• Gorillas-Lieferdienst : Klassenkampf im Gerichtssaal | Telepolis
    https://www.heise.de/tp/features/Gorillas-Lieferdienst-Klassenkampf-im-Gerichtssaal-6666242.html

    7.4.2022 von Peter Nowak - Für die Betroffenen war die gestrige Verhandlung nur eine Etappe auf dem Weg zum Europäischen Gerichtshof.

    Die Kündigungen von drei Beschäftigten des Essenslieferanten Gorillas wegen Beteiligung an einem „wilden Streik“ sind wirksam. Die Klage der Betroffenen dagegen vor dem Berliner Arbeitsgericht ist gescheitert.

    In einem Fall hat das Gericht allerdings die fristlose Kündigung zurückgewiesen, weil nicht hinreichend dargelegt worden sei, wie der Rider – so werden die Gorilla-Fahrer genannt – am Streik involviert war. Da er noch in der Probezeit war, konnte allerdings das Beschäftigungsverhältnis nach einer Zweiwochenfrist beendet werden, so das Gericht.

    So konnten alle drei Beschäftigten nicht wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Trotzdem sehen sie in der Entscheidung keine Niederlage. Sie war vielmehr erwartet worden. Wer am Mittwoch die 90-minütige Verhandlung verfolgte, war schnell davon überzeugt, dass die Beschäftigten dort keinen Erfolg haben werden.

    Im Gerichtssaal war vielmehr eine Atmosphäre von Klassenkampf zu spüren. Arbeitsrichter Kühn drohte sogar mit Räumung des Saals, weil ein Besucher einem nicht-deutschsprachigen Rider die Dialoge im Gerichtssaal übersetzte. Da konnte schon von einer Diskriminierung gesprochen werden, denn die Mehrzahl der Rider ist migrantisch und untereinander kommunizieren sie auf Englisch. Da ist es besonders fatal, dass Menschen, die dann versuchen, die Sprachdefizite durch Übersetzung in Eigeninitiative ausgleichen, sanktioniert werden.

    Auch gegenüber dem Anwalt der Beschäftigten, Benedikt Hopmann, waren die Töne des Richters sehr rau. Er beschuldigte ihn, auf Kosten der Beschäftigten Politik betreiben zu wollen. Das zeigte sich für Kühn schon daran, dass über 50 Menschen den Prozess verfolgten, der dafür extra in einen größeren Saal umziehen musste.

    Für Hopmann ist das Interesse deshalb so groß, weil es viele Menschen gibt, die ein Interesse an einem Ende des regressiven Streikrechts in Deutschland haben, so seine Ausführungen im Gerichtssaal.

    Hoffnung auf EU-Recht?

    Diese Hoffnung allerdings bleibt trotz des negativen Urteils beim Berliner Arbeitsgericht weiter bestehen. Es war schon eingepreist und ist die Voraussetzung, damit die Kläger durch alle Instanzen und bis zum Europäischen Gerichtshof ziehen können. Das aber, so die Hoffnung von Hopmann, könnte das regressive Streikrecht in Deutschland kippen, das in der Pressemitteilung des Berliner Arbeitsgerichts noch einmal ausdrücklich bestätigt wurde.

    Das Gericht erachtete zwei der außerordentlichen Kündigungen für wirksam. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass die Teilnahme an einem Streik nur dann rechtmäßig sei, wenn dieser von einer Gewerkschaft getragen werde.

    Aus der Pressemitteilung des Berliner Arbeitsgerichts

    Hopmann verweist auf die Europäische Sozialcharta, die im Widerspruch dazu stehe. Sie stärke ausdrücklich das Recht auf Streiks ohne Gewerkschaften sowie politische Streiks, was Hopmann in einem Online-Vortrag auch gut begründet.

    Dass deutsche Regierungen der unterschiedlichen Zusammensetzungen die Europäische Sozialcharta behindern, kritisiert auch der gewerkschaftsnahe Jurist Wolfgang Däubler.

    Trotzdem wäre ein zu großer Optimismus verfrüht, dass das regressive deutsche Streikrecht durch EU-Recht liberalisiert wird. Das zeigte sich schon daran, dass der Anwalt des Essenslieferanten die Sozialcharta ganz anders auslegt.

    Hier wurde eben deutlich, dass es sich um einen Klassenkampf im Recht handelt. Das EU-Recht hat in verschiedenen Minderheitenfragen tatsächlich liberalen Positionen zum Durchbruch verholfen, aber ist nicht als besonders gewerkschaftsfreundlich aufgefallen. Trotzdem ist die aktuelle Auseinandersetzung wichtig.

    Neue Gesicht der Arbeitskämpfe in Deutschland

    Die Grundlage ist eine neue Welle von Arbeitskämpfen, die durch die Rider verschiedener Essenslieferanten initiiert wurden, die lange als schwer organisierbar galten. Doch mit der Gründung der Deliverunion zeigte sich, dass auch dort Organisierungsprozesse möglich sind, wie der Soziologe Robin De Greef in dem Buch „Riders Unite!“ nachgewiesen hat.

    Nun ist bei Gorillas eine neue Welle der Beschäftigten in den Kampf getreten. Sie ist transnational. Ihr Kampf dreht sich um mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, aber auch um überdachte Pausenräume. Sie haben mit ihren Arbeitskämpfen überhaupt erst wieder die Diskussion um das regressive deutsche Streikrecht auf die Agenda gesetzt.

    Das wurde in dem Redebeitrag von Gorilla-Riderin Duygu Kaya deutlich. Die Akademikerin aus der Türkei beschrieb gut, dass sie als Migrantin auch in Deutschland in prekäre Arbeitsverhältnisse wie bei Gorillas gezwungen ist. Sie erklärte, wieso die Beschäftigten dort in den Arbeitskampf traten und auch trotz Repression daran festhielten.

    Eigentlich wollte Kaya den Beitrag vor Gericht halten, um dort zu begründen, warum sie in den Arbeitskampf trat. Doch das ließ Richter Kühn mit der Begründung nicht zu, er könne keine Schmähkritik im Gerichtssaal dulden. Vielleicht, weil Kaya auch auf den NS-Hintergrund des regressiven deutschen Streikrechts erinnerte. Es wurde bereits 1934 von Hans-Carl Nipperday in seinem Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit formuliert und hat noch immer Gültigkeit.

    Solidarität mit Beschäftigten auch im Stadtteil

    So konnte Kaya ihre Rede vor dem Berliner Arbeitsgericht halten, wo die Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht zu einer Kundgebung aufrief. Dort haben sich verschiedene Gruppen, unter anderem die AG Taxi bei der Dienstleistungsgewerkschaft verdi, mit den Gorilla-Riders solidarisiert.

    Schon einige Tage zuvor haben Nachbarn ebenfalls ihre Solidarität gezeigt, als dort eine Gorilla- Filiale geschlossen wurde. Vorher hatten einige Anwohner gegen das „migrantische Unternehmen“ mobilisiert, das angeblich nicht in die bürgerliche Wohngegend passe. Auf der Kundgebung am 30. März setzte ein Mitarbeiter des Roten Antiquariats, das in der Straße seine Filiale hat, in einer Rede andere Akzente:

    Doch statt die Arbeitsbedingungen und die Kapitalstrategien zu kritisieren, werden die oftmals migrantischen Beschäftigten selber zu Sündenböcken erklärt. Es wird sich über die hohe Geschwindigkeit der Fahrradkuriere oder die blockierten Straßen mokiert aber nicht gesehen, dass die Beschäftigten im Zustellungsbereich einen gewaltigen Druck erleben und sie es sind, die die bestellten Waren transportieren aber nicht konsumieren. Die Logik ist klar, man will beliefert werden, aber der Lieferverkehr und die Arbeitskräfte sollen nicht stören. Die Kuriere sind jedoch die modernen Dienstboten unserer Zeit.

    aus einer Rede eines Mitarbeiters des Roten Antiquariats auf einer Solidaritätskundgebung für Gorillas-Beschäftigte

    Diese außerbetriebliche Solidarität ist der Erfolg der Arbeitskämpfe der Riders. Wenn es ihnen gelingt, über den Europäischen Gerichtshof ein regressives deutsches Streikrecht mit NS- Hintergrund zu kippen, wäre das ein besonderer Erfolg.

    #Berlin #Arbeit #Justiz #Gigworking #Kündigung #Arbeitskampf #Klassenkampf #Fahrradkurier #Transport

  • Gorillas-Kuriere vor Gericht: „Was hätten wir anderes tun sollen als streiken?“
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/kuriere-gorillas-klage-kuendigungen-wilder-streik-arbeitsgericht-be

    Arbeitsgericht Berlin urteilt: Kündigung von drei Fahrern wegen Teilnahme an einem Streik war rechtmäßig. Der Anwalt will in Berufung gehen.

    6.4.2022 VON Antonia Groß - Einen Befangenheitsantrag gegen den Richter auszusprechen, dazu kam Rechtsanwalt Benedikt Hopmann gar nicht mehr. Nur einen Augenblick zuvor schloss Richter Thomas Kühn die Verhandlung, zog sich zur Urteilsfindung zurück. In den Gesichtern vieler Anwesender spiegelt sich Frust, auch sie verließen den Saal 334, den größten Raum am Berliner Arbeitsgericht. „Ich brauche jetzt erst mal Luft“, sagte eine.

    Sie waren in das Gericht am Magdeburger Platz gekommen, um zwei ehemalige Kurierfahrer und eine -fahrerin des Lieferdienstes Gorillas zu unterstützen. Die drei hatten gegen ihre fristlosen Kündigungen im Oktober geklagt. Sie waren zusammen mit Dutzenden anderen Angestellten schlagartig von dem Berliner Start-up entlassen worden, nachdem sie an Streiks teilgenommen hatten. Die meisten fristlos, viele waren noch in der Probezeit.

    Kündigungen wegen wilder Streiks

    Das Urteil am Nachmittag wurde der Laune der Zuschauenden gerecht: Die Kündigungen der drei Kuriere wurden für wirksam erklärt. Die Teilnahme an einem Streik sei nur dann rechtmäßig, wenn dieser von einer Gewerkschaft getragen werde, so die Begründung.

    Ein Urteil im Sinne der Kuriere hätte aus Sicht von Anwalt Hopmann das Streikrecht grundlegend verändern können. Denn die „außerordentlichen“ Kündigungen im Oktober, so hieß es damals in einer Presseerklärung des Unternehmens, gingen auf die Teilnahme der Kuriere an verbandsfreien Streiks zurück. Sogenannte „wilde“ Streiks, spontane Arbeitsniederlegungen ohne den Aufruf einer Gewerkschaft, gelten in Deutschland bislang nicht als legal.

    Anwalt Hopmann sieht das anders. Er argumentiert völkerrechtlich, mit Artikel sechs der Europäischen Sozialcharta, die Deutschland 2007 ratifizierte. Entscheidend ist aus seiner Sicht die Formulierung, dass kollektive Handlungen, auch Streiks, „das Recht der Arbeitnehmer“ seien. Damit sei das deutsche Recht nicht vereinbar, sagte Hopmann.

    Auf diese Argumentation ließ sich Richter Kühn am Mittwoch nicht ein. Auch von den Arbeitsbedingungen im Unternehmen wollte er nichts hören. „Das ist hier keine politische Bühne“, sagte er. Zweck des Prozesses sei, die Rechtmäßigkeit der Kündigungen zu beurteilen.

    Duygu Kaya, 33, Lehrerin aus Istanbul und eine der gekündigten Kuriere, hätte gern eine Erklärung im Gericht vorgelesen. Weil sich der Richter weigerte, Kaya sprechen zu lassen, wollte Anwalt Hopmann ihn für befangen erklären lassen. „Das entspricht nicht der Bedeutung dieses Rechtsstreits“, sagte der Anwalt.

    „Unsere Löhne wurden gestohlen“

    Kaya hätte gern vorgetragen, was sie im Oktober zur Teilnahme an den Streiks bewegt hatte. „Was hätten wir anderes tun sollen, als zu streiken?“ schreibt sie in dem Text, der der Berliner Zeitung vorliegt. „Unsere Löhne wurden gestohlen. Wir waren ständig unterbesetzt. Wir wurden zu irrsinnigen und illegalen Schichten eingeteilt, die gegen die Arbeitszeit-Regelung verstoßen“. Gern hätte Kaya auch die schwierigen Bedingungen ausgeführt, die für Menschen mit Migrationsgeschichte auf dem Arbeitsmarkt bestehen.

    Viele Beschäftigte von Gorillas sind migrantisch. Ihre Proteste und Streiks waren im vergangenen Sommer immer wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit geraten. Die Kritik: Das Geschäftsmodell würde auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Das Berliner Start-up liefert seit Frühjahr 2020 Supermarktware durch Fahrradkuriere aus. Durch die Pandemie hat das Geschäft geboomt.

    Für Anwalt Hopmann bleibt der Prozess politisch. Er verkündete noch in der Verhandlung, dass er Berufung einlegen werde.

    #Berlin #Arbeit #Justiz #Streik #Fahrradkurier

  • Ein Job für höchstens drei Jahre
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162708.arbeitsbedingungen-bei-lieferdiensten-ein-job-fuer-hoechstens-dre

    3.4.2022 von Patrick Volknant - Die einen kommen nicht vom Sofa hoch, die anderen treten auch bei strömendem Regen in die Pedale. Täglich eilen unzählige Essenskuriere auf dem Fahrrad oder mit dem Auto durch die Hauptstadt – die meisten von ihnen in neon-orangener Montur. Ihr Arbeitgeber, der milliardenschwere Branchenriese Lieferando, hat in Zeiten von Pandemie und Abstand halten weiter die Kassen füllen können. Doch für den Geschmack der Fahrerinnen und Fahrer in Berlin kommt davon zu wenig in ihren eigenen Geldbeuteln an.

    Einer von ihnen ist Leo. Seit rund eineinhalb Jahren ist er mit dem Fahrrad für Lieferando unterwegs, 30 Stunden die Woche. Seinen eigenen Worten zufolge biegt der 27-Jährige damit bereits auf die Zielgerade ein: »Wenn du krass drauf bist, kannst du den Job vielleicht zwei, drei Jahre machen – länger nicht.« Obwohl er auch neben dem Job versuche, sich fit zu halten und auf die eigene Ernährung zu achten, mache sich die physische Belastung der Arbeit schnell bemerkbar. »Rückenschmerzen sind bei uns allen ein Dauerthema.«

    Auch an der Psyche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinterlasse der Job Spuren, sagt Leo: »Ich habe Kollegen, die nachts aufwachen, weil sie geträumt haben, dass sie ein Laster überfährt.« Das komme nicht von ungefähr. Der Essenskurier erzählt von katastrophalen Zuständen auf den Berliner Straßen, von nicht vorhandenen Fahrradwegen und Rasern, die »mehr oder weniger besinnungslos« mit dem Auto durch die Gegend jagen. »Die Arbeit ist schon gefährlich, besonders wenn starker Wind weht oder wenn es glatt ist«, sagt Leo. Er selbst sei schon mehrfach gestürzt, es gebe auch Kolleginnen und Kollegen, die sich den Arm oder die Schulter gebrochen hätten.

    »An den Straßen kann Lieferando natürlich nichts ändern«, sagt Leo. Durchaus möglich sei es aber, zuverlässige Räder mit intelligenter Lastenverteilung zur Verfügung zu stellen. »Bei DHL fährt ja auch niemand mit einem Rucksack herum wie wir.« Dabei startete Lieferando Anfang des Jahres das, was von mancher Seite als Charmeoffensive interpretiert wurde, stellte Diensträder sowie Smartphones zur Verfügung. Allerdings leistete das Unternehmen lediglich einem vorausgegangenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts Folge, das den Anspruch für Fahrradkuriere zuvor festgelegt hatte.

    Von den versprochenen Diensthandys sei bis heute nichts zu sehen, erzählt Leo. Auch auf die Diensträder verzichte er lieber und nehme stattdessen weiter sein eigenes. »Viele der Räder sind einfach in einem Scheiß-Zustand«, sagt er. »Bei meinem eigenen Rad weiß ich wenigstens, dass es in Ordnung ist.« Wenn früher ein Fahrrad abhanden gekommen oder kaputt gegangen sei, habe Lieferando dazu aufgefordert, Leihräder von öffentlichen Anbietern auf eigene Kosten zu benutzen. An dieser Geisteshaltung hat sich laut Leo bis heute nichts geändert: »Es gibt bei Lieferando das Grundprinzip, dass Angestellte mit ihren Problemen und Nöten alleine gelassen werden.«

    Berliner Kolleginnen und Kollegen von Leo sehen es ähnlich. Immer wieder kommt es zu Demonstrationen vor dem Lieferando-Hauptquartier in Kreuzberg. Erst kürzlich forderten diejenigen, die mit dem Auto für das Unternehmen durch die Stadt fahren, eine Erhöhung der Kilometerpauschale von 30 auf 50 Cent, um den gestiegenen Spritpreisen gerecht zu werden. Auch Leo war dort. »Ich will mich hier solidarisch zeigen«, sagt er. Es gehe ihm dabei einfach ums Prinzip.

    Den Protest mit auf die Beine gestellt hat Sarah, alleinerziehende Mutter von drei Kindern. »Versicherung, Steuern, Werkstattbesuche – das müssen wir alles selbst tragen«, sagt die 32-Jährige, die wie alle anderen auch ihr Privatauto für den Job bei Lieferando einsetzt. Schon bei normalen Benzinpreisen reiche die Kilometerpauschale »vorne und hinten nicht«, mittlerweile aber sei es vollkommen unmöglich geworden. »Das ist ein ganz, ganz großes Problem für uns gerade«, sagt sie. »Wir bezahlen den Sprit aus eigener Tasche.«

    Es ist auch die Anrechnung der Strecken, die für Kopfschütteln unter den Fahrerinnen und Fahrern sorgt. Die Rede ist von »gestohlenen Kilometern«: zusätzlichen Wegen, die durch Lieferando nicht anerkannt und gezahlt werden. Schuld soll das nicht funktionierende Zusammenspiel zwischen der unternehmenseigenen App und dem von Lieferando zur Verfügung gestellten Navigationssystem sein. Sarah erklärt, die App berechne ständig kürzere Wege als die Strecken, die tatsächlich angezeigt und gefahren würden. Außerdem werde man regelmäßig an falsche Adressen geleitet. Die zusätzlichen Kosten übernehme Lieferando in keinem der Fälle.

    »Weil das Navi generell einfach immer spinnt, habe ich mir ein eigenes besorgt«, sagt Sarah. Jetzt werde sie zwar seltener an falsche Adressen geleitet, an der fehlerhaften Kilometerberechnung in der App ändere das aber nichts. Theoretisch gebe es für sie zwar die Möglichkeit, die zusätzliche Strecke manuell nachzuweisen, aber: »Es ist einfach nicht meine Aufgabe als Fahrerin, da noch ein Fahrtenbuch parallel zur Arbeit zu führen.«

    So gefährlich wie Leos Alltag ist der von Sarah nicht. Von Stress weiß aber auch sie zu berichten. »Man hat natürlich viele Tage, an denen man kaum hinterherkommt«, sagt sie. »Wenn eine Lieferung vor einer Stunde hätte abgeholt werden müssen, sind wir diejenigen, die den ganzen Stress vom Restaurant und von den Kunden abbekommen.« Zu Verspätungen komme es zwangsläufig: Parkplätze und Wohnungseingänge seien schwer zu finden, oft müsse telefoniert werden, weil auf das Klingeln niemand reagiert.

    Bei der Frage danach, ob sie mit der Bezahlung zufrieden sei, muss Sarah lachen. »Natürlich ist das nicht in Ordnung und könnte viel mehr sein.« Neben dem Stundenlohn, den Lieferando Anfang des Jahres von zehn auf elf Euro erhöht hat, erhalten Fahrerinnen und Fahrer ab der 26. Lieferung im Monat nach einem Staffelsystem zusätzlich 25 Cent pro Zustellung. Ab der 101. Lieferung gibt es einen, aber der 201. zwei Euro pro Zustellung oben drauf. »Letztlich macht es eigentlich das Trinkgeld«, sagt Sarah.

    Seit kurzem ist die Fahrerin Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Diese fordert schon seit längerem einen Stundenlohn von 15 Euro für die Lieferando-Beschäftigten. Sie versuche auch, andere dazu bewegen, sich zu engagieren, sagt Sarah, doch das sei nicht so einfach: »Viele hier haben Probleme mit Lieferando, bleiben aber lieber ruhig, weil sie Angst haben, den Job zu verlieren.« Für einige hänge auch der Aufenthaltstitel an der Anstellung. Aufgeben wollen Sarah und Leo aber nicht. Die erstmalige Wahl eines Betriebsrats für die Berliner Beschäftigten ist bereits in Vorbereitung.

    Lieferando selbst ließ eine Anfrage von »nd« unbeantwortet. Am Mittwoch startet vor dem Arbeitsgericht in Berlin ein Prozess gegen den Lieferdienst Gorillas. Drei ehemalige Angestellte des Unternehmens klagen, nachdem sie zusammen mit über 50 Kolleginnen und Kollegen fristlos entlassen wurden.

    #Berlin #Arbeitsgericht #Fahrradkurier #Lieferdienst #Arbeit #Klassenkampf

  • Organisierung bei Lieferando: Fah­re­r mit Rad sucht Betriebsrat
    https://taz.de/Organisierung-bei-Lieferando/!5822003

    29.12.2021 von Erik Peter - 2.500 Angestellte von Lieferando sollen einen Betriebsrat bekommen. Derweil profitiert Gorillas vom Rückzug der Konkurrenz.

    Beim Restaurantlieferdienst Lieferando, dem so orange-penetranten Marktführer im Segment des lauwarmen Pizza- und Burger-Haustürservices, wollen Beschäftigte einen Betriebsrat gründen. Etwa 2.500 Angestellte in Berlin, zumeist mit wenig attraktiven Arbeitsbedingungen, könnten davon profitieren.

    Der erste Schritt auf dem Weg zu einer Betriebsratswahl ist mit der Ernennung eines Wahlvorstandes bereits gemacht: Elf Mitglieder sowie sechs Er­satz­kan­di­da­t:in­nen gehören dem im November berufenen Gremium an. „Wir haben uns jetzt zusammengefunden, um Wahlen vorzubereiten“, sagt eine Vertreterin aus dem Wahlvorstand der taz, ihren Namen möchte sie aus Sorge vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen nicht öffentlich machen.

    Ernannt wurde das Gremium vom Lieferando-Gesamtbetriebsrat, der seit 2019 bundesweit existiert. Dem Schritt gingen jedoch monatelange Treffen der Fah­re­r:in­nen in Berlin voraus. Noch warten die nun Ernannten auf eigene Büroräume und die Unterstützung von Lieferando; manche von ihnen auch auf das Gehalt, das ihnen als Wahlvorstand zusteht.

    Richtige Steine habe ihnen das Unternehmen noch nicht in den Weg gelegt, so die Essenskurierin, aber Hilfe sei eben auch nicht vorhanden. Der niederländische Mutterkonzern Takeaway hatte in der Vergangenheit etwa am Standort Köln versucht, lokale Betriebsratsgründungen zu unterlaufen.

    Zehn Kilometer für eine Tour

    Für die Fah­re­r:in­nen geht es um viel. Obwohl Lieferando zu den etablierten Marken der Branche gehört, ist der Lohn vergleichsweise schlecht. Wer Essen ausliefert, erhält zehn Euro pro Stunde, ab der 25. Auslieferung im Monat kommen 25 Cent pro Lieferung oben drauf, nach der 100. ein Euro.

    Fahrrad und Handy müssen die Fah­re­r:in­nen bislang trotz eines entgegengesetzten Urteils des Bundesarbeitsgerichts selbst stellen, für eine minimale finanzielle Kompensation. In Berlin haben sich die Arbeitsbedingungen diesen Winter aufgrund des Fahrermangels verschlechtert. Bis zu zehn Kilometer müssen Fahrer nun für eine Lieferung zurücklegen, daher schaffen sie weniger Fahrten.

    Für die Betriebsratswahl müssen die engagierten Kol­le­g:in­nen die Vereinzelung der Angestellten überwinden, denn sie haben keinen gemeinsamen Arbeitsplatz. Kontakte seien oft nur möglich, indem man sich auf der Straße anspricht, so die Fahrerin. Eine große Hilfe und Motivation sei die zuletzt erfolgte und gerichtlich durchgekämpfte Gründung eines Betriebsrates beim Lebensmittellieferanten Gorillas gewesen.
    Gorillas sichert sich Fah­re­r:in­nen

    Gorillas profitiert derweil von einer anderen Entwicklung am Markt: Kurz vor Weihnachten hat das Berliner DAX-Unternehmen Delivery Hero seine Marke Foodpanda zurückgezogen. Der inzwischen weltweit tätige Konzern hatte 2018 sein Deutschlandgeschäft an den Lieferando-Mutterkonzern Takeaway verkauft und war erst vor einem halben Jahr mit Foodpanda wieder in das Liefergeschäft hierzulande eingestiegen. Doch anscheinend war man der Konkurrenz um Kun­d:in­nen und Ar­bei­te­r:in­nen nicht gewachsen.

    Die etwa 700 Foodpanda-Fahrer:innen hat Delivery Hero nun an Gorillas weitergereicht, an dem es ebenfalls Anteile hält. Die Fah­re­r:in­nen erfuhren davon per Mail. Gorillas hat sich damit auf einen Schlag des Problems entledigt, nicht genügend Personal zu finden. Laut einer der zwangsversetzten Fah­re­r:in­nen warten in den Lagerhäusern derzeit viel zu viele Fah­re­r:in­nen auf Bestellungen. Im Februar soll demnach eine Bewertung ihrer Arbeit erfolgen. Wer gut „performt“, darf bleiben und erhält dann auch Ausrüstung von Gorillas.

    #Berlin #Arbeit #Gewerkschaft #Fahrradkuriere

  • Riders unite! | Lesejury
    https://www.lesejury.de/robin-de-greef/buecher/riders-unite/9783982203652

    ARBEITSKÄMPFE BEI DEN ESSENSLIEFERDIENSTEN - DAS BEISPIEL BERLIN
    Mit ihren auffälligen Rucksäcken prägen sie mittlerweile das Bild von Großstädten in ganz Europa und darüber hinaus: Rider genannte Kurierfahrer*innen, die auf Abruf Essen direkt vor die Haustür liefern. Sie sind Teil der Gig-Economy, einem Bereich des Arbeitsmarktes, der durch die Vermittlung prekärer Dienstleistungsjobs über digitale Plattformen gekennzeichnet ist.
    Die Plattform-Unternehmen wälzen dabei oft Verantwortung und Kosten auf die Beschäftftigten ab, welche im Arbeitsalltag tendenziell vereinzelt sind. Unerwartet kam darum, dass sich Rider seit dem Sommer 2016 vielerorts selbst organisieren und auch international vernetzen, um bis heute für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. In Berlin wurde die Kampagne Deliverunion gegründet, in der sich Rider der konkurrierenden Lieferdienste Deliveroo und Foodora zusammenschlossen und die durch das lokale Syndikat der Basisgewerkschaft FAU unterstützt wurde.
    Entlang dieses konkreten Beispiels gibt das Buch Einblicke in die Welt der Plattform-Unternehmen sowie den Arbeitsalltag und die Kämpfe bei den Lieferdiensten. Durch Auszüge aus Interviews kommt dabei die Perspektive der Rider selbst besonders zur Geltung.

    10,00 €
    inkl. MwSt
    VERLAG: Die Buchmacherei
    THEMENBEREICH: Gesellschaft und Sozialwissenschaften
    GENRE: keine Angabe / keine Angabe
    SEITENZAHL: 144
    ERSTERSCHEINUNG: 12.2020
    ISBN: 9783982203652

    Bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/9783982203652?MVB-Kennnummer=5271615

    Leserbriefe (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/399848.serie-unsere-armut-ihre-profite-rider-im-gegenwind.html

    Leserbrief zum Artikel Serie »Unsere Armut – ihre Profite«: Rider im Gegenwind vom 01.04.2021:
    Gehaltvolle Untersuchung
    Zum ausgezeichnet detailreichen Bericht von Elmar Wigand über den Konzentrations-, Monopolisierungs- und Konkurrenzprozess bei den Lieferdiensten möchte ich auf ein wichtiges Büchlein zum Thema hinweisen: »›Riders unite!‹ – Arbeitskämpfe bei Essenslieferdiensten in der Gig-Economy – Das Beispiel Berlin«. Der Autor Robin de Greef ist ein Insider, der als Student – wie viele junge Leute – selbst als Rider bei Deliveroo und Foodora gearbeitet, darüber seine Bachelorarbeit geschrieben und daraus ein sehr lesbares Buch gemacht hat. Es ist im Dezember 2020 erschienen im Verlag Die Buchmacherei.

    Ein substanzreicher Untersuchungsbericht vor Ort, belegt durch viele Interviews mit Kurierfahrer/innen, mit Fotos und Schaubildern von ihren Arbeitskämpfen und Verortung der Arbeitsplattformen in der digitalen Ökonomie. Die anschauliche Schilderung der prekären Arbeitsweisen und Abhängigkeiten wird durch ein Glossar, ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis und erstmals dokumentierte Arbeitsverträge und Kündigungsschreiben ergänzt.

    Die Solidaritätserklärung von Berliner Taxi-Fahrern für die Rider in einem Gerichtsprozess gegen Deliveroo stellt die Verbindung zu ähnlich sich verschlechternden Arbeitsbedingungen her und betont die Notwendigkeit von unternehmens- und branchenübergreifendem Widerstand, solidarisch und international.
    Rainer Knirsch, Berlin
    Veröffentlicht in der jungen Welt am 02.04.2021.

    #Berlin #Taxi #Fahrradkuriere #Buch

  • jungle.world - Fressen und gefressen werden
    https://jungle.world/artikel/2019/38/fressen-und-gefressen-werden

    19.09.2019 Von Peter Nowak -Plattformen, über die Kunden Essen bestellen können, konkurrieren hart miteinander. Leidtragende sind die Beschäftigten. Doch die Fahrerinnen und Fahrer organisieren sich nun selbst.

    Am 16. August zog sich der Essenslieferdienst Deliveroo endgültig aus Deutschland zurück. Über 1 000 Beschäftigte wurden mit einem Mal arbeitslos. Zuvor war bereits der Essenslieferdienst Foodora von Lieferando aufgekauft worden, der die wechselseitige Kannibalisierung der Lieferdienste als Sieger überstand. Für Keno Böhme, der für verschiedene Lieferdienste gearbeitet hatte, bevor er hauptamtlich begann, bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss- Gaststätten (NGG) die dort Beschäftigten zu organisieren, hat der Abschied von Deliveroo aus gewerkschaftlicher Sicht auch positive Auswirkungen. »Unserer Meinung nach hängt der Rückzug damit zusammen, dass das Modell der Scheinselbständigkeit der Fahrer nicht funktioniert hat«, sagte er der Jungle World. Wie er haben auch andere Kuriere, sogenannte Rider, mittlerweile den Wert gewerkschaftlicher Organisierung erkannt.

    Die einzige Chance für ein kollektives Unternehmen sieht die FAU darin, dass Menschen bereit sind, mehr für den Service zu bezahlen.

    Die NGG hatte Ende August zum dritten Riders Day nach Berlin geladen. Wichtigster Diskussionspunkt waren die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten nach der Übernahme von Foodora durch Lieferando. Die Gewerkschafter wollen durchsetzen, dass die Betriebsratsstruktur auch nach der Übernahme erhalten bleibt und den Ridern das Beschäftigungsverhältnis bei Foodora angerechnet wird. Davon hänge schließlich ab, ob die Fahrer erneut zwei Jahre befristet beschäftigt werden können; eine Festanstellung stehe ihnen nämlich erst nach zwei Jahren zu, betonte NGG-Sekretär Christoph Schink im Gespräch mit der Jungle World. Doch nicht alle Kuriere wollen nach dem Aufkauf von Foodora und dem Rückzug von Deliveroo eine Festanstellung bei Lieferando.

    Einige von ihnen möchten lieber ein Kollektiv gründen. Zwei Kuriere haben mit »Kolyma 2« die Idee bereits realisiert. Doch das Projekt sei so provisorisch wie der an einen russischen Film erinnernde Name und die Website, sagt Christopher M., einer der beiden Gründer von »Kolyma 2«, der Jungle World. Bisher lohnt sich das Kollektiv für die Betreiber allerdings noch nicht. Für M. ist es ein Zuverdienst zu seinem Einkommen als Softwareentwickler.

    Der alternative Kurierdienst wird vor allem am Wochenende angeboten. Kooperationspartner sind einige Restaurants und Hamburger-Läden in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Schöneberg. Parallel dazu diskutiert eine größere Gruppe von rund 30 Fahrradkurieren über die Gründung eines Kollektivs mit deutlich größerer Resonanz. »Welche Form das am Ende annimmt, ob wir eine Genossenschaft gründen oder lose organisiert bleiben, ist noch nicht entschieden«, sagt M. Einig seien sich die Kuriere darin gewesen, dass sie nicht Angestellte von Lieferando werden wollen. »Weil dadurch einer der wichtigsten Werte für uns nicht mehr gegeben wäre: die Freiheit und Flexibilität. Die Schichtplanung bei Lieferando ist sehr strikt, das ist der Hauptgrund dagegen, neben der schlechteren Bezahlung«, sagte ein Rider im Onlinemagazin Gründerszene.

    Als wichtige Werte für das Kollektiv werden »Freiheit, Nachhaltigkeit, Arbeiterrechte, Gesundheit und Würde, aber auch Geld« genannt. Offen bleibt, wie und ob sich diese Werte in einem Kollektiv vereinen lassen. Vor allem dann, wenn ausdrücklich nicht ausgeschlossen wird, dass Fahrerinnen und Fahrer auch angestellt werden können. Spätestens dann muss sich zeigen, ob mit den Werten Freiheit und Flexibilität nicht einfach die kapitalistische Ausbeutung bemäntelt wird. Schließlich haben sich die Lieferdienste seit Jahren darauf berufen und konnten auch wegen der schlechten Bezahlung der Fahrer auf dem Markt erfolgreich sein.

     
    Theresa Ingendaay von der Deliverunion, einer von der Freien Arbeiter-Union (FAU) unterstützten basisgewerkschaftlichen Selbstorganisation der Fahrradkuriere, sagte der Jungle World, dass man einen hierarchiearmen ­Kollektivbetrieb, in dem alle das Gleiche verdienen, grundsätzlich befürworte. Probleme könne es aber geben, wenn die Fahrradkuriere gleichzeitig Unternehmer seien. Auch die Gefahr der Selbstausbeutung hält Ingendaay für gegeben. »Ein Kollektivbetrieb, der nicht auf Ausbeutung und Lohndumping setzt, hat dementsprechend höhere Kosten. Das bedeutet, dass die einzelnen Mitarbeiter eventuell einen niedrigen Lohn bekommen. Auch der Anspruch des Kollektivs, Mehrwegpackungen für die Lieferungen einzuführen, müsse erst seine Realitätstauglichkeit beweisen. Es besteht die Gefahr, dass diese Ideale aufgeweicht werden, wenn man konkurrenzfähig bleiben möchte und sich mit den Kosten konfrontiert sieht«, befürchtet ­Ingendaay.

    Große Konzerne wie Lieferando würden zwar mit CO2-neutralem Transport werben, dabei würden jedoch die Emissionen, die Alu-, Plastik- und auch Papierverpackungen, die innen mit Plastik ausgekleidet sind, verursachen, außer Acht gelassen. Klaus Meier von der AG Taxi in der Berliner Dienstleistungsgewerkschaft Verdi (siehe Jungle World 31/2019) sieht für seine Branche nach den Erfahrungen alter Taxikollektive keine Alternative: »Wer Taxikollektive neu beleben möchte, muss eine Antwort auf die Frage haben, wie auskömmliche Einnahmen zu erzielen sind.« Als theoretische Überlegung sind Plattformkooperativen für Meier allerdings interessant. »Die Macht der großen Plattformen beruht zum großen Teil auf der Kontrolle der Kommunikationswege. Wenn es gelingt, neben den Fragen der neuartigen Zusammenarbeit eine erforderliche kritische Masse an Teilnehmern zu erreichen und im öffentlichen Bewusstsein als die bessere Alternative wahrgenommen zu werden, können appbasierte Kooperativen durchaus eine Alternative werden.« Die dafür erforderliche poli­tische Unterstützung werden Kollektivbetriebe und Genossenschaften nach Ansicht von Meier allerdings nur erlangen, »wenn sie nicht ausschließlich als Marktteilnehmer«, sondern ausdrücklich auch als Akteure einer gesellschaftlichen Umgestaltung agierten.

    Doch der wahre Reichtum der großen Plattformen sind ihre Daten. Darüber, wie und ob diese auch in Kollektivbetrieben gesammelt und ausgewertet werden sollen, gibt es noch keine Überlegungen. Doch wer den Plattformkapitalismus ohne Big Data betreiben möchte, muss den Wettbewerbsnachteil anderweitig kompensieren.

    Die einzige Chance für ein kollektives Unternehmen, auf dem Markt zu be­stehen, sieht Ingendaay darin, dass Menschen bereit sind, mehr für die Produkte und Dienstleistungen zu bezahlen. »Es braucht Kunden, die bewusst bei einem Kollektiv einkaufen, weil sie den Zweck wichtig finden.« Die müssen sich diesen Einkauf dann freilich auch leisten können. Zielgruppe für solche gesellschaftspolitisch engagierten Kollektive ist daher auch eher die konsumbewusste Mittelschicht als die Hartz-IV-Bezieher.

    #Gigworker #Fahrradkuriere #Plattformkapitalismus

  • jungle.world - Viel Verschleiß, wenig Lohn
    https://jungle.world/artikel/2017/27/viel-verschleiss-wenig-lohn
    https://jungle.world/sites/files/styles/medium/public/2017-07/09.jpg?itok=Qeyg_vOb

    Am Mittwoch voriger Woche beim Protesttag von »Deliverunion« luden Georgia P. und mehrere Dutzend Kollegen vor der Deliveroo-Zentrale in Kreuzberg alte Fahrradteile ab, um auf den hohen Verschleiß ihres Arbeitsgeräts hinzuweisen, für dessen Kosten sie bislang selbst aufkommen müssen. Die anschließende Fahrraddemonstration führte zur Foodora-Zentrale in Berlin-Mitte, wo die Abschlusskundgebung stattfand.
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    Die meisten Beiträge auf der Kundgebung wurden auf Englisch gehalten, schließlich kommen die Beschäftigten der Lieferdienste aus den unterschiedlichsten Ländern. »Bei Deliveroo in Berlin arbeiten etwas über 500 Fahrer, gut 100 von ihnen sind Freelancer. Bei Foodora in Berlin sind alle Fahrer festangestellt, das sind 503«, berichtet Melzer. »Wir schätzen, dass die Hälfte der knapp 1 000 Fahrer in Berlin aus dem Ausland kommt, viele sprechen kaum Deutsch.« Die meisten kämen aus südeuropäischen Krisenländern wie Spa­nien, Italien oder Portugal.

    Die FAU ist die Anlaufstelle für Fahrer, die für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen, sich juristisch beraten lassen und Protestaktionen wie die in der vergangenen Woche planen wollen. Auch in vielen anderen europäischen Ländern versuchen Basisgewerkschaften, die Beschäftigten von Essenslieferdiensten zu organisieren. In den vergangenen Monaten protestierten in Großbritannien, Spanien und Italien Beschäftigte gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen. »Wir beziehen uns in den unterschiedlichen Ländern aufeinander. So wird von den Kollegen in Spanien und Italien genau beobachtet, was in Berlin passiert, und wir ­unterstützen die Kämpfe in den anderen europäischen Ländern«, so Melzer.
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    Nur wenige ­Medien berichteten über die basisgewerkschaftliche Protestaktion vom Mittwoch, der erfolgreiche Börsengang des Foodora-Mutterunternehmens Delivery Hero in Frankfurt am Main am Freitag bestimmte die Schlagzeilen. Dass die schlechten Arbeitsbedingungen und die niedrigen Löhne die Voraussetzung für die Gewinne an der Börse sind, wird kaum erwähnt.

    Andreas Komrowski von der Taxi-AG bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi berichtete in seiner Solidaritätserklärung, dass auch die Taxifahrer mit Überwachung und geringen Einkommen zu kämpfen hätten. Komrowski schilderte, wie sich Taxiunternehmen um die Zahlung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns zu drücken versuchten. So würden Wartezeiten an den Standplätzen zu Pausenzeiten umdeklariert, wodurch rechnerisch der Stundenlohn steigt. Mittlerweile ist auch die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf diese Praxis aufmerksam geworden. In einem Schreiben an den Berliner Taxibund stellte die Behörde klar: »Reguläre Standzeiten, während derer auf Kunden gewartet wird, gehören zur Arbeitszeit.« Dass die gewerkschaftlich organisierten Taxifahrer mit der Kampagne »Deliverunion« kooperieren, ist für FAU-Sprecher Melzer ein Hoffnungszeichen. Prekäre Arbeitsbedingungen sind die Regel in der wachsenden sogenannten Gig-Ökonomie, in der Beschäftigte sich über Internetplattformen von einem Auftrag – englisch: gig – zum nächsten hangeln. Kollektiver Widerstand dagegen ist bislang die Ausnahme.

    #Berlin #Arbeit #Fahrradkuriere #Taxi #Gewerkschaft #Solidarität

  • »Deliveroo kürzt uns einfach das Gehalt« | DIGITAL PRESENT
    http://digitalpresent.tagesspiegel.de/deliveroo-kuerzt-uns-einfach-das-gehalt
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    Taxifahrer sind Härten gewohnt. Es geht noch schlimmer. Die Stadt füllt sich mit Menschen, deren beruflichte Tätigkeit sich am besten mit einem Filmtitel beschrieben läßt: Ein Mann, den sie Pferd nannten .

    Ihr Stundenlohn ist unsittlich niedrig, sie haben als Scheinselbstständige keine Arbeitnehmerrechte und sind so der Willkür ihrer Chefs ohnmächtig ausgeliefert. Jetzt beginnen sie sich zu organisieren.

    ... wie genau ist euer Arbeitsablauf organisiert?

    Ich suche mir meine Schichten auf einem Stundenplan im Internet selbst aus. Dort kann ich alle Zeiten wählen, zu denen noch Schichten frei sind. Die Schichten sind immer für die laufende Woche und die Woche darauf. Das heißt, ich kann eine Schicht nächste Woche übernehmen, oder morgen, oder sogar heute, wenn ich sehe, dass im Stundenplan eine frei ist, oder jemand tauschen will. Bei manchen Schichten gibt es 20 Fahrer, zum Beispiel in Mitte um die Mittagszeit oder am Wochenende in Neukölln. In Tiergarten oder Wilmersdorf hingegen gibt es nur einen, zwei, vielleicht drei Fahrer, weil da einfach nichts los ist. Es lohnt sich aber immer eher, in den Bezirken zu fahren, wo viel los ist.

    In der Schicht selbst bekommt ihr dann per App mitgeteilt, wohin ihr müsst?

    Praktisch läuft das so: Ich bekomme eine Mitteilung, wenn während meiner Schicht jemand in dem Bezirk etwas bestellt, inklusive Ortsangabe von dem Restaurant. Dort hole ich dann das Essen ab und bestätige das. Anschließend wird mir der Weg zu der Person angezeigt, die bestellt hat. Wenn ich abgeliefert habe, warte ich irgendwo, bis ich die nächste Bestellung bekomme.

    Wie viele Lieferungen machst du in einer Schicht?

    In einer guten Abendschicht hat man drei, vier Lieferungen pro Stunde, wobei sich das geändert hat in den letzten Wochen. Letzten Dienstag zum Beispiel, da hatte ich lediglich zwei Lieferungen in sechs Stunden.

    Wie werdet ihr für eure Arbeit bezahlt?

    Als Freelancer habe ich einen Basis-Stundenlohn, der bei 7,50 Euro liegt. Und dann bekomme ich je einen Euro zusätzlich je gefahrenem Auftrag. Im Gesamtschnitt bin ich bei weniger als 1,5 Aufträgen pro Stunde. Zusätzlich zum Lohn bekomme ich öfters auch mal Trinkgeld. Das hängt aber sehr davon ab, wo du fährst. In Neukölln zum Beispiel bekommt man viel, in Mitte auch. In anderen Bezirken bekommst du merkwürdigerweise viel weniger. Es ist oft auch so, dass du zu einem Büro fährst und die Lieferung am Eingang lässt. Dann geben sie dir gar kein Trinkgeld. Die könnten zwar auch direkt bei der Bestellung online schon Trinkgeld angeben. Aber wenn es mehrere Leute sind, die zusammenschmeißen, hat scheinbar derjenige, der für alle bestellt keinen Bock, für die anderen das Trinkgeld mit zu bezahlen. Das sind so Sachen, die man mit der Zeit merkt, die soziologischen Aspekte der Bestellung sozusagen.

    Auf wie viel kommst du also insgesamt?

    Wenn man alles zusammenrechnet, war ich bisher im Schnitt bei knapp unter 11 Euro die Stunde, inklusive Trinkgeld. Und inklusive der Wochenend-Bonus, der zwar nicht in meinem Vertrag steht, den ganzen Winter über aber den Fahrern bezahlt wurde. Das heißt, du musstest Freitag eine Abendschicht, Samstag eine Abendschicht und Sonntag eine Abendschicht übernehmen. Wenn du diese drei Nächte gefahren bist, bekamst du 50 Euro pro Wochenende extra. Oder 30 Euro, wenn du nur Sonntagabend und an einem der beiden anderen Abende gefahren bist. Dieser Bonus wurde uns nur mündlich versprochen und er stand auf der Powerpoint-Präsentation beim Onboarding. Vor zwei Wochen kam dann jedoch eine Mail, dass der Bonus künftig wegfällt, weil der Winter vorbei ist und es deswegen „an den Wochenenden nicht mehr so kritisch ist“. Nun sollen nur noch sonntagabends 2,50 Euro pro Stunde Bonus bezahlt werden. Das sind dann 10 bis 15 Euro pro Wochenende, also weitaus weniger.

    Du sagst, der Bonus war also inoffiziell. Wie konntet ihr ihn denn dann abrechnen?

    Das lief so, dass Deliveroo uns immer alle zwei Wochen eine Mail geschickt hat, in der stand, wie viele Stunden man genau eingeloggt war, wie viele Bestellungen wir abgeliefert haben und wie viel Online-Trinkgeld wir bekommen haben. Den Bonus haben sie dort nie hinein geschrieben. Das wäre für sie ein Problem geworden. Wir selbst haben ihn immer auf unsere Rechnungen aufgeschlagen. Es gab nie Probleme damit, ihn abzurechnen.

    Was bedeutet es für dich, wenn der Bonus wegfällt?

    Da ich das hauptberuflich mache, bedeutet das 100 bis 150 Euro weniger pro Monat. Das ist für mich ein Problem. Wenn man 1.400 bis 1.600 Euro im Monat bekommt, ist das ein ziemlich großer Teil. Als Freelancer muss ich ganz schön viel selbst bezahlen. Ich zahle 280 Euro im Monat für meine Krankenkasse. Ich habe 123 Euro für die Genossenschaft Verkehr ausgegeben. Das muss man als Kurierfahrer bezahlen, um sein Gewerbe anmelden zu können. Außerdem brauche ich 30 bis 60 Euro monatlich für Fahrradreparaturen. Dazu kommt das Smartphone. Um ohne Zeitverzögerungen navigieren zu können, braucht man zudem einen guten Anbieter. Achja, und die Kleidung. Hose, Jacke, Pullover, Rucksack, einen Handy-Ladeakku und eine Rennfahrer-Cap bekommen wir von Deliveroo gestellt, alles großflächig mit Deliveroo-Promo versehen. Tragen will das eigentlich keiner von uns. 130 Euro Kaution mussten wir trotzdem dafür hinterlegen. Eigentlich sollte ich auch eine Haftpflichtversicherung haben, habe ich aber nicht. Und wir sind die ganze Zeit im Straßenverkehr. Wenn mir etwas passiert, ist das alleine mein Problem. Viele Fahrer fahren sogar ohne Krankenversicherung. Das ist zwar nicht erlaubt, bleibt aber oft unbemerkt. Und nun wollen sie uns einfach das Gehalt kürzen! Nur weil der Winter vorbei ist.

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    LONDON, ENGLAND - DECEMBER 07: Co-Founder and CEO of @deliveroo William Shu during Hyperlocality in Europe during TechCrunch Disrupt London 2015 - Day 1 at Copper Box Arena on December 7, 2015 in London, England. (Photo by John Phillips/Getty Images for TechCrunch), license : https://creativecommons.org/licenses/by/2.0

    Ein Mann, den sie Pferd nannten
    https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Mann,_den_sie_Pferd_nannten

    Der englische Aristokrat Lord John Morgan wird von Lakota-Sioux gefangengenommen. Zunächst wird er nur als niedriger Sklave wie ein Haustier behandelt und gehört Buffalo Cow Head, der Mutter des Häuptlings Yellow Hand. Die Indianer geben ihm den Namen „Pferd“. Batise, ein anderer Gefangener, bringt Morgan die Sprache und Sitten der Indianer bei. Er hatte versucht zu fliehen und ist deshalb von den Indianern verstümmelt worden. Jetzt ist er der „Hofnarr“ der Indianer. Auch Morgan versucht einmal zu fliehen, sieht dann aber seine einzige Chance in der Anpassung an die Sitten des Stammes. Im Lauf des Films identifiziert er sich dabei immer mehr mit den Indianern und beginnt ihre ihm zunächst „barbarisch“ vorkommenden Sitten zu verstehen. In Kämpfen mit einem anderen Stamm tötet er zwei Krieger, worauf er selber in den Krieger-Status aufsteigt. In einer schmerzhaften Einweihungszeremonie, dem Sonnentanz, wird er in den Stamm aufgenommen und heiratet die Schwester des Häuptlings, „Lockendes Reh“ (im Original: Running Deer). Durch angreifende Shoshone werden Häuptling Yellow Hand und die von Pferd schwangere Running Deer getötet. Nachdem Pferd den Angriff zurückschlagen konnte, nimmt er Buffalo Cow Head als Mutter an, um sie vor der Verbannung zu schützen. Nach ihrem Tod reist Pferd nach England zurück.

    #Berlin #Transport #Fahrradkuriere #Gewerkschaft #Ausbeutung

  • Uber-Essen
    http://www.humanite.fr/lesclavage-moderne-livre-domicile-605275

    L’esclavage moderne, livré à domicile | L’Humanité

    Après les taxis, Uber s’attaque à la livraison de repas à domicile. UberEats vient de se lancer en France, où les applications numériques de livraisons sont déjà nombreuses. La finalité, elle, reste la même. Transformer les salariés en autoentrepreneurs pour ne plus verser de cotisations patronales.

    #Uber #disruption #Ausbeutung #Fahrradkuriere