• Das Einküchenhaus - Roomservice am Lietzensee
    https://www.berliner-zeitung.de/b-history/wohnen/das-einkuechenhaus-roomservice-am-lietzensee-li.224463


    Das Einküchenhaus verfügte über eine Großküche, die alle küchenlosen Wohnungen mit Mahlzeiten versorgte. Über Haustelefone konnten die Bewohner Essen bestellen.

    Der bürgerliche Feminismus hat ein paar interessante Ideen hervorgebracht, die unter kapitalistischen Rahmenbedingungen zum Scheitern verurteilt waren. Das Einküchenhaus wäre in einer sozialistischen Gesellschaft ein Erfolg geworden. Die Politik der DDR war nicht fortschrittlich genug, um die Verhältnisse der Menschen untereinander durch die radikale Änderung der Arbeitsteilung voranzutreiben. Diese Umfähigkeit ist Teil der Geschichte ihres Untergangs.

    Der Kapitalismus entledigte sich des Experiments auf seine Art: Es fanden sich nicht ausreichend Investoren und Mittel für das innovative Konzept, von dem nur die Bausubstanz erhalten blieb.

    7.5.2023 von Ida Luise Krenzlin - Die Frauenrechtlerin Lily Braun hatte eine emanzipierte Idee: die Kollektivierung der Hausarbeit in Zentralküchen. Warum das Berliner Experiment scheiterte.

    Wie bitte, keine Küchen in den Wohnungen? Ein Skandal! Stattdessen die „Einrichtung von Centralküchen, von Centralwaschanstalten, und die Einführung von Centralheizung“, dazu noch Speisesäle, Kindergärten und Turnräume? Wahrlich ein Skandal! Der Gegenwind, der dieser neuen Form des Wohnens entgegenschlägt, nimmt Orkanstärke an. Vom „Zukunftskarnickelstall“ und „Kasernenabfütterung“ ist die Rede, die konservativen Parteien sehen die Kleinfamilie in Gefahr. Denn ohne Küche kein Nachwuchs.

    Lily Braun fordert die Vereinbarkeit von Muttersein und Berufstätigkeit

    Was war geschehen? Die Frauenrechtlerin und Sozialdemokratin Lily Braun, die sich für die Vereinbarkeit von Muttersein und Berufstätigkeit engagiert, hat in einer Streitschrift 1901 gefordert, die Frau durch den Bau von „Einküchenhäusern“ aus „der Sklaverei der Hausarbeit“ zu befreien.

    „Raus aus dem Korsett!“ ist das Motto der Zeit. Das gilt nicht nur für die Garderobe, sondern auch für die Wohnverhältnisse. Denn immer mehr Frauen, sowohl aus bürgerlichen wie auch aus proletarischen Kreisen, sind berufstätig, vor allem in den Großstädten. Dass die kräftezehrende und zeitaufwendige Hausarbeit Frauen nicht mehr von der Teil - habe am gesellschaftlichen Leben abhalten soll, darin sind sich Vordenker*innen wie Lily Braun, Clara Zetkin und August Bebel oder der Architekt Bruno Taut einig. Gegenwind bläst aber auch in ihren Reihen: So hält Clara Zetkin die privatwirtschaftlich organisierten Berliner Einküchenhäuser für elitär. Für Arbeiterinnen, die in Mietskasernen in erbärmlichen Verhältnissen leben, seien die Kosten schlichtweg zu hoch. Sie soll recht behalten.

    Das erste Einküchenhaus am Lietzensee

    Die ersten deutschen Einküchenhäuser entstehen in Berliner Vororten. Am 1. Oktober 1908 ziehen Frauen – mit und ohne Familie – in das Einküchenhaus am Lietzensee. Das fünfgeschossige Wohnhaus in der Kuno-Fischer-Straße 13 in Charlottenburg, entworfen vom Architekten Curt Jähler, verfügt im Untergeschoss über eine Zentralküche. Mittels Haustelefon können die Bewohner die Speisen bestellen, Aufzüge bringen die Mahlzeiten hoch in die Zwei- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen. In Windeseile sind alle Wohnungen belegt.


    Lily Braun setzt sich um 1900 für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Die Frauenrechtlerin plädiert für die Kollektivierung der Hausarbeit in Zentralküchen. CC-BY 3.0

    Wenige Monate später, am 1. April 1909, gibt es zwei weitere Wohnanlagen mit gemeinschaftlich organisierten Haushaltseinrichtungen, eine in der Wilhelmshöher Straße 17–20 in Friedenau, die andere Unter den Eichen 53 in Lichterfelde-West. Die Reform-Architekten Albert Gessner und Hermann Muthesius haben die Gebäude entworfen. Außer Zentralküche, Speiseaufzügen, Dachterrasse, Sporträumen, Fahrradkeller und Grünflächen verfügt die von Gessner gebaute Anlage in Friedenau sogar über einen Kindergarten, den Reformpädagogen leiten. Es ziehen jedoch keine Arbeiterinnen ein, sondern gut situierte Familien und ledige Frauen.

    Eine emanzipierte Idee scheitert in Berlin

    Alle drei Berliner Einküchenhäuser werden privatwirtschaftlich gebaut und bewirtschaftet. Die dazu 1907 gegründete „Einküchenhaus-Gesellschaft der Berliner Vororte“ geht allerdings wenige Monate nach Eröffnung der Muthesius-Anlage pleite. Die Häuser sind teuer, die Kapitaleinlagen zu gering.


    Ein Dienstmädchen serviert seiner Herrschaft eine Mahlzeit aus dem Speisenfahrstuhl. ullstein-bild

    Der Widerstand aus dem konservativen Lager ist groß, die Frauenrechtlerinnen sind sich uneins. Als sogar die Sozialdemokraten das bürgerliche Familienmodell wiederentdecken, ist es um das Berliner Einküchenhaus geschehen. Die Umbrüche des Ersten Weltkriegs machen dem Reformprojekt endgültig den Garaus. Am Lietzensee schließt die Zentralküche 1913, in Lichterfelde 1915, in Friedenau 1917/18. Alle Wohnungen bekommen eine Küche eingebaut. Fortan steht dort jede Frau wieder an einem Herd.

    In Berlin scheitert das Einküchenhaus, in anderen Städten hingegen gibt es nach dem Ersten Weltkrieg ähnliche Projekte des kollektiven Wohnens. Dazu gehören der Heimhof in Wien, das Narkomfin-Kommunehaus in Mos - kau und die Isokon Flats (Lawn Road Flats, Isokon Building) in London. In Letzterem wohnen zeitweise Agatha Christie, Marcel Breuer und Walter Gropius.

    #Muthesiusstraße
    https://m.kauperts.de/Strassen/Muthesiusstrasse-12163-Berlin

    #Berlin #Witzleben #Lietzensee #Kuno-Fischer-Straße #Friedenau #Wilhelmshöher_Straße #Lichterfelde #Unter_den_Eichen #Feminismus #Wohnen #Architektur #Immobilien #Gedchichte

  • Silvia Federici: «Die Nacht zu einem gefährlichen Ort zu machen, war im Interesse der Mächtigen»
    https://www.woz.ch/2341/silvia-federici/die-nacht-zu-einem-gefaehrlichen-ort-zu-machen-war-im-interesse-der-maechtigen

    In Ihrem Essay «Die Welt wieder verzaubern» beziehen Sie sich positiv auf die Queerbewegung: Die queere Ablehnung von Geschlecht sei auch eine Ablehnung der geschlechtlichen Arbeitsteilung.

    Ja. Ich mag es allerdings nicht, wenn argumentiert wird, Frauen seien kein angemessenes Subjekt für die feministische Bewegung. Ich finde, sie sind ein wichtiges Subjekt – aber ich denke Frauen nicht als biologische Kategorie. Sondern als historische. Politische Kämpfe verändern Identität. Die feministische Bewegung hat die Frage transformiert, was es heisst, eine Frau zu sein. Es gibt nicht eine Definition von Frau. Die feministische Bewegung, die ich kenne, hat immer analysiert, wie der Kapitalismus Weiblichkeit und Männlichkeit konstruiert – auf eine sehr unterdrückerische, normative Weise. Als Ausdruck einer ganz bestimmten Arbeitsteilung. Heute heisst es oft, die feministische Bewegung der Sechziger und Siebziger sei essenzialistisch gewesen. Aber die ganze Kritik an der Biologie war schon da. Das sehen Sie, wenn Sie die ganz frühen Dokumente der Bewegung lesen.

    #féminisme #communisme #reproduction #Feminismus #Kommunismus #Reproduktion

  • Schutz vor häuslicher Gewalt : Festung der Ehefrauen
    https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/sonntag/schutz-vor-haeuslicher-gewalt-festung-der-ehefrauen/14832904-all.html


    Source de l’illustration : „Frauen gegen Männergewalt“/Frauenselbstverlag Berlin-West

    Je me demande toujours pourquoi le premier refuge berlinios pour femmes battus a été vendu en 1999. Aujourd’hui c’est une villa pour des gens richissimes comme au moment de sa construction sous le Kaiser .

    Nachdem das mit den Zähnen passiert ist, das war das Schlimmste. Dass er mir im Hausflur wirklich die Faust ins Gesicht gehauen hat, und ich habe gemerkt: Meine Zähne vorne sind nicht mehr da, beziehungsweise einer war – wie hat die Ärztin geschrieben? – in den Oberkiefer gestaucht. Danach habe ich nur noch lautlos geweint. Er hat mich dann am Kragen genommen, die Treppen hochgeschleppt. Die Kinder haben oben so geschrien, die waren ja vollkommen außer sich. Er hat dann immer wieder gerufen: „Ich bin mit eurer Mutter noch nicht fertig, die bringe ich heute noch um.“ Der Kleene hat auf der Couch gesessen und gesagt: „Papa, du bringst Mama nicht wirklich um, nein?“ Und dann hat er zu dem kleinen Kind, der war drei Jahre, hat er gesagt: „Doch. Heute noch.“ Angelika, 44

    In einem ehemaligen Kartoffelladen in der Yorckstraße standen sie manchmal in der Tür: Frauen, die Schutz vor ihren prügelnden Ehemännern suchten. „Damals wussten die nicht, wohin“, sagt Roswitha Burgard, die dort Anfang der 70er Berlins erstes Frauenzentrum mitbegründet hat. Aktivistinnen aus der Yorckstraße verbrachten deshalb einmal 14 Tage reihum bei einer Frau zu Hause, die um Hilfe gebeten hatte, weil sie regelmäßig von ihrem Mann und ihrem erwachsenen Sohn misshandelt worden war.

    Roswitha Burgard selbst hatte weder in der Familie noch im Freundeskreis gewalttätige Männer erlebt. Jedenfalls nicht, dass sie davon gewusst hätte. „Häusliche Gewalt wurde Anfang der 70er totgeschwiegen“, sagt sie, „als Ehekrach verharmlost, als Umgang von Asozialen weggeschoben.“

    Davon erzählt Burgard heute in ihrem Behandlungszimmer einer Gemeinschaftspraxis. Um den Hals trägt sie ein elegantes Seidentuch, an den Füßen Pantoffeln, Straßenschuhe müssen an der Tür ausgezogen werden. Anfang der 70er hatte sie gerade mit dem Psychologiestudium begonnen und war in Berlins feministischer Szene engagiert. „Als damals in London das weltweit erste Frauenhaus eröffnete, dachten wir uns: So was brauchen wir auch.“

    Ein solches Haus würde die Fraueninfrastruktur, die sie in diesen Jahren begründet hatten, Frauencafés, Frauenbuchverlage, Frauenseminare an Unis, auf eine fast romantische Weise ergänzen: Frauen helfen Frauen, die unter dem Machtgefälle zwischen den Geschlechtern am meisten leiden. Doch der Senat blockte ab. Erst müsse ermittelt werden, ob in Berlin Bedarf für eine solche Einrichtung bestünde. Für die Verwaltung schien es ein Problem, dass der Gruppe der Gründerinnen kein Mann angehörte. „Die trauten uns nicht zu, mit ihren Fördergeldern richtig zu wirtschaften.“, sagt Burgard.

    Zeugen der Gewalt. Kinder sollten nicht länger erleben, wie ihre Väter die Mütter misshandelten. Zu der Grunewalder Villa hatten Männer keinen Zutritt.

    Die erste Bewohnerin klingelte am Abend vor der Eröffnung

    Erst als sechs arrivierte Frauen dem Trägerverein beitraten, darunter die damalige Vizepräsidentin des Roten Kreuzes, stellte das Land Berlin eine Villa für das Projekt zur Verfügung. Ein Gründerzeitbau in der Richard- Strauss-Straße 22 Grunewald, mit riesigen Aufenthaltsräumen in Erdgeschoss und Souterrain, aber nur 13 Zimmern im ersten Stock und der Mansarde. „Nicht perfekt geschnitten für unsere Zwecke“, sagt Burgard. Die Adresse wurde unter Taxifahrern gestreut und vor Außenstehenden geheim gehalten. Um den Garten wurde ein Eisenzaun errichtet. Dahinter durfte kein Mann.

    Im November 1976 war Eröffnung. Die erste Bewohnerin klingelte bereits am Abend zuvor. Es war die Ehefrau eines hohen Richters, sagt Burgard. Das Asozialen-Klischee war damit widerlegt.

    Auch Ilona Böttcher erinnert sich an diese erste Bewohnerin: eine schmale Frau um die 40. Ihr Ehemann hatte ihr Geld, Schlüssel und Ausweis weggenommen. Ilona Böttcher und Roswitha Burgard übernachteten mit ihr im Frauenhaus. Sie wollten sie in der riesigen, leeren Villa nicht allein lassen.

    Ilona Böttcher war als Verwaltungsfrau eingestellt worden. Sie habe sich ganz profan auf eine Jobanzeige beworben, erzählt sie beim Treffen in ihrer Tempelhofer Wohnung. Doch im Frauenhaus packte sie – wie alle anderen – überall mit an: Zu jeder Tages- und Nachtzeit klingelten Frauen. Polizisten und Taxifahrer brachten sie. Jede wurde aufgenommen, selbst wenn sie betrunken war. „Wer sind wir denn, dass wir entscheiden, wer über Nacht bleiben darf!“, sagt Böttcher. Ansonsten war Alkohol verboten.

    „Und dann hat er mich nicht mal mehr geschlagen“

    Bereits einen Monat nach Eröffnung waren alle regulären Plätze belegt. Immer neue Stockbetten wurden in die Zimmer, Gänge, Aufenthaltsräume gestellt. Im Haus, das für 70 Frauen und Kinder ausgelegt war, lebten bald bis zu 150. „Es gab Bedarf, und wie!“, sagt Böttcher.

    Sie zieht ein lilafarbenes Buch aus ihrem Regal: die erste Jahresbilanz, herausgegeben im Frauenselbstverlag. Die Gründung des Berliner Hauses war eine Initialzündung, in den meisten größeren Städten wurden fortan ähnliche Projekte geplant, die Berliner lieferten das statistische Material. Von den 615 Frauen, die im ersten Jahr in der Richard-Strauss-Straße betreut wurden, waren drei Viertel von ihren Ehemännern misshandelt worden, ein Fünftel von ihren Freunden, der Rest von Ex-Männern und Verwandten.

    Jede zehnte Frau hatte die Gewalt zehn Jahre und länger erduldet. 118 waren von ihren Partnern sogar in Lebensgefahr gebracht worden. „Mich hat der Zustand von Beziehungen erschüttert, am Anfang stand ja mal Liebe“, sagt Ilona Böttcher. Eine Frau habe zu ihr gesagt: „Und dann hat er mich nicht mal mehr geschlagen.“ Schlagen sei für sie Zuwendung gewesen.

    Böttcher erinnert sich, dass viele Frauen sich schämten. Sie hatten sich diesen gewalttätigen Partner ja ausgesucht. Verbreitet waren auch Schuldgefühle. Einige glaubten, dass ihr Mann nicht ausgerastet wäre, wenn sie selbst anders reagiert hätten. Im Frauenhaus hörten sie die Geschichten anderer Frauen und erkannten dabei mitunter Verhaltensmuster ihres eigenen Mannes wieder und die Unvermeidbarkeit seines Zorns. Eine Frau habe es mal so ausdrückt: „Habe ich Salz rangemacht, habe ich eine gewischt gekriegt, habe ich kein Salz rangemacht, habe ich auch eine gewischt gekriegt.“ Oft steigerte sich der Jähzorn der Männer noch, wenn die Frauen ins Frauenhaus zogen.

    Beste Lage. Bis zur Schließung 1999 war die Adresse geheim. Ein Eisenzaun sollte Eindringlinge abwehren.

    12.3.77, 20.30 Uhr: Ein Herr läutet an. Er will das Haus in die Luft sprengen, sich aber zeitlich nicht festlegen. Gabi informiert die Polizei. 21.45 Uhr: Ein Herr ruft an. Er steht mit einer Pistole in der Telefonzelle gegenüber und will sich das Leben nehmen, wenn er nicht mit seiner Frau sprechen kann. Die Frau ist nicht bei uns. Da er unter Strom steht, hat Gabi Mühe, ihm das klarzumachen. Vorsichtshalber benachrichtigen wir die Polizei. 23.15 Uhr: Ein Mann fährt mit einem Fahrrad in unserem Garten. Gabi ruft 110. Auszüge aus dem Protokoll einer Bewohnerin mit Telefondienst

    Häufig lungerten Männer vor der Tür herum, die die Adresse herausbekommen hatten. Mehrfach ist es ihnen tatsächlich gelungen einzudringen. Ilona Böttcher erinnert sich an einen Vorfall, als ein Mann eine Füllung aus der Haustür herausgebrochen hat, durchs Loch geklettert und mit der Axt ins Haus gestürmt ist. Eine Kollegin stellte sich ihm in den Weg, die Hausbewohnerinnen versteckten seine Frau. Für Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen des Frauenhauses war die Umgebung hinter dem Zaun feindlich: Während die Männer mit roher Gewalt drohten, drohten die Grunewalder Nachbarn mit ihren Anwälten. Sie gründeten sogar eine Bürgerinitiative gegen das Projekt.

    Erforderlich ist, dass das Lärmen der Kinder ab Freitag bis Sonntagabend unterbleibt. An diesen Tagen suchen die Anwohner nämlich absolute Ruhe in ihrem Garten. Die Wohngegend haben sich Anwohner ausgesucht, die in der Woche ganz besonders hart arbeiten. (...) Mehrmals habe ich die Feststellung treffen müssen, dass Kinder, soweit sie zu einem Spaziergang ausgeführt werden, auf meinen niedrigen Zaun balancieren. Mein Zaun stellt persönliches Eigentum dar, und das sollte eigentlich schon Kindern deutlich gemacht werden, dass das Eigentum anderer zu schätzen ist. Aus einem Brief von Horst Sandner, Königlich Norwegischer Konsul (31.10.77), an Roswitha Burgard

    Der Tagesspiegel berichtete damals von einer Aussprache beider Seiten. „Wir sind gar nicht so verrückt, wir sind bloß nervlich am Ende“, habe dabei eine Bewohnerin an das Mitgefühl der Nachbarn appelliert, das aber ausblieb. Häufig, sagt Böttcher, seien sie damals zusammen mit Bewohnerinnen in der Öffentlichkeit aufgetreten. „Die wollten sich nicht verstecken.“ Die Heimlichkeit von häuslicher Gewalt, die den Tätern in die Hände spielt, sollte durchbrochen werden.

    In einem Dokudrama der Filmemacherin Cristina Perincioli, die zu den Frauenhaus-Gründerinnen zählt, spielen drei ehemalige Bewohnerinnen sogar mit. Das Drehbuch hat Perincioli aus den Geschichten der drei Frauen zusammengeschrieben. Für den prügelnden Mann konnte sie Eberhard Feik, den späteren Assistenten von Kommissar #Schimanski, gewinnen. Der Film lief weltweit. Sein Titel „Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen“ wurde zur feministischen Parole.

    Im Frauenhaus selbst sollte die Tabuisierung des Themas dadurch durchbrochen werden, dass die Beratungsgespräche im Aufenthaltsraum stattfanden. Dass dabei andere Bewohnerinnen mithörten, war Konzept. Dadurch sollten Gespräche zwischen den betroffenen Frauen in Gang kommen. „Die Betroffenen sollten sich gegenseitig unterstützen“, sagt Böttcher. In Zweierteams wurden die Frauen außerdem zu nächtlichen Telefondiensten eingeteilt, das sollte ihr Selbstbewusstsein stärken. Viele, in der ersten Statistik waren es 30 Prozent, kehrten trotzdem zum Ehemann zurück. „Da konnten wir nur Wege aufzeigen, wie sie beim nächsten Mal die Situation schneller verlassen können“, sagt Böttcher. „Eine Frau war 13 Mal da, ist immer wieder zurückgegangen, bis wir in der Zeitung lasen, dass man sie tot aufgefunden hat.“

    „Häusliche Gewalt wurde Anfang der 70er totgeschwiegen“, sagt Roswitha Burgard.

    Die jüngeren Frauen hatten ein anderes Verständnis von Feminismus

    Ilona Böttcher arbeitete bis 1998 im Frauenhaus. Dann ging sie in Rente, im Jahr drauf schloss das erste Frauenhaus. Damals gab es bereits fünf weitere, rund 350 sind es mittlerweile in Deutschland. Obwohl sich das Gleichberechtigungsideal innerhalb ihres Arbeitslebens weit verbreitet hatte, habe sich dies auf die Gewalt gegen Frauen wenig ausgewirkt, sagt Böttcher. Nur der Anteil der Migrantinnen habe zugenommen. Insgesamt registrierte die Berliner Polizei im vergangenen Jahr 15 000 Fälle von häuslicher Gewalt.

    Die größte Veränderung, sagt Böttcher, habe im Arbeitsverständnis der Betreuerinnen gelegen. Zum Beispiel sei eine neue Kollegin „entsetzt“ gewesen, dass es keinen Raum für Einzelberatungen gab. Den nächtlichen Telefondienst sahen manche der Jüngeren wegen einer möglichen Retraumatisierung kritisch. Am Ende, glaubt Böttcher, sei das erste Frauenhaus an einem unterschiedlichen Verständnis von Feminismus gescheitert, denn als Feministinnen begriffen sich die Jüngeren auch. Einmal habe eine Mitarbeiterin vorgeschlagen, dass ihr Freund doch den Bus des Frauenhauses fahren könne: „Für uns völlig undenkbar: ein Mann am Steuer eines Frauenhausbusses!“

    Nadja Lehmann eröffnete das Frauenhaus sozusagen neu. Lehmann war eine der jungen Kolleginnen. Zusammen mit zwei weiteren ehemaligen Mitarbeiterinnen aus dem Frauenhaus hatte sie das Konzept für das Projekt mit dem Namen „Interkulturelle Initiative“ verfasst, zu dem ein Teil der Gelder des geschlossenen Frauenhauses umgeleitet wurde. Im ersten Frauenhaus habe sie Rassismus zwischen deutschen und migrantischen Frauen erlebt, sagt Lehmann. Deshalb schnitt sie ihr Projekt auf Migrantinnen und deren spezifische Probleme zu.

    Er hat gesagt: „Du fühlst dich einfach nicht wohl in Deutschland.“ Ich habe gesagt: „Ich bin nicht in Deutschland. Ich bin in deiner Wohnung.“ Ich war eingesperrt. Ich durfte nicht raus, ich hatte keinen Schlüssel. Ich habe nur vom Fenster geguckt, wir hatten in Neukölln gewohnt, und ich hatte vor meiner Tür einen Spielplatz. (…) Bis mein Sohn angefangen hat, genauso zu handeln wie sein Vater. Er hat einen Gegenstand genommen und gesagt: „Hier, Papa, du kannst nehmen, und du kannst Mama wehtun, ich möchte, dass sie weint.“ Da habe ich gesagt: „Ich möchte nicht, dass mein Sohn so wird zu seiner Frau oder seiner Lebensgefährtin. Ich habe zwei Söhne. Ich möchte nicht, dass drei Männer mich terrorisieren.“ Narin, 38, ehemalige Bewohnerin der Interkulturellen Initiative

    Die „Interkulturelle Initiative“ ist ebenfalls in einer Villa im Berliner Süden untergebracht. Da das Leben im Frauenhaus auf die Dauer belastend sei, wie Lehmann findet, bietet ihr Verein zusätzlich ein Wohnprojekt mit abgeschlossenen Apartments an sowie neuerdings Wohnungen speziell für geflüchtete Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden. Viele Migrantinnen bräuchten aufgrund schlechterer Sprachkenntnisse und ausländerrechtlicher Widrigkeiten länger, um eine Perspektive für sich und ihre Kinder zu entwickeln. Nach einer Weile könnten sie in eigene Wohnungen umziehen. Das unumstößliche Gesetz autonomer Frauenhäuser, dass nämlich Männer draußen bleiben müssen, ist inzwischen nach Gender-Maßgaben umgeformt. Letztens wurde eine Bewohnerin aufgenommen, die zwar biologisch ein Mann ist, sich aber als Frau fühlt.

    – 1979 wurde in Berlin das „2. Autonome Frauenhaus“ gegründet, das bis heute existiert (Notfalltelefon: 37490622)

    – Im Ostteil der Stadt eröffnete 1993 das 3. Frauenhaus, heute Hestia. Kurz nach der Wende hatten sich engagierte Frauen, darunter Marita Meja, an die runden Tische gesetzt und eine Immobilie zum Schutz von misshandelten Frauen gefordert. Sie bekamen schließlich ein Haus, in dem zuvor ein Wehrkreiskommando der Volksarmee untergebracht war. Heute kommen darin 60 Frauen und Kinder unter, außerdem hat Hestia Zufluchtswohnungen (Tel: 5593531)

    – Seit 1999 gibt es in Berlin die so genannte BIG-Hotline (6110300), die Tag und Nacht besetzt ist und neben telefonischer Beratungen auch Plätze in Frauenhäusern vermittelt.

    – Die Interkulturelle Initiative speziell für Migrantinnen ist unter 80195980 zu erreichen.

    – Für weitere Aufklärung bzw. Fortbildung von Polizei sowie dem Personal in der Opferhilfe und Prävention entwickelte Cristina Perincioli preisgekrönte Webplattformen (gewaltschutz.info, save-selma.de, gewaltschutz-professionell.info).

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  • Feminismus im Islam: Zu Besuch bei Deutschlands umstrittenster Imam...
    https://diasp.eu/p/5818143

    Feminismus im Islam: Zu Besuch bei Deutschlands umstrittenster Imamin

    Seyran Ateş gründete Berlins erste Moschee, in der Frauen vorbeten dürfen und Geschlechter nicht getrennt sind. Hass und Kritik treffen sie dafür nun von allen Seiten.

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