• Linksextremisten verwüsten Straßenzüge in Berlin und zünden Autos an
    https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-mitte-linksextremisten-verwuesten-strassenzuege-in-berlin-un

    Le premier mai approche et la Berliner Zeitung en profite pour vendre sa définition de l’extrême gauche. Une petite trentaine de révoltés lui en fournit le prétexte en s’amusant dans un des quartiers de semi-riches construit sur l’ancienne frontière entre Berlin-Ouest et la capitale de l’état socialiste allemand.

    J’avoue que je ressens de la sympathie pour cette tentative de chasser les acteurs et profiteurs de la gentrification et de raser leurs baraques qui bloquent les perspectives visuelles que la guerre et le mur nous avaient laissées comme unique héritage. Sur le plan politique et humain ce genre d’action exprime la nullité de ses auteurs. Ils sont loin du mouvement populaire qui exprime sa colère en mettant à sac les quartiers de riches.

    29.4.2023 von Maria Windisch - In der Nacht flogen in Berlin-Mitte zahlreiche Steine. Autos wurden angezündet, Fenster eingeschlagen und es gab Farbanschläge. Das ist bisher bekannt.

    In der Nacht ist eine Gruppe mutmaßlicher Linksextremisten durch Berlin-Mitte gezogen. Nach einem Bericht von vor Ort randalierten mehr als zwei Dutzend Personen und hinterließen eingeschlagene Fenster und brennende Autos.

    Laut Zeugenaussagen zogen in Gänze etwa 30 Personen von der Seydelstraße bis zur Neue Grünstraße.


    Farbanschlag auf das Jobcenter in Berlin. Farbanschlag auf das Jobcenter in Berlin.Morris Pudwell

    Schneise der Verwüstung: Anwohner sind empört

    Bekannt ist bisher, dass die Personen ein Jobcenter großflächig mit roter Farbe bewarfen. Insgesamt gingen deutlich mehr als 20 Scheiben zu Bruch und über 18 Fahrzeuge wurden beschädigt. Die Feuerwehr konnte ein Ausbrennen der Autos dabei teilweise nicht verhindern.

    Dabei sollen Parolen wie „Kampf der Inflation“, „Raus zum 1. Mai“ und „Bonzen jagen“ kundgegeben und an Wände geschmiert worden sein. Eine Anwohnerin erklärte: „Das sind Parolen, von gescheiterten Existenzen.“

    Von vor Ort heißt es weiter, dass mehrere Personen von der Polizei festgenommen werden konnten. Diese hatten unter anderem Pyrotechnik wie Bengalos bei sich. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen.

    #Berlin #Mitte #Seydelstraße #Neue_Grünstraße #Spittelmarkt #Friedrichswerder #Luisenstadt #Krawall #linksextrem

  • Mietskasernenstadt Berlin: Als Wohnen todkrank machte
    https://www.berliner-zeitung.de/b-history/wohnen/mietskasernenstadt-berlin-als-wohnen-todkrank-machte-li.224536

    21.5.2022 von Dr. Michael Brettin - Ein Gefühl der Beklemmung beschleicht den Journalisten Albert Südekum, als er an einem Augusttag Mitte der 1890er-Jahre mit einem Arzt ein Hinterhaus in #Wedding betritt. Seine „erste Forschungsreise in das dunkle Land der Berliner Armenwohnungen“ – so umschreibt er den Besuch in dem „Massenmietshaus“ im Buch „Großstädtisches Wohnungselend“ 1908 – führt ihn in den dritten Stock, zu einer Familie, die das einzige Zimmer ihrer Wohnung notgedrungen untervermietet hat und in der Küche lebt.

    „Nur wenig ärmlicher Hausrat fand sich in dem unwohnlichen Raum“, schreibt Südekum. „Auf der kleinen eisernen Kochmaschine standen ein paar Töpfe, die nach dem letzten Gebrauch noch nicht gereinigt waren; den einzigen Tisch bedeckten ein paar Teller und Gläser, Zeitungsblätter, Kamm, Bürste und Seifenschale, eine Schachtel mit Salbe zum Einreiben, Teller mit Speiseresten und andere Gegenstände. Der geringe Kleidervorrat der Familie hing an den Wänden; ein paar halbverblaßte Familienbilder und ungerahmte Holzschnitte aus einer illustrierten Zeitung bildeten den einzigen Schmuck.“ Es gibt noch eine Kommode, einen Korblehnstuhl und zwei Holzschemel sowie ein Bett, „das eigentlich nur aus einem Haufen zerrissenen Zeuges auf einer knarrenden, buckligen Matratze bestand“.

    Es ist ein Urbedürfnis des Menschen: ein Dach über dem Kopf. Darunter findet sich Geborgenheit aber nicht von allein. „Ein Haus wird gebaut, aber ein Zuhause wird geformt“, wie das Sprichwort besagt. Ein Zuhause in Berlin war schon immer in vielerlei Hinsicht besonders.

    Fünf Menschen leben in dieser Küche: ein Ehepaar, seine 14-jährige Tochter und seine etwa sieben und vier Jahre alten Söhne. Die Frau liegt in dem Bett; sie ist, als sie Zeitungen austrug, auf einer Treppe umgeknickt, hat sich dabei einen Fuß verstaucht und eine Sehne gezerrt. Bettruhe kann sie sich nicht leisten. Ihre Familie ist auf das Geld, das sie als Zeitungsausträgerin verdient, angewiesen. Ihr Mann ist Gelegenheitsarbeiter und derzeit als Flaschenspüler bei einem Bierverlag (Getränkegroßhandel) tätig, sein Lohn ist dürftig. Der Unfall ist für die Eheleute ein Schicksalsschlag.

    „Jedesmal, wenn es schien, als ob es ihnen dauernd etwas besser gehe“, schreibt Südekum, „waren sie durch eine Krankheit oder durch ein, manchmal verfrühtes, Wochenbett – die Frau hatte im ganzen deren sechs durchgemacht – oder einen Todesfall wieder zurückgeworfen worden.“

    Berlin war zu jener Zeit dem Stadtbauexperten Werner Hegemann zufolge die größte „Mietskasernenstadt“ der Welt. Sie erwuchs aus dem „Bebauungsplan der Umgebungen Berlins“ vom 18. Juli 1862. Der aus der Feder von Regierungsbaumeister James Hobrecht stammende Plan sollte die stetig größer werdende #Wohnungsnot lindern. Die #Industrialisierung lockte immer mehr Menschen vom Land in die Stadt. Die Bevölkerung Berlins vergrößerte sich von etwas mehr als 170.000 im Jahr 1801 auf fast 550.000 im Jahr 1861. Über 15 Prozent der Bewohner mussten sich mit acht, neun oder gar zehn Personen ein Zimmer teilen.

    Der „#Hobrecht-Plan“ sah ein weitmaschiges Straßennetz und große Baublöcke vor. Die Grundstücke zogen sich tief in das Blockinnere; die Bauordnung erlaubte es, die fünfgeschossigen Häuser sehr nah beieinander zu errichten. Innenhöfe mussten nur 5,34 mal 5,34 Meter groß sein. Das entsprach der Fläche, die ein von Pferden gezogenes Feuerlöschfahrzeug zum Wenden benötigte.

    Die dichte Bauweise glich der einer Kaserne. Die Mietskaserne wiederum entsprach der Klassengesellschaft. Im Vorderhaus lockten großzügig angelegte und gut ausgestattete Wohnungen. Ihre Fläche erstreckte sich in den #Seitenflügel, ein Durchgangszimmer (#Berliner_Zimmer) führte dorthin. Im Hinterhaus (#Quergebäude) versteckten sich kleine, minderwertig gefertigte, sonnenlichtarme bis -lose Bleiben, die in der Regel aus einer Stube, einer Küche und einer Kammer bestanden.

    Die Wohnqualität nahm nach oben und unten sowie nach hinten ab. „An den beiden Endpunkten der räumlichen Einheit #Mietskaserne, im Keller und unterm Dach, finden wir die Ärmsten der Armen, die nur die geringstmögliche Miete bezahlen konnten“, schreibt die Historikerin Rosmarie Beier, „chronisch Kranke und Invalide, Tagelöhner, den schon sprichwörtlich gewordenen armen Schuster, abgearbeitete, verhärmte Näherinnen, Lumpensammlerinnen und Zeitungsfrauen, Witwen, die sich mit ihren Kindern mühselig durchs Leben schlugen.“
    Der Tod lauerte im Hinterhaus

    Eine Extremform des Wohnungselends war das „#Trockenwohnen“. Neubauten mussten etwa drei Monate lang austrocknen, bevor sie bezugsfertig waren. Die zeitweilige Vermietung der feucht-kalten Wohnungen an besonders arme Haushalte beschleunigte den Vorgang. „Trockenwohner“ umgingen die Obdachlosigkeit, ruinierten jedoch ihre Gesundheit.

    Wobei: Die Mietskaserne machte auch spätere Bewohner krank. Die Wohndichte, Licht- und Luftmangel, Feuchtigkeit und Schimmelbefall förderten Infektionskrankheiten wie #Tuberkulose und #Ruhr. Frauen, die hausindustriell beschäftigt waren, litten unter Augenbeschwerden, Kopfschmerzen, Durchblutungsstörungen, Bleichsucht (Blutarmut), Magenbeschwerden durch Stress. Und das täglich stundenlange Treten einer Nähmaschine führte zu Früh- und Fehlgeburten.

    Eine Statistik aus dem Jahr 1905 legt nahe, dass der Krankheitsverlauf eines Menschen davon abhing, ob er in einem Vorder- oder einem Hinterhaus wohnte. Demnach starben Mieter in einem Hinterhaus öfter an Diphtherie oder auch Kindbettfieber. Die Gefahr einer tödlich verlaufenden Masernerkrankung war dort dreimal so. Die Säuglingssterblichkeit lag in jenem Jahr im armen Wedding bei 42 Prozent, im wohlhabenden Tiergarten bei 5,2 Prozent.

    Nachteile seines Bebauungsplans sah James Hobrecht selbst schon 1868. „Mehr Raum für die Höfe!“, forderte er. „Das Vierfache der Dimensionen, welche die Berliner Baupolizeiordnung verlangt, ist nicht zu viel, ist kaum genug, wenn wir für unsere Hinterzimmer noch Sonne, Licht und Luft in genügender Qualität und Güte behalten wollen.“ Seine Forderung fand kein Gehör, die Wohnungsbauwirtschaft, komplett in privater Hand, stellte sich taub, allen voran die „Terraingesellschaften“: Deren Geschäft bestand darin, große Grundstücke zu kaufen, sie zu parzellieren und zu erschließen und die Parzellen gewinnträchtig zu verkaufen.

    Wohnungsnot und -elend nahmen mit der Hauptstadtwerdung Berlins infolge der Gründung des Deutschen Reichs zu. Die Stadt entwickelte sich zum Industrie- und Finanzzentrum Mitteleuropas. Die Zahl ihrer Bewohner wuchs von 825.000 im Jahr 1871 auf eine Million 1877 und auf 1,7 Millionen 1895. Mietskaserne auf Mietskaserne entstand.

    Die neuen Viertel zogen sich sichelförmig um die Innenstadt: vom Nordwesten bis in den Süden – von #Moabit über #Gesundbrunnen und #Wedding, Oranienburger und #Rosenthaler_Vorstadt, #Königsviertel und #Stralauer_Viertel bis #Luisenstadt. „Die Hauptmasse der Stadt macht den Eindruck, als wäre sie erst vorige Woche erbaut worden“, schrieb der Schriftsteller #Mark_Twain nach einem Besuch im Winter 1891/92. Berlin sei „das Chicago Europas“.

    Mitte der 1890er-Jahre bewohnten 43,7 Prozent der Berliner nur ein beheizbares Zimmer. Eine Gemeinschaftstoilette auf dem Treppenhauspodest (halbe Treppe) oder im Hof nutzten mitunter 40 Personen. Zahlen seien wenig aussagekräftig, schreibt Albert Südekum. Außenstehende könnten nicht ermessen, was es bedeute, wenn bis zu zehn Menschen zugleich „in sogenannten ,Wohnungen‘ hausen müssen, die nur aus einem jammervollen Loche bestehen, zu schlecht, als daß ein weichherziger Tierhalter seinen Gaul oder seine Kuh, ja seine Schweine hineinsperren möchte.“

    Meyers Hof in der #Ackerstraße 132/133 in Wedding gilt als Inbegriff der Mietskaserne: sechs Hinterhöfe, in denen auch mal Musiker aufspielen (hier 1932), 257 Wohnungen, in denen zeitweise 2100 Menschen lebten. Der letzte Block wurde 1972 gesprengt.

    Das Ehepaar, das der Journalist Südekum an jenem Augusttag aufsucht, kam Mitte der 1880er-Jahre aus einem Dorf in Pommern nach Berlin. Es ist seitdem durchschnittlich alle sechs Monate umgezogen, wegen der häufig wechselnden Gelegenheitsarbeitsstellen, bei denen der Mann mal mehr, mal weniger verdient. Dieses Schicksal teilt die Familie mit ungezählten anderen. Der Volksmund spottet: „Zehnmal umziehen ist wie einmal abgebrannt.“

    Das einzige Bett der Familie ist zu klein, als dass alle fünf darin schlafen könnten. Die drei Kinder nächtigen auf dem Küchenfußboden, auf ausgebreiteter Kleidung. Die Tochter kümmert sich tagsüber um den Haushalt und verdient als „Ausläuferin“ (Botengängerin) etwas Geld.

    Der Mann weilt nach Feierabend selten zu Hause. Es ist nicht bekannt, ob er sich in einer der zahlreichen Kneipen herumdrückt, wie so viele andere Männer, denen die leidende Familie auf die Nerven geht. Seine Frau hat wie alle Frauen, die Ehe- und Hausfrau, Mutter und Erwerbstätige in einer Person sind, nie Zeit für sich. Sie ist mit ihren Kräften am Ende, körperlich wie seelisch. Der Herr Doktor möge sie, fleht sie, in ein Krankenhaus schaffen und ihre Kinder in ein Waisenhaus bringen; sie fürchte, „den Verstand zu verlieren und sich aus dem Fenster zu stürzen“.
    Eine Familie haust zu elft im Keller

    Die Not der Arbeiterfamilien rückte in den 1890er-Jahren in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Der Vorwärts, die #SPD-Zeitung, bei der Albert Südekum 1895 volontierte, veröffentlichte bis in das Jahr 1903 hinein fast wöchentlich Mitteilungen der Arbeiter-Sanitätskommission über menschenunwürdige und gesundheitswidrige Wohnungszustände.

    Und die „Wohnungs-Enquete“ der Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker (ab 1914 hieß sie Allgemeine Ortskrankenkasse/AOK) dokumentierte von 1901 bis 1920 den Zusammenhang zwischen Wohnelend und Erkrankungen. Die Ortskrankenkasse wollte Politiker und andere Verantwortliche aufrütteln, wollte, dass sie gegen das Wohnungselend vorgehen, im Interesse der „#Volksgesundheit“, aber auch aus Eigennutz, bedeuteten doch mehr Kranke mehr Ausgaben.

    Die Enquete sammelte Daten über Bodenflächen, Höhenmaße und Kubikmeter Luftraum, über die Anzahl der Personen pro Raum und Bett sowie der Fenster, den Zustand der Zimmer, die Verfügbarkeit von Heizung und Toilette. Die fotografische Dokumentation durch die Firma Heinrich Lichte & Co. setzte 1903 ein; der erste Jahrgang erschien 1904, der letzte 1922.

    Die Aufnahmen sollten nicht Mitleid erregen, sondern Veränderung hervorrufen. Da ist das unter Blutarmut leidende 16-jährige Mädchen in der #Große_Hamburger_Straße: Die Wände ihrer Bleibe sind so feucht, dass Tapete von der Wand lappt und Holz der Fensterbretter fault. Oder der von Ekzemen geplagte 65-jährige Mann in der #Britzer_Straße: Das Klo über seiner Wohnung ist oft verstopft; wird das Rohr durchstoßen, sickern Fäkalien durch die Decke. Oder die elfköpfige Familie in einer Kellerwohnung in der #Friedrichsberger_S#traße: Der Vater ist an Tuberkulose gestorben; ein Mädchen, 15, ist wegen eines Lungenleidens erwerbsunfähig, ein anderes Mädchen und ein Junge sind ebenfalls lungenkrank.

    „Es ist nur ein ganz geringer Teil dessen, was wir an Wohnungselend kennen lernen“, schreibt Albert Kohn, Geschäftsführer der Ortskrankenkasse. Besonders bemerkenswert sei, dass „unsere Erhebungen bei Leuten gemacht wurden, welche zum grösseren Teile noch keine Armenunterstützung bezogen haben, sie erstrecken sich auch nicht auf die Arbeiterviertel allein.“ Zahlreiche Menschen würden „förmlich vegetieren“.

    Das Wohnungselend hielt an. Die 1895 einsetzende Hochkonjunktur, die bis 1913 die Reallöhne verdoppelte, kam un- und angelernten Arbeitern nicht zugute, auch weil sich die Lebensmittelkosten in jener Zeitspanne verdreifachten. „Sparsamkeit, das Rechnen mit dem Pfennig, selten eine Möglichkeit, finanzielle Rücklagen zu bilden, Verpfändung, Verschuldung und Mietrückstände im Falle von Krankheit und Erwerbslosigkeit – kurzum, Einschränkung, Entbehrung und Not kennzeichnen das Leben der Unterschichtsfamilien“, schreibt die Historikerin Rosmarie Beier. Die Mitarbeit von Frauen und Kindern sowie die Aufnahme von Untermietern („Schlafburschen“) habe das Leben „in vielen Fällen nicht wesentlich“ verbessert.

    Der Beginn der Weltwirtschaftskrise führte zu einer extremen Verelendung vieler Berliner Arbeiterhaushalte. Die Not trieb Familien 1932 in einen #Mietstreik. Es war nach 1919 der zweite in der Stadt. Ein Symbol für die hauptsächlich von Frauen getragene Streikbewegung wurde das zu einem Mietshaus umfunktionierte ehemalige Stadtgefängnis am #Molkenmarkt, genannt „Wanzenburg“. Die Monatsmiete für eine verwanzte Wohnzelle, knapp zwei Meter breit und viereinhalb Meter lang, betrug 21,50 Mark. Das entsprach etwa einem Drittel des Einkommens der dort Hausenden.

    Die Bewohner vieler Mietskasernen organisierten sich in Hausgemeinschaften, gaben die Parole „Erst Essen, dann Miete!“ aus und forderten, Mieten zu senken, Mietrückstände zu streichen, Klagen auf Exmission (Zwangsräumung) aufzuheben, Gebäude zu renovieren. Einige Proteste hatten Erfolg.

    Das Gefühl der Beklemmung beim Betreten der Mietskaserne in Wedding lässt Albert Südekum nicht los. Als Kommunalpolitiker und Reichstagsabgeordneter der SPD widmet er sich der #Wohnungspolitik. Er wünsche sich, schreibt er 1908, „eine helle Empörung über das furchtbare Wohnungselend der Großstadt mit all seinen Neben- und Folgeerscheinungen auszulösen“. Ein Vorwort zu seinem Buch soll dabei helfen, ein Spruch, der irrtümlich dem sozialkritischen Zeichner, Maler und Fotografen Heinrich Zille zugeschrieben wird: „Man kann einen Menschen mit einer Wohnung geradeso gut töten wie mit einer Axt.“

    Der Bau von Mietskasernen kam erst zu Beginn des Ersten Weltkrieges zum Erliegen. Die Weimarer Republik anerkannte die Wohnungs- und Krankenfürsorge als staatliche und kommunale Aufgabe. Berlin verbot 1925 den Bau von Mietskasernen mit Seitenflügeln und Quergebäuden in den Randbezirken.

    Das weitere Schicksal der fünfköpfigen Familie, die Albert Südekum an jenem Augusttag besucht hatte, ist nicht bekannt.

    #Berlin #Geschichte #Wohnen #Stadtentwicklumg #Kaiserzeit #Gründerzeit

  • Andreasplatz
    https://de.wikipedia.org/wiki/Andreasplatz

    Der Andreasplatz war als ehemaliges Zentrum der Stralauer Vorstadt ein historisch bedeutsamer Platz im heutigen Ortsteil Friedrichshain in Berlin. Er lag an der Andreasstraße, zwischen den beiden Querstraßen Kleine Andreasstraße und Grüner Weg (heute Singerstraße). Um 1960 verschwand die Platzanlage mit der Neubebauung des Viertels aus dem Stadtbild.

    Der Anfang dieses Wikipedia-Artikels hört sich lakonisch an, ein Ort wird der Dramatik entkleidet, die hier einhundet Jahre Leben prägten.


    1899 verbargen die Stadtmöbel das Elend im Zille-Milljöh hinter den Fassaden.

    Der Mädchenfänger von Berlin
    http://www.welt.de/vermischtes/article1870282/Der-Maedchenfaenger-von-Berlin.html

    Carl Großmann
    https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gro%C3%9Fmann

    In der Welt vom 6.4.2008 beschreibt Torsten Thissen wie Karl Großmanns letztes Opfer vom Gefängnistor bis zu ihrem Mörder gelangte. Die Polizei brach nur Minuten zu spät in seine Wohnung ein.

    Marie Nitsche ist keine schöne Frau. Sie weiß es. Sie ist alt geworden, mit ihren 34 Jahren der Konkurrenz der jungen Mädchen, die jeden Tag zu tausenden aus der Provinz nach Berlin kommen, nicht mehr gewachsen. Es gab eine Zeit, in der viele Männer sie ausführen wollten, verrückt nach ihr waren. Schöne Männer, junge Männer, sie war verliebt. Doch diese Zeit ist lange vorbei. Die Männer, die sie jetzt ansprechen, sind nicht charmant, machen keine Komplimente. Sie lächeln auch nicht. Sie grinsen.

    Auf der Friedrichsstraße bekommt sie ihren ersten Schnaps. Sie geht in eine Kneipe, die eigentlich viel zu gut für sie ist, fragt den Mann einfach, zittert ein bisschen, er hat Mitleid. In Kreuzberg trifft sie einen Betrunkenen und schwatzt ihm ein paar Bier ab. Irgendwann ruft der Mann den Wirt. Es ist ein Ausflugslokal, die Leute sitzen auf Bierbänken, viele Sonntagsanzüge, viele Sommerkleider, niemand blickt auf, als man sie rausschmeißt. Früher hätte sie wahrscheinlich auch nicht aufgeblickt, erinnert sie sich vage, sie empfindet keine Scham, schon lange nicht mehr.

    Marie Nitsche läuft nun an Menschen vorbei, die mehr aussehen wie sie, die sonntags die gleichen Kleider wie werktags tragen. Manche von ihnen in Lumpen, mit entstellten Gesichtern. Sie weicht einem doppelt Beinamputierten aus, der auf einem Rollwagen hockt. Er hat ein Schild um den Hals, ein Kriegsveteran, der um Mildtätigkeit bittet. Marie Nitsche hat nichts zu verschenken, sie bedauert ihn nicht und dennoch: Als Marie Nitsche den Schlesischen Bahnhof erkennt, die Lokomotiven unter Dampf, das Gewusel der Reisenden, die Droschken, die Kofferträger, die rauchend an ihren Karren lehnen, als sie die Taschendiebe bemerkt, die Huren und ihre Zuhälter, die fliegenden Händler und Zeitungsjungen mit den Sonntagsausgaben, befällt sie ein Gefühl des Nachhausekommens.

    erichs-kriminalarchiv - 17. Fall - Karl Großmann (1921)
    http://erichs-kriminalarchiv.npage.de/die-grossen-kriminalfaelle/die-grossen-kriminalfaelle-17-fall-1921.html

    Der Wikipedia-Autor schreibt denn auch:

    Der Platz entwickelte sich allerdings nicht zu einer Repräsentanzfläche, sondern entsprechend den Bewohnern und der Struktur zu einem Kiezplatz inmitten des bekannten Zille-Milieus. Heinrich Zille beschrieb zwar nie die Plätze und Häuser direkt, wuchs allerdings, aus Dresden kommend, nach 1867 in der Kleinen Andreasstraße auf und lebte also inmitten der Mietskasernen rund um den Andreasplatz seiner Zeit. Diese wurden zum Hauptsujet seiner späteren Werke. Der Andreasplatz entwickelte sich zudem zu einem Zentrum des Berliner Rotlichtviertels um den damaligen Schlesischen Bahnhof, den heutigen Ostbahnhof. Auch der bekannte Berliner Serienmörder Carl Großmann lebte in der Nähe des Platzes und suchte hier auch seine Opfer, meistens Prostituierte und mittellose Frauen.

    Um die Ecke von det janze Elend stand in der Frankfurter Allee / Andreasstraße das Luxuskaufhaus Hertie.
    http://www.stadtbild-deutschland.org/forum/index.php?page=Thread&threadID=39&pageNo=4


    http://www.spiegel.de/fotostrecke/nachkriegsfotos-vom-wiederaufbau-in-berlin-fotostrecke-128682-3.html

    1945 war sogar das Elend weggebombt, dananch verbot ihm der Sozialismus, oder was man so nannte, den Wiedereinzug in die Stralauer Vorstadt.

    Dann kam die Legende von Paul und Paula.
    http://www.friedrichshain-magazin.de/archiv/fh-4-02/text16.html

    „Berlin. Es ist Winter. In einer alten Straße sprengen sie wieder Häuser. Das erste. Das zweite. Sie fallen in sich zusammen. Als sich die unvermeidlichen Staubwolken verziehen, werden die Fassaden neuer Bauten sichtbar. Ein drittes altes Haus. Hier wird noch ausgezogen. Ein Möbelwagen steht vor der Haustür. Neugierige haben sich angesammelt. Nichts ist so interessant wie fremde Einrichtungen, wenn sie von Möbelpackern auf die Straße getragen werden.“

    So beginnt das Drehbuch zu einem der bekanntesten Filme aus den DEFA-Studios. Der Film wird seit sieben Jahren im Studio-Kino „Börse“ gezeigt und gilt als DDR-Kultfilm. Die beiden Hauptpersonen der Liebesgeschichte leben einander gegenüber in der Singerstraße. Doch es dauert lange, bis sie sich finden.
    ...
    die Geschichte endet tragisch: Sie stirbt bei der Geburt ihres dritten Kindes. Zum Schluss wird auch das letzte alte Haus in der Singerstraße gesprengt.
    ...
    Heute steht hier - „anstelle ehemaliger trostloser Mischbebauung von Arbeits- und Wohnstätten“, wie es in einem Architekturführer von 1974 heißt ? eine Kaufhalle. Hinterhofkinos und Reifenhändler gibt es hier nicht mehr. Der Neubau gegenüber ist mittlerweile mit Wärmedämmplatten verkleidet.

    Wie es weiterging wurde hier diskutiert:
    Sanierung von Plattenbauten [Archiv] - Deutsches Architektur-Forum
    http://www.deutsches-architektur-forum.de/forum/archive/index.php/t-9290.html

    Der_Geograph (17.09.10, 23:10): Das ewig leerstehende Gebäude an der Ecke Singer-/Andreasstraße wird seit einigen Monaten ebenfalls saniert. ... Dies ist m. E. eine der gelungensten Sanierungen eines Plattenbaus. Die Fassade sieht sehr hochwertig aus, des weiteren lässt die dunkle Farbe mit den silbergrauen, vertikalen Streben und den verspiegelten Fenstern das Haus nun sehr modern wirken.

    Kann man auch so sehen:

    Klarenbach (08.03.11, 20:00): Dann habe ich mir auch mal das Hochhaus Andreastraße 22 angeschaut und war doch sehr angetan. Vor allem die Dachterrasse bietet einen sehr schönen Ausblick. Billig sind die Wohnungen nicht, da muss man schon Nettokaltmieten von über 10 Euro zahlen.

    Oder die Hintergrundgeschichte erzählen:

    Betonkopf (04.08.12, 21:26): ich hab in mitte und fhain viel in plattenbauten beruflich zu tun und das ist eine gewachsene wohnstruktur, meistens leben die bewohner seit dem erstbezug dort (30-40 jahre!!), kennen ihre nachbarn, lieben die aussicht und achten auf haus, stockwerk, grünanlage, umgebung, besucher, man kennt sich, geht auch mal für den nachbarn einkaufen etc...man kennt sich halt.
    in so ne umgewandelte büroplatte erst einmal leben reinzubringen stell ich mir schwierig vor, da muß so einiges geboten werden...ach mensch, da fällt mir die luxussanierte platte in der singerstrasse/andreasstr. in fhain ein...schwarze fassadenplatten, teure, leicht verspiegelte fenster, consierge in nem gold tapezierten empfang nebst div. kronleuchtern, herrliche dachterrasse ausgelegt mit tropenhölzern, gehobene ausstattung, kaisers direkt vor der tür...wohnungen sauteuer und deswegen ein nahezu leeres gebäude das die nachbarn (baugleiche platte schräg gegenüber, alles seniorengerechte wohnungen) durch die schwarzen fassadenplatten und die schießschartenfenster eher gruselt...

    Heute blickt uns ein brauner Kaiser’s Supermarkt vom ehemaligen Andreasplatz aus an. Es gibt nur noch eine Straßenkreuzung Singerstraße/Andreasstraße. Das Foto sparen wir uns.

    #Berlin #Friedrichshain #Verbrechen #Geschichte #Luisenstädtischer_Kanal