#kurt_tucholsky

  • „Urban Mining Moabit“: Unter dem Gras ist der Schrei des Krieges noch zu hören


    Fundstücke von den Grabungen im Trümmerberg des Fritz-Schloß-Parks in Moabit. Geborgen von dem Kunstprojekt „Urban Mining Moabit“

    6.5.2023 von Ulrich Seidler - Ein Kunstprojekt wühlt sich in die Geschichte der Stadt und findet in den Trümmern die Fäden, mit denen die Gegenwart an die Vergangenheit gefesselt ist.

    Die Vergangenheit ist nicht vergangen, sie liegt weitgehend unverdaut und ganz gut geschützt unter einer Grasnarbe, die sie wie eine dünne Haut zudeckt. Eine Million Kubikmeter Trümmer haben die Rodelberge des Fritz-Schloß-Parks in Moabit im Bauch. Man kann da spazieren, in der Frühlingssonne liegen, Tennis spielen und im Winter eben Schlitten fahren. Die Steine wurden nach den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg von den umliegenden Ruinen eingesammelt, auf der Bodendecke einer Wehrmacht-Kasernenanlage aufgeschüttet und am Ende mit einer Schicht Mutterboden bestreut.

    Flach wurzelnde Robinien, Pappeln, Ahorn und die ortsübliche Berliner Gestrüpp-Mischung kommen am besten mit solchen Bedingungen zurecht. Strubbelgräser und Pissnelken schieben ihre Wurzeln, Pilze ihr Myzel zwischen die Ziegel, Kacheln, Fliesen, Glasscherben. Würmer, Insekten, Schnecken und Mikroben verstoffwechseln organisches Material, lassen Ausscheidungen in die Kavernen sickern, Wasser dringt in die Kapillaren ein, gefriert, sprengt Strukturen auf, lässt Bauteile zu Baustoffen erodieren. Das dauert. Bis alle Spuren vernichtet sind, dürfte die Menschheit längst ausgestorben sein.

    Der langsame Atem der Zeit

    Das spartenübergreifende freie Projekt „Urban Mining Moabit“ – künstlerisch geleitet von dem Dramaturgen Uwe Gössel – will den für die menschliche Wahrnehmung eigentlich viel zu langsamen Atem der Zeit belauschen und schickt nach einer konkreten Grabung eine metaphorische Sonde ins Innere des Berges, die durch die Flözschichten der Vergangenheit bricht, Informationen aufsammelt und Assoziationen verbreitet.

    In dem kleinen Projektraum „Kurt Kurt“, untergebracht in dem Geburtshaus von Kurt Tucholsky ( Lübecker Straße 13, 10559 Berlin), wurde am Freitag mit einem Impuls von Adrienne Göhler und unaufdringlichen performativen Interventionen eine Ausstellung eröffnet, die ähnlich sortiert ist wie das Gekröse im Berg. Der Zufall hat bei der Schichtung die Feder geführt, Objekte stoßen eine Erzählung an, die Gedankengänge verzweigen sich, brechen abrupt ab, finden woanders ihre motivische Fortsetzung und kommen nie zum Abschluss.


    Eine Collage aus Postkarten (Ausschnitt)

    Es gibt Kartenmaterial, das blitzlichthaft die Bewegung der Stadt abbildet, das Aufreißen und Vernarben von Wunden zeigt. Verrostete Türbeschläge, eine in der Hitze des Feuersturms geschmolzene Bierflasche, Ofenkacheln, deren Glasur glänzt, als hätte man sie eben erst gebrannt, werden präsentiert wie ausgegrabene Fossilien oder vorgeschichtliche Schätze – und das sind sie ja auch: Zeugnisse und Überbleibsel von Erzählungen, die beginnen, sich zu Mythen zu verdichten, zu verklären und zu verrätseln.

    Die über 90-jährige Ingrid Thorius sitzt vor dem Projektraum und erzählt, dass sie in der Lehrter Straße aufgewachsen ist und mit ihrem Freund Keule in den Bombentrichtern gebadet hat. Sie genießt die Aufmerksamkeit und scheint sich ihrer Zeitzeugenschaft bewusst zu sein, ihre Vorfahren haben die Garde-Ulanen noch auf ihren Pferden gesehen und sie weiß, wie es ist, im Keller zu hocken, während die Stadt über einem brennt. Ihre Gedanken gehen auch in die Ukraine, wo die Raketen einschlagen und die Leute unter der Erde hausen müssen, während sich oben ihre Wohnungen in Ruinen verwandeln im Mahlstrom des Krieges. Man hört ihn noch kauen, man hört seinen Schrei, wenn man durch den Fritz-Schloß-Park, wenn man durch Berlin geht.

    Urban Mining Moabit – Bodenproben Trümmerberge. 6. Mai, 16–23 Uhr Ausstellung und Film, 20 Uhr Performative Intervention, 7. Mai, 16–19 Uhr Ausstellung und Film, Ort: Projektraum Kurt-Kurt, Lübecker Str. 13, weitere Infos unter https://www.bodenproben.org

    Fritz-Schloß-Park - Berlin Lexikon
    https://berlingeschichte.de/lexikon/mitte/f/fritz_schloss_park.htm

    Auf dem Gelände befanden sich große Teile der Kontext: Kaserne des 4. Garderegiments zu Fuß Kaserne des 4. Garderegiments zu Fuß. Nach Zerstörungen im II. Weltkrieg nutzte man das Gebiet als Trümmerhalde. 1955 gestaltete Wilhelm Kontext: Alverdes, Wilhelm Alverdes den Park. Im gleichen Jahr erhielt er den Namen des Tiergartener Bezirksbürgermeisters Fritz Kontext: Schloß, Fritz Schloß. Der F. ist mit 12 ha die zweitgrößte Parkanlage des Bezirks. Hier befinden sich mehrere Sportanlagen, ein Tennisplatz, ein Hallen- und Freibad und das Poststadion. Ein Gedenkstein erinnert an die Erbauer.

    Edition Luisenstadt, 2002, Stand: 19. Mrz. 2002, Berliner Bezirkslexikon, Mitte, www.berlingeschichte.de/Lexikon/Index.html

    https://bodenproben.org

    Fritz-Schloß-Park
    https://berlin.kauperts.de/eintrag/Fritz-Schloss-Park-Seydlitzstrasse-10557-Berlin

    OPenstreetmap
    https://www.openstreetmap.org/relation/15803725

    #Fritz-Schloß-Park – Wikipedia
    https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz-Schlo%C3%9F-Park

    #Berlin #Mitte-Tiergarten #Moabit #Poststadion #Stephankiez #Lübecker_Straße #Rathenower_Straße, #Kruppstraße #Seydlitzstraße #Lehrter_Straße #Geschichte #Archeologie #Kurt_Tucholsky

  • Richard Kerschhofer - Wenn die Börsenkurse fallen - DFG-VK Bonn-Rhein-Sieg
    https://dfg-vk-bonn-rhein-sieg.de/index.php/gedanken-zum-frieden/friedens-gedichte/1677-richard-kerschhofer-wenn-die-boersenkurse-fallen
    Voici un hoax de gauche. Ce joli poème ressemble aux vers de notre Kurt préféré. L’identité du véritable auteur est connue depuis 2008, mais il y a toujours des esprits simples qui voudraient nous faire croire que l’oeuvre date de 1930. Garde à vous, ne tombez pas dans le piège.

    Wenn die Börsenkurse fallen, regt sich Kummer fast bei allen,
    aber manche blühen auf: ihr Rezept heißt Leerverkauf.
    Keck verhökern diese Knaben Dinge, die sie gar nicht haben,
    treten selbst den Absturz los, den sie brauchen - echt famos!

    Leichter noch bei solchen Taten tun sie sich mit Derivaten:
    wenn Papier den Wert frisiert, wird die Wirkung potenziert.
    Wenn in Folge Banken krachen, haben Sparer nichts zu lachen,
    und die Hypothek auf’s Haus heißt: Bewohner müssen raus.

    Trifft’s hingegen große Banken, kommt die ganze Welt ins Wanken
    – auch die Spekulantenbrut zittert jetzt um Hab und Gut!
    Soll man das System gefährden? Da muss eingeschritten werden:
    Der Gewinn, der bleibt privat, die Verluste kauft der Staat!

    Dazu braucht der Staat Kredite und das bringt erneut Profite,
    hat man doch in jenem Land die Regierung in der Hand.
    Für die Zechen dieser Frechen hat der kleine Mann zu blechen und
    – das ist das Feine ja - nicht nur in Amerika!

    Und wenn die Kurse wieder steigen, fängt von vorne an der Reigen
    – ist halt Umverteilung pur, stets in eine Richtung nur.
    Aber sollten sich die Massen das mal nimmer bieten lassen,
    ist der Ausweg längst bedacht: dann wird bisschen Krieg gemacht.

    Richard Kerschhofer (*1942), 2008

    La vérité sur le poème
    http://tucholsky-gesellschaft.de/Downloads/Rundbrief_0309Webversion.pdf

    #Autriche #satire #banques #Kurt_Tucholsky

  • Die Basis jeder gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.
    http://www.textlog.de/tucholsky-noch-gebrauchen.html
    L’hivers est fini. C’est le moment de se rappeller d’un de nos penseurs éminents et de faire son ménage de printemps.


    Kurt Tucholsky à Paris en 1928

    Das kann man noch gebrauchen –!

    Peter Panter, Neue Leipziger Zeitung, 19.08.1930.

    Es sind ja wohl die herztausigen Amerikaner, die die verschiedenen ›Wochen‹ erfunden haben: die Bade-Woche, die Unfallverhütungs-Woche und die Mutter-Woche und die Zähnefletsch-Woche ... und was man so hat. Und einmal war auch die ›Bodenaufräumungs-Woche‹ dabei. Gar kein schlechter Gedanke ...

    Denn nur bei einem Umzug oder, was dem nahe kommt, bei einem Brandunglück entdeckt die Familie, was sie alles besitzt, was sich da alles angesammelt hat, wieviel man ›aussortieren‹ muß, müsse, müßte ...

    Auf dem Boden, im Keller und in heimtückisch verklemmten Schubladen ruht der irdische Tand. Als da ist:

    Fünf Handschuhe (Stück, nicht Paar, und immer eine ungerade Zahl); acht Bleistiftstummel; ein Tintenwischer, unbenutzt (Geschenk von Fritzchen – »Wirf das nicht weg, man kann das noch gebrauchen!«); ein Porzellanschäfer ohne Kopf; ein Kopf ohne Porzellanschäfer; ein Bohrer; ein Haufen Flicken; 40 Prozent alte Kaffeemaschine; eine durchlöcherte Blechbadewanne; siebzehn Holzknebel, für zum Paketetragen; Emailletöpfe mit ohne Emaille; ein Füllfederhalter; noch ein Füllfederhalter; eine wacklige Petroleumlampe; Flicken.

    Manchmal sucht die Hausfrau etwas – dann stößt sie auf einen Haufen Unglück. Sie verliert sich darin, taucht unter, kommt erst spät zu Mittag wieder hervorgekrochen, staubbedeckt, mit rotem Kopf und abwesenden Augen, wie von einer Reise in fremde Länder ... »Denk mal, was ich da gefunden habe! Paulchens ersten Schuh!«

    Wie kommt das –? Warum ist das so –? Warum heben die Leute das alles auf –?

    Sie heben es gar nicht auf. Sie können nur nicht übers Herz bringen, es wegzuwerfen.

    Wenn es so weit ist: wenn der Füllfederhalter zerbricht, wenn der Porzellanschäfer den Kopf verliert, wenn die Handschuhe nicht mehr schön sind –: dann wiegen die Menschen einen Augenblick den Kopf nachdenklich hin und her. Da steht der Papierkorb und sperrt höhnisch das Maul auf, hier sieht ihn der oft gebrauchte Gegenstand traurig an, der Invalide – was nun? Da kann er sich nicht entschließen – vor allem: da kann sie sich nicht entschließen. Männer sind rohe Geschöpfe (wenn sie nicht gerade den Schnupfen haben – da benehmen sie sich wehleidiger als eine Frau, die ein Kind kriegt), Männer sind roh und werfen wohl manches fort. Aber Frauen ...

    Der Amerikaner wirft alles fort: Tradition, alte Autos, sein Geburtshaus, Staubsauger und alte Stiefel. Warum? – Weil das neue nicht gar so viel kostet; weil dort kein Mensch und kein Unternehmen auf langwierige Reparaturen eingerichtet ist – weil das niemand verstände, dass man einen Gegenstand um seiner selbst willen konserviert, wenn an der nächsten Ecke schon ein anderer steht. Fort mit Schaden. Der Europäer aber ist anhänglichen Gemütes und bewahrt sich alles auf. Zum Beispiel in der Politik ... hoppla – det jeht mir jar nischt an. Aber in der Wirtschaft hebt er und hebt sie alles auf.

    »Gib das mal her! Schmeiß das nicht weg! Immer schmeißt du alles weg! Was ich damit noch will? Das ist gar keine alte faule Kiste! Was die soll? Da kann man alte Handschuhe drin aufbewahren! Natürlich habe ich alte Handschuhe! Na, im Moment nicht – aber man hat doch alte Handschuhe! Wozu ich alte Handschuhe aufbewahre? Na, du bist aber komisch! Wenn man mal ... also für aufgesprungene Hände ... eben ... überhaupt braucht man in der Wirtschaft immer alte Handschuhe ... !« Und wenn nachher umgezogen wird, dann steigt dieses Reich des Moders ans Licht, und Gott der Herr verhüllt sein Antlitz, wenn er das mitansehen muß ...

    Viele unter uns sind noch gar sehr sentimental; wenn sie mit einem Gegenstand eine Zeitlang gelebt haben, dann haben sie mit ihm kein Verhältnis gehabt, sondern sie sind mit ihm verheiratet gewesen – und da trennt man sich doch nicht so eins, zwei, drei ... Jedenfalls schwerer als in einer wirklichen Ehe. Das schöne Tintenfaß ... Na, ja, es hat einen kleinen Knacks ... aber vielleicht ... als zweite Garnitur ... Und dann bewahren sie es auf. Und da liegt es und frißt Staub.

    Merk:

    Was nicht griffbereit ist, was man nicht nachts um zwei Uhr finden kann –: das besitzt man nicht. Das liegt bloß da. Es ist so, wie wenn man es weggeworfen hätte.

    Merk:

    In neunundneunzig Fällen von hundert lohnt es sich nicht, ein Ding aufzubewahren. Es nimmt nur Raum fort, belastet dich; hast du schon gemerkt, dass du nicht die Sachen besitzt, sondern dass sie dich besitzen? Ja, so ist das.

    Merk:

    Ein einziges billiges und brauchbares Rasiernäpfchen ist mehr wert als drei teure, die verstaubt auf dem Boden liegen, weil man sie doch noch mal gebrauchen kann. Wozu? Der Aufbewahrende konstruiert sich dann gern Situationen, die niemals eintreten. »Man könnte doch mal ... also wenn wir zum Beispiel mit Flatows einen Ausflug nach dem Stölpchensee machen, und die Kinder wollen sich mal im See Frösche fangen und die Frösche mit nach Hause nehmen – dann ist der Rasiernapf noch sehr schön!«

    Aber die Kinder von Flatows fangen keine Frösche, denn sie haben selber einen zu Hause, und noch dazu einen, der bei schlechtem Wetter singt ... und dann hat diese Familie auch ihrerseits genügend Gefäße, und überhaupt, was geht dich das an? Du meinst das auch gar nicht. Es ist eine atavistische Hochachtung vor dem Ding, stammend aus der Zeit, wo ein Gegenstand noch mit der Hand hergestellt wurde ... Heute speien ihn die Maschinen aus – wirf ihn weg! wirf ihn weg!

    Glatt soll es um dich aussehen, griffnah und ordentlich. Hinter den Kulissen deines Daseins soll kein Moderkram von Ding-Leichen liegen: psychoanalysiere dein Besitztum und laß nicht in verstaubten Ecken dein altes Leben gären. Es lohnt nicht; es lastet nur. Wie weit du damit gehen willst, ist Geschmackssache und Alterssache. Gewiß, es gibt moderne Möbel, von denen ein witziger Frankfurtammainer gesagt hat, sie seien für die Wohnung nur konstruiert, damit man sich beim Zahnarzt wie zu Hause fühle ... aber laß Licht in alle deine Ecken. Und höre nicht auf die Stimme deiner Frau, die dir sonst so gut rät; wenn sie aber sagt: »Man kann das noch gebrauchen!« – dann denk an den großen Kasten mit alten Schlüsseln, die du immer, immer noch aufbewahrst, Schlüssel, zu denen die Schlösser verloren gegangen sind ... Kann man das noch gebrauchen? Das kann man nicht mehr gebrauchen.

    Die Basis jeder gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.

    Encore ...
    http://www.bk-luebeck.eu/zitate-tucholsky.html

    Wenn ein Mensch ein Loch sieht, hat er das Bestreben, es auszufüllen. Dabei fällt er meistens hinein.
    Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut.
    Erfahrung heißt gar nichts. Man kann eine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.
    Wer die Freiheit nicht im Blut hat, wer nicht fühlt, was das ist: Freiheit - der wird sie nie erringen.
    Sage mir, wie ein Land mit seinen schlimmsten politischen Gegnern umgeht, und ich will dir sagen, was es für einen Kulturstandard hat.
    Das ist Humor: durch die Dinge durchsehen, wie wenn sie aus Glas wären.
    Es ist die Aufgabe des historischen Materialismus zu zeigen, wie alles kommen muss - und wenn es nicht so kommt, zu zeigen, warum es nicht so kommen konnte.
    Um populär zu werden, kann man seine eigene Meinung behalten. Um populär zu bleiben, weniger.
    Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.
    Die Seele jeder Ordnung ist ein großer Papierkorb.
    Verärgerte Bürgerliche sind noch keine Revolutionäre.
    Soziologie ist der Missbrauch einer zu diesem Zweck erfundenen Terminologie.
    Was nützen die besten Worte, wenn sie über die Wirklichkeit hinwegtäuschen?
    Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.
    Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, dass sie alt sind, und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können.
    Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen.
    Und das Ding möchte ich einmal sehen, das die Kirche nicht segnete, wenn sich das für sie lohnt.
    Wem Gott Verstand gibt, dem gibt er auch ein Amt.
    Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.
    Fremder Hunger langweilt, fremdes Glück reizt.
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    Gott segne diesen Erdball, er hat es nicht anders verdient.
    Es ist schön mit jemandem schweigen zu können.
    Jeder Mensch schafft sich im Geiste eine Welt,in der er seinen Fähigkeiten nach im Mittelpunkt steht.
    Frauen sind die Holzwolle der Glaskiste des Lebens.
    Man fällt nicht über seine Fehler. Man fällt über seine Feinde, die diese Fehler ausnutzen.
    Toleranz ist der Verdacht, dass der andere Recht hat.
    Ein voller Terminkalender ist noch lange kein erfülltes Leben.
    Erfahrungen vererben sich nicht - jeder muss sie allein machen.
    Man braucht sehr viel Geduld, um diese zu lernen.
    Jede Wirtschft beruht auf dem Kreditsystem, der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurück zahlen.
    Die menschliche Dummheit ist international.
    Der Vorteil der Klugheit liegt darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.
    Dürfen darf man alles, man muss es nur können.
    Liebe ist Erfüllung, Last und Medizin.
    Mit dem Tode ist alles aus. Auch der Tod?
    Eine Regierung ist nicht der Ausdruck des Volkswillens, sondern der Ausdruck dessen, was ein Volk erträgt.
    Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenn’s ihm gut geht und eine, wenn’s ihm schlecht geht. Die letzte heisst Religion.
    Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.
    Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie dir an.
    Wer in einem blühenden Frauenkörper das Skelett zu sehen vermag, ist ein Philosoph.
    Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muß oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind.
    Wenn man einen Menschen richtig beurteilen will, so frage man sich immer: »Möchtest du den zum Vorgesetzten haben?«
    Schade, daß man Wein nicht streicheln kann.
    Die meisten Hotels verkaufen etwas, was sie gar nicht haben: Ruhe.
    Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.
    Diejenigen Ausreden, in denen gesagt wird, warum die AG keine Steuern bezahlen kann, werden in einer sogenannten Bilanz zusammengestellt.
    Die Nation ist der Abfalleimer aller Gefühle, die man anderswo nicht unterbringen kann.
    Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein.
    Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem zu essen und zu trinken zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören.
    Gebt den Leuten mehr Schlaf - und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind.
    Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden.
    Entwirf deinen Reiseplan im Großen - und lass dich im Einzelnen von der bunten Stunde treiben.
    Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben.
    Sprache ist eine Waffe.

    http://fr.wikipedia.org/wiki/Kurt_Tucholsky
    #Kurt_Tucholsky #auf_deutsch

  • Was darf die Satire? Alles
    http://de.wikiquote.org/wiki/Satire

    Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten.

    - Karl Kraus, Fackel 309/310 40; Pro domo et mundo❞

    Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.

    - Kurt Tucholsky, „Was darf die Satire?“, Berliner Tageblatt, Nr. 36, 27. Januar 1919

    Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten. […] Was darf die Satire? Alles.

    - Kurt Tucholsky, „Was darf die Satire?“, Berliner Tageblatt, Nr. 36, 27. Januar 1919

    Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.

    - Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1973, S. 119


    #Karl_Kraus #Kurt_Tucholsky