A Bruxelles tout politicien peut se comporter en corrompu comme ca lui chante.
11.4.2024 von Pia Schreiber - Für Die Partei wollte er die EU mit den Mitteln der Satire entlarven. Doch kurz vor dem Ende seines Mandats sagt Nico Semsrott: Das war der falsche Ansatz. Über Geld, Macht und das Zerwürfnis mit Martin Sonneborn.
Nico Semsrott lehnt an der verspiegelten Wand eines Fahrstuhls und lächelt. Er fährt in den 8. Stock des Europaparlaments, dort liegt sein Abgeordnetenbüro. „Sie haben aber gute Laune“, bemerkt eine Frau, die zu ihm in den Fahrstuhl steigt. „In zwei Monaten bin ich hier raus“, antwortet Semsrott. „Das macht mich glücklich.“ Für das Satireprojekt Die Partei zog der Comedian 2019 in das Europäische Parlament ein. Auf ein Zerwürfnis mit dem Vorsitzenden Martin Sonneborn folgte der Parteiaustritt. Über seine Zeit im Parlament hat Semsrott ein Buch geschrieben. Es heißt „Brüssel sehen und sterben“.
Herr Semsrott, mit welchem Wort würden Sie Ihre Zeit in Brüssel beschreiben?
Mit dem Wort Irrtum. Ich habe viele Therapiestunden gebraucht, um nicht mittendrin aufzuhören. Aber 900.000 Menschen haben der Partei ihre Stimme und damit einen Auftrag gegeben – das konnte ich nicht einfach wegwerfen.
Ihr erklärtes Ziel war es, mit den Werkzeugen der Satire Aufmerksamkeit für Missstände im Europäischen Parlament zu schaffen. Ist Ihnen das gelungen?
Nein. Ich bin mit meiner Leistung überhaupt nicht zufrieden. Ich bin darauf reingefallen, dass ich als Satiriker sehr erfolgreich war. Da dachte ich: Offenbar kann ich das alles. Aber da habe ich mich so was von geirrt.
Woran liegt das?
Im Parlamentarismus geht es um Grautöne. Selbst die mächtigsten Politiker müssen ihre Positionen verlassen, um zu einer Einigung zu kommen. Es gibt diesen Satz: Demokratie ist, wenn alle unzufrieden sind. Der stimmt. Ich bin überzeugter Demokrat und stehe hinter der Idee von Kompromissprozessen, aber es fühlt sich für mich nicht gut an, selbst als Akteur daran teilzunehmen. Als Satiriker will ich nun mal zu 100 Prozent mein Ding machen. Dieses Spannungsfeld konnte ich nicht auflösen.
Wann ist Ihnen klar geworden, dass Ihr Plan nicht aufgeht?
Schon im ersten Jahr. Mit einer Petition wollte ich einen Sitzungssaal umbenennen. Die 705 Abgeordneten müssen zwischen Brüssel und Straßburg pendeln. Das kostet 750 Millionen Euro pro Legislatur und ist komplett sinnlos. Aber im Vertrag steht: Hauptsitz des Parlaments ist Straßburg. Also wollte ich den Begriff neu definieren – nicht im Sinne der Stadt, sondern im Sinne eines Saals mit dem Namen „Straßburg“. Dafür gab es eine Mehrheit unter den Abgeordneten und viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Aber ein Mitglied der Kommission hat gesagt: „Nö, ist nicht.“ Und damit war das Vorhaben beendet.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Das hat mich sehr schnell demotiviert. Ich wusste, dass das Parlament kein Initiativrecht besitzt. Aber wie viel Macht hat es, wenn es nicht mal über seinen eigenen Sitz entscheiden kann? Das ist doch ein Fehler in der Grundprogrammierung. Ich würde sogar sagen: Das Europaparlament ist gar kein echtes Parlament.
Für Die Partei machten Sie Wahlkampf mit Slogans wie „Für Europa reicht’s“ oder „Besser als nix“. Wie ernst haben Sie die Kandidatur gemeint?
Total ernst. Auch unsere Wähler haben verstanden, dass wir ernste Inhalte in lustiger Verpackung präsentieren. Vielen hat unsere Öffentlichkeitsarbeit gegen ein verschärftes Urheberrecht gefallen.
Martin Sonneborn, der Vorsitzende der Partei, hat im Parlament als fraktionsloser Abgeordneter eine Zeit lang abwechselnd mit Ja und Nein gestimmt, egal worum es inhaltlich ging. Sie dagegen haben sich direkt nach der Wahl 2019 der Fraktion der Grünen angeschlossen. Warum?
Für mich ergibt es keinen Sinn, mich in eine Machtposition wählen zu lassen und die Werkzeuge der Macht dann nicht zu benutzen. Meine Idee war: Ich überzeuge die 70 Leute meiner Fraktion und bekomme dadurch eine Art Hebel – aus meinen 0,14 Prozent Stimmanteil als einzelner Abgeordneter werden durch die Fraktion etwa zehn Prozent. Ich habe das nie gemacht, weil mir mein Psychogramm dabei im Weg stand. Aber die Idee finde ich immer noch klug.
2021 traten Sie aus der „Partei“ aus, nachdem Martin Sonneborn ein Foto von sich mit einem T-Shirt gepostet hatte, dessen Aufdruck viele für anti-asiatischen Rassismus hielten. War das ein spontaner Entschluss?
Schon seit 2018 haben wir immer wieder darüber gesprochen, was Satire soll und welche Aufgaben ein Politiker hat. Diese Verantwortung geht über das Witzemachen des Chefredakteurs beim „Titanic“-Magazin hinaus, wie Sonneborn es war. Sie bedeutet eine Vorbildfunktion. Das hat er für sich anders definiert. Als er dann den rassistischen Witz gepostet hat, habe ich gesagt: Ich bin nicht bereit, das mitzutragen. Nach meinem Austritt habe ich zuerst überlegt, „Die andere Partei“ zu gründen. Aber das war nicht lustig genug.
Ist das überhaupt möglich: Verantwortung tragen und dabei lustig sein?
Es ist auf jeden Fall deutlich schwieriger, weil der Widerspruch kaum aufzulösen ist. Satire ist ja ein Mittel der Machtlosen, nicht der Mächtigen. Der Hofnarr ist lustig, nicht der König. Als EU-Abgeordneter hat man schon ein bisschen Macht, steht auch unter Druck, verliert an Spielraum und wird allein durch das Amt schon unlustiger.
Wie blicken Sie heute auf „Die Partei“?
Ich würde heute eine Satirepartei nicht einmal mehr wählen. Eine kritische Öffentlichkeit finde ich immer noch sehr wichtig. Aber ich habe gelernt, dass im Parlamentarismus manchmal auch andere Mittel wirkungsvoll sind: Anfragen stellen, die Kommission unter Druck setzen. Martin Sonneborn sieht sich als Beobachter, und das ist einfach zu wenig. Eine Partei sollte für die Leute da draußen etwas bewegen.
Ihre bisherigen Arbeitsnachweise sind im Vergleich zu anderen Abgeordneten aber überschaubar.
Ich habe die Strategie gewählt, den Mund zu halten, weil dieser Apparat mich bestrafen kann. Deshalb habe ich Material gesammelt, das ich jetzt veröffentliche. Auf diese Weise erfülle ich doch noch meinen Zweck.
Inwiefern fühlen Sie sich denn von der EU-Verwaltung bestraft?
Am Anfang habe ich gedacht, der Verwaltungsapparat hinter dem Parlament sei politisch neutral. Das war süß. Die hohen Beamten haben ein konservatives oder sozialdemokratisches Parteibuch. Sie entscheiden, wann sie eine Regel anwenden und wann nicht. Ich wurde von meinen politischen Gegnern kontrolliert und aktiv in meiner Arbeit behindert.
Haben Sie dafür Beispiele?
Zum Beispiel wurde eine korrekt angemeldete Pressekonferenz verhindert – angeblich aus Sicherheitsgründen. Als ich von meinem Budget für Werbemittel kostenlose Tampons an soziale Einrichtungen verschickt habe, wurde ich vom obersten Finanzbeamten gerügt. Da war ich erst mal perplex, dieses Parlament hat schließlich ein Gesamtbudget von 2,5 Milliarden Euro. Wie können 30.000 Euro für Tampons von einem Satiriker da Alarm auslösen?
Wie intransparent ist die Europäische Union Ihrer Meinung nach?
Ich habe festgestellt: Hier kann jeder Abgeordnete sorgenlos korrupt sein. Es ist hier genauso wie in Unternehmen, der katholischen Kirche oder der Fifa: Menschen können sich aus einer Kasse bedienen und die Regeln dafür selbst festlegen. Davon profitiert vor allem die CDU – seit 20 Jahren hat sie hier gemeinsam mit ihren Schwesterparteien das Sagen. Aber statt der Korruption bekämpfen sie nur die Korruptionsbekämpfung. Diese Verhältnisse müssen aufgedeckt werden.
Und weshalb gelingt eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit nicht?
Die Europäische Union wurde nicht mit dem Anspruch entworfen, dass die Leute sie verstehen. Stattdessen geht es darum, durch immer neue Ausgleiche arbeitsfähig zu bleiben. Diese Komplexität konnte ich auch mit den Mitteln der Satire nicht überwinden. Und selbst wenn: Es gibt keine gemeinsame europäische Öffentlichkeit. Was ich nach außen erzähle, hat während der Legislaturperiode keinerlei Wirkung nach innen. Diese Machtverhältnisse verändern sich erst jetzt, im Wahlkampf.
Auch Sie wurden aus dieser Kasse bezahlt. Ihr Abgeordnetengehalt haben Sie transparent gemacht: 5400 Euro netto und bei Anwesenheit zusätzliches Tagegeld in Höhe von 350 Euro.
Am Anfang fand ich diesen Betrag kriminell hoch, mittlerweile finde ich ihn okay. Noch fünf Jahre und ich würde sagen: Das ist mein gutes Recht. Das ist das Verrückteste an der Demokratie: Hier laufen Politiker im Endstadium rum, die vergessen haben, dass sie eigentlich eine Rolle auf Zeit ausfüllen. Ein irrsinniges Beispiel ist die Fahrtkostenpauschale: Bei realen Ticketkosten von 105 Euro für eine Fahrt nach Paris bekomme ich 610 Euro erstattet – wegen der Zeitaufwands- und der Entfernungspauschale.
Was haben Sie denn mit dem Geld gemacht?
Ich will es an den Freiheitfonds spenden. Mein Bruder Arne Semsrott kauft damit Menschen frei, die für Schwarzfahren im Knast sitzen. So korrigieren wir das System zumindest an dieser Stelle von oben nach unten. Aber dafür kriege ich bestimmt auch wieder Ärger.
Während der Legislaturperiode sind Sie mehrere Monate ausgefallen, weil Sie eine depressive Episode durchlebt haben. Warum haben Sie das öffentlich gemacht?
Ich verstehe Politik als Aufgabe, die mir anvertraut wurde. Aber dieses Vertrauen muss ich mir wiederum verdienen. Dazu gehört auch die Erklärung, warum ich nicht die 60 Enthüllungsvideos rausballere, die ich vor der Wahl versprochen habe. Diese Transparenz ist für mich viel einfacher als für Parteipolitiker, die natürlich auch psychische Probleme haben. Aber sie müssen im Wettbewerb um Listenplätze die ganze Zeit Stärke simulieren.
Hat das Mandat Ihre Krankheit verschlimmert?
Ja. Ich habe nicht damit gerechnet, wie schwer die Last der Verantwortung tatsächlich auf mir liegt. Ich habe Öffentlichkeit versprochen, oder zumindest ein bisschen Trost. Aber das Parlament ist die mit Abstand schwächste Institution im Gesetzgebungsprozess – und ich bin Oppositionspolitiker. Ich fühle keine Macht, sondern Ohnmacht.
Wie hat es sich denn angefühlt, den Tour-Alltag als Künstler gegen einen Bürojob einzutauschen?
Es war die Hölle für mich. Als Satiriker habe ich zwar meine Probleme durchs Leben getragen, aber mir einen Weg um sie herum gebaut. Ich stand allein auf der Bühne, mit viel Abstand zum Publikum. Dazu der ironische Bruch, um die Distanz zu wahren. Natürlich kann ich keine zehn Stunden in einem Büro sitzen und Mitarbeitern Anweisungen geben. Das ändert auch keine Therapie, deshalb habe ich mein Team auf eine Person reduziert. Aber meistens bin ich schon mit mir selbst überfordert.
Die vergangenen fünf Jahre waren geprägt von Krisen: Klima, Corona, Krieg und Inflation. Wie bewerten Sie das Krisenmanagement, das Sie im Maschinenraum der EU beobachten konnten?
Je länger man sich das Geschehen aus der zweitletzten Reihe im Parlament anguckt, desto mehr wird klar, was die Gesamtsituation der Menschheit ist und wie hilflos sie reagiert. Darüber Witze zu machen, erscheint so sinnlos.
Die EU gilt oft als behäbig und kompliziert. Kann Politik auf europäischer Ebene überhaupt funktionieren?
Die EU ist mit Abstand das Progressivste, was die Menschheit anzubieten hat. In keinem anderen politischen Raum werden klügere Entscheidungen getroffen. Aber die sind leider trotzdem vollkommen unzureichend. Das Ergebnis lautet dann in etwa so: Wenn wir die Erde in den nächsten 30 Jahren zu 1,7 Prozent weniger zerstören als bisher geplant, ist das ein guter Kompromiss. Dieses System bietet keine Antworten auf wissenschaftliche Notwendigkeiten. Für wen funktioniert diese Politik? Für die Menschheit? Auf lange Sicht nicht. Für den Planeten? Nein. Aber für die Leute hier im Parlament funktioniert sie super.
In einer Kleinen Anfrage haben Sie die Kommission gefragt, was der durchschnittliche Unionsbürger tun muss, um Einfluss auf die EU-Politik zu nehmen. Wie würden Sie selbst diese Frage beantworten?
Man kann in einer parlamentarischen Opposition oder einer Koalition durchaus etwas bewegen. Aber Organisationen wie Fridays for Future und Gewerkschaften sorgen mit Streiks für Druck von außen. Das halte ich für den richtigen Weg. Insgesamt braucht es mehr Beteiligung, mehr Demokratie. Dass die Tendenz eine andere ist, ist tragisch.
Wie wird sich die Arbeit des Parlaments in den nächsten fünf Jahren entwickeln?
Meine Wette ist, dass alle zukünftigen Legislaturperioden noch schlimmer werden. Aber dass die EU zerstört wird, wie rechte Kräfte es fordern, glaube ich nicht. Akteure wie Meloni oder Orban sehen sie als Instrument für ihre Politik. Sie nutzen sie als Feindbild, kassieren in der Regel aber trotzdem noch Milliarden an Förderungen.
Eine erneute Kandidatur haben Sie ausgeschlossen. Warum?
Weil ich mich selbst nicht wählen würde. Ich möchte zurück in die außerparlamentarische Opposition. Da funktioniere ich besser – sowohl mit meinen Talenten als auch mit meinem persönlichen Belohnungssystem. Ich habe Sehnsucht nach der Bühne und dem Publikum. Es ist cool, gemeinsam verwirrt zu sein.