Bolt setzt auf Berlin – Expansion trotz Taxi-Protest geplant
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Komisch, wie sich Halb- und Unwahrheiten in der öffentlichen Wahrnehmung halten.
1.7.2025 von Peter Neumann - Die Taxibranche fordert höhere Fahrpreise für die Konkurrenz. Christoph Hahn von Bolt erklärt, warum er das für Unsinn hält. Er kündigt eine Expansion an.
Wenn an diesem Mittwoch mehr Taxis als sonst unterwegs sind, hat das einen Grund. Mit einem nationalen Aktionstag demonstrieren Taxibetreiber dafür, dass ihre Konkurrenz dazu gezwungen wird, die Fahrpreise zu erhöhen. Eines der Unternehmen, das sie im Visier haben, sieht die Aktionen für Mindesttarife im Mietwagenverkehr mit Unverständnis. „Wir können den Protest am 2. Juli nicht nachvollziehen“, sagt Christoph Hahn, neuer Geschäftsführer für Ride-Hailing bei Bolt. Er erklärt, welche Pläne der Mobilitätsdienstleister hat – für Berlin und andere Städte in Deutschland.
Ride-Hailing: Das ist der Begriff für einen Vorgang, der tagtäglich vielerorts stattfindet. Menschen, die von A nach B wollen, zücken ihr Mobiltelefon und bestellen per App einen Wagen. Der Plattformbetreiber gibt die Aufträge an Partnerunternehmen weiter, die Autos mit Fahrer schicken. Mit solchen Fahrzeugen, die juristisch als Mietwagen klassifiziert werden, geht es ans Ziel – meist zu einem Preis, der unter dem festgelegten Taxitarif liegt. Für die Vermittlung berechnet der App-Betreiber eine Provision.
Ride-Hailing: Dieser Geschäftsbereich steuert bei Bolt in Deutschland rund 85 Prozent der Umsätze bei. Die Nachfrage ist groß, und sie steigt, sagt Christoph Hahn.
„In Deutschland bieten wir in Berlin und in sechs weiteren Städten Ride-Hailing an“, sagt der 48 Jahre alte Berliner, der in Steglitz aufgewachsen ist. „Doch dabei wird es nicht bleiben. Wir wollen im großen Maßstab wachsen – auch in Berlin. Das betrifft sowohl die Zahl der Fahrzeuge als auch die Zahl der Städte, in denen Bolt vertreten ist. Wir wollen auch neue Geschäftsbereiche erschließen wie Krankenfahrten, und auch wir möchten unseren weiblichen Fahrgästen die Möglichkeit geben, Fahrten mit Fahrerinnen zu buchen.“ Die Expansion soll im zweiten Halbjahr 2025 sichtbar werden.
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Christoph Hahn ist bei Bolt neuer Geschäftsführer für das Ride-Hailing in Deutschland. Von seinem Büro im 15. Obergeschoss in der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte hat er einen guten Blick auf Berlin. Peter Neumann/Berliner Zeitung
„Ich freue mich darauf, Bolt Deutschland in eine neue Phase zu führen“
Christoph Hahn blickt auf zwei Jahrzehnte Berufserfahrung zurück. PwC, Enpal, Lieferando: Das sind Unternehmen, in denen er als Leiter tätig war. Hahn verfügt über „umfassende Führungserfahrung in dynamischen und regulierten Märkten“, lobt sein neuer Arbeitgeber Bolt. Diese Charakterisierung trifft auch auf das Ride-Hailing-Geschäft zu, das Hahn nun weiter entwickelt und ausbaut. Für viele, nicht nur junge Menschen gehört es zum Way of Life, ihre Mobilität in der Stadt per Handy zu organisieren. Gleichzeitig setzen sich die Taxibranche und manche Politiker dafür ein, dass Mobilitätsdienstleister wie Bolt, Uber und Bliq stärker eingehegt werden.
Wir mögen Taxis. Wir arbeiten gern mit Taxiunternehmen zusammen. Christoph Hahn, Bolt Deutschland
„Ich freue mich darauf, Bolt Deutschland in eine neue Phase zu führen“, sagt Christoph Hahn. „Dabei geht es um ein ausgewogenes Verhältnis von Wachstum, Servicequalität und partnerschaftlichem Austausch mit Städten und Behörden. So schaffen wir Mobilitätsangebote, die zuverlässig und langfristig tragfähig sind.“
Schon bald soll es in weiteren deutschen Städten Ride-Hailing geben, kündigt der neue Geschäftsführer an. Doch klar sei auch, dass an bestehenden Standorten die Zahl der vermittelbaren Fahrzeuge weiter wachsen soll. „Die Nachfrage in Berlin ist riesengroß, deshalb muss die Flotte auch hier rasch größer werden“, kündigt Hahn an.
In Berlin prüft die Senatsverwaltung Mindesttarife – schon seit Jahren
Dass immer wieder versucht wird, Gräben zwischen Taxi- und Plattformbetreibern zu ziehen, kann er nicht verstehen. „Wir mögen Taxis. Wir arbeiten gern mit Taxiunternehmen zusammen, und wir haben den Eindruck, dass die Sympathie gegenseitig ist“, berichtet er. „Die Unternehmen kommen freiwillig zu uns. Derzeit kooperiert Bolt in Deutschland mit den Betreibern von rund 9000 Taxis. Allein in Berlin hat Bolt circa 3500 Taxis im Angebot. Die Fahrgäste honorieren unsere Zusammenarbeit mit der Taxibranche. Die Zahl der Taxifahrten, die wir vermitteln, steigt rasant.“
Wie berichtet gibt das Personenbeförderungsgesetz Städten und Landkreisen seit 2021 die Möglichkeit, Mindesttarife für Mietwagen festzulegen. In Lörrach gibt es sie bereits, die Stadt Leipzig hat zwei Anläufe genommen. In Berlin lässt die Verwaltung von Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) prüfen, ob und in welcher Form es solche Preisuntergrenzen geben könnte. Doch die Untersuchungen gehen schon in ihr viertes Jahr – obwohl die Taxibranche wie am 2. Juli wieder ein zügiges Handeln fordert.
„Ganz ehrlich: Mindesttarife sind Unsinn. Sie bewirken, dass Kunden mehr Geld für ihre Fahrten zahlen müssen“, erklärt Hahn. „Mindestbeförderungsentgelte für den Mietwagenverkehr werden in Berlin und anderen großen Städten dazu führen, dass Menschen wieder häufiger das Auto nutzen. Dagegen gibt es keine Belege dafür, dass sie der Taxibranche helfen, aus dem Tal zu kommen. Dieser Wirtschaftszweig leidet unter strukturellen Problemen, die lange vor dem Markteinstieg von Bolt sichtbar wurden und an denen Mindesttarife nichts ändern können.“
Dass sich die Senatsverwaltung schon so lange mit dem Thema befasst, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, deuten Beobachter als Unsicherheit. Christoph Hahn formuliert es so: „Das Zögern der Verwaltung in Berlin zeigt, dass man auch dort Probleme sieht. Wir gehen nicht davon aus, dass Berlin in absehbarer Zeit Mindestfahrpreise im Mietwagenverkehr einführen wird. Sollte es wider Erwarten trotzdem dazu kommen, wird sich Bolt die Verfügung genau anschauen“, sagt der Bolt-Manager.
Mindesttarife wären für alle, die sich für einen ausgewogenen, klimafreundlichen Mobilitätsmix in großen Städten einsetzen, eine schlechte Nachricht, meint er. „Sicher gibt es auch andere Faktoren. Doch es stimmt, wenn man sagt, dass Unternehmen wie wir mit unseren Mobilitätsangeboten dazu beigetragen haben, dass die Pkw-Dichte in Berlin deutlich niedriger ist als anderswo“, stellt Hahn fest. „Klar ist: Städte, die Mindesttarife einführen, sind für eine Expansion weniger attraktiv als andere.“
Verstoßen die Partnerunternehmen im Umland gegen das Gesetz?
In Berlin hat die Verwaltung auf Kritik der Taxibranche und Politikern wie dem SPD-Abgeordneten Tino Schopf reagiert. Folge ist, dass das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) restriktiver als früher vorgeht. Anträge auf Mietwagenkonzessionen werden intensiver geprüft und nicht selten abgelehnt. Mietwagenbetreiber müssen öfter als bisher mit Überprüfungen rechnen. Unternehmen reagieren darauf, indem sie ins Berliner Umland ausweichen und von dort Autos schicken – was wiederum die Taxibranche argwöhnen lässt, dass gegen die im Personenbeförderungsgesetz festgelegte Rückkehrpflicht verstoßen wird.
Sie sieht vor, dass Mietwagen nach jeder Fahrt zum Betriebssitz zurückkehren müssen, sofern kein neuer Auftrag vorliegt. Doch bei Bolt geht man nicht von Verstößen aus. „Die Nachfrage ist so groß, dass auch die Fahrzeuge aus dem Umland in der Regel unmittelbar nach jeder Fahrt einen weiteren Fahrtauftrag ausführen“, erklärt Christoph Hahn. „Das zeigen unsere Zahlen zur durchschnittlichen Auslastung. In Berlin sind die Autos, die für Bolt unterwegs sind, zeitlich zu 85 Prozent ausgelastet. Das heißt: Pro Stunde stehen sie im Durchschnitt acht Minuten still, 52 Minuten sind sie mit Fahrgästen in Bewegung.“
Auch Brandenburg ist für Bolt interessant
Teile von Brandenburg seien auch aus einem anderen Grund im Fokus: „Dünn besiedelte ländliche Gegenden sind für Unternehmen wie uns nicht interessant. Im Berliner Umland und in größeren Brandenburger Städten wie Potsdam, Cottbus oder Eberswalde sieht das anders aus“, erklärt der Bolt-Manager.
Bolt hat in Deutschland nach eigenen Angaben rund 400.000 aktive Kunden. Außer Ride-Hailing bietet das Unternehmen auch Mikromobilität mit rund 60.000 Zweirädern an – E-Scooter und Fahrräder. Car-Sharing in Berlin und (mit Partnern) in anderen deutschen Städten ist ein weiterer Geschäftsbereich – insgesamt 20.000 Autos. International ist Bolt in mehr als 50 Ländern aktiv.
Die Branche wirkt so, als würde sie von US-Unternehmen dominiert, sagt Christoph Hahn. „Aber wir sind ein expandierender europäischer Mobilitätsdienstleister, und wir sind stolz darauf. Bolt wurde in der estnischen Hauptstadt Tallinn gegründet. Dort befindet sich der Hauptsitz.“









