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  • Die Neonazis haben Guben nie verlassen „Sie können sich da frei bewegen. Sie sind doch weiß, oder ?“
    https://m.tagesspiegel.de/die-neonazis-haben-guben-nie-verlassen-sie-koennen-sich-da-frei-bewegen-sie-sind-doch-weiss-oder/25895082.html

    Ce reportage décrit l’humus provincial qui nourrit l’extrême droite violente. On découvre une région à éviter sous peine de nez fracassé si on n’est pas souchien allemand. Pour le maire chrétien-démocrate sa ville est la victime des médias et des extrémistes à la fois. Il ne sera vraisemblablement pas élu une autre fois s’il agit sérieusement contre l’extrême droite.

    08.06.2020, von Sebastian Leber - 1999 verblutete in Guben ein Asylbewerber auf der Flucht vor Rechten, heute verprügeln sie dort wieder Geflüchtete. Der Bürgermeister zeigt sich überrascht.

    Der Mann, der sagt, man könne ihn John nennen, hockt auf dem Parkplatz in der Nähe des Flüchtlingsheims auf einer kniehohen Mauer und berichtet von Begegnungen mit Gubenern. Er wolle sie nicht alle verurteilen, sagt John. Aber ja, er werde auf der Straße zuweilen beschimpft. Ein Mann habe gedroht, seinen Hund auf ihn zu hetzen.

    John sagt, er fühle sich nicht sicher in der Stadt. Und dass er gern an einem anderen Ort leben würde.

    Ein zweiter Heimbewohner, der nebenan auf der Wiese Fußball spielt, erzählt von Gruppen Jugendlicher, die manchmal kämen, um sie zu beleidigen und ihnen zuzurufen, sie sollten doch zurück nach Afrika gehen. „Ich versuche dann so zu tun, als ob ich das nicht höre“, sagt er. „Was bleibt mir anderes übrig?“

    Er kennt auch einen der Asylbewerber, die neulich krankenhausreif geprügelt wurden. Der wolle aber nicht darüber reden. Zu viel Angst.

    Die Attacke, die den 17.000-Einwohner-Ort im Osten Brandenburgs zurück in den Fokus der Öffentlichkeit brachte, fand an einem Samstagabend Mitte Mai im Stadtpark hinterm Heim statt. Bis zu 20 Jugendliche umzingelten vier von dessen Bewohnern, schlugen und traten, verletzten zwei ihrer Opfer.

    Eine knappe Woche später folgte der nächste Angriff: Ein polizeibekannter Rechtsradikaler drängte drei Geflüchtete, die auf Fahrrädern durch Guben fuhren, mit seinem Auto von der Straße.
    Die aggressive Neonaziszene wird kleingeredet

    Der Bürgermeister der Stadt zeigt sich von den Gewalttaten überrascht. Andere sagen, sie seien die logische Konsequenz des Kleinredens einer aggressiven Neonaziszene. Der einzige Grüne in der Stadtverordnetenversammlung möchte am Telefon lieber nicht sagen, wie viele andere aktive Grüne es in der Stadt gebe.

    In Guben bleibe man mit einer solchen Parteizugehörigkeit lieber unterm Radar, ansonsten drohten Probleme mit dem Arbeitgeber. Und einer, der hier aufwuchs und vor Jahren aus Guben wegzog, behauptet: „Jetzt zeigt sich, dass die Stadt in den vergangenen 20 Jahren nichts dazugelernt hat.“
    Verblutet nach einer Hetzjagd

    Guben liegt in der Niederlausitz an der Neiße und damit an der Grenze zu Polen. 1999 hetzte hier eine Gruppe Neonazis nachts Flüchtlinge durch die Stadt. Einer wurde bewusstlos geschlagen, die Täter ließen von ihm ab, weil sie dachten, er sei tot. Ein anderer, der Algerier Farid Guendoul, trat die Glastür eines Wohnblocks ein, um sich in Sicherheit zu bringen. Dabei schlitzte er sich die Hauptschlagader auf und verblutete im Treppenhaus.

    Das Gericht verurteilte die acht Hauptangeklagten wegen fahrlässiger Tötung, später wurden die Schuldsprüche korrigiert, versuchte Körperverletzung mit Todesfolge. Unter Rechtsradikalen gilt die Tat bis heute als „Unfall“. Damals geriet die Stadt in die Kritik, weil sie die Tat und die örtlichen Neonazistrukturen verharmlost habe. Ob sie es diesmal besser macht?

    Als Beleg für die positiven Entwicklungen in der Stadt gilt das örtliche „Netzwerk Flucht und Migration“, in dem sich Vereine, Bildungseinrichtungen und Einzelpersonen engagieren. Die Sprecherin ist gleichzeitig Integrationsbeauftragte der Stadt. Die Frau sagt am Telefon, sie stünde für ein Interview bereit, sofern die Pressestelle der Stadtverwaltung keine Einwände habe. Die Pressestelle hat Einwände.

    Weder ein Interview noch ein rein informatives Gespräch, aus dem keine Zitate an die Öffentlichkeit gelangen sollen, sind erwünscht. Man könne Fragen schriftlich einreichen, die dann allerdings von der Pressestelle beantwortet würden.
    Sprecherin lobt Toleranz und Nächstenliebe der Gubener

    Die Antworten lesen sich wie ein unbeholfener Versuch, Probleme kleinzureden und die Gelegenheit für Stadtmarketing zu nutzen. Zum Beispiel: „Guben ist ein aktives Mittelzentrum. Menschen ziehen zu, ziehen weg oder sind seit vielen Jahren in der Stadt heimisch.“

    Zusammen mit dem polnischen Gubin am gegenüberliegenden Neiße-Ufer bilde man eine „funktionierende und aufstrebende Gemeinschaft, die den europäischen Gedanken mit Leben erfüllt“. Die Pressesprecherin lobt die „Offenheit, Toleranz, Neugier und Nächstenliebe“ der Gubener.

    Vor der Wende war der VEB Chemiefaserwerk Guben größter Arbeitgeber, heute lässt Gunther von Hagens hier seine Leichen plastinieren. Die Stelle, an der 1999 Farid Guendoul verblutete – der Wohnblock, in den er durch die Glastür gelangte, ist längst abgerissen worden –, liegt im Westen von Guben jenseits des Stadtparks auf einer Anhöhe im Stadtteil Obersprucke.

    In dessen Mitte steht, umringt von pastellfarben angestrichenen Wohnkomplexen, ein Hochhaus, das von Anwohnern nur „das Hochhaus“ genannt wird. Es ist seit Jahren unbewohnt, die Parterrefenster sind mit Spanplatten verriegelt, drumherum ein Bauzaun, in den oberen Stockwerken nisten Tauben auf den Balkonen. Das Hochhaus ist inoffizielles Wahrzeichen des Viertels.

    „Sie können sich in Obersprucke frei bewegen, da passiert Ihnen nichts“, hatte eine ehemalige Bewohnerin Tage zuvor am Telefon gesagt. Gefolgt von der Nachfrage: „Sie sind doch weiß, oder?“
    „Freiheit für alle Nationalisten“

    Was in Obersprucke außer dem Hochhaus noch auffällt, sind die zahllosen Aufkleber an den Masten der Straßenlaternen: „Unsere Stadt hat Asylanten satt“ steht darauf und „Guben wehrt sich“. Auf anderen liest man „Refugees not welcome” oder „Freiheit für alle Nationalisten“.

    Ein Mann an der Bushaltestelle sagt, die Aufkleber störten ihn nicht. Er selbst sei mit Sicherheit kein Radikaler, aber wenn man ehrlich sei, hätten die Rechten ja doch in manchem recht. Sie seien zum Beispiel gegen Kinderschänder. Und gegen Ausländer.

    Etwas weiter nördlich befindet sich ein weiteres Parkareal. Ein Schild klärt auf, dass auch hier früher Neubaublocks standen, der Bevölkerungsrückgang nach der Wiedervereinigung habe jedoch einen „großflächigen Rückbau leer stehender Wohnungen“ erfordert. Am Rand des Parks liegt der Gedenkstein für Farid Guendoul, ein schlichter mit zerkratzter, leicht zerbeulter Plakette.

    In den ersten Jahren wurde er mehrfach beschädigt, mit Hakenkreuzen beschmiert. Der damalige Bürgermeister kündigte an, eingreifen zu wollen – und den Stein kurzerhand an einen anderen Ort, weit entfernt von Obersprucke, zu verlegen. So biete man den Rechten weniger Gelegenheit, das Ansehen der Stadt zu beschmutzen.
    Gedenkstein soll „Götzendienst“ sein

    Der örtliche Kirchenvertreter argumentierte: Die Menschen, die partout am bisherigen Standort festhalten wollten, stellten „den Stein anstelle eines Menschen“. Das sei theologisch gesehen ein „Götzendienst“.

    Am Ende blieb der Stein. Die ursprüngliche Plakette wurde durch eine neue ersetzt. Die Information, dass Farid Guendoul Opfer einer rassistischen Hetzjagd wurde, fehlt nun.

    Als eine „Mischung aus Gewöhnung und Vergessen“ beschreibt die Architekturtheoretikerin Alexandra Klei den Umgang der Gubener mit dem Denkmal. Sie hat nach der Tat als Mitarbeiterin der Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in Südbrandenburg Angehörige und Freunde des Toten begleitet.

    Am Telefon sagt sie: Die Stadt habe sich damals als das eigentliche Opfer der Tat begriffen. Als diejenige, der Gewalt zugefügt wurde – einerseits von den Neonazis, andererseits von den Medien, die Guben einen Stempel aufgedrückt hätten.

    In so einer Erzählung käme alles Böse von außen. Deshalb habe man sich den Tod Farid Guendouls nicht als das Ergebnis einer Hetzjagd durch rechtsradikale Gubener Jugendliche – Bewohner der Stadt, hier Verwurzelte – eingestehen können. Eine solche Sichtweise wirke nach, bis in die Gegenwart.
    Notorisches Kleinreden der rechten Szene

    Ein Mann, der vor Jahren aus Guben wegzog und anonym bleiben möchte, sagt: Das Verschweigen, bestenfalls Kleinreden der rechten Szene ist das Hauptproblem Gubens. Das sei wie mit einer Alkoholkrankheit: „Du musst sie dir erst eingestehen, bevor du an dir arbeiten kannst.“ Er kenne viele in der Stadt, die rechtes Gedankengut verabscheuten, und zwar nicht, weil es dem Image oder dem Wirtschaftsstandort schade, sondern weil es menschenverachtend ist. „Die Stadtoberen müssten genau diese Menschen viel offener unterstützen.“

    Er selbst litt jahrelang unter rechtsradikalen Gewaltattacken, er war Punk. Einmal seien seine Freunde und er von 50 Nazis auf dem Gubener Stadtfest angegriffen worden. Die Täter hätten seinen Kopf mehrfach gegen eine Wand geschlagen, brachen ihm die Nase, traten weiter auf ihn ein, als er längst am Boden lag. Freunden wurden die Zähne ausgeschlagen, es gab Gehirnerschütterungen.

    Ein anderes Mal wurde ihm der Kiefer gebrochen. Einem Bekannten schossen sie mit der Schreckschusspistole ins Gesicht. „Die haben eine Exekution nachgespielt“, sagt er.

    Fred Mahro, der Bürgermeister von der CDU, hat sich von den jüngsten Übergriffen überrascht gezeigt. Zwar werde in Guben – wie ja auch in anderen Städten – hin und wieder eine rechte Parole an eine Hauswand geschmiert, „aber dass das jetzt in Gewalt ausartet, dafür gab es keine Anzeichen“.

    Tatsächlich gab es auch in den vergangenen Jahren bereits eine Vielzahl rassistischer Übergriffe. Messerstiche, Flaschenwürfe, Versuche, das Heim am Rand des Stadtparks zu stürmen.

    Einer der Männer, die Farid Guendoul vor 20 Jahren in den Tod hetzten, heißt Alexander B. Er blieb auch danach in der lokalen Neonaziszene aktiv, es heißt, er habe durch seinen Gefängnisaufenthalt und die dort erlangten überregionalen Kontakte zu anderen Rädelsführern zusätzliches Ansehen erlangt. Menschen, die das Treiben von Alexander B. seit Jahren beobachten, bezeichnen ihn als „sehr aggressiv und unberechenbar“.
    Rechtsextremer gab sich als Security aus

    Vor zwei Jahren schlich sich Alexander B. nachts in das Flüchtlingsheim, gab sich als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes aus und riss Bewohner aus dem Schlaf. Zwei schlug er mit der Faust. Für die jungen Neonazis von heute, heißt es, ist er eine lebende Legende.

    Rassistische Gewalt gab es in Guben schon zu DDR-Zeiten, etwa gegen „Vertragsarbeiter“ – die „Gastarbeiter“ der DDR – des Chemiefaserwerks aus Kuba, Vietnam und Mosambik. In den 1990ern initiierte die Stadt einen „Runden Tisch der Jugend“, an dem sich Anhänger der Neonaziszene mit Stadtvertretern und anderen Jugendlichen austauschen sollten. Auch Alexander B. war dabei. Die Rechten nutzten die Gelegenheit und setzten die Einrichtung eines „nationalen Jugendclubs“ durch.

    Ein Sozialarbeiter aus der Region sagt, die Mitglieder der rechten Szene Gubens seien ideologisch weitgehend unbedarft, entstammten einem „kaputten sozialen Milieu, in dem Gewalterfahrungen in der Kindheit normal“ seien wie die Einstellung, rechts zu sein.

    Einer, der vom Leben in dieser Normalität berichten kann, ist Robert Schulze. Der 29-Jährige ist in Guben aufgewachsen, arbeitet heute als Physiotherapeut. In seiner Jugend verkehrte er in rechtsextremen Kreisen. Feierte in Wohnungen, in denen Hakenkreuze und Reichskriegsflaggen an den Wänden hingen. Traf sich mit Gleichgesinnten bei den Handballspielen des SV Chemie Guben.

    Die Rechtsradikalen waren dort so dominant, dass in der Halbzeitpause Musik der Neonazi-Bands Landser und Kategorie C aus den Hallenlautsprechern dröhnte. Schulze sagt: „Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, ich kannte ja nichts anderes.“ Sein Umdenken begann, als Polen Ende 2007 dem Schengenraum beitrat und er selbst von da an regelmäßig Gubin auf der anderen Seite der Neiße besuchte, und sei es, um dort billigen Alkohol zu kaufen: „Das hat etwas ausgelöst in mir.“
    Kampfsporttraining auf stillgelegtem Bahngelände

    Er las sich in die Verbrechen der NS-Zeit ein, lernte, dass Hitler nicht bloß für die deutsche Wirtschaft gut war und Arbeitsplätze geschaffen hatte, wie sein Umfeld es ihm hatte weismachen wollen. Je mehr er sich bildete, desto mehr widerte ihn an, wenn seine Bekannten auf Facebook NS-Devotionalien herzeigten oder Waffen zusammenschraubten. Schulze berichtet von einem Gebäude auf einem stillgelegten Bahngelände, in dem Rechte in Kampfsportarten ausgebildet wurden.

    Er selbst hat sich aus der Szene gelöst, doch er sagt: Das Problem hat in Guben eher zugenommen. Denn die junge Generation Rechtsextremer habe keine Scham mehr, ihre Gesinnung offen zu zeigen. „Das muss sie auch nicht, denn sie merkt, dass ihr in Guben, quer durch alle Altersklassen, Zuspruch gewiss ist.“ Wer behaupte, in dieser Stadt gebe es keine Naziszene, müsse blind sein oder verlogen.

    Der weggezogene Punk, dem einst auf dem Stadtfest die Nase gebrochen wurde, sagt, mit dem Wegschauen in der Stadt verhalte es sich wie mit Corona: „Wo keine Tests durchgeführt werden, wird man auch keine Infizierten feststellen.“
    Der Bürgermeister bleibt sich treu

    Fred Mahro, der Bürgermeister, erklärte gegenüber dem „Spiegel“, wie er das Problem nun angehen wolle: „Wir müssen wieder mehr miteinander reden“. Auf Facebook werde er sich in einem Live-Chat an alle Bürger wenden.

    Mahro hat diesen Chat tatsächlich absolviert. Eine Dreiviertelstunde sprach er über Umbauten in einer Turnhalle, anstehende Straßensanierungen, schlechte Busverbindungen und Fördermittel des Bundes.

    Gegen Ende ging er doch noch ganz kurz auf die – in seinen Worten – „Vorfälle im Stadtpark" ein, sprach jedoch weder von Rassismus noch Rechtsextremen, benannte weder die Täter noch die Opfer, sondern erklärte nur vage, es könne ja nicht sein, „dass man hier aufeinander losgeht". Als hätten sich zwei Gruppen in beiderseitigem Einverständnis zur Schlägerei verabredet gehabt.

    Abschließend machte der Bürgermeister noch deutlich, wem in dieser Angelegenheit erneut übel mitgespielt wurde, wer Mitleid verdient, die Stadt Guben nämlich: „Ich habe in den letzten Tagen wieder viel zu viel Zeit damit verbringen müssen, um mich gegenüber Dritten dafür rechtfertigen zu müssen, was hier passiert ist."

    ...
    Das „Netzwerk Flucht und Migration Guben“ hat zu den jüngsten Übergriffen bislang komplett geschwiegen. Auf die Frage, ob noch eine Reaktion zu erwarten sei, antwortet die Pressestelle der Stadt, man bereite eine Stellungnahme vor. Für Ende Juni sei ursprünglich eine Zusammenkunft des Netzwerks geplant gewesen. Wegen Corona müsse diese nun aber verschoben werden.

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