Waffenlieferungen an Israel: Gericht lehnt Klagen ab
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L’Allemagne fournit les armes du génocide, sa justice refuse de s’en meler.
12.11.2025 von Elmar Schütze - Darf Deutschland Waffen in ein Land liefern, dem Völkerrechtsverstöße vorgeworfen werden? Die Klagen mehrerer Palästinenser werden vom Berliner Verwaltungsgericht abgelehnt. Die Gründe.
Dürfen deutsche Waffen in ein kriegsführendes Land wie Israel geliefert werden, dem Verstöße gegen das Völkerrecht vorgeworfen werden? Die 4. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts wies zwei Klagen ab.
Ein palästinensischer Vater und sein in Deutschland lebender Sohn klagten vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen Waffenlieferungen an Israel. Sie wollten, dass bereits erteilte Genehmigungen widerrufen werden und die Bundesrepublik verpflichten, alle Handlungen zu unterlassen, die einen möglichen Völkermord an der Bevölkerung in Gaza fördern. Übrig blieb eine Klage, dass bis zum Abzug der israelischen Streifkräfte keine deutschen Kriegswaffen mehr an Israel geliefert werden sollen.
Am Ende ging es den Klägern so, wie bereits zuvor mehreren anderen Palästinensern. Auch sie hatten in Eilverfahren versucht, den Export von Kriegswaffen zu stoppen – ohne Erfolg.
Keine Waffen mehr an Israel
Als einziger Kläger des neuen Verfahrens erschien am Mittwoch Qassem M. vor Gericht, vor 41 Jahren in den besetzten Gebieten geboren, seit 22 Jahren in Deutschland und im Besitz der Staatsangehörigkeit. Zusammen mit seinem Vater, der nach Angaben des Sohns und seiner Anwältin weiterhin im Gazastreifen wohnt, verlangte er, die Genehmigungen von Waffenlieferungen an Israel gemäß dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu widerrufen und keine weiteren Waffen zu liefern.
M. sagte vor Gericht, er sei als Arzt vor Ort Zeuge von Verletzungen geworden und habe die Zerstörungskraft von „Waffen made in Germany“ gesehen, sagte er. Als Intensivmediziner kämpfe er um deren Leben – „unabhängig welche Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Ethnie sie haben“. „Ich erwarte das Gleiche von anderen“, sagte er. Es gehe bei der Klage nicht alleine um seine Familie, die im aktuellen Krieg viele Opfer zu beklagen habe, „sondern um mehr“. Später brach seine Stimme.
Im Internet gibt es einen Hinweis darauf, dass M. als Oberarzt der Kinder- und Jugendmedizin und Facharzt für Neonatologie im Berliner Klinikum Buch geführt wurde. Auf dem aktuellen Auftritt der Klinik fehlt sein Name.
Kläger ist seit vielen Jahren Aktivist
Neben seiner medizinischen Tätigkeit ist M. in Berlin propalästinensischer beziehungsweise antiisraelischer Aktivist – und das offenbar schon seit vielen Jahren. Unterschiedliche Quellen schreiben, er sei 2019 einer der Gründer der Organisation „Palästina Spricht!“ gewesen. Die Organisation postete am Tag des Hamas-Überfalls auf Israel, dies sei „a revolutionary day to celebrate“, ein revolutionärer Tag, der zu feiern sei.
M.s Organisation sei nach Analyse des Bundesamtes für Verfassungsschutz dem säkularen propalästinensischen Extremismus zugehörig und agiere im Umfeld etwa des Unterstützernetzwerks Samidoun oder der BDS-Initiative, die unter anderem zum Boykott Israels aufrufe. Im Verfassungsschutzbericht 2024 wird ein Post auf dem Instagram-Account von Palästina Spricht zitiert: „Israel has the right to exist as much as the Soviet Union does – or cancer for that matter.“ Also etwa: „Israel hat dasselbe Existenzrecht wie die UdSSR – oder Krebs, übrigens.“
Vor einigen Wochen kam Qassem M. im Tagesspiegel zu Wort. Sein Deutschland-Bild habe sich völlig verändert, heißt es in einem Text über „Deutschland nach dem Gazakrieg“. Zitiert wird der Arzt dort mit den Worten: „Ich hatte geglaubt, dass der Zweite Weltkrieg und der Holocaust eine Lektion für dieses Land gewesen wären. Aber ich habe mich geirrt. Deutschland ist für mich ein Partner in diesem Verbrechen an der palästinensischen Zivilbevölkerung, weil es Israel dabei unterstützt hat. Wenn das ‚Nie wieder‘ nicht für alle gilt, dann hat Deutschland nichts gelernt aus seiner Geschichte.“
Seine Anwältin zog die Klage für ihn zurück
Nach mehr als zweistündiger grundsätzlicher Erörterung, wer und unter welchen Bedingungen überhaupt klageberechtigt sei, kam das Gericht unter dem Vorsitzenden Richter Stephan Groscurth zu der Feststellung, dass der in Deutschland lebende M. dieses Recht nicht geltend machen könne. Seine Anwältin zog die Klage für ihn daraufhin zurück. Der 41-Jährige ergriff im Anschluss das Wort und erklärte, ihm sei es wichtig, „dass alle im Raum wissen, welche Konsequenzen eine Ablehnung der Klage hat“.
Im zweiten, gleichzeitig verhandelten Fall klagen vier Palästinenser gegen bereits erfolgte Waffenlieferungen. Das beigeladene Rüstungsunternehmen Dynamit Nobel Defence mit Sitz im nordrhein-westfälischen Burbach ließ sich vor Gericht nicht vertreten. Die Klage richtete sich gegen die genehmigte Lieferung von 3000 Panzerabwehrwaffen, die bereits 2023 genehmigt und komplett exportiert wurden. Die Auslieferung sollte nachträglich als rechtswidrig eingestuft werden.
Von den fünf Klägern ist einer nicht mehr am Leben, der 63-Jährige sei zwischenzeitlich bei israelischen Luftangriffen gestorben, wie Rechtsanwalt Remo Klinger erklärte. Die anderen leben demnach seitdem in Zelten in Flüchtlingslagern, alle hätten zahlreiche Angehörige in dem Krieg verloren.
Diese Bedingungen müssen für einen Schutzauftrag erfüllt werden
Das Gericht hatte für die Klagen, die bereits im vergangenen Jahr erfolgten, ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgewartet. Zwei Jemeniten klagten dort gegen US-Drohnenangriffe, die über den Stützpunkt Ramstein liefen. Zentrale Frage dabei war, ob aus den Grundrechten des Grundgesetzes eine Schutzpflicht für Ausländer hervorgeht, die im Ausland leben.
Die Karlsruher Gesetzeshüter urteilten, dass zwei Bedingungen einen Schutzauftrag ergeben: ein Bezug zur deutschen Staatsgewalt und die ernsthafte Gefahr, dass das lebensbezogene Völkerrecht systematisch verletzt wird. Wenn diese Bedingungen erfüllt seien, könnte der Schutzauftrag zur Schutzpflicht werden.
Wer darf überhaupt klagen?
Eine mögliche Schutzpflicht Deutschlands für Ausländer im Ausland bei deutschen Waffenlieferungen stand auch im Mittelpunkt der Frage nach einem individuellen Klagerecht gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vor einem deutschen Gericht – in diesem Fall vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Wer darf also klagen? Alle rund zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens etwa?
Kläger-Anwalt Klinger hätte damit offenbar kein Problem. „So what?“, fragte er rhetorisch. Schließlich sei das nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bei der bahnbrechenden Klimaschutzentscheidung aus dem Jahr 2021 gegeben: „Da darf tatsächlich jeder klagen.“
Damals wurde dem Klimaschutz Verfassungsrang eingeräumt und die Verpflichtung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gestärkt. Einer der siegreichen Kläger damals: Remo Klinger.
Deutsche Waffenlieferung nach Israel als Dauerthema
Um die deutschen Waffenlieferungen an Israel gibt es seit Monaten Diskussionen. Nach dem Terrorangriff der Hamas hatte die Bundesregierung ihre Rüstungsexporte nach Israel erheblich gesteigert. Im August dieses Jahres ordnete Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) jedoch als Reaktion auf das seinerzeit zunehmend aggressive Vorgehen der israelischen Streitkräfte an, vorerst keine Ausfuhren von Rüstungsgütern nach Israel mehr zu genehmigen, die im Gazakrieg verwendet werden können. Den Klägern reicht diese Anordnung nicht aus, wie sie erklärten.
Im Gazakrieg gilt seit dem 10. Oktober eine Waffenruhe. Allerdings kam es seither mehrmals erneut zu beidseitigen Kampfhandlungen – mit Toten auf beiden Seiten.


