Kennt ja jetzt schon keena mehr, liegt aber nicht an die Opa.
30.11.2024 von Susanne Lenz - Inkompetenz, Ignoranz, Lügen – all das wird Politikern der CDU vorgeworfen, wenn man nach dem drohenden Baustopp für die Komische Oper fragt.
Es geht um zehn Millionen, und das Geld ist knapp. Zehn Millionen, die über Leben und Tod eines Theaterhauses in Mitte entscheiden könnten, die Komische Oper in der Behrenstraße, die 2023 ins Schillertheater in Charlottenburg umgezogen ist. Vorübergehend, damit das Haus in Mitte saniert werden kann. Dort fiel bereits der Stuck von der Decke. Zehn Millionen aus dem Bauetat des Landes Berlin. Zehn Millionen, die der einstige Intendant der Komischen Oper Barrie Kosky als Krümel bezeichnet.
„Es sind Krümel!“ Barrie Kosky ruft diesen Satz ins Telefon. „Diese zehn Millionen Euro für die Vorbereitung des Weiterbaus sind im Drei-Milliarden Sparmaßnahmenpaket nur Krümel!“ Doch diese zehn Millionen bedeuten den Baustopp.
Nur vorläufig, nur zwei Jahre, wie der Kultursenator Joe Chialo (CDU) versichert, nachdem er sich vor ein paar Wochen noch, nach einer Premiere der Komischen Oper, für seine Ankündigung bejubeln ließ, es werde keinen Baustopp geben. Ein Versprechen, dem sich auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner anschloss. Ein Versprechen, das null und nichtig sein könnte, wenn das Abgeordnetenhaus den Sparetat bestätigt. Vor Weihnachten soll das noch passieren.
Der aus Australien kommende Barrie Kosky war zehn Jahre lang Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper, er hat das Haus weltweit noch bekannter gemacht. Unter seiner Leitung wurde es mehrfach ausgezeichnet, als Opernhaus des Jahres und mit dem International Opera Award. Bis heute ist Kosky eng mit der Komischen Oper verbunden, mit zwei Inszenierungen pro Spielzeit.
Barrie Kosky: „Ich habe noch nie so eine entsetzliche Wut gefühlt“
Wir erwischen ihn in Amsterdam, in einer Probenpause. Die Niederländische Nationaloper hat seine „Fledermaus“ von der Bayerischen Staatsoper in München übernommen, Anfang Dezember ist Premiere. Barrie Kosky ist in Rage: „Meine Grundstimmung im Moment ist brennende Wut über die dilettantische, unverantwortliche Unprofessionalität dieser Regierung. Ich habe noch nie in meinem Leben so eine entsetzliche Wut gefühlt, und ich mag dieses Gefühl nicht.“
Barrie Kosky: „Die CDU träumt schon lange davon, nur zwei Opernhäuser in Berlin zu haben.“ Paulus Ponizak/Berliner ZeiimagoDenn es geht nicht einfach um zwei Jahre, in denen die Bauarbeiten in der Behrenstraße ruhen. Seit das Gerücht mit dem Baustopp im Sommer aufkam, werden Susanne Moser und Philip Bröking, die Co-Intendanz der Komischen Oper, nicht müde zu erklären, was das Problem damit ist: Es ist die Kostenexplosion, die durch die Verzögerung verursacht wird, durch steigende Baukosten, die Kosten für die Interimslösung. „Ein Baustopp von zwei Jahren führt zu einer Verzögerung der Fertigstellung um mindestens vier Jahre! 10 Millionen Euro werden gespart, es werden Mehrkosten von etwa 250 Millionen Euro verursacht. Das ist ein Skandal!“ Man könnte es auch einen Schildbürgerstreich nennen, wird sich doch das kleine Loch, das man jetzt zu stopfen meint, in ein paar Jahren vergrößert haben. Und womöglich bedeutet es den Tod der Komischen Oper auf Raten. Denn wo soll das Geld in zwei Jahren herkommen, mit dem die inzwischen viel teurer gewordene Sanierung weitergehen kann? Und auf Dauer im Schillertheater bleiben? „Dann bluten wir aus, künstlerisch, finanziell.“ Es wäre das Ende.
Für Barrie Kosky ist die Sache glasklar: „Die CDU will die Komische Oper schließen. Das muss auf den Tisch. Sie lügen, wenn sie sagen, dass sie das Haus in der Behrenstraße erhalten wollen! Ich denke, dass der Finanzsenator Evers und auch andere in der CDU schon lange davon träumen, nur zwei Opernhäuser in Berlin zu haben. Die Deutsche Oper im Westen und die Staatsoper Unter den Linden im Osten. Und die Komische Oper wird bestraft: für ihren Erfolg, für ihre DDR-Geschichte, dafür, dass dieses kleine Haus für Diversität und Vielfalt sorgt. Dass sie jetzt sagen, die Komische Oper sei ihnen wichtig, das ist Bullshit.“
_Zwei Jahre Baustopp würden zu viel höheren Sanierungskosten führen.C ollage mit Fotos von Benjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung und Jan WindszusVor einer Woche hat sich Kosky mit einem Brandbrief an die Öffentlichkeit gewandt. Er schrieb von der jüdischen Geschichte des Gebäudes, an dem die jüdischen Operettenkomponisten und Operettenstars des 20. Jahrhunderts wirkten. Eine Geschichte, die mit den Nazis 1933 endete und die er mit seinen Inszenierungen wieder zum Leben erweckt hat. „Niemand glaubt daran, dass am Ende eines vorläufigen zwei- oder dreijährigen Baustopps die Sanierung der Komischen Oper tatsächlich noch abgeschlossen wird.“ Seitdem bekomme er Anrufe aus der ganzen Welt: „Die ganze Opernwelt ist empört. Und alle fragen: Was können wir tun?“ Momentan nicht viel, sage er ihnen.
Die Komische Oper in Mitte ist ein Juwel der Ost-Berliner Nachkriegsmoderne
Das Haus in der Behrenstraße, es wurde 1882 eröffnet. Ein paar Jahre später zog das Metropoltheater ein, dieses von jüdischen Künstlern geprägte Operettentheater. Nachdem die Nazis das Haus geschlossen hatten, wurde es im Krieg schwer beschädigt und war dann eines der ersten Häuser, die in Ost-Berlin wieder aufgebaut wurden. 1947, zwei Jahre vor Gründung der DDR, begann mit dem österreichischen Regisseur Walter Felsenstein die Geschichte des Gebäudes als Komische Oper.
In den Sechzigerjahren machte der Architekt Kunz Nierade aus dem Opernhaus das, was es heute ist: ein Juwel der Ost-Berliner Nachkriegsmoderne, mit dem historischen Opernsaal im Neorokokostil als Zentrum des Hauses. 60 Jahre wurde nichts daran gemacht. Nun sollte es nach jahrelanger Planung und einem Architektenwettbewerb saniert und erweitert werden, für knapp 500 Millionen Euro. Seit Monaten ist das Haus von einem Bauzaun umgeben, die Stufen hoch zum Eingang sind aufgehackt, Wandpaneele in der Fassade fehlen. Mit der Spardebatte im Hinterkopf wirkt es schon jetzt wie eine Bauruine.
Zurück nach Amsterdam: Barrie Kosky ist noch nicht fertig. Er kommt auf die geplanten Kürzungen im Kulturetat zu sprechen: 130 Millionen ab 1. Januar. Niemand im Kulturbereich sei der Auffassung, dass die Kultur nicht sparen muss, wenn alle anderen Bereiche sparen müssen. „Wir sind alle Bürger dieser Stadt, Teil der Gesellschaft. Wir sagen nicht, spart bei den Schulen, den Krankenhäusern, aber nicht an der Kultur. Das ist nicht unsere Haltung. Wir sind nur schockiert, dass wir so eine massive Kürzung binnen so kurzer Zeit stemmen sollen. Es gab keine Vorwarnung, keine Zeit. Diese Kurzfristigkeit ist unverantwortlich, das schockiert uns alle. Diese Kürzungen sind zu hart und in vielen Fällen für die Kultureinrichtungen existenzbedrohend.“
Und noch etwas. „Wenn andere Bundesländer sehen, wie einfach es ist, bei der Berliner Kultur zu sparen, dann machen sie es nach. Das ist Selbstzerstörung von Identität, von der Seele des Landes. Grotesk!“
Blick ins Foyer der Komischen Oper in der Behrenstraße: ganz vorne die „Pusteblume-Lampe“. Collage mit Foto von Jan WindszusAngela Merkel erwähnt die Komische Oper bei der Vorstellung ihrer Memoiren
Die Komische Oper spielt auch am Dienstagabend im Deutschen Theater eine Rolle, als Angela Merkel ihre Memoiren vorstellt. Dass die einstige Kanzlerin ausgerechnet eine Passage vorliest, in der sie die Komische Oper erwähnt, ist womöglich Zufall, aber frappierend: „Einmal im Jahr fuhr meine Familie nach Berlin ins Theater. Hilmar Thate als Richard III. im Deutschen Theater und die Aufführung von ‚Der Fiedler auf dem Dach‘ in der Inszenierung von Walter Felsenstein in der Komischen Oper werden mir immer in Erinnerung bleiben.“ Diese Theaterbesuche bedeuteten ihr viel: „Meine Eltern hatten alles darangesetzt, für mich und meine Geschwister Schutzräume zu schaffen, so habe ich es empfunden. Dafür werde ich ihnen immer dankbar sein. Ich hatte eine glückliche Kindheit.“ Einer der Schutzräume war die Komische Oper.
Dagmar Manzel weiß genau, was Angela Merkel meint: „Absolut“, sagt sie. Die Schauspielerin tritt seit 20 Jahren in der Komischen Oper auf, sie ist einer der Stars des Hauses, hat hier eine zweite Karriere als Sängerin gemacht: „Ball im Savoy“, „Anatevka“, „Perlen der Cleopatra“, „Eine Frau, die weiß, was sie will!“. Auch Dagmar Manzel ist auf hundertachtzig angesichts von Baustopp und Kulturkürzungen.
Am Telefon setzt sie zu einem Monolog an, der an das anknüpft, was Angela Merkel gesagt hat, denn: „Das wurde überhaupt noch nicht besprochen, und darüber rege ich mich maßlos auf: Es war das Haus, der Ort für Musiktheater zu DDR-Zeiten. Das war nicht nur Felsenstein, das war auch Harry Kupfer, der einen Jochen Kowalski zum Megastar gemacht hat. Da waren fantastische Regisseure, die einzigartigen Chorsolisten, das tolle Orchester, die mich in meiner Jugend geprägt haben. Kein Haus hatte zu DDR-Zeiten so eine weltweite Ausstrahlung. Es ist der Geburtsort des Musiktheaters. Felsenstein hat eine Revolution angezettelt, indem er dafür sorgte, dass die theatrale Seite einer Opernaufführung genauso wichtig genommen wird wie die musikalische. So wie damals von Felsenstein erfunden, wird heute in ganz Europa Oper gezeigt. Mit der Komischen Oper in der Behrenstraße würde nicht nur DDR-Geschichte, sondern auch Operngeschichte vernichtet.“
Es geht Dagmar Manzel also nicht nur um die DDR-Vergangenheit, sie spricht auch davon, was in den letzten 20 Jahren alles erreicht wurde in den Intendanzen von Andreas Homoki und Barrie Kosky. „Die Komische Oper Berlin hat wieder eine Vorbildfunktion für die halbe Opernwelt in Europa. Kein Haus hat es so wie sie geschafft, alle Bevölkerungsschichten für Musiktheater zu interessieren. Nirgendwo ist das Publikum so bunt wie hier. Nirgendwo gibt es regelmäßig Kinderoper auf der großen Bühne. Zugänglicher geht Oper nicht. Alle beneiden Berlin darum. Das soll alles nicht mehr sein? Ich fasse es nicht.“
Dagmar Manzel: „Kein Haus hatte zu DDR-Zeiten so eine weltweite Ausstrahlung wie die Komische Oper.“ Paulus Ponizak/Berliner ZeitungDagmar Manzel ist sicher, dass Wegner und Chialo nicht wissen, was dieses Haus war und ist
Wie alle, mit denen wir in diesen Tagen sprechen, empört auch Dagmar Manzel die Ignoranz der Politiker: „Die setzen einfach den Rotstift an und wissen nicht mal, um was es geht, die kennen das Haus nicht mal, weder der Kultursenator noch der Regierende Bürgermeister. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass die nicht wissen, was dieses Haus war und ist, wofür es stand und steht. Das macht mich sprachlos!“
Manzel zitiert die Rechnung von der Kostenexplosion, die das Intendanten-Duo aufgemacht hat. „Wer soll in ein paar Jahren die Millionen aufbringen, dieses Haus nochmal auf die Beine zu bringen? Die Baukosten steigen durch das Verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag um 20 Millionen Euro pro Jahr. Woher soll das viele zusätzliche Geld kommen?“, fragt sie. Auch sie glaubt an einen Tod auf Raten: „Ein Opernhaus kann man nicht auf Dauer in ein Theater pferchen, das ist Schwachsinn. Die Kolleginnen versuchen, was geht, aber das geht nur mit Ach und Krach. Und vor allem: Es gibt dieses Haus in der Behrenstraße doch. Und es ist ein magischer Raum!“
Die Empörung lässt ihre Stimme beben: „Mir platzt die Hutschnur. Es geht ja nicht nur um die Komische, Berlin ist Kulturstadt. Was hat die Stadt denn sonst zu bieten? Die Leute kommen nicht nach Berlin, um sich ein Kabelwerk anzuschauen. Jetzt kürzt die Politik den Etat mit dem Rasenmäher und macht alles kaputt, an allen Ecken und Enden. Ob das die Obdachlosenfürsorge ist oder die Jugendclubs, Museen, Theater, Opernhäuser.“ Sie wisse, dass gespart werden muss, aber: „Warum wurde sich nicht zusammen an einen Tisch gesetzt und überlegt: Was können wir machen, Kinder? Und es gab doch einen Riesenaufruf, da waren so viele Angebote, nicht nur von der Komischen Oper. Das ist einfach abgebügelt worden. Bumms aus. Das ist hochnäsig. Für Kultur wird zwei Prozent vom Gesamthaushalt ausgegeben. Das ist gut investiert, weil Kultur auch Zusammenhalt in einer Gesellschaft fördert. Hier zu sparen, macht mehr kaputt als alles andere.“
An der Kasse der Komischen Oper Unter den Linden ist nicht viel los an diesem Nachmittag, nur klingelt ständig das Telefon. Der junge Mann hinterm Tresen erzählt, dass ältere Menschen ihn fragen, ob sie die Komische Oper jemals wieder sehen werden. Dass sie Angst haben, dass sie das Ende der Bauarbeiten nicht erleben, nun da sie verschoben sind. Dass sie befürchten, dass das Haus nie wieder aufmache. Eine Dame tritt ein, fragt nach Karten für „Echnaton“. Sie lebt in Wilmersdorf, hat es nun näher zur Komischen Oper im Schillertheater. „Aber dasselbe Klangerlebnis ist es nicht.“ Dass in zwei Jahren das Geld da ist, die Bauarbeiten fortzuführen, glaubt auch sie nicht: „Ich hab mich jedenfalls auch schon gefragt, wo sie diesen goldenen Topf versteckt haben.“
Blick in den spektakulären Saal der Komischen Oper in der Behrenstraße.Collage mit Foto von Jan Windszus und Benjamin PritzkuleitKatharine Mehrling: Der Geist der Komischen Oper ist in der Behrenstraße spürbar
Katharine Mehrling schreibt uns kurz vor Mitternacht zurück: „Was für ein Wahnsinn, das alles!“
Die Komische Oper sei ihre künstlerische Heimat geworden, schreibt die Sängerin, Musicaldarstellerin, Schauspielerin, die ein absoluter Publikumsliebling ist, eine geniale Brecht-Interpretin. Barrie Kosky holte sie zuerst für seinen „Ball im Savoy“. Derzeit kann man sie in seiner Inszenierung des Musicals „Chicago“ sehen, das seine Premiere schon nach dem Umzug der Komischen Oper ins Schillertheater feierte. Die beiden Häuser sind für Katharine Mehrling nicht zu vergleichen. „Die Behrenstraße war mein Zuhause, im Schillertheater bin ich eher zu Gast. Und so geht es fast allen Kolleginnen. Die Schönheit, der Glanz, der Geist, die Energie, die Geschichte und somit die Seele des Hauses sind spürbar in der Behrenstraße.“
Sie schwärmt von der Institution: Musical, Operetten, Opernaufführungen und Konzerte, welches Haus in Berlin habe das zu bieten. „Das weiß vor allem das Berliner Publikum zu schätzen. Der Berliner Senat weiß es leider nicht. Joe Chialo habe ich vor der ‚Chicago‘-Premiere im Oktober 2023 noch nie in der Komischen Oper gesehen.“
Der Schaden, den der Berliner Senat gerade anrichtet, sei nicht wiedergutzumachen. „Und er wird so viel größer sein, als das, was der Senat vermeintlich zu gewinnen versucht.“
Den Spar-Etat für die Kultur nennt sie eine Katastrophe. Das Publikum werde erst nach einer gewissen Zeit begreifen, was ihm abhandengekommen sei. „Joe Chialo ist der derzeitige Senator für Kultur“, schreibt sie. KULTUR in Großbuchstaben. „Es ist seine Pflicht als Senator, die Kultur zu verteidigen und zu schützen.“
Katharine Mehrling: „Joe Chialo gibt nicht alles“
Sie schlägt den großen Bogen: „Kultur ist nicht nur ein Beruf oder Unterhaltung, sie hat eine Mission. Nämlich das Publikum zu bilden, zu inspirieren, zum Denken zu animieren, Herzen zu öffnen, Empathie auszulösen, eine Gesellschaft besser zu machen und auch die Demokratie zu stärken – gerade jetzt in dieser zerrissenen Zeit, wo alles erschreckend weit nach rechts rückt.“ Sie ist enttäuscht von Joe Chialo. „Weil er nicht alles gibt und nicht für das kämpft, was Berlin ausmacht: die Kultur.“
Katharine Mehrling: „Joe Chialo habe ich vor der ‚Chicago‘-Premiere im Oktober 2023 noch nie in der Komischen Oper gesehen.“ Christian Behring/imagoBerlin hat drei Opernhäuser, und wann immer die Stadt seit der Wiedervereinigung sparen musste, lag die Frage auf dem Tisch, ob sie sich das leisten kann oder will, ob man drei wirklich benötigt, oder sie eben nur „nice to have“ sind, wie der Finanzsenator Stefan Evers (CDU) all das betitelt, was Berlin nicht unbedingt brauche. Niemand weiß das besser als Thomas Flierl, der Ende der 80er-Jahre Mitarbeiter im Kulturministerium der DDR war, kurz nach der Wende das Kulturamt Prenzlauer Berg leitete und dann Berliner Kultursenator wurde, für seine Partei Die Linke.
Das Amt hatte er von 2002 bis 2006 inne, als Berlin in einer schlimmen Haushaltsnotlage war, enorme Schulden hatte, und der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit von der SPD sparte, „bis es quietscht“. Kostbares Landeseigentum wurde damals zu Geld gemacht, kommunale Wohnungen wurden verkauft, ein Fehler, wie man heute weiß. Wie hat er es geschafft, in einer solchen Lage drei Opernhäuser zu verteidigen?6
Thomas Flierl ist in seinem Haus am Bodden in Mecklenburg-Vorpommern, als wir ihn anrufen. Hierher komme er, um den Kopf freizukriegen. „Aber Sie holen mich ja gerade wieder in die Hauptstadt zurück.“ Er erzählt, dass es ähnlich wie heute um zehn Prozent Einsparungen ging, der gesamte Kulturetat habe sich damals auf rund 300 Millionen Euro belaufen, ein Drittel des heutigen. Damals war es die Existenz der Deutschen Oper, die auf dem Spiel stand. „Die Deutsche Oper war im Grunde schon aufgegeben von der damaligen Koalition“, sagt Thomas Flierl. „Man war der Meinung, die Vereinigung Berlins finde in Mitte statt. Meine Position war: Wir können jetzt nicht den Westen abwickeln, wir brauchen eine Lösung, mit der alle drei Häuser erhalten werden.“ Diese Lösung hat er gefunden.
Der einstige Kultursenator Thomas Flierl: Wo ist die Intelligenz?
Flierl rettete alle drei Häuser mit seiner Opernstiftung: Die Staatsoper Unter den Linden, die Deutsche Oper und die Komische Oper blieben als wirtschaftlich selbstständige GmbH-Betriebe erhalten und bekamen durch fünfjährige Zuschussverträge Planungssicherheit. Als Gegenleistung opferten sie 220 Stellen. Damals half auch der Bund, der den Kulturetat mit 16,4 Millionen Euro entlastete.
Auch Flierl kritisiert Joe Chialos Spar-Etat. „Natürlich waren damals wie heute die drei Opernhäuser und die Bühnen mit den großen Mitarbeiterstäben die Hauptkostenpunkte. Das liegt in der Natur der Sache. Und meine Antwort darauf war, Intelligenz anzuwenden, die Strukturen kritisch zu prüfen. Das sehe ich jetzt nicht.“
Er ist bis heute der Meinung, dass es richtig war, alle drei Opernhäuser zu erhalten. „Obwohl es damals sogar Nachfrageprobleme gab, was heute ganz und gar nicht der Fall ist.“ Die Komische Oper verzeichnet eine Auslastung von 93 Prozent. Nur den späteren Ausbau der Staatsoper von einer Rokoko-Oper zu einer Wagner-tauglichen Oper, wie man sie mit der Deutschen Oper schon hatte, sieht er kritisch. „Das war eine Riesenfehlentscheidung, die 440 Millionen Euro gekostet hat.“
Flierl sieht mit Staunen, dass sich der Kulturhaushalt in den vergangenen zwei Jahrzehnten verdreifacht hat. „Doch nachhaltige Strukturen hat man nicht gebaut.“ Das geht gegen Chialos Vorgänger Klaus Lederer von der Linken, der bis 2023 im Amt war. „Wenn man jetzt mit dem Rasenmäher kommt, geht viel mehr kaputt, als die zehn Prozent ahnen lassen. Das ist das eigentliche Problem. Man hat in gewisser Weise nicht krisenfest erweitert. Jetzt einfach kalt die Komische Oper abzuwickeln, bringt gar nichts“, sagt Flierl. „Was ist da der strukturelle Gedanke? Keiner!“
Flierl denkt laut nach: „Wenn Chialo gesagt hätte, man könnte so etwas wie die Opernstiftung ja auch für die Theater machen, naja, man hätte sich ja mal unterhalten können.“ Doch der Kultursenator habe die Zeit mit Beruhigungsreden vertrödelt, anstatt mit diesem und jenem zu reden, wie man es denn anstellen könne. „Sparen erfordert Aufgabenkritik, sachgerechte Analyse und Konzept. Das alles fehlt. Jetzt hat er den Schlamassel.“ Flierl plädiert für ein Moratorium. Man müsse Zeit gewinnen. „Ich bin nicht der Meinung, dass man ein Budget nicht kürzen kann, aber das muss man natürlich durchdenken.“ Kurzum: Kürzungen sind möglich, aber man muss es intelligent machen und nicht mit der Rasenmähermethode.
Thomas Flierl hat eine besondere Beziehung zur Komischen Oper
Wie viele Ost-Berliner hat auch Thomas Flierl eine besondere Beziehung zur Komischen Oper. Aus der Ostgeschichte ist unter seiner Ägide dann eine Ost-West-Geschichte geworden – durch die Verbindung der Häuser in der Opernstiftung. Tags darauf schreibt er uns dazu in einer Mail: „Bei der Ost-West-Geschichte der Komischen Oper müssen Sie unbedingt Walter Felsenstein und Götz Friedrich erwähnen! Letzterer ging in den Westen und prägte und erneuerte die Deutsche Oper im Sinne von Felsenstein. Die Stadt war schon vor Maueröffnung Ost-West geprägt! Das darf man nicht zerschlagen.“
Thomas Flierls Appell geht zum Schluss unseres Telefonats an das Abgeordnetenhaus: „Zu meinen, man könne sich den teuren Ausbau der Komischen Oper sparen und danach noch eine Komische Oper haben – das wird wohl nicht sein. Das ist so dramatisch gekoppelt, dass die Abgeordneten das hoffentlich vor Weihnachten noch einsehen. Meine Empfehlung: Die für den Interimsbetrieb notwendigen Mittel gewähren und für das Bauprojekt die Mittel zusagen – meinetwegen nach einer kritischen Bedarfsanalyse.“
Donnerstagabend in der Komischen Oper im Schillertheater: Gegeben wird Stephen Sondheims Musical „Sweeney Todd“, Regie Barrie Kosky, auf der Bühne steht Dagmar Manzel als Pie-Bäckerin Nellie Lovett, die aus den Opfern des Serienmörders Sweeney die besten Fleischpasteten der Stadt macht.
Im Foyer kann man fragen, wen man will, vom Baustopp wissen alle. „Warum hat Berlin nur Schulden, warum hat man nie Geld zurückgelegt“, fragt ein Mann, der mit seiner Frau vor dem Schillertheater steht. Er gehe seit seinem Umzug aus Thüringen 1964 in die Komische Oper, schwärmt von den Felsenstein-Inszenierungen. Dass der Baustopp das Ende bedeuten könnte, „das glauben wir auch“.
. Die Komische Oper in Mitte ist von einem Bauzaun umgeben.Benjamin Pritzkuleit/Berliner ZeitungBesucher der Komischen Oper: „Wollen wir nur noch arm sein?“
Ein Besucher mit Schiebermütze ist im Foyer mit dem Chef des Abenddienstes im Gespräch. Er fragt nach den Inszenierungen in der kommenden Spielzeit und outet sich dann als jemand, der mehrmals im Monat in die Komische Oper kommt. Er redet sich schnell in Rage: „Womit funkelt Berlin, wenn nicht mit der Kultur? Wollen wir nur noch arm sein, auch arm im Geiste?“ Er kommt extra nochmal zurück: Die CDU habe es immer gut gemeint mit der Kultur, ihr Agieren jetzt sei ein Zeichen für die Verwahrlosung dieser Generation von Politikern. „Und das ist parteiübergreifend.“ Und zuletzt: „Ich würde Chialo und Wegner gerne mal treffen und ihnen meine Worte in die Fresse hauen.“ Ein Besucher neben der Garderobe sagt: „So haben wir uns die Zeitenwende nicht vorgestellt.“
Schaut man sich im Foyer um, scheint einem nichts abwegiger, als die Existenz dieses Hauses aufs Spiel zu setzen. Das Publikum ist gemischt, Junge, Alte, man hört Englisch, Schulklassen sind darunter, die Vorstellung ist auch an diesem Wochentag so gut wie ausverkauft, während der Vorstellung äußert sich die Begeisterung in Szenenapplaus. Das Messer, das der Barbier Sweeney Todd seinen Kunden an die Kehle setzt, hat in diesen Zeiten große Symbolkraft.
Grafik: Berliner Zeitung. Quelle: Sparliste des Berliner SenatsBildstrecke
Die Komische Oper, in der Behrenstraße 2023, kurz vor Beginn der Sanierung.Schoening/imago Das Intendanten-Team der Komischen Oper Susanne Moser und Philip BrökingBenjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung Die Komische Oper, Eingang Behrenstraße: Ein Bauzaun umgibt das Gebäude.Benjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung Das Schiller-Theater in Charlottenburg ist die Ausweichbühne für die Komische Oper. Fabian Sommer/dpa Blick in das Treppenhaus an einem Musiktheaterabend mit Katharine Mehrling. Jan Windszus/Komische Oper 2022 Regula Lüscher, Senatsbaudirektorin, spricht zum Ergebnis des Realisierungswettbewerbs „Umbau und Erweiterung Komische Oper Berlin“ Britta Pedersen/dpa Barrie Kosky, 2017. Damals war er der Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper. Paul Zinken/dpa Blick in den Zuschauerraum der Komischen Oper in Berlin im Jahr 2009. Tim Brakemeier/dpa Die Komische Oper Berlin im Jahr 2006. Soeren Stache/dpa Komische Oper Berlin: Szene aus der Inszenierung „Sommernachtstraum“, 1961 Arkiv/imago Berlin-Mitte, Blick auf die Friedrichstraße und das erste Gebäude der Komischen Oper, 1935 imago Eine Szene aus „Zieh Dich Aus“ an der Komischen Oper, Berlin, 1928 Gemini Collection/imago Theater Unter den Linden i.e. Metropol Theater, Komische Oper, Berlin in den 20er jahren piemags/imago