten, gemalten Rosen und Buttons mit dem Aufdruck „Free Angela“ stehen sie Davis bei.

    Diese Eigendynamik führte dazu, dass wirklich aus dem letzten Dorf und aus der letzten kleinen Dorfschule die Post abgeschickt worden ist. Ich hab das in den USA selbst gesehen. Ich bin in einer LKW-Kolonne durch San Francisco gefahren. Auf den LKWs waren Säcke über Säcke mit Solidaritätspost für Angela Davis.
    (Klaus Steiniger Ehemaliger Korrespondent „Neues Deutschland“)

    Nach zweijähriger Prozessdauer wird Davis am 4. Juni 1972 in allen Punkten der Anklage freigesprochen. Nach ihrer Freilassung reist sie in die DDR, um ihre Unterstützer persönlich zu treffen. Die DDR-Presse betitelt die Reise als „Triumphtour“. In Berlin, Magdeburg und Leipzig macht Angela Halt, um sich zu bedanken. Allein in Leipzig kommen 200.000 sehnsüchtige Besucher, die gemeinsam mit ihr feiern und jubeln wollen. Auch in Berlin sammeln sich am 10. September 1972 50.000 Bürger am Flughafen Berlin Schönefeld. Auf die Frage einer Reporterin, was der Empfang von Davis für die Unterstützer bedeutet, antwortet eine junge Frau:

    Wir haben gerade gesagt, dass der heutige Empfang von Angela Davis vielleicht ein Stück Geschichte für uns ist. Wir haben diesen Kampf alle gemeinsam geführt und es ist für uns praktisch ein Triumph, dass wir Angela Davis empfangen können.
    Junge DDR-Bürgerin kurz vor der Ankunft von Angela Davis

    Zum Beginn der Solidaritätskampagne wird eine Broschüre mit dem Titel „Freiheit für Angela Davis“ verteilt. Das Heft wird über 500.000 Mal gedruckt und für den Betrag von Zwei Mark in der ganzen DDR verkauft. Der Erlös fließt dem zentralen „Solidaritätskonto“ der DDR zu.

    Diese halbe Millionen Exemplare gelangten in alle Betriebe, in alle Ecken des Landes. Schon zu diesem Zeitpunkt hat Angela Davis viel Post bekommen. Aber jetzt wurde voll aufgedreht.
    (Klaus Steiniger Ehemaliger Korrespondent „Neues Deutschland“)

    Die Broschüre wird auch ins Englische übersetzt und in Amerika verlegt. Als Herausgeber der Heften wird das DDR-Komitee für Menschenrechte sowie der Friedensrat der DDR genannt. Historiker Dr. Stefan Wolle schaut kritisch auf die Solidaritätskampagne, die die DDR für Davis inszenierte.

    Das war organisiert bis ins Letzte. Also wenn die DDR etwas verstanden hat, dann die Organisation von Kampagnen. Und das wurde sehr, sehr gründlich gemacht. Da blieb kein Auge trocken.
    (Dr. Stefan Wolle Historiker)

    Historiker Prof. Wolle ist der Meinung, dass sich die DDR mit Davis als eine der wenigen westlichen Ikonen schmückte. Seine Erklärung für Menschenmassen, die sich beim Empfang von Davis in Leipzig, Magdeburg oder Berlin sammelten, liegt in dem „freiwilligen Zwang“, den die DDR-Bürger verspürten.

    In der DDR war jeder an den freiwilligen Zwang gewöhnt. Es war alles formal freiwillig. [...] Das heißt wer sich dem verweigert, der hatte mehr oder weniger schon große Schwierigkeiten. Und so ähnlich war das auch mit den ständigen Solidaritätskampagnen.
    Dr. Stefan Wolle Historiker

    Durch ihre Verhaftung und den späteren Freispruch wurde Angela Davis weltweit zu einer Symbolfigur der Bewegung für die Rechte von politischen Gefangenen in den USA. Seit September 1972 trägt sie die Ehrendoktorwürde, die ihr von der Karl-Marx-Universität, jetzt Universität Leipzig, verliehen wurde. Noch heute ist Angela Davis eine der bekanntesten Gesichter der Black-Power-Bewegung.

    https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Angela_Yvonne_Davis_Wanted_Poster.jpg


    ADN-ZB-Franke-26.11.71-ku-Berlin : Solidarität - Prof. Werner Klemke signierte am 26.11.71 in der Ausstellung des Friedensrates der DDR « Freiheit für Angela » Reproduktionen seiner Davis-Porträtzeichnung zur Aktion « Eine Million Rosen für Angela »."


    Berlin 1972, Erich Honecker empfängt Angela Davis

    Way : Lycée Angela Davis (522038422)
    https://www.openstreetmap.org/way/522038422#map=16/48.9139/2.3643

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Angela_Davis

    #DDR #Allemagne #solidarité_internationale #USA #gauche #communisme #racisme #histoire

  • Kinder von Sowjetsoldaten : Wie ich die Familie meines Vaters fand
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/familienzusammenfuehrung-verein-russenkinder-ev-kinder-von-sowjetso

    Comment la croix rouge allemande a cessé d’aider les enfants de soldats soviétiques a retrouver leurs pères

    25.6.2023 von Anatoly Rothe - Zu DDR-Zeiten bin ich zweimal zur sowjetischen Botschaft gegangen. Beim ersten Mal, Ende der 1960er-Jahre, wurde ich gar nicht erst vorgelassen. Beim zweiten Mal, 1986, fragte ich wegen einer Reisemöglichkeit in die Sowjetunion nach. Ein freundliches Gespräch. Es endete damit, dass ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, nach meinem Vater zu fragen. Ich wurde regelrecht hinausgeworfen.

    Als ich 1996 meinen 50. Geburtstag vorbereitete, fragte ich mich, was ich im Leben noch erreichen wollte. Da kam diese Frage wieder hoch. Das Konsulat der russischen Botschaft gab mir zwei Adressen, die der deutschen Botschaft in Moskau und die des Archivs des russischen Verteidigungsministeriums in der Stadt Podolsk bei Moskau.

    Auf der Suche nach dem Vater in der ehemaligen Sowjetunion

    Nach einem halben Jahr bekam ich die Auskünfte über meinen Vater, musste die Suche weiterführen, weil er Kasache war und aus der Armee nach Hause entlassen worden war. Schließlich fand ich sein Grab und seine Familie. Er hatte nach seiner Demobilisierung kurz nach meiner Geburt eine Kasachin geheiratet und mit ihr neun Töchter bekommen. Sie wussten von mir, ihre Mutter hatte es ihnen erzählt. Nun war ich endlich gekommen.

    Die Schwestern erzählten mir, dass der Vater zwar erzählt hatte, einen Sohn in Deutschland zu haben, was ihm kaum einer glaubte. Jetzt aber kamen nur Töchter, da haben Nachbarn und Freunde ihm gute Ratschläge gegeben, wie man einen Sohn zeugt. Wie allgemein bekannt – Salz aufs Fensterbrett etc.

    Selbstverständlich wurde ich herzlich in die Familie aufgenommen. Um es vorweg zu sagen, so erging es allen, die Erfolg bei ihrer Suche hatten. Wir fanden zueinander und blieben es. Die vielen Besuche hatten eine Folge, ich heiratete eine Kasachin, eine Frau aus dem Land meines Vaters. Die Ehe scheiterte, weil sie, eine Sprachdozentin an der Universität in Kysylorda, vom hiesigen Jobcenter die Empfehlung erhielt, putzen zu gehen. Ich hätte es nicht ertragen.
    Gründung des Vereins Russenkinder e.V.

    Als ich 2014 auf eine Gruppe Betroffener stieß, hatte keiner von ihnen die Vorstellung, dass die Suche nach dem Vater überhaupt möglich war. Das war der Auslöser für die weiteren Geschehnisse. Diese Gruppe war mehr auf persönliche Empfindsamkeit orientiert. Ich wollte helfen. So kam es zur Gründung des Vereins Russenkinder e.V. im November 2014. Ein denkwürdiger Termin.

    Kurz vorher hatte es eine Veranstaltung der Vereinigung von internationalen Kriegs- und Besatzungskindervereinen gegeben. Auf ihr wurde mir unmissverständlich erklärt, dass eine Zusammenarbeit mit uns nicht erwünscht sei, man kann sich denken – satzungswidrig.

    Einfach gesagt geht es um Familienzusammenführungen. Botschafter einiger beteiligter Länder haben unsere Arbeit ausdrücklich begrüßt und ermuntern uns fortzufahren. Ebenso wünschen sie uns Erfolg.

    Seit unser Verein sich mit diesem Thema beschäftigt, gab und gibt es aus unserem Geburtsland keinerlei Unterstützung. Einige Helfer wollen nicht öffentlich genannt werden, von staatlichen und anderen Einrichtungen bestenfalls ein Verschweigen.

    Der Internationale Suchdienst des DRK in München half bis 2012 Russenkindern bei der Suche. Zu dieser Zeit übernahm eine Frau aus Estland, die einen Deutschen geheiratet hatte, die Leitung. Seitdem bekommen wir keine Antwort mehr von dort. Das haben uns viele Betroffene geschildert, ebenso andere Institutionen, die sich mit dem Thema Suche befassen und an die sich Russenkinder gewendet haben. Die Zivilgesellschaft will uns nicht wahrnehmen. Selbst vor unserer Würde wurde nicht haltgemacht. Die Frau, die die gleiche Arbeit unter wesentlich einfacheren Bedingungen und mithilfe aus der Politik für die amerikanischen Betroffenen ausführte, bekam das Bundesverdienstkreuz.
    Kinder von deutschen Müttern und Sowjetsoldaten

    Unser Start fand unter äußerst schwierigen Bedingungen statt. Es gab Auseinandersetzungen, Beschimpfungen, Lügen über uns, unsere Arbeit und Umstände, was dazu führte, dass manchmal mehr Aufwand für die Abwehr und zu Erlangung von Öffentlichkeit notwendig war als für die eigentliche Arbeit. Die ist schwierig genug, wurde teilweise öffentlich konterkariert. Wir haben uns trotzdem durchgesetzt.

    Man ahnt es, es geht um einen Aspekt des Verhältnisses zu Russland. Wir sind sogenannte Russenkinder. Und da beginnen die Missverständnisse. Dieser Begriff wird von uns verwendet, weil eine kurze, prägnante Bezeichnung erforderlich ist.

    Richtig ist, dass die Armee, die unter großen Opfern einen wesentlichen Anteil an der Niederschlagung Nazideutschlands hat, aus vielen Völkerschaften bestand. Die UdSSR, die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, bestand aus 16 Republiken. In ihr lebten und leben viele Menschen verschiedener Abstammungen. Also Russen, Bjelorussen, Ukrainer, Usbeken, Kasachen, Balten, Tataren, Koreaner, Juden, Deutsche – über 120 Völkerschaften.

    Es herrschte Wehrpflicht, sie alle wurden in die Armee eingezogen. Viele von ihnen waren in Ostdeutschland, der DDR, im Dienst. Von ihnen stammen wir ab. Wir sind Kinder von deutschen Müttern und Soldaten und Offizieren der Roten, später Sowjetarmee. Wir wurden hier geboren, gingen in Kindergärten, Schulen, lernten einen Beruf, studierten, arbeiteten in diesem Land und trugen zu seiner Entwicklung bei. Wir gründeten Familien, bekamen ebenfalls Kinder und Enkelkinder. Die Ältesten sind vom Jahrgang 1945, der Jüngste uns bekannte ist Jahrgang 1990.

    Von Anfang an gab es über unsere Väter Gerüchte, Erzählungen, Spekulationen. In den günstigen wurden sie versetzt. Weit gravierendere wurden erzählt, sie seien nach Sibirien geschafft, in Straflager gesperrt, gar erschossen worden.

    Durch die vielen gefundenen Väter wurde langsam sichtbar, dass diese Gerüchte sich nicht bestätigten. In keinem einzigen uns bekanntem Fall wurde bestraft. Im Gegenteil, zum Beispiel wurde ein Leutnant in den 70er-Jahren als Oberst in die Reserve entlassen.

    Wichtigster Punkt unserer Vereinsarbeit war und ist, Hilfe und Unterstützung bei der Suche nach dem Vater und seiner Familie zu geben. Nur wenige wussten, dass es diese Möglichkeiten gibt. Es meldeten sich Betroffene, erzählten ihre Geschichten, fragten, was sie tun können, was wir raten. Mancher redete zum ersten Mal darüber, andere wollten sich ihre Geschichte von der Seele reden.

    Zum Schluss sahen die meisten ein, sich auf die Suche nach dem Vater und seiner Familie zu begeben. Oder die Kinder und Enkel fragten nach ihren Wurzeln.

    Die Suchen gehen so vor sich: Wer den Namen des Vaters kennt, schreibt an das besagte Archiv in Podolsk. War der Vater beim Geheimdienst, an das Archiv des RGVA in Moskau. In der Regel wurden die Angaben übermittelt und die Suche konnte konkret in der entsprechenden Region weitergeführt werden.

    War der Name des Vaters nicht oder nur der Vorname bekannt, ist es sehr viel schwieriger, fast unmöglich. In solchen Fällen muss man eventuelle Zeitzeugen befragen, um diesen herauszubekommen. Wer seinen Vater und dessen Familie findet, erfährt viel Glück, Herzlichkeit, Interesse und Zuneigung. Man selbst, ich erfuhr es ja am eigenen Leibe, beginnt eine neue Phase im Leben. Oft gab es Reaktionen wie: Wir sind Dir von ganzem Herzen dankbar!

    Unsere Webseite wurde in den zehn Jahren des Bestehens über eine dreiviertel Million Mal aus der ganzen Welt aufgerufen. Über 1200 Betroffene haben uns kontaktiert. Viele von uns wuchsen mit ihren Müttern auf, ebenso bei Großeltern oder anderen Verwandten. Unsere Mütter heirateten. Wir bekamen Stiefväter. Manche von uns hatten keine schöne Kindheit.

    Die Familien behandelten sie herablassend, herabwürdigend. Andere wiederum erfuhren viel Liebe und Zuneigung, Förderung in ihrer Entwicklung. Der Versuch, diesen Begriff in die Wikipedia einzubringen, wurde abrupt abgebrochen, als die Ursache für Benachteiligungen benannt wurde. Es waren die Deutschen, die Familien, Nachbarn, Mitschüler etc. Denn unsere Väter waren nicht mehr da, uns zu beschützen.

    Früher galten wir als kleine Stalins, jetzt als Putins

    Viele von uns haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Als ich mir meiner Herkunft bewusst wurde, bin ich ungezwungen damit umgegangen, habe damit manchmal kokettiert. Andere wiederum schämten sich, wieder andere waren stolz darauf. Im Nachhinein denke ich, dass mir meine Herkunft eher genutzt hatte. Wir erfuhren von Gewissensbissen. Eine Erzählung lautet, dass ein sehr einfühlsamer Stiefvater sich um das Kind bemühte als wäre es sein eigenes.

    Viele Jahre nach seinem Tod hatte die Betroffene immer noch Schuldgefühle, wenn sie daran dachte, vielleicht doch nach dem leiblichen Vater zu suchen. Ihr schien, es wäre Verrat. Ein anderer Betroffener fühlte sich schuldig. Er hatte gehört, die Väter seien bestraft worden dafür, dass sie Kinder mit deutschen Frauen gezeugt haben und dachte, durch seine Existenz sei sein Vater eingesperrt worden.

    Eines war von vornherein klar, es gibt von uns keinerlei politische Erklärung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion brachen nationalistische Ressentiments aus. Es gab sie unterschwellig schon zu sowjetischen Zeiten. Um allen Russenkindern helfen zu können, bleiben wir absolut neutral, um niemanden davon abzuhalten, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Ebenso unabdingbar ist Verschwiegenheit.

    Nach dem 24. Februar 2022, dem Tag, an dem Russland die gesamte Ukraine angriff, änderte sich die Situation für einige von uns dramatisch. Spielte früher die Herkunft der Menschen in der Sowjetunion keine Rolle, kam es zu Fällen, in denen Familienmitglieder, die vorher in völligem Einklang miteinander lebten, miteinander brachen, weil mit einem Male ukrainische Wurzeln hervorgeholt wurden. Russisch sollte nicht mehr gesprochen werden, Familienmitglieder, Mutter und Geschwister nicht mehr kontaktiert werden.

    Ebenso kam es zu Beleidigungen, Beschimpfungen, sogar Gewalt wurde angedroht. Um es einmal populär auszudrücken – früher galten wir als kleine Stalins, jetzt als kleine Putins. Wir hatten Befürchtungen, dass unsere Arbeit, Hilfe bei der Suche nach der väterlichen Familie abgebrochen werden müsste. Es ist nicht der Fall. Es gibt weitere Nachfragen, ebenso helfen die russischen Archive bei den Auskünften wie gewohnt.

    Für uns ist Öffentlichkeit von Bedeutung, da nur so Betroffene und deren Nachkommen über die Möglichkeit informiert werden können, dass sie ihre Suchen aufnehmen können und wo sie Hilfe dazu erfahren.

    Anatoly Rothe ist Vorsitzender des Vereins Russenkinder e.V., im Netz zu finden unter

    https://www.russenkinder.de.

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    #famille #guerre #occupation #URSS #DDR #Allemagne

  • 17. Juni 1953 : Ein abgekartetes Spiel ?
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174043.ddr-juni-ein-abgekartetes-spiel.html

    On savait que le chancelier Adenauer a refusé la proposition de Staline de négotier la création d’une Allemagne unique et neutre. Cet article apporte une preuve supplémentaire qu’il préférait une intégration dans le système états-unien d’une partie de l’Allemagne à l’unité du pays.

    Le responsable initial pour les victimes à la frontière entre les deux états allemands est bien celui que les nationalistes chrétien-démocrates considèrent comme père de la nation. Ce faisant ils parodient les gaullistes français et leur général au bal tragique.

    16.6.2023 von Siegfried Prokop - Die Unruhen im Jahr 1953 hatten, wie die Quellen in den Archiven belegen, ihre Ursachen in einer falschen Politik. Die Krise war hausgemacht, verschuldet von der SED und den sowjetischen Besatzungsbehörden. Ausschlaggebend waren jedoch insbesondere auch Veränderungen in der Deutschland-Politik der UdSSR nach den Weichenstellungen mit dem General- und Deutschlandvertrag der ehemaligen Westalliierten im Mai 1952. Der sowjetische Partei- und Staatschef Josef W. Stalin ging davon aus, dass mit dem EVG-Projekt – der bekanntlich im August 1954 am Votum der Französischen Nationalversammlung scheiternden Europäischen Verteidigungsgemeinschaft – endgültige Entscheidungen im Sinne der Westintegration der Bundesrepublik gefallen seien und keine Chance mehr für eine von ihm bis dato keinesfalls als abseitig betrachtete deutsche Wiedervereinigung bestünde. Er rechnete gar mit einer unmittelbar bevorstehenden militärischen Auseinandersetzung zwischen den USA und der UdSSR.

    Die im Gefolge dieser Annahme auf sowjetischen »Vorschlag« hin im November 1952 auf der 10. Plenartagung des ZK der SED beschlossene Aufstockung der Mittel für die Landesverteidigung der DDR um 1,5 Milliarden Mark sollte fatale Konsequenzen zeitigen. Das aufgrund der erhöhten Militärausgaben notwendige, von Finanzminister Willy Rumpf auf jener Tagung begründete »Programm der Sparsamkeit« sah unter anderem höhere Besitz- und Einkommenssteuern, Preiserhöhungen, genannt »Preisregulierung« (wobei Waren des Grundbedarfs ausgespart waren), sowie Einsparungen in der volkseigenen Wirtschaft, die Reduzierung von Sozialausgaben und von Aufwendungen für die Kultur vor. Die DDR marschierte in eine handfeste Existenzkrise.

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    Der nach dem Tod Stalins am 5. März 1953 unter seinen Epigonen ausbrechende Machtkampf sollte jedoch die Situation noch einmal gründlich verändern. Pawel S. Sudoplatow, General des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, erinnerte sich, vor den Feiern zum 1. Mai 1953 von Lawrentij Berija, Innenminister und NKWD-Chef, den Auftrag erhalten zu haben, die Durchführbarkeit einer eventuellen deutschen Wiedervereinigung zu sondieren. Berija teilte mit, man sei im Kreml der Ansicht, die Schaffung eines neutralen, vereinigten Deutschland unter einer Koalitionsregierung sei der beste Weg, »unsere Position in der Welt zu stärken«. Deutschland solle als ausgleichender Faktor zwischen den amerikanischen und sowjetischen Interessen in Europa wirken. Dies werde zwar einige Konzessionen sowjetischerseits erfordern, nämlich die Demontage der DDR-Regierung unter Walter Ulbricht, ließe sich jedoch bewerkstelligen. Wörtlich führte er gemäß Sudoplatow aus: »Das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik sollte ein autonomes Gebiet im neuen vereinigten Deutschland werden.«

    Auch auf westlicher Seite hatte sich die Sicht verändert, waren Entspannungstendenzen erkennbar; in Panmunjeom fanden Waffenstillstandsverhandlungen zur Beendigung des Korea-Krieges statt. Der britische Premierminister Winston Churchill hielt eine Verbesserung der Beziehungen zur UdSSR für wünschenswert und erkannte als erster westlicher Staatsmann sowjetische Sicherheitsinteressen ausdrücklich an. Die deutsche Frage sei in Europa das beherrschende Problem, über das sich eine Konferenz der Großmächte verständigen sollte.

    Die neue Führung in Moskau reagierte konstruktiv auf die Churchill-Initiative, Mit der Auflösung der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) und der Einsetzung von Wladimir S. Semjonow als Hoher Kommissar in Deutschland am 27. Mai 1953 stellte die UdSSR strukturelle Kompatibilität zu den westlichen Besatzungsmächten her. Hinzu gesellte sich die Verfügung des Ministerrats der UdSSR vom 2. Juni 1953 »Über die Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik«, in deren Gefolge der SED erneut eine radikale Kurskorrektur verordnet wurde: der sogenannte Neue Kurs.

    Darüber hatte es innerhalb der KPdSU-Spitze allerdings scharfe Meinungsverschiedenheiten gegeben. Auf dem Juli-Plenum des KPdSU-Präsidiums, einen Monat nach der Niederschlagung des Aufruhrs in der DDR, resümierte der neue Mann im Kreml, Nikita S. Chruschtschow, über die Gespräche mit der Anfang Juni nach Moskau zitierten SED-Spitze: »Die Führer der DDR hatten Fehler begangen, sie hätten berichtigt, nicht aber geringschätzig behandelt werden dürfen. Als wir diese Frage erörterten, schrie Berija den Genossen Ulbricht und andere deutsche Genossen derart an, dass es schon peinlich war.«

    Schon früh kam die These auf, die Juni-Unruhen in der DDR seien auf sowjetische Initiative hin provoziert worden. Am 18. Juni telegrafierte der britische Botschafter in Paris, Oliver Harvey, nach London, dass die Sowjets anfangs die Demonstrationen und Streiks geduldet, wenn nicht gar unterstützt hätten. Er verwies dabei auf Berichte des französischen Hochkommissars, André François-Poncet. Die sowjetischen Besatzungsbehörden hätten jedoch nicht damit gerechnet, dass sich hieraus Gewalt in größeren Dimensionen entwickeln könnte. Ihr Kalkül habe darin bestanden, dass es durch den öffentlich bekundeten Unwillen über die wirtschaftlichen Maßnahmen der DDR-Regierung möglich sein würde, in Moskau in Ungnade gefallene Spitzenfunktionäre der SED ihrer Ämter zu entheben.

    Auch der Leiter des bundesdeutschen Amtes für Verfassungsschutz, Otto John, hielt die ursprüngliche Demonstration vom 16. Juni in Berlin für ein abgekartetes Spiel der sowjetischen Behörden. Auf einem Treffen der westlichen Hohen Kommissare sprach François-Poncet erneut davon, dass die Streiks und Demonstrationen am 16. Juni im Einverständnis mit den Sowjets stattgefunden hätten. Er meinte sogar, dass DDR-Behörden die Demonstration der Bauarbeiter auf der Stalinallee organisiert wie auch genehmigt hätten. Als Beleg hierfür erschien französischen Diplomaten, dass die diensthabenden Polizisten an jenem Tag keine Waffen trugen.

    Bemerkenswert ist, dass es zwischen dem Sowjetkommissar Semjonow und Hermann Kastner, Vorsitzender des Förderungsausschusses für die Deutsche Intelligenz und Agent der »Organisation Gehlen«, aus der sich später der BND rekrutierte, im Juni 1953 zu sechs Begegnungen kam, in denen über eine neue Regierung und Politik der DDR beraten wurde. Im Kalkül von Semjonow war Kastner als neuer DDR-Ministerpräsident vorgesehen.

    Doch den Machtkampf in Moskau gewann nicht Berija, sondern Chruschtschow. Am 26. Juni wurde der scheinbar allmächtige Geheimdienstchef verhaftet; im Dezember des Jahres sollte er hingerichtet werden. Das Präsidium der KPdSU hatte sich für die weitere Existenz der DDR entschieden. War dies das Ziel der eventuell doch bewusst provozierten Streiks und Demonstrationen? Die Frage lässt sich weder einfach bejahen noch verneinen. Der 17. Juni in der DDR bewirkte in Moskau jedenfalls eine neuerliche Änderung in der Deutschland-Politik. Sudoplatow konstatierte nüchtern: »Am 29. Juni 1953 widerrief das Präsidium seine neue DDR-Politik.«

    SED-Chef Ulbricht sowie der DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl blieben an der Macht. Ihre Kontrahenten Rudolf Herrnstadt, Chefredakteur des »Neuen Deutschland«, und Wilhelm Zaisser, erster Minister der DDR-Staatssicherheit, verloren ihre Posten und wurden aus der Partei ausgeschlossen. Kastner blieb, von Semjonow gestützt, vorerst noch in seiner Funktion. Drei Jahre später floh er in den Westen; am 4. September 1957 erlag er in einem Zug nach Pullach, dem Sitz der BND-Zentrale, einem Herzinfarkt. In seinen später verfassten Memoiren erwähnte Semjonow den einstigen Mitverschworenen nicht.

    Vom 20. bis 22. August 1953 kam es in Moskau zu Verhandlungen zwischen Vertretern der DDR und der UdSSR mit dem Resultat, dass dem ostdeutschen Staat die restlichen Reparationen und die Nachkriegsstaatsschulden erlassen, die der DDR aufgebürdeten Kosten für die Unterhaltung der Besatzungstruppen gesenkt sowie die letzten 33 Betriebe der Sowjetischen Aktiengesellschaft (von der sowjetischen Besatzungsmacht SMAD nach 1945 gegründete Unternehmen) übergeben wurden. Die DDR erhielt einen Kredit in Höhe von 485 Millionen Rubel und die Zusicherung von Warenlieferungen aus der Sowjetunion. Die diplomatischen Missionen der UdSSR in Berlin und der DDR in Moskau wurden in Botschaften umgewandelt.

    Entgegen noch heute zu hörenden Behauptungen kann davon ausgegangen werden, dass es 1953 keinerlei Chance für die Wiederherstellung eines einheitlichen Deutschlands gab. Das lag weniger an Moskau als an Bonn. Bundeskanzler Konrad Adenauer erklärte am 15. Dezember 1955 dem ehemaligen Hohen Kommissar und nunmehrigen britischen Botschafter Ivone Kirkpatrick, warum er dies unter allen Umständen verhindern wollte: »Der entscheidende Grund sei«, so heißt es in dem Dokument, »dass Dr. Adenauer kein Vertrauen in das deutsche Volk habe. Er sei äußerst besorgt, dass sich eine künftige deutsche Regierung, wenn er von der politischen Bühne abgetreten sei, zulasten Deutschlands mit Rußland verständigen könnte. Folglich sei er der Meinung, dass die Integration Westdeutschlands in den Westen wichtiger als die Wiedervereinigung Deutschlands sei.« Adenauer habe zugleich betont, er wünsche nicht, dass seine Ansichten, die er unter vier Augen in solcher Offenheit mitgeteilt habe, jemals in Deutschland bekannt würden, denn dies würde seinen politischen Tod bedeuten. Tatsächlich wurden sie erst 1986, nach Verjährung der archivalischen Sperrfrist, bekannt.

    Prof. Dr. Siegfried Prokop lehrte an der Humboldt-Universität zu Berlin; zum Thema findet sich von unserem Autor ein ausführlicherer Aufsatz im nächsten Heft der »Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung«.

    cf https://www.konrad-adenauer.de/seite/stalin-note

    #Allemage #histoire #DDR

  • Ideologie und Urlaubsreisen in der DDR: Welche Rolle spielten die FDGB-Gewerkschaften?
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/ideologie-und-urlaubsreisen-welche-rolle-spielten-die-gewerkschafte

    11.6.2023 von Fritz Werner Winkler - Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und die unter seinem Dach vereinten 16 Einzelgewerkschaften waren die mit Abstand größte und vermögendste Massenorganisation der DDR. Im Wendejahr 1989 zählte er noch 8,9 Millionen Mitglieder. Sein Vermögen wurde auf dem Sonderkongress im Januar 1990 mit 4,2 Milliarden Mark (DDR) beziffert. Seine weit mehr als 1000 Liegenschaften entsprachen etwa der Fläche des Stadtbezirks Berlin-Mitte. Der Organisationsgrad betrug 97,7 Prozent.

    Der FDGB wurde bereits am 18. März 1945 in Aachen gegründet. Die westlichen Alliierten erlaubten zunächst nur Einzelgewerkschaften. Anders war es in der sowjetischen Besatzungszone: Dort erfolgte am 10. Juni 1945 auf der Grundlage des Befehls Nr. 2 der sowjetischen Militäradministration seine Zulassung. Entsprechend Lenins Theorie über Gewerkschaften wurde er zentralistisch organisiert und zum Transmissionsriemen der SED entwickelt. Seine langjährigen Vorsitzenden Herbert Warnke (1948–1975) und Harry Tisch (1975–1989) waren gleichzeitig auch Mitglieder des Politbüros der SED. Diese konsequente Einbindung in deren Führungsstrukturen setzte sich über die Bezirke bis hin in die Parteileitungen der Betriebe und Einrichtungen fort.

    Mit den Maßstäben des westlichen Demokratieverständnisses beurteilt, waren die DDR-Gewerkschaften unfrei und undemokratisch. Der FDGB war eine zentralistische Dachorganisation, weit entfernt von einem Bund freier und selbstständiger Einzelgewerkschaften. Nach mehr als drei Jahrzehnten ist allerdings eine differenziertere Betrachtung der Arbeit und der Verantwortung des FDGB im politischen System der DDR notwendig.

    Keine andere Organisation war so eng mit dem Leben der Menschen im Osten und mit deren positiven Erinnerungen verbunden. Eine Reduzierung der gewerkschaftlichen Arbeit auf die ideologischen Schwerpunkte „Sozialistischer Wettbewerb“ und „Schulen der sozialistischen Arbeit“ verkürzen den Blick. Die historische Analyse nur anhand der archivierten Berichte der unterschiedlichen gewerkschaftlichen Ebenen vorzunehmen, geht an der Realität vorbei.

    Ein differenziertes und bunteres Bild zeigt zum Beispiel ein Blick in die oft liebevoll gestalteten Brigade-Tagebücher. In der Regel war ein Arbeitskollektiv identisch mit einer Gewerkschaftsgruppe. Rund 2,5 Millionen Mitglieder waren ehrenamtlich für „ihre“ Gewerkschaft tätig. Sie wurden direkt gewählt und waren mehrheitlich keine SED-Mitglieder. Seit 1951 befand sich die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten in der Trägerschaft des FDGB. Damit waren die Gewerkschaften für die Geld- und Sachleistungen von mehr als 85 Prozent der DDR-Bürger von der Wiege bis zur Bahre verantwortlich. Die dafür aus dem Staatsaushalt bereitgestellten Mittel lagen am Ende bei etwa 30 Milliarden Mark.

    Jährlich wurden über die gewerkschaftlichen Kurkommissionen circa 330.000 Kuren im In- und Ausland vergeben. Eine Mitgliedschaft im FDGB war dafür keine Voraussetzung. Im Jahr 1989 verfügte der FDGB über 694 gewerkschaftseigene und 371 vertraglich genutzte Ferienobjekte. Hinzu kamen 7250 betriebliche Ferieneinrichtungen, die vom Campingwagen bis zum Ferienhotel reichten. Das entsprach einer jährlichen Gesamtkapazität von 5,1 Millionen Ferienreisen. Deren Vergabe erfolgte über die gewerkschaftlichen Ferienkommissionen der Betriebe. Für diese Reisen mussten lediglich 25 bis 35 Prozent der tatsächlichen Kosten für Unterbringung und Verpflegung aufgebracht werden. Für Kinder bis zum Abschluss der zehnten Klasse kostete ein 13-tägiger Aufenthalt einheitlich 30 Mark. Wer die Deutsche Reichsbahn zur Reise zum Urlaubsort und zurück nutzte, der bekam einmal jährlich eine Fahrpreisermäßigung von 33 Prozent.

    In der Mediathek des MDR steht noch bis zum 29. Mai 2024 die Doku „Urlaubsträume in Beton – DDR“ zur Verfügung. Sie zeigt die Einmaligkeit des FDGB-Feriendienstes, aber auch seine systembedingten Grenzen auf. Ähnliches lässt sich über die Arbeit der 356 gewerkschaftlichen Kulturhäuser oder die Auftragsvergabe an Künstler aller Genres ausführen. Die Auftragskunst der DDR, die heute einen unermesslichen Sammlerwert hat, wurde fast ausschließlich vom FDGB finanziert. Selbst der Karat-Hit „Über sieben Brücken“ und der gleichnamige TV-Film haben ihren Ursprung in der Vergabe einer Reportage über den Bau des Kraftwerkes Thierbach an den jungen Leipziger Schriftsteller Helmut Richter, der später das Drehbuch und den Text des Titelsongs schrieb.

    Viele Fußballfans aus dem Osten werden sich noch an den jährlich ausgespielten FDGB-Pokal erinnern. Er war das Pendant zum DFB-Pokal in der BRD. Über diesen Weg schafften der 1. FC Magdeburg und der 1. FC Lok Leipzig den Einzug in das Europapokalfinale. Die Magdeburger siegten 1974 in Rotterdam gegen den AC Mailand mit 2:0. Die Leipziger Lok-Elf unterlag 1987 in Athen Ajax Amsterdam mit 1:0. Der gesamte Breitensport war vor allem über die Betriebsportgemeinschaften sehr stark an die Gewerkschaften und deren finanzielle Unterstützung gebunden.

    Auflösung noch vor dem Ende der DDR

    Noch vor dem offiziellen Ende der DDR löste sich der FDGB zum 30. September 1990 auf. Binnen nicht einmal zwölf Monaten hatte sich eine Dynamik entwickelt, die eng mit dem Niedergang der DDR und deren Staatspartei, der SED, verbunden war. Innergewerkschaftlich hatten der für DDR-Verhältnisse luxuriöse Lebensstil des Vorsitzenden Harry Tisch und der damit im Zusammenhang stehende Korruptionsskandal um ihn und weitere Spitzenfunktionäre sowie die Millionenspenden an die FDJ für deren Pfingsttreffen im 40. Jahr der DDR ihr Übriges getan. Eine eindeutige Veruntreuung von Mitgliedsbeiträgen, die nicht zu rechtfertigen war.

    All das hat maßgeblich zum Verschwinden des einst so großen und reichen FDGB von der gesellschaftlichen Bühne geführt. Die Mitglieder hatten das letzte noch übrig gebliebene Vertrauen verloren und stimmten mit den Füßen ab. Und das in einer Zeit, wo alles, was man als soziale Sicherheiten bezeichnete, durch das Überstülpen des westdeutschen Wirtschafts- und Rechtssystems aus den Fundamenten gerissen wurde. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Hätte es das West-Ost-Gefälle bei Löhnen, Gehältern und Renten auch gegeben, wenn der Osten der Republik im Vereinigungsprozess schlagkräftiger gewerkschaftlich organisiert gewesen wäre?

    Dem stand jedoch die politische Einordnung und Bewertung des FDGB durch die DGB-Führung, die westdeutsche Öffentlichkeit und die DDR-Oppositionsgruppen entgegen. Dessen ehemaliger Vorsitzender Ernst Breit machte nach Erinnerungen von Zeitzeugen bereits Anfang 1990 erstmals deutlich, dass für ihn der FDGB von einer „menschenverachtenden Tätigkeit“ geprägt sei. Wenige Monate davor, am 15. September 1989, hatten in Stuttgart noch Breit und Tisch eine Neun-Punkte-Vereinbarung zwischen DGB und FDGB besiegelt. Am 27. April 1990 verkündete Ernst Breit auf einem Arbeitnehmerempfang des NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau unwiderruflich: „Keine Vereinigung mit dem FDGB“. Das enttäuschte die vielen ostdeutschen Gewerkschafter, die ehrlichen Herzens ihre Organisation grundlegend reformieren und selbstbewusst unter das Dach des DGB führen wollten.

    Dass es politisch gewollt auch anders ging, zeigen die Vereinigung der Ost-CDU mit ihrer Westschwester oder die Übernahme der LDPD und der NDPD durch die FDP. Im ersten Jahr der Wiedervereinigung waren noch knapp vier Millionen der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglieder. Dadurch stieg die Anzahl der in den DGB-Gewerkschaften organisierten Beschäftigten auf 11,8 Millionen Mitglieder und einen Organisationsgrad von rund 30 Prozent an. Beide Zahlen haben sich bis heute mehr als halbiert, der DGB zählt noch 5,6 Millionen Mitglieder.

    Die Deutungshoheit zum Umgang mit dem Geld- und Immobilienvermögen des FDGB, einschließlich seines Feriendienstes, hatte die von westdeutschem Personal dominierte Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR (UKPV). Diese wurde am 1. Juni 1990 auf der Grundlage eines Gesetzes der DDR-Volkskammer durch Ministerpräsident Lothar de Maizière eingesetzt und anschließend in den Einigungsvertrag übernommen. Einen detaillierten Einblick gibt der UKPV-Bericht vom 24. August 1998 an den Deutschen Bundestag (Drucksache 13/11353). In Band 3 befassen sich rund 180 Seiten mit dem FDGB. Ausschlaggebend für die Gesamtbewertung des Vermögens war der von der UKPV erbrachte Nachweis, dass dieses nicht nur aus Mitgliedsbeiträgen gebildet worden war.

    Im Zeitraum 1980 bis 1989 flossen jährlich zwischen 207 und 384 Millionen Mark der DDR aus dem Staatshaushalt dem FDGB zu. Diese Zuwendungen waren zweckgebunden für Feriendienst, Arbeitsschutz, Sterbe- und Unfallsterbegeld sowie für das Bildungszentrum der Sozialversicherung und den Berliner Künstlerklub Die Möwe. Dem standen Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen von jährlich zwischen 759 Millionen und 974 Millionen DDR-Mark gegenüber. Mit dieser Größe von durchschnittlich 35 Prozent an Staatseinahmen wurde die materielle Abhängigkeit des FDGB vom politischen System begründet. Aus der Sicht des DGB war dies „politisch belastetes Vermögen“ – ein Erbe, das er nicht antreten wollte.

    Später schloss der DGB jedoch einen Vergleich über 36 zum Teil zu seinem Alteigentum gehörende und von den Nazis 1933 enteignete Gewerkschaftshäuser. Trotz dieser Historie musste er für diesen „Handel“ noch 64 Millionen DM zahlen. Der Gebäudekomplex Märkisches Ufer/Brückenstraße, letzter Sitz des FDGB-Bundesvorstandes, wurde 1998 für 27,5 Millionen DM an die Volksrepublik China verkauft, die ihn als Botschaftsgebäude nutzt. Der DGB-Bundesvorstand bezog im Mai 2023 in der Berliner Keithstraße einen neu errichteten Bürokomplex, dessen Kosten ursprünglich mit circa 80 Millionen Euro kalkuliert waren.

    Was von dem ehemals gewaltigen Vermögen des FDGB nach Abzug der Kosten für Sozialplanleistungen, Vergleiche, Verwaltungsarbeit (das Sekretariat der UKPV hatte bis zu 85 Mitarbeiter), Gerichtsverfahren usw. übrig blieb, wurde von der Treuhandnachfolgerin, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS), in ein dem Finanzministerium zugeordnetes Sondervermögen überführt. Als ein Schwerpunkt seiner Verwendung wurde der Denkmalsschutz in den neuen Bundesländern bestimmt. Letztendlich tragen damit die Mitgliedsbeiträge der DDR-Gewerkschafter in nicht wenigen Fällen auch zur Sanierung kirchlicher Objekte bei. Ein konstruierter rechtsstaatlicher Weg zum Umgang mit den „ideologisch belasteten Werten des FDGB“ machte das möglich.

    Die mehr als 4600 Kunstgegenstände landeten in den Depots und waren bisher der Öffentlichkeit weitgehend unzugänglich (vgl. Dirk Oschmann „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ S. 164/165). Eine 1990 angestrebte Übereignung des Kur- und Erholungsheimes Graal-Müritz an das UN-Kinderhilfswerk (Unicef) lehnte die UKPV ab. Sie favorisierte den Verkauf des Objekts für 6,0 Millionen DM an eine spanische Hotelkette, die dort seitdem eine Vier-Sterne-Hotel mit SPA-Bereich betreibt. Die Spanier kauften auch die ehemaligen FDGB-Feriendomizile in Binz auf Rügen und Schöneck im Voigtland.

    Fritz Werner Winkler, geboren 1949, seit 1966 Gewerkschaftsmitglied, war Absolvent der Gewerkschaftshochschule Fritz Heckert, Diplomgesellschaftswissenschaftler, Sekretär des FDGB-Bezirksvorstandes Leipzig und von 1980 bis 1990 Mitglied des Runden Tisches des Bezirks Leipzig.

    #Allemagne #DDR #FDGB #histoire #socialisme #économie #privatisation #syndicalisme

  • DDR : Wie die Treuhand das Herzstück der ostdeutschen Gesellschaft zerschlug
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/von-krippe-bis-kampfgruppe-der-betrieb-als-herzstueck-der-ddr-gesel

    Comment une entreprise de RDA est devenue leader international de la fabrication de moteurs électriques et comment ella été récupérée pour une fraction de sa valeur de marché par un concurrent de l’Ouest.

    On découvre dans ce texte une des raisons essentielles pour l’absence historique de la criminalité omniprésente dans les pays capitalistes. Tout le monde avait un emploi et le collectif de l’entreprise proposait des services comme les centres de vacances, des compagnies de théâtre et d’autres activités culturelles tout en prenant soin de la réinsertion sociale des rares délinquants. L’entreprise était le centre de la vie de ses employés.

    11.6.2023 von Maritta Adam-Tkalec -Krippe bis Kampfgruppe: Die Treuhand begrub das Herzstück der DDR-Gesellschaft

    Undenkbar für Kapitalismus-Sozialisierte: Im Osten war der Betrieb Lebensmittelpunkt. Ein Direktor erzählt vom Alltag und „Verrat am Volk“ durch die Treuhand.

    Die Motorenbauer hatten die Zeichen der Zeit erkannt, und sie waren schnell: Mit der Nummer 002 im Register der Treuhandanstalt wurde am 5. April 1990 der ehemals volkseigene Betrieb Elektromotorenwerk Wernigerode (Elmo) als GmbH eingetragen und das ehemalige Kombinat Elektromaschinenbau, zu dem das Werk gehörte, als Aktiengesellschaft.

    Die Registriernummer 001 der fünf Wochen zuvor noch von der Modrow-Regierung gegründeten Treuhandanstalt war für das Reich Alexander Schalck-Golodkowskis reserviert – die Koko. Der Bereich Kommerzielle Koordinierung im DDR-Außenhandelsministerium hatte mit kapitalistischen Methoden Valuta für den devisenklammen Staat zu erwirtschaften. Ein Bereich mit absoluter Sonderstellung – ganz klar die 001.

    Aber der erste in marktwirtschaftliche Eigentumsverhältnisse überführte Normalbetrieb der DDR war Elmo. Ein Pionier: Als erste Ostfirma hatte Elmo zudem mit seiner West-Vertriebsgesellschaft ein Westunternehmen übernommen, und mit Wolfgang Beck war der einst jüngste Betriebsdirektor der DDR zu einem der neuen Geschäftsführer der GmbH geworden.
    Motoren für Trolli bis Tagebau

    Der Betrieb hatte Grund für Selbstbewusstsein: Man lieferte Motoren in 47 Länder, auch in sämtliche heutige EU-Staaten. Im Angebot fand sich die ganze Palette von klein bis riesengroß: Motoren für den DDR-Rasenmäher Trolli, für Landmaschinen, Druckereien, Tagebaugroßgeräte, Werkzeugmaschinen, Schienenfahrzeuge oder Schiffe – alles Erzeugnissen, die den Ruf der DDR als Industrieland mitbegründeten.
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    Mit Weitsicht hatte Wolfgang Beck sein Top-Unternehmen rechtzeitig auf die neue Zeit nach dem politischen Umbruch von 1989 vorbereitet. Schon drei Wochen vor der Wahl vom 18. März, die die Regierung von Lothar de Maizière ins Amt brachte und mit ihr einen beschleunigten Kurs in Richtung Wiedervereinigung, war die Umwandlung von Volkseigentum in marktwirtschaftliche Eigentumsformen eingeleitet. Noch hatten Beck und seine Mitstreiter eine reformierte DDR im Sinn. Das Wahlergebnis rückte die Wiedervereinigung im Schweinsgalopp in den Blick.

    In anderen Betrieben der DDR verhinderten Belegschaften die Transformation durch Proteste gegen „alte Kader, Wendehälse und Seilschaften“; Beck war es gelungen, „seine Leute“ zu überzeugen: Der neue Betriebsrat stimmte der Umwandlung zu, die VEM-Elektromotorenwerke GmbH Wernigerode ging an den Start. Das wichtigste Ziel: Erhalt der Arbeitsplätze.

    Die Westrivalen waren schwach: „Wir produzieren an einem Tag mehr Motoren als die gesamte Bundesrepublik“, stellte Beck damals fest. Seinen Betrieb sah er gut positioniert: „Wir lieferten von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig zertifizierte Motoren in alle Industriebereiche, auch schon im Westen.“ Bald aber nahm er erstmals wahr, dass sich dieser Erfolg gegen das Unternehmen richten könnte: „Es war leider nicht vorauszusehen, welche Begehrlichkeiten diese Ausnahmestellung noch wecken sollte.“
    Ein authentisches Zeugnis

    Das alles kann man nun lesen – sachlich, kenntnisreich, ohne Gejammer, gleichwohl mit Herzblut aufgeschrieben in dem Buch „Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft“, versehen mit dem Untertitel: „Wolfgang Beck, der letzte Betriebsdirektor des VEB Elektromotorenwerk Wernigerode (Elmo), erzählt von der Planwirtschaft und dem wirtschaftlichen Ab- und Aufbruch“.

    Das Thema mag zu speziell, Wernigerode vielleicht zu abgelegen erscheinen. Aber es wäre ein Fehler, das Buch als Nischenprodukt für DDR-Experten beiseitezuschieben. Denn es ist in seiner Authentizität ein einzigartiges Zeugnis nicht nur der Ost-West-Transformationserfahrung, sondern vor allem eines aus dem Herzstück des untergegangenen Staates. Denn das waren die Betriebe: für Millionen Männer und Frauen ein zweites Zuhause, viel mehr als Arbeits- und Produktionsstätte. Die Betriebe bildeten einen eigenen Kosmos, stifteten Gemeinschaft und boten Geborgenheit – schwer vorstellbar für Kapitalismus-Sozialisierte. Viele trauern dem heute noch nach. Ein Gutteil der Phantomschmerzen ehemaliger DDR-Bürger rührt aus dem Verlust dieser verlorenen Alltagswelt.

    Phantomschmerz der DDR-Bürger

    Beck erzählt exemplarisch die Innensicht eines solchen Volkseigenen Betriebes (VEB), die DDR in der Nussschale. Man erkennt, wie die DDR im Inneren funktionierte, wie alles miteinander verwoben war, wie die Partei überall steuerte und kontrollierte, die Menschen zugleich erzog und behütete. Er beschreibt, wie Karrieren gelenkt wurden, wie der sozialistische Wettbewerb lief – Jugendobjekte, Brigadeleben, Traditionskabinett, das Parteilehrjahr.

    Auch wenn die Planerfüllung seine oberste Pflicht war – ein Betriebsdirektor trug nicht nur die Verantwortung für Produktion und Verwaltung, sondern auch für Betriebskinderkrippe und -garten, das Ambulatorium, die Ferienheime und Kinderferienlager, für Gästehäuser, Betriebsküche, Betriebszeitung, Kampfgruppeneinheit, Betriebsgewerkschaftsorganisation. Im Jahreskreis waren Feiern zu organisieren, von Frauentag bis Karnevalssitzung.

    Beck benennt die Lenkungs- und Kontrollgremien, die Machtstrukturen, die Bedeutung der persönlichen Beziehungen, der solidarischen Gefälligkeiten der Betriebsdirektoren untereinander. Auf Schleichwegen half man einander immer wieder über Mängel, Engpässe und Notsituationen hinweg.

    Er wägt die Vor- und Nachteile einer zentralistischen Führung gegeneinander ab ­– eine Debatte, die in Zeiten verschärfter Konkurrenz mit zentralistisch organisierten Großmächten wie China von wachsender Aktualität ist. Als Nachteil sieht er die unflexiblen diktatorischen Abläufe, zu den Vorteilen rechnet er die soziale Sicherheit und die „exzellente Bildung für alle“. Wegen solcher Vorteile habe „eine große Mehrheit die Diktatur nicht als solche“ empfunden, schreibt Beck. 160.000 Kritiker des Systems habe es gegeben, „das entsprach einem Prozent der DDR-Bevölkerung“. Im Wernigeröder Werk war jeder vierte Mitarbeiter ein Genosse, also Mitglied der SED.

    Dem Idealismus vieler DDR-Wirtschaftsfunktionäre mit ihren mickrigen, gleichmacherischen Gehältern stellt Beck die gelegentlich eigenwillige Interpretation von Volkseigentum durch Funktionäre gegenüber. Ein besonderes Exemplar dieser gar nicht seltenen Gattung muss der SED-Parteisekretär seines Betriebes gewesen sein, mit Hauptinteresse Schnaps- und Wurstbeschaffung aus „Werbegeschenken“.

    Als Beck 1984 im Alter von 34 Jahren zum jüngsten DDR-Betriebsdirektor berufen wurde, hatten die zuständigen Genossen seine Fähigkeiten erkannt und seine Eignung, eine neue Ära der Industrieproduktion zu gestalten: Wollte die DDR mit ihren Maschinen auf dem Weltmarkt bestehen, ging es ohne Elektronik nicht weiter – CAD-Komponenten mussten her. CAD steht für Computer Aided Design. Unter Beck stieg das Werk in die Produktion von Motoren der nächsten Generation ein.

    1989 schwollen wie überall in der DDR die Diskussionen um Perestroika und Glasnost an, auch und gerade unter Leitungskräften und SED-Genossen. Das Kapitel für das Jahr 1989 stellt Wolfgang Beck unter die Überschrift „Macht der Emotionen“: In der Werksführung wuchs der Wunsch nach Veränderungen, zugleich aber auch der nach einer gesicherten Zukunft. Der Plan war zu erfüllen; die alte Staatsspitze erwies sich als handlungsunfähig. Die Ereignisse überschlugen sich. Als die Mauer fiel, gehörte besagter Parteisekretär zu den Ersten, die sich auf den Weg über die nahe Staatsgrenze machen, um das Begrüßungsgeld, die DM des Klassenfeindes, abzugreifen.

    Fortan ersetzte Unternehmergeist den Plandruck, statt Meinungsmonopol galt Vielfalt. Die Idee, das Volkseigentum über die Ausgabe von Anteilsscheinen an den Betrieben zu retten, stand zur Debatte. Beck erinnert sich, wie Treuhandchef Detlef Rohwedder für eine Ertüchtigung der DDR-Wirtschaft statt ihres Ausverkaufs plädiert habe und ihn im persönlichen Gespräch aufgefordert habe, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Man müsse verhindern, dass „Ostdeutschland das Land der Tochterunternehmen wird“.

    Technologiediebstahl im Sinn

    Nun wurden auch Anzeichen manifest, dass ein westlicher Elektromotorenbetrieb „unter dem Mantel des Altruismus die Chance sah, durch Übernahme und Umbewertung an in seinem Betrieb fehlendes Eigenkapital zu kommen“, schreibt Beck. Mit Rohwedders Ermordung bekamen solche Tendenzen nach 1991 ihre Chance.

    Unter der neuen Treuhandchefin Birgit Breuel (kein Studienabschluss, „Vertreterin des Großkapitals“) seien „Betriebe systematisch liquidiert und verkauft“ worden. Auch die soeben entstandene Elektromaschinenbau AG bekam neue Chefs. Beck schreibt: „Der neue Aufsichtsratsvorsitzende Reinhard Engel von der Buderus AG machte bei seinem ersten Besuch im Elmo deutlich, dass ein naher Verwandter von ihm an bestimmten Technologien des Werkes interessiert sei, womit er höflich den Technologiediebstahl umschrieb, der ihm im Sinn stand.“

    Der Betrieb kämpfte nun um seine Selbstständigkeit. Becks Erfahrung: „Um das Elmo zu destabilisieren, war jedes Mittel bis zur Diffamierung willkommen.“ Die Überlebenschancen sanken. Beck berechnet den Verkaufswert nach dem üblichen Verfahren: Umsatz mal Faktor drei bis vier. Da der Elmo-Umsatz bei 300 bis 400 Millionen D-Mark lag (allein für das West-Geschäft, sozialistische Staaten und Inland nicht eingerechnet), „wäre dies auf einen Verkaufspreis von einer bis eineinhalb Milliarden DM hinausgelaufen“.

    Elmo ging dann für wahrscheinlich ungefähr 50 bis 70 Millionen DM an die Merkle-Gruppe. Diesen Preis schließt Beck aus bekannt gewordenen Zahlen wie einem „Verlustvortrag“ von 800 Millionen DM – die „Mitgift“ des Deals, wie Beck sagt. Statt 50 Millionen Verkaufspreis wäre mindestens das Zehn- bis 20-Fache gerechtfertigt gewesen.

    Nicht jeder DDR-Betrieb hatte eine solche Substanz, Verschleiß- und Abschreibungsgrade waren unterschiedlich hoch. Aber generell gelte, so Beck: „Werte wurden einfach verschenkt.“ Das Vorgehen im Fall Elmo nennt er „einen Verrat am Volkseigentum der DDR“ – prototypisch für die neue Treuhand-Zielrichtung.

    Die neuen Manager übertrafen dann den alten Parteisekretär : „Einer begann seinen Tag im Elmo immer mit einem Glas Champagner, ein anderer hatte bereits einen großen Motorenbetrieb im Westen in die Insolvenz geführt, der nächste ließ sich per Taxis die Zigarren ins Büro bringen …“, schreibt Beck. Bald wurde ihm nahegelegt, „den Umstrukturierungsprozess nicht weiter zu stören“.
    Als Ossi-Exot beim West-Adel

    Als er noch als Ossi-Exot zu noblen Westpartys eingeladen wurde, erlebte Beck noch andere Überraschungen: Auf dem Anwesen eines adeligen Wirtschaftslenkers entdeckte er ein Trainingsgerät für die Pferde – angetrieben mit einem Elektromotor aus Wernigerode.

    In seinem Fazit führt Beck Ost- und mehr als 30 Jahre Westerfahrung zu Vorschlägen zusammen, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, die anders als die Marktwirtschaft die eigenen Lebensgrundlagen nicht zerstört. Ihm schwebt eine „wissenschaftlich fundierte Lenkung der Gesellschaft, kontrolliert von einem Gremium, etwa einem Parlament oder Konzil“ vor. Mithilfe von Digitalisierung sollten die Emotionen „zunehmend eliminiert werden: „Das Gezänk von Parteien wäre überflüssig. Es siegten Vernunft, Logik und Bildung und es entstünde eine Bedarfswirtschaft. Die Zeit dafür ist reif.“ Alles hat ein Ende, auch die Marktwirtschaft.

    Aber wohin mit den vermeintlich störenden Emotionen? Wohin mit den emotionalen Menschen? Einige von Becks zehn Thesen klingen plausibel, andere krass oder zumindest utopisch. Aber man wird ja darüber debattieren können.

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    Wolfgang Beck als Werkdirektor/privat

    Biografisches

    Werdegang: Abitur, Lehre als Elektromonteur, Militär, Studium in Dresden mit Abschluss Diplomingenieur für Elektroniktechnologie, Promotion, gleichfalls auf dem Gebiet der Elektronik.

    Karriere: Im Alter von 34 Jahren wurde er als Werkdirektor des VEB Elektromotorenwerke Wernigerode eingesetzt – er war der jüngste Werkdirektor der DDR. Er blieb auf diesem Posten bis zum Ende der DDR.

    Das Buch

    Autor: Dr. Wolfgang Beck

    Titel: Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft. Wolfgang Beck, der letzte Betriebsdirektor des VEB Elektromotorenwerk Wernigerode (Elmo), erzählt von der Planwirtschaft und dem wirtschaftlichen Ab- und Aufbruch nach 1990

    Verlag: Rohnstock Biografien, Berlin, Mai 2023

    Umfang & Preis: 268 Seiten, 19,90 Euro

    #Allemagne #RFA #DDR #histoire #socialisme #capitalisme #économie #privatisation