Einfach mal ausgebürgert
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Präsident Poroschenko hat seinem früheren Freund und jetzigen Rivalen Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen. Der sitzt nun in Amerika fest. Menschenrechtler reagieren empört
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Bald begann er [Saakaschwili /oAnth] , sich über mangelnden Rückhalt aus der Präsidentenkanzlei zu beschweren, und nach anderthalb Jahren im Amt, im November 2016, warf er in Odessa den Bettel hin. Seither ist er ein offener Gegner Poroschenkos, und seit Monaten tourt er durchs Land, um, gestützt auf sein beträchtliches demagogisches Talent, eine eigene Oppositionspartei namens „Bewegung der neuen Kräfte“ aufzubauen. Im Fernsehen lancierte er unlängst ein patriotisch-martialisches Musikvideo, in dem eine als Soldatin kostümierte junge Frau den Präsidenten und Oberbefehlshaber der Streitkräfte als „Schokoladenarsch“ besingt. Für den Präsidenten, der laut einer Umfrage vom Juni gerade noch von 9,5 Prozent der Befragten unterstützt wird, eine inakzeptable Majestätsbeleidigung.
„Den Freunden gib alles, den Feinden gib das Gesetz“
Jetzt hat der so Besungene seinen Studienfreund also per Dekret ausgebürgert, während der gerade durch die Vereinigten Staaten reiste. Die Begründung: Saakaschwili habe bei Annahme des ukrainischen Passes 2015 verschwiegen, dass in Georgien Strafverfahren gegen ihn im Gang sind. Die Menschenrechts-Szene in Kiew schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Nicht, dass „Mischa“ mit seiner Selbstverliebtheit der Liebling jedes Bürgerrechtlers gewesen wäre. Aber die Methode, mit welcher Poroschenko hier einen Konkurrenten kaltstellt, erinnert manche an Russland. Die renommierte Internetzeitung „Ukrainska Prawda“, die den traurigen Ruhm genießt, dass in den letzten beiden Jahrzehnten schon zwei ihrer besonders kritischen Redakteure unter ungeklärten Umständen ermordet worden sind, schrieb am Donnerstag, die Redaktion sei zwar weit davon entfernt, Saakaschwili zu unterstützen. Allerdings komme sie nicht umhin, festzustellen, dass die Praxis der Ausbürgerung von Kritikern zu den klassischen Methoden Wladimir Putins gehöre.
Präsident Poroschenko habe in der Vergangenheit immer wieder beide Augen zugedrückt, wenn Freunde und Verbündete vorschriftswidrig fremde Staatsbürgerschaften angenommen hätten. Immer wieder seien solche Fälle bekanntgeworden, etwa beim früheren Chef des nationalen Finanzamts, Roman Nasirow, und beim ehemaligen Gouverneur von Dnipro, dem Oligarchen Ihor Kolomojskij. Keinen von beiden aber habe Poroschenko deswegen ausgebürgert. Die Zeitung kommt zu einem vernichtenden Schluss: Der Präsident folge dem Grundsatz: „Den Freunden gib alles, den Feinden gib das Gesetz.“ Mit diesem Hang zur „selektiven Gerechtigkeit“ aber trete er in die Fußstapfen seines Vorgängers Janukowitsch – des von Russland unterstützten Kleptokraten im Präsidentenamt, den die Revolution von 2014 nach ihrem tödlichen Finale auf dem „Majdan“, dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, gestürzt hatte.
Najem: Die größte Idiotie seit der Einkerkerung Timoschenkos
Andere Stimmen folgten. Mustafa Najem, der investigative Journalist und heutige Abgeordnete, der seinerzeit durch einen nächtlichen Facebook-Aufruf die Revolution von 2014 ausgelöst hatte, nannte die Ausbürgerung Saakaschwilis die größte Idiotie seit der willkürlichen Einkerkerung Julija Timoschenkos durch Janukowitsch, und Halya Koynasch von der Charkiwer Gruppe zum Schutz der Menschenrechte erinnerte daran, dass der frühere georgische Präsident nicht das erste Ausbürgerungsopfer des Präsidenten sei – vor ihm schon habe Poroschenko einem Mitstreiter Saakaschwilis, Sascha Borowik, den Pass entzogen.
Was aus dem früheren Präsidenten Georgiens nun werden soll, ist unklar. Die Nachricht von seiner Ausbürgerung erreichte ihn in Amerika, und am Donnerstag war unklar, ob er nun überhaupt in die Ukraine zurückkehren kann. Er selbst hat zwar angekündigt, er denke nicht daran, den Rest seines Lebens als „Flüchtling“ zu verbringen. Er werde wiederkommen, er werde wie immer über den Majdan spazieren, und er werde Poroschenkos Entscheidung anfechten. Dafür müssten ihn allerdings die Grenzer am Flughafen Boryspil erst einmal ins Land lassen.
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