03. Juni 2017 Hans Schmid
Cineastische Reise in vier Etappen
An einem einsamen Ort, Teil 1
Statt auf die täglichen Tweets von Donald Trump zu starren wollen wir uns lieber in eine Zeit begeben, als die Vereinigten Staaten von Amerika noch so etwas wie eine Leitkultur zu bieten hatten und von dort mehr kam als Sequels, Prequels und durchnummerierte Superheldenepen. Widmen wir uns also einem Film, der mit mehr Qualität und Tiefgang aufwarten kann als die Washingtoner Bühne, die seit dem 20. Januar zum Schmierentheater geworden ist.
Der Film heißt In a Lonely Place, entstand zu Beginn des Kalten Krieges und hat letztlich doch wieder mit Trump zu tun, weil er anhand einer ebenso romantischen wie traurigen Liebesgeschichte von einer tief gespaltenen Gesellschaft erzählt und von der männlichen Gewalt den Frauen gegenüber. Amerika den Schlägern und Raufbolden auszuliefern, sagt der Film, kann keine Lösung sein. Darum gibt es auch kein Happy Ending.
Liebesszene mit Grapefruit
Beginnen wir mit einer Frage für das Drehbuchseminar. Was macht eine gute Liebesszene aus? Das Paar, sagt Dixon Steele zu Laurel Gray, darf sich nicht andauernd versichern, wie sehr es sich liebt: „Eine gute Liebeszene sollte noch von etwas anderem handeln, außer von der Liebe. So wie bei uns zum Beispiel. Ich bereite die Grapefruit vor, du sitzt da drüben, benebelt und noch nicht ganz wach. Jeder, der uns zuschaut, würde sehen, dass wir verliebt sind.“ Dix Steele muss es wissen. Er ist Drehbuchautor in Hollywood und gilt als verkrachtes Genie.
Die Szene, der wir da zuschauen, erfüllt genau die von Dix formulierten Anforderungen an eine gute Liebesszene. Die für Dix schlechte Nachricht ist: Wir sehen keine Schnulze, die bei Bedarf mit einer Lüge enden würde, um ihm sein privates Glück zu garantieren. Ein Mann macht Frühstück für die Frau, die er liebt. Doch schon bei den Vorbereitungen zeigt sich, wie ungeeignet er für die alltäglichen Verrichtungen ist, die den Rahmen für Leidenschaft und Romantik abgeben sollen. Das Grapefruitmesser in Laurels Küche biegt er gerade, weil er so ein Ding noch nie gesehen hat. Statt das Fruchtfleisch ohne die bittere Haut herauszulösen verstümmelt er die Grapefruit.
In a Lonely Place
Assoziationen an die berühmteste Grapefruit der Filmgeschichte sind durchaus erwünscht. In The Public Enemy sitzt ein schlecht gelaunter James Cagney mit Mae Clarke am Frühstückstisch und drückt ihr die Hälfte der Frucht ins Gesicht, die sie für ihn vorbereitet hat. Die Gewalt, die Männer gegenüber Frauen ausüben, ist auch ein Thema von In a Lonely Place. Das Grapefruitmesser in der Hand von Dix hat etwas Bedrohliches, weil man sich als Zuschauer unwillkürlich fragt (wir sind in der 72. Filmminute), ob er gleich einen seiner Wutanfälle kriegen und auf Laurel einstechen wird.
In a Lonely Place
Laurel hat Dix soeben gesagt, wie sehr sie die Liebesszene in seinem neuen Drehbuch mag. Zugleich spürt sie, wie ihre eigene Liebe zu Dix dabei ist zu zerbrechen. Wenn Dix erklärt, was eine gute Liebesszene braucht, steht er am linken Bildrand. Laurel sitzt ganz rechts auf einem Stuhl an der Wand. Die räumliche Entfernung verdeutlicht die emotionale Distanz, die sie inzwischen von dem Mann trennt, den sie liebt. Für den Regisseur Nicholas Ray hatte die Organisation des Raumes immer einen besonderen Stellenwert. Auch durch sie lässt sich eine Geschichte erzählen. Bei Ray ist das oft beredter als ein langer Dialog.
In a Lonely Place ist ein Film, der ständig auf seine eigene Erzählung reagiert und gefühlsmäßig die ganze Bandbreite der Romanze abdeckt, von Himmelhochjauchzend bis Zutodebetrübt. Eine Mordgeschichte gibt es auch. Jemand hat Mildred Atkinson erwürgt und aus einem fahrenden Auto geworfen. Kurz zuvor war Mildred in Dix’ Wohnung. Für die Polizei ist er der Hauptverdächtige. Laurel kann nur noch mit Tabletten schlafen, seit sie befürchtet, dass er tatsächlich der Mörder ist. Kein Wunder, dass sie so benommen wirkt.
Als Zuschauer ist man gefordert, weil dieser Film so viele, miteinander korrespondierende Ebenen hat. Er handelt von der romantischen Liebe, von sinnloser Gewalt und von der Verbindung zwischen beiden, vom Zerfall alter Gewissheiten und von der Sehnsucht, den von Hollywood perfektionierten und dabei zu Tode gerittenen Boy-Meets-Girl-Geschichten eine neue Form zu geben. Zur Erneuerung gehört die Bereitschaft, sich - auch wenn es schmerzt - von der in der Traumfabrik produzierten Illusion zu verabschieden, dass Konflikte dadurch zu lösen sind, dass der Held am Schluss die Heldin küsst.
Was muss gegeben sein, damit aus einem interessanten Film ein richtig guter wird, ein Film für die DVD-Sammlung, den man immer wieder sehen will? Wahrscheinlich muss er den Test der Zeit bestehen, wie man so sagt. Das soll nicht heißen, dass er der Fels in der Brandung sein muss, der Monolith, der dem Lauf der Zeit widersteht. So etwas bringt einen nur ins Museum für einschläfernde Meisterwerke, deren Titel in den Geschichtsbüchern nachzulesen sind. Gemeint ist, dass der Film, statt zeitlose Gewissheiten zu liefern, regelmäßig seine Aktualität auffrischt, zur jeweiligen Gegenwart in ein kritisches Verhältnis tritt, statt dieser Gegenwart enthoben zu sein und in ein Kunst-Elysium zu entschweben.
Für mich ist In a Lonely Place solch ein Film. Durch ihn erfährt man viel über die Zeit, in der er entstanden ist, und auch über die Zeit, in der man selber lebt. Das oft leere Versprechen der Unterhaltungsindustrie, dass die Leinwand ein Fenster zur Welt sei, löst er ein, indem er es mit Bedeutung füllt. Das Fenster öffnet sich zur Gegenwart, zur Vergangenheit und vielleicht sogar zur Zukunft, weil man besser erahnen kann, was sich dort zusammenbraut, wenn man weiß, woher es kommt. Es gibt keine Politiker und keine populistischen Nationalisten, für das Zwitschern waren noch die Vögel zuständig und Donald Trump war drei Jahre alt, als In a Lonely Place gedreht wurde. Trotzdem ist das ein Film, der einem beim Verständnis des gegenwärtigen Schlamassels auf die Sprünge hilft.
Trumps Aufstieg zum durch die Medien irrlichternden Promi-Unternehmer, zur Ikone des Trash-TV und von da zum US-Präsidenten begann 1973. Damit das gelingen konnte bedurfte es einer Vorgeschichte, die uns zurück in die Nachkriegszeit führt. Trump ist deren Kind. Zu erkennen ist das schon daran, dass er in einem der Protagonisten des diese Jahre prägenden McCarthyismus einen Ziehvater fand, der ihm zeigte, wie man zu einer für seine Berühmtheit berühmten Medienfigur wird und ihm so das nötige Rüstzeug für den Weg ins Weiße Haus mitgab. Aber der Reihe nach.
Bogart, Bogey und Dixon Steele
Für Bogart-Fans ist In a Lonely Place unverzichtbar, weil der Star in diesem Film eine seiner eindrucksvollsten Leistungen bietet und als Dixon Steele eine Rolle verkörpert, die seiner wahren Persönlichkeit näher kam als irgendeine andere. Jedenfalls fand das Louise Brooks, die ihm einen ihrer scharfsinnigen Texte über die Filmindustrie gewidmet hat ("Humphrey and Bogey", enthalten in dem schönen Buch Lulu in Hollywood). Brooks lernte Bogart 1924 kennen, als er noch ein eher konventioneller Theaterschauspieler war und nicht „Bogey“, die dem Unbehagen an der Welt mit cooler Abgeklärtheit begegnende Kunstfigur.
Lulu in Hollywood / Louise Books
Bogey ist eine Kreation, die Humphrey Bogart so gut gelang, weil er die Unterstützung von drei Regisseuren hatte, die ein feines Gespür dafür besaßen, nach welchem Heldentypus die Zeit verlangte: Raoul Walsh (High Sierra), John Huston (The Maltese Falcon) und Howard Hawks (To Have and Have Not, The Big Sleep). 1949, als In a Lonely Place entstand, war Bogart der Hollywoodstar mit den höchsten Gagen. Das verdankte er Bogey und dessen Image als rebellischer Einzelgänger, der seine eigenen Entscheidungen trifft und nach eigenen Regeln lebt wie Rick in Casablanca.
Filmplakat: In A Lonely Place
Auf den privaten Humphrey Bogart traf das nur bedingt zu, meint Brooks. Anstelle des glorifizierten Einzelgängertums der Star-Persona sieht sie die fundamentale Einsamkeit eines Menschen, dessen Situation mit dem Titel In a Lonely Place perfekt beschrieben sei. Die Rolle als Dixon Steele habe er mit faszinierender Komplexität spielen können, „weil der Stolz des Charakters auf seine Kunst, sein Egoismus, seine Trunkenheit, sein Mangel an Energie, durchstochen mit blitzschlagartigen Gewaltausbrüchen, vom echten Bogart geteilt wurden.“Filmplakat: In A Lonely Place Italienisch: Il diritto di uccidere / Paura senza perché
Wir müssen demnach mit einem Film rechnen, in dem die Fiktion nicht immer klar von der Wirklichkeit zu trennen ist. Wäre es nach Bogart gegangen würde jetzt Betty Joan Perske mit ihm und dem Grapefruitmesser in dieser Küche sitzen, seine Partnerin im echten Leben. Betty hieß in ihrer Filmstarexistenz Lauren Bacall. In a Lonely Place ist der dritte Film der Santana Pictures, einer Firma, die Bogart 1948 mit Robert Lord gründete, früher Produzent bei den Warner Bros. Benannt war die Firma nach Bogarts Segelyacht, die er sehr liebte (mehr als Betty Bacall, sagen manche, die ihn gut kannten).
Segelyacht Santana
Das Erfolgsmodell des „klassischen Hollywood“, also der US-Filmindustrie vom Ende der 1910er bis in die späten 1950er Jahre, beruhte darauf, dass die fünf großen Studios Filme nicht nur produzierten, sondern auch über eigene Verleihfirmen und Kinoketten verfügten. 1948 urteilte der Supreme Court, dass die „vertikale Integration“ (Produktion, Verleih und Abspielstätten in einer Hand) ein Verstoß gegen die Regeln des freien Wettbewerbs und gesetzwidrig sei. Die Studios wurden gezwungen, sich von ihren Kinoketten zu trennen. Dadurch verschoben sich die Machtverhältnisse.
Im alten System konnten die Studios auch unabhängige Kinobetreiber zwingen, Pakete mit bis zu drei Dutzend Filmen zu buchen, von denen oft nur der Titel bekannt war. Nach dem Verlust dieser Absatzgarantie änderten sie ihre Geschäftspraxis. Die bisher fließbandähnliche Massenproduktion wurde zurückgefahren, das Personal reduziert. Die nun nicht mehr ausgelasteten Ateliers wurden an Unabhängige vermietet. Bogart war einer von den Stars, die damals eine eigene Firma gründeten. Davon versprachen sie sich mehr künstlerische Freiheit - und die Möglichkeit, von Steuersparmodellen zu profitieren, die ihnen als Angestellte eines Studios verschlossen gewesen waren.
Auch in einer Zeit des Personalabbaus hätten die Studios ihre Kassenmagneten sehr gern behalten. Über Bogarts Entschluss, sich mit der Santana selbständig zu machen, sollen sich die Chefs der Warner Bros. so geärgert haben, dass sie sich kategorisch weigerten, die vertraglich an sie gebundene Lauren Bacall freizugeben. Das war nicht nur ein Grund zum Traurigsein. Rays Art des Filmemachens war nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Für die Beteiligten konnte das auf ihr Privatleben übergreifende Konsequenzen haben. Sehr aufschlussreich sind die Bilder von den Dreharbeiten, auf denen Ray zu sehen ist.
Bilder von den Dreharbeiten, auf denen Ray zu sehen ist
Kontrollfetischisten wie Lang oder Hitchcock sitzen in solchen Pressephotos meistens bei der Kamera. Ray dagegen sucht die Intimität mit seinen Darstellern. Oft ist er nur wenige Zentimeter von ihnen entfernt. Diese Nähe hatte ihren Preis. Ray besaß die mitunter unheimliche Fähigkeit, Schauspieler dazu zu bringen, vor der Kamera ihre Schwächen und wunden Stellen preiszugeben. Glück gehabt, Bogey und Betty, möchte man da sagen. Die Sturheit der Warner-Bosse bewahrte das Traumpaar Hollywoods davor, dass Ray die Haarrisse in ihrer scheinbar so perfekten Beziehung unter die Lupe nahm.
Zwei Hochzeiten, mehrere Scheidungen und eine Schwangerschaft
Ray behauptete später, dass ursprünglich Ginger Rogers für die weibliche Hauptrolle vorgesehen gewesen sei. Das habe er verhindert und dann, als Lauren Bacall nicht zur Verfügung stand, Gloria Grahame vorgeschlagen, die wie er selbst einen Vertrag mit der RKO hatte (die Santana lieh ihn für In a Lonely Place nur aus, wie zuvor schon für Knock on Any Door, ihre erste Produktion). Mehrheitseigner der RKO war seit 1948 Howard Hughes, der erratische, Exzentrik mit Paranoia kombinierende Multimillionär. Die Santana wiederum kooperierte mit dem Autokraten Harry Cohn, Boss der Columbia, deren Ateliers und Verleihorganisation sie nutzte.
Überliefert sind mehrere Versionen der von Ray erzählten Anekdote, in der sich Cohn um Mitternacht konspirativ mit Hughes an einer Tankstelle treffen muss, dann von Überwachungsängsten überschattete Verhandlungen führt und schließlich Hughes’ Einverständnis erhält, Gloria Grahame zu besetzen. Belege für die Geschichte gibt es nicht. Vielleicht ist sie nur gut erfunden. Wie dem auch sei: Gloria Grahame machte die Rolle so sehr zu der ihren, dass man sich den Film ohne sie nicht mehr vorstellen kann. Die Idee, dass Ginger Rogers Laurel Gray hätte spielen können, wirkt absurd.
Als In a Lonely Place gedreht wurde steckte Gloria Grahame in einer Ehekrise, von der die Öffentlichkeit nichts merken sollte. Ihr Gatte hieß Nicholas Ray. Die beiden waren sich bei der RKO-Produktion A Woman’s Secret begegnet, die Ray Anfang 1948 eher uninspiriert in Szene setzte und danach der Gruppe jener Filme zuordnete, die nur entstehen, weil irgendetwas hergestellt werden muss, um der Buchhaltung gegenüber die Ausgaben für das beim Studio unter Vertrag stehende Personal zu rechtfertigen. Jay C. Flippen ermittelt als Polizist, wie es dazu kam, dass Maureen O’Hara auf Gloria Grahame schoss. Weder die Kritiker noch das Publikum riss das vom Hocker.
A Woman’s Secret
Spannender gestaltete sich das Privatleben von Nick und Gloria, die nach den Dreharbeiten zu A Woman’s Secret schwanger war. Mitte April flog sie zur Überraschung der Klatschreporter plötzlich nach Las Vegas. Das ist auch das Ziel von Dix Steele, der Laurel Gray am Vormittag einen Antrag macht und schnellstens nach Nevada will, um sie möglichst noch in der Nacht zu heiraten. Gloria hatte das 1948 schon einmal durchgespielt, wobei sie Scheidung und Hochzeit kombinierte, in dieser Reihenfolge.
Suicide Blonde / The Life Of Gloria Grahame, Vicent Curcio
Im April 1948 war sie mit Stanley Clements verheiratet, mit dem sie eine „atavistische“ Beziehung verband, wie ihr Biograph Vincent Curcio in Suicide Blonde schreibt. In Las Vegas lässt sich so etwas ohne größere Formalitäten beenden, sofern sich die Partner einig sind, einer von ihnen seit mindestens sechs Wochen in Nevada seinen Wohnsitz hat und außerdem versichert, hinterher dort bleiben zu wollen. Nach Ablauf der sechs Wochen, am 1. Juni mittags um halb zwei, wurde Gloria von Stanley geschieden. Abends um halb acht heiratete sie Nick Ray.
Damit das wie geplant über die Bühne gehen konnte musste Jay C. Flippen, der nun nicht mehr als Inspektor, sondern als Trauzeuge agierte, den Bräutigam aus dem Casino holen. Ray hatte den Nachmittag im „El Rancho“ verbracht, wo er sich betrank und sein Geld verspielte. Als Dummkopf aus dem Mittleren Westen, erklärte er Jahre danach, habe er sich verpflichtet gefühlt, ein gegebenes Eheversprechen einzulösen, vorher aber noch dafür gesorgt, dass er völlig abgebrannt war, weil das berechnende Frauenzimmer, das er nur heiratete, weil sie schwanger war, nichts von ihm kriegen sollte.
Nicholas Ray wäre nicht Nicholas Ray gewesen, wenn es ihm nicht gelungen wäre, diese Mischung aus Selbsthass und Rachsucht mit einem Schuss Romantik anzureichern. Mit Gloria, erzählte er, wollte er ein völlig neues Leben beginnen. In dieser Version von der Geschichte sorgt Rays Spielsucht für den (finanziellen) Nullpunkt, der dafür erforderlich war. In der weniger romantischen Variante zahlte Gloria regelmäßig Nicks Spielschulden ab, vor und nach der Eheschließung. Mit dem Nullpunkt war das ohnehin so eine Sache. Die Presseabteilung der RKO hatte nach der Hochzeit viel zu tun.
Das Studio behauptete, dass Gloria Nick erst nach ihrer Trennung von Stanley Clements kennengelernt habe und dass es für Nick die erste Ehe sei, obwohl er bereits einmal geschieden war und von seiner ersten Frau einen 1937 geborenen Sohn hatte, Tony. Als Gloria im September 1948 in Mutterschaftsurlaub ging ließ sich das von ihrem Arbeitgeber leicht vertuschen. Schwieriger wurde es, als sie am 12. November ein Kind zur Welt brachte. Da es meistens nicht bei einer Lüge bleibt musste die RKO nun verbreiten, dass es sich bei Baby Timothy um eine Frühgeburt handele (geboren fast vier Monate vor einer angeblich zu erwartenden Entbindung im März 1949, neun Monate nach der Hochzeit).
Prügel von Nick und Sex mit Tony
Man muss nur wenig vom Leben des Nick Ray wissen um zu ahnen, dass sich in der Figur des Dix Steele der Regisseur und sein Hauptdarsteller begegneten. Beide, Ray und Bogart, hatten einen Hang zu Gewalt und Destruktivität, der sich entweder gegen sie selbst oder gegen andere richtete. Küchenpsychologen werden sagen, dass das Selbstzerstörerische und die andere Leute in Mitleidenschaft ziehenden Wutausbrüche der Ausdruck schwer zu unterdrückender Frustrationen war, und wahrscheinlich ist das nicht einmal so falsch. Bei der Hochzeit in Las Vegas schadete Ray sowohl sich selbst wie seiner Braut, die er nach dem Ja-Wort gleich wieder verließ, um im Casino noch mehr Geld zu verlieren und noch mehr Whisky zu trinken.
Nicholas Ray und Gloria Grahame
Romantiker dürfen die Frustration durch den Weltschmerz ersetzen, das Leiden an der eigenen Person und an der Gesellschaft. Es war wohl so, dass sich Gloria wegen seiner künstlerischen (Hyper-)Sensibilität genauso zu Nick hingezogen fühlte wie wegen seiner Neigung zu extremem Verhalten, im Guten wie im Bösen. Bei Laurel und Dix ist das nicht viel anders. Wie sich die Beziehung zwischen den Filmfiguren entwickelt werden wir noch sehen. Die von Gloria und Nick war von dauernden Zerwürfnissen und Versöhnungen geprägt und unwiderruflich vorbei, als Nick - Vincent Curcio zufolge - entdeckte, dass Gloria mit Tony schlief, seinem damals 13-jährigen Sohn aus erster Ehe.
In a Lonely Place
Am 15. August 1952 wurden Gloria Grahame und Nicholas Ray geschieden. Gloria brauchte zwei Sätze, um vor dem Richter zu begründen, warum sie nicht länger Nicks Frau sein konnte. „Mein Gatte hat mich zweimal geschlagen“, gab sie zu Protokoll. „Einmal bei einer Party ohne Provokation, einmal bei uns zu Hause, als ich meine Schlafzimmertür absperrte.“ Nick sagte später, das Ganze sei „eine sehr teure Erfahrung“ für ihn gewesen. Das wurde so interpretiert, dass er von Gloria ausgenommen wurde, weil es so schön ins Klischee passte. Tatsächlich wurden ihr monatlich 300 Dollar Unterhalt für den gemeinsamen Sohn zugesprochen. Für sich selbst hatte sie nichts verlangt.
In a Lonely Place
Nick und Gloria ließen vieles weg, was sie auch noch über das Scheitern ihrer Ehe hätten vortragen können. Andererseits hat niemand je behauptet, dass Gloria vor Gericht die Unwahrheit sagte. Varianten der von ihr erwähnten Szenen männlicher Gewalt, mit abgesperrter Schlafzimmertür und Würgen statt Prügeln, finden sich in In a Lonely Place. Gloria erzählte vor Gericht nicht etwa frei erfundene Filmszenen nach, weil ohne Angabe von Gründen keine Scheidung stattfinden konnte. Der Film In a Lonely Place rekapitulierte - dramatisch verdichtet - die Wirklichkeit.
In a Lonely Place
Durch ein Scheidungsverfahren wie das von Ray und Grahame, begleitet von auf Schadensminimierung bedachten PR-Beratern, erfährt man eine Menge über die amerikanische Gesellschaft der Nachkriegsjahre. Vertuscht werden musste nicht nur der Sex mit dem 13-jährigen Stiefsohn. Auch Untreue unter Erwachsenen, Geschlechtsverkehr vor der Hochzeit und die außereheliche Zeugung eines Kindes hätten die weitere Karriere der Protagonisten massiv gefährdet. Ein Mann hingegen, der seine Frau schlägt, war zwar nicht das, was man sich wünschte, aber doch etwas, das für den Täter ohne größere Konsequenzen blieb.
Wäre dem nicht so gewesen, hätten sich die hinter den Kulissen tätigen Vertreter des Paares auf einen anderen Scheidungsgrund verständigt. Häusliche Gewalt war offenbar okay, solange sie im gesellschaftlich akzeptierten Rahmen blieb und nicht außer Kontrolle geriet wie im Film. Die üblichen Rechtfertigungen sind bekannt und weit verbreitet - besonders dann, wenn es um vermeintlich außergewöhnliche Persönlichkeiten geht, um große Männer, die Großes leisten und denen man es deshalb nachsehen muss, wenn sie mal über die Stränge schlagen, weil das zu ihrem Charakter gehört und Teil des Gesamtpakets ist, wie man heute sagt.
An der roten Ampel
In der ersten Einstellung sehen wir Dix’ nervöse Augen im Rückspiegel seines Wagens, begleitet von der raffinierten, auf eine trügerische Weise schmalzigen Musik des Avantgarde-Komponisten George Antheil. Eine fragmentierte, in der Luft hängende Augenpartie, überblendet auf eine nächtliche Straße, dazu die Namen der beiden Hauptdarsteller, Humphrey Bogart und Gloria Grahame, dazwischen der Titel des Films, In a Lonely Place, und immer mitgedacht wir als Zuschauer, deren Blick durch die gespiegelten Augen zurückgeworfen wird. Man darf diesen Anfang wohl verstörend nennen.
In a Lonely Place
In Einstellung 2 scheinen wir auf der Rückbank des Autos von Dixon Steele/Humphrey Bogart zu sitzen, der durch das nächtliche Los Angeles fährt oder wenigstens so tut als ob, während er (oder sein body double), im Columbia-Atelier, in einem Cabrio-Imitat vor einer Rückprojektion sitzt und uns womöglich im Spiegel mustert, obwohl es die stillschweigende Übereinkunft gibt, dass wir das unsichtbare Publikum sind und die Stars auf der Leinwand die Objekte unserer Blicke. So erklären sich die unsteten Augen der ersten Einstellung. Man weiß nie, ob man gerade beobachtet wird, wenn ja von wem und mit welcher Absicht.
Sehen und gesehen werden sind genauso wichtig in diesem Film wie die Kraft der Phantasie. Der hypersensible Dix fragt sich andauernd, welches Bild er in den Augen anderer Leute abgibt, beantwortet die Frage selbst und reagiert auf diese Antwort. Dadurch entsteht eine Atmosphäre der latenten Bedrohung, unterstützt durch Rays Inszenierung und die Montage. Der Film wurde gedreht, als die von den McCarthyisten betriebene Hexenjagd auf linke oder als links wahrgenommene Künstler Fahrt aufnahm. Obwohl nie direkt thematisiert, spielt das immer mit.
In a Lonely Place
Bei einer roten Ampel hält ein Auto mit einem etwas ungleichen Paar neben Dix. Die Frau auf dem Beifahrersitz spricht ihn an. Sie hat in einem seiner Filme mitgewirkt. Dix erklärt, die Frau nicht zu kennen und sich nie einen Film anzusehen, für den er das Drehbuch geschrieben hat. Der Fahrer des anderen Autos interpretiert die Situation ganz falsch und fordert Dix auf, seine Frau nicht zu belästigen. Dix wird beleidigend. „Das hättest du nicht tun sollen, Süße“, sagt er, „ganz egal, wie viel Geld das Schwein da hat.“ Der Mann scheint einem Wortgefecht nicht abgeneigt, fährt aber schnell weg, als er merkt, dass Dix sich mit ihm prügeln will.
Mir fällt dazu Gloria Grahame ein, die vor dem Scheidungsrichter sagte, dass Nick sie ohne Provokation geschlagen habe. Auch bei Dix braucht es nicht viel, damit er auf andere Leute einprügelt. Bei der nächsten nächtlichen Autofahrt werden wir diese Aggressivität in ihrer ganzen Brutalität und Hässlichkeit erleben. Sollten wir geneigt sein, die Gewalttätigkeit zu romantisieren, wird das gründlich unterlaufen. Es ehrt den Regisseur, dass er nichts beschönigt. Ray hat auch einen Film über die eigene Angst davor gedreht, dass seine Ausraster nicht wieder gutzumachende Konsequenzen haben könnten.
Just another movie
Die ersten zehn Minuten sind Exposition, stellen uns Dixon Steele vor und den Ort, an dem er lebt. Skizziert wird eine Welt, in der die Oberflächlichkeit regiert, der schlechte Geschmack und das Geld. Dix ist auf dem Weg zum „Paul’s“, einem Szenelokal in Beverly Hills, wo er mit seinem Agenten Mel Lippman und dem Regisseur Lloyd Barnes verabredet ist. Vor der Tür des Lokals muss er an Kindern vorbei, die da als präpotente Autogrammjäger postiert sind und dann an zwei Filmfans in Gestalt feister Damen, die Souvenirs wollen und keine Filmkunst.
In a Lonely Place
An der Bar sitzt schon sein Freund Charlie Waterman, ein Leinwandidol der Stummfilmära, aus dem eine Shakespeare zitierende Witzfigur mit einem Alkoholproblem geworden ist. Das Vorbild für Charlie ist leicht auszumachen: John Barrymore, der einst als größter Hamlet-Darsteller seiner Generation galt, sein Talent vergeudete und am Ende seiner Laufbahn nur noch Parodien seiner selbst spielte. Wer sich in Hollywood zu lange aufhält hat entweder eine kaputte Leber oder kann nur noch Milch trinken wie Mel, der Agent mit dem multiplen Magengeschwür.
Härter im Nehmen ist Lloyd Barnes. Als seine hervorstechende Eigenschaft wird angegeben, dass er vor Jahren ein Vermögen verdient hat und jetzt stinkreich ist, weil es damals noch keine Einkommenssteuer gab. Barnes soll für den Produzenten Bert Brodie den Bestseller Althea Bruce verfilmen, Dix das Drehbuch schreiben. Eine begeisterte Leserin des Romans ist Mildred Atkinson, Pauls Garderobiere. Für Mildred hat der Wälzer das Zeug zum Leinwandepos. „Sie wissen schon“, sagt sie zu Dix, „ein Film, der richtig lang ist und in dem eine Menge Sachen passieren.“
In a Lonely Place
Barnes ist es ganz egal, wo er Regie führt, wenn nur die Gage stimmt. Sein Motto lautet: „It’s just another movie!“. Dix bringt das auf die Palme. Er wirft Barnes vor, ein Popcornverkäufer zu sein, der seit 20 Jahren Remakes des immer gleichen Films dreht. Stimmt, sagt Barnes. Was uns beide unterscheidet ist nur, dass ich nicht dagegen ankämpfe. Mel versucht, die Wogen zu glätten und Dix zu überreden, den Auftrag anzunehmen, um nach mehreren Kassenflops in die Erfolgsspur zurückzukehren. Ohne Erfolg ist man in Hollywood ein Niemand.
In a Lonely Place
Ray zeigt uns dazu die Gäste an den Tischen im Lokal. Sie sind offenbar nur gekommen, um zu beobachten, was vor sich geht und auch, um selbst gesehen zu werden. Im „Paul’s“ sitzt man auf dem Präsentierteller. Ray führt uns dort in eine zynische Celebrity-Kultur ein, in der ein Mensch danach taxiert wird, was sein Autogramm auf der Sammlerbörse einbringt. Das lernen schon die Kinder. Die Klatschpresse lesen sie scheinbar nicht, weshalb sie Dixon Steele nicht kennen. Dix hat seit seiner Glanzzeit vor dem Krieg kein gutes Drehbuch mehr geschrieben, war aber bis vor kurzem mit einer Filmschauspielerin liiert und macht durch seine Ausraster auf sich aufmerksam. Sein Promi-Status ist dadurch gesichert.
Bald werden wir erfahren, dass er in einem Apartmentkomplex wohnt, dessen Verwalterin stolz darauf ist, jemanden wie ihn als Mieter zu haben, weil er ein Prominenter ist. Das hilft dabei, die anderen Wohnungen zu vermieten, und vermutlich nimmt die Dame von den anderen im Haus mehr Geld, weil sie die Nachbarn des berühmten Dixon Steele sein dürfen. Donald Trump ist das Endprodukt (hofft man wenigstens) dieser Kultur der Oberfläche. Er hat demonstriert, wie man es als Held trashiger TV-Formate mit Sozialdarwinismus-Appeal, in denen Schwächere vorgeführt und erniedrigt werden, zum Twitter-Präsidenten bringt.
Die Szenen im „Paul’s“ könnten der Anfang einer galligen Satire über eine von Geldzählern dominierte Unterhaltungsindustrie sein, mit Promikult und schönem Schein, der davon ablenkt, was für Schrott diese Industrie gebiert. In a Lonely Place ist aber viel mehr als das. Dem Zynismus steht die Hoffnung gegenüber, an diesem Ort Filme machen zu können, ohne dafür die eigene künstlerische Integrität verkaufen zu müssen. Nicholas Ray gab diese Hoffnung niemals auf, so wenig wie Dix Steele. In a Lonely Place selbst ist der beste Beweis dafür, dass sie sich erfüllen konnte.
Werktreue in Hollywood
Weniger die Kunst als den Kommerz und reibungslose Abläufe im Produktionsprozess hat Mel Lippman im Auge, wenn er Dix gut zuredet: „Alles, was du tun musst, ist dich an das Buch halten.“ Das verlange der Produzent. Dix, um das vorwegzunehmen, wird Althea Bruce nie lesen. Als Ausgangspunkt für sein Drehbuch genügt ihm eine ungefähre Vorstellung vom Plot des Romans. Mehr braucht er nicht. Brodie ist begeistert. Dana Polan, der für das BFI ein Büchlein über den Film geschrieben und den Audiokommentar zur bei Criterion erschienenen DVD gesprochen hat, ist deshalb perplex.
Polan treibt in Wort wie Schrift die Frage um, wie es sein kann, dass der Produzent begeistert ist, wenn er doch eine originalgetreue Adaption in Auftrag gab? Die Antwort ist ganz einfach. Auch Brodie hat Althea Bruce nie gelesen (so wie wir diesen Produzenten nie sehen werden). Ihm reicht es völlig aus, wenn der Titel und ein paar Figurennamen erhalten bleiben, was die Käufer des Romans dazu bringen wird, eine Kinokarte zu erwerben. Das ist das übliche Kalkül in diesem Gewerbe und eine der selbstironischen Wendungen, mit denen der Film das eigene Verfahren kommentiert.
Der Roman, aus dem schließlich die Santana-Produktion In a Lonely Place wurde, stammt von der famosen Dorothy B. Hughes, die sehr zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Der Grund dafür dürfte sein, dass sie als Frau, die in den 1940ern Hardboiled-Krimis schrieb, in eine damals noch den männlichen Autoren vorbehaltene Domäne eindrang, wofür sie durchaus Lob erhielt, aber auch als seltsames Unikum behandelt wurde. Wer in keine Schublade passt wird leicht übersehen, wenn der erste Erfolg vorbei ist.
Buchcover: In A Lonely Place, Dorothy B. Hughes
Zwei von Hughes’ Krimis, The Fallen Sparrow und Ride the Pink Horse, waren bereits verfilmt worden, als Bogart und sein Partner Robert Lord die Rechte an In a Lonely Place kauften. Der Dixon Steele des sehr beunruhigenden Romans ist ein Frauen mordender Soziopath, der nach Los Angeles übersiedelt und sich dort als Drehbuchautor ausgibt, obwohl er eigentlich nur eine Schreibmaschine besitzt (Serienkiller ist keine gesellschaftlich akzeptierte Berufsbezeichnung). Edmund H. North, dem jetzt im Vorspann die Adaption von Hughes’ „Story“ zugeschlagen wird, sollte daraus ein Drehbuch machen.
Der Dix Steele des Romans ist deutlich jünger als der des Films. Ursprünglich war die Rolle John Derek zugedacht, den Lord als Star aufbauen wollte. In Knock on Any Door hatte Derek den jugendlichen Straftäter Nick Romano gespielt, an der Seite von Humphrey Bogart (er ist sein Verteidiger), und einen Dialogsatz gesprochen, der zum tausendfach wiederholten Motto der rebellischen Jugend wurde: „Live fast, die young, and have a good-looking corpse.“ Eines von Rays Meisterwerken ist das sozial engagierte und ziemlich dröge Drama aber eher nicht.
North hatte soeben das Drehbuch für Raoul Walshs Colorado Territory geschrieben, ein Remake des Kriminalfilms High Sierra als Western (mit Joel McCrea in der Bogart-Rolle). Etwas in der Art hätte sich auch aus In a Lonely Place machen lassen, ohne allzu sehr von der Romanhandlung abweichen zu müssen. Dann entschloss sich Bogart, die Rolle des Dixon Steele selbst zu spielen. John Derek war damit außen vor, und der Plot des Romans ebenso. Den größten Star von Hollywood als Serienmörder auftreten zu lassen war undenkbar. Die Production Code Administration, die Selbstzensureinrichtung der Filmindustrie, hätte das niemals erlaubt.
Andrew Solt erhielt nun den Auftrag, das Drehbuch für Humphrey Bogart umzuschreiben. Von der Romanvorlage und der North-Fassung war danach nicht mehr viel übrig, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Geblieben sind der Titel, der Schauplatz, die Namen einiger Charaktere und ein paar Handlungselemente. Dem Krimi von Dorothy B. Hughes scheint es ergangen zu sein wie Althea Bruce, dem fiktiven Bestseller im Film. Hellhörig wird man, wenn man Dread Journey gelesen hat, einen Hughes-Roman von 1945. Althea heißt da die tote Frau eines über Leichen gehenden Hollywoodmoguls.
Buchcover: Dread Journey, Dorothy B. Hughes
Das ist der Hinweis darauf, dass sich der Film zwar vom Plot des Romans entfernt, nicht aber von dessen Themen, die er auf eine subtile Weise mit dem Milieu von Dread Journey kombiniert. Die Produzenten, Schauspieler und Drehbuchautoren, die Hughes da in einen von Los Angeles nach New York fahrenden Zug setzt, holt der Film In a Lonely Place zurück nach Hollywood, während das Filmmilieu im gleichnamigen Roman keine Rolle spielt. Das Gefühl von Paranoia, das Ray auf die Leinwand bringt, die Gewalt, die Männer gegenüber Frauen ausüben, das Entwerfen einer sich über die Wirklichkeit legenden Scheinwelt findet man so auch bei Dorothy B. Hughes.
Mörder und Produzenten
Als Solt mit dem Drehbuch fertig war traf er sich mit Ray, Lord und Bogart in dessen Haus. Anwesend war auch Lauren Bacall. Mag sein, dass Bogart damals noch hoffte, sie bei den Warner Bros. loseisen zu können. Solt las sein Manuskript vor. „This is it“, sagte Bogart. Das Drehbuch gefiel ihm so gut, dass er Anweisung gab, nichts mehr daran zu ändern. Zumindest hat Solt es später so erzählt. Ray habe dann nur noch einige Vorschläge gemacht und das Manuskript genau so verfilmt, wie er, Solt, es sich vorgestellt hatte. Das war derselbe Nick Ray, der ständig in Streit mit Produzenten geriet, weil er gern improvisierte und Drehbücher so änderte, wie er es für richtig hielt.
Andrew Solt
Bogart wusste genau, wie Ray tickte, seit sie zusammen Knock on Any Door gemacht hatten. Weil er ihn schätzte lieh er ihn auch für In a Lonely Place von der RKO aus, statt einen pflegeleichteren Regisseur zu engagieren. Rays Biograph Bernard Eisenschitz hat das am 18. Oktober 1949 fertiggestellte Buch mit dem Film verglichen. Am 25. Oktober war Drehbeginn. Von 140 Seiten blieben vier unverändert. Die Revisionen, meint Eisenschitz, waren das Resultat der engen Zusammenarbeit Rays mit seinen Hauptdarstellern. Solt durfte das Atelier nicht mehr betreten, weil Bogart sich über ihn geärgert hatte.
In a Lonely Place
Was macht man als Drehbuchautor, wenn man erleben muss, wie das eigene Werk von Regisseuren, Produzenten und Schauspielern umgeschrieben wird? Solt flüchtete sich in „alternative Fakten“ und erzählte die Geschichte so, wie er sie gern gehabt hätte. Dix Steele zieht es vor, sich die Filme gar nicht erst anzuschauen, für die er das Drehbuch verfasst hat. Dem Frustabbau dient das erkennbar nicht. Dix ist angewidert von sich selbst und trägt das nach außen, wenn er in der ersten Szene der Schauspielerin vorwirft, sie habe sich an den Mann neben ihr verkauft - so wie er sich und seine Kunst an den Kommerz.
Bert Brodie, der Produzent von Althea Bruce, bleibt uns erspart. Er scheint ein so übler Typ zu sein, dass die Filmemacher ein Leinwandverbot über ihn verhängt haben. Ihre Meinung über den Berufsstand tun sie dadurch kund, dass der Mörder denselben Namen trägt wie der Mann, der bei In a Lonely Place als ausführender Produzent tätig war. Wikipedia (▻https://de.wikipedia.org/wiki/In_a_Lonely_Place) geht einen Schritt weiter und gibt an, dass der Produzent den Mörder spielt. Die Schwarmintelligenz folgt der vom Film vorgegebenen Stoßrichtung, hat das Detail aber falsch abgeschrieben. Den Mörder und Namensvetter des Produzenten spielt der meistens als Regieassistent tätige Jack Reynolds, der Gatte von Marjorie (die Flüchtlingshelferin in Fritz Langs Ministry of Fear).
Schwiegersohnunwesen
Als Ersatz für Brodie stürmt Junior ins „Paul’s“, um lautstark den Erfolg „seines“ neuen Films zu verkünden. Charlie hat Juniors Schwiegervater einst Millionen eingebracht, als er noch ein Leinwandidol war. Junior will ihm nicht einmal die Hand geben, weil er ein Star von gestern ist. Wer keinen Erfolg mehr hat in Hollywood wird behandelt, als habe er eine ansteckende Krankheit. Junior trompetet seine Geringschätzung durch das Lokal, als müsse er sich öffentlich von den Erfolglosen distanzieren. Die Situation ist so demütigend, dass es schmerzt, das mitzuerleben.
In a Lonely Place
Charlie hat die richtige Antwort parat. „Du hast das Schwiegersohnwesen um 50 Jahre zurückgeworfen“, sagt er. Das hätte einen Applaus verdient, geht aber leider unter, weil sein Freund nicht so souverän ist wie der vom Alkohol umnebelte Charlie. Dix kriegt einen seiner Wutanfälle, schlägt Junior und löst einen Tumult aus. Dabei könnte man fast übersehen, dass der Produzent zuvor seine Zigarrenasche in Charlies Cognacglas getippt hat, als Zeichen der Verachtung. Dix’ Wutausbrüche sind schlimm, sagt Ray durch die Inszenierung. Doch es gibt auch andere Formen der Gewaltausübung. Sie fallen nur nicht so auf.
In a Lonely Place
Junior ist eine Karikatur von David O. Selznick, der sich 1948 von der Tochter des MGM-Moguls Louis B. Mayer hatte scheiden lassen (um Jennifer Jones zu heiraten). Selznick nervte sein Umfeld mit wie unter einer Zwangsstörung verfassten Memos und war der immer wieder gern genommene Kandidat für solche Fälle, seit er sich durch sein autokratisches Gehabe bei Gone With the Wind als Prototyp des „kreativen Produzenten“ etabliert hatte, der davon überzeugt ist, selbst alles am besten zu können, aber keine Zeit hat, sich um jede Einzelheit zu kümmern und deshalb Aufgaben an mindere Geister delegieren muss, die Regie zum Beispiel.
Beide Auseinandersetzungen der ersten Viertelstunde, das Wortgefecht mit dem Mann der Schauspielerin im Auto an der Kreuzung und die Prügelei mit Junior, fügte Nicholas Ray in das Drehbuch ein. Die Gewalt wird dadurch mit Hollywood verbunden, und mit den Frustrationen, die Dix Steele dort erfährt. Andrew Solt hätte solche Szenen nie geschrieben, oder höchstens auf Anweisung der Produzenten. Seine Stärke war mehr das Affirmative als das kritisch Hinterfragende.
Solt stammte aus Budapest und kam vor dem Krieg nach Hollywood, nachdem er die Rechte an einem Theaterstück an eines der Studios verkauft hatte. Dort erlag er dem Zauber der Traumfabrik. Ray stand Hollywood viel distanzierter gegenüber als der Autor des Drehbuchs, das er zu verfilmen hatte. Die Spannung, die sich daraus ergab, trug zur Qualität von In a Lonely Place bei. Solt hätte sich einen anderen, weniger untergründigen Film gewünscht. Andererseits wäre In a Lonely Place ohne sein Drehbuch, an dem sich der Regisseur reiben konnte, nicht so geworden, wie er jetzt ist.
Mekka von Hollywood
Das Autobiographische, das der Film in Fiktion übersetzt, lauert an jeder Ecke. Bogart ist als Dix Steele so überzeugend, weil dessen Wut die seine war. Er haderte jahrelang mit den oft stereotypen, alte Erfolge kopierenden Rollen, die er spielen musste. Zwischendurch verschaffte er sich durch Rüpeleien Luft, die selten in der Presse auftauchten, weil die Warner Bros. eine sehr professionelle Imagepflege betrieben. Ein paar Wochen vor Drehbeginn zu In a Lonely Place erklärte der New Yorker Nachtclub „El Morocco“ Bogart, der nun sein eigener Chef war, zur unerwünschten Person. Nach einem seiner Wutanfälle hatte das Management genug von ihm.
Heute würde man vermuten, dass so etwas inszeniert ist, um den neuen Film des Stars zu bewerben. In den 1950ern war es noch schädlich. Eine kurze Notiz über den Vorfall erschien im Branchenblatt Variety (28.9.1949). Bogart hatte sich über ein aufdringliches Model geärgert, die junge Frau zu Boden gestoßen und offenbar verletzt. Er hatte auch schon Hausverbot im „Stork Club“ (beide Etablissements werden im Dialog des Films erwähnt). Paul, sein Personal und die anderen Gäste reagieren so routiniert auf die Rauferei mit Junior, weil sie darin bereits Übung haben. Steeles erster Ausraster ist das nicht, auch nicht sein letzter.
Romanoff’s
Vorbild für das „Paul’s“ war das „Romanoff’s“ am Rodeo Drive in Beverly Hills, damals das angesagteste Lokal der Stadt. Der Besitzer, als Hochstapler und Trickbetrüger aktenkundig, stammte aus Litauen und kam nach New York, als er noch Hershel Geguzin hieß. Als britischer Adeliger nannte er sich William Gladstone oder auch mal William Wellington. In Los Angeles verwandelte er sich in den Fürsten Michael Dimitri Alexandrovich Obolensky-Romanoff. Er war nun ein Neffe des letzten russischen Zaren. Als solcher wurde er von den Studios als technischer Berater engagiert, wenn ein Russlandfilm zu drehen war.
Den falschen Oxford-Akzent, den er sich zugelegt hatte, als er noch der Sohn des britischen Premierministers oder ein Verwandter des Herzogs von Wellington war, behielt er bei. Als russischer Großfürst überzeugte er nicht wirklich, doch in Hollywood musste das kein Nachteil sein. Romanoff war nicht der einzige, der sich neu erfunden hatte. Den besten Kommentar dazu gibt Hellzapoppin’ (1941), das verrückteste aller Musicals. Mischa Auer spielt einen echten russischen Prinzen, der so tut, als wäre er ein Hochstapler, weil die reichen Amis, von denen er lebt, sonst das Interesse an ihm verlieren würden. Ein falscher Fürst ist origineller als ein echter.
Das Restaurant, das Geguzin alias Romanoff 1941 eröffnete, wurde zum Treffpunkt der Stars. Dort ging man hin, um gesehen zu werden und zu dokumentieren, dass man dazugehörte. Bogart war Stammgast. Wenn er nicht gerade drehte kam er beinahe jeden Tag und bestellte sein Lieblingsgericht, Ham and Eggs (so wie Dix nach der Prügelei mit Junior). Sein Stammplatz war die zweite Nische links vom Eingang. Das hatte etwas von Hybris. Wenn Bogart sich belästigt fühlte fielen harte Worte und er wurde auch mal handgreiflich. Gleichzeitig sorgte er dafür, dass man ihn nicht lange suchen musste.
In a Lonely Place
Andrew Solt war enttäuscht, als er sah, was im Film aus dem Szenelokal geworden war. Der Glamour, der ihn so faszinierte, war nicht mehr da: „Das ‚Romanoff’s’ war das Mekka von Hollywood, aber hier spürte man, dass alles billig war, die Kulissen waren billig, es gab nicht genug elegante Leute da drin.“ Nicht anders hätte Ray es haben wollen. Ins „Paul’s“ geht man, um in billigen Kulissen alte Liebschaften aufzuwärmen, andere mit Gift zu bespritzen, Geschäfte anzubahnen oder wenigstens ein Streichholzbriefchen mit dem Schriftzug des Besitzers zu ergattern, wenn man zu den Fans gehört, die ihre Stars nur ansehen und nicht berühren dürfen. Ein Hauch von Prostitution liegt in der Luft.
Lesen oder Vorlesen?
Der Abend im „Paul’s“ endet mit einem zweideutigen Angebot. Erst setzt sich Fran zu Dix an seinen Tisch. Der Autor und die Schauspielerin hatten früher ein Verhältnis, das Fran gern auffrischen würde. Dix lehnt mit der Begründung ab, dass er ein Buch lesen muss. „Weißt du noch, wie ich dir vorgelesen habe?“, fragt Fran. „Ja doch“, antwortet Dix. „Seit damals habe ich gelernt, wie man selber liest.“ Fran hat verstanden und geht weg. Das ist ein typischer Dialog aus dem Hollywood des von reaktionären Katholiken verfassten und vom noch reaktionäreren Joe Breen durchgesetzten Production Code.
In a Lonely Place
Der Moralkodex war mindestens so päpstlich wie der Papst. Sexuelle Betätigungen ohne Trauschein und Zeugungsabsicht waren verboten. Ein Verbot hat aber noch nie etwas aus der Welt geschafft. In Hollywood erfand man unermüdlich Dialoge, mit deren Hilfe die Charaktere über Dinge sprechen konnten, die nicht gesagt werden durften. Beim Vorlesen würde es nicht bleiben, wenn Dix Fran in ihre Wohnung begleiten würde, um von dem Tonic Water zu kosten, das sie anzubieten hat (bestimmt mit viel prickelnder Kohlensäure). Dix aber will selber lesen.
„Siehst du auf alle Frauen herab“, fragt Fran beim Gehen, „oder nur auf diejenigen, die du kennst?“ Weil Ray solche Szenen gern ironisch umdreht steht sie dabei und blickt auf Dix herab, der an seinem Tisch sitzt und erwidert: „Ich war doch ziemlich nett zu dir.“ "Nein, nicht zu mir", antwortet Fran. „Aber du warst ziemlich nett. Ich ruf dich an.“ Sie ist erkennbar verletzt durch das, was Dix gesagt hat. Darum schlägt sie jetzt zurück. Solche vom Production Code erzwungenen Sex-Umgehungsdialoge können von einer schockierenden Brutalität sein.
In a Lonely Place
Der vom Jesuitenpater Daniel A. Lord erstellte Moralkodex ist längst Geschichte, hat aber von den frühen 1930ern bis zu den 1960ern alles verformt, was von der amerikanischen Filmindustrie produziert wurde. Als heutiger Zuschauer versteht man oft nur noch bedingt, was unter der katholisch aufpolierten Oberfläche vor sich geht. Warum ist Fran so verletzt? Warum ist es ein Ausdruck von Verachtung, wenn Dix sich nicht vorlesen lassen will? Antwort: Weil er Fran gesagt hat, dass er lieber masturbiert (selber liest), als mit ihr zu schlafen oder sich - pardon - einen blasen zu lassen. Nett ist das nicht, und „nett“ ist auch nicht gemeint, wenn Dix und Fran das Wort (nice im Original) benutzen.
Genauso vitriolhaltig ist Frans Schlussbemerkung, die ich so übersetzen würde: Gefühle waren von deiner Seite aus nicht dabei, sagt sie, als wir unsere Affäre hatten. Für dich sind Frauen nur Objekte. Beim Sex allerdings bin ich auf meine Kosten gekommen, da warst du gar nicht schlecht. Ich melde mich, wenn ich so etwas wieder haben will. Damit lässt sie ihn sitzen. Das ist hohe Dialogkunst in einem in der Endfassung exzellenten Drehbuch und nicht mit dem pubertären Sexualhumor verklemmter Seelen zu verwechseln, die nur kichernd und hinter vorgehaltener Hand über etwas reden können, das tabuisiert und irgendwie peinlich ist.
Mit einigen wenigen Sätzen wird nicht nur gesagt, was eigentlich nicht gesagt werden darf, weil Sex Sünde ist. Es wird auch ein Verhältnis zwischen Männern und Frauen skizziert, das so zerrüttet ist, dass die Parteien mit scharfen Waffen kämpfen, um möglichst viel Schaden anzurichten. Das ist mehr als nur privat. Der Schauplatz des Wortgefechts, an dem sich alles trifft, was in der fiktionalen Welt Rang und Namen hat (das „Paul’s“ als ein seiner glitzernden Fassade beraubtes „Romanoff’s“), steckt den gesellschaftlichen Rahmen ab, auf den die Ereignisse zu beziehen sind. Fürwahr ein einsamer Ort, dieses Hollywood des Geldes und der Prominenz als Selbstzweck.
Nach der ernüchternden Exposition wird sich der Rest des Films, um bei der Lese-Metapher zu bleiben, der Frage widmen, ob das Masturbieren nicht wirklich die bessere Lösung wäre. Das klingt prosaisch und nach Fleischbeschau, hat jedoch nicht das Geringste mit Pornographie zu tun. Es geht um all die Dinge, denen Hollywood in seiner Glanzzeit immer wieder nachspürte, und dabei nicht zuletzt um die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, gepaart mit künstlerischer Erfüllung. Ray folgt da einer zutiefst romantischen Konzeption, die meilenweit von jener Gebrauchsromantik entfernt ist, mit der die Werbung ihr Produkt verkauft und die Schnulzensänger in der Samstagabendshow aus Liedern Plastik machen.
In a Lonely Place
Das Lesen/Sex-Thema wird wieder aufgenommen, wenn Dix Pauls Garderobiere bittet, ihn nach Hause zu begleiten. Mildred denkt zuerst das Offensichtliche und ist außerdem mit ihrem Freund verabredet, dann aber Feuer und Flamme, als sie hört, dass sie den Inhalt von Althea Bruce nacherzählen soll, weil Dix zum Lesen zu müde ist. Alle moralischen Bedenken sind sofort vergessen. Für Mildred ist es ihr Teil vom Ruhm, wenn sie später einmal sagen kann, dass sie dem Drehbuchautor von „Alethea Bruce“ den Inhalt des Romans erzählt hat. Ihr Freund ist da nicht mehr so wichtig.
Begegnung im Patio
Alles, was wirklich zählt, sagt man, fängt klein an. Bei einer großen Liebe ist das nicht anders. Ray hat Gloria Grahame, mit der er damals noch verheiratet und inzwischen heillos zerstritten war, einen famosen ersten Auftritt spendiert. Dix’ Zuhause sind die „Beverly Patio Apartments“, ein um einen Innenhof gruppierter Wohnkomplex in Beverly Hills. Der Hof, der dem Gebäude den Namen gegeben hat, ist der Schauplatz, an dem Gloria alias Laurel Gray den Film betritt. Ray führt sie als Frau mit Geheimnis ein, was sie sofort viel faszinierender macht als Mildred Atkinson, bei der alles an der Oberfläche liegt.
In a Lonely Place
„Was für ein hübscher Ort“, sagt Mildred und bleibt vor einer nackten Frauenskulptur stehen, um den Patio zu bewundern. Plötzlich taucht Gloria Grahame auf. Sie trägt einen eleganten hellen Mantel und schwarze Handschuhe, entworfen vom vielfach für den Oscar nominierten Designer Jean Louis, von dem auch die Kleider von Rita Hayworth in Gilda sind. Mit der Andeutung eines Lächelns und einem sinnlich hingehauchten „Excuse me“ bahnt sie sich einen Weg zwischen Dix und Mildred, sie und Dix schauen sich kurz in die Augen. Das ist Rays Version von der Liebe auf den ersten Blick. Dix und Mildred sehen Laurel hinterher, wie sie eine Treppe hochgeht und verschwindet.
In a Lonely Place
Das Ganze dauert 15 Sekunden. Von da an ist Laurel Gray das erotisch-romantische Zentrum des Films. Nick erarbeitete die Laurel-Szenen gemeinsam mit Gloria, verwandte besonders viel Mühe auf sie. Bei dieser notierte er in seinem Exemplar des Drehbuchs: „Eindeutiges Interesse - nicht das erste Mal, dass sie ihn gesehen hat - schaut interessant aus - mochte sein Gesicht.“ Dix sieht die mysteriöse Frau zum ersten Mal. Der Rest von Rays Notiz gilt umgekehrt auch für ihn. Er interessiert sich nun für Laurel und nicht für Mildred, die er eilig zu seiner Wohnung führt, als wäre das zur lästigen Pflicht geworden.
In a Lonely Place
An der Wohnungstür blickt Dix sich noch einmal um, dorthin, wo die Frau im hellen Mantel verschwunden ist. Sie beansprucht jetzt den Platz in seinen Gedanken. „Keiner“, notierte Ray an einer anderen Stelle des Drehbuchs, „sagt, was er denkt.“ Das ist auch nicht nötig. Der Film zeigt es uns. Und er bereitet uns subtil auf Dinge vor, die noch kommen werden. Bei der ersten Begegnung trägt Laurel einen dunklen Schal. Er harmoniert mit den schwarzen Handschuhen, verleiht dem Ensemble eine erotische Komponente und betont die Halspartie. Mildred wird bald tot im Straßengraben liegen. Erwürgt.
Villa Primavera
„Der Innenhof des von Humphrey Bogart in In a Lonely Place bewohnten Hollywood-Gebäudes ist eine der phantasieanregendsten Räumlichkeiten, die ich je in einem Film gesehen habe“, schreibt Roger Ebert in einer Kritik. „Der Reihe nach sind kleine Wohnungen angeordnet, rund um einen Hof im spanischen Stil und mit einem Springbrunnen. Jedes Apartment wird von einer einzelnen Person bewohnt. Wenn man durch sein Fenster über den Hof schaut kann man in das Leben seines Nachbarn sehen.“ Ob klein oder groß ist Ansichtssache. Die Atmosphäre hat Ebert sehr gut getroffen.
Als „Beverly Patio Apartments“ ließ Ray im Columbia-Atelier die Villa Primavera nachbauen, in der er selbst seine erste Wohnung bezogen hatte, als er in den 1940ern nach Los Angeles gekommen war. Wir haben es da mit einem der vielen autobiographischen Elemente zu tun, aber nicht nur das. Die Villa Primavera (1300-1308 North Harper Avenue, West Hollywood) ist das erste einer Reihe von teilweise denkmalgeschützten Gebäuden, die das legendäre Architektenpaar Nina und Arthur Zwebell in den 1920ern im Spanish-Revival-Stil entwarf.
Der Spanish-Revival-Style war von den spanischen Missionsstationen in Kalifornien inspiriert. Für eine Wohnanlage wie die Villa Primavera hieß das: dicke Adobe-Wände; ornamentale Steinfliesen; Balkone und Aufgänge mit schmiedeeisernen Gittern; zwei bis maximal drei Stockwerke; Fenster und Türen, die sich zum begrünten Innenhof hin öffnen; in der Mitte ein mit Mosaiken verzierter Brunnen. Viele dieser Apartmentkomplexe wurden in den 1920ern und 1930ern in der Nähe der Filmateliers gebaut und boten damals günstigen Wohnraum für die Studioangestellten.
„So etwas ähnliches wie eine Hacienda, oder?“, fragt Mildred Atkinson bewundernd. Nicht nur für sie ist das ein Platz, der sie der Traumfabrik ein Stück näher bringt. Filme wie In a Lonely Place oder später David Lynchs Mulholland Drive haben dazu beigetragen, dass man heute den von den Zwebells populär gemachten Stil mehr als irgendeinen anderen mit Hollywood assoziiert. Die nachgebaute Villa Primavera ist weniger eine Kulisse als ein eigener Charakter, der die Handlung in entscheidenden Momenten prägt, sie vorantreibt und ihr eine Richtung gibt.
Die meisten dieser nach außen gut abgeschirmten, einen Hof umrahmenden Apartmentgebäude sind inzwischen der Stadtentwicklung und der Spekulation zum Opfer gefallen. Sie wurden abgerissen oder in Eigentumswohnungen umgewandelt. Mit den „Courts“ ging ein identitätsstiftender Teil der Architektur- und Sozialgeschichte von Los Angeles verloren. Die Villa Primavera steht noch, ist jetzt aber mit einem Tor gesichert und nicht mehr frei zugänglich wie früher.
Curtis Hanson in der Villa Primavera auf der DVD-Doku zu In a Lonely Place
Notdürftig behelfen kann man sich mit der 20-minütigen Doku auf der alten Columbia-DVD (Region 1, auch im Bonusmaterial der Criterion-DVD enthalten). Der im letzten Jahr verstorbene Curtis Hanson nimmt uns mit in den Innenhof, um dort von In a Lonely Place zu erzählen, der für ihn eine wichtige Inspirationsquelle war, als er L.A. Confidential drehte. Leider gibt es viele Filmausschnitte und wenig Villa Primavera, weil die Macher der Doku offenbar kein Interesse daran hatten, die Atmosphäre einzufangen, ohne die In a Lonely Place ein ganz anderer Film geworden wäre.
Leute, die in einem der noch erhaltenen Courts wohnen, preisen das familiäre Gefühl, das dort herrscht, ohne dass man zur regelmäßigen Interaktion mit den Nachbarn gezwungen wäre. Der Kontakt stellt sich ein wie von selbst. Bei sich zum Innenhof öffnenden Türen und Fenstern kriegt man mit, was passiert, wer kommt und wer geht, ohne viel reden zu müssen. Natürlich hat dieses beinahe spirituelle Gemeinschaftsgefühl seine Schattenseiten. Paranoia und Überwachung sind nicht weit. Der Schauplatz, den er aus eigener Erfahrung bestens kannte, war für Ray und seine Anliegen ideal. Der Zeithintergrund - der McCarthyismus und die Gesinnungsschnüffelei - ist immer mit dabei, ohne direkt angesprochen zu werden.
Apolo schaut in die Mikroben
Inhaltlich gehört In a Lonely Place zu einem kleinen Zyklus amerikanischer Nachkriegskrimis, in denen die Heldin nicht die vom Film noir gewohnte, für Männer brandgefährliche Femme fatale ist, sondern ihrerseits an einen Helden gerät, der ein irrer Killer sein könnte. Die Vermutung liegt nahe, dass da sehr reale, gesellschaftlich tabuisierte Ängste reflektiert wurden. Viele Frauen hatten in einem Überschwang romantischer Gefühle geheiratet, um dann festzustellen, dass ein Mann aus dem Krieg zurückkehrte, der ihnen fremd (oder fremd geworden) und nicht selten traumatisiert war.
Der Prototyp für diese Art von Film entstand vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg: Hitchcocks Rebecca, nach dem Roman von Daphne du Maurier. Fritz Lang drehte 1947 mit dem unterschätzten Secret Beyond the Door eine eigenwillige, die Verbindung zu Blaubart herstellende Variation der Geschichte. In a Lonely Place erkennt das Vorbild an, indem er Mildred Atkinson die Handlung von Althea Bruce nacherzählen lässt. Die fiktive Autorin des ebenso fiktiven Romans hat Elemente aus Rebecca verquirlt und an den Hauptfiguren eine Geschlechtsumwandlung vorgenommen.
Aus dem Witwer Maxim de Winter, der sich in eine deutlich jüngere Frau verliebt, ist eine Witwe geworden, die sich in einen deutlich jüngeren Mann verliebt. Bei beiden steht der Verdacht im Raum, dass sie Mörder sind. Die erste Mrs. de Winter ist mit ihrem Segelboot untergegangen. Altheas Gatte ist aus der Segelyacht gefallen und ertrunken (ob die Yacht wohl Santana heißt wie die von Humphrey Bogart und seine nach ihr benannte Produktionsfirma?). Die Polizei ermittelt, während sich die Witwe von wechselnden Galanen in Nobelclubs wie das „El Morocco“ ausführen lässt (wo Bogart seit einem seiner Wutanfälle als Gast nicht mehr erwünscht war).
Manderley, das Herrenhaus in Rebecca, steht in Cornwall (jetzt okkupiert vom ZDF und seinen Rosamunde-Pilcher-Filmen). Althea Bruce verpflanzt es nach Long Island. Dort schaut die schöne Witwe eines Tages aus dem Fenster, sieht den Rettungsschwimmer Channing und verliebt sich. Althea will, dass Channing ihr Luxusleben teilt. Channing aber möchte Bakteriologe werden und sein Studium an der Columbia University beenden (wo sonst, in einem in den Columbia-Ateliers gedrehten Film?). Am Schluss schwimmt Althea hinaus aufs Meer und findet ein nasses Grab an der Seite ihres Gatten, weil Channing ihre Hilfeschreie zu spät hört, um sie noch retten zu können.
In a Lonely Place
Mildred erzählt das mit zunehmender Begeisterung und in der Sprache der Ungebildeten. Ein „bachelortorologist“ (Bakteriologe) ist für sie einer, der in die Mikroben ("into the microbes") schaut statt in sein Mikroskop. Channing sieht aus wie ein „bronze Apolo“ (ein bronzener Apollo). Althea wird bei Mildred zu „Alethea“. Vielleicht denkt sie dabei an Aleta, Queen of the Misty Isles in den sonntäglich erscheinenden Prinz-Eisenherz-Comics von Hal Foster. Als Drehbuchautor nimmt Dixon Steele sicher gern zur Kenntnis, was Mildred gelernt hat, seit sie im „Paul’s“ Garderobiere ist: Filmstars erfinden ihre Dialoge gar nicht selbst! Sie werden extra für sie geschrieben.
Man muss schon eine unbedarfte und kulturferne Person wie diese Mildred sein, sagt der Film, um einen Schmachtfetzen wie Althea Bruce gut zu finden. Das klingt denunziatorischer als es ist. Ray mildert die Publikumsbeschimpfung ab, indem er Martha Stewart Gelegenheit gibt, ihr komisches Talent voll auszuspielen. Unterstützt wird sie durch Humphrey Bogart, der ihr die Bühne überlässt und die Rolle des halb amüsierten, halb entsetzten Zuhörers übernimmt. Diese angenehme, der Partnerin und dem Film zugute kommende Fähigkeit zur Zurückhaltung war nicht jedem Star gegeben.
Grab her by the pussy
Nach der Ankunft in der Wohnung verschwindet Steele im Schlafzimmer, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Er zieht Schuhe und Jackett aus und kommt im Bademantel wieder. Das mache er beim Arbeiten immer so, behauptet er, weil er dann besser denken könne. Eben. Was sollte er sonst im Sinn haben, wenn er sich so weit auszieht, wie vom Production Code erlaubt? Dix lässt die Schlafzimmertür offen, sein Bett werden wir noch mehrfach sehen. In a Lonely Place war der fünfte Film, bei dem Nicholas Ray Regie führte. Er hatte längst gelernt, wie der Moralkodex durch die Kraft der Assoziation zu überwinden war.
Die Komik der Situation ergibt sich daraus, dass Dix die junge Frau mitgenommen hat, um sie in sein Bett zu kriegen (nackt wie die Statue im Innenhof, weil man hier so kultiviert ist wie im Roman mit dem bronzenen Apollo). Jetzt muss er sich aber ein Kitschepos anhören, das auf ihn wirkt wie ein Anti-Aphrodisiakum. Mildred identifiziert sich so sehr mit der schmalzigen Romanhandlung, dass der Film und sein Held nur noch auf Distanz gehen wollen.
Ray lässt Martha Stewart direkt in die Kamera sprechen, was gegen die Konventionen des kommerziellen Erzählkinos verstößt und als „unrealistisch“ gilt, weil der Blick des als unsichtbarer Beobachter im Vorführsaal sitzenden Zuschauers reflektiert wird (wie bei der einleitenden Autofahrt durch Beverly Hills). Die Kamera weicht erschrocken zurück wie vor dem Monster im Horrorfilm. Mildred folgt ihr, kommt immer näher. Auch als Zuschauer ist man da unangenehm berührt.
In a Lonely Place
Ray hat eine an sich konventionelle und doch freche Schuss-Gegenschuss-Konstruktion gewählt, schneidet zwischen Mildred und Dix hin und her. Im Rahmen der von Hollywood vorgegebenen Montageregeln müsste Dix im Gegenschuss in die Kamera schauen wie Mildred, weil das die Illusion erzeugen würde, dass er sie ansieht wie sie (vermutlich) ihn. Dix blickt aber an der Kamera (und Mildred) vorbei. Das ist desorientierend, weil es unsere Sehgewohnheiten unterläuft. Cutter der alten Schule hätten gegen solche Schnittfolgen revoltiert. Für sie war so etwas schlechtes Handwerk und deshalb schädlich für ihren Ruf.
Für den Schnitt von In a Lonely Place zeichnet Viola Lawrence verantwortlich, nach heutigem Wissensstand die zweite Frau überhaupt, die in Hollywood als Cutterin arbeitete. Für die Freunde von Orson Welles ist ihr Name ein rotes Tuch. Lawrence soll den Columbia-Boss Harry Cohn gewarnt haben, dass das von Welles gedrehte Material für The Lady from Shanghai ein fürchterliches Durcheinander sei, worauf Welles gezwungen wurde, neue Einstellungen zu drehen. Später kürzte sie auf Cohns Anweisung den Film und schnitt ihn um, um ihn hollywoodkompatibel zu machen. Damit, so die Version der Wellesianer, verstümmelte sie ein Meisterwerk.
Mag sein, dass Viola Lawrence durch die Erfahrung mit Welles ihren Horizont erweiterte; sie wäre nicht die einzige gewesen, die durch ihn dazulernte. Vielleicht fand Ray beim Produzenten Humphrey Bogart die Unterstützung, die Welles gefehlt hatte. Eisenschitz meint, dass Ray wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit tun konnte, was er wollte. Am 25. Oktober wurde in den Columbia-Ateliers die erste Einstellung gedreht. Ende November gab es einen Tag für Außenaufnahmen. Dann war Ray schon wieder weg. Ändern konnte er nichts mehr, weil er bei der RKO Anfang Dezember den nächsten Film beginnen musste (On Dangerous Ground, eine weitere Studie über Männer und ihr Verhältnis zur Gewalt).
In seinen unorthodoxen Momenten (davon gibt es einige) sieht In a Lonely Place jedenfalls nicht so aus, als sei er von einer Dogmatikerin der reinen Hollywood-Lehre geschnitten worden. Der doppelte Regelverstoß (Blick in die Kamera, „falscher“ Anschluss beim Gegenschuss) zeugt auch nicht von handwerklichem Unvermögen sondern ist eine bewusste ästhetische Entscheidung. Während Mildred mit viel Herzblut die Schmonzette nacherzählt, als wäre sie die Wirklichkeit, reißt uns die nicht regelkonforme Schuss-Gegenschuss-Konstruktion aus der Fiktion heraus, stellt also abrupt die Distanz wieder her, die Mildred abhanden gekommen ist. Der Film will ein kritisches, kein naives Publikum.
Fenster zum Hof
Wenn Steele auf ein sexuelles Abenteuer aus war, als er die junge Garderobiere mit nach Hause nahm, hat er sie nach der Schuss-Gegenschuss-Montage da, wo er sie haben wollte. Mildred sitzt vor dem Sofa (seiner privaten Besetzungscouch?), auf dem er es sich bequem gemacht hat. Nichts an ihrem bisherigen Verhalten lässt vermuten, dass sie ihm widerstehen könnte (man beachte im Hintergrund die Skulptur einer nackten Frau und die beiden Photos von Fran, Dix’ Ex-Geliebter, die ihm früher „vorgelesen“ hat). Jetzt noch die Andeutung, dass Mildred eine Rolle in der Verfilmung von Althea Bruce spielen könnte, und es wäre um sie geschehen.
In a Lonely Place
Ironischerweise führt aber das Nacherzählen der Romanhandlung nicht zum Geschlechtsverkehr, sondern wird zum Schutzschild für die in sexuelle Gefahr geratene Jungfrau. Althea Bruce schlägt den Ladykiller in die Flucht. Statt Mildred an sich zu ziehen steht Dix plötzlich auf und rettet sich ins Schlafzimmer. Dieses Buch, sagt er, werde er nicht lesen (in des Wortes doppelter Bedeutung). Das ist zunächst einmal sehr komisch. Mildred läuft Dix nicht hinterher, doch ihre lauter werdende Stimme folgt ihm und kommt nun zu der Stelle in der Handlung, wo „Alethea“ und ihr Rettungsschwimmer traumhafte Wochen des Glücks genießen.
In a Lonely Place
Dix ringt die Hände und fasst sich an die Stirn, während die Beziehung der Liebenden im Roman in die unvermeidliche Krise gerät. Channing will nicht das Luxusleben der Witwe teilen, sondern sein Studium fortsetzen und sich weiter mit Bakterien beschäftigen. Althea weiß, dass Channing sie durch ein Fenster mit seinem Fernglas beobachten kann. An diesem Fenster fällt sie einem Rechtsanwalt in die Arme, um den Rettungsschwimmer eifersüchtig zu machen. Dix hat inzwischen die Läden des Schlafzimmerfensters geöffnet und schaut hinüber zu Laurel Gray, die im Neglige auf den Balkon ihrer Wohnung tritt.
Die Wirklichkeit (der Kinofiktion) korrespondiert hier mit der Romanhandlung. Channing kann durch ein Fenster in das Haus von Althea sehen wie Laurel in das Apartment von Dix Steele. Einen Moment lang treffen sich die Blicke der beiden Nachbarn, und zwei Arten von Geschichten: das Kitschepos mit schöner Witwe aus dem amerikanischen Geldadel, Rettungsschwimmer und Herrenhaus auf Long Island (aus dem Off hören wir weiter die Stimme von Mildred Atkinson, die von Althea Bruce berichtet) und die auf schmerzliche Weise dem echten Leben nachempfundene Liebesgeschichte zwischen Dix Steele und Laurel Gray, die der Film uns jetzt erzählen wird.
In a Lonely Place
Blicke etablieren in Rays Filmen Loyalitäten. Erst schaut Dix an Mildred vorbei, dann sehen er und Laurel sich über den Innenhof hinweg direkt an (interessant wäre ein Vergleich mit Rear Window, wo Hitchcock den Hof nach New York verlegt hat und ebenfalls der McCarthyismus reflektiert wird). Von da an will Dix Mildred, die prospektive Bettgefährtin, nur noch loswerden und auch von Schnulzen wie Althea Bruce nichts mehr wissen. Das Buch wirft er achtlos in die Ecke. Damit Mildred nicht genauso behandelt wird wie der Roman wendet Ray die Szene wieder ins Komische, indem er die traditionellen Rollen vertauscht.
In a Lonely Place
Dix setzt eine Leidensmiene auf und fasst sich an den Kopf. Wahrscheinlich hat er jetzt Migräne. Das bewahrt ihn nicht vor der Information, dass Mildred einen langweiligen, sehr durchschnittlichen Verlobten hat, den sie nicht liebt. Einer Beziehung mit einem berühmten Drehbuchautor, das zeigen Dialog und Körpersprache, wäre sie nicht abgeneigt. Was mit Dix als Verführer begann endet mit einem Mann in Bedrängnis. Schließlich fällt ihm ein, dass es schon spät ist und er am nächsten Morgen sehr früh raus muss. Statt Mildred nach Hause zu fahren gibt er ihr Geld fürs Taxi - so wie er einer Prostituierten Geld für geleistete Dienste geben würde.
Am Ende des Mildred-Teils sind wir wieder auf der schäbigen Ebene angelangt, auf der er begonnen hat. Ein alternder, seit längerer Zeit erfolgloser Drehbuchautor hat sich von seiner Geliebten getrennt und lockt die junge und naive Garderobiere seines Stammlokals unter einem Vorwand zu sich nach Hause, weil er mit ihr schlafen will. Dann verliert er das Interesse, steckt ihr ein paar Dollarscheine zu und schickt sie weg. Wie man von da zu Donald Trump kommt klären wir im nächsten Teil:
Freies Unternehmertum, zwei Frauenleichen und ein Blumenträger
►https://www.heise.de/tp/features/Freies-Unternehmertum-zwei-Frauenleichen-und-ein-Blumentraeger-3739005.html
18. Juni 2017 Hans Schmid
An einem einsamen Ort, Teil 2
Teil 1: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump
Heute auf dem Programm: Gloria Grahame wird ihre eigene Schwiegertochter - Mildred Atkinson und die „Schwarze Dahlie“ - Captain Lochner moralisiert - Dixon Steele schaut sich Leichenphotos an - Joseph McCarthy entlarvt 205 Subversive - Mr. Baker baut Laurel Gray einen Swimmingpool und Nicholas Ray hängt ihr einen Rivera an die Wand - Henry Fonda spielt Kontrabass - Donald Trump findet einen Mentor - Audrey Hepburn erkennt ihr New York nicht wieder.
Böser Zauber
In a Lonely Place macht ernst mit der alten Weisheit, dass die Komödie die Schwester der Tragödie ist. Der Drehbuchautor Dixon Steele lockt die Garderobiere Mildred Atkinson unter dem Vorwand, dass sie ihm den Inhalt des Romans Althea Bruce erzählen soll, in seine Wohnung, um sie in sein Bett zu kriegen. Die Situation nimmt eine komische Wendung, als der Verführer durch Mildreds Naivität selbst in Bedrängnis gerät und sie lieber wegschickt, als noch mehr Details aus dem Buch hören zu müssen.
In a Lonely Place
Beschwingt und begleitet von heiterer Musik durchquert Mildred den Innenhof der Wohnanlage und geht hinaus in die Nacht, wo der Tod auf sie wartet. Einmal werden wir sie noch sehen, als Leiche auf den Tatortphotos der Polizei. Ray hatte einen mitunter sardonischen Humor. Mit Mildred wird die einzige Figur im Film umgebracht, die Althea Bruce gelesen hat und davon begeistert war. Das ist eine radikale Absage an die Verlogenheit der Schmonzetten, mit denen die Unterhaltungsproduzenten das Eskapismusbedürfnis des Publikums bedienen.
In a Lonely Place
Für Nicholas Ray war die Kamera ein Instrument der Wahrheitsfindung, nicht der Verschleierung. Einer der großen Romantiker Hollywoods war er auch. Bei ihm war die Romantik Teil seiner Kunst und der Hoffnung geschuldet, nicht dem Zynismus der Herz-Schmerz-Industrie. Von den schlechten Geschichten, die diese Industrie bevorzugt, kann ein Fluch ausgehen, sagt sein Film. Mel Lippman, Dix’ Agent, gibt sein Exemplar von Althea Bruce an Mildred weiter. Ihr Schicksal ist damit besiegelt wie im Märchen oder im Horrorfilm, wo einen der Teufel holt, wenn man ein verhextes Stück Papier annimmt.
Bevor wir etwas über den Inhalt des Romans erfahren erhalten wir die Information, dass Mildred den Schluss zuerst gelesen hat. Da stirbt Althea Bruce, als Folge eines Eifersuchtsdramas und einer Liebe, die den Partner ganz besitzen will. Für den weiteren Verlauf des Films ist das ein schlechtes Omen. Für Mildred bedeutet es den Tod. Ein paar Stunden, nachdem sie Steeles Wohnung verlassen hat, um fünf Uhr morgens, klingelt Brub Nicolai an der Tür. Dix wird aus dem Schlaf gerissen und gerät trotzdem in einen Albtraum. Er und Brub sind Kriegskameraden, aber ein Freundschaftsbesuch ist das nicht. Brub ist bei der Mordkommission und soll Dix aufs Revier bringen.
In a Lonely Place
Jemand hat Mildred Atkinson erwürgt. Sie ist so tot wie die Heldin des Romans, den Dix seinem alten Freund beim Anziehen zuwirft. „Kürzlich ein gutes Buch gelesen?“, fragt er spöttisch. Dabei wäre das gar nicht so dumm. Brub und sein Vorgesetzter, Captain Lochner, sollten Althea Bruce lesen, weil sie dann das Mordmotiv kennen würden (Eifersucht und die Liebe in ihrer besitzergreifenden Variante) und wüssten, wer der Täter ist. Dix ahnt gleich, dass Henry Kesler, Mildreds Verlobter, der Mörder ist und macht sich über die Polizisten lustig, die nicht genug Filme gesehen haben und darum den Fall nicht lösen können.
Kubus der Umstände
Wer sich jetzt ärgert, weil ich verraten habe, wer Mildred Atkinson getötet hat, darf sich beruhigen. Nicholas Ray interessiert sich so wenig für die Suche nach dem Mörder wie sein Held, der Drehbuchautor Dixon Steele, weil keiner von den beiden die übliche, sich auf ausgetretenen Pfaden bewegende Geschichte erzählen will. Das bedeutet nicht, dass die Charaktere des Films und die des darin nacherzählten Schundromans in gänzlich voneinander getrennten Welten agieren würden, wie schon das Ende von Mildred zeigt. Wer aber denkt, dass die Wirklichkeit eine Schmonzette ist, den bestraft das Leben.
Ray hat einen Film gedreht, der den Bereich zwischen Fiktion und Realität erforscht. Dix scheint sich ironischerweise nicht bewusst zu sein, dass sich Handlungselemente des Romans, über den er verächtlich die Nase rümpft, in der Liebesgeschichte spiegeln, die er selbst mit Laurel Gray erlebt, so wie sich Autobiographisches aus dem Leben der Beteiligten in der Filmhandlung widerspiegelt, von Humphrey Bogarts alias Dix Steeles Neigung zu Wutanfällen in Prominentenlokalen bis zum Scheitern von Rays Ehe mit Gloria Grahame, die ihr Echo im Scheitern der Liebesbeziehung zwischen Dix und Laurel fand.
So ist denn auch nicht immer klar, wo die Wirklichkeit aufhört und wo die Fiktion beginnt. Ray wollte einen Film über eine Beziehung machen, die unter äußeren und inneren Zwängen zerbricht. Parallel dazu erreichte die Ehe mit Gloria einen Tiefpunkt. Ray verließ das gemeinsame Haus in Malibu und übernachtete während der Dreharbeiten in einer Garderobe auf dem Columbia-Gelände. Weil niemand von der Ehekrise wissen sollte behauptete er, Probleme mit dem dritten Akt des Films zu haben und lieber im Studio an einer Lösung arbeiten zu wollen als jeden Abend nach Malibu zu fahren.
Die Geschichte ist in verschiedenen Versionen überliefert. Mir persönlich gefällt die am besten, in der Ray in den Kulissen übernachtet, im Schlafzimmer von Dixon Steele. Leider ist das Unsinn (und das Zimmer eine Illusion aus Studiowänden und Montage). Viele Freunde hat die Variante, in der Nick Gloria mit Tony, seinem damals 13-jährigen Sohn aus erster Ehe, im Bett erwischt und daraufhin wieder in sein altes Apartment in der Villa Primavera zieht, das man offenbar in den vergangenen Jahren für ihn freigehalten hatte. Knapp vorbei ist auch daneben. Ray kehrte nicht zurück in die Villa Primavera, sondern ließ sie in den Columbia-Studios nachbauen, damit die Filmfigur Dixon Steele und die von seiner Noch-Ehefrau Gloria Grahame gespielte Laurel Gray dort wohnen konnten.
Tony Ray in John Cassavetes’ Film Shadows (1959)
1960 sorgte Gloria für einen Skandal, als sie einen erfolglosen Schauspieler namens Tony Ray heiratete, ihren ehemaligen Stiefsohn. Von Nick war sie seit 1952 geschieden. Er war jetzt ihr Ex-Gatte und außerdem ihr Schwiegervater, bis sie sich auch von Tony scheiden ließ. Zwischen den Ehen mit Vater und Sohn Ray war sie drei Jahre mit dem Drehbuchautor und Regisseur Cy Howard verheiratet. Howard hatte eine Tochter (Paulette) mit Gloria und verwickelte seine Ex-Frau 1964 in einen Sorgerechtsstreit, den die Presse genüsslich ausschlachtete, mit komplizierten Familienverhältnissen in all ihren Verästelungen.
Gloria Grahame und Cy Howard
Howards Anwalt trug vor, dass Paulette in der Schule schlechte Betragensnoten habe, von ihrer Mutter nicht religiös erzogen werde und unter einer „ungesunden häuslichen Atmosphäre“ leide, die ein Ergebnis der „ungewöhnlichen und höchst peinlichen ehelichen Beziehung der Beklagten“ sei: „Die Beklagte hat wieder geheiratet und lebt derzeit mit ihrem vierten Ehemann, der 15 Jahre jünger ist als sie. Ihr vierter Ehemann ist der Sohn ihres zweiten Ehemanns aus einer anderen Ehe. Ihr vierter Ehemann ist auch der Halbbruder und zudem der Stiefvater eines Jungen, der das Kind aus der Ehe der Beklagten mit ihrem zweiten Gatten ist.“
„Wenn Gloria sich nicht von mir hätte scheiden lassen“, ergänzte Howard, „wäre sie vielleicht nie ihre eigene Schwiegertochter geworden.“ Tony verfasste später einen Schlüsselroman, in dem er sich offenbar mit Ödipus verglich, und Gloria mit Phädra und mit Hippolyte, der Königin der Amazonen. Glorias Biograph Vincent Curcio zitiert aus einem Brief, in dem Tony schreibt, die wahre Geschichte hinter dem von den Medien ausgeschlachteten Skandal sei die „von zwei jungen Leuten gewesen, die sich verliebten, während sie in einem ungewöhnlich konstruierten Kubus der Umstände gefangen waren“. Das klingt nach Althea Bruce. Vielleicht ganz gut, dass der Roman nie veröffentlicht wurde.
Bilderschauen
Die dominante geometrische Figur in In a Lonely Place ist das Rechteck (weil auch die Leinwand, auf der wir die Einfluss auf unser Leben nehmenden Fiktionen sehen, rechteckig ist). Am auffälligsten ist das im Büro von Captain Lochner. Der Chef der Mordkommission sitzt vor einer mit Tatortphotos dekorierten Wand, angeordnet in Rasterform. Das ist der Ausdruck seiner Art von Kreativität. Der Mann pflegt das Denken in Kästchen. Durch die Kästchen sieht er die Welt - in Ausschnitten, die in einen vorgegebenen Rahmen eingefügt werden.
In a Lonely Place
Neben dem Fenster hängt eine gerahmte Kriminalstatistik. Wenn ich die ansteigenden Kurven und die Kästchen richtig interpretiere wird alles immer schlimmer. Während der Vernehmung bringt Brub die frisch entwickelten Bilder von der toten Mildred Atkinson herein. In diesem Film gibt es Tatortphotos, aber keinen Tatort. Es gibt auch keine Szene mit Lochner außerhalb des Polizeireviers, wo der Ermittler gezwungen wäre, die Statistik und sein gerahmtes Bild von der Welt mit der Realität abzugleichen. Sein einziger Ausflug in die Wirklichkeit führt ihn in den fensterlosen Korridor eines Hospitals.
In a Lonely Place
„Wollen Sie ein paar Bilder sehen?“, fragt Lochner und gibt sie an Dix weiter. Ray positioniert die Kamera dabei so, dass wir von oben auf die Photos von der toten Frau blicken können. Der Mörder hat die Tote aus einem fahrenden Auto geworfen. So etwas hatte man bis dahin in einem amerikanischen Film so gut wie nicht gesehen, und schon gar nicht in dieser Länge. Ray lässt uns eine halbe Minute Zeit, um zusammen mit Dix die Bilder zu betrachten. Die tote Frau am Straßenrand erinnert an eine der berühmtesten Leichen der amerikanischen Kriminalgeschichte, an das Opfer im bis heute nicht aufgeklärten Black-Dahlia-Fall.
Elizabeth Short
Im Januar 1947 wurde auf einem unbebauten Grundstück in Los Angeles der nackte, an der Hüfte durchtrennte und verstümmelte Körper von Elizabeth Short entdeckt. Das löste ein enormes Medienspektakel aus, mit ständig neuen Verdächtigen, halbwahren oder frei erfundenen Enthüllungen über das Privatleben des 22-jährigen Opfers und Photos, deren Veröffentlichung kurz zuvor noch schwer vorstellbar gewesen wäre, obwohl zumeist retouchierte, von Polizisten an die Presse weitergegebene Tatortphotos keine Seltenheit mehr waren.
Ein Pionier dieser ganz speziellen Form von Öffentlichkeitsarbeit war J. Edgar Hoover, der Chef des FBI, der William Randolph Hearst seit den frühen 1930ern mit Material für seine Revolverblätter versorgte und sich dadurch eine überaus positive Darstellung seiner Tätigkeit sicherte. Je wüster die Verbrechen, und umso alarmierter die Öffentlichkeit, desto leichter war es, mehr Geld und Kompetenzen für die Polizei- und Überwachungsbehörden zu erhalten. Die im harten Wettbewerb stehenden Zeitungen und Radiosender hatten ihre eigenen Interessen, die Steigerung der Auflage und der Hörerzahlen.
Aus der dunkelhaarigen Elizabeth Short, die ein ziemlich armseliges, unglamouröses Leben geführt hatte, wurde die „Schwarze Dahlie“. Der von den Medien erfundene Name geht auf den Film The Blue Dahlia zurück, wo die ehebrecherische Gattin eines Kriegsveteranen ermordet wird und Alan Ladd auf die geheimnisvolle Veronica Lake trifft. Das Kostüm, das Elizabeth Short vor ihrem Verschwinden getragen hatte, verwandelte sich in einen hautengen Rock. Auf den Titelseiten mancher Zeitungen waren Photos von der Leiche abgedruckt, die nach der Bearbeitung durch die Bildredaktion unter einer Decke lag - mit dem Versprechen auf mehr im Inneren.
Sehr hilfreich war eine uralte, bei der Black Dahlia besonders skrupellos eingesetzte Taktik: Man kleidete das Sensationelle in das Mäntelchen der Moral. Die tragische Geschichte der Elizabeth Short wurde zum warnenden Beispiel für alle jungen Frauen umfunktioniert, die, von einer Filmkarriere träumend, nach Los Angeles kamen und sich dort in Gefahr begaben. Das wiederum rechtfertigte eine drastische Berichterstattung, der abschreckenden Wirkung wegen. Für die PR-Abteilungen der Filmstudios war das ein noch größerer Albtraum als die Ermordung Mildred Atkinsons für Dixon Steele.
Die bessere Geschichte
Nachrichten hatten damals eine viel längere Halbwertzeit als heute. 1950, als In a Lonely Place in die Kinos kam, waren der Mord an Elizabeth Short und die sensationellen Begleitumstände noch immer für Schlagzeilen und Sondersendungen im Radio gut. Ray durfte also mit einem Publikum rechnen, bei dem die Bilder von der toten, wie Abfall an den Straßenrand geworfenen Mildred Assoziationen an die „Schwarze Dahlie“ wecken würden. Durch diesen Kriminalfall war ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden, dass Hollywood nicht nur ein einsamer Ort sein konnte (für die Erfolglosen), sondern auch einer der Gewalt gegen Frauen.
Ray geht es nicht um die Befriedigung voyeuristischer Bedürfnisse, wenn er uns eine halbe Minute lang die tote Mildred Atkinson zeigt. Diese Bilder verknüpfen vielmehr mehrere Themenstränge des Films. Ray war darin ein Meister. Die Photos von der zerteilten Elizabeth Short wurden zum Gegenstand einer makabren Mutprobe. Man bewies die eigene Tapferkeit, indem man sich anschaute, was der Mörder mit dem Frauenkörper gemacht hatte, ohne den Blick abzuwenden. Ray holt das zurück auf das Feld der Kriminalgeschichte, wo der Verdächtige traditionell mit den Folgen der Tat konfrontiert wird.
Üblicherweise dienen solche Konfrontationen dazu, dass der Polizist aus der Reaktion des Verdächtigen Rückschlüsse auf dessen Schuld oder Unschuld ziehen kann. Hier erfährt man über beide etwas, über Lochner wie über Dix Steele. Carl Benton Reid, der Darsteller des Polizisten, war auf Schurken, Patriarchen und Vertreter der Staatsmacht spezialisiert, weil er etwas Strenges und Unnachgiebiges ausstrahlte. Als Captain Lochner kombiniert er dieses Auftreten mit einer moralisierenden Haltung. Die provozierende Arroganz, hinter der Dix Steele seine Verletzlichkeit verbirgt, wirkt wie ein rotes Tuch auf diesen Polizisten.
In a Lonely Place
Lochner hält Steele eine Standpauke, weil dieser auf die Nachricht von Mildreds Ermordung nicht mit „Erschrecken, Entsetzen, Mitleid“ reagiere, sondern mit „Gereiztheit wegen der Vernehmung und ein paar blöden Witzen“. „Zugegeben, die Witze hätten besser sein können“, antwortet Dix und gießt damit Öl ins Feuer, „aber ich verstehe nicht, warum Ihnen der Rest Sorgen machen sollte.“ Dabei sollte er selbst es sein, der sich Sorgen macht. Das Gefühl der intellektuellen Überlegenheit hindert ihn daran zu verstehen, dass er und Lochner in verschiedenen Szenarien unterwegs sind, mit für ihn dramatischen Konsequenzen.
Die Szene in Lochners Büro verbindet die polizeiliche Vernehmung mit dem Kerngeschäft von Hollywood, dem Erzählen von Geschichten in Bildern und Dialogen. Dix erklärt, er habe Mildred mit nach Hause genommen, um sich von ihr den Inhalt des Romans erzählen zu lassen, aus dem er ein Drehbuch machen soll. Lochner glaubt das nicht und hegt den - nicht ganz abwegigen - Verdacht, dass Steele nur mit Mildred schlafen wollte. Nachdem der Film (siehe Teil 1) das Vorlesen von Büchern als Umschreibung für sexuelle Aktivitäten eingeführt hat wendet der Polizist dasselbe Prinzip an und unterstellt, dass auch mit dem Nacherzählen von Buchinhalten der Geschlechtsverkehr gemeint ist.
Ironischerweise reagiert Lochner damit wie ein Kinozuschauer, der sich daran gewöhnt hat, dass der Production Code den Sex verbietet und daher mit einer zweiten Bedeutungsebene zu rechnen ist, die Filmemacher einziehen, um den Moralkodex und seine Regeln zu umgehen. Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt wird die Frage wichtig, für welche man sich entscheidet und welche Version die Oberhand gewinnt. Seit dem Aufstieg der Populisten und ihrer extremen Vereinfachung komplexer Zusammenhänge ist das ein großes Thema.
Die Talkshows des Fernsehens holen sich jetzt Expertendarsteller ins Studio, die von der Entdeckung des „Narrativs“ berichten, als handele es sich um eine Frucht, die gerade erst vom Baum der Erkenntnis gefallen ist. Für einen wie Dix Steele, der mit so etwas sein Geld verdient, ist das ein alter Hut. Er drückt es nur weniger geschwollen aus. Lochner, sagt er später zu seinem Agenten Mel Lippman, musste ihn gehen lassen, weil er die bessere Geschichte erzählen konnte (eine, in der er nicht der Mörder von Mildred Atkinson ist). Allerdings unterschätzt der Autor, der davon träumt, ein vielschichtiges, der Komplexität des Lebens und der Liebe gerecht werdendes Drehbuch zu schreiben, die Beharrungskräfte des Trivialen.
Melodramatische Ermittlungen
Lochners Wahrnehmung der Welt und des menschlichen Verhaltens ist oberflächlich und melodramatisch, als wäre er durch eine mit Stereotypen arbeitende Unterhaltungsindustrie konditioniert. Wie, fragt er Brub Nicolai, reagieren unschuldige Leute, die man um fünf Uhr morgens aus dem Bett holt, zum Revier bringt und denen man eröffnet, dass die Frau ermordet wurde, mit der sie den Abend verbracht haben? Antwort: Sie sind schockiert und außer sich. Lochner tippt auf Dix als Täter, weil er sich cool und abgeklärt gibt, statt sich als Nervenbündel die Haare zu raufen.
Drehbuch und Regie erteilen Captain Lochner eine Lektion, wenn ausgerechnet der wahre Täter als Verdächtiger ausscheidet, weil er sich an die Hollywoodkonventionen hält und das Verhalten an den Tag legt, das für den Polizisten gleichbedeutend mit Unschuld ist. Harry Kesler, Mildreds Verlobter, hat im Gegensatz zu Dix geregelte Arbeitszeiten, nimmt keine Frauen für sexuelle Abenteuer mit nach Hause, weil er noch bei seinen Eltern wohnt und ist den Tränen nahe, wenn er aufs Revier kommt, um sich nach Mildred zu erkundigen, deren Verbleib ihm angeblich ein Rätsel ist (nachdem er sie getötet und aus dem Auto geworfen hat).
Keslers Auftritt als trauernder Verlobter, den Lochner so überzeugend findet, weil der Mann vor Betroffenheit aus allen Nähten zu gehen scheint, kriegen wir so wenig zu sehen wie den Produzenten Burt Brodie, der Schmonzetten dieser Machart fordert. Ray will so etwas in seinem Film nicht haben. Die melodramatische Darbietung wird im Dialog kurz nacherzählt wie der Inhalt von Althea Bruce, dem Dix ein paar brauchbare Teile entnimmt, als Gerüst für ein Drehbuch, das mit der Vorlage, einem typischen Stoff für die Traumfabrik, nur noch bedingt zu tun hat.
Lochners von Vorurteilen und melodramatischen Erwartungen gelenkte Ermittlungen kommentiert der Film mit Understatement, als Gegenentwurf zum ortsüblichen Pathos der falschen Gefühle, die nur eine Lüge sind. Wer sich nicht zu sehr durch die Photos von der Leiche und Lochners Polizeifragen ablenken lässt hört zwischen dem genretypischen Gerede über Zeugen und Alibis ein leises „Poor kid“, mit dem Dix auf den Anblick der Bilder reagiert. Das ist die Emotion, die Lochner bei seinem Verdächtigen vermisst. Allerdings ist sie privat und nicht für das Protokoll bestimmt.
In a Lonely Place
In a Lonely Place belohnt das genaue Hinschauen (und Hinhören). Man erfährt dann mehr über die Charaktere als das, wofür sich die Polizei interessiert. Nach der Vernehmung geht Dix zu Fuß nach Hause. Ein Blumenladen hat so früh schon geöffnet. Vor der Tür spritzt ein Angestellter den Gehsteig ab. Dix zeigt wieder Gefühl und lässt zwei Dutzend weiße Rosen an die Adresse von Mildred Atkinson schicken - ohne Karte und Absender, weil es die Geste eines sehr auf den Schutz seiner Privatsphäre bedachten Mannes ist, die keinen etwas angeht. Zu dem Bild vom emotionslosen Mörder, das sich Lochner von ihm macht, passt das gar nicht.
Andererseits hat Dix eine Mitschuld an Mildreds Tod. Er hat sie mitten in der Nacht mit dem Geld fürs Taxi aus der Wohnung komplimentiert, statt sie wie versprochen nach Hause zu fahren oder wenigstens zum Taxistand zu begleiten. Auf dem Heimweg wurde sie ermordet. Das könnte jetzt der Versuch sein, sich mit zwei Dutzend Rosen von dieser Schuld freizukaufen. In a Lonely Place ist ein Film der Ambivalenz. Ständig werden Fragen aufgeworfen, die der Fortgang der Handlung beantwortet oder nicht. Wer sich von diesem Film die ordentlich gerahmte Schwarzweißwelt eines Captain Lochner erwartet, mit klarer Trennung zwischen Gut und Böse, Schuld und Unschuld, liegt ganz falsch.
Luft und Liebe
Der Angestellte des Blumenladens ist Afroamerikaner. Ray hat immer wieder schwarze Schauspieler beschäftigt. Aus heutiger Sicht kann man einwenden, dass das nur eine winzige Nebenrolle ist, in einer untergeordneten Position. Für das US-Kino der Nachkriegszeit waren solche Besetzungen ungewöhnlich, weil da eine möglichst weiße Gesellschaft gezeigt wurde. Ein schwarzer Darsteller als Blumenverkäufer auf einer Straße in Los Angeles und also als Teil des öffentlichen Lebens (nicht als Butler im Herrenhaus) war vor diesem Hintergrund sehr auffallend. Der Blumenverkäufer ist außerdem auf eine subtile Weise in den Film und seine Themen integriert, wie wir noch sehen werden.
Lochner könnte durch das Beobachten dieser Szene eine Menge lernen, unterhält sich aber lieber mit Brub Nicolai über Schuld oder Unschuld des Verdächtigen (Schuld durch nicht normgerechtes Verhalten), während Dix die Rosen kauft. Freudianer seien auf die am Tatort gefundene Handtasche hingewiesen, die Brub während des Gesprächs mit allerlei Gegenständen füllt. In Freuds Traumdeutung ist die Tasche ein Vaginalsymbol. Am Schluss stopft Brub die beiden 10-Dollar-Scheine hinein, die Dix Mildred für das Taxi gegeben hat und von denen Lochner denkt, dass sie die Bezahlung für sexuelle Dienste waren. So wird das Mordopfer posthum vergewaltigt, durch das Versagen der Polizei.
In a Lonely Place
Bleiben wir noch einen Moment bei der halbminütigen Einstellung mit den Photos von der toten Mildred. In ihr treffen sich alle Themenstränge des Films. Sie ist die Schnittstelle zwischen Gewalt und Polizei, Männern und Frauen, Politik und Gesellschaft, Privatsphäre und Schnüffelei. Im Off sagt Lochner sattsam bekannte Polizistendialoge auf: Wann hat Mildred Steeles Wohnung verlassen? Kann jemand bezeugen, dass er nicht mit ihr weggegangen ist? Beim Betrachten der Bilder fällt Dix die neue Nachbarin ein. Ray überblendet von den Photos mit der Leiche auf eine Einstellung, in der einer von Lochners Männern, Ted Barton, Laurel Gray ins Revier bringt.
In a Lonely Place
Laurel ist Dix’ Alibizeugin und zugleich die Frau, in die er sich verliebt. Wenig später sind sie ein Paar, und Dix fasst die bisherigen Ereignisse so zusammen: „Ich habe seit langem nach jemandem gesucht. Ich wusste weder ihren Namen noch wo sie wohnt. Ich hatte sie nie zuvor gesehen. Dann wurde ein Mädchen getötet, und deshalb fand ich, was ich suchte.“ Das ist einer dieser hemmungslos romantischen Dialoge, die für die Filme von Nicholas Ray charakteristisch sind und die plötzlich, von einem Satz zum anderen, von der Licht- auf die Schattenseite kippen können, weil Ray eigentlich immer Liebesfilme gedreht hat, ganz egal in welchem Genre, aber nie eine Schnulze mit Gefühlskitsch und Realitätsverweigerung.
In a Lonely Place
Der Tod von Mildred Atkinson, das Ende ihres Lebens, ist der Anfang der Liebesgeschichte zwischen Dix und Laurel. Dix küsst Laurel beim zitierten Dialog das erste Mal. Dabei legt er ihr die Hand an den Hals. Wahrscheinlich würde das auch dann bedrohlich wirken, wenn wir es nicht in einem Film sehen würden, in dem der von der Polizei gesuchte Täter weniger als 24 Stunden davor eine junge Frau erwürgt hat. Dix wird Laurel nicht die Luft abwürgen, weil das kein Film über einen Mörder ist, aber dieser erst durch ein Ende möglich gewordene Anfang signalisiert bereits, was kommen wird. Wir werden miterleben, wie eine große Liebe unter äußeren und inneren Zwängen zerbricht.
In a Lonely Place
Blumenträger
Im Hintergrund - wir sind in Laurels Apartment - hängt ein berühmtes Bild an der Wand: Der Blumenträger von Diego Rivera (dem Mann von Frida Kahlo). Der Bürgerschreck Rivera war ein enfant terrible der Kunstszene und ein unorthodoxer, von der KP seines Heimatlandes Mexiko schließlich von der Mitgliederliste gestrichener Kommunist. In den USA wurde er durch seine monumentalen Wandgemälde bekannt. 1933 löste er einen der größten Kunstskandale der US-Geschichte aus, weil er sein für die Lobby des Rockefeller Center geschaffenes (und 1934 von den Auftraggebern zerstörtes) Mural nicht nur für eine marxistische Kritik am Kapitalismus nutzte, sondern auch noch Lenin als den Repräsentanten einer neuen, besseren Gesellschaft in das Bild malte.
In a Lonely Place
Rivera war ein Held der Linken und auch der Gegner der Zensur (er weigerte sich, Lenin wie gefordert zu übertünchen und bezahlte dafür mit dem Wegfallen der Aufträge amerikanischer Konzerne, die sich bis dahin gern mit ihm geschmückt und so ihre - begrenzte - Toleranz zur Schau gestellt hatten). Für die Patrioten von Rechtsaußen war er der Antichrist. Sein Einfluss blieb beträchtlich. Man kann das an den Wandmalereien erkennen, die im Rahmen der von Roosevelts Works Progress Administration finanzierten Kunstprojekte entstanden. Ray hatte seine künstlerischen Wurzeln im Federal Theater, dem Theaterprojekt der WPA, zitiert mit dem Blumenträger also seine eigene Vergangenheit an.
Frida Kahlo und Diego Rivera (1932)
Eine gängige Interpretation zu Riveras Cargador de Flores ist die, dass in dem Bild ein Mann dargestellt ist, der unter der Last zusammenbricht, die ein Arbeiter im Kapitalismus zu tragen hat. Die Blumen in Korb sieht er aus seiner Stellung als Träger nicht. Sie symbolisieren das Schöne, das der ausgebeutete Landarbeiter zu den Reichen schleppt, die sich die farbigen Blüten leisten können, während er selbst kaum das Geld für sein Essen hat. Man könnte in Dixon Steele also einen Kulturarbeiter sehen, der uns das Schöne bringt, an seiner Aufgabe als Drehbuchautor im gewinnorientierten Hollywood aber schwer zu tragen hat.
Im Rahmen dieser Deutung käme Laurel die Rolle der Frau zu, die dem Blumenträger hilft, sich aufzurichten. Tatsächlich ist sie nicht nur Dix’ Muse, sondern auch die Geliebte, die für ihn sein Manuskript abtippt, während er sich von den Mühen der Kreativität erholt. Die Vorstellung von der Frau als dem Manne untergeordnetes Hausmütterchen und als Sekretärin ist da nicht weit. Für einen so vielschichtigen Film wie diesen wäre das aber zu simpel. Auf die Beziehung von Dix und Laurel werden wir noch zurückkommen müssen.
In a Lonely Place
Hier sei einstweilen an den schwarzen Blumenverkäufer erinnert, der für Dix zwei Dutzend weiße Rosen an die Adresse der toten Mildred schickt. Ray hat einiges unternommen, um eine assoziative Verbindung zwischen Verkäufer und Träger zu schaffen. Das merkt man, wenn man den Weg nachzeichnet, den Dix einmal zurücklegen muss, um zu Laurel zu kommen. Als Bindeglieder sehen wir zuerst einen Mr. Swan (Schwan), der Laurels Kleider aus der Reinigung bringt und dann Effie, die Laurels Wohnung putzt. Dazu passend spritzt der Verkäufer mit einem Gartenschlauch den Dreck der vergangenen Nacht vom Gehsteig, wenn Dix ihm vor dem Laden begegnet.
Der Blumenverkäufer, Mr. Swan und Effie die Putzfrau sind drei Glieder in einer Kette von Leuten, die dafür sorgen, dass die Privilegierten ein sauberes Trottoir benutzen, frisch gereinigte Klamotten tragen, ein geputztes Apartment bewohnen und am Schluss, wenn alles vorbei ist, in einem mit Blumen geschmückten Grab liegen können. Das gilt dann sogar für Mildred Atkinson, die den Gästen im Promilokal die Hüte reicht und dabei von einem besseren Leben träumt, wie es die Produkte der Unterhaltungsindustrie versprechen, als Kaufanreiz.
Kommunistische Unterwanderung
Ray hat da eine elegante Möglichkeit gefunden, eine beim bekennenden Kommunisten Diego Rivera andockende Gesellschaftskritik zu üben. Er war immer dann am besten, wenn er seine Botschaft nicht in klassenkämpferische Dialoge verpackte oder sie mit großen Gesten transportierte, sondern aus subtilen Hinweisen zusammensetzte. Man muss nur genau hinschauen, um sie zu erkennen. Viel mehr wäre 1949 kaum möglich gewesen.
Wir reden hier von einem durch den Production Code reglementierten Film, der zwei Jahre nach der ersten großen Anhörungsrunde des Repräsentantenhauses zur kommunistischen Infiltration in Hollywood entstand. Nach Ansicht mancher Ausschussmitglieder war man als Filmkünstler bereits ein Subversiver, wenn man „verfrüht“ gegen Hitler und Franco gewesen war (ein ganz schlimmer „premature anti-Fascist“ war Orson Welles) oder ein Anhänger des New Deal, mit dem Roosevelt die Finanzmärkte reguliert, eine moderate Umverteilungspolitik von oben nach unten auf den Weg gebracht und das Fundament für einen (sehr bescheidenen) Sozialstaat gelegt hatte, an dessen Abwicklung der rechte bzw. marktradikale Flügel der Republikanischen Partei seither arbeitet.
Durch das Mittel der Assoziation holt Ray Menschen und Ideen in das Apartment von Laurel Gray, die dort nach landläufiger Meinung nichts zu suchen hatten, weil so etwas in einer von Paranoia und rechtem Populismus geprägten Phase der amerikanischen Geschichte im Ruch der kommunistischen, von Moskau aus gesteuerten Unterwanderung stand. Die Assoziationskette beginnt mit dem schwarzen Blumenverkäufer auf einer Straße in Beverly Hills und endet mit dem mexikanischen Landarbeiter in den im Spanish-Revival-Stil gebauten „Beverly Patio Apartments“, im Gemälde von Rivera. Dieser Film hat nicht die Absicht, eine Mauer zu bauen.
Wenn Ray Laurel Gray ein Bild von Diego Rivera in die Wohnung hängt ist das also ein politisches, je nach Zuschauer mehr oder weniger kodiertes Statement, das man im Hollywood der McCarthy-Ära nicht direkt abgeben konnte. Ray propagiert da nicht die kommunistische Weltrevolution, er zeigt sich solidarisch mit den Opfern des Rufmords und der Gesinnungsschnüffelei. Der Blumenträger ist auch in The Prowler zu sehen, einem Anti-McCarthy-Film von Joseph Losey. Sogar in I Married a Communist (1949) taucht er auf, einem berüchtigten antikommunistischen Propagandafilm der RKO.
The Prowler
Das Bild hängt in der Wohnung einer kommunistischen Agentin, aber die Umstände sind verdächtig. Die Historiker, rechten Blogger und republikanischen Politiker aus dem Umfeld der Tea- Party-Bewegung, die seit Jahren an der Rehabilitierung von Joseph McCarthy arbeiten, sollten sich diesen Film genauer anschauen. Wer hat den Blumenträger eingeschmuggelt? Was für ein Abgrund an Landesverrat sich da auftut kann man erst ermessen wenn man weiß, dass I Married a Communist (auch als The Woman on Pier 13 verliehen) der Lackmustest von RKO-Boss Howard Hughes für die rechte Gesinnung seiner Angestellten war.
I Married a Communist
Kampf gegen den New Deal
Loseys Erinnerung nach war er der erste von 13 Regisseuren, denen Hughes den Film zur Inszenierung anbot, um ihren Patriotismus zu prüfen. Kandidat Nr. 14, Robert Stevenson, nahm das Angebot schließlich an. Ray war einer von den 13 Verweigerern. Er drehte lieber On Dangerous Ground. Robert Ryan, in I Married a Communist von den Roten zur Mitarbeit in einer subversiven kommunistischen Zelle erpresst, spielt da einen brutalen Polizisten, der seine Aggressivität nicht mehr kontrollieren kann und beinahe einen Mann totschlagen würde.
High Sierra
Das war hart an der Grenze zur kommunistischen Propaganda, fanden die McCarthyisten und deren Spitzel. Eine kritische Haltung gegenüber den Polizeiorganen war genauso ein Verdachtsmoment wie die Sympathie für Kriminelle. John Huston wurde als potentieller Staatsfeind denunziert, weil er das Drehbuch zu High Sierra geschrieben hatte (mit einem Gangster als tragischer Figur) und der Regisseur von The Maltese Falcon war (der Privatdetektiv Sam Spade liebt Brigid O’Shaughnessy, obwohl sie seinen Partner erschossen hat).
The Maltese Falcon
Beide Charaktere, den Gangster mit der komplexen Persönlichkeitsstruktur und den innerlich zerrissenen Privatdetektiv, spielte Humphrey Bogart. Das war 1941. Als bekannter Liberaler hatte er bereits 1940 vor dem Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten erscheinen und versichern müssen, weder selbst ein Kommunist noch mit Kommunisten befreundet zu sein. Das House Un-American Activities Committee (HUAC) leitete damals noch Martin Dies, ein erklärter Gegner der Politik seines Parteifreundes Franklin D. Roosevelt. Es war also ein Demokrat und kein Republikaner, der diesen Ausschuss als erster zum Kampfmittel gegen den New Deal machte (und zum Vehikel für die Förderung seiner persönlichen Karriere).
HUAC 1940 und Martin Dies
Nach dem Kriegseintritt der USA, mit der Sowjetunion als Bündnispartnerin im Kampf gegen Hitler-Deutschland, dümpelte der Ausschuss vor sich hin, bis 1947 der Republikaner J. Parnell Thomas den Vorsitz übernahm. Für Thomas, von Beruf Börsenmakler, war der New Deal (Börsenregulierung, höhere Steuern für Reiche, Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Abbau der Privilegien von Großunternehmen) nichts weiter als eine kommunistisch orientierte Sabotage am kapitalistischen System, die es mit aller Härte zu bekämpfen galt. Das bekam dann auch Hollywood zu spüren, weil man da Filmstars vorladen konnte. Das war viel medienwirksamer als das Aufdecken einer Verschwörung im Kaninchenzüchterverein.
J. Parnell Thomas
Wahrscheinlich landete Nicholas Ray nur deshalb nicht auf der Schwarzen Liste, weil er Vertragsregisseur der RKO war. Howard Hughes verstand sich als Feind des „Kommunismus“, was damals ein genauso dehnbarer Begriff war wie heute der gern mit dem Islam verwechselte „Islamismus“, als dessen Agent sogar Barack Obama von den rechten Verschwörungstheoretikern geführt wird. Noch weniger aber mochte er es, wenn sich Dritte in seine Angelegenheiten einmischten. Dadurch, dass er sich den Ruf eines Kommunistenfressers erworben hatte, konnte er jemanden wie Ray, als Künstler mit WPA-Vergangenheit ohnehin als Sicherheitsrisiko gehandelt, besser schützen. Die Wirklichkeit ist kompliziert und paradox.
In a Lonely Place
Paradox ist auch, dass die der Villa Primavera nachgebaute Wohnanlage einerseits ein Gefühl der Paranoia erzeugt und Dix andererseits davor bewahrt, von Captain Lochner, dem Vertreter des Überwachungsstaats, in Gewahrsam genommen zu werden. Einmal beklagt sich Dix darüber, dass Laurel von ihrem Apartment aus in seines blicken könne und er nicht in ihres (wer den Blick kontrolliert hat im Film die Macht). Weil das aber so ist, weil sich in den Beverly Patio Apartments alle Fenster und Türen zum gemeinsamen Innenhof öffnen, kann ihm Laurel das benötigte Alibi liefern und bezeugen, dass sie gesehen hat, wie Mildred Atkinson den Apartmentkomplex gesund und munter verließ, ohne Dix.
Unamerikanische Aktivitäten
Im Drehbuch von Andrew Solt sitzt eine Stenotypistin im Büro von Captain Lochner und schreibt alles mit. Ray strich die Rolle und ersetzte sie durch einen Dialog, in dem Dix Brub und Lochner fragt, wie sie das Gespräch aufzeichnen: „Tonband oder Kabel?“ "Tonband", antwortet Brub. Lochner zeigt das bisher nicht sichtbare Mikrophon vor wie ein Folterinstrument. Dix, der Lochner nur provozieren und den mit allen Wassern gewaschenen tough guy spielen wollte, wirkt perplex. Das ist ein gruseliger Moment. Oft wird das damit abgetan, dass Ray ein Paranoiker gewesen sei, der sich immer und überall überwacht fühlte.
In a Lonely Place
Paranoia schützt aber bekanntlich nicht davor, verfolgt zu werden. 1946 kursierten in Hollywood erste Listen mit den Namen von Filmkünstlern, die angeblich Mitglied der Kommunistischen Partei waren und den Umsturz des bestehenden Systems betrieben. Diese Listen beruhten auf Klatsch und unbewiesenen Gerüchten, auf Schnüffelei oder auch nur auf der Charakterlosigkeit der Informanten, die durch Denunziation alte Rechnungen begleichen wollten. Als das HUAC 1947 mit seinen Anhörungen begann, ging es mit strategischem Geschick zu Werke. Parnell Thomas hatte dabei stets die mediale Wirkung im Blick.
Zuerst vorgeladen wurden Leute, die bestätigten, dass es die kommunistische Gefahr tatsächlich gab. Walt Disney fühlte sich von roten Agitatoren umzingelt, seit ein Streik sein autokratisch geführtes Studio lahmgelegt hatte. Ronald Reagan, damals Präsident der Schauspielergewerkschaft, berichtete von kommunismusähnlichen Methoden einer in der Screen Actors Guild tätigen Gruppe, konnte aber nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich um Kommunisten handelte oder nicht. Dann folgten die Beschuldigten. In einer ersten Runde wurden 79 Personen vorgeladen, denen man subversive Aktivitäten vorwarf.
Zehn der Vorgeladenen, bekannt geworden als die Hollywood Ten, beriefen sich auf den 1. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung, der die Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert, verweigerten die Aussage und wurden wegen Missachtung des Kongresses strafrechtlich belangt. Als Gegenreaktion formierte sich in Hollywood das überwiegend von Liberalen und Roosevelt-Anhängern gegründete Committee for the First Amendment, dessen Mitglieder nach Washington flogen, um gegen den Kongressausschuss zu protestieren. Zum Komitee gehörten Humphrey Bogart und seine Ehefrau, Lauren Bacall.
Mann des Volkes
Aufmerksame Leser dürften sich inzwischen fragen, wo eigentlich Joseph McCarthy bleibt, nach dem dieses dunkle Kapitel der amerikanischen Geschichte benannt ist? Den McCarthyismus gab es schon, bevor der Namensgeber zum gefürchtetsten Politiker der USA wurde, und er ist auch nicht mit ihm gestorben. Obwohl oft das Gegenteil zu lesen ist war es nicht Joe McCarthy, der Hollywood ins Visier nahm. Das HUAC (H für House) war ein Ausschuss des Repräsentantenhauses. Als Senator von Wisconsin saß McCarthy in der zweiten Kammer des Kongresses, dem Senat.
Joseph McCarthy
Seine Kollegen im Repräsentantenhaus hatten längst die Arbeit aufgenommen, als er seinen Feldzug gegen den Kommunismus startete. In der Vorgehensweise unterschieden sich die Hexenjäger in beiden Kammern des Kongresses jedoch kaum. McCarthy war ein weitgehend unbekannter, um seine Wiederwahl fürchtender Hinterbänkler, als er nach Wheeling in West Virginia flog, um am 9. Februar 1950 beim alljährlichen Dinner des Republikanischen Frauenvereins zum Lincoln Day eine Rede zu halten. Die Damen erwarteten, dass er etwas Erbauliches über Abraham Lincoln sagen würde.
Stattdessen hielt er ein paar Blätter Papier hoch, auf denen angeblich die Namen von 205 Mitgliedern der Kommunistischen Partei standen, die im State Department beschäftigt und dort subversiv tätig waren. Beweise blieb er schuldig, und sein Gedächtnis war scheinbar auch nicht das beste, weil er schon bei seinem nächsten Auftritt, in Salt Lake City, von 57 KP-Mitgliedern sprach. Die Behauptung schlug jedenfalls ein wie eine Bombe. Als McCarthy wieder in Washington landete war er berühmt. Am 20. Februar hielt er im Senat eine Rede, in der aus bisher 205 oder 57 Subversiven mit Mitgliedsausweis der KP 81 geworden waren.
Die Zahlen variierten. Konstant blieb der Vorwurf, dass man im Außenministerium von den Kommunisten wusste, dass sie die dort betriebene Politik beeinflussten und dass der Außenminister nichts dagegen unternahm. McCarthy zeichnete ein Bild von Washington als einem Sumpf, der trockengelegt werden müsse, als einem Saustall, den es auszumisten gelte. Sich selbst inszenierte er als den Mann, der das erledigen werde. Auf den Stufen zum Kapitol ließ er sich mit einem großen Besen photographieren. Die Medien waren fasziniert von ihm, weil einer wie er im Politikbetrieb der Hauptstadt eine ungewöhnliche Erscheinung war.
Das half ihm selbst dann, wenn ihn die Journalisten nicht leiden konnten. Auch durch negative Berichterstattung stieg sein Bekanntheitsgrad und wurden seine unbewiesenen Behauptungen verbreitet. Je krasser, desto besser. McCarthys Aufstieg wurde dadurch begünstigt, dass das Establishment in Washington nicht wusste, wie es mit ihm umgehen sollte. Der Senat war eine Ansammlung von würdigen älteren Herren, die sehr auf Etikette hielten. McCarthy spielte den unverdorbenen, den herumlavierenden Politsprech durch klare Ansagen ersetzenden Außenseiter, den Mann des Volkes. Sein rüpelhaftes Verhalten machte die Honoratioren sprachlos und wurde so zu einer großen Stärke, auch wenn die Wohlerzogenen die Nase rümpften.
Das Wort eines Senators hatte Gewicht und konkrete Auswirkungen auf das Leben anderer Menschen. Viele der Etablierten konnten schlicht nicht glauben, dass ein in ein hohes Amt gewählter Politiker alle Spielregeln ignorieren und unbeschwert drauflos lügen würde, obwohl die Lüge offensichtlich war. Solche Bedenken hatte Joe McCarthy nicht. Er war einer jener Populisten, die eigentlich Opportunisten sind, von sich glauben, für die Macht bestimmt zu sein und bereit sind, alles zu sagen, was ihnen beim Erreichen ihrer Ziele nützlich sein könnte. Der Zweck heiligt die Mittel.
Amerikanische Helden
McCarthy perfektionierte seine Methoden mit Hilfe von Roy Cohn, den er auf Empfehlung von FBI-Chef J. Edgar Hoover als Chefberater in den Senat holte. Cohn (nicht verwandt mit Harry Cohn, in dessen Columbia-Ateliers In a Lonely Place gedreht wurde) war eine Figur wie aus einem schlechten Film, ein antisemitischer Jude und ein homophober Schwuler, ein brillanter Anwalt frei von Skrupeln und moralischen Bedenken. Von Cohn konnte man lernen, wie man am effektivsten üble Nachrede betreibt und aus Halbwahrheiten und frei Erfundenem (heute nennt man das „alternative Fakten“) eine Diffamierungskeule macht.
Roy Cohn mit Joseph McCarthy und einzeln
Wenn sich die Angegriffenen zur Wehr setzen, lehrte Cohn, musste man sofort und mit mehr Wucht zurückschlagen. Durch Gepolter und das Ausstoßen von Drohungen ließen sich nicht nur andere Leute einschüchtern, man konnte das ungehobelte Auftreten zu seinem Markenzeichen machen. Wurde man bei einer Lüge ertappt gab man prinzipiell nichts zu, vielmehr schob man eine noch größere Lüge hinterher. Lautstärke war Trumpf. Falsche Behauptungen, laut und frech genug wiederholt, wurden irgendwann zur Wahrheit. Und, für Politiker ganz wichtig: Eine Gefahr für das Gemeinwesen, in grellen Farben an die Wand gemalt, ließ sich in einen persönlichen Vorteil verwandeln, wenn man unverfroren genug war.
Falls das jemandem bekannt vorkommt: Kein Wunder. Statt gleich das Offensichtliche zu bemühen sei zunächst auf Ted Cruz verwiesen, der 2013, unterstützt von der Tea Party, für Texas in den Senat einzog. Die Art und Weise, wie er sein neues Amt wahrnahm, weckte bei Beobachtern ungute Erinnerungen an Joe McCarthy. Verteidigt wurde er von Steve Bannon, inzwischen Chefstratege im Weißen Haus. Interessant daran ist, wie Bannon das anstellte.
Ted Cruz (Foto: U.S. Congress) und Steve Bannon (Foto: Gage Skidmore. Lizenz: CC BY-SA 3.0
Statt Cruz gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen, der neue McCarthy zu sein, redete Bannon in einer Radiosendung von Breitbart News lieber darüber, dass das Original, der Senator aus Wisconsin, heute nur deshalb der Schurke sei, weil die „moderne Populärkultur“ aus Weiß Schwarz und aus Schwarz Weiß gemacht habe. Als Intellektueller und Vertreter der Hochkultur, schließe ich daraus, weiß man es besser. McCarthy ist ein amerikanischer Held.
Buchcover: American Betrayal, Diana West
Mit Widerspruch war nicht zu rechnen, weil sich Bannon mit Diana West über ihr Buch American Betrayal: The Secret Assault on Our Nation’s Character unterhielt. Da erfährt man, dass Roosevelt die USA in ein sozialistisches Land verwandeln wollte (mit einer bezahlbaren Krankenversicherung auch für die Armen und Sozialstaatsduselei zur Erstickung der Eigeninitiative) und die jungen Leute jetzt nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden können, weil die Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens infiltriert haben, die schönen Künste genauso wie die Universitäten und Hollywood, um den Glauben an die amerikanische Großartigkeit zu zersetzen.
Kommunisten, Islamisten, Populisten
Vom Standpunkt rechter Ideologen aus durfte Ted Cruz also mit vom Stolz geschwellter Brust in das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner gehen, nachdem ihn die Lügenpresse (▻https://www.forbes.com/sites/rickungar/2013/02/18/ted-cruz-the-reincarnation-of-joe-mccarthy/#25527d4c7edb) zur Reinkarnation von Joe McCarthy erklärt hatte. Cruz wurden gute Chancen eingeräumt, ehe er in den Vorwahlen seinen Meister fand, Donald Trump. Alles, was Cruz bisher aufgeführt hatte, um sich in Szene zu setzen - die Mitbewerber verächtlich machen, falsche Behauptungen in Andeutungen kleiden, durch Assoziation Schuld zuweisen, Verschwörungen aufdecken oder über sie raunen -, konnte Trump viel besser.
Cruz machte auch dumme Fehler. Womöglich glaubte er, man könne den McCarthyismus des Kalten Krieges 1:1 auf die Gegenwart übertragen. Bei einer Veranstaltung zum amerikanischen Unabhängigkeitstag mit dem Titel „Defending the American Dream“ hielt er eine Rede, in der er sich über die Harvard Law School ausließ, die er ein paar Jahre vor Barack Obama besucht hatte. Obama, sagte er, sei der radikalste US-Präsident der Geschichte (auf rechten Websites kann man nachlesen, dass Obama mit seiner Gesundheitspolitik nicht nur eine ruinöse Steuerverschwendung betrieb, sondern einen totalitären Staat errichten wollte).
Als Universitätspräsident hingegen, so Cruz, sei Obama bestens geeignet. Als er, Cruz, in Harvard studiert habe sei in der juristischen Fakultät nur ein einziger Republikaner zu finden gewesen, wohl aber zwölf Marxisten, die einen kommunistischen Umsturz befürworteten. Zwölf Marxisten! Aus dem Lehrbuch des Roy Cohn: Frei Erfundenes sollte man mit präzisen Angaben untermauern, weil das ein (nicht vorhandenes) Wissen suggeriert. McCarthy wirkte glaubwürdig, weil er nicht von „ungefähr 200“ Kommunisten im Außenministerium fabulierte, sondern von 205, wahlweise auch von 57 oder 81. Dass die Zahlen variierten war da nicht mehr so wichtig.
Cruz sprach bei einer Veranstaltung der von den milliardenschweren Koch-Brüdern gegründeten Organisation Americans for Prosperity (▻https://americansforprosperity.org). Ein Obama-Bashing kommt da immer gut an. Der Redner hatte aber offenbar nicht bedacht, dass sich die Warnung vor der kommunistischen Gefahr doch etwas abgenutzt hatte und es die Sowjetunion, die der selige Ronald Reagan einst durch einen Rüstungswettlauf in die Pleite getrieben hatte, nicht mehr gab. Donald Trump war da viel klüger. Seine Kommunisten sind die Muslime. Obama ist ihr Agent.
Le Club
Ist Trump demnach ein Naturtalent, das mit der Muttermilch einsaugte, was Cruz erst mühsam lernen musste und nur halb verstanden hatte? Nicht wirklich. 1948, als Trump geboren wurde, gab es in Manhattan zwei besonders angesagte Clubs, in denen man Gast sein musste, um zur High Society zu gehören: das „El Morocco“ und den „Stork Club“. Das sind die beiden Etablissements, von denen Humphrey Bogart, seines unbeherrschten Verhaltens wegen, zur unerwünschten Person erklärt wurde, was dann als autobiographisches Element in den Film In a Lonely Place einging.
The Wrong Man
In den frühen 1970ern hatte der „Stork Club“ dicht gemacht, was einen nicht weiter wundert, wenn man Hitchcocks The Wrong Man gesehen hat. Henry Fonda als Manny Balestrero spielt in der Kapelle des „Stork Club“ den Kontrabass und ist in einer musikalischen Endlosschleife gefangen, was Hitchcock Gelegenheit gibt, die Hölle als die Wiederkehr des ewig Gleichen zu inszenieren. Einen öderen Arbeitsplatz als diesen hat man selten in einem Film gesehen. Man kann sich gut vorstellen, dass die Kapelle so lange dasselbe Lied spielt, bis alle tot vom Hocker fallen.
In den frühen 1970ern war der Rivale des „El Morocco“ ein Laden mit dem todschicken Namen „Le Club“. Der junge Donald Trump entschied sich für den „Club“, der - verglichen mit dem „Morocco“ - etwas leicht Verruchtes hatte. „Zu den Mitgliedern gehörten einige der erfolgreichsten Männer und schönsten Frauen der Welt“, lässt er in The Art of the Deal schreiben. „Es war einer von diesen Orten, wo es nicht unwahrscheinlich war, einen reichen 75-jährigen Typen zu sehen, der mit drei Blondinen aus Schweden hereinkam.“ In dem Buch berichtet er von mehreren Anläufen, die erforderlich waren, um dort auch Mitglied zu werden.
Trump wollte man im „Le Club“ nicht haben, weil er aus Queens stammte und damit aus einem Stadtteil, der damals das Gegenteil von hipp war und für den die Reichen und die Schönen von Manhattan nur Spott übrig hatten. Donald schaffte es schließlich, in die exklusive Mitgliedsliste aufgenommen zu werden. Das ist die Trump-Version der „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichte. Darin liegt die Anziehungskraft begründet, die er auf die gesellschaftlich Benachteiligten ausübt, seine treuesten Fans. Trump fing als Millionärssohn an, aber eine Aufstiegsgeschichte ist es trotzdem. Darum lässt sich die Hoffnung damit verbinden, dass der amerikanische Traum doch nicht geplatzt ist.
Wie angesagt „Le Club“ war ist daran zu erkennen, dass sich Jackie Kennedy entschied, ihn zum Schauplatz für eines der Society-Highlights der 1970er zu machen, die gemeinsame Geburtstagsparty für ihre Kinder John Jr. und Caroline. Am Eingang des Clubs kam es zu einer Prügelei zwischen Gästen und Paparazzi. Das sorgte für einen kleinen Skandal und für große Schlagzeilen, weil einer von den Photographen ein ehemaliger Marine war, der tapfer sein Land verteidigt hatte. Die prominenten Schläger waren dabei interessanter als der Geschlagene. Wie hieß nochmal der im Irakkrieg gefallene US-Soldat, dessen Eltern Trump beleidigte?
Freies Unternehmertum
Die Episode mit dem Kleberfabrikanten Heinrich Haffenloher in Helmut Dietls Kir Royal heißt „Wer reinkommt, ist drin“. Diese Erfahrung durfte auch Trump machen. Im „Le Club“ lernte er 1973 einen hervorragend vernetzten Anwalt kennen, der dort ebenso Stammgast war wie viele seiner illustren Mandanten: Roy Cohn, früher Einflüsterer von Joseph McCarthy und jetzt Helfer von Donald Trump. Donalds Vater hatte in Brooklyn und Queens ein Wohnungsimperium aufgebaut. Als Donald Roy traf hatte die Trump Management Corporation eine Klage des Justizministeriums am Hals.
Kir Royal
Die Abteilung für Bürgerrechte warf den Trumps vor, nicht an Angehörige von Minderheiten zu vermieten und Bewerber mit dunkler Hautfarbe zu belügen ("Leider nichts frei.") oder mit Ausreden abzuwimmeln. Das verstieß gegen das Gesetz, den Fair Housing Act von 1968. Die Firmenanwälte rieten zur außergerichtlichen Einigung. Roy empfahl Donald, dem Ministerium den Krieg zu erklären und dieses seinerseits vor Gericht zu zerren. Also wurde eine Gegenklage wegen Rufschädigung eingereicht. Streitsumme: 100 Millionen Dollar. Die Klage wurde bald abgewiesen, erzielte aber die gewünschte Wirkung.
Am Ende stand eine Einigung, nun jedoch zu günstigeren Konditionen für das Unternehmen. Die Schlagzeilen über die 100-Millionen-Dollar-Klage gegen die Regierung überlagerten die Nachricht, dass sich die Trumps bereit erklärten, zukünftig auch an Angehörige von Minderheiten zu vermieten. Donald gab nie zu, etwas falsch gemacht zu haben. Einen Fehler zugeben war Schwäche. So hatte Trump es von seinem Mentor Roy Cohn gelernt. Roy brachte Donald zudem bei, dass jede Art von Publicity gute Publicity ist. Wenn Roys Name gerade nicht in der Zeitung stand versorgte er die Presse mit süffigen Geschichten, um Abhilfe zu schaffen. Donald tat es ihm nach.
Die Klage des Ministeriums war übrigens das Resultat einer ganzen Reihe von Anti-Diskriminierungsgesetzen, die der in seiner Bedeutung sehr unterschätzte Lyndon B. Johnson, der Nachfolger von John F. Kennedy, mit viel Geschick und trotz enormer Widerstände durch den Kongress gebracht hatte. Johnsons Gesetze zur Stärkung der Bürgerrechte waren für konservative Weiße - und insbesondere für solche, die von den rassistischen Strukturen in der US-Gesellschaft profitierten - ein unzulässiger Eingriff des Staates in die Entscheidungsfreiheit eines Amerikaners.
Johnsons Partei zahlte dafür einen hohen Preis. Die Bundesstaaten im Süden des Landes, bis dahin eine solide Machtbasis der Demokraten, wurden zu Hochburgen der Republikaner. Für einen Unternehmer wie Donald Trump eröffnete sich die Möglichkeit, sich in einer Verbindung von Geschäftsinteressen und Ideologie als Kämpfer für die amerikanischen Werte zu präsentieren. Wer Trumps Weg ins Weiße Haus nachzeichnen will sollte mit dem Jahr 1973 beginnen, in dem er in einem New Yorker Promilokal Roy Cohn kennenlernte und auf dessen Anraten den Pioniergeist der Gründungsväter und das freie Unternehmertum gegen eine diktatorische Regierung verteidigte.
Kulturfrevel in der Fifth Avenue
Die Schlacht gegen das Justizministerium war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Roy beriet Donald fortan bei größeren Geschäften und in rechtlichen Angelegenheiten, ließ seine Verbindungen in die höheren Ränge der Macht für ihn spielen. Auch diese Geschichte könnte man durch Filme erzählen, mit Breakfast at Tiffany’s von Blake Edwards beispielsweise. Der Anfang genügt. Audrey Hepburn fährt im Taxi beim Juweliergeschäft vor. Dabei kann man einen Blick auf das Bonwit-Teller-Kaufhaus erhaschen (erste Einstellung, linker Bildrand), ein architektonisches Juwel im Art-déco-Stil und seit seiner Errichtung im Jahre 1929 ein heimliches Wahrzeichen von New York.
Breakfast at Tiffany’s
Als Breakfast at Tiffany’s in den frühen 1960ern in den Kinos lief hielten viele Filmfreunde danach Ausschau, weil Audrey Hepburn während der Dreharbeiten dort eingekauft hatte. Dabei entstanden Pressephotos, die dann in der Werbekampagne Verwendung fanden. Das war nicht nur eine gute Reklame für Bonwit Teller, sondern förderte auch das Bewusstsein dafür, welches Juwel da neben Tiffany & Co. stand. 1979 kam Donald Trump, kaufte das Gebäude und ließ es abreißen. Heute ist nichts mehr davon übrig. An sein Versprechen, Teile der Fassade zu retten und dem Metropolitan Museum of Art zu übergeben fühlte sich der Investor nicht gebunden. Leider zu teuer.
Jetzt steht da anstelle eines Art-déco-Juwels ein auf Dominanz ausgerichteter Protzbau, der Trump Tower. Größer wurde New York dadurch nicht. Nur höher. Statt kunstgeschichtlich bedeutsame Skulpturen zu erhalten und damit, wie es der damalige Bürgermeister Ed Koch ausdrückte, einer moralischen Verpflichtung gegenüber den Bürgern von New York nachzukommen, zog Trump vor Gericht, um - beraten von Roy Cohn - steuerliche Vergünstigungen einzuklagen. Der Investor fühlte sich diskriminiert. Attacke war die erste Unternehmerpflicht.
Wenn man sich an gelungener Architektur erfreut und glaubt, dass Bauten etwas mit Kultur und Identität zu tun haben, ist der Anfang von Blake Edwards’ Film - von heute aus betrachtet - mit schmerzlicher Nostalgie erfüllt. Könnte man Audrey Hepburn per Zeitmaschine in die Gegenwart transportieren und noch einmal frühmorgens in der Fifth Avenue vorfahren lassen, sie würde gar nicht erst aus dem Taxi steigen oder, wenn doch, vor Schreck den Kaffeebecher fallen lassen und schreiend zu Mr. Yunioshi laufen.
Einen Bauunternehmer gibt es auch in Rays In a Lonely Place. Er ist einer von zwei mächtigen Männern, die eine unheimliche Präsenz entfalten, indem sie Einfluss auf die Handlung nehmen, obwohl wir sie nie zu sehen kriegen. Der eine, der Produzent Bert Brodie, will einen Bestseller über die Luxusprobleme des Geldadels von Long Island verfilmen lassen, weil das ordentlich Kohle bringt. Der andere heißt Baker und verdient sein Geld mit Immobilien. Seinen Namen kennen alle. Menschen scheint er genauso als sein Eigentum zu betrachten wie seine Häuser.
Laurel Gray war mit dem Mann liiert und kurz davor, ihn zu heiraten. Mr. Baker hat ihr sogar einen Swimmingpool gebaut - nicht so sehr, um ihr eine Freude zu machen als vielmehr, um den Wert der Immobilie zu steigern. Laurel hat Baker schließlich verlassen, weil sie sein besitzergreifendes Wesen nicht mehr ertragen konnte. Ray wird gern unterstellt, er habe mit den Beverly Patio Apartments aus Selbstverliebtheit die Villa Primavera nachbauen lassen, weil er früher dort gewohnt hatte. Falls dem so gewesen sein sollte ändert es nichts daran, dass die Wohnanlage im Film mehrere narrative Funktionen erfüllt, ohne dass ein einziger Dialogsatz dafür erforderlich wäre.
Der Film vertraut so sehr auf Ausstattung, Kulissen, Inszenierung, das nuancierte Spiel der Darsteller (und auch auf George Antheils Musik), dass es fast schon exzessiv wirkt, wenn sich Dix Steele beklagt, dass Laurel - die Überwachungsthematik - von ihrem Balkon in sein Fenster sehen kann. Wenn Laurel vor dem durch Stadtentwicklung reich gewordenen Immobilientycoon in die Villa Primavera flieht, einem jener für Hollywood identitätsstiftenden Gebäude im Spanish-Revival-Stil, von denen bis heute ein seltsamer Zauber ausgeht, darf man das als Kommentar zu Bakers Bautätigkeit verstehen, als Abkehr von den Sachen, die der Baulöwe in die Landschaft stellt.
Way of Life
Es hat eine gewisse Konsequenz, wenn Roy Cohn erst einen in Washington groß auftrumpfenden Senator aus der Provinz beriet und dann einen Unternehmer, der - nachdem ihm Cohn den Weg von Queens nach Manhattan geebnet hatte - mit dem auf dem Immobilienmarkt eingeübten Methoden das Weiße Haus übernahm. Von Cohn lernen heißt: In Kategorien von Sieg und Niederlage denken, den Gegner niemals schonen, sich selbst als Kämpfer gegen die Verschwörungen finsterer Mächte stilisieren, vom Kommunismus in den McCarthy-Jahren über den Wohlfahrtsstaat und die National Football League (die Roy für Donald verklagte) bis zum Islam.
Ein echter Roy Cohn war Trumps Reaktion auf sich häufende Berichte über Kontakte seines Wahlkampfteams zur russischen Regierung und über routinemäßige Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste gegen russische Funktionäre, bei denen deren Gespräche mit Leuten aus Trumps Umfeld abgehört worden sein könnten. Am Morgen des 4. März ging Trump zum Gegenangriff über und inszenierte zugleich ein Ablenkungsmanöver, als er die Welt per Twitter darüber informierte, dass der Trump Tower im Wahlkampf von Obama abgehört worden sei.
Interessanterweise fühlte er sich in seinem ersten Tweet an den McCarthyismus erinnert. Dann verging eine Weile, bis ihm der eigentlich viel näher liegende Vergleich mit Nixon und der Watergate-Affäre einfiel. Sollte es eine direkte Verbindung zwischen Trumps Hirn (oder auch seinem Unbewussten) und seinem Twitter-Finger geben wäre das verräterisch. Könnte es sein, dass der Präsident zuerst an Cohn und dessen Methoden dachte und nicht an das ihm angeblich zugefügte Unrecht, als er seine Nebelkerzen zündete?
McCarthy und Roy Cohn machten weniger durch einen Abhörskandal von sich reden als vielmehr durch das Diffamieren anderer Leute, durch Lügen und Krawall als Mittel der Politik, durch ihre aufwieglerische Dreistigkeit und durch das Erfinden von durch das Washingtoner Establishment gedeckten Verschwörungen - alles Dinge, die auch Donald Trump nicht ganz fremd sind. Das damals versprühte Gift wirkt bis heute nach.
Die von Joseph McCarthy nicht ausgelöste, aber mit neuem Elan versehene Hexenjagd zerstörte das Leben von Tausenden amerikanischer Bürger. Vor einem der Untersuchungsausschüsse des Kongresses, die nach McCarthys Rede in West Virginia gebildet wurden, sagte FBI-Chef Hoover, dass der Kommunismus „a way of life“ sei, eine Lebens- und Daseinsform. Dadurch wurde der Verbindung von Normabweichung und Politik Tür und Tor geöffnet. Die Frage, mit wem man Sex hatte, half bei der Bestimmung der politischen Identität.
Schwule und Lesben führten notwendigerweise ein Leben im Geheimen, weil ein Outing für viele von ihnen gravierende Folgen gehabt hätte. Das ließ sich gegen sie verwenden. Die infame Logik ging in etwa so: Weil Homosexuelle eine Neigung zur Heimlichtuerei hatten waren sie besonders anfällig für Anwerbungsversuche durch die - auch im Geheimen operierenden - Kommunisten. Erpressbar waren sie sowieso. Folglich wurden Schwule und Lesben als Sicherheitsrisiko eingestuft und aus den Washingtoner Ministerien entfernt. Auch wenn sich keiner fand, der sie als KP-Mitglieder denunziert hätte, waren sie doch irgendwie gefühlte Kommunisten.
Spermaflecken und Fundamentalisten
Die McCarthyisten verbanden ihnen verhasste politische Ausrichtungen mit Sex und Verbrechen und verrührten das Ganze zu einem Zerrbild vom „Unamerikanischen“. Dieses Verfahren zur Kriminalisierung des politischen Gegners verlor nie seine Anziehungskraft. Das zeigte sich in den beiden Amtszeiten von Bill Clinton, als der radikale Flügel der Republikanischen Partei versuchte, den Präsidenten nicht etwa durch Wahlen und das bessere Politikangebot aus dem Weißen Haus zu befördern, sondern durch eine Verschwörungstheorie, die eine Immobilienaffäre mit einem angeblichen Auftragsmord und Bills intimen Beziehungen zu Paula Jones und Monica Lewinsky kombinierte.
Treibende Kraft hinter dem Bill Clintons Präsidentschaft überschattenden Rufmord an ihm und seiner Frau und an dem gegen ihn angestrengten Amtsenthebungsverfahren, in dem es vor allem um Falschaussagen und den Spermafleck auf dem Kleid von Monica Lewinsky ging, nachdem sich die restlichen Anschuldigungen als haltlos erwiesen hatten, war Newt Gingrich, der Sprecher des Repräsentantenhauses, der schließlich über eigene Verstöße gegen die Ethikregeln des Kongresses stürzte. Gingrich muss hier erwähnt werden, weil Donald Trump im Wahlkampf gegen Hillary Clinton die alten Mordvorwürfe wieder aufwärmte.
Das war im Mai 2016. Im Juni, nach dem Massaker von Orlando, forderte Trump Obama zum Rücktritt auf, weil er entweder nicht wisse, was im Lande vor sich gehe oder aber viel zu genau darüber informiert sei. Auf diese Weise insinuierte er, dass Obama mit islamistischen Terroristen unter einer Decke stecke. Das harmonierte gut mit seiner jahrelang vorgetragenen Behauptung, dass Obama in Kenia geboren und daher kein legitimer Präsident sei.
Eine vielsagende Andeutung, wusste schon Roy Cohn, ist erst dann richtig gut, wenn es mindestens eine zweite gibt, auf die man sich notfalls zurückziehen kann. Was also, wenn Obama doch in Hawaii geboren wäre und nicht in Kenia, wo seine Großmutter lebte? Dann war eben etwas anderes faul mit der Geburtsurkunde. Jemand habe ihm erzählt, so Trump in einer Talkshow, dass es mit Obamas Religionszugehörigkeit zu tun haben könnte. Stand womöglich in der Urkunde, dass er Muslim ist? „Und wenn man ein Muslim ist, dann ändert man nicht seine Religion, nebenbei bemerkt.“
Das kennt man von McCarthy, der darüber fabulierte, dass das Außenministerium und sogar die Armee mit den Kommunisten gemeinsame Sache mache (und vom Retro-McCarthyisten Ted Cruz, in dessen Verschwörungstheorie Obama noch mit den zwölf Marxisten in der juristischen Fakultät von Harvard konspirierte, als Trump längst ein Zerrbild vom Islam für seine Zwecke nutzbar machte). Das Verächtlichmachen von den Staat tragenden Institutionen und Personen gehört zum Instrumentarium des McCarthyismus. So erzeugt man Verunsicherung und schafft ein Vakuum, das sich zum eigenen Vorteil verwenden lässt.
Newt Gingrich wusste nach dem Massaker von Orlando gleich, woher der Wind wehte und sah eine Gelegenheit, sein politisches Comeback einzuleiten. Nach Trumps Geraune über Obamas Komplizenschaft mit dem Attentäter schlug er vor, den Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten wiederzubeleben, um einer weiteren Unterwanderung des Staates durch - dieses Mal - den Islam vorzubeugen. Das wurde allgemein als sein Versuch gewertet, sich als Trumps künftiger Vizepräsident ins Gespräch zu bringen. Der Posten ging dann an Mike Pence, weil Pence viel geeigneter war als Gingrich, Trump die Stimmen der Evangelikalen zuzuführen.
Ohne Sex geht es scheinbar nach wie vor nicht. Hillary war Leidtragende von Bills Affären, und niemand hat je behauptet, dass sie Orgien im Weißen Haus organisierte. Also musste etwas erfunden werden, das sich mit ihrem Image als habgierige und geldgeile Person kombinieren ließ. Das Resultat war die Pizzagate-Verschwörung. Rechte Websites verbreiteten das Gerücht, dass Hillary Clinton und ihr Wahlkampfchef von der Pizzeria „Comet Ping Pong“ aus einen Kinderpornoring betrieben. Das hätte beinahe Menschenleben gekostet, als ein Mann mit Sturmgewehr dort auftauchte, um die Kinder zu befreien.
Rotkäppchen und der böse Wolf
In den Nachkriegsjahren gab es nicht die Echokammern des Internets, wohl aber die Skandalpresse, der sich James Ellroy in L.A. Confidential widmet (verfilmt von Curtis Hanson, einem großen Fan von In a Lonely Place). Wer sich seine Meinung durch die Lektüre der einschlägigen Blätter bildete (oder bestätigen ließ) musste den Eindruck gewinnen, dass zwischen einer liberalen Gesinnung, Sex und Mord ein Zusammenhang bestand. Die Szene, in der Dix Steele im Büro von Captain Lochner sitzt und sich die Tatortphotos mit der toten Mildred Atkinson ansieht, könnte aus den Klatschspalten oder von den Detektivmagazinen der Zeit übernommen sein.
Hollywood war schon immer der perfekte Schauplatz für Geschichten gewesen, in denen das Rotkäppchen auf den bösen Wolf trifft. Besonders böse Wölfe waren mit Roosevelts New Deal sympathisierende Filmkünstler wie Orson Welles, dem eine sexuelle Beziehung zu Elisabeth Short und damit eine Verwicklung in den Black-Dahlia-Fall angedichtet wurde. Außer seiner politischen Überzeugung und seinem Ruf als Ladykiller wurde als belastendes Indiz gewertet, dass er bei Veranstaltungen zur Truppenbetreuung mit einer Zaubernummer aufgetreten war, in der er Marlene Dietrich in der Mitte durchgeschnitten hatte (so wie der Mörder den Körper von Elizabeth Short).
Orson Welles mit Marlene Dietrich
Welles setzte sich, verfolgt von allerlei Gerüchten, nach Europa ab. John Huston tat es ihm gleich. Als Vizepräsident der Gewerkschaft der Filmregisseure hatte er die Gründung des Committee for the First Amendment initiiert, jener Vereinigung liberaler Filmkünstler (mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall als prominenten Mitgliedern), die den vom Kongressausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten vorgeladenen Kollegen Beistand leisten wollte. Ob Zufall oder nicht: Bald danach spekulierten einige Revolverblätter darüber, was er mit Elizabeth Short zu tun haben könnte.
Hustons Name geisterte Jahrzehnte später noch einmal in Verbindung mit der „Schwarzen Dahlie“ durch die Medien, als der Ex-Polizist Steve Hodel in Black Dahlia Avenger seinen eigenen Vater als den mutmaßlichen Mörder von Elizabeth Short identifizierte. Hodel senior, so der Sohn, verband bei seinen Taten die Kunst mit bizarren Sexualpraktiken und heiratete die frühere Frau von John Huston, der von seinen Aktivitäten wusste oder vielleicht auch nicht. Huston sagte, dass man als Regisseur ein Sadist sein müsse und hatte bei einem Autounfall einen Menschen getötet. Was will man mehr?
Das liberale Hollywood drehte den Spieß um. Das bevorzugte Genre, mit dessen Hilfe man Kritik am McCarthyismus übte, war der Kriminalfilm. Dort konnte man Vertreter einer übergriffigen, das Recht beugenden oder brechenden Staatsmacht auftreten lassen wie den in fremde Wohnungen eindringenden Polizisten in Joseph Loseys The Prowler oder Captain Lochner, den Vorgesetzten von Brub Nicolai. Verglichen mit dem Duo McCarthy/Cohn ist Lochner ein Lehrling. Weniger bedrohlich macht ihn das nicht. Ray hatte ein feines Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen. An Lochner zeigt sich, wo die Reise hingehen sollte.
Der Polizist hat keine Skrupel, Dix Steele durch dessen Freund Brub ausspionieren zu lassen. Pikant ist die Besetzung. Als Brub Nicolai ist Frank Lovejoy zu sehen, der anschließend die Hauptrolle in Cy Endfields Try and Get Me! spielte, einem der besten Anti-McCarthy-Filme, und dann in I Was A Communist for the F.B.I. die KP infiltrierte, um die Kommunisten als Rassisten und willige Werkzeuge einer fremden Macht zu entlarven und vor dem HUAC gegen sie auszusagen.
In a Lonely Place
Lovejoys Rolle bei Ray wirkt wie der vorweggenommene Kommentar zu diesen beiden einander diametral entgegengesetzten Filmen, die er nach In a Lonely Place drehte. Brub Nicolai lehnt Lochners Methoden ab und ist von Dix’ Unschuld überzeugt. Mitmachen tut er trotzdem. Alles, was Lochner ihm aufträgt, führt er brav aus. Einmal ruft Brub bei Dix an, um ihn zum Abendessen einzuladen. Er sitzt dabei auf Lochners Stuhl. Dix sagt zu. Brub legt den Hörer auf und Ray schneidet auf seinen Vorgesetzten, den wir bisher nicht gesehen haben. „Gut“, sagt Lochner.
Brub soll seinen Freund aushorchen und dann Bericht erstatten. Ray demonstriert da, wie man durch unspektakulär inszenierte, scheinbar alltägliche Szenen (ein Mann lädt seinen Freund zum Essen ein) ein unangenehmes Gruseln erzeugen kann. Zum Glück kennt er auch ein Gegenmittel. Was tut man also als Figur in einem Film von Nicholas Ray, um eine virtuelle Firewall gegen Rufmord und Schnüffelei zu errichten? Man lässt Blicke sprechen. Wie das funktioniert erfahren die werten Leser im dritten Teil:
Unsittliche Verhältnisse, schwarze Nachbarn in der Pianobar und der lange Weg ins Schlafzimmer
►https://www.heise.de/tp/features/Unsittliche-Verhaeltnisse-schwarze-Nachbarn-in-der-Pianobar-und-der-lange-Weg-
09. Juli 2017 Hans Schmid
An einem einsamen Ort, Teil 3
Sehen eines guten Films ist wie Huckleberry Finns Reise auf dem Mississippi im Roman von Mark Twain. Man lässt sich mit der Strömung treiben, bleibt unterwegs auch mal an einem Hindernis hängen oder legt an einer guten Stelle an und lässt sich davon überraschen, was es da zu entdecken gibt. Heute werden wir einem zum Vizepräsidenten aufgestiegenen Radiomoderator begegnen; einem Kinderpsychologen, zu dem Gott gesprochen hat; einem Senator, der Anton Tschechow für Stalins Agenten hält; und einer Hitchcock-Blondine, die keinen BH anhat.
Weitere Highlights: Laurel Gray macht eine Aussage. Humphrey Bogart ist kein Kommunist und gibt als Dixon Steele Regieanweisungen beim Frauenwürgen. Gloria Grahame unterschreibt einen Knebelvertrag, weil sonst am Ende noch Hillary Clinton bestimmt, mit wem das eigene Kind aufs Klo geht und was es da zu sehen kriegt. Frank Sinatra singt ein zensuriertes Lied dazu und streicht Sammy Davis Jr. von der Gästeliste für John F. Kennedys Inaugurationsfeier, weil sein Freund schon wieder mit der falschen Frau verheiratet ist.
Auf unserem Floß ist Sammy genauso willkommen wie Hucks Freund Jim und Hadda Brooks, die Königin des Boogie, denn ohne diese drei wäre die amerikanische Kultur- und Seelenlandschaft, durch die uns die Reise führt, viel ärmer.
Kein Kaffee mehr
Laurel Gray sitzt in Captain Lochners Büro, um eine Aussage zu machen. Solche Szenen gehören zum Standardrepertoire des Kriminalfilms und sind meistens ziemlich langweilig, weil man sie schon tausendmal gesehen hat. Bei Ray wird daraus ein spannendes Minidrama. Es geht damit los, dass Laurel auf Lochners Schreibtisch einen Kaffeebecher entdeckt, in die Hand nimmt und einen Blick hinein wirft (ein Inszenierungseinfall des Regisseurs). Der Becher ist fast leer. Andrew Solt, der dem Zauber Hollywoods verfallene Drehbuchautor von In a Lonely Place, fand das unmöglich, weil nicht damenhaft: „Das ist falsch. So etwas tut ein richtiges Flittchen, sie aber nicht.“
In a Lonely Place
Solt hat schon recht. Damenhafte Zurückhaltung geht anders. Ray war daran auch nicht gelegen. „Je einfacher, direkter, ehrlicher, desto besser für das Erschaffen von Laurel, aus Fleisch und Blut“, notierte er in seinem Drehbuchexemplar. Laurel ist eine Frau, die weiß, was sie will und daraus kein Geheimnis macht. Es ist früher Morgen, sie wurde von der Polizei aus dem Bett geholt, jetzt möchte sie eine Tasse Kaffee. Lochner, der gern moralisiert und bestimmt, was richtiges Benehmen ist, bringt das in die Defensive. Er hat ihr keinen Kaffee angeboten und muss sich nun entschuldigen, weil nichts mehr da ist.
Das Undamenhafte rückt Laurel näher an Dix Steele heran, der so wenig ein Gentleman ist wie sie eine Lady (oder was man sich in den spießigen 1950ern darunter vorstellte). Zugleich entfernt es sie von Lochner, dem Hüter des Gesetzes und der bürgerlichen Sekundärtugenden. Für Lochner ist Dix der Hauptverdächtige, weil er seine Drehbücher in seiner Wohnung schreibt und nicht in einem Büro, keine geregelten Arbeitszeiten hat, Frauen spätnachts mit nach Hause nimmt und kühl und gefasst auf die Nachricht von Mildreds Ermordung reagiert, statt sich auf eine klischeehafte Weise betroffen zu zeigen.
Der wahre Täter wirkt auf den Chef der Mordkommission unverdächtig, weil er einer geregelten Arbeit nachgeht, als unverheirateter Mann noch bei seinen Eltern wohnt und den trauernden Hinterbliebenen spielt, wenn seine Verlobte im Straßengraben gefunden wird, wo er sie selbst hingeworfen hat. Im Rahmen von Lochners Welterklärungsmodell ist Dix Steele aufgrund seines unbürgerlichen Lebensstils und seines nonkonformistischen Verhaltens der logische Verdächtige. Ray lässt kein gutes Haar an diesem Polizisten, der sich von Vorurteilen die Sicht verstellen lässt. Die Bösewichte sind nicht immer die Männer mit dem Schaum vorm Mund.
In a Lonely Place
„Tut mir leid“, sagt Lochner, „kein Kaffee mehr“. Er und Laurel blicken sich an. Dix sitzt hinter Laurel. Sie beginnt mit ihrer Aussage und erfährt, dass Mildred Atkinson zwischen ein und zwei Uhr nachts ermordet wurde. Dix hat sie als Alibizeugin angegeben und hofft, dass sie gesehen hat, wie Mildred froh und munter sein Apartment verließ. Lochner hofft, dass das Alibi des Verdächtigen seiner Befragung nicht standhalten wird. Er hat verloren, als Laurel sich zu Dix umdreht. Sie mustert Steeles Gesicht, nimmt Blickkontakt zu ihm auf. Das weitere Verhör über wird dieser Kontakt Bestand haben. Blicke etablieren bei Nicholas Ray Loyalitäten.
In Rays Inszenierung ist Laurel eine Frau, die sich zwischen zwei Männern und ihren Geschichten entscheiden muss. Ist Dix unschuldig oder, wie Lochner denkt, der Mörder? Ray liebte solche Dialogsituationen mit drei oder mehr Personen (Brub sitzt als stummer Beobachter mit dabei). Sie eröffneten ihm die Möglichkeit, die Geschichte in Bildern zu erzählen, während geredet wird. Laurel entscheidet sich für Dix, weil ihr sein Gesicht gefällt. Wenn sie sich zu ihm umdreht befindet sich Lochner in ihrem Rücken. Den Polizisten zwingt das, seinen Platz zu verlassen, um den Schreibtisch herumzugehen und sich in Laurels Blickrichtung zu setzen.
In a Lonely Place
Von seinem neuen Platz aus versucht er, das durch Blicke geknüpfte Band der Loyalität zwischen Dix und Laurel zu zerreißen. Das misslingt schon deshalb, weil Ray den Stuhl für Lochner so hingestellt hat, dass der Polizist nun seitlich hinter Dix sitzt. Inszenieren heißt, Schauspieler und Requisiten so zueinander in Bezug zu setzen, dass sich eine sinnvoll in die Handlung integrierte Botschaft daraus ergibt. Ray hat sich für eine Schuss-Gegenschuss-Montage entschieden, in der Dix und Laurel durch das eyeline match (die durch den Schnitt erzeugte Illusion, dass sie sich anschauen) verbunden sind.
In a Lonely Place
Lochner sitzt mit dabei, hat die Kontrolle verloren, wird durch die Inszenierung in seinem eigenen Büro zum Außenseiter. Er stellt seine Fragen, ohne etwas ausrichten zu können. Der Blickkontakt zwischen Laurel und Dix hält. Sie gibt Dix das erforderliche Alibi. Laurel hat gesehen, wie Mildred sein Apartment verließ. Lochner muss den Verdächtigen gehen lassen. Für Dix und Laurel ist das der Beginn einer Liebesbeziehung, die hält, solange sich die beiden in die Augen schauen können. Sie zerbricht, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage sind. In a Lonely Place ist auch ein Film über die zersetzende Wirkung des Verdachts. Denn Lochner gibt nicht so einfach auf.
I Hadn’t Anyone Till You
Ob mit Joe McCarthy und Roy Cohn oder ohne sie: Eine Spezialität der McCarthyisten war es, Elemente aus den Lebenslauf einer Person herauszugreifen und diese so hinzudrehen, dass sie den Verdacht zu bestätigen schienen, sie gehörten zur Fünften Kolonne Moskaus. Im Falle von Dix Steele geht es (vordergründig) nicht um Politik, sondern um einen Hang zur Gewalt, weil ihm nicht kommunistische Subversion vorgeworfen wird, sondern ein Mord. Drei Wochen nach dem Tod von Mildred Atkinson lässt Lochner Laurel zu sich kommen, um ihr das belastende Material zu zeigen, das er gegen Dix gesammelt hat: „Prügeleien, Skandale, Zerstörung. Das alles läuft auf dasselbe hinaus - auf einen unberechenbaren, gewalttätigen Menschen.“
In a Lonely Place
Laurel glaubt nicht, dass die Informationen in einer Polizeiakte Dix zum Mörder machen, aber Zweifel an seiner Unschuld sind geweckt. Lochners Insistieren hinterlässt bei Laurel genauso Spuren wie bei Dix. Einmal sitzen die beiden mit anderen Gästen am Flügel einer Pianobar. Der Klavierdeckel dient zum Abstellen der Gläser. Die Jazzpianistin Hadda Brooks (▻https://www.theguardian.com/news/2003/feb/04/guardianobituaries.artsobituaries), die „Königin des Boogie“, singt einen Blues: I Hadn’t Anyone Till You (▻https://www.youtube.com/watch?v=xpPoBroNGdM
). Ray erlaubt sich eine schöne, für einen 1949 gedrehten Film geradezu revolutionäre Geste, die man erst richtig würdigen kann, wenn man weiß, dass die gewichtigste Währung des Hollywoodkinos die Einstellungsgröße war.In a Lonely Place
Das Grundprinzip ist simpel. Umso größer der Star, desto näher kommt die Kamera und desto länger verweilt sie. Ray spendiert Hadda Brooks drei Nahaufnahmen. Eine davon dauert sehr lange 25 Sekunden. Damit begeht Ray einen doppelten Regelverstoß, weil er durch die Wahl der Einstellungsgröße nicht nur eine Nebendarstellerin in den Kreis der Privilegierten holt, sondern eine Afroamerikanerin. Schwarze wurden damals mit dienenden Rollen abgespeist und hatten keine Einstellung für sich allein zu beanspruchen, mit weißen Statisten im Hintergrund.
Bei der Kinoauswertung im Jahre 1950 müsste das viel stärker gewirkt haben als heute. Inzwischen haben sich die mit Weltanschauung und Ideologie verbundenen Sehgewohnheiten geändert und die Nahaufnahmen fallen nicht mehr so auf. Wir wollen hoffen, dass es so bleibt. Für die „Let’s Make America White Again“-Anhänger sei angemerkt, dass Hadda Brooks’ Biographie als Beleg für die Legitimität der Präsidentschaft des 1961 in Honolulu geborenen Barack Obama dienen kann. Hadda sang 1959 bei der Feier zur Aufnahme von Hawaii in die Vereinigten Staaten von Amerika. Obama kam doch in den USA zur Welt, auch wenn sein Nachfolger jahrelang etwas anderes insinuierte.
Paranoia
An Hadda Brooks’ Klavier sehen wir das Glück eines frisch verliebten Paares. Dix zündet für sich und Laurel eine Zigarette an, die beiden strahlen sich an und flüstern sich ins Ohr. In einer Schuss-Gegenschuss-Montage singt die Pianistin die das Glück des Paares kommentierende Ballade dazu: „I used to lie awake/And wonder/If there could ever be/Someone in this wide, wide world/Just made for me/Now I see/I had to save my love/For you.“ Dann schlägt der Moment der gelassenen Heiterkeit urplötzlich in sein Gegenteil um. Ray hat dafür eine für Hollywood-Verhältnisse bizarre Großaufnahme gewählt.
In a Lonely Place
Die Einstellung löst Laurel und Dix aus ihrer Umgebung heraus als gäbe es nur noch diese beiden in der weiten, weiten Welt, die durch ihre Liebe von einem einsamen zu einem heimeligen Ort der Geborgenheit geworden ist. „Fehlt dir etwas zum Glücklichsein?“, fragt Dix. Laurel flüstert ihm ins Ohr: „Ich will keinen außer dir.“ Dann spannt sich ihr Körper an, sie hebt den Kopf und blickt ins Off. „Was macht er hier?“, fragt sie. Dix dreht sich um, sein Blick folgt dem Laurels und er sieht Barton, einen Detektiv aus der Abteilung von Captain Lochner. Der Moment des unbeschwerten Glücks ist vorbei.
In a Lonely Place
Bis zu diesem Augenblick gab es ein unsichtbares Band zwischen dem verliebten Paar, der Sängerin und ihrem Lied. Jetzt drückt Dix so heftig seine Zigarette aus, dass die Sängerin erschrickt. Dix und Laurel verlassen das Lokal. Am Eingang müssen sie an Barton vorbei, Dix macht eine sarkastische Bemerkung: „Wir haben Ihnen schon mal zwei Plätze angewärmt. Von hier aus gehen wir ins ‚Paul’s’. Ich tue gern alles, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern.“ Das ist wieder eine dieser vielschichtigen Szenen, die den Film so wirkungsvoll machen. „Greifbar gemachter Verdacht“, schrieb Ray in sein Drehbuchexemplar.
In a Lonely Place
Einerseits ist Dix paranoid. Barton spioniert ihm nicht nach, er und seine Frau wollten den Abend zufällig in derselben Pianobar verbringen. Andererseits war Laurel in der Szene davor im Büro von Captain Lochner, der versuchte, sie von Dix’ Schuld zu überzeugen. Dix ist noch immer der Hauptverdächtige, die Polizei ermittelt weiter gegen ihn, wovon Dix aber nichts weiß, weil Laurel ihm nichts davon gesagt hat, um ihn nicht aufzuregen. Man könnte sagen, dass sie Dix damit hintergeht, und genau so wird Dix es empfinden, wenn es herauskommt. Einstweilen verlässt er das Lokal als der unbeherrschte Mensch, den Lochner in seinem Szenario braucht.
Aber ist er deshalb auch der Mörder von Mildred Atkinson? Und welche Rolle spielt die Polizei dabei? Wie verändert sich Dix’ Verhalten unter dem Druck, den Lochner auf ihn und Laurel ausübt? In Hollywood ging jedenfalls die Angst um, als Ray den Film drehte. Man wusste nicht mehr genau, wem man trauen konnte und wem nicht. In den zwei Jahren seit den ersten Anhörungen, schreibt Eisenschitz in seiner Ray-Biographie, „hatte kein anderer Film die Atmosphäre so präzise eingefangen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass In a Lonely Place von Filmemachern wie Abraham Polonsky, Samuel Fuller oder Anthony Mann, für die der [kommerzielle] Erfolg nicht das einzige Kriterium war, so bewundert wurde.“
Bewusstseinsmassage
Von der Pianobar, in der Hadda Brooks weiter ihr Lied singt, bringt uns eine Überblendung in Laurels Wohnung. Laurel liegt auf einer Massagebank. Früher, als Starlet, hat sie in ein paar B-Filmen mitgespielt. Jetzt türmt sich der Körper von Martha hinter ihr auf, der massig ist und zugleich zu schweben scheint wie der Geist aus der Flasche. Die Masseuse, heißt es einmal, sei das einzige, was von Laurels Hollywoodkarriere übrig sei. Die aus Untersicht aufgenommene Szene könnte aus einem Horrorfilm sein, oder aus der Waschmittelreklame, wo das gute Lenor-Gewissen zur Hausfrau mit der kratzigen Wäsche spricht.
In a Lonely Place
In dieser außergewöhnlichen Szene wird Martha zur Verkörperung von Laurels Unbewusstem, oder zu einer von zwei Seelen in ihrer Brust, die miteinander im Wettstreit liegen. „Du musst an dich selber denken“, sagt Martha. „Ich bin noch nie im Leben glücklicher gewesen“, antwortet Laurel, die früher die Mätresse des Immobilientycoons Baker war. Martha ist anderer Meinung. Laurel hätte bei Mr. Baker bleiben sollen, sagt sie, in seinem Haus mit dem schönen Pool, den er extra für sie gebaut hat. Mr. Baker sei ein guter Geschäftsmann, der sie heiraten wolle und ihr Sicherheit bieten könne.
In a Lonely Place
„Und vergiss nicht, mein Engel, am Anfang war das Land [mit dem Mr. Baker seine Millionen macht]“, sagt Martha mit monotoner, das Hohelied auf den Materialismus ableihernder Stimme. „Der Film kam später.“ Am Anfang war das Wort, soviel ich weiß, aber in Marthas Welt, die nach Laurel die Hand ausstreckt, ist auch das zu unkonkret, weil es da weder um Kunst noch um Spiritualität geht, sondern um materielle Werte wie Bakers Grundstücke und Häuser. Im Rahmen dieser Werteordnung lässt sich auch die Tatsache gegen Dix verwenden, dass er zur Miete wohnt.
Auslöser für das Streitgespräch zwischen Laurel und Martha (in Laurels Unbewusstem) ist der Verdacht, der um sich greift, weil Captain Lochner, als Polizist der natürliche Verbündete der Hausbesitzer, Zweifel an Dix’ Unschuld sät. „Sie wissen immer noch nicht, wer diese Garderobiere getötet hat“, sagt Martha. Inzwischen sehen wir sie und Laurel von der Seite. Die Masseuse wirkt konkreter als in der vorherigen Einstellung, und wie die weibliche Version eines Schlägers, der andere einschüchtert und ihnen droht. Marthas Sicht der Dinge ist dabei, die Oberhand zu gewinnen.
Früher habe sie sich auch um die Schauspielerin Frances Randolph gekümmert, sagt Martha, die mit Mr. Steele liiert gewesen sei, bis dieser sie verprügelt und ihr die Nase gebrochen habe. Wo der Promiklatsch aufhört und die Wahrheit anfängt bleibt ebenso offen wie die Frage, was mit „kümmern“ genau gemeint ist. Hat Martha Frances’ Körper massiert oder ihr Bewusstsein, und wie ist das mit Laurel? „Eines Tages wirst du noch herausfinden“, sagt Martha, „was dein Freund für einer ist. Ich hoffe nur, dass es dann nicht zu spät ist.“ Die Atmosphäre ist jetzt schon so bedrückend, dass es schlimmer kaum mehr sein kann.
Wütendes Eichhörnchen
Die nächste Eskalationsstufe folgt sofort. Nachdem Martha Laurel den Verdacht gegen Dix einmassiert hat treffen sich die beiden mit Brub Nicolai und seiner Frau Sylvia zu einem abendlichen Picknick am Strand. Dix und Laurel genießen wieder ihr - nun schon überschattetes - Glück (man beachte die dunklen Wolken im Hintergrund), bis Sylvia sich verplappert und ausplaudert, dass Brub Laurel noch einmal zu Lochner gebracht hat. Dix wusste davon nichts, fühlt sich von Laurel, die ihn schonen wollte, belogen und verraten. Brub hält er für einen Heuchler, der seinen Freund spielt, um ihm einen Mord anhängen zu können, den er nicht begangen hat.
In a Lonely Place
Das Picknick hat sich erledigt. Dix rast wie von Sinnen zurück in die Stadt, mit Laurel auf dem Beifahrersitz. An einer Kreuzung kommt ein Auto. Dix kann den Zusammenstoß gerade noch verhindern. Der andere Fahrer ist vor Wut ganz außer sich, weil der Lack seines Wagens ein paar Kratzer abbekommen hat. Er beschimpft Dix als „blind knuckle-headed squirrrel“, was man mit „blinder Armleuchter und Spinner“ übersetzen könnte (das Wort squirrel/Eichkätzchen kann auch einen Exzentriker bezeichnen).
In a Lonely Place
Das ist der Funke, der Dix explodieren lässt. Er prügelt auf den Mann ein, hat keine Kontrolle mehr über sich. Laurel erlebt zum ersten Mal einen seiner Wutausbrüche mit, statt nur davon zu hören. Dix hat schon einen Stein in der Hand, als sie laut schreit, dass er den Mann gleich töten wird. Das bringt ihn zur Besinnung. Die beiden setzen die Fahrt in langsamerem Tempo fort, während sich Dix’ Kontrahent den Kopf reibt. Laurel trägt dieselbe karierte Jacke wie in der Szene im Polizeirevier, in der sich durch Blickkontakt ein starkes Band zwischen ihr und Dix bildete.
In a Lonely Place
Solange sie sich in die Augen schauen können ist ihre Beziehung stabil, ihre Liebe intakt. Nach dem Streit am Strand und Dix’ Prügelei mit dem Autofahrer sitzen sie nebeneinander, die Blicke geradeaus gerichtet. Die Beziehung steuert auf eine Krise zu. Laurel hat begonnen, an Dix’ geistiger Gesundheit zu zweifeln und wird von nun an immer häufiger seinem Blick ausweichen. Dix versucht, mit der Situation umzugehen, indem er eine Verbindung zu seinem Metier herstellt, dem Filmemachen. Das tut er dauernd, weil er sich auf diesem Gebiet auskennt und hofft, eine Wirklichkeit, die in eine filmische Form gebracht ist, besser kontrollieren zu können.
In a Lonely Place
Dem Verdacht, ein Frauenmörder zu sein, begegnet er mit dem Hinweis, dass er Mildred Atkinson niemals aus einem fahrenden Auto geworfen hätte wie Zigarettenkippen, weil das seinem „künstlerischen Temperament“ widerspreche (eine tote Frau muss eine schöne Leiche abgeben, also ästhetisch ansprechend sein). Die erste Liebeserklärung, die er Laurel macht, ist wie ein Dialog aus einem seiner Drehbücher: „Als Sie auf dem Polizeirevier hereinkamen sagte ich zu mir: ‚Da ist sie. Die eine, die anders ist. Sie ist nicht kokett oder süß oder abgeschmackt. Sie ist ein guter Kumpel. Ich bin froh, dass sie auf meiner Seite ist. Sie sagt, was sie denkt und sie weiß, was sie will.’“
Mit Ausnahme des guten Kumpels, der sagt, was er denkt, weiß, was er will und dazu noch die Erotik einer Gloria Grahame ausstrahlt, listet Dix die Frauentypen auf, die man aus Filmen zur Genüge kennt. Man könnte sich eine Szene in der Casting-Agentur vorstellen. Ich habe eine Rolle für den eher schüchternen und etwas koketten Typ, sagt der Regisseur. Der Agent schaut in der Kartei nach, wer dafür in Frage kommt. In der Übersetzung gehen die drei „cs“ verloren. „She’s not coy or cute or corny“, sagt Dix im Original und genießt die Alliteration. Ein Dialog soll auch gut klingen.
Nach ihrem ersten Streit, im Auto, tauschen Laurel und Dix die Plätze. Laurel fährt und Dix zitiert einen Dialog für sein Drehbuch, der ihm durch den Kopf geht und ein Gedicht sein könnte: „I was born when she kissed me/I died when she left me/I lived a few weeks/While she loved me.“ "Ein Abschiedsgruß?", fragt Laurel. „Ich weiß nicht“, antwortet Dix. „Vielleicht. Wiederhol es für mich. Lass mich hören, wie es klingt.“ Ist das eine Art Screentest? Überlegt Dix, ob es im Drehbuch eine Rolle gibt, die ein Neustart für Laurels ins Stocken geratene Karriere sein könnte?
In a Lonely Place
Oder will er die Frau an seiner Seite, in die er sich verliebt hat, weil sie ihren eigenen Kopf hat, in eine Filmfigur verwandeln, über die er Macht ausübt, weil er der Autor ist? In dem Film, den Nicholas Ray gedreht hat, ist es immer beides und noch mehr. Dieser Film weiß längst, dass es sich bei dem Vierzeiler um einen Abschiedsgruß handelt. Das gewalttätige Verhalten, das Laurel zum ersten Mal selbst miterlebt hat, wird die Liebe der beiden zerstören. Darum wird jetzt auf die Zeitung des folgenden Tages überblendet. Aufmacher ist ein Vorfall im Straßenverkehr, bei dem ein unbekannter Angreifer John Mason, einem Footballstar der UCLA, ein blaues Auge verpasst hat.
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Wann schreit eine Frau um Hilfe?
Man kann Dix nicht vorwerfen, dass er sich nur an Schwächeren abreagiert. Humor hat er auch. Als „Joe Squirrel“ schickt er Mason 300 Dollar (200 für den Kratzer im Lack, 100 für das Veilchen), weil er wieder einmal bereut, was er getan hat. Er macht es nicht unter falschem Namen, weil er Angst vor Strafverfolgung hat, sondern weil das ein Teil seines komplexen Charakters ist. Dix ist ein extrem sensibler Mensch, der in der Öffentlichkeit den tough guy spielt wie Bogart in seinen Gangster- und Detektivfilmen, statt Leute wie den moralisierenden und selbstgerechten Captain Lochner hinter seine Fassade blicken zu lassen.
In a Lonely Place
Statt aus Drehbüchern zitiert Lochner aus Polizeiakten: „Nächster Punkt. 22. Juni, 23 Uhr. Frances Randolph schreit um Hilfe. Gibt an, dass Steele sie verprügelt hat. Streitet dann ab, ihn beschuldigt zu haben. Behauptet, gegen eine Tür gelaufen und sich so die Nase gebrochen zu haben.“ Stimmt demnach das von der Masseuse verbreitete Gerücht? Hat Dix seine frühere Freundin verprügelt und ihr ins Gesicht geschlagen? Wahrscheinlich schon. Allerdings ist das nicht nur ein Auszug aus der Wirklichkeit, sondern auch ein melodramatisches Versatzstück, bekannt aus allzu vielen Filmen.
In a Lonely Place
Eine Frau ruft um Hilfe. Wenn die Polizei kommt streitet sie ab, Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein - aus Angst vor dem Schläger, oder weil geprügelte Frauen oft in Abhängigkeit von ihren Peinigern geraten. Mag sein, dass Nick Ray seine Noch-Ehefrau Gloria Grahame nicht zuletzt deshalb als Laurel Gray besetzen wollte, weil sie auf die Rolle der auf eine beunruhigende Weise masochistischen, durch die Begegnung mit brutalen Männern angeschlagenen Sexbombe festgelegt war. Das half ihm dabei, eine ungleich subtilere Form der Anziehungskraft freizulegen und sich den Hauptfiguren so sehr zu nähern, dass es schmerzt.
Andererseits kontrastiert Ray Lochners Polizeiakte mit der Szene, in der Mildred Atkinson, das zukünftige Mordopfer, für Dix den Inhalt von Althea Bruce nacherzählt und laut „Hilfe! Hilfe!“ schreit wie die Heldin im Roman. Dix erschrickt und bittet Mildred, leiser zu sein, der Nachbarn wegen. Denkt er dabei daran, was ihm mit Fran widerfahren ist, der Schauspielerin mit der gebrochenen Nase? Ist das der Versuch des Regisseurs, die männliche Gewalt gegen Frauen, die auch die seine war (in der Ehe mit Gloria), zu relativieren, wird sie so zum Missverständnis erklärt (alles nur gespielt)? Dem Film wird man damit nicht gerecht.
In a Lonely Place
Ray will nichts beschönigen. Er warnt vielmehr davor, uns zu sehr an der Oberfläche zu orientieren und an dem, was offensichtlich zu sein scheint, weil es so gut zu einer vorher gefassten Meinung passt. Am Grund für Mildreds „Hilfe! Hilfe!“ gibt es keinen Zweifel. Wir sind dabei, wenn sie sich mit der Romanheldin identifiziert und für sie das Schreien übernimmt. Man braucht aber nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was Lochner daraus machen würde, gestützt durch seine Akten. Die Hilferufe würden dann zum Beweis für einen Mord, den Dix nicht begangen hat, auch wenn er Fran (vermutlich) die Nase gebrochen hat.
Schwarze und weiße Hüte
Vor dem Hintergrund des McCarthyismus hat das eine eminent politische Dimension. In Hollywood erfuhr man damals, wie schnell aus einem Verdacht und ein paar Indizien die Zerstörung der bürgerlichen Existenz werden konnte. Auf der Schwarzen Liste der Hexenjäger landeten Mitglieder der Kommunistischen Partei, Filmkünstler, die es früher mal gewesen waren, Anhänger der Politik von Roosevelt, auch Menschen, deren Lebensstil jemandem nicht gefiel wie der von Dixon Steele dem Chef der Mordkommission. Sogar Opfer einer Namensverwechslung waren dabei. Wehren konnten sie sich meistens nicht, weil die Anschuldigungen im Nebulösen blieben.
Selbstverständlich gab es in den USA des Kalten Krieges (so wie vorher und auch nachher) Kommunisten, kommunistische Spione und Subversive, die das Land gern in eine englischsprachige Sowjetunion verwandelt hätten. Etwas anderes anzunehmen wäre naiv und weltfremd. Aber das vereinfachende Schwarz-Weiß-Denken der Hexenjäger war seinem Wesen nach populistisch. Nach allem, was man heute weiß (und damals schon wissen konnte), wurde die Wirklichkeit von den Grautönen dominiert, in denen Rays Kameramann Burnett Guffey die Welt von In a Lonely Place einfängt.
Der Film ist so irritierend, weil er sich nicht an die Regeln hält. In Hollywood mag man klare Verhältnisse. Das Publikum soll nicht überfordert werden und hinterher auch nicht schlecht schlafen, damit es wiederkommt. Wäre In a Lonely Place ein durchschnittliches Produkt der Unterhaltungsindustrie, würde der Film am Schluss eine scharfe Grenze zwischen Gut und Böse ziehen. Dixon Steele wäre schuldig oder unschuldig, ein brutaler Mörder oder nicht. Für einen Anti-McCarthy-Film könnte das nur bedeuten, dass sich am Ende die Unschuld des von der Polizei verfolgten Helden herausstellt.
Ray war das zu einfach, weil die Wirklichkeit komplizierter war. Den Mord an Mildred begeht ihr spießiger Verlobter, und Dix ist trotzdem nicht die verfolgte Unschuld, weil er andere Leute schlägt. Der wahre Täter hat zwei Kurzauftritte, und dann erfährt man noch, dass er versucht hat, sich umzubringen. Der Film interessiert sich so wenig für die Frage nach dem Mörder, weil es schlicht nicht sein Thema ist. Das hat den - durchaus gewünschten - Nebeneffekt, dass der Ermittler und seine Methoden stärker in den Fokus geraten. Heiligt der Zweck die von Lochner angewendeten Methoden? Auf keinen Fall, sagt der Film.
Die Resultate sind desaströs. Während die Polizei dem Falschen nachstellt muss der Mörder - ein Drehbucheinfall voll bitterböser Ironie - einen Suizidversuch unternehmen, um darauf hinzuweisen, dass er auch noch da ist. Dix’ Freundschaft mit Brub, der ihn für Lochner ausspioniert hat, ist kaputt. Dix’ Beziehung mit Laurel geht in die Brüche. Daran ist Lochner nicht allein schuld, weil man immer Leute braucht, die mitmachen, doch er trägt sein Teil dazu bei.
Mich erinnert Lochner an Fred McCarty (der „Tarnung“ wegen ohne h), den falschen Sheriff in Allan Dwans Silver Lode (1954), der in die Stadt geritten kommt und einen von den Bürgern beschuldigt, dass er ein Mörder ist. Den besten Anti-McCarthy-Western drehte Ray 1954 selbst. In Johnny Guitar werden Joan Crawford und Sterling Hayden von einem Lynchmob gejagt, der die eigenen Interessen mit denen des Gemeinwesens verwechselt und ganz in Schwarz durch die Gegend reitet, weil die Jäger eine manichäische Weltsicht pflegen. Das ist Rays ironische Verbeugung vor den Western der Anfangszeit, als die Guten noch weiße und die Bösen schwarze Hüte trugen, damit das Publikum gleich wusste, woran es war.
Johnny Guitar
Wie kompliziert die Wirklichkeit mitunter ist erfuhr dagegen Humphrey Bogart. Im Oktober 1947 flogen er, Lauren Bacall, John Huston, Sterling Hayden und andere Mitglieder des Committee for the First Amendment nach Washington, um gegen die Anhörungen des Ausschusses zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten zu demonstrieren. Die Aktion erwies sich als Schlag ins Wasser, weil herauskam, dass sich unter den vorgeladenen „Hollywood Ten“ nicht nur liberale Roosevelt-Anhänger befanden, sondern auch KP-Mitglieder.
Committee for the First Amendment
Sterling Hayden musste zugeben, ebenfalls Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen zu sein, nannte schließlich die Namen ehemaliger Parteigenossen, um nicht weiter auf der Schwarzen Liste geführt zu werden und verarbeitete seine Schuldgefühle in einem sehr guten Buch, Wanderer, das nicht nur von seiner Leidenschaft für das Segeln und das Meer erzählt. Die Denunziation gehörte zum Ritual, mit dem ein reuiger Sünder seine Läuterung bewies. Wer keine Namen nennen konnte, dem wurden welche vorgeschlagen. Wichtig war das Bekenntnis, mal öffentlich und mal in geheimer Sitzung abgelegt.
Diese entwürdigenden Rituale, und die Folgen für die Beteiligten, interessieren heutige Revisionisten sehr viel weniger als die Suche nach Beweisen dafür, dass es doch eine Verschwörung massiven Ausmaßes gab und dass Joseph McCarthy demnach richtig handelte und seinerseits das Opfer einer von Moskau initiierten Rufmordkampagne wurde. Nur die Frage, ob Stalin 205 kommunistische Unterwanderer ins Außenministerium geschleust hatte, 57, 81 oder vielleicht die Quersumme aus allen von McCarthy genannten Zahlen, bleibt trotz neuester Erkenntnisse der Historiker weiter unbeantwortet.
Roosevelt und andere Subversive
Bogart teilte nach der Demo in Washington mit, wie sehr er sich darüber ärgere, dass ihn die Kommunisten belogen und zum nützlichen Idioten gemacht hätten. In der Zeitschrift Photoplay erschien ein Artikel, „I’m no Communist“ , den er wohl schrieb, um seine Karriere zu retten, und auch auf Druck der Warner Bros., bei denen er noch unter Vertrag stand und die ihren größten Star nicht verlieren wollten. Man darf es als einen Akt des Widerstands werten, wenn er mit seiner eigenen Firma, der Santana Pictures, In a Lonely Place produzierte, mit Nicholas Ray als Regisseur und mit Art Smith als Darsteller von Mel Lippman, dem Agenten und treuen Freund von Dix Steele.
In a Lonely Place
Ray war per se verdächtig, weil er seine Laufbahn bei Kunstprojekten begonnen hatte, die im Rahmen des New Deal vom Staat finanziert wurden, um Arbeitslose in Lohn und Brot zu bringen und mit denen Roosevelt nach republikanischer Lesart den Kommunismus einführen wollte (mit ganz ähnlichen Argumenten bekämpfen die Republikaner jetzt Obamacare). Art Smith war eines der ersten Mitglieder des legendären Group Theatre in New York. Für diese experimentelle Bühne schrieb er in den 1930ern Agitprop-Stücke, einige davon mit Elia Kazan, dem er nach Hollywood folgte, als dieser an die Westküste übersiedelte, um A Tree Grows in Brooklyn (1945) zu drehen.
Elia Kazan
Nicht dank eines kommunistischen Netzwerks, sondern seiner schauspielerischen Qualitäten wegen wurde Art Smith einer der meistbeschäftigten Charakterdarsteller Hollywoods. Zusammen mit anderen ehemaligen Ensemblemitgliedern des im Ruch der kommunistischen Unterwanderung stehenden Group Theatre saß er im Führungsgremium des Actors’ Laboratory, einer Organisation, in der sich Schauspieler mit dem Ziel zusammengeschlossen hatten, ihr Wissen an junge Kollegen weiterzugeben und die Schauspielkunst zu fördern.
Jack B. Tenney
1947 geriet das Actor’s Lab ins Visier des republikanischen Politikers Jack B. Tenney, der im Senat des Bundesstaats Kalifornien dem dort gebildeten Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten leitete und eigene Vorladungen an mutmaßliche kommunistische Verschwörer verschickte, weil er nicht zurückstehen wollte, wenn seine Kollegen in Washington für die Rettung der freien westlichen Welt kämpften - und nebenbei auch für die Belange der traditionellen Verbündeten der Republikanischen Partei.
Den McCarthyismus versteht man besser, wenn man weiß, dass die Republikaner nach dem Schwarzen Freitag von 1929 viele ihrer Wähler verloren, weil sich in der großen Wirtschaftskrise der 1930er nicht mehr verbergen ließ, dass ihre für Großbanken und Konzerne gemachte Wirtschaftspolitik gescheitert war. Davon profitierten die Demokraten und die nicht zu den Besserverdienern gehörenden Amerikaner, weil Roosevelt in Ansätzen einen Sozialstaat einführte. Seitdem polemisieren die Republikaner gegen den künstlich aufgeblähten Staat, der die Freiheit des Individuums (das freie Unternehmertum) bedroht.
Im Nachhinein wundert man sich darüber, dass Orson Welles, John Huston, Humphrey Bogart, John Garfield und Edward G. Robinson in Verdacht geraten konnten, Mitglieder einer von Moskau gesteuerten Fünften Kolonne zu sein, nachdem sie Wahlkampf für FDR gemacht und sich für die Meinungsfreiheit ausgesprochen hatten (Robinson war mit Roosevelt befreundet, was gegen ihn verwendet wurde). Aus Sicht vieler McCarthyisten war das nur logisch, weil der New Deal für sie eine verkappte Form des Kommunismus war. Vom Roosevelt-Anhänger zum Staatsfeind war es da nicht mehr weit.
Über die Schädlichkeit des Tabaks
Von den revisionistischen Historikern und Wahrheitssuchern aus der rechten Ecke hätte ich gern eine Information darüber, wie viele der auf eine Schwarze Liste geratenen Menschen (die Filmkünstler in Hollywood sind ein kleiner Teil davon) jüdischer Abstammung waren. Ich weiß nur, dass es sehr viele sind. Analog zu den Homosexuellen (siehe Teil 2) waren in der Logik des McCarthyismus auch die Juden für den im Verborgenen operierenden Kommunismus prädisponiert, weil sie nicht im Kaftan unterwegs waren und Assimilation eine Form der Heimlichtuerei war. Edward G. Robinson hieß mit bürgerlichem Namen Emanuel Goldenberg, John Garfield Jacob Julius Garfinkle. Schon wieder ein Beweis.
Wer das für zu blöd hält, um es ernst zu nehmen: Senator Tenney verfasste mehrere Pamphlete über die zionistisch-kommunistische Weltverschwörung. Nicht nur von Leuten wie David Duke, dem früheren Grand Wizard des Ku Klux Klan, erhält er dafür posthumes Lob. Durch seine patriotische Arbeit in den 1940ern, lässt Duke wissen, sei Tenney zu einem der besten Kenner des zionistisch-jüdischen Netzwerks geworden. Leicht hatte es der Experte für die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung freilich nicht.
Tenneys Versuch, das Actors’ Lab als kommunistische Tarnorganisation zu entlarven, endete eher kläglich, weil sich viele Künstler öffentlich mit den Vorgeladenen solidarisierten und sich der Ausschussvorsitzende durch seine Beweisführung lächerlich machte. Ein wichtiges Glied in Tenneys Indizienkette war die Tatsache, dass die Schauspieler zwei Einakter eines russischen Dramatikers einstudiert hatten. Die Stücke hießen Der Bär und Über die Schädlichkeit des Tabaks. Der Autor war Anton Tschechow.
Mehrere in Los Angeles erscheinende Zeitungen druckten eine Annonce ab, deren Unterzeichner - 65 Künstler aus der Film- und Theaterszene - daran nichts Verwerfliches finden konnten und dazu aufforderten, Tenneys Treibjagd ein Ende zu machen. Das hatte Konsequenzen. Viele der Unterzeichner wurden von diesem oder jenem Ausschuss vorgeladen und gedrängt, Aussagen gegen einige der anderen 64 zu machen, um sich selbst zu entlasten. Art Smith und seine Mitstreiter waren ohnehin vorgemerkt, seit sie ihre Kollegen in der Filmindustrie um Unterstützung gebeten und vor Zensur gewarnt hatten, statt sich von Tenney einschüchtern zu lassen.
Clifford Odets
In a Lonely Place versteht man besser, wenn man weiß, was später dem kleinen Mann mit Hut und Brille widerfuhr, der immer zur Stelle ist, wenn Dix Steele einen Freund braucht. Zweieinhalb Jahre nach den Dreharbeiten wurde Art Smith von zwei früheren Weggefährten als Mitglied einer kommunistischen Zelle innerhalb des Group Theatre genannt - zuerst von Elia Kazan, dann von Clifford Odets. Die Filmkarriere von Art Smith war damit vorbei. Offenbar war er nicht bereit, sich ebenfalls freizukaufen, indem er Namen nannte oder sich entsprechende Vorschläge unterbreiten ließ.
Das Haus, in dem Sinatra wohnt
Senator Tenney hatte nicht mit so viel Widerstand gerechnet, als er den gesamten Vorstand des Actors’ Lab vorladen ließ und suchte sich andere Opfer. Auf seiner berüchtigten „pink list“ mit Unterstützern des Kommunismus stand beispielsweise Thomas Mann. Einer von Tenneys Lieblingsfeinden war Frank Sinatra, der regelmäßig vor Jugendlichen auftrat, um für einen Abbau der religiösen und ethnischen Diskriminierung zu werben. 1947 intensivierte der Senator seine Untersuchungen, bei welchen Organisationen Sinatra aufgetreten war und ob es Verbindungen nach Moskau geben könnte.
Sinatra war verdächtig, seit er - meistens an der Seite von Orson Welles - Wahlkampf für Franklin D. Roosevelt gemacht hatte, der sich 1944 um eine vierte Amtszeit bewarb. Im November 1945 zog sich Sinatra den Zorn rechtschaffener weißer Patrioten zu, als er auf Einladung einer Gruppe engagierter Bürger nach Gary, Indiana reiste. Das fand landesweite Beachtung, weil Sinatra der größte Popstar der USA war. Der Anlass der Reise: Weiße Schüler der Froebel High School weigerten sich, das Gebäude zu betreten, weil nun auch schwarze Kinder am Unterricht teilnehmen durften.
Für „The Voice“, den Schwarm aller Teenager, machten sie eine Ausnahme. Sinatra erzählte von der Diskriminierung, die er als Kind italienischer Einwanderer erfahren hatte, forderte zu Toleranz auf und sagte den Schülern, dass sie stolz auf ihre Heimatstadt sein dürften, dies jedoch nur, wenn der Schulstreik beendet werde (der Streik ging weiter, wurde aber wenigstens nicht ausgeweitet). Presseberichten zufolge herrschte betretenes Schweigen, als Sinatra The House I Live In sang, das Lied aus dem Kurzfilm mit demselben Titel, der 1945 Furore machte.
Sinatra spielt sich in dem Film selbst und redet einer Gruppe von Kindern ins Gewissen, die einen kleinen Jungen drangsalieren, weil er Jude ist. Er fragt sie, ob sie Nazis sein oder sich von Demagogen für dumm verkaufen lassen wollen, erklärt die religiöse und ethnische Vielfalt zur besonderen Stärke der USA und singt das Lied über das Haus (Amerika), in dem er leben möchte. Am Ende nehmen die Kinder den jüdischen Jungen in ihren Kreis auf. Das gefiel nicht allen. Die Akte, die Hoovers FBI über Sinatra führte, wurde immer dicker.
Es gab Spekulationen, ob Sinatras Mutter eine „Halbjüdin“ sein könnte und die für den aufkommenden McCarthyismus typische Kriminalisierungsstrategie. Die Skandalpresse grub eine alte Geschichte von 1938 aus (und das zugehörige Verbrecherphoto), als Sinatra festgenommen worden war, weil ihn eine junge Frau beschuldigt hatte, ihr die Ehe versprochen und sie so verführt zu haben. Unabhängig davon, ob das so gewesen war oder nicht: Den Bewahrern eines weißen und protestantischen Amerika war Sinatra ein Dorn im Auge. Weil Feindbilder austauschbar sind warfen ihm die einen vor, ein Kommunist zu sein; andere warnten davor, wie leicht ein Star wie Sinatra, der Teenager scharenweise zum Kreischen brachte, ein neuer Hitler werden könnte.
Frank Sinatra
Der Knick, den Sinatras Karriere in der McCarthy-Ära erlitt, wird meistens mit dem Imageschaden durch seine Mafiakontakte und dem offen zur Schau gestellten Ehebruch mit Ava Gardner erklärt, oder auch damit, dass er die spießigen Popsongs nicht singen wollte, die in einem spießigen Amerika in Mode kamen. Es gab noch andere Gründe. The House I Live In spielte dabei eine gewichtige Rolle. Der 1946 mit einem Ehrenoscar prämierte Film wurde innerhalb weniger Jahre zum kommunistischen Propagandastreifen umgedeutet.
Das Drehbuch hatte Albert Maltz verfasst, einer der Hollywood Ten. Das von Sinatra gesungene Lied verwandelte sich vom landesweiten Hit in einen „Beweis“ für die Ruchlosigkeit von Stalins Kohorten, die versuchten, Amerikas Jugend zu indoktrinieren. Die Musik hatte Earl Robinson komponiert. Der Folksänger war in den 1930ern wie viele andere Mitglied der KP, schrieb Wahlkampflieder für FDR und wurde 1940 Filmkomponist in Hollywood, wo ihn die McCarthyisten auf die Schwarze Liste setzten, ebenso wie Maltz und Albert Smith.
Der Text zum Lied war von Abel Meeropol (Künstlername: Lewis Allan), zeitweise KP-Mitglied und ohnehin verdächtig, weil er den durch die Interpretation von Billie Holiday berühmt gewordenen Anti-Lynch-Song Strange Fruit geschrieben hatte. Im paranoiden Klima der McCarthy-Ära reichte das aus, um auch Frank Sinatra zum Kommunisten zu machen. Als ihn ein Reporter nach seiner angeblichen Nähe zu Moskau fragte verprügelte er den Mann, ganz in der Manier des von seinem Freund Humphrey Bogart gespielten Dixon Steele. Später sang Sinatra „The House I Live In“ für Ronald Reagan und für Richard M. Nixon, der als junger Abgeordneter Mitglied im HUAC war und seine Karriere in Schwung brachte, indem er kommunistisch-homosexuelle Umtriebe aufdeckte.
Schwarze Nachbarn
Einen Wutanfall hatte auch Abel Meeropol, als er den Film sah und feststellte, dass im Lied einige für ihn unverzichtbare Zeilen fehlten: „The house I live in/My neighbors white and black/The people who just came here/Or from generations back.“ Die erst kürzlich ins Land gekommenen Einwanderer und die schwarzen Nachbarn der weißen Amerikaner waren den Produzenten zu heikel gewesen. In der Version, die Paul Robeson (▻https://www.youtube.com/watch?v=U3syulBjkng
) 1947 aufnahm, sind sie wieder drin. 1961 sang Sinatra das nun erneut zur patriotischen Hymne gewordene Lied bei der von ihm organisierten Feier zur Amtseinführung von John F. Kennedy. Zuvor musste er auf Wunsch des Präsidenten seinen Freund Sammy Davis Jr. wieder ausladen.Sammy Davis Jr. beim March on Washington 1963
Kennedy wollte Sammy Davis nicht dabeihaben, weil der Sänger seit 1960 mit May Britt verheiratet war. Ehen von Partnern mit verschiedener Hautfarbe waren in 31 von 50 Bundesstaaten verboten. Der Oberste Gerichtshof befand erst 1967, dass diese Gesetze verfassungswidrig seien. Es gibt Konservative in den USA, die das gerne rückgängig machen würden. Das Versprechen der Kandidaten, frei werdende Plätze im Supreme Court im Sinne bestimmter Gruppen zu besetzen, wird in amerikanischen Wahlkämpfen immer wichtiger. Es hat sich herumgesprochen, dass man die Gesellschaft von dort aus nachhaltig verändern kann.
May Britt
Sammy Davis zog sich schon vor seiner Skandalehe mit der blonden Schwedin den Hass der Rassisten zu. Der Grund war eine Affäre mit Kim Novak, die er 1957 im Haus von Tony Curtis kennenlernte. Novak stand in diesem Herbst für den Film vor der Kamera, den man heute am meisten mit ihr assoziiert: Vertigo, eine Produktion der Paramount. Hitchcock hatte sie von Harry Cohns Columbia ausgeliehen. Für Cohn ging es um viel Geld. Er befürchtete, dass sich die Affäre negativ auf die Zuschauerzahlen bei Filmen mit seinem neuen Star auswirken würde. Also schaltete er einen befreundeten Mafioso ein. Die Mafia überzeugte Sammy, dass es günstiger sei, sich von Kim zu trennen.
Kim Novak in Vertigo
Das war noch nicht alles. Die Affäre erregte die Skandalpresse genauso wie die Leitartikler seriöser Blätter. Auch der Pittsburgh Courier, die auflagenstärkste schwarze Wochenzeitung, war wenig angetan und richtete mahnende Worte an den Entertainer. Um die Wogen zu glätten wurde Sammy Davis gezwungen, eine Scheinehe mit Loray White einzugehen, die man vorher als nubische Sklavin in Cecil B. DeMilles The Ten Commandments hatte sehen können. Die Ordnung war damit wiederhergestellt. Evelyn Cunningham, eine Ikone des schwarzen Journalismus, war eine der ersten, die Sammy zu der Ehe mit der Tänzerin gratulierte.
Sammy Davis Jr. mit Loray White
Was klingt wie eine Räuberpistole hat sich nach allem, was man heute weiß, so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen. Man vergisst leicht, was das für eine Zeit war, in die uns die Rechtspopulisten unserer Tage zurückführen wollen, weil damals alles so viel besser war. Obamas alter Wahlkampfslogan „Yes, We Can“ ist übrigens eine Anleihe bei der 1965 erschienenen Autobiographie von Sammy Davis, die Yes, I Can heißt und ein Bestseller war. Scheitern kann man aber auch, am Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft beispielsweise.
Buchcover: Yes I Can, Sammy Davies Junior
Im Show Business war die Rassentrennung ein ehernes Gesetz. Auch davon hätte Frank Sinatra ein Lied singen können. Weiße Rassisten verdächtigten ihn der Subversion, weil er darauf bestand, mit Künstlern wie Duke Ellington, Ella Fitzgerald oder Sammy Davis aufzutreten, und mit „integrierten“ Orchestern, also solchen, in denen schwarze und weiße Musiker gemeinsam Musik machten. Das war die Zeit, als integrierte Orchester in den Südstaaten boykottiert wurden, nur durch Tricks eine Übernachtungsmöglichkeit in den örtlichen Hotels fanden und mit der Intervention des Sheriffs rechnen mussten, wenn sie nicht akzeptieren wollten, dass das schwarze und das weiße Publikum in getrennten Bereichen saß.
Kein Produzent verliert gern einen Markt. Die Boykottgefahr in den südlichen Bundesstaaten hatte darum auch Auswirkungen auf die in Hollywood gedrehten Filme. Hadda Brooks’ Auftritt in In a Lonely Place sieht man anders, wenn man das weiß. Schauen wir uns die Szene also noch einmal an. Durch die Inszenierung wird das Klavier (die Musik) zum Instrument bei der Aufhebung der Rassentrennung. Am einen Ende sitzt die Sängerin, am anderen das verliebte Paar. Die Schuss-Gegenschuss-Montage betont die durch Blickkontakt hergestellte Verbindung zwischen Hadda Brooks auf der einen, Humphrey Bogart und Gloria Grahame auf der anderen Seite.
In a Lonely Place
Rund um das Klavier bilden die weißen Zuhörer einen Kreis, zu dem auch die schwarze Sängerin gehört und der ohne sie keinen Sinn ergibt. Wer setzt sich mit seinem Drink an ein verwaistes Piano, auf dem niemand spielt? Dann wird die Harmonie gestört, weil Barton und seine Frau den Raum betreten. Dix ist wütend, fühlt sich überwacht und verlässt mit Laurel das Lokal. Die Bartons nehmen die frei gewordenen Plätze ein, komplettieren den durch den Abgang von Dix und Laurel unterbrochenen Kreis. Dadurch ist der alte Zustand wiederhergestellt und doch eine neue Situation entstanden. Mit Barton sitzt jetzt ein Polizist im Kreis, der scheinbar auch ein Privatleben hat.
In a Lonely Place
Doch am Ende der vorherigen Szene haben wir ihn im Büro des reaktionären, mit Schnüffelmethoden arbeitenden Captain Lochner gesehen. Das ist Nicholas Ray, der Meister der Ambivalenz, in Bestform. Die Polizei von Los Angeles war eine jener Behörden, die sich als Frontkämpfer gegen all das stilisierten, was in den Nachkriegsjahren zur Obsession wurde und dem weißen Amerika am meisten Angst machte: Sex, Rasse, Kommunismus, Homosexualität, Mischehen (eine geeignetere Übersetzung als das Naziwort ist mir für miscegenation nicht eingefallen, die Vermischung der Rassen durch Heirat sowie sexuelle und andere, Schranken überwindende Beziehungen).
Ich übernehme hier die Aufzählung von Sam Kashner, der für Vanity Fair einen lesenswerten Artikel über die Davis-Novak-Affäre geschrieben hat, „The Color of Love“. Die Grenzen zwischen diesen mit Ängsten und Phantasien ausgefüllten Obsessionen waren fließend. Bei der Lektüre von Websites wie Breitbart News vermittelt sich einem der Eindruck, dass das noch immer so ist, oder schon wieder.
Männer schlagen …
In seinem Artikel „I’m No Communist“ vergleicht sich Bogart mit einem Mann, der sich gegen den Verdacht wehren muss, dass er seine Frau verprügelt, obwohl er es nicht getan hat. Fast könnte man meinen, dass In a Lonely Place diese Idee aufnimmt, eine Filmhandlung daraus macht und die Gewalt in der Vielzahl ihrer Facetten verhandelt, weil es eine klare Trennung zwischen Gut und Böse so wenig gibt wie die zwischen amerikanischem Patriotismus und unamerikanischen Aktivitäten.
Nach der Auseinandersetzung mit dem Footballstar behauptet Dix, dass er schon hundert solcher Prügeleien gehabt habe und immer im Recht gewesen sei. Die Zahl ist sicher übertrieben. Über den Rest lässt sich zumindest diskutieren. In alten Polizeiakten, denen des FBI über Sinatra oder Orson Welles beispielsweise, finden sich erstaunlich viele Klatschberichte aus der Zeitung. Wenn ein Artikel über das mutmaßliche Fehlverhalten eines Stars zu polizeilichen Ermittlungen führte wurde das als Bestätigung dafür gewertet, dass etwas dran war an dem Gerücht. Falls trotzdem stimmt, was in Lochners Dossier über Dix Steele steht, dass er nämlich einem Produzenten den Kiefer gebrochen hat, dürfte es sich dabei um künstlerische Differenzen gehandelt haben.
Ohne der Gewalt das Wort reden zu wollen: Ich würde mildernde Umstände geltend machen. Durch nichts zu rechtfertigen ist hingegen, dass Dix seiner Ex-Freundin Fran (mutmaßlich) die Nase gebrochen hat. Und doch erleben wir Fran in einer Schlüsselszene in Dix’ Stammlokal als eine intrigante Person, die genau weiß, wie man die Giftspritze einsetzen muss, um maximalen Schaden anzurichten. Ihre Nase ist so intakt wie ihre Karriere (der Produzent hat ihr die Hauptrolle in der Verfilmung von Althea Bruce angeboten). Von Dix’ neuem Liebesglück ist nicht mehr viel übrig, wenn Fran abgeht.
In a Lonely Place
Es fällt doch auf, dass Ray keine Gelegenheit auslässt, die Frage nach Gewalt und Schuld komplizierter zu machen als sie sein müsste, wenn es nur darum ginge, eine Geschichte mit klarer Rollenverteilung zu erzählen. Natürlich ist es verwerflich, einem Footballstar das Auge blau zu schlagen. Aber das ist auch ein Typ, der sich nach einem Beinahe-Zusammenstoß mehr für den Lack seines Autos interessiert als dafür, ob Menschen zuschaden gekommen sind und der losbrüllt, weil seine Karre einen Kratzer abbekommen hat.
In a Lonely Place
Sogar einen präpotenten Produzenten sollte man nicht zu Boden schlagen wie Dix es zu Beginn mit Junior macht, dem arroganten Schwiegersohn. Aber er tut es, nachdem Junior seinen Freund Charlie öffentlich gedemütigt und seine Zigarrenasche in Charlies Glas getippt hat. Das kann man leicht übersehen, und wer achtet schon auf einen alten Säufer, der früher mal ein Star war? Dix registriert genau, wie Junior seine Verachtung einem Erfolglosen gegenüber zeigt, verliert die Beherrschung und schlägt den Angeber nieder. Das ist verwerflich und doch gut nachvollziehbar.
… und Frauen würgen
Einmal ist Dix bei Brub Nicolai zum Abendessen eingeladen. Brub und seine Frau Sylvia haben das, wovon Gloria Grahame und Nicholas Ray träumten, als sie heirateten und wofür sie gänzlich ungeeignet waren: ein Häuschen und eine gesicherte bürgerliche Existenz. Dix und Brub, die beiden Kriegskameraden, unterhalten sich über den Mord an Mildred Atkinson. Mit Brub als Täter und Sylvia als Opfer will Dix nachspielen, wie er sich den Mord vorstellt. Im Stile eines Regisseurs, der die Darsteller durch eine Szene führt, gibt er Brub Anweisungen: „Du steuerst das Auto und du würgst sie. Du siehst nicht ihre aus den Höhlen tretenden Augen oder ihre herausquellende Zunge.“
In a Lonely Place
Es ist einer der wenigen Momente, in denen Ray und sein Kameramann Burnett Guffey der expressiven, mit harten Kontrasten arbeitenden Bildgestaltung des Film noir den Vorzug gegenüber den sonst dominierenden Grautönen geben. Dix’ Gesicht ist im Halbschatten. Er könnte ein Schurke aus einem expressionistischen Stummfilm sein, oder ein Verwandter von David Corvo, dem Hypnotiseur in Otto Premingers Whirlpool (1949). Die Ausleuchtung hebt Dix’ Augen und den Mund hervor, aus dem seine Anweisungen kommen: „Weiter. Weiter, Brub. Drück stärker zu. … Du drückst stärker zu. Stärker.“
In a Lonely Place
„Es ist wunderbar zu spüren, wie ihre Kehle unter deinem Arm eingedrückt wird“, sagt er in unverkennbarer Erregung. Dann hören wir plötzlich ein „Hör auf, Brub!“ von Sylvia, die sich aus Brubs Arm befreit, weil sie keine Luft mehr kriegt. Brub ist erschrocken. Dix wirkt auf eine sinistre Art zufrieden mit sich und seinem Versuch, den Mord nachzustellen. Mit solchen Sachen kenne er sich aus, sagt er: „Ich habe Dutzende von Morden begangen - in Filmen.“ Sylvia dagegen hat im College einen Kurs in abnormer Psychologie belegt. „Er ist krank“, kommentiert sie, nachdem der unheimliche Gast gegangen ist. „Etwas stimmt nicht mit ihm.“
In a Lonely Place
Das kann schon sein. Aber was ist dann mit Brub? Hat Sylvia vergessen, dass es ihr Ehemann war, der ihr beinahe die Luftröhre eingedrückt hätte, weil er sich mindestens so sehr in die Szene hineinsteigerte wi