DDR-Bauten am Alexanderplatz : Warum testeten NVA-Soldaten die Statik des Pressecafés ? Karla Dahms war dabei
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On discute beaucoup la place des femmes en RDA. Voici un témoignage qui peut intéresser les architectes et ingénieurs d’aujourd’hui.
1.8.2023 von Maritta Adam-Tkalec - Als Karla Dahms, 79, in der Zeitung las, dass in das Pressecafé am Alexanderplatz mit einem neuen Betreiber wieder Leben einziehen soll, erinnerte sie sich an die Probleme, die die ersten Nutzer nach 1974 mit der kühnen, weit auskragenden Stahlkonstruktion hatten. Sie fand, der neue Mieter, der Berliner Gastronom Alexander Freund, sollte davon erfahren. Karla Dahms ist Diplom-Bauingenieurin und arbeitete zu den Zeiten, als all die neuen, modernen Bauten rund um den #Alexanderplatz entstanden, als Statikerin im Ingenieurhochbaukombinat Berlin (IHB).
Der Betrieb saß in dem Gebäude in der #Karl-Liebknecht-Straße, vor dem der vier Meter hohe Bauarbeiter steht, 1968 von Gerhard Thieme in Bronze gegossen, und kraftvoll, bodenständig und visionär in die lichte Zukunft schaut. Viele nennen ihn „Goldfinger“, weil der Zeigefinger der linken Hand von vielen Berührungen blank ist. Karla Dahms nennt ihn „Prämienhalter“. Das wird zu erklären sein. Als Statiker hat sie zum Beispiel Teile des Hauses der Statistik berechnet, und bekam für die Arbeit die Medaille „Erbauer des Stadtzentrums“. Was sie über das Pressecafé berichtet, hat mit Schwingungen zu tun.
Frau Dahms, was war damals mit dem Pressecafé los?
Die Stahlkonstruktion mit der Auskragung wurde für geplante Lastenannahmen berechnet. Wenn diese nicht überschritten werden, ist die Konstruktion sehr sicher. Wenn also die Leute artig auf ihren Stühlen sitzen, gibt es kein Problem. Aber kurz nach der Eröffnung 1974 gab es Tanzveranstaltungen. Der Betreiber fand: Musik und Tanz müssen sein. Diese kleine Konzeptänderung hatte zur Folge, dass der Kaffee der Gäste, die im auskragenden Bereich saßen, überschwappte und in den Untertassen schwamm. Gäste und Personal haben das beobachtet. Was war die Ursache der Schwingungen?
Und was passierte dann?
Im Pressecafé wurden Belastungsproben durchgeführt. Erst suchte man Freiwillige aus unserem Betrieb, dem IHB, die als Testtänzer agieren sollten. Dann hat man zusätzlich Soldaten der Nationalen Volksarmee herbeigeholt, um verschiedene Tänze aufzuführen – alle möglichen Varianten, wie zum Beispiel Polka, bei der man stampfen musste, und auch Polonaisen. Bewegungen mit unterschiedlichen Tempos und Rhythmen. Da war die Bude voll mit mehreren Dutzend Uniformierten. Mehrere Varianten der Bestuhlung und der Tanzflächenlage wurden ausprobiert. Die erzeugten Schwingungen wurden gemessen. Unsere Abteilung war nicht zuständig, wir haben uns das aber aus Interesse angeschaut – und uns nebenbei über die NVA-Soldaten im Paartanz amüsiert. Eigentlich war das Pressecafé nicht als Tanzlokal geplant, weder hinsichtlich der Grundfläche noch der Statik.
Wurde daraufhin am Bau etwas verändert?
Es gab Überlegungen, den auskragenden Teil abzustützen. Doch das setzte sich nicht durch – der freie Durchgang unter dem „schwebenden Gebäudeteil“ sollte bleiben. Das Nein wurde städtebaulich-ästhetisch begründet. Und auch sonst ist an der Konstruktion nichts geändert worden.
Was dann?
Das Veranstaltungskonzept: Musik und Tanz durften nur noch im hinteren, nicht auskragenden Teil des Bereiches stattfinden. Die Kapelle bekam einen dementsprechenden Platz. Auch Disco war möglich, aber eben nur im genannten Bereich. Wildes Toben war auszuschließen. Diese Veränderungen wurden realisiert. Herr Freund will ja oben, im ehemaligen Pressecafé, viele Steakesser an langen Tischen platzieren und auch Musik im Restaurant haben. Deshalb empfehle ich, sich die Statik und die Nutzungspläne der Architekten anzusehen, sonst schwappt der Kaffee wieder über den Tassenrand.
Gab es an anderen Gebäuden ähnliche Probleme?
Einmal rutschte eine an der Außenfassade des Centrum-Warenhauses, heute Galeria Kaufhof, gegenüber vom Hotel, vorhandene Außentreppe ab. Man dachte offenbar zuerst, da sei Sabotage im Spiel gewesen. Das musste also untersucht werden. Die Abteilung Statik, in der ich arbeitete, musste den Nachweis führen. Das Ergebnis: In einem U-Bahn-Tunnel unter der Treppe hatte es gebrannt, die stählernen Stützpfeiler hatten sich verformt, die Tragfähigkeit des Untergrundes war nicht mehr gegeben. Diesen Zusammenhang hatte man zunächst nicht erkannt. Wir kamen zudem zu dem Ergebnis, dass es keine Fehler in der Statik gab und keine Gefahr für das Gebäude bestand.
Waren Sie als Bauingenieurin in den 1960er- und 1970er-Jahren eine Seltenheit?
In meiner Abteilung waren wir von neun Mitarbeitern drei Frauen – solche wie ich. Wir waren präsent, aber es war schon noch eine Männerwelt.
Erzählen Sie mal …
Also, nehmen wir zum Beispiel die Prämien. Wir haben ja alle nicht so viel verdient, zum Beispiel netto 620 Mark der Deutschen Notenbank (MDN). Daher waren Prämien wichtig. Jeder kannte die Gehaltshöhe aller anderen. Auch die Prämienvergabe lief öffentlich ab, da handelte es sich manchmal um fünf DDR-Mark mehr oder weniger für den oder die. Es ging ja auch um die Anerkennung der eigenen Leistung. Prämien gab es zum Beispiel zum Frauentag am 8. März, zum Tag des Bauarbeiters am 22. Juni und zum Republikgeburtstag am 7. Oktober und schließlich die Jahresendprämie. Ich wollte NIE anlässlich des Frauentages prämiert werden – ich wollte mich an den männlichen Kollegen messen, meiner Qualifikationsstufe entsprechend. Ich bin schließlich Ingenieur! Aus meiner Sicht war Gleichberechtigung gegeben – ich hatte keine Probleme mit der Anerkennung. Auch drei Kinder waren unproblematisch, man nahm Rücksicht aufeinander. Unser Chef war kirchlich orientiert, deshalb sind wir am 1. Mai nicht zur Demonstration gegangen, sondern haben Brigadeausflüge gemacht, zum Beispiel in den Spreewald.
Sie nennen den Bauarbeiter, die Skulptur des proletarischen Helden, „Prämienhalter“. Warum?
Vor allem war dieser Bauarbeiter wie ein Vertreter der Beschäftigten des IHB, quasi wie ein Maskottchen. In dem neuen Gebäude an der Karl-Liebknecht-Straße, gleich neben dem Pressehaus, hatten alle Betriebsteile unseres Hochbaukombinats ihren Sitz gefunden. Für den Spitznamen „Prämienhalter“ war die ausgestreckte, obere Hand ideenstiftend: Er hielt die Hand hin für die über unser Gehalt hinausgehende Prämie, die da kommen sollte – also das, was wir wollten.
Wie sind Sie Bauingenieur geworden?
Das hat mit dem Mauerbau zu tun. Ich hatte im Sommer 1961 die 11. Klasse im Schiller-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg in einer sogenannten Ost-Klasse absolviert. Wir freuten uns auf die 12. Klasse, beginnend im September. Dann kam der 13. August, und nach den Ferien konnte ich meine Schule nicht mehr erreichen, denn ich wohnte ja in Karlshorst, also in Ost-Berlin. Das Abitur konnte ich erst mal vergessen, denn im Osten nahm man mich mit meiner West-Schullaufbahn in keiner Oberschule auf. Eigentlich wollte ich Lehrerin oder Rechtsanwältin werden. Meine Mutter ging mit mir zur Berufsberatung. Da saßen viele Vertreter von Betrieben, die ihre Lehrlingszahl erhöht hatten, um Jugendlichen wie mir Lehrberufe zu ermöglichen. Mir wurden zum Beispiel Berufe wie Bonbonkocher angeboten, solche in der Metallverarbeitung und Gastronomie. Das kam für mich nicht infrage. Schließlich tauchte das Angebot Hochbauzeichner auf. Weil ich zusagte, kam ich zum Bauwesen.
Also eine Berufsausbildung …
Ja, von 1964 bis 1967, und nach Lehrabschluss ging es an die Fachschule in Cottbus. Da wurde ich nach drei Jahren Direktstudium Hochbauingenieur im IHB: Ingenieur für Statik, und das ist mir gut bekommen. Als ich schon Mutter von drei Kindern war, kam dann 1971 bis 1973 die Chance, im Fernstudium den Hochschulabschluss zu machen und 1975 meine Diplomarbeit zu schreiben.
Wie haben Sie denn das geschafft?
Jeden Donnerstag bis Sonnabend waren die Seminare in #Cottbus. Also fuhr ich zum Studium und zurück, und mein Mann hat sich rundum um die Kinder gekümmert. Wenn ich am Sonnabend am späten Nachmittag nach Hause kam, war der Tisch gedeckt. Er hatte mit den Kindern gebacken. Das war schön und gab Kraft. Als dann mein Mann ein Fernstudium in Weimar absolvierte, habe ich mich eben um die Kinder gekümmert.
Wie haben Sie die deutsche Vereinigung erlebt?
1977 war ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Bauakademie gewechselt. Sie wurde 1990 evaluiert und aufgelöst. Ich habe mich 1993 schließlich mit einem Ingenieurbüro selbstständig gemacht – ein Planungsbüro für Bauwerkserhaltung. Große, renommierte Firmen, die Plattenbauten instand setzen wollen, brauchten mein Wissen. Ich habe viele Vorträge auf Informationsveranstaltungen gehalten, mein Bekanntheitsgrad stieg. Es gab viel zu tun – so habe ich die Instandsetzung von Hochhäusern von der Planung bis zur Ausführung geleitet, zum Beispiel in Rostock-Lütten Klein und Rostock-Evershagen. Skelettbauten, mit und ohne Stelzen. Komplizierte Sachen. Ein Höhepunkt: Ich war Gutachterin für das Museumsprojekt „phæno“ der berühmten Architektin Zaha Hadid in Wolfsburg.