Was für eine Schule ist das denn? Lehrer? Gibt es nicht, es gibt Mentoren und Experten. Schüler? Heißen hier Talents. Fächer? Nein, es gibt Projekte, die die Talents selbst entwickeln. Noten? Gibt es auch nicht, sondern ausführliche Beurteilungen. Tafeln? Natürlich nicht, denn das ist „oldschool“, Tablets sind selbstverständlich. Diese Schule ist die „Newschool“.
Vor knapp einem Jahr startete diese Privatschule der besonderen Art. Auch an einem besonderen Ort: An der Gutenbergstraße in Charlottenburg, direkt am Ufer der Spree, steht „The Box“. Das war einmal ein Industriebau der Waschmittelfirma Henkel – nach längerem Leerstand zogen dann Ausgehprofis ein und machten einen Club mit Strandbar daraus.
2012 war Schluss damit. Der Betonklotz wurde zu einem modernen Bürogebäude umgebaut. Seine vorgehängte helle Alu-Fassade leuchtet jetzt weithin: Architektenbüros, Stadtplaner, Start-ups aller Couleur haben in dem fast schon filigran wirkenden, lichtdurchfluteten Haus Räume gemietet.
Diese Affinität zu Start-ups führte auf direktem Wege zur Newschool: Sie ist eine Erfindung von Sabrina Heimig-Schlömer und ihrem Mann Udo Schlömer, Gründer und Geschäftsführer der Factory Berlin, einem Start-up-Campus an der Rheinsberger Straße in Mitte. Wichtige Firmen wie Twitter, Soundcloud oder Uber haben dort ihren Sitz.
Kein Platz in der Factory
Weil in der Factory in Mitte kein Platz für ihr Schul-Projekt blieb, ließ das Paar in „The Box“ das ursprünglich für Gastronomie vorgesehene Erdgeschoss und teils auch den ersten Stock zu Unterrichtsräumen umbauen – zur Newschool.
„Wir wollen den Kindern Raum zum Lernen und Ausprobieren bieten“, sagt Schulgründerin und Geschäftsführerin Sabrina Heimig-Schlömer. „Sie sollen selber herausfinden, wo ihre Interessen, ihre Talente sind.“ Die Verbindung zur Start-up-Szene ist wichtig, allein der Begriff für Schüler, „talents“, sagt schon viel über die Grundidee der Schule. Niemand solle Angst haben vor einem Scheitern, Neugier und Selbstbestimmung seien wichtig, sagt Heimig-Schlömer.
Diese Tugenden kämen an anderen Schulen oft zu kurz, der Druck stehe im Vordergrund. Ihre eigene Tochter sei wegen Dyskalkulie sowie Lese- und Rechtschreibschwäche früh abgestempelt worden. Hier, in neuer Umgebung und mit anderen Herausforderungen, habe sie nicht nur neue Freude am Lernen entwickelt, sondern schreibe fehlerfreie Texte.
Aus dem Nachbarraum dringt unterdessen ein extrem lautes Fiepen in den Besprechungsraum. Das aktuelle Projekt ist Coding, programmieren also. Ein paar Jungs drücken nach Herzenslust auf einem Mini-Synthesizer herum, den sie aus ein paar Schaltkreisen und Platinen gebastelt haben. Fiiieeepp! Fieeeeppppp!
Kinder aus der „guten Mittelschicht“
Derzeit gehen 13 Schüler zwischen 12 und 15 Jahren auf die Newschool, fünf Mädchen, acht Jungs. Montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr finden die Projekte statt (unterbrochen von einer Stunde gemeinsamen Kochens und Essens), geöffnet ist von 8 bis 17 Uhr. Flexibilität ist wichtig in der Start-up-Branche. Dafür zahlen die Eltern 100 bis 1200 Euro monatlich. Sie kommen aus der „guten Mittelschicht“, sagt die Chefin: Eine Yoga-Lehrerin sei dabei, ein Pferdehofbesitzer, ein Schreiner, aber auch eine Großmutter, die ihr Enkelkind großzieht.
Von dem Geld werden auch die drei Mentoren bezahlt, die die Gruppe betreuen. Ihr Ansatz ist fächerübergreifend. Das bedeutet, dass sich etwa ein Musikprojekt auch mit Technik (dem Schall) und Biologie (dem Gehör) befassen kann. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Am Ende achten die Mentoren darauf, dass möglichst viele Facetten abgedeckt werden. Die Inhalte kommen von Experten, Fachleuten von Universitäten aber auch aus Unternehmen. Ihr Netzwerk sei riesig, heißt es.
Business-Plan für den Unterricht
Jedes Projekt soll zudem von einer Art Businessplan begleitet sein. Wenn etwa eine Gruppe ein Kleid schneidern will, muss sie errechnen, wie viel Geld das kosten wird. Wie teuer sind Stoff und Schnittmuster? Wie kommen wir günstig an eine Nähmaschine? Auch dabei unterstützen die Mentoren, geben Tipps, helfen, Abstriche zu machen. „Es ist wichtig, ein Gefühl für Machbarkeit zu bekommen“, sagt Heimig-Schlömer. „Wir leiten die Kinder an, sich selbst zu organisieren.“
Schule nicht staatlich anerkannt
Die Newschool ist zunächst nur als „genehmigte Ersatzschule“ organisiert. Nach drei Jahren ist die staatliche Anerkennung möglich. Bis dahin dürfen etwa keine eigenen MSA-Prüfungen abgenommen werden. Derzeit wird eine Partnerschule gesucht. Die Zeit drängt: Drei Newschool-Talents machen nächstes Jahr ihren Mittleren Schulabschluss. „Unser Ziel ist es, später einmal mit der Grundschule anzufangen und auch das Abitur anzubieten“, sagt Heimig-Schlömer.
Mittlerweile wendet sich das Codingprojekt nebenan einem neuen Thema zu. Felix Worseck, Lehrbeauftragter für visuelles Programmieren an der Universität der Künste und Newschool-Experte sammelt die Elektronikbauteile ein. „Jeder schaut noch einmal genau, ob er nicht doch noch ein kleines Teil hat. Zum Beispiel in seiner Hosentasch“, sagt er. Und siehe da, da findet sich tatsächlich noch das eine oder andere. Für den Besucher ist es fast tröstlich, dass es sich bei den Talents ganz offenbar um völlig normale Jugendliche handelt.