• Le rapport Bargeton sur le financement de la filière musicale divise
    https://www.lemonde.fr/economie/article/2023/04/22/le-rapport-bargeton-sur-le-financement-de-la-filiere-musicale-divise_6170631

    La recommandation de créer une taxe sur les revenus du streaming musical payant et gratuit financé par la publicité est dénoncée par les plates-formes, tandis que les producteurs de spectacles vivants saluent l’initiative.

    Finalement, l’évolution vers des services payants (d’une manière ou d’une autre) sur Internet est en marche, dans tous les domaines.
    On paye les plateformes de streaming, donc elle versent des taxes, rien de plus normal. Que les abonnements augmentent, c’est évident (entre l’inflation, cette taxe nécessaire et surtout l’installation du streaming dans le paysage qui rend incontournable leur usage, et pour finir le fait qu’avoir sa musique sélectionnée chez tel plateforme est un large frein à changer de plateforme). Cela pourrait se traduire par un ré-équilibrage au sein de la filière (les opérateurs de télécom se gavent quand les services ne font pas payer, accentuant les déséquilibres).
    Est-ce que les plus grosses plateformes ne vont pas être les meilleures à tirer leur épingle du jeu ? Evidemment que oui, et cela quelle que soit la route envisagée. Too big to fail, et trop indispensables pour ne pas imposer leurs vues (au prorpe et au figuré ;-)

    #Musique #Plateformes #Streaming

  • Die USA auf dem Weg in den orwellschen Staat
    https://www.telepolis.de/features/Die-USA-auf-dem-Weg-in-den-orwellschen-Staat-8926246.html?seite=all

    Tikto menace Facebook et Twitter. Est-ce que la défense des intérêts des géants de la Silicon Valley constitue la véritable raison pour le projet de loi « Reset » ?

    11.4.2023 von Rüdiger Suchsland - Mediensplitter (23): „Das jedem sollte jedem US-Amerikaner einen Schauer über den Rücken jagen.“ CNN zum geplanten TikTok-Verbot, bei dem antichinesische Propaganda dominiert und sich ein autoritärer Staat abzeichnet.

    „Reset“ lautet der Titel eines neuen Gesetzes, das die US-Regierung plant und das sie sehr direkt auf ein mögliches Verbot von TikTok zugeschnitten hat, jener chinesischen App, die als Plattform für Kurzvideos zu den beliebtesten Sozialen Medien der Welt gehört.

    Fareed Zakaria macht sich deshalb Sorgen:

    Wenn ich mir die vorgeschlagene Gesetzgebung anschaue, die es der US-Regierung ermöglichen würde, TikTok zu verbieten, sehe ich ein beängstigendes, orwellsches Gesetz, das jedem Amerikaner einen Schauer über den Rücken jagen sollte.

    Zakaria ist nicht irgendjemand: Der Politikwissenschaftler mit indischen Wurzeln ist außenpolitischer CNN-Experte mit wöchentlicher eigener Sendung – „Fareed Zakaria GPS“ – und damit einer der führenden politischen Kommentatoren der USA.
    „Leider ist es viel schwieriger, gegen Big Tech vorzugehen, als China zu beschimpfen“

    Vor allem hat er Argumente, die nicht leicht von der Hand zu weisen sind: Das geplante Verbot wird damit begründet, TikTok sei in chinesischem Besitz und könnte gezwungen werden, seine Daten der chinesischen Regierung zu übermitteln – dafür, dass dies jemals geschehen ist, gibt es allerdings keinen Beweis.

    Allerdings könnte Peking solche Daten längst mit anderen Mitteln sammeln, wenn es das wirklich will. Zudem: Alle Apps sammeln in irgendeiner Form persönliche Nutzerdaten. Unter ihnen sind viele, Forschern zufolge, weit größere Datenkraken und solche, die auch sonst gefährlicher als TikTok sind.

    Wer in den USA den App-Informationstransfer verbieten will, könnte das übrigens sehr einfach tun, indem man dort den strengeren Datenschutzbestimmungen Europas folgen würde. „Leider“, so Zakaria, „ist es viel schwieriger, gegen Big Tech vorzugehen, als China zu beschimpfen“.

    Auch der Vorwurf, TikTok könne zur Verbreitung chinesischer Propaganda gebraucht werden, ist leicht zu relativieren, wenn man sich klarmacht, dass in den USA der staatliche chinesische Fernsehsender CCTV (ebenso wie viele andere Fernsehsender im Besitz ausländischer Staaten) uneingeschränkt senden darf.

    „Wenn wir TikTok verbieten, werden wir dann auch chinesischen Medienunternehmen verbieten, Flugblätter oder Bücher in den Vereinigten Staaten zu verbreiten?“, fragt Zakaria rhetorisch.

    Das neue Gesetz würde der US-Regierung „praktisch unbegrenzte Befugnisse geben, um jedes Unternehmen zu verhindern oder zu bestrafen, das Technologie- oder Informationsprodukte oder -dienste anbietet, die nach Ansicht der Regierung ein ’unangemessenes oder inakzeptables Risiko für die nationale Sicherheit der USA oder die Sicherheit von US-Bürgern’ darstellen“.

    Die Prämisse einer offenen Gesellschaft ist, dass die Menschen frei sein sollten, die Informationen zu konsumieren, die sie wollen, wird mit so einem Gesetz mit Füßen getreten.
    Die USA werden autoritären, postdemokratischen Staaten immer ähnlicher

    Das politische Argument gegen das Gesetz ist aber noch ein anderes und geht tiefer ins Grundsätzliche: Zensur und Regulierung sind freiheitsfeindlich und müssen in demokratischen Gesellschaften in jedem Einzelfall gut begründet werden.

    Zakaria verweist auf die Zensur Hunderter von Büchern in US-amerikanischen Bundesstaaten. Dort wird Literatur wie Margaret Atwoods autoritätskritischer dystopischer Roman Handmaids Tale wegen „problematischer Themen“ ebenso aus öffentlichen Bibliotheken verbannt wie Aldous Huxleys Brave New World.

    Zur Liste gehört weiter: Kurt Vonneguts Slaughterhouse-Five, Herr der Fliegen von William Golding, Wer die Nachtigall stört von Harper Lee, Peter Pan von James Matthew Barrie, die Hunger Games, Bücher von George Orwell und Roald Dahl, sowie historische Literatur über Rassismus in den USA oder Sachbücher, die über lesbische und homosexuelle Themen aufklären oder von Whistleblowern geschrieben sind.

    Die New York Public Library hat eine Liste dieser in den USA blockierten Bücher erstellt und präsentiert diese in elektronischer Form allen Interessenten kostenlos.

    „Wir leben in Zeiten, in denen die Regierungen der Bundesstaaten Hunderte von Büchern verbieten, in denen Sprache als Waffe betrachtet wird und in denen Politiker offen darüber sprechen, gefährliche Ideen zu unterbinden“, beschreibt Zakaria die kulturelle Situation in den USA.

    Derartige Zensurbestrebungen sind wie das geplante TikTok-Verbot nur ein Beispiel dafür, wie die USA autoritären, postdemokratischen Staaten immer ähnlicher werden:

    Sehen Sie sich an, wo wir heute stehen. Wir haben eine zentrale Wirtschaftsplanung mit massiven Subventionen für die Industrie eingeführt, und jetzt schlagen wir drakonische Beschränkungen für den freien Informationsfluss vor.

    Man muss der US-Regierung nicht besonders skeptisch gegenüberstehen, um bei dem Gedanken, ihr noch mehr Macht und derartige Willkürgesetze in die Hand zu geben, zu erschrecken.

    "Stellen Sie sich Donald Trump als Präsident vor, dem diese Instrumente zur Verfügung stehen."

    Nur der Anfang einer größeren Verbotswelle?

    Das TikTok-Gesetz könnte nur der Anfang einer größeren Zensur- und Verbotswelle sein, warnt jetzt das Wall Street Journal. Widerstand gegen das Gesetz regt sich von links wie rechts.

    Manche Sicherheitsexperten fürchten, die Maßnahmen gegen TikTok könnten die nationale Sicherheit der USA erst recht untergraben.

    Ist damit Tiktoks Zeit abgelaufen? Ende März war der Geschäftsführer der Social-Media-App, Shou Zi Chew, in Washington zu einem scharfen Verhör im US-Kongress. Immerhin sind mehr als 100 Millionen Amerikaner auch TikTok-Nutzer, sie alle müssen derzeit fürchten, dass die Plattform aufgrund von „Sicherheitsbedenken“ verboten wird. Die Konkurrenz im kalifornischen Silicon Valley hofft derzeit voraus den Rivalen loszuwerden. Mit jeder neuen Wortmeldung aus dem Capitol Hill wuchsen zuletzt die Aktienkurse von Pinterest, Snap und Meta.

    Seit seinem Markteintritt in den USA, vor weniger als sechs Jahren seiner Existenz, hat TikTok die Welt der älteren Sozialen Netzwerke abgelöst und Kommunikation mit Worten und Bildern durch die mit algorithmisch ausgesuchten Kurzvideos ersetzt.

    Vor allem Jugendliche sind begeistert: US-Amerikaner im Alter von 18 bis 24 Jahren verbringen eine Stunde pro Tag auf TikTok, doppelt so lang wie auf Instagram und Snapchat und mehr als fünfmal so lang wie auf Facebook. Im vergangenen Jahr verzeichnete TikTok mehr Website-Besuche als Google und mehr Sehminuten in den Vereinigten Staaten als YouTube. Facebook brauchte fast neun Jahre, um eine Milliarde Nutzer zu erreichen, TikTok schaffte es in fünf Jahren.

    In der Folge dieser Erfolgsgeschichte haben Kurzvideos die sozialen Medien erobert. 40 von 64 Minuten Social-Media-Nutzung entfallen heute auf Videos, 2019 waren es noch 28 Minuten. Zugleich sinken die Profite. TikTok ist auf Verbilligungsgenerator: Während Instagram über 200 Dollar pro Nutzer einnimmt, sind es bei TikTok unter 70 Dollar

    Facebook-Gründer Mark Zuckerberg äußerte hierzu zuletzt ganz offen:

    Currently, the monetisation efficiency of Reels is much less than Feed, so the more that Reels grows…it takes some time away from Feed and we actually lose money.

    Übersetzung:

    Derzeit ist die Monetarisierungseffizienz von Reels viel geringer als die von Feed, d.h. je mehr Reels wächst, desto mehr Zeit wird von Feed abgezogen und wir verlieren Geld. (Anmerkung: Mit Reels sind die Videos gemeint, mit Feed die Texte.)
    Mark Zuckerberg

    Wer hat Angst vor TikTok?

    Der Hype um TikTok ist also gerechtfertigt, aber sind es auch die Ängste der staatlichen Überwachungsinstanzen? Wer hat Angst vor TikTok?

    Schon vor einem knappen Jahr schrieb der Economist über „eine dunkle Seite“ der App, weil die Regierung von deren Hauptsitz in China „sich der Überwachung und Propaganda verschrieben hat“.

    Beides ist der US-Regierung keineswegs fremd. So nutzte man die „Propaganda-App“ sehr gern, als es während der Pandemie darum ging, Jugendliche dazu zu bewegen, sich gegen Covid impfen zu lassen.

    Jetzt aber könnte TikTok ein trojanisches Pferd der Demokratieunterhöhlung sein. Denn neben lustigem Teeniekram bietet TikTok mehr und mehr auch Nachrichten. Die Möglichkeit für China, das zu manipulieren, was das riesige ausländische Publikum der App sieht, ist einstweilen noch ein unterschätztes Problem.

    Aber bereits ein Viertel der US-amerikanischen Nutzer hält TikTok für eine seriöse Nachrichtenquelle. „In Ländern mit schwächeren Mainstream-Medien liegt der Anteil sogar bei 50 Prozent.“ (Economist)

    Die Suche nach einem Weg, „wie TikTok im Westen sicher operieren kann“, sei „ein Test dafür, ob die globale Wirtschaft und das globale Internet intakt bleiben können“.
    Angemessene Antwort – zwischen „Umarmung und Angst“

    Die widersprüchliche Herangehensweise der Regierung zwischen Umarmung und Angst ist vielleicht die angemessene Antwort auf das völlig einzigartige neue Problem, das TikTok darstellt.

    China dürfte dem Bemühen Washingtons entgegenkommen. Denn auch wenn man die Kontrolle über das Unternehmen nicht an Ausländer abtreten will, muss China anerkennen, dass Anpassungen notwendig sind. Chinas Interesse liegt darin, dass TikTok - und weitere Unternehmen - vom Westen nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Nur im eigenen Land China muss man eine Autokratie bleiben, in der der Staat die Wirtschaft kontrolliert.

    Der Informationsfluss in der modernen Welt hält sich allerdings nicht an nationale Gesetze und Machtverhältnisse. Heute können wir Informationen nicht durch Kontrolle daran hindern, staatliche Grenzen zu überschreiten. Das WorldWideWeb ist anarchistisch.

    Die eigentliche Bedrohung durch TikTok liegt nicht in seiner begrenzen Tauglichkeit für Propaganda und Deep-Fakes. TikTok ist ein digitaler Virus, der das Gehirn angreift und dessen Lese- und Schreibzentren zerstört. TikTok und ähnliche Medien werfen uns in eine infantile, tendenziell Analphabeten-Gesellschaft zurück.

    #USA #Tiktok #plateformes #dystopie #relation_publiques #propagande #démocratie #liberté_d_expression

  • Plattform-Urbanismus | sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung
    https://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/605

    Arbeit, Migration und die Transformation des urbanen Raums
    Moritz Altenried
    , Stefania Animento , Manuela Bojadžijev
    Abstract

    Der Beitrag analysiert, wie digitale Plattformen urbanes Arbeiten und Leben ebenso verändern wie die gelebte Räumlichkeit und die materielle Architektur der Stadt. Davon sind nicht nur Arbeitsverhältnisse berührt, sondern auch alltägliche Formen und Praktiken von Mobilität, Konsum oder Reproduktion. Basierend auf umfassenden ethnografischen Forschungen beschreiben wir erstens den Aufstieg der Plattformarbeit in Berlin, insbesondere am Beispiel von Uber, Deliveroo und Helpling. Wir nehmen neue Formen algorithmischer Organisation, Kontrolle und Überwachung von Arbeit im Stadtraum in den Blick und zeigen, dass Plattformarbeit primär migrantisch ist. Davon ausgehend skizzieren wir zweitens die Umrisse eines entstehenden Plattform-Urbanismus. Das umfasst sowohl ein Verständnis der Räume und Geografien digitaler Plattformen als auch eine theoretische Perspektivierung des Begriffs. Drittens betonen wir, dass kritische Analysen des emergenten Plattform-Urbanismus zeigen können, wie Plattformen darauf abzielen, unverzichtbare urbane Infrastrukturen zu werden. Allerdings zeigt sich, dass diese Infrastrukturwerdung urbaner Plattformen kein reibungsloser Prozess ist, sondern politisch und ökonomisch umkämpft.
    Jetzt lesen
    Veröffentlicht:
    23. April 2021
    DOI
    https://doi.org/10.36900/suburban.v9i1/2.605
    Schlagworte:
    Platform-Urbanismus, Plattformen, Stadt, Digitalisierung, Arbeit, Migration, Gig Economy, Infrstruktur, Logistik Platform urbanism, platforms, city, digitisation, labour, migration, gig economy, infrstructure, logistics
    In Ausgabe
    Bd. 9 Nr. 1/2 (2021)
    digital war besser

    Rubrik: Aufsätze aus dem Schwerpunkt

    73-91
    Autor/innen-Biografien
    Moritz Altenried

    Moritz Altenried arbeitet empirisch und theoretisch unter anderem zu Digitalisierung, Arbeit, Migration, Plattformen und Logistik im globalen Kapitalismus.
    Stefania Animento

    Stefania Animento hat ihre Schwerpunkte im Bereich Mobilität, Migration und Klasse sowie Stadt- und Gentrifizierungsforschung.
    Manuela Bojadžijev

    Manuela Bojadžijev interessiert sich für gegenwärtige Transformationsprozesse von Mobilität und Migration sowie von Rassismus, im Zusammenspiel mit Veränderungen von Arbeit und Alltag durch Digitalisierung und Logistik, vorwiegend in urbanen Räumen.
    Förderung

    Dieser Artikel wurde durch Publikationsmittel im Forschungsprojekt Plattform Labour in Urban Spaces (PLUS) gefördert, finanziert durch die Europäische Kommission im Rahmen des Programms Horizon 2020 (Grant agreement No. 822638).

    Volltext

    Plattform-Urbanismus (Moritz Altenried, Stefania Animento, Manuela Bojadžijev) | In: sub\urban, Bd. 9 Nr. 1/2 (2021): digital war besser | sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung
    https://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/605/911#content

    Arbeit, Migration und die Transformation des urbanen Raums

    Moritz Altenried, Stefania Animento, Manuela Bojadžijev

    1. Einleitung: Berlin, Juli 2019

    Ein diskreter Klingelton seines Smartphones weist den Fahrradkurier auf einen neuen Auftrag hin. Er bremst am Straßenrand und öffnet die App der Essenslieferplattform Deliveroo. Eine kurze Lieferung aus Berlin-Kreuzberg zum Neuköllner Hermannplatz für eine Entlohnung von Euro 4,20 wird ihm angeboten. Schnell kalkuliert er Entfernung, potenzielle Wartezeiten und die momentane Auftragssituation: könnte sich lohnen. Er akzeptiert den Auftrag mit einem Wisch auf dem Smartphone und macht sich auf den Weg zum Restaurant.

    Das Restaurant entpuppt sich als eine unauffällige Küche im Hinterhof eines Kreuzberger Altbaus: ein virtuelles Restaurant, eigentlich nur eine Küche, in der ausschließlich zur Bestellung über verschiedene Essenslieferplattformen gekocht wird. Dementsprechend sind die Abläufe optimiert. Es gibt keine Laufkundschaft, nur die Kurier_innen der verschiedenen Lieferdienste gehen ein und aus. Der Kurier betritt die Küche gemeinsam mit zwei Kolleginnen, die für dieselbe Plattform arbeiten. Er stellt zufrieden fest, dass die Bestellung bereits in braunen Pappbehältern auf ihn wartet. Um nicht aus Versehen mit einer falschen Lieferung loszufahren, vergleicht er die Liefernummer in seiner App genau mit der Nummer auf der Papiertüte und markiert die Bestellung – koreanische Burger und eine japanische Bowl – in der App als abgeholt. Eilig packt er die Bestellung in seinem Rucksack und macht sich auf den Weg zum Ziel in Neukölln.

    Dort angekommen, bestätigt der Deliveroo-Rider in seiner App die Ankunft bei der Kundschaft und klingelt dann an der Tür. Mehrere mit Zahlencodes gesicherte Boxen unterhalb der Klingeln und Klingelschilder, auf denen statt Namen nur die Nummern der einzelnen Wohnungen stehen, lassen darauf schließen, dass es sich um Ferienwohnungen handelt. Niemand antwortet. Er klingelt erneut. Die beiden jungen Frauen aus London, die sich hier für ein paar Tage ein Appartement über Airbnb gemietet haben, um Berlin zu besuchen, sind noch nicht da. Sie haben das Essen über ihr Smartphone aus dem Uber-Taxi bestellt, dabei jedoch die Dauer der Fahrt zurück zu ihrem Appartement unterschätzt. Die Apps des Lieferdienstes Deliveroo, der Wohnungsplattform Airbnb und des Fahrdienstes Uber befanden sich bereits vor der Berlinreise auf ihrem Handy. All diese Dienste stehen ihnen auch in ihrer Londoner Heimat zur Verfügung – genauso wie in vielen anderen Städten der Welt.

    Während der Kurier ungeduldig wartet, öffnet sich die Tür und eine Frau mit Putzsachen tritt heraus. Sie hat die Zeit, während die beiden Londonerinnen beim Sightseeing waren, genutzt, um die Wohnung sauber zu machen. Wie der Deliveroo-Kurier und die Uber-Fahrerin arbeitet auch sie über eine digitale Plattform: Das deutsche Unternehmen Helpling vermittelt unbürokratisch und stundenweise solo-selbstständige Putzkräfte, perfekt für die Besitzer_innen der mindestens fünf Airbnb-Wohnungen in diesem Haus. Diese können so aus der Distanz ihre Wohnungen sauber halten und vermieten. Der Deliveroo-Fahrer nickt der Helpling-Arbeiterin zu und nutzt die Chance, um in den Hausflur zu treten. Er ist selbstständig und wird für die Lieferstrecke bezahlt, nicht für die Zeit, die er für die Auslieferung benötigt. Wartezeiten senken also seinen Stundenlohn. Er überlegt, die Lieferung vor die Wohnungstür zu stellen und dann weiterzufahren, um heute noch sein selbst gestecktes Einkommensziel zu erreichen. Während er noch das Risiko einer verschwundenen Bestellung und den potenziellen Ärger mit der Plattform abwägt, kommen die beiden Londonerinnen zur Tür hinein und freuen sich, dass ihr Mittagessen bereits da ist.
    Plattform-Urbanismus

    Diese nur leicht fiktionalisierte Szene aus unserer ethnografischen Forschung vom Sommer 2019 veranschaulicht etwas, das sich als Plattform-Urbanismus bezeichnen lässt. Dies zeigt ein Blick auf die Smartphones von Menschen aus besonders mobilen Bevölkerungsgruppen, wie den beiden erwähnten Touristinnen oder die der meist migrantischen Arbeiter_innen von Plattformen wie Uber, Deliveroo oder Helpling besonders deutlich. Die verschiedenen Apps spielen im Leben dieser oft neuen oder temporären Berliner_innen häufig eine elementare Rolle. Doch auch ein Blick auf das Smartphone einer beliebigen langjährigen Berlinerin wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Apps vieler solcher Plattformen aufweisen, die das urbane Leben in allen Dimensionen zu durchdringen beginnen. Google Maps leitet die Menschen durch die Stadt und modifiziert dabei ihre Geografie; Amazon beeinflusst den Konsum und die Liefervans verstopfen die Straßen. Praktiken und Räume des Datings und Ausgehens verändern sich durch Apps wie Tinder und Grindr. ShareNow, Lime, und viele andere vermieten über ihre Apps Elektroroller, Fahrräder und Autos und wollen so die urbane Mobilität revolutionieren. Airbnb bietet Ferienappartements, Uber Taxifahrten, TaskRabbit Aufbauhilfen für die neuen Ikea-Möbel, Deliveroo das Mittagessen, Helpling die Reinigung der Wohnung, Care.com die Kinderbetreuung und so weiter. Es gibt kaum noch einen Bereich von Arbeit und Leben, in denen digitale Plattformen keine Rolle spielen. Das datengetriebene Geschäftsmodell der meisten Plattformen basiert darauf, dass sie sich über die Smartphones in den Alltag der Nutzer_innen einflechten und zu einem unverzichtbaren Teil der Infrastruktur im alltäglichen Leben werden. Städte sind das primäre Aktionsfeld dieser digitalen Plattformen und werden so zu einem Laboratorium gesellschaftlicher Veränderung. Mit ihnen verändert sich auch die Stadt selbst und wird, wie die Architektin und Urbanistin Clare Lyster schreibt, immer mehr zu einer „integrierten Serviceplattform“ (Lyster 2016: 13).

    Wie digitale Plattformen urbanes Arbeiten und Leben, aber auch gelebte Räumlichkeit und sogar die materielle Architektur der Stadt verändern, ist die zentrale Fragestellung dieses Aufsatzes. Dabei liegt unser Fokus zunächst auf der Analyse von Plattformarbeit in urbanen Räumen (hier konkret in Berlin). Im zweiten Teil des Aufsatzes erweitern wir dann unseren Fokus und fragen, wie Plattformen nicht nur Arbeit, sondern zunehmend auch urbane Räume zu verändern und zu prägen beginnen.

    Wir beginnen unsere Analyse mit einer kurzen Eingrenzung des Begriffs Plattform und skizzieren kurz die Geschichte und Relevanz der Plattformarbeit bzw. Gig Economy. Anschließend analysieren wir auf der Grundlage unserer ethnografischen Forschung in Berlin, die ihren Schwerpunkt auf die Plattformen Uber, Deliveroo und Helpling legt, Prozesse und Logik der App-basierten Plattformarbeit im Stadtraum. Dabei untersuchen wir auch den in der Forschung bislang weitgehend vernachlässigten Aspekt, dass es sich bei dieser Arbeit vorwiegend um migrantische Arbeit handelt. Ausgehend von der Analyse dieses spezifischen Feldes erweitern wir dann unseren Blick auf weitere Fragen des urbanen Lebens, wie die gelebte Geografie oder die urbane Verräumlichung digitaler Plattformen. Zum Schluss erlaubt uns eine kurze Diskussion des Begriffs Plattform-Urbanismus, die gegenwärtigen Transformationen als Infrastrukturwerdung von Plattformen im Urbanen zu charakterisieren. Abschließend wagen wir einen Ausblick auf die Rolle von Plattformen im Kontext der aktuellen Covid-19-Krise.
    Forschungsperspektive: Plattformen, Arbeit, Stadt

    Wir verstehen digitale Plattformen sowohl als konkreten und wichtigen Faktor der Transformation urbaner Arbeits- und Lebensverhältnisse, als auch als radikalen Ausdruck breiterer gesellschaftlicher Veränderungen. Zu diesen gehören die Flexibilisierung von Arbeit, die Logistifizierung von Produktion und Alltag sowie das datengestützte und zunehmend automatisierte Management von Arbeit und urbanem Leben. In diesem Text geht es uns nicht um die Behauptung, die Stadt von morgen würde nach dem Prinzip von Uber und Airbnb regiert (auch wenn uns diese These nicht ganz unplausibel erscheint) oder um die Ausarbeitung einer fertigen Groß-Theorie zum Plattform-Urbanismus. Stattdessen nutzen wir den Begriff heuristisch. Wir setzen unsere Forschung zum Einfluss digitaler Plattformen auf städtische Arbeit und städtischen Alltag ein, um eine kritische Perspektive auf die Stadt von heute zu gewinnen. Diese Perspektive auf die digitalisierte Stadt steht aus unserer Sicht im Dialog mit anderen Forschungsperspektiven. Dazu zählen wir etwa kritische Perspektiven auf den Diskurs und die Materialität von Smart Cities oder die Finanzialisierung der Stadt (Halpern et al. 2013; Harvey 2013; Beverungen/Sprenger 2017).

    Unsere Analyse digitaler Plattformen im städtischen Raum entwickeln wir primär aus der Perspektive der Arbeit und aus einer Untersuchung von Plattformen, bei denen die Organisation und Ausbeutung lebendiger Arbeit im Zentrum des Geschäftsmodells steht. Unsere Forschung folgt auch deshalb diesen arbeitsvermittelnden Plattformen, weil wir Arbeit und politische Ökonomie für zentrale (wenn auch bei Weitem nicht die einzigen) Faktoren in der Produktion des urbanen Raums halten (Harvey 2010; Briken 2018). Dabei ist uns bewusst, dass wir bei der Analyse von Plattformen im Stadtraum auch andere räumliche Praktiken und Akkumulationsformen in den Vordergrund stellen könnten. Der schillernde Begriff der Plattform umfasst viele verschiedene ökonomische Formationen, die sich teilweise sehr stark von den hier untersuchten Plattformen wie Uber oder Deliveroo unterscheiden (Gillespie 2010; Srnicek 2016). Deren Einfluss und deren Rolle im urbanen Raum ist wiederum jeweils sehr unterschiedlich – man denke an die sehr unterschiedlichen Auswirkungen auf das urbane Leben durch die bereits genannten Apps Grindr und Tinder (Miles 2017), Google Maps (Luque-Ayala/Neves Maia 2019), Airbnb (Wachsmuth/Weisler 2018) oder städtische Datenplattformen (Barns 2018). Diese sehr willkürliche Auswahl zeigt auch, dass die Subsumption unterschiedlicher Applikationen und Unternehmen unter den Begriff der Plattform (und des Plattform-Urbanismus) zwar zu dessen Attraktivität, aber auch zu dessen Problematik beiträgt. Schließlich erlaubt es der Begriff, sehr unterschiedliche Unternehmen und Konstellationen zu vereinheitlichen und droht dadurch, an analytischer Schärfe zu verlieren. Andererseits erlauben Begriffe wie Plattform und Plattform-Urbanismus eine breitere Perspektive, die sehr hilfreich dabei sein kann, die tiefgreifenden Transformationsprozesse zu begreifen, zu deren Resultaten etwa die ungeheure globale Macht von Unternehmen wie Amazon oder Facebook gehört. Die Frage, welche Logik diese unterschiedlichen Unternehmen miteinander verbindet, lassen wir im Folgenden jedoch weitgehend offen. Stattdessen entwickeln wir unseren Beitrag primär aus der Perspektive der auch als Gig Economy bezeichneten Plattformarbeit. Damit konzentrieren wir uns auf einen bestimmten Typus von Plattformen sowie auf einen spezifischen Aspekt der Plattformisierung des Urbanen.

    Wir entwickeln unsere Argumentation vor dem Hintergrund zweier laufender Forschungsprojekte zu Plattformarbeit, Stadt und Migration.[1] Diese Projekte verbinden Ansätze und Perspektiven aus Anthropologie, Sozialwissenschaften, Migrationsforschung, Geografie und Stadtforschung sowie Politischer Ökonomie. Methodisch verfolgen wir schwerpunktmäßig einen qualitativen und ethnografischen Forschungsansatz. Die primäre Grundlage für diesen Artikel liefert uns unsere empirische Forschung in Berlin. Dazu gehören umfangreiche ethnografische Untersuchungen (on- und offline), über 40 Interviews mit Plattformarbeiter_innen von Deliveroo, Helpling und Uber sowie Interviews mit Gewerkschafter_innen, Aktivist_innen, Verwaltungsmitarbeiter_innen, Abgeordneten und weiteren Akteur_innen. Diese Forschung in Berlin steht im Kontext eines zweiten, transnationalen Forschungsprojektes zu Plattformarbeit in verschiedenen europäischen Städten, das uns die Kontextualisierung der besonderen Berliner Situation erlaubt.

    2. Plattformarbeit in der digitalisierten Stadt

    „I was told that it was an application and that I was going to get a job right away. They told me that you register and you get offers through the application, it was strange to me, but it was like that, you register and you get offers, cleaning offers from different houses, from different areas, either two hours or four hours, but Helpling gets a pretty high commission. That’s basically it.“ Camila, Berliner Plattformarbeiterin aus Argentinien (Interview, Januar 2020)[2]

    Plattformarbeit ist heute ein globales Phänomen. Millionen Menschen arbeiten in urbanen Zentren auf der ganzen Welt über digitale Plattformen. „Everybody is talking about the gig economy“, schreiben die britischen Wissenschaftler Jamie Woodcock und Mark Graham in ihrer kritischen Einführung zum Thema (Woodcock/Graham 2019: 1). Während sich der Begriff in Deutschland eher langsam verbreitet, hat „Gig Economy“ in anderen Ländern bereits Einzug in die Umgangssprache gehalten. In Großbritannien etwa, wo Woodcock und Graham zufolge die Zahl der Plattformarbeiter_innen inzwischen der Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitssektor entspricht, entwickeln sich seit einigen Jahren breite öffentliche Diskussionen über das Phänomen und dessen Auswirkungen auf die Welt der Arbeit. Die Aufmerksamkeit für die Gig Economy speist sich hier, aber auch anderswo in Europa, nicht zuletzt aus einer Welle von Protesten von Plattformarbeiter_innen (Animento et al. 2017; Cant 2019). Vermittelt durch diese Kämpfe gewinnt der Begriff inzwischen auch in der deutschsprachigen Debatte an Bedeutung, vor allem im Bereich der Essenslieferung.

    Zur Größe der Gig Economy gibt es wenig belastbare Zahlen und kontroverse Diskussionen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Plattformarbeit oft aus dem Raster üblicher Erhebungsmethoden zu Arbeitsmärkten fällt, teilweise nicht statistisch erfasst wird bzw. werden kann, häufig ein Zweit- oder Drittjob ist und zudem nur schwer von ähnlichen Formen flexibler und kontingenter Arbeit abgrenzbar ist. Die Plattform Helpling etwa, deren Geschäftsmodell das Eingangszitat prägnant beschreibt, vermittelt in über 200 Städten weltweit Putzkräfte. Die selbstständigen Kuriere von Deliveroo liefern Essen in über 500 Städten aus und die Taxiplattform Uber hat über 100 Millionen Kund_innen in über 900 Städten auf der ganzen Welt. Grob geschätzt dürften es zusammen mit Tausenden weiterer Plattformen insgesamt an die 50 Millionen Plattformarbeiter_innen sein (Heeks 2019).

    Eine umfangreiche Studie in 13 europäischen Ländern, die den Begriff Gig Economy relativ breit definiert und auch digitale Arbeit auf Onlineplattformen wie Amazon Mechanical Turk miteinschließt, resümiert, die Plattformarbeit spiele in allen untersuchten Ländern eine bedeutende Rolle. Allerdings sei sie in den meisten Fällen nicht die Haupteinnahmequelle, sondern eine wichtige Ergänzung anderer Einkommensquellen. Interessant ist die geografische Verteilung: Die höchsten Anteile regelmäßiger (wöchentlicher) Plattformarbeit wurden in Zentral- und Osteuropa gemessen. So waren es in Tschechien 2019 etwa 28,5 Prozent der arbeitenden Bevölkerung, während die Werte in Nord- und Westeuropa geringer sind. In Deutschland gingen der Studie zufolge 2016 etwa 6,2 Prozent der arbeitenden Bevölkerung mindestens einmal wöchentlich unterschiedlichen Formen von Plattformarbeit nach (Huws et al. 2019). Eine Untersuchung der Europäischen Kommission kommt mit einer anderen Methode auf ähnliche Zahlen für Deutschland (Pesole et al. 2018). Andere Erhebungen kommen zu etwas niedrigeren Zahlen. Plattformarbeit macht also bisher – darauf deuten die vorliegenden Zahlen hin – einen eher kleinen Anteil an den jeweiligen nationalen Arbeitsmärkten aus. Dieser Anteil scheint jedoch stark zu wachsen. Der Studie von Ursula Huws (2019: 1) zufolge hat sich etwa die Zahl der Plattformarbeiter_innen in Großbritannien zwischen 2016 und 2019 verdoppelt.

    Die Gig Economy ist ein globaler Arbeitsmarkt mit primär urbanen Effekten. Daher ist seine genaue Größe in einzelnen nationalen Ökonomien vielleicht auch nicht der springende Punkt. Ihre qualitative Relevanz erhält sie zumindest auch durch ihre Eigenschaft als zentrales Experimentierfeld für neue Formen digital vermittelter, organisierter und kontrollierter Arbeit. So deutet vieles darauf hin, dass die Covid-19-Krise und die daraus hervorgehenden, schon vorauszusehenden wirtschaftlichen Verwerfungen die Bedeutung der Plattformarbeit noch einmal verstärken werden. Bereits in ihrer heutigen Form ist die Gig Economy ein Produkt der letzten großen Finanz- und Schuldenkrise. Zwar steht die Gig Economy historisch betrachtet in einer langen Genealogie kontingenter Arbeit, sie ist aber in ihrer heutigen Form ein Produkt der globalen Krise ab 2007. In dieser trafen insbesondere in den USA Arbeitskräfte, die aufgrund von Entlassungen und Rezession freigesetzt worden waren, auf großzügig mit Risikokapital ausgestattete Plattformunternehmen und begründeten so einen neuen Kreislauf kontingenter Arbeit.

    Die 2009 gegründete Taxi-Plattform Uber lieferte dafür eine Art Blaupause: Wie die meisten Plattformen versteht sich Uber primär als Technologieunternehmen, das zwischen Kund_innen und selbstständigen Taxiunternehmer_innen vermittelt. Dementsprechend hat das Unternehmen selbst nur wenige festangestellte Mitarbeiterinnen. Es organisiert eine große Menge Arbeitskraft on demand, um flexibel auf sie zugreifen zu können. Den etwa 20.000 fest angestellten Mitarbeiter_innen bei Uber stehen weltweit über drei Millionen formell selbstständige Fahrer_innen gegenüber. Diese führen mit ihren eigenen Autos einzelne Taxifahrten durch, die ihnen über die Uber-App vermittelt und durch diese einzeln abgerechnet werden. Dieses Modell – die Auslagerung einzelner, zeitlich befristeter Aufträge (der sogenannten Gigs) an formell selbstständige Arbeiter_innen mittels einer digitalen Plattform – bildet die Grundlage der heutigen Gig Economy. Inzwischen dringen solche Plattformmodelle in fast alle Bereiche vor.

    Uber verbindet sein schlankes Geschäftsmodell (Srnicek 2016), das Fixkosten für Arbeit und Autos weitgehend vermeidet, mit einer kapitalintensiven Disruptionsstrategie. Diese zielt darauf ab, herkömmliche Taxidienste zu unterbieten und so vom Markt zu verdrängen. Zudem lässt sich eine oftmals aggressive Strategie zur Umgehung nationaler und munizipaler Gesetze und Reglungen im Bereich des Personentransports beobachten. Diese führt vielerorts – wie aktuell auch in Deutschland – zu erbitterten Konfrontationen mit Taxiverbänden und Stadtregierungen. Diese Auseinandersetzungen sorgen immer wieder für Rückschläge in der globalen Expansionsstrategie von Uber. Auch das Modell der solo-selbstständigen Fahrer_innen ist rechtlich wie politisch an vielen Orten umkämpft.
    Plattformarbeit in Berlin: Kontingenz und Kontrolle

    Auch in Berlin ist das Geschäft von Uber rechtlich und politisch umstritten. Ein Effekt dieser Auseinandersetzungen ist, dass die Beschäftigungsverhältnisse bei Uber hier heterogener ausfallen als an anderen Standorten. In Berlin stehen zwischen Plattform und Fahrer_in oft noch verschiedene Subunternehmen. Zugleich ist Uber für viele Fahrer_innen tatsächlich ein Vollzeitjob, auf dessen Einkünfte sie nicht verzichten können (für die Situation in den USA und Kanada: Rosenblat 2018). Verschärft wird diese Situation oft durch Schulden oder Leasinggebühren, mit denen die Fahrer_innen die Autos für ihre Arbeit finanziert haben und die sie regelmäßig bedienen müssen – nicht selten bei Uber selbst. Petra, eine Berliner Uber-Fahrerin, die mit dieser Tätigkeit ihre Rente aufbessert, beschreibt die Situation so: „Die Leasing-Autos, die müssen ja immer bezahlt werden. Da ist das Leasing, die Versicherung und das Geld muss natürlich irgendwie reinkommen. Deshalb darf ein Auto auch nicht stillstehen.“ (Interview März, 2020) Petra erzählt, dass sich manchmal zwei Fahrer_innen ein Auto teilen, um es 24 Stunden am Tag zu nutzen und so rentabel zu machen. Ihr Arbeitsalltag wird dabei komplett von der Uber-App auf ihrem Smartphone organisiert. Durch diese bekommt sie ihre Aufträge für die einzelnen Fahrten, die Routen und eine Reihe weitere Informationen. Mit den angestellten Mitarbeiter_innen von Uber im Berliner Büro hat Petra nur in Ausnahmefällen zu tun.

    Wie eingangs beschrieben, werden auch die Fahrer_innen der Essenslieferplattform Deliveroo per App durch die Stadt dirigiert. Der hohe Grad an Kontrolle über den Arbeitsprozess, den viele Plattformen über ihre Apps ausüben, lässt die Argumentation der Plattformen, lediglich Aufträge für Selbstständige zu vermitteln, zumindest fragwürdig erscheinen. Komplexe Algorithmen verteilen die Aufträge an die Fahrer_innen und versuchen diese mit Anreizsystemen in Zonen mit hoher Nachfrage zu locken. Gleichzeitig dient die App zur Schichtplanung und zur automatisierten kleinteiligen Organisation jeder einzelnen Lieferung oder Taxifahrt. Dabei werden verschiedenste Daten erhoben wie Fehlzeiten, Verspätungen, Geschwindigkeit, Routen, abgelehnte Aufträge oder Bewertungen der Kundschaft. Diese Daten werden sowohl genutzt, um die Algorithmen zu optimieren als auch um die Arbeit der einzelnen Fahrer_innen umfassend zu vermessen und gegebenenfalls zu sanktionieren.

    Teil dieses integrativen Systems „algorithmischen Managements“ (Beverungen 2017) sind verschiedene Bewertungssysteme. Oft strukturieren diese den Zugang zu zukünftigen Aufträgen und dienen so als Disziplinierungsmechanismen für die formell selbstständigen Plattformarbeiter_innen. Bei Uber und Helpling sind darüber hinaus die Bewertungen der Kundschaft enorm wichtig für den Zugang zu zukünftigen Aufträgen. Sie bringen oftmals die Arbeiter_innen in schwierige Situationen gegenüber ihren Kund_innen, etwa wenn diese unbezahlte zusätzliche Leistungen verlangen oder sich übergriffig verhalten. Bei Deliveroo bilden vor allem die individuellen Statistiken zu Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sowie die Bereitschaft, abends und am Wochenende zu arbeiten, die Grundlage für den Zugang zu neuen Schichten und Aufträgen. Chris, ein US-amerikanischer IT-Arbeiter, der auf der Suche nach einem Job in Berlin bei Deliveroo gelandet ist, erklärt: „When you want shifts, it’s annoying if you have bad statistics.“ (Interview, August 2019) Im Falle von kurzfristigen Terminen, Krankheit oder schlechtem Wetter steht Chris vor der Wahl, entweder trotzdem zu arbeiten oder in der folgenden Woche seinen Zugang zu Aufträgen zu gefährden: „A couple of weeks ago it was […] really bad. I was working, and it was really raining, really hard and it was kind of like a storm. And it wasn’t even safe to ride. So I went home early and it still affected my statistics.“ (ebd.) Sowohl das Zurückgreifen auf die Kundschaft als ‚Ko-Management‘ als auch das Management über Apps und Algorithmen zielen auf ein System, das weitgehend automatisiert funktioniert und daher kaum angestelltes Personal für Betreuung und Management von Arbeiter_innen und Kundschaft verlangt. Digitale Technologie erlaubt dabei die präzise Organisation, Kontrolle und Vermessung der Arbeit der im Stadtraum verteilten Fahrradkurier_innen, Taxifahrer_innen und Paketlieferant_innen in einer Weise, die vorher nur in der disziplinären Architektur einer Fabrik denkbar war. Nun erfolgt sie aus der Ferne und weitgehend automatisiert – die Plattform als „digitale Fabrik“ (Altenried i. E).

    Das generelle Ziel von Plattformunternehmen ist es, ihre Fixkosten (für Arbeit und Produktionsmittel) möglichst weit zu senken. Der Rückgriff auf solo-selbstständige Arbeiter_innen, die mit ihren eigenen Fahrrädern oder Autos unterwegs sind, führt im Zuge der Digitalisierung der Arbeitsorganisation zur Renaissance einer eigentlich als weitgehend historisch betrachteten Lohnform: dem Stücklohn. In der Geschichte des Kapitalismus an den Rand gedrängt, wenn auch nie ausgestorben, sind Stücklöhne in der heutigen Gig Economy ein zentrales Mittel, das einerseits unternehmerische Risiken auf die Arbeiter_innen abwälzt und andererseits deren Leistungskontrolle und Disziplinierung dient. Die Arbeiter_innen werden nur für die einzelnen Aufträge bezahlt, nicht für eine festgesetzte Arbeitszeit. So verursachen sie bei Auftragsflauten keinerlei Kosten für die Unternehmen. Gleichzeitig werden auch die Kosten für Schichtplanung und Arbeitswege auf die Arbeiter_innen abgewälzt. Dies ist zum Beispiel ein Problem für Helpling-Arbeiter_innen, deren Arbeitsorte in der ganzen Stadt verteilt sein können, wie die bereits zitierte Camila erklärt: „A lot of time is lost between transfers, in the train, in the bus […] Today from seven in the morning to three in the afternoon, I didn’t stop. And at the end of the day, the second house for two hours paid me 15 euros, and the first one, I think, was 19.“ (Interview, Januar 2020)

    Stücklöhne funktionieren zugleich als Disziplinierungsinstrument und können so die direkte Kontrolle über den Arbeitsprozess ersetzen. So wirkt sich etwa die Geschwindigkeit eines Deliveroo-Kuriers direkt auf seinen Stundenlohn aus. Die Stücklöhne sind meist flexibel, das heißt sie ändern sich häufig, werden vielfach in Echtzeit an Nachfrage und verfügbare Arbeiter_innen angepasst. Bei Deliveroo ist die Distanz zwischen Abholort und Lieferziel ein zentraler Faktor der Entlohnung. In der Folge müssen die Fahrer_innen jedes Mal, wenn ihnen in der App ein Auftrag angeboten wird, mehrere Faktoren (generelle Nachfrage, potenzielle Wartezeit im Restaurant, Schwierigkeit des Anfahrtsweges, Endpunkt der Lieferung etc.) abwägen, um zu entscheiden, ob es sich für sie lohnt, den Auftrag anzunehmen. Jeder einzelne Auftrag ist stets eine kleine Wette darauf, dass es sich lohnen wird.

    Die Plattform Helpling erlaubt es den darauf angemeldeten Putzkräften, ihren Stundenlohn innerhalb einer vorgegebenen Spanne selbst festzulegen. Von diesem Lohn zieht Helpling dann etwa 30 Prozent Vermittlungsgebühr ab. Dadurch stehen die Arbeiter_innen der Plattform in direkter Konkurrenz zueinander um die begrenzten Putzaufträge. Insbesondere Arbeiter_innen mit wenigen oder schlechteren Kund_innenbewertungen können es sich nicht erlauben, ihre Stundenlöhne zu hoch anzusetzen, da sie sonst keine Aufträge mehr erhalten und im Niemandsland der Plattform verschwinden. Natalia, eine weitere Helpling-Arbeiterin aus Argentinien, beschreibt diese Problematik so: „I started to raise [the price] because it doesn’t give me enough money to survive, actually. So, I started to upgrade. And then there was a time when it was too high, and I didn’t get any offers, so I lowered it once again. Now I have a new model: first more clients, and then I upgrade again.“ (Interview, Januar 2020) Die Gestaltung des Profilfotos, der Klang von Namen und vergeschlechtlichte Zuordnungen sind weitere Faktoren, die bei dieser Konkurrenz eine Rolle spielen.

    Die Konkurrenz um volatile Aufträge ist in der Plattformökonomie ein globales Problem. Da selbstständige Arbeiter_innen kaum Fixkosten verursachen, gibt es für die Plattformen selbst kaum Anreize, die Zahl der bei ihnen angemeldeten Arbeiter_innen zu begrenzen, ganz im Gegenteil: Eine hohe Zahl an Arbeiter_innen bietet Plattformen wie Uber und Deliveroo die Möglichkeit, im ganzen Stadtgebiet schnellen Service anzubieten, wie Tommaso, ein Berliner Deliveroo-Fahrer analysiert: „So, their ideal condition would be to have a lot of workers, and then couriers doing just one delivery per hour, and the rest of the time doing nothing.“ (Interview, Juli 2019). Tommaso ist klar, dass sich seine Auftragslage aufgrund einer Zunahme an latenten Arbeitskräften jederzeit verschlechtern kann. In den meisten Ländern ist das Angebot an Arbeiter_innen größer als die Zahl der vorhandenen Aufträge. Plattformen sind meist nicht gewillt, den Arbeiter_innen eine bestimmte Anzahl an Aufträgen zuzusichern. Um der volatilen Auftragslage besser begegnen zu können, sind viele Arbeiter_innen bei mehreren Plattformen gleichzeitig angemeldet. Sie versuchen so, ein ausreichendes Einkommen zusammenzubringen. Selbst wenn die Auftragslage, wie bei Tommaso gut ist, ist das noch keine Garantie für die Zukunft. Der Fahrer reflektiert darüber:

    „The problem was actually, there was no guarantee actually for, no protection as a worker, let’s say. So, also there was no guarantee actually, the company would keep the same level of average of deliveries per hour. And there was no control actually over how many people were employed. And basically, I could be fired for overnight. The same thing, flexibility, also in their case, so like the dark side of flexibility.“ (Interview, Juli 2019)

    Im selben Interview betont der 38-jährige Fahrer aber auch die „hellen“ Seiten der Flexibilität. Seit er vor über zehn Jahren aus Norditalien nach Berlin gekommen ist, arbeitet er als selbstständiger Stadtführer. Seine vier Jahre bei Deliveroo erlaubten ihm ein gutes Zusatzeinkommen, besonders im Winter, wenn weniger Besucher_innen nach Berlin kommen. Wie Tommaso kritisieren viele Plattformarbeiter_innen die Prekarität dieser Existenzweise. Gleichzeitig betonen sie aber, dass diese Arbeit auch ihnen eine flexible Arbeitszeitplanung ermöglicht. Digital organisierte Plattformarbeit funktioniert in diesem Sinne für manche auch als Ergänzung zu anderen Einkommen oder als Zwischenlösung. Doch niemand möchte langfristig oder ausschließlich davon abhängig sein. Während für den italienischen Stadtführer Deliveroo als Zusatzeinkommen funktioniert hat, haben viele andere Plattformarbeiter_innen häufig weniger Alternativen und sind vollständig auf bestimmte Plattformen angewiesen.

    Krankheit oder Unfälle stellen eine zusätzliche ständige Bedrohung dieser prekären Kalkulation dar. In den meisten Fällen bedeuten sie einen hundertprozentigen Verdienstausfall. Dem stehen in der Regel kaum Ersparnisse gegenüber. Joaquín, ein Helpling-Arbeiter aus Chile, erläutert: „I would not like to get sick because you practically lose money, you cannot work, there is no security. It is a problem to get sick and it is a problem that you have to solve.“ (Interview, Dezember 2019) Arbeitsunfälle stellen dabei ein besonderes Problem dar, da viele der Arbeiter_innen nur unzureichend versichert sind. Deswegen versuchen sie, Arbeitsunfälle als private Unfälle darzustellen oder sie suchen bewusst keine medizinische Hilfe, wie Sofía, eine spanische Deliveroo-Fahrerin, schildert:

    „I had a crash in November, a pretty big bad crash. I didn’t work for like three weeks. And I have like the European [health insurance] card, but yeah, of course, you have like nothing covered. I ride fixed, and I was going down a hill, and the chain came out of place. So yeah, it was pretty bad. And I was like: ‚I’m not calling an ambulance.‘“ (Interview, August 2019)

    Während einige Arbeiter_innen bewusst darauf verzichten, sich zu versichern, weil dies ihre Einkünfte schmälern würde, liegt es bei vielen häufig an mangelnden Kenntnissen der entsprechenden Gesetze und Regularien sowie ihrer eigenen Rechte. Dies gilt insbesondere für migrantische Arbeiter_innen, für die das deutsche Sozialsystem sowie gesetzliche Regelungen zu Anmeldung, Selbstständigkeit und Versicherung oft auch sprachlich kaum zugänglich sind.
    Migration: Plattform-Mobilitäten

    „But at the same time, this is the only option that the immigrants or people from Chile or people from India have. Like they cannot work anywhere else. So, even though the work conditions are shit, they – it’s the only thing people have, yeah, the only opportunity. So, for me, I was really happy with it. And as long as I didn’t get hit by a car, everything was going to be okay.“ Bastián, Deliveroo-Arbeiter aus Chile (Interview, August 2019)

    Plattformarbeit ist vorwiegend migrantische Arbeit. In unseren vorherigen Arbeiten haben wir stets betont, dass Arbeit grundsätzlich nicht ohne die sie konstituierende Mobilität gedacht werden kann (Altenried et al. 2017, Bojadžijev 2020). Dennoch ist die Verbindung zwischen Arbeit und Mobilität historisch unterschiedlich und muss folglich immer wieder neu bestimmt werden. Unsere aktuelle Untersuchung zeigt, dass sowohl in Berlin als auch in den meisten anderen europäischen Städten die deutliche Mehrheit der auf den verschiedenen Plattformen Arbeitenden (oft relativ frisch) zugezogen sind. Während dies bei Uber in Berlin viel mit der langen Migrationsgeschichte des Taxigewerbes in Deutschland zu tun hat, arbeiten bei Deliveroo und Helpling insbesondere junge Migrant_innen, die erst vor Kurzem in die Stadt gezogen sind, etwa aus Lateinamerika oder Südeuropa.

    Für viele jüngere Migrant_innen ist Plattformarbeit eine Möglichkeit, direkt nach der Ankunft in Berlin Geld zu verdienen. Die Plattformen verlangen nur ein Minimum an Papieren und da angemeldete Arbeiter_innen keine Fixkosten verursachen, nehmen Plattformen oft alle, die sich bewerben – weitgehend ohne Bewerbungsverfahren, meist ohne Qualifikationsanforderungen und ohne Anlernphase. Die größte Hürde, an andere Jobs zu kommen, sind für die meisten dieser Migrant_innen ihre fehlenden Deutschkenntnisse. Ohne diese verringert sich die Auswahl an verfügbaren Arbeitsmöglichkeiten deutlich; ohne gute Englischkenntnisse sind sie noch weiter eingeschränkt. Die Apps der Plattformunternehmen sind dagegen meistens mehrsprachig und erlauben so auch einen Arbeitseinstieg ohne englische oder deutsche Sprachkenntnisse.

    Insbesondere für junge Migrant_innen aus Südamerika, die meist mit einjährigen Visa einreisen, ist die Plattformarbeit eine gute Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt „in der Migration“ zu verdienen. Für manche wird diese Arbeit zu einem eingeplanten Teil ihrer Migrationsprojekte und stellt so etwas wie eine „Migrationsinfrastruktur“ (Xiang/Lindquist 2014) für mobile Arbeiter_innen dar. Bastián, der bereits zitierte junge Chilene, antwortet auf die Frage, inwieweit Plattformen seine Entscheidung nach Berlin zu kommen, beeinflusst haben:

    „It’s quite known that both Helpling and Deliveroo are the easy jobs to apply to when you come with a visa, because you only have one year, and this is very immediately. You don’t need that much papers, and you don’t need to speak German. So, yeah, I always thought that it was an option working as Deliveroo, even when I was in Chile.“ (Interview, August 2019)

    Viele migrantische Berliner Plattformarbeiter_innen berichten, dass die Möglichkeit, über Plattformen einen schnellen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden, ihnen bei ihren Migrationsplänen Zuversicht gegeben hat. Hinzu kommt, dass einige bereits in ihren Heimatländern für Plattformen gearbeitet haben, teilweise sogar für dieselben wie in Berlin. Sie wissen also bereits, wie diese funktionieren. Manche von ihnen haben mittlerweile sogar in mehreren Ländern für unterschiedliche Plattformen gearbeitet und organisieren so ihre transkontinentale Mobilität.

    Nicht wenige dieser migrantischen Plattformarbeiter_innen haben Universitätsabschlüsse und hoffen darauf, im Laufe der Zeit Arbeit in dem Bereich zu finden, in dem sie ausgebildet wurden. Gustavo, ein Stadtplaner aus Peru, der bei Helpling arbeitet, schildert dies so: „While I look for work in my master’s degree, to survive I am working, because, really, if you are fast, you earn more than in a café or restaurant.“ (Interview, Januar 2020) So wie Gustavo nennen die meisten jüngeren Plattformarbeiter_innen Jobs in Cafés oder Restaurants als mögliche Alternative zur Plattformarbeit. Die dortigen Arrangements sind meist ähnlich (schlecht) bezahlt und oftmals noch informeller und prekärer. Deswegen erscheint die per App vermittelte Arbeit ihnen oft als die bessere Option.

    Die wenigen Alternativen für migrantische Arbeiter_innen kontextualisieren deren ambivalente Bewertung von Plattformarbeit in den stratifizierten urbanen Arbeitsmärkten. Viele Sektoren, in denen Plattformen in den letzten Jahren eine Rolle zu spielen begannen – insbesondere im Dienstleistungsbereich –, sind historisch von flexibilisierten Arbeitsverhältnissen geprägt. In ihnen sind überdurchschnittlich häufig migrantische und weibliche Arbeiter_innen tätig. In ihrer Analyse der „Global City“ London, diagnostizieren Jane Wills und ihre Kolleg_innen eine Verstärkung, aber auch eine neue Qualität dieser Tendenz. Sie sprechen von einer „neuen migrantischen Arbeitsteilung“ und bezeichnen damit eine Stratifizierung des Arbeitsmarktes, bei der sich Migrant_innen vorwiegend am unteren Ende finden: „While migrants have long populated the lower echelons of the London labour market, supplying the workers who do the dirty, dangerous and difficult jobs, we posit that something new has been going on over the past two decades or so. Most clearly in relation to its rise to global-city status, London has become almost wholly reliant on foreign-born workers to do the city’s ‚bottom-end‘ jobs.“ (Wills et al. 2010: 1). In jüngerer Zeit spielen in dieser Dynamik digitale Plattformen eine wichtige Rolle. Nicht von ungefähr wurde Deliveroo 2013 in London gegründet. Aus der Perspektive nationaler Arbeitsmärkte mögen die Arbeitsverhältnisse bei digitalen Plattformen oft irregulär erscheinen. Aus der Perspektive migrantischer Arbeit sind sie jedoch Teil einer langen Geschichte hyper-flexibler, prekärer und durch Überausbeutung gekennzeichneter Arbeitsverhältnisse für mobile Bevölkerungen.

    Gerade für Berlin – kontinuierliches Ziel verschiedenster Migrationsbewegungen – kann die Rolle migrantischer Arbeit nicht nur im Bereich digitaler Plattformen nur schwer überschätzt werden. Plattformen profitieren von den jungen, oft hochqualifizierten migrantischen Arbeiter_innen und nehmen deren heterogene Mobilitätspraktiken auf. Auch wenn die individuellen Geschichten und Motive der Migration sehr verschieden sind, zeigt sich in vielen Städten ein ähnliches Bild wie in Berlin: Es sind Migrant_innen, die den Großteil der On-Demand-Arbeiter_innenschaft der Plattformen stellen. Das gilt auch über Europa hinaus. Auf die Frage, wie die Arbeit bei Essenslieferplattformen in seiner Heimatstadt Santiago de Chile funktioniert, analysiert Tomás, ein Berliner Deliveroo-Fahrer, eine ähnliche Form der migrantischen Arbeitsteilung:

    „You see in Chile, it has the same effect as here. A lot of people from Colombia and Venezuela are working there. So, it’s like a job that is accessible to them. It’s just like the same with us, like another country that is coming with difficulties in terms of economics and opportunities.“ (Interview, Juli 2019)

    Die von uns untersuchte Plattformarbeit in Berlin bietet als eine Art Mikrokosmos Einblicke in globale ökonomische und politische Krisen der jüngeren Vergangenheit. Von den Plattformarbeiter_innen kann man ebenso Geschichten über den Krieg in Syrien oder die Währungskrise in Argentinien hören wie über die Verwerfungen der Eurokrise und der Austeritätspolitik in Südeuropa. So berichtet etwa die 22-jährigen Gabriela, dass sie sich in Berlin mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhofft als in ihrer Heimat Barcelona:

    „To work in Spain is not good. You don’t get more than 10 euros per hour. You don’t get more. I was working in a restaurant by black. But I was working as dishwasher. But there was also the chef and the waitress. And we all win 5.50 euro per hour, we all.“ (Interview, Mai 2019)

    Gabriela arbeitet sowohl für Deliveroo als auch für Helpling. Um ihre Miete zu finanzieren, zieht sie gelegentlich zu ihrem Freund und vermietet ihre Wohnung unter der Hand für einige Tage über Airbnb: Leben unter Bedingungen des Plattform-Urbanismus.

    Digitale Plattformen verändern die Welt der urbanen Arbeit umfassend. Das gilt nicht nur, aber in besonderer Weise für Migrant_innen. Deren Mobilität, Prekarisierung und Flexibilisierung bildet die Grundlage derartiger Arbeitsverhältnisse in der digitalen Ökonomie. Während die Arbeit auf der Putzplattform Helpling unsichtbar und in privaten Räumen bleibt, sind die Fahrer_innen der Essenslieferdienste oder die inzwischen mehrere Tausend Uber-Taxis aus dem Stadtbild Berlins kaum noch wegzudenken. Das lässt wiederum darauf schließen, dass sich mit der Transformation der Arbeit auch Praktiken und Muster urbanen Konsums, transnationaler Mobilität und sozialer Reproduktion verändern – und damit der urbane Raum selbst. Neben den bisher genannten Plattformen müssen noch viele weitere als Teil dieser Veränderung berücksichtigt werden: von Airbnb bis Google, von TripAdvisor bis Amazon. Deswegen wollen wir im Folgenden unseren Blick über die Plattformarbeit hinaus richten und diesen emergenten Plattform-Urbanismus grob skizzieren.

    3. Plattform-Urbanismus: Geisterküchen und On-Demand-Geografien

    Kehren wir zurück zu dem virtuellen Restaurant in Berlin-Kreuzberg im Juni 2019, von dem der Deliveroo-Kurier die Bestellung abgeholt hat. Es liegt versteckt im zweiten Hinterhof. Wer sich hier nach einem konventionellen Restaurant umschaut, wird lange suchen müssen. So wie der Kurier, als er zum ersten Mal hier eine Bestellung abholte. Neben einer unscheinbaren schwarzen Tür hängt ein dezentes Schild mit dem Firmennamen und den Logos gleich mehrerer in Berlin tätiger Essenslieferdienste. Zahlreiche Fahrradkuriere gehen ein und aus. Hinter der Tür öffnen sich die Räume zur Küche. In diesen virtuellen Restaurants ist alles für die Auslieferung optimiert. Die üblichen kulturellen Insignien eines Restaurants fehlen vollständig, alles findet unter der Maßgabe von Hygiene und Effizienz statt. An einem Regal hängen zahlreiche Tablets, über die im Minutentakt Bestellungen eingehen, die irgendwo in der Stadt per App getätigt wurden. Einige der beliebtesten „Restaurants“ auf diesen Plattformen existieren tatsächlich nur in diesem Raum. In diesem Geisterrestaurant werden mexikanische Burritos, Thaicurry, vegane Hotdogs und hawaiianische Poke Bowls direkt nebeneinander gekocht. Den meisten Kund_innen wird das nicht auffallen: Die Kochstile und Nationalküchen, die hier von denselben Köch_innen zubereitet werden, treten in den Apps der Lieferdienste wie verschiedene Restaurants auf.

    Global entstehen in urbanen Kontexten immer mehr solcher Restaurants, in denen ausschließlich für die Lieferung gekocht wird. Oft werden sie als „dark kitchens“, „cloud kitchens“ oder „ghost kitchens“ bezeichnet. Weil die bestehenden Restaurants, die gleichzeitig Laufpublikum bedienen müssen, sich oft als zu ineffizient für die Anforderungen der Auslieferung erweisen und die beliebten Innenstadtlagen für solche Restaurants mit hohen Mietkosten verbunden sind, steigt die Zahl dieser Geisterrestaurants und damit die Bedeutung der sie begleitenden Geschäftsmodelle. So baute beispielsweise Travis Kalanick, der Mitgründer und ehemalige CEO von Uber, die Firma Cloud Kitchens auf, die auf die Auslieferung optimierte „virtuelle Küchen“ an bestehende Restaurants vermietet, damit sie diese von ihren Restaurantküchen trennen können. Kitchen United, ein von Google finanziertes Start-up, bietet neben Räumen und Küchenausstattung auch Software für Lieferküchen an und verspricht dabei eine Einsparung von 75 bis 80 Prozent des Personals im Vergleich zu herkömmlich organisierten gastronomischen Küchen.

    Auch die Lieferplattform Deliveroo hat auf die Erfahrung reagiert, dass viele Restaurants mit der Nachfrage nach Essenslieferungen überfordert sind und das Programm „Deliveroo Editions“ aufgesetzt. So stehen beispielsweise auf einem heruntergekommenen Parkplatz im Londoner Stadtteil Blackwell, der einst ein Umschlagplatz für Kleidung und Wolle war, zehn fensterlose Container in den Farben der Plattform. In jedem dieser kleinen Container arbeitet das Küchenpersonal beliebter Restaurants aus der Umgebung und kocht Essen – ausschließlich für die Auslieferung, etwa in die benachbarten Bürotürme in Canary Wharf, einem früheren Teil des Hafens, der jetzt ein neues Finanzzentrum ist.

    Die Container, die, abgesperrt durch Metallzäune unter den Schienen der Hochbahn stehen und mit Flutlicht beleuchtet werden, bieten ein eher trostloses Bild. Das Personal beschwert sich über die Temperaturen in den fensterlosen Containern: Je nach Jahreszeit ist es zu kalt oder zu heiß. In anderen Londoner Stadtteilen oder in anderen Städten Großbritanniens, Australiens, Frankreichs oder in Hongkong, in denen es solche Geisterküchen gibt, nutzt „Deliveroo Editions“ alte Warenhäuser oder Fabrikgebäude. Neben der großen Kapazität und den geringen Mieten sind effiziente Abläufe ein zentraler ökonomischer Faktor dieser „virtuellen Küchen“. Zur Projektierung solcher Editions-Küchen nutzt Deliveroo die Daten aus Millionen vorhergegangener Bestellungen. Mit diesen lasen sich unter anderem die Nachfrage nach bestimmten Restaurants und Kochstilen für potenzielle Standorte bestimmen. Die Editions-Küchen sowie die zunehmende Automatisierung und Standardisierung des Kochens spielen eine wichtige Rolle für das langfristige Unternehmensziel, die gelieferten Essen preislich an die Kosten für selbst gekochtes Essen anzunähern.
    Logistische Städte und neuer Plattform-Urbanismus

    Diese Entwicklungen zeigen, dass Plattformen wie Deliveroo Teil tiefgreifender Veränderungen sind, die nicht nur die Welt der Arbeit betreffen, sondern auch die Transformation des urbanen Raums. Produktion und Konsumption von Essen sind ein wichtiger Faktor, der den urbanen Raum, seine Kultur und seine Sozialität prägt, insbesondere in Innenstädten. Im Kontext einer sich immer mehr verbreitenden On-Demand-Logik verändert sich jedoch nicht nur das Essensverhalten, sondern auch das Konsumverhalten insgesamt. Immer mehr Waren – von Büchern über Käse zu Waschmaschinen – werden bis an die Haustüre geliefert. Die logistischen Prozesse bei der letzten Meile der Auslieferung werden dabei immer wichtiger; die Anforderungen an Geschwindigkeit, Flexibilität und Effizienz steigen. Amazon benötigt beispielsweise seit einigen Jahren in den Innenstädten neue Distributionszentren, um seine Prime-Kundschaft zu beliefern, die teilweise mit „Same Hour“-Lieferversprechen umworben wird. In Berlin entstanden neue städtische Amazon-Distributionszentren zuerst am Kurfürstendamm und später in Tegel. Diese neuen, innerstädtischen Lieferzentren tauchen jüngst in vielen größeren Städten auf. Sie ergänzen die großen Distributionszentren, die Amazon normalerweise an strukturschwachen und oftmals von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Orten in der Peripherie von Städten platziert, um Miete und Lohnkosten zu sparen – wie in Brieselang bei Berlin.

    In ihrem Buch Learning from Logistics spekuliert die Urbanistin und Architektin Clare Lyster, dass die Logistik inzwischen zum zentralen Paradigma der Stadtplanung geworden ist, da Ströme von Menschen, Waren und Daten eine immer größere Bedeutung bekommen. Um diesen neuen Urbanismus zu verstehen, schlägt Lyster vor, Zeit und Effizienz als die wichtigsten Vektoren der Urbanisierung zu begreifen und fordert uns auf: „Hypothesize that time is the most critical attribute of city making, reconceptualise the city as integrated service platform rather than a series of figural artefacts.“ (Lyster 2016: 13) Im Blick auf die logistischen Geografien der On-Demand-Logik, die Same-Day- oder Same-Hour-Versprechen der Plattformen, die variablen Lieferzonen, die Stadtbewohner_innen bestimmte Dienstleistungen ermöglichen oder sie von ihnen ausschließen oder die Heat Maps, die Nachfrage in Echtzeit darstellen und automatisch mit Anreizsystemen für Taxi- oder Lieferfahrer_innen verbinden, lassen sich die Umrisse dieser Rationalität erkennen (vgl. Altenried 2019).

    Die neuen Distributionszentren, die Geisterküchen und die von Fahrradkurier_innen und Liefervans bevölkerten Straßen sind sichtbare Ausdrücke materieller Veränderungen urbanen Lebens. Dazu kommen noch viele weitere, zum Teil weniger sichtbare Plattformen. Man denke an die versteckten Geografien urbaner Reproduktionsarbeit und deren Re-Organisation über Plattformen wie Helpling oder Care.com (Altenried/Dück/Wallis 2021), an WeWork – ein Start-up, das Co-Working-Spaces und Büroflächen kurzfristig vermietet – oder an die omnipräsente Ferienwohnungsplattform Airbnb mit ihren teils drastischen Auswirkungen auf Immobilienmärkte, Praktiken des Wohnens und Vermietens sowie auf Gentrifizierungsprozesse. Ein weiteres Beispiel sind Uber, ShareNow, Lime und ihre Effekte auf urbane Mobilität. Manchmal scheint es, als gäbe es keinen Sektor urbanen Lebens, der sich nicht „uberisieren“ ließe. All diese Plattformen interagieren mit den vorhandenen städtischen Ökonomien und Infrastrukturen und transformieren diese zum Teil drastisch. Plattformen spielen auch eine wichtige Rolle beim Aufstieg der sogenannten Smart City. Der Begriff bezeichnet ein Ensemble aus Technogien, Diskursen und neuen Formen der Inwertsetzung des Urbanen, in dem große Plattformen und Technologieunternehmen eine wichtige Rolle spielen.

    Wie lassen sich diese komplexen Entwicklungen analysieren und konzeptualisieren? Hier kommt der Begriff des Plattform-Urbanismus ins Spiel, wie das gleichnamige Buch von Sarah Barns (2020), der digitale Roundtable der Zeitschrift Mediapolis (Rodgers/Moore 2018) oder der Schwerpunkt der Zeitschrift Urban Geography (Sadowski 2020) zeigen. Weder gemeinsam noch einzeln liefern diese Debattenbeiträge einen kohärenten Theorieansatz oder einen fertigen analytischen Rahmen. Sie bieten aber Ansatzpunkte für ein Nachdenken über die neueren Entwicklungen und die Urbanisierung des digitalen Kapitalismus. Der Begriff des Plattform-Urbanismus erlaubt einerseits eine Analyse der Verräumlichung von Plattformen und der Geografien des Plattform-Kapitalismus (Srnicek 2016). Der Blick auf die Geografie von Plattformen zeigt andererseits, dass diese meist ein dezidiert urbanes Phänomen sind.[3] Uber, Deliveroo oder Helpling können ihre Netzwerkeffekte am besten im verdichteten Raum der Stadt entfalten. Hier, wo sie auf mobile, prekäre und flexibilisierte Arbeit zurückgreifen können, entwickeln sie ihre Dynamik.

    Wie bereits erwähnt wollen wir die unterschiedlichen Plattformen und ihre variablen Einflüsse auf städtisches Leben nicht vereinheitlichen. Zugleich fehlt es hier am nötigen Platz, um die Umrisse einer Theorie des Plattform-Urbanismus vertieft zu diskutieren. Dennoch erscheint uns die Infrastrukturwerdung von Plattformen als möglicher Ausgangspunkt für solche Überlegungen zentral zu sein. Wie wir gezeigt haben, zielen die meisten Plattformen auf unterschiedliche Weisen darauf ab, unverzichtbare Infrastrukturen des Alltagslebens zu werden. Die beobachtbare Plattformisierung von Infrastruktur und die Infrastrukturisierung von Plattformen (vgl. Plantin et al. 2018) lassen sich dementsprechend vielleicht als die zentrale Wirkungsweise von Plattformen auf den urbanen Raum fassen. Die Diskussion des Plattform-Urbanismus im Kontext der digitalen Re-Konfiguration räumlicher und informationeller Infrastruktur (Easterling 2014, Bratton 2016) erschließt auch eine politische Kritik der plattformgetriebenen Transformation des urbanen Raums. Schließlich zeichnet sich die Plattformisierung städtischer Infrastruktur fast immer durch eine massive Ökonomisierung dieser Infrastrukturen aus. Zudem geht sie mit einer Verschärfung existierender Ungleichheiten und der immer weitergehenden Inwertsetzung neuer Bereiche urbanen Lebens einher. Das aggressive Vorgehen von Plattformen wie Uber und Airbnb sowie die Probleme verschiedener Städte, sich dagegen zu wehren, markieren die Relevanz dieses Phänomens. Die Arbeitskämpfe auf verschiedenen Plattformen oder der breite Widerstand gegen Airbnb mit seinen globalen Auswirkungen zeigen allerdings auch, dass der Prozess der Plattformisierung der Stadt nicht linear und unwidersprochen verläuft. Auch die Algorithmen der Arbeitsplattformen sind nicht allmächtig, Arbeiter_innen finden immer wieder Lücken und Praxen, um die Algorithmen zu ihrem Vorteil auszutricksen. Obwohl die Plattformen selbst gerne den Anschein erwecken, ist die Plattformisierung keineswegs ein lückenloser, unumkehrbarer und allumfassender Prozess, sondern praktisch auf jeder Ebene umkämpft und kontingent.

    4. Schluss: Berlin, März 2020

    Im Vergleich zur eingangs beschriebenen Szene hat sich viel verändert. Nur wenige Wochen später, im August 2019, hat die Plattform Deliveroo ihr Deutschlandgeschäft eingestellt. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Die circa 1.000 Berliner Fahrer_innen der Plattform waren davon völlig überrascht. Wenige Tage bevor die Entscheidung öffentlich bekannt wurde, hatten alle Deliveroo-Fahrer_innen eine Nachricht erhalten, dass im Büro neue Ausrüstung für sie zur Abholung bereitliege. Kurz darauf folgte eine E-Mail, die das Ende der Plattform zum Ende der Woche ankündigte. Der spontane Rückzug löste bei vielen Unglauben und Panik aus, bedeutete er doch für sie plötzliche (Teil-)Arbeitslosigkeit und massive finanzielle Einbußen. Er verdeutlichte so auf drastische Weise die enorme Prekarität der Plattformarbeit. Die Einstellung verweist darauf, dass die meist risikokapitalfinanzierten Interventionen von Plattformen in den urbanen Raum auch im Falle ihres Scheiterns drastische Folgen haben können.

    Wenige Monate später, im März 2020, arbeiten viele der ehemaligen Deliveroo-Fahrer_innen beim Konkurrenten Lieferando, der inzwischen das Geschäft mit Essenslieferungen in Berlin dominiert. Ihr Alltag hat sich damit jedoch nicht wieder normalisiert. In Folge der Covid-19-Pandemie ist die Stadt im Lockdown. Obwohl Lieferando seit Beginn der Krise mit „kontaktloser Lieferung“ wirbt, sind die Fahrer_innen erheblichen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Sie schwanken zwischen der Angst, sich durch die zahlreichen Kontakte mit der Kundschaft und in Restaurants anzustecken und der Befürchtung, dass ihre Tätigkeit eingestellt wird. Lieferando versprach zwar Schutzausrüstung, lieferte diese aber zur Verärgerung vieler Fahrer_innen wochenlang nicht aus. Im Gegensatz zu Deliveroo sind die Fahrer_innen bei Lieferando per Minijobs oder mit anderen Teilzeitverträgen angestellt. So stehen sie bei der Befürchtung sich anzustecken immerhin vor der Wahl, Urlaub zu nehmen oder Fehlzeiten anzuhäufen. Solo-selbstständige Arbeiter_innen anderer Plattformen haben keine derartige Absicherung. Arbeiter_innen von Helpling berichten, dass die Aufträge seltener werden und sie ohne Schutzausrüstung Angst haben, die Wohnungen der Kund_innen zu betreten. Wie unzählige Plattformarbeiter_innen auf der ganzen Welt stehen sie derzeit vor der Wahl, entweder auf Einkommen zu verzichten oder ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Hier zeigt sich besonders deutlich das stratifizierte Risiko in Zeiten der globalen Pandemie. Für mobile Bevölkerungen gilt dies sowohl hinsichtlich ihrer Arbeit als auch ihres prekären Zugangs zur Gesundheitsversorgung.

    Auch wenn einige Plattformen wie Airbnb und Uber während der Covid-19-Pandemie zunächst deutlich unter dem generellen Rückgang der Mobilität litten, spricht vieles dafür, dass die Pandemie auf längere Sicht zum weiteren Aufstieg der Plattformen beitragen wird. Während der ersten Lockdowns etwa in Paris und Mailand waren die Fahrer_innen von Deliveroo und anderen Lieferdiensten oft die einzigen Menschen, die noch auf den leer gefegten Straßen zu sehen waren. Im Vereinigten Königreich führten Uber, Deliveroo und Just Eat Gespräche mit der Regierung, um gegebenenfalls die Versorgung älterer Menschen zu übernehmen. Seit Beginn der Covid-19-Krise bieten viele dieser Essensplattformen zusätzlich die Lieferung von Gütern des täglichen Bedarfs an. In China führte der Ausbruch von Covid-19 zu einem Boom von Plattformen, die Essen und Lebensmittel an die Haustüren der isolierten Kund_innenschaft liefern. Auch in Deutschland ist die Nachfrage nach Lieferungen ins eigene Zuhause enorm gestiegen. Amazon stellte Hunderttausende neue Liefer- und Lagerarbeiter_innen ein, um die explodierende Nachfrage zu bewältigen. Jetzt, im Zuge der Covid-19-Krise, zeigt sich die gesellschaftliche Relevanz dieser Plattformen noch deutlicher, ebenso wie die Prekarität ihrer Arbeitsmodelle: Sie sind ein Gesundheitsrisiko für vorwiegend migrantische Arbeitskräfte, die sich damit in diesen Zeiten ihre Reproduktion sichern. Daher nimmt zugleich auch die Kritik an diesem Geschäftsmodell zu. Einige Plattformen sehen sich inzwischen genötigt, ihre Arbeiter_innen im Krankheitsfall zu unterstützen. Auch wenn diese Unterstützung Garantien und soziale Rechte nicht ersetzen können, sind sie doch Ausdruck eines politischen Drucks nicht zuletzt der Plattformarbeiter_innen selbst. Auch dieser verstärkt sich mit der aktuellen Krise weiter.

    Dieser Artikel wurde durch Publikationsmittel im Forschungsprojekt Plattform Labour in Urban Spaces (PLUS) gefördert, finanziert durch die Europäische Kommission im Rahmen des Programms Horizon 2020 (Grant agreement No. 822638).
    Endnoten

    [1]
    Es handelt sich zum einen um das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützte Projekt „Digitalisierung von Arbeit und Migration“ (Fördernummer 398798988), in dem wir (Moritz Altenried und Manuela Bojadžijev) gemeinsam mit Mira Wallis und Felix Busch-Geertsema forschen: http://www.platform-mobilities.net. Zum anderen geht es um das von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms Horizon 2020 geförderte Forschungsprojekt „Platform Labour in Urban Spaces“ (PLUS, Grant agreement No. 822638), in dem außer uns (Moritz Altenried, Stefania Animento und Manuela Bojadžijev) Valentin Niebler und Roxana Weger arbeiten. Die Unterstützung der Europäischen Kommission für die Erstellung dieser Veröffentlichung stellt keine Billigung des Inhalts dar, welcher nur die Ansichten der Verfasser wiedergibt, und die Kommission kann nicht für eine etwaige Verwendung der darin enthaltenen Informationen haftbar gemacht werden.
    [2]
    Sämtliche Namen von Interviewten haben wir geändert.
    [3]
    Eine Ausnahme bilden sogenannte Crowdworking-Plattformen, deren genuine Qualität darin besteht, über den gesamten Globus verteilte digitale Arbeiter_innen miteinander zu verbinden. Crowdworking-Plattformen bilden eine Art digitaler Fabrik räumlich verteilter Heimarbeiter_innen und kreieren so eine eigenständige Geografie, die sich nicht unbedingt mit den urbanen Zentren deckt.

    Autor_innen

    Stefania Animento hat ihre Schwerpunkte im Bereich Mobilität, Migration und Klasse sowie Stadt- und Gentrifizierungsforschung.

    animento@leuphana.de

    Manuela Bojadžijev interessiert sich für gegenwärtige Transformationsprozesse von Mobilität und Migration sowie von Rassismus, im Zusammenspiel mit Veränderungen von Arbeit und Alltag durch Digitalisierung und Logistik, vorwiegend in urbanen Räumen.

    manuela.bojadzijev@hu-berlin.de

    Moritz Altenried arbeitet empirisch und theoretisch unter anderem zu Digitalisierung, Arbeit, Migration, Plattformen und Logistik im globalen Kapitalismus.

    moritz.altenried@hu-berlin.de
    Literatur

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    #Berlin #Arbeit #Gigwork #Plattformkapitalismus

  • Plattform, Lieferdienst und Co. - ZDFmediathek
    https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-plattform-lieferdienst-und-co-100.html
    https://www.zdf.de/assets/zdfzoom-plattformen-arbeitswelt-100~1280x720?cb=1675845020831

    Verfügbarkeit:
    Video verfügbar bis 08.02.2025

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    Für Menschen mit schlechter formaler Ausbildung oder fehlenden Deutschkenntnissen, die sich auf dem herkömmlichen Arbeitsmarkt schwertun, bieten Plattformwirtschaft und Lieferdienste die Möglichkeit, überhaupt einen Job zu finden.

    Das Prinzip: Über eine App ordert der Kunde seine Einkäufe, bestellt eine Putzhilfe oder eine Betreuungskraft. Die Vorteile: Verbraucher sparen Wege, können den günstigsten Anbieter auswählen, es entstehen neue Jobs. Die Schattenseite: Es herrscht harte Konkurrenz unter den Plattform-Arbeiter*innen, viele sind arbeitsrechtlich kaum abgesichert.

    Zwar sind viele Fahrradkuriere, sogenannte „Rider“, mittlerweile in Deutschland angestellt, jedoch haben viele befristete Verträge, anderen wird noch während der Probezeit gekündigt. Die Angst vor Job- und Einkommensverlust fährt bei vielen mit. „Wenn ich stürze und es passiert nichts Ernstes, nur etwas Schmerzen hier und da - dann ziehe ich es vor weiterzuarbeiten, statt mich krank zu melden,“ berichtet ein Rider, der nicht erkannt werden möchte. Gesteuert von einer App sind die Beschäftigten der neuen Arbeitswelt oftmals vereinzelt und austauschbar. Viele kennen ihre Rechte nicht oder scheuen sich, diese gerichtlich einzufordern, weiß Rechtsanwalt Martin Bechert. In Brüssel hat man erkannt, dass die neue Arbeitswelt bessere Regeln braucht.
    „Es kann nicht sein, dass wir einen neuen Wirtschaftszweig aufbauen, der auch seine Wichtigkeit hat, (…) und dass die sozialen Regeln dem nicht entsprechen.“, sagt EU-Kommissar Nicolas Schmit im Interview mit „ZDFzoom“-Reporter Arne Lorenz.

    #Deutschland #Arbeit #Gigwork #Plattformkapitalismus

  • Immer in die Hot Zone: Warum ich nach Feierabend Autos durch Berlin fahre
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/brutal-berlin-unternehmen-ubiq-streetcrowd-carsharing-immer-in-die-

    4.2.2023 von Tiago Pinto Pais - Unser Autor ist Mitglied der StreetCrowd. Er fährt Carsharing-Autos in Gegenden, wo sie gebucht werden. Das wird nicht nur bezahlt, sondern ist auch eine Art Meditation.

    Die Firma hat verstanden, dass der Job für viele StreetCrowder ein Spaß ist, wie eine Schnitzeljagd durch Berlin.

    Es ist Sonntag, einer der wenigen sehr kalten Tage im Dezember. Um 17 Uhr steige ich aus dem Bus X7 am Flughafen BER. Ich habe kein Gepäck dabei und laufe auch nicht wie alle anderen zum hell erleuchteten Terminal. Ich laufe allein zu den Parkplätzen im Dunklen. Das heißt, nein, ein zweiter Typ mit Leuchtweste dreht sich genau wie ich in Richtung der Autos. Er überholt mich. Ist er ein Flughafenmitarbeiter? Oder haben wir dasselbe Ziel? Als wir kurz darauf vor demselben Auto stehen, sagt er zu mir: „Das ist meins! Willst du irgendwohin mitfahren?“

    Ach, er ist ein StreetCrowder, wie ich.

    StreetCrowd ist ein Angebot des österreichischen Unternehmens Ubiq, das am 9. Dezember 2020 in Berlin startete. Sie versprachen: „Mach deinen eigenen Zeitplan“, „Verdiene Geld, wann du willst“, „Die Gelegenheit ist überall“ und „Täglich 100 Euro und mehr“. All das sei möglich, indem man einfach Carsharing-Autos aus Gebieten mit geringerer Nachfrage in Gebiete mit höherer Nachfrage fahre.

    Wie bei einem nicht verkauften Sitzplatz auf einem Flug oder einem nicht vermieteten Zimmer in einem Hotel verliert ein Carsharing-Unternehmen Geld mit jeder Minute, in der ein Auto aus seinem Fuhrpark nicht vermietet ist. Daher ist ein stehendes Auto nicht in seinem Interesse. Das Unternehmen muss permanent Anreize schaffen, um diese „kalten Autos“ in Bewegung zu halten. Fahren also Carsharing-Nutzer mit dem Auto von A nach B, sind wir Streetcrowder dazu da, sie zurück von B nach A zu fahren.

    In Berlin gibt es mehrere sogenannte Hot Zones. Hier leben Menschen, die gern Carsharing nutzen, vor allem dann, wenn sie nicht weit zum Auto laufen müssen. Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Friedrichshain, Savignyplatz und Neukölln (Reuterkiez) – das sind die Zonen, in die wir die „kalten Autos“ bringen. Die App schlägt drei Zonen vor und wir entschieden uns für eine, entweder, weil dort das nächste kalte Auto nicht weit weg steht, oder weil wir heimfahren wollen.

    Ich habe die StreetCrowd-App in der Pandemie für mich entdeckt. Ich fahre gern Auto, und gerade nachts ist das in Berlin einfach eine schöne Beschäftigung. Musik oder Nachrichten hören und in einem schönen, sauberen und warmen Auto durch die Stadt fahren – das ist für mich Freizeit. Zusätzlich ist es auch ein Spiel: Ich kann durch die Stadt laufen und wie beim Spiel PokemónGo nach „kalten Autos“ suchen. Finde ich sie, bevor ein anderer StreetCrowder sie wegfängt? Oder jemand vom Wartungsteam des Carsharing-Unternehmens?

    Eigentlich bin ich Besitzer eines kleinen Geschäfts in Kreuzberg, aber im zweiten Lockdown wurde StreetCrowding für mich zur Rettung. Ich konnte etwas tun, das zumindest etwas Geld einbrachte und gleichzeitig wie Meditation für mich war. Es wurde zu meinem Feierabend-Job. Außerdem saß ich in schönen neuen Autos und lernte die Stadt kennen: Ich war im tiefsten Lichtenberg, Steglitz und im Märkischen Viertel, ich nahm den 240er-Bus, die M13 und die 16. Ich kenne mich jetzt wirklich gut aus in Berlin.

    Je nach Länge der Fahrt verdient ein StreetCrowder zwischen drei und 13 Euro. Das ist nicht wahnsinnig viel, zumal man ja erst einmal das Auto erreichen muss. Mehr als drei Fahrten pro Stunde habe ich nie geschafft – und Gott weiß, dass ich es probiert habe. Das Gute: Am Ende eines Tages wird das Geld sofort überwiesen. Das Nervige: Gerade im Reuterkiez kann abends die Suche nach einem Parkplatz mehr Zeit einnehmen als die Fahrt dorthin.

    Aber die Firma hat auch verstanden, dass es für viele StreetCrowder ein Spaß ist, wie eine Schnitzeljagd durch Berlin. Sie begannen irgendwann mit Sonderaktionen: Wer zum Beispiel 30 Autos an einem Tag bewegte, bekam 50 Euro extra. Ich probierte es aus, ich begann morgens um fünf Uhr und schaffte es kurz vor Mitternacht. Ein Tag, 30 Autos. Aber ich hatte immer noch nicht genug.

    Die nächste Aktion: Wer von den StreetCrowdern schafft die meisten Auto-Bewegungen in einer Woche? Ich schaffte 72 Fahrten, das war der zweite Platz. Immerhin gab es dafür einen Preis. Die letzte große Aktion dieser Art gab es zu Weihnachten 2021: Wer zwischen dem 25. November und dem 31. Dezember 670 Autos bewegte, erhielt 670 Euro Prämie. Ich konnte nicht teilnehmen, aber es ist eben nicht mein Haupt-Job.

    Denn ich merkte, ich arbeite für ein Unternehmen, das für einen Service noch nicht einmal den Mindestlohn zahlen muss, weil wir StreetCrowder es ja freiwillig und gern tun. Doch inzwischen sind wir eine Gruppe von rund 400 registrierten Nutzern in Berlin. Davon sind rund 100 so aktiv wie ich. Wir bringen dem Unternehmen Millionen Euro ein, dafür will uns StreetCrowd mit einer Art Gemeinschaftsgefühl belohnen. Es gibt eine WhatsApp-Gruppe, in der die unterschiedlichsten Berliner sind: Studenten, Migranten, Auto-Nerds und Kleinunternehmer wie ich.

    Neulich trafen sich viele von uns in echt, nicht in einer Chatgruppe: Frauen waren nur wenige dabei, und endlich konnten wir uns einmal richtig unterhalten. Zunächst die üblichen Fragen nach der Steuerabrechnung und wie man das Gewerbe angemeldet hat. Da merkte ich, dass es wirklich Menschen gibt, die das hauptberuflich machen. Und für sie ist es wirklich von Bedeutung, dass ab jetzt zum Beispiel die Vergütung für Fahrten länger als 10 Kilometer sinkt – während die Carsharing-Preise in derselben Zeit gestiegen sind. Wie kann das sein?! Alle regten sich sofort auf.

    Aber für mich ist es ja ohnehin nur ein Hinzuverdienst. Ich spare das Geld, um einmal gut essen zu gehen oder ein schönes Wochenende an der Ostsee zu haben. Es ist nicht das Geld, das ich zum Überleben brauche. Trotzdem merke ich, dass wir StreetCrowder auch Teil einer neuen Art von Kapitalismus sind: der UBERifizierung der Wirtschaft. Alle sind Freiberufler, oder: gut gelaunte Selbstausbeuter.

    Obwohl es auch diese Tage gibt, an denen gar nichts klappt. Das war neulich, an einem Sonntag, als ich mal wieder Zeit übrig hatte und etwas Auto fahren wollte. Ich fuhr zum ersten Wagen nach Lichtenberg: vor meiner Nase weg. Der zweite in Friedrichshain ebenfalls, der dritte in Neukölln. Jedes Auto, zu dem ich fuhr, verschwand, kurz bevor ich dort ankam. Irgendwann gab ich auf. Es war einfach nicht mein Tag.

    Ganz anders der Sonntag im Dezember, an dem der andere StreetCrowder mir am Flughafen BER das Auto wegschnappte. Ich habe sein Angebot, mit zurückzufahren, nicht angenommen. Zeit ist Geld, und Stillstand bringt weder Einkommen noch Fahrspaß. Ich öffnete die StreetCrowd-App und fand in Schönefeld ein „kaltes“ Auto. Die App schlug Prenzlauer Berg als Ziel vor. Dort wohne ich. Ich verdiente also zwölf Euro mit der Fahrt zu meiner Haustür. Und machte Feierabend von meinem Feierabend-Job.

    #Berlin #Arbeit #Ausbeutung #Disruption #platform_capitalism #carsharing

  • Le sensible et l’intelligible
    https://laviedesidees.fr/Le-sensible-et-l-intelligible.html

    À propos de : Elena Partene et Dimitri El Murr (dir.), Kant et #Platon. Lectures, confrontations, héritages, Vrin. Pour Platon comme pour Kant, le réel n’est pas immédiatement compréhensible et la #métaphysique est effort pour accéder à son intelligibilité. Interprètent-ils cependant cette coupure entre le sensible et l’intelligible de la même manière ? Un ouvrage collectif reprend la question.

    #Philosophie
    https://laviedesidees.fr/IMG/docx/20230202_platon.docx
    https://laviedesidees.fr/IMG/pdf/20230202_platon.pdf

  • Lecture de : La guerre des métaux rares. La face cachée de la transition énergétique et numérique, de Guillaume Pitron

    Une perspective nationaliste navrante, mais une somme d’informations capitales.

    Extraits :

    « Le monde a de plus en plus besoin de terres rares, de « #métaux rares », pour son #développement_numérique, et donc pour ttes les #technologies_de_l’information_et_de_la_communication. Les #voitures_électriques et #voitures_hybrides en nécessitent deux fois plus que les voitures à essence, etc. »

    « Nos aïeux du XIXe siècle connaissaient l’importance du #charbon, & l’honnête homme du XXe siècle n’ignorait rien de la nécessité du pétrole. Au XXIe siècle, nous ne savons même pas qu’un monde + durable dépend en très grande partie de substances rocheuses nommées métaux rares. »

    « #Terres_rares, #graphite, #vanadium, #germanium, #platinoïdes, #tungstène, #antimoine, #béryllium, #fluorine, #rhénium, #prométhium… un sous-ensemble cohérent d’une trentaine de #matières_premières dont le point commun est d’être souvent associées ds la nature aux métaux les + abondants »

    « C’est là la clé du « #capitalisme_vert » : [remplacer] des #ressources qui rejettent des millions de milliards de tonnes de #gaz_carbonique par d’autres qui ne brûlent pas – et ne génèrent donc pas le moindre gramme de CO2. »

    « Avec des réserves d’or noir en déclin, les stratèges doivent anticiper la guerre sans #pétrole. […] ne plus dépendre des énergies fossiles d’ici à 2040. […] En recourant notamment aux #énergies_renouvelables & en levant des légions de robots alimentés à l’électricité. »

    « La Grande-Bretagne a dominé le XIXe s. grâce à son hégémonie sur la production mondiale de charbon ; une grande partie des événements du XXe s. peuvent se lire à travers le prisme de l’ascendant pris par les Etats-Unis et l’Arabie saoudite sur la production et la sécurisation des routes du pétrole ; .. au XXIe siècle, un État est en train d’asseoir sa domina routes du pétrole ; au XXIe siècle, un État est en train d’asseoir sa domination sur l’exportation et la consommation des métaux rares. Cet État, c’est la Chine. »

    La Chine « détient le #monopole d’une kyrielle de métaux rares indispensables aux énergies bas carbone & numérique, ces 2 piliers de la transition énergétique. Il est le fournisseur unique du + stratégique : terres rares — sans substitut connu & dont personne ne peut se passer. »

    « Notre quête d’un modèle de #croissance + écologique a plutôt conduit à l’exploitation intensifiée de l’écorce terrestre pr en extraire le principe actif, à savoir les métaux rares, avec des #impacts_environnementaux encore + importants que cx générés par l’#extraction_pétrolière »

    « Soutenir le changement de notre #modèle_énergétique exige déjà un doublement de la production de métaux rares tous les 15 ans environ, et nécessitera au cours des trente prochaines années d’extraire davantage de minerais que ce que l’humanité a prélevé depuis 70 000 ans. » (25)

    « En voulant nous émanciper des #énergies_fossiles, en basculant d’un ordre ancien vers un monde nouveau, nous sombrons en réalité dans une nouvelle dépendance, plus forte encore. #Robotique, #intelligence_artificielle, #hôpital_numérique, #cybersécurité, #biotechnologies_médicale, objets connectés, nanoélectronique, voitures sans chauffeur… Tous les pans les + stratégiques des économies du futur, toutes les technologies qui décupleront nos capacités de calcul et moderniseront notre façon de consommer de l’énergie, le moindre de nos gestes quotidien… et même nos grands choix collectifs vont se révéler totalement tributaires des métaux rares. Ces ressources vont devenir le socle élémentaire, tangible, palpable, du XXIe siècle. » (26)

    #Metaux_Rares Derrière l’#extraction et le « #raffinage », une immense #catastrophe_écologique : « D’un bout à l’autre de la chaîne de production de métaux rares, quasiment rien en #Chine n’a été fait selon les standards écologiques & sanitaires les plus élémentaires. En même temps qu’ils devenaient omniprésents ds les technologies vertes & numériques les + enthousiasmantes qui soient, les métaux rares ont imprégné de leurs scories hautement toxiques l’eau, la terre, l’atmosphère & jusqu’aux flammes des hauts-fourneaux – les 4 éléments nécessaires à la vie »

    « C’est ici que bat le cœur de la transition énergétique & numérique. Sidérés, ns restons une bonne h à observer immensités lunaires & paysages désagrégés. Mais il vaut mieux déguerpir avant que la maréchaussée alertée par les caméras ne débarque »

    « Nous avons effectué des tests, et notre village a été surnommé “le village du cancer”. Nous savons que nous respirons un air toxique et que nous n’en avons plus pour longtemps à vivre. »

    « La seule production d’un #panneau_solaire, compte tenu en particulier du silicium qu’il contient, génère, avance-t-il, plus de 70 kilos de CO2. Or, avec un nombre de panneaux photovoltaïques qui va augmenter de 23 % par an dans les années à venir, cela signifie que les installations solaires produiront chaque année dix gigawatts d’électricité supplémentaires. Cela représente 2,7 milliards de tonnes de carbone rejetées dans l’atmosphère, soit l’équivalent de la #pollution générée pendant un an par l’activité de près de 600 000 automobiles.

    « Ces mêmes énergies – [dites] « renouvelables » – se fondent sur l’exploitation de matières premières qui, elles, ne sont pas renouvelables. »

    « Ces énergies – [dites] « vertes » ou « décarbonées » – reposent en réalité sur des activités génératrices de #gaz_à_effet_de_serre . »

    « N’y a-t-il pas une ironie tragique à ce que la pollution qui n’est plus émise dans les agglomérations grâce aux voitures électriques soit simplement déplacée dans les zones minières où l’on extrait les ressources indispensables à la fabrication de ces dernières ?

    .. En ce sens, la transition énergétique et numérique est une transition pour les classes les plus aisées : elle dépollue les centres-villes, plus huppés, pour mieux lester de ses impacts réels les zones plus miséreuses et éloignées des regards. »

    « Certaines technologies vertes sur lesquelles se fonde notre idéal de sobriété énergétique nécessitent en réalité, pour leur fabrication, davantage de matières premières que des technologies plus anciennes. »

    .. « Un futur fondé sur les technologies vertes suppose la consommation de beaucoup de matières, et, faute d’une gestion adéquate, celui-ci pourrait ruiner […] les objectifs de développement durable. » (The World Bank Group, juin 2017.)

    « Le #recyclage dont dépend notre monde + vert n’est pas aussi écologique qu’on le dit. Son bilan environnemental risque même de s’alourdir à mesure que nos sociétés produiront des alliages + variés, composés d’un nombre + élevé de matières, ds des proportions tjrs + importantes »

    « Dans le monde des matières premières, ces observations relèvent le + souvent de l’évidence ; pr l’immense majorité d’entre nous, en revanche, elles sont tellement contre-intuitives qu’il va certainement nous falloir de longues années avant de bien les appréhender & faire admettre. Peut-être [dans 30 ans] nous dirons-nous aussi que les énergies nucléaires sont finalement moins néfastes que les technologies que nous avons voulu leur substituer et qu’il est difficile d’en faire l’économie dans nos mix énergétiques. »

    « Devenue productrice prépondérante de certains métaux rares, la Chine [a] désormais l’opportunité inédite d’en refuser l’exportation vers les États qui en [ont] le plus besoin. […] Pékin produit 44 % de l’#indium consommé dans le monde, 55 % du vanadium, près de 65 % du #spath_fluor et du #graphite naturel, 71 % du germanium et 77 % de l’antimoine. La Commission européenne tient sa propre liste et abonde dans le même sens : la Chine produit 61 % du silicium et 67 % du germanium. Les taux atteignent 84 % pour le tungstène et 95 % pour les terres rares. Sobre conclusion de Bruxelles : « La Chine est le pays le plus influent en ce qui concerne l’approvisionnement mondial en maintes matières premières critiques ». »

    « La République démocratique du Congo produit ainsi 64 % du #cobalt, l’Afrique du Sud fournit 83 % du platine, de l’iridium et du #ruthénium, et le Brésil exploite 90 % du #niobium. L’Europe est également dépendante des États-Unis, qui produisent plus de 90 % du #béryllium . »

    « Les 14 pays membres de l’OPEP, capables depuis des décennies d’influencer fortement les cours du baril, ne totalisent « que » 41 % de la prod. mondiale d’or noir… La Chine, elle, s’arroge jusqu’à 99 % de la prod. mondiale de terres rares, le + convoité des métaux rares ! »

    Aimants — « Alors qu’à la fin de la décennie 1990 le Japon, les États-Unis et l’Europe concentraient 90 % du marché des aimants, la Chine contrôle désormais les 3/4 de la production mondiale ! Bref, par le jeu du chantage « technologies contre ressources », le monopole chinois de la production des minerais s’est transposé à l’échelon de leur transformation. La Chine n’a pas trusté une, mais deux étapes de la chaîne industrielle. C’est ce que confirme la Chinoise Vivian Wu : « Je pense même que, dans un avenir proche, la Chine se sera dotée d’une industrie de terres rares totalement intégrée d’un bout à l’autre de la chaîne de valeur. » Vœu déjà en partie réalisé. Il a surtout pris racine dans la ville de #Baotou, en #Mongolie-Intérieure . »

    « Baotou produit chaque année 30 000 tonnes d’aimants de terres rares, soit le tiers de la production mondiale. »

    « Nos besoins en métaux rares se diversifient et s’accroissent de façon exponentielle. […] D’ici à 2040, nous devrons extraire trois fois plus de terres rares, cinq fois plus de tellure, douze fois plus de cobalt et seize fois plus de #lithium qu’aujourd’hui. […] la croissance de ce marché va exiger, d’ici à 2050, « 3 200 millions de tonnes d’acier, 310 millions de tonnes d’aluminium et 40 millions de tonnes de #cuivre 5 », car les éoliennes engloutissent davantage de matières premières que les technologies antérieures.

    .. « À capacité [de production électrique] équivalente, les infrastructures […] éoliennes nécessitent jusqu’à quinze fois davantage de #béton, quatre-vingt-dix fois plus d’aluminium et cinquante fois plus de fer, de cuivre et de verre » que les installations utilisant des #combustibles traditionnels, indique M. Vidal. Selon la Banque mondiale, qui a conduit sa propre étude en 2017, cela vaut également pour le solaire et pour l’hydrogène. […] La conclusion d’ensemble est aberrante : puisque la consommation mondiale de métaux croît à un rythme de 3 à 5 % par an, « pour satisfaire les besoins mondiaux d’ici à 2050, nous devrons extraire du sous-sol plus de métaux que l’humanité n’en a extrait depuis son origine ».

    .. Que le lecteur nous pardonne d’insister : nous allons consommer davantage de #minerais durant la prochaine génération qu’au cours des 70 000 dernières années, c’est-à-dire des cinq cents générations qui nous ont précédés. Nos 7,5 milliards de contemporains vont absorber plus de #ressources_minérales que les 108 milliards d’humains que la Terre a portés jusqu’à ce jour. » (211-214)

    Sans parler des « immenses quantités d’eau consommées par l’industrie minière, [des] rejets de gaz carbonique causés par le transport, [du] #stockage et [de] l’utilisation de l’énergie, [de] l’impact, encore mal connu, du recyclage des technologies vertes [de] toutes les autres formes de pollution des #écosystèmes générées par l’ensemble de ces activités [et] des multiples incidences sur la biodiversité. » (215)

    « D’un côté, les avocats de la transition énergétique nous ont promis que nous pourrions puiser à l’infini aux intarissables sources d’énergie que constituent les marées, les vents et les rayons solaires pour faire fonctionner nos technologies vertes. Mais, de l’autre, les chasseurs de métaux rares nous préviennent que nous allons bientôt manquer d’un nombre considérable de matières premières. Nous avions déjà des listes d’espèces animales et végétales menacées ; nous établirons bientôt des listes rouges de métaux en voie de disparition. » (216)

    « Au rythme actuel de production, les #réserves rentables d’une quinzaine de métaux de base et de métaux rares seront épuisées en moins de cinquante ans ; pour cinq métaux supplémentaires (y compris le fer, pourtant très abondant), ce sera avant la fin de ce siècle. Nous nous dirigeons aussi, à court ou moyen terme, vers une pénurie de vanadium, de #dysprosium, de #terbium, d’#europium & de #néodyme. Le #titane et l’indium sont également en tension, de même que le cobalt. « La prochaine pénurie va concerner ce métal, Personne n’a vu le problème venir. »

    « La #révolution_verte, plus lente qu’espéré, sera emmenée par la Chine, l’un des rares pays à s’être dotés d’une stratégie d’approvisionnement adéquate. Et Pékin ne va pas accroître exagérément sa production de métaux rares pour étancher la soif du reste du monde. Non seulement parce que sa politique commerciale lui permet d’asphyxier les États occidentaux, mais parce qu’il craint à son tour que ses ressources ne s’amenuisent trop rapidement. Le marché noir des terres rares, qui représente un tiers de la demande officielle, accélère l’appauvrissement des mines, et, à ce rythme, certaines réserves pourraient être épuisées dès 2027. »

    De la question « du #taux_de_retour_énergétique (#TRE), c’est-à-dire le ratio entre l’énergie nécessaire à la production des métaux et celle que leur utilisation va générer. […] C’est une fuite en avant dont nous pressentons l’absurdité. Notre modèle de production sera-t-il encore sensé le jour où un baril permettra tt juste de remplir un autre baril ? […] Les limites de notre système productiviste se dessinent aujourd’hui plus nettement : elles seront atteintes le jour où il nous faudra dépenser davantage d’énergie que nous ne pourrons en produire. »

    « Plusieurs vagues de #nationalisme minier ont déjà placé les États importateurs à la merci de pays fournisseurs prtant bien moins puissants qu’eux. En fait de mines, le client ne sera donc plus (toujours) roi. La géopolitique des métaux rares pourrait faire émerger de nouveaux acteurs prépondérants, souvent issus du monde en développement : le #Chili, le #Pérou et la #Bolivie, grâce à leurs fabuleuses réserves de lithium et de cuivre ; l’#Inde, riche de son titane, de son #acier et de son #fer ; la #Guinée et l’#Afrique_australe, dont les sous-sols regorgent de bauxite, de chrome, de manganèse et de platine ; le Brésil, où le bauxite et le fer abondent ; la Nouvelle-Calédonie, grâce à ses prodigieux gisements de #nickel. » (226-227)

    « En engageant l’humanité ds la quête de métaux rares, la transition énergétique & numérique va assurément aggraver dissensions & discordes. Loin de mettre un terme à la géopol. de l’énergie, elle va au contraire l’exacerber. Et la Chine entend façonner ce nouveau monde à sa main. »

    « Les #ONG écologistes font la preuve d’une certaine incohérence, puisqu’elles dénoncent les effets du nouveau monde plus durable qu’elles ont elles-mêmes appelé de leurs vœux. Elles n’admettent pas que la transition énergétique et numérique est aussi une transition des champs de pétrole vers les gisements de métaux rares, et que la lutte contre le réchauffement climatique appelle une réponse minière qu’il faut bien assumer. » (234-235)

    « La bataille des terres rares (et de la transition énergétique et numérique) est bel et bien en train de gagner le fond des mers. Une nouvelle ruée minière se profile. […] La #France est particulièrement bien positionnée dans cette nouvelle course. Paris a en effet mené avec succès, ces dernières années, une politique d’extension de son territoire maritime. […] L’ensemble du #domaine_maritime français [est] le deuxième plus grand au monde après celui des #États-Unis. […] Résumons : alors que, pendant des milliers d’années, 71 % de la surface du globe n’ont appartenu à personne, au cours des six dernières décennies 40 % de la surface des océans ont été rattachés à un pays, et 10 % supplémentaires font l’objet d’une demande d’extension du plateau continental. À terme, les États pourvus d’une côte exerceront leur juridiction sur 57 % des fonds marins. Attirés, en particulier par le pactole des métaux rares, nous avons mené, en un tps record, la + vaste entreprise d’#appropriation_de_territoires de l’histoire. »

    « Le projet, entonné en chœur par tous les avocats de la #transition_énergétique et numérique, de réduire l’impact de l’homme sur les écosystèmes a en réalité conduit à accroître notre mainmise sur la #biodiversité. » (248)

    « N’est-il pas absurde de conduire une mutation écologique qui pourrait tous nous empoisonner aux métaux lourds avant même que nous l’ayons menée à bien ? Peut-on sérieusement prôner l’harmonie confucéenne par le bien-être matériel si c’est pour engendrer de nouveaux maux sanitaires et un #chaos_écologique – soit son exact contraire ? » (252)

    Métaux rares, transition énergétique et capitalisme vert https://mensuel.lutte-ouvriere.org//2023/01/23/metaux-rares-transition-energetique-et-capitalisme-vert_4727 (Lutte de classe, 10 janvier 2023)

    #écologie #capitalisme #impérialisme

  • Plateforme, plateformiser, plateformisation : le péril des mots qui occultent ce qu’ils nomment
    https://journals.openedition.org/questionsdecommunication/27413

    Dans un premier temps, l’article vise à rendre compte de la prolifération récente du terme « plateforme », de ses dérivés « plateformiser » et « plateformisation », et de la prolifération concomitante des sens qu’on leur attribue, tant dans le langage usuel que dans la terminologie à prétention scientifique. Au-delà du constat de l’omniprésence et de la polysémie, nous mettons en évidence la dimension stratégique de l’emploi de ces termes par les acteurs industriels et les impensés charriés par sa reprise sans examen dans les travaux en SHS. Dans un second temps, l’article propose des éléments de définition en rapportant ces notions à une logique organisatrice de la communication médiatisée, c’est-à-dire à une manière de faire socialement construite, partagée et stabilisée, qui résulte des activités des acteurs tout autant qu’elle les configure. Ce faisant, « l’opérativité » des dispositifs médiatiques considérés sera érigée en critère de spécification premier. En définitive, ces propositions visent à résister aux écueils de « l’allant de soi » (tout effort définitionnel relevant du superflu) et à la tentation du nominalisme (ne serait « plateforme » que ce qui est désigné comme tel) en exposant une méthode de catégorisation des stratégies médiatiques, à même de prendre la mesure du processus de « plateformisation ».

    #plateformisation

  • Caf, assurance maladie… les services publics souvent injoignables au téléphone, dénonce « 60 millions de consommateurs »
    https://www.leparisien.fr/societe/caf-assurance-maladie-les-services-publics-souvent-injoignables-au-teleph
    https://www.youtube.com/watch?v=buUqkohMphg

    De longues tonalités… et rien. A l’instar de l’Assurance maladie, les services publics sont souvent aux abonnés absents pour des usagers en quête de renseignements mais maîtrisant mal Internet, selon une enquête du magazine « 60 millions de consommateurs » publiée jeudi.

    « Malheureusement, les gens qui ne sont pas à l’aise avec Internet ont bien des difficultés à accéder ne serait-ce qu’à l’information sur leurs droits », déplore le journaliste Lionel Maugain, coauteur de l’enquête, citant notamment les personnes âgées, précaires ou étrangères.

    Dans le cadre de cette enquête menée avec la Défenseure des droits, 1 532 appels ont été passés, entre le 26 septembre et le 10 novembre 2022, par des appelants représentant trois types d’usagers ayant besoin d’un contact téléphonique pour des demandes de renseignements ou des démarches (une personne sans Internet, une autre ayant Internet mais maîtrisant mal le français, une personne âgée avec Internet), ainsi que par un appelant « lambda » pour vérifier d’éventuelles différences de traitement.
    Bonnet d’âne pour l’Assurance maladie

    Le bonnet d’âne revient à l’Assurance maladie. Sur 302 appels passés pour connaître les formalités en vue d’obtenir ou renouveler une carte vitale, 72 % n’ont pu aboutir - trois tentatives infructueuses avec chacune cinq minutes d’attente.
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    On a testé France Connect+, le nouveau service d’accès aux services publics (et ça n’a pas bien marché)

    Quand ça décroche, seuls 22 % des appels ont reçu « une réponse acceptable », et moins de 5 % des « réponses précises ». L’Assurance maladie a fait valoir dans le magazine que les appels reçus ont plus que doublé depuis l’automne 2019, à 3,2 millions par mois, et qu’elle peine à recruter des conseillers pour ses plateformes téléphoniques.
    Des usages qui renoncent à leurs droits

    À la Caisse d’allocations familiales (Caf), 54 % des 408 appels n’ont eu personne au bout du fil. Ici aussi, quand quelqu’un répond, les réponses sont insuffisantes ou renvoient… à Internet. Seule une minorité d’agents propose un rendez-vous au guichet ou l’envoi d’un dossier papier à domicile. « Les solutions existent mais elles sont très rarement proposées, ce qui plonge les usagers dans le désarroi et peut aller jusqu’à la renonciation à ses droits », note Lionel Maugain.

    Pôle emploi tire un peu son épingle du jeu avec 84 % des appels ayant abouti, avec toutefois des réponses pas toujours satisfaisantes ou manquant de précision.
    Peu de progrès depuis 2016

    Quant à la Caisse d’assurance retraite, 72 % des coups de fil ont abouti mais encore une fois, les réponses sur l’âge possible de départ en retraite n’étaient pas pertinentes dans la grande majorité des cas.

    Alors que s’accélère la dématérialisation des services publics, « 60 millions de consommateurs » réclame, avec la Défenseure des droits, une loi imposant plusieurs modes d’accès, notamment via l’instauration d’un guichet de proximité rassemblant un représentant de chaque organisme. Les résultats de cette enquête ne marquent guère de progrès par rapport à celle menée en 2016, si ce n’est que les appels ne sont plus surfacturés et qu’il n’y a plus de discrimination notable liée à l’origine des usagers.

    #plateformisation

  • Macron roule pour les plateformes depuis bientôt 10 ans | Mediapart | 25.01.23

    https://www.mediapart.fr/journal/economie-et-social/250123/le-gouvernement-soutient-uber-pourtant-condamnee-payer-17-millions-d-euros

    Création de l’Autorité de régulation des plateformes d’emploi (ARPE) [fin avril 2021] et premières élections professionnelles chez les livreurs indépendants et chauffeurs VTC, en mai dernier.

    Ces élections ont été pensées par le gouvernement pour consolider le statut des travailleurs des plateformes, dont la légalité est justement régulièrement remise en question – deux précédentes tentatives d’établir des chartes avaient déjà été repoussées par le Conseil constitutionnel en 2019.

    Cette attention gouvernementale à tout ce qui permet de légitimer le modèle des plateformes [Uber, Deliveroo etc] n’est guère étonnante. Le soutien affiché d’Emmanuel Macron à Uber depuis qu’il est ministre de l’économie en 2014 a été documenté par les « Uber Files », ces milliers de documents internes dévoilés par le Consortium international des journalistes d’investigation (ICIJ).

    Ce soutien ne s’est jamais démenti depuis, surtout pas au moment où la Commission européenne a mis sur la table, en décembre 2021, une proposition de texte rendant obligatoire de considérer que les chauffeurs VTC et autres livreurs à vélo ne sont pas des travailleurs indépendants, mais bien des salariés.

    Les sites Euractiv et Politico ont tous deux raconté comment, en septembre 2021, la France s’était opposée à cette proposition dans un courrier officiel. Notre pays, à la tête du Conseil européen de janvier à juin 2022, n’a rien mis en œuvre pour faire avancer les débats sur ce texte. Enfin, il a aussi soutenu une proposition moins ambitieuse dans les discussions en cours sur cette proposition de directive au Parlement européen, qui devraient aboutir à un vote dans les prochaines semaines.

  • Pluralistic: Tiktok’s enshittification (21 Jan 2023) – Pluralistic: Daily links from Cory Doctorow
    https://pluralistic.net/2023/01/21/potemkin-ai/#hey-guys

    Cory Doctorow

    Ô combien cette vision est juste !!!!

    Here is how platforms die: first, they are good to their users; then they abuse their users to make things better for their business customers; finally, they abuse those business customers to claw back all the value for themselves. Then, they die.

    I call this enshittification, and it is a seemingly inevitable consequence arising from the combination of the ease of changing how a platform allocates value, combined with the nature of a “two sided market,” where a platform sits between buyers and sellers, hold each hostage to the other, raking off an ever-larger share of the value that passes between them.

    #Cory_Doctorow #Plateformes #Economie_numériques #Libertés_numériques #Manipulation

  • Fake streams : plusieurs milliards de fausses écoutes enregistrées par les plateformes en France en 2021 Par Julien Baldacchino

    Le Centre national de la musique publie ce lundi un rapport sur les fraudes constatées sur les plateformes de streaming. France Inter a pu se le procurer en avant-première : d’une plateforme à l’autre, les chiffres varient, mais entre 1% et 3% des streams sont concernés.

    Depuis plusieurs semaines, les enquêtes se sont multipliées sur les « fake streams », ces achats d’écoutes sur les plateformes de streaming musical qui permettent de gonfler les statistiques de tel ou tel artiste, de tel ou tel titre. Ce lundi, le Centre national de la musique révèle à son tour ses chiffres sur cette question : l’organisme a été saisi dès l’été 2021 par Roselyne Bachelot, alors ministre de la Culture, pour travailler sur les manipulations d’écoutes sur les services de musique en ligne.


    Les résultats de cette enquête sont publiés ce lundi, dans un document que France Inter a pu se procurer. Le CNM a travaillé avec plusieurs acteurs du milieu, dont les plateformes de streaming, pour établir le premier rapport sur le sujet. Des maisons de disques, des artistes, des distributeurs et des organisations professionnelles ont aussi participé à l’élaboration du rapport, qui fait un état des lieux et plusieurs recommandations.

    Entre 1% et 3% des écoutes sont des faux streams
    Trois plateformes ont fourni des chiffres particulièrement détaillés : Spotify, Qobuz et Deezer. Chacune a mis en place ses propres outils pour détecter les « faux streams », en se basant par exemple sur les comportements inhabituels d’écoute (de très longues durées d’écoute ou des morceaux passés à très grande vitesse, par exemple). Les résultats ne peuvent donc pas être agrégés d’une plateforme à l’autre et il y a une marge d’erreur, mais pour l’année 2021, il ressort qu’entre 1 et 3 milliards de streams ont été considérés comme frauduleux. Cela représente entre 1% et 3% du marché.

    La plateforme qui a détecté le plus de faux streams est Deezer, dont 2,6% des écoutes seraient issues de streams achetés. Vient ensuite Qobuz (1,6%) et Spotify (1,1%). Il est intéressant de constater que chez Spotify et Deezer, ce sont surtout des titres peu écoutés qui bénéficient de ces faux streams – chez Deezer par exemple, seuls 18,1% des streams frauduleux concernent des titres faisant partie du top 10 000 des chansons les plus écoutées. Chez Qobuz cette proportion est bien différente : 43,5% des faux streams concernent le top 10 000. Et ainsi, sur le top 10 des titres les plus écoutés sur cette plateforme, plus d’une écoute sur dix (13,3%) est détectée comme fausse.

    La suite : https://www.radiofrance.fr/franceinter/fake-streams-plusieurs-milliards-de-fausses-ecoutes-enregistrees-par-les

    #web #streaming #spotify #deezer #qobuz #statistiques #fraude #plateformes #manipulations #musique

    • Si c’était un outil libre d’accès destiné aux malvoyants o.k. Là je ne découvre qu’un énième outil pour rédure la part du travail dans la production afin d’augmenter le profit d’une entreprise multinationale.

      We are currently accepting title nominations via preferred partners based on the following guidelines.

      Ebook must be available on Apple Books.
      You must own the rights to produce the audiobook.
      Primary category must be romance or fiction (literary, historical, and women’s fiction are eligible; mysteries and thrillers, and science fiction and fantasy are not currently supported).
      Book must be in English.

      Nominations will be evaluated based on several criteria, including file quality, content compatibility (no complex formatting elements, and limited foreign language words and phrases), and editorial review. Note that since every book is unique, even titles that meet these requirements may not pass synthesis. We are working to expand the program and qualify more titles, so if nominations are not currently accepted, they may still be eligible in the future.

      #platform_capitalism #audio

  • Dans le Loir-et-Cher, l’expansion des plateformes logistiques suscite des résistances | Mediapart
    https://www.mediapart.fr/journal/economie-et-social/030123/dans-le-loir-et-cher-l-expansion-des-plateformes-logistiques-suscite-des-r

    Le rituel de cette implantation #logistique est toujours le même : un écriteau jaune apparaît un matin au milieu d’un terrain jonché d’herbes folles où gambadent des faisans. On y lit « Avis au public » suivi d’un jargon parfois contradictoire. Comme ici, rue Jean-Mermoz, où la formule « Installation classée pour la protection de l’environnement » précède une « demande d’enregistrement pour la construction d’un bâtiment de logistique à usage d’entreposage sur un terrain d’environ 6 hectares ».

    En face, une autre pancarte révèle des travaux imminents : 38 000 m2 d’#entreposage sur 14 mètres de hauteur, au bénéfice du groupe Concerto Kaufman & Broad, l’un des leaders français de « l’ingénierie logistique » pour stocker les pièces du géant de l’armement Nexter.

    #bétonisation #artificialisation_des_sols #transport #entrepôt #plateforme #industrie_du_stock

  • In der Pampa ausgesetzt
    https://seenthis.net/messages/984861

    Am Abend vor Weihnachten wurde eine Studentin, der eine große Plattform eine Mitfahrgelegenheit für 90 Euro nach Thénac im Departement Charente Maritime vermittelt hatte, von der Fahrerin bei Thénac in der Dordogne mitten in der Ödnis und über 150 Kilometer von ihrem Reiseziel entfernt ausgesetzt. Ein Taxi brachte sie weiter in das falsche Thénac, von wo sie, um weitere 240 Euro ärmer, nach einer Nacht im Hotel mit der Bahn zum Ziel ihrer Reise gelangte.

    So kanns gehen, wenn man sich von Amateuren fahren läßt. Ein kleines Mißverständnis, und schon sitzt der Fahrgast in der Sch...
    Wo liegt eigentlich #Bergen? In #Noirwegen, #Belgien oder #Lüchow-Dannenberg?

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Bergen

    #Frankreich
    #Ortskunde #Verkehr #Personenbeförderung #Mitfahrzentrale #Plattformkapitalismus #Digitalisierung #WTF

  • #Plataci. Il piccolo comune salvato dai rifugiati, i rifugiati salvati dal piccolo comune.

    Come scongiurare la morte di un piccolo comune? Plataci ha trovato nell’accoglienza un elisir di lunga vita.

    Il piccolo comune si chiama Plataci ed è storicamente popolato dagli #arbëreshë, italo-albanesi, che parlano ancora l’antica lingua. Il paese è appollaiato sulla montagna, nel parco del Pollino, in provincia di Cosenza. A vederlo sulla mappa dista poco più di dieci chilometri dal mare, ma sono dieci chilometri virtuali, orizzontali. La realtà è la verticalità di una montagna che si erge dalla piana di Sibari e va su, dritta, per mille metri.

    Alla fine dei tornanti c’è piazza del Popolo, la piazza principale di Plataci. E’ un pomeriggio d’inizio estate, nel piccolo parcheggio c’è posto per la mia macchina. Scendo. C’è qualcosa che non torna, qualcosa di anomalo: non il clima, assolato ma fresco, non l’odore di bosco. Sono i suoni. Nei piccoli borghi isolati sulle montagne generalmente regna il malinconico silenzio dell’abbandono e i passi risuonano sul selciato delle viuzze come un’eco spettrale di vite passate. Qui, al contrario, lo spazio risuona di voci liete, risate, gridolini. La piazza è gremita di bambini. E’ in atto una partitella di calcio rotta da incursioni di bande di ragazzine e da gruppetti di bimbi più piccoli impegnati in altri giochi. Conquista palla un bambino che – penso – potrebbe avere sette anni; ha la pelle scura, ma non scura come i gemelli dell’altra squadra, un po’ più grandi.

    Io oggi sono qui per salutare due famiglie, una eritrea e una nigeriana. Cerco di individuarne i figli tra i ragazzini che giocano sulla piazza. Ma non è facile, perché a Plataci i bambini stranieri sono 25: diciotto nel progetto SAI e cinque fuori (hanno concluso il percorso di integrazione ma sono rimasti a vivere qui, perché i loro genitori si trovano bene).
    I bambini immigrati hanno salvato il piccolo comune di Plataci.

    Anche Maria Rosaria Bellusci, portavoce dell’associazione Jete , che gestisce il centro SAI locale, ha dei figli, due, anche loro sono in piazza a giocare. La più grande ha sette anni e frequenta la scuola elementare di Plataci. “Senza scuola” mi spiega Maria Rosaria “ci saremmo dovuti trasferire sulla costa. Come noi, altre famiglie”.

    La scuola di Plataci è appena sopra piazza del Popolo: scuola materna, elementare e… media.

    “Avete anche le medie???”

    Sì, ci sono studenti sufficienti a tenere aperta la scuola media. E’ una situazione rarissima nei piccoli comuni italiani. Pensate che Plataci conta solo 673 abitanti (dati Istat 2022).

    Come è stato possibile questo miracolo?

    Grazie al centro di accoglienza.

    Da anni Plataci ospita famiglie di varie nazionalità africane e asiatiche. Ad ognuna è stato assegnato un appartamento indipendente nel cuore del paese. I bambini hanno fatto da collante tra le famiglie e tutti sono fieri del clima interculturale che si è naturalmente creato.

    I piccoli comuni italiani, privi di bambini, stanno subendo la lenta agonia dell’invecchiare e morire: chiude la scuola, le famiglie se ne vanno, chiudono i negozi, restano solo gli anziani. Alcuni comuni stanno provando a vendere case (da ristrutturare) ad un euro, ma l’iniziativa non pare funzionare. Il sistema di Plataci, al contrario, ha contribuito non solo a salvare la scuola (e chi ci lavora) ma anche i negozi. Grazie al SAI sono sopravvissuti i negozietti di generi alimentari. “Noi incentiviamo tutti a spendere i loro soldi qui a Plataci” mi spiega Maria Rosaria. La microeconomia del luogo è viva e vegeta e qui si è ritornati anche a coltivare campi, prima abbandonati per mancanza di manodopera.
    Plataci ha salvato i bambini immigrati.

    Me ne sto in quella piazza, piazza del Popolo, seduta al tavolino del bar, tra altri tavoli di anziani che giovano a carte. Chiacchiero con i responsabili del progetto SAI, sorseggiando un bicchiere di Cirò rosso. Mi indicano i bambini che giocano: sì, il calciatore di sette anni è il piccolo di Rahel, la mamma eritrea che sono venuta a salutare, e i gemelli sono i figli della famiglia nigeriana che io e Amr abbiamo mandato qui due mesi fa.

    Dal mio tavolo vedo due donne passeggiare chiacchierando. Una è Rahel. Mi alzo e la chiamo a gran voce. Si gira. Attraversiamo di corsa la piazza, io da una parte e lei dall’altra, e al centro ci abbracciamo come due vecchie amiche che non si vedono da un po’.

    In realtà è la prima volta che vedo Rahel, anche se la conosco da più di due anni. Fino al 28 di febbraio scorso (soprav)viveva a Tripoli, in Libia, assieme ai suoi figli. Dentro e fuori i lager libici. Poi, finalmente, è stata evacuata dal governo italiano, era sullo stesso volo del mio amico Lam e delle donne che ho conosciuto nelle Marche.

    Anche Blessing, nigeriana, è passata per la Libia, ma senza figli. E’ riuscita a sopravvivere al viaggio e ha fatto venire in Italia i suoi bambini con un ricongiungimento familiare. Per ciò che la sua famiglia ha subito in Nigeria, questa donna coraggiosa ha avuto l’asilo politico. Il suo quarto figlio è nato in Italia, ha otto mesi e mi sorride cercando di mangiare tutto ciò che si trova sul tavolo. Maria Rosaria lo tiene in braccio e riesce a togliergli di bocca un foglio di carta, il bitter Campari, una gomma e un pastello arancione, il tutto senza farlo arrabbiare.

    Adesso siamo in quattro attorno al tavolo, quattro donne, ognuna con una sua storia e differenti origini. Una cosa ci accomuna: siamo quattro mamme. Ci capiamo bene. I nostri figli sono andati a giocare (tranne il piccolino intenzionato a mangiare il tavolo), i nostri figli vanno a scuola, i nostri figli la notte dormono in un letto. Adesso. Prima non era così. I figli di Rahel e Blessing hanno subito guerre, attacchi armati, deportazioni nei lager, fame e tutta una serie di ingiustizie immani.
    Il piccolo comune con un’ampia veduta sul futuro.

    Plataci ha deciso di salvare i bambini e le loro famiglie perché… era GIUSTO salvarle. Questo a prescindere dai vantaggi demografici poi ottenuti. C’è un’idea forte di giustizia sociale che anima questa comunità così viva. C’è la curiosità di conoscere l’altro. C’è la voglia di combattere le ingiustizie. E c’è, soprattutto, la cultura.

    Alcuni comuni italiani privi di un’idea culturale hanno aperto progetti SAI per un mero tornaconto personale e ghettizzato gli accolti. La cosa non funziona, gli accolti abbandonano i progetti e il paese continua a morire. A Conza della Campania (AV) ad esempio i rifugiati vengono alloggiati nel vecchio paese terremotato abbandonato dagli abitanti, che invece vivono in case nuove nel paese nuovo. Zero integrazione, altissimo tasso di abbandono del progetto e del comune.

    Altri paesini hanno addirittura cacciato i rifugiati oppure non li hanno mai voluti, perché in Italia vengono aperti centri di accoglienza soltanto nei comuni che ne accettano la presenza. E’ emblematico il caso di Borgo Pace, nella provincia di Pesaro e Urbino, che due mesi fa ha scritto a Mattarella lamentando l’imminente chiusura della sua scuola elementare. La lettera è finita su tutti i giornali ma nessuno ha fatto una ricerca sul passato di questo piccolo comune che nel 2016 protestò ritenendo che 60 richiedenti asilo sul totale di 660 abitanti fossero troppi e li fece sloggiare. Se fossero rimasti, adesso magari avrebbero bambini come questi sotto (che invece vivono a Plataci!). Ho comunque telefonato alla sindaca di Borgo Pace, che mi ha detto che per il prossimo anno la loro scuola è salva: hanno preso delle famiglie ucraine. Il problema è che sono qui solo provvisoriamente e quando torneranno alle loro case il piccolo comune riprenderà a morire lentamente. Ed è brutto morire da soli.

    A Plataci non si vedono famiglie ucraine. Non ci sono, ammettono i responsabili del SAI. Strano, mi dico, tutta Italia ne è piena. Sì, e sarebbe stato semplice ed economicamente vantaggioso chiederli e prenderli, perché lo Stato italiano paga direttamente per la loro accoglienza, i soldi arrivano subito, non dopo un anno o due. Il fatto è che il centro di accoglienza di Plataci era già pieno di famiglie africane, c’era solo un appartamento libero e hanno deciso di assegnarlo alla famiglia nigeriana di Blessing, che si trovava in estrema difficoltà e che nessuno voleva accogliere. Una scelta economicamente poco conveniente e dettata dal cuore? Sì, ma anche dettata da quella ampia visione del futuro che qui a Plataci sembrano avere tutti: gli ucraini se ne andranno, i quattro bimbi di Blessing cresceranno qui.

    Dalle finestre della case di Plataci si ammira il panorama di tutto lo Ionio, da Taranto a Riace, qui la gente è abituata ad avere una visione ampia del presente e del futuro.

    https://saritalibre.it/plataci-piccolo-comune-rifugiati-accoglienza

    #Calabre #asile #migrations #réfugiés #accueil #Italie #villes-refuge

  • Arbeitskämpfe in der Plattform-Ökonomie am Beispiel von Essenskurieren in China und Deutschland. 10. Dezember 2022, 09:00 - 13:30 Uhr
    https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/9L1JL

    Im Zuge der weltweiten Ausbreitung von COVID-19 seit Anfang 2020 und der
    Verhängung von monatelangen Lockdowns in vielen Staaten hat die weitgehend
    kontaktlose Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln und zubereiteten Speisen
    durch Essenskuriere einen enormen Aufschwung erfahren. Befördert wurde die
    Expansion von Kurierdiensttätigkeiten durch die Digitalisierung, die zunehmende
    Bereiche des Alltagslebens, der Wirtschaft und Arbeitswelt in vielen Ländern der
    Welt in den letzten Jahren erfasst und die mit der sogenannten
    Plattform-Ökonomie einen eigenen Wirtschaftssektor geschaffen hat.

    Die durch digitale Plattformen vermittelte Arbeit zeichnet sich weltweit durch
    schlechte Löhne, das Fehlen von Sozialversicherungs- und Gesundheitsschutz sowie
    Repressalien gegen eine gewerkschaftliche Organisierung aus. Auch im
    Essensliefermarkt gehört die Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzmaßnahmen zum
    Geschäftsmodell.

    Die Konferenz will Essenslieferanten aus Deutschland und China (Festland und
    Hong Kong) zu einem Austausch über Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfe in ihren
    Ländern zusammenbringen. Dabei wird berücksichtigt, dass die Zustellung auf
    unterschiedliche Art geschieht - zu Fuß, mit dem Fahrrad, E-Bike, Moped,
    Motorrad oder auch Auto. Der Austausch soll die Unterschiede und Gemeinsamkeiten
    aufzeigen und die Art und Weise reflektieren, wie sich in diesem Sektor
    arbeitende Menschen organisieren und wie sie international zusammenarbeiten. Für
    sie als Teil der Arbeiterklasse stellt sich die Frage ihrer Organisierung: In
    Form traditioneller oder anarchosyndikalistischer Gewerkschaften oder in
    Kollektiven auch jenseits von Gewerkschaften.

    Fragestellungen:

    ◾ Wie hat sich die Essenslieferindustrie in Festland-China, Hong Kong und
    Deutschland in den letzten Jahren entwickelt?

    ◾ Wie sehen die Arbeitsbedingungen von Essenslieferanten in Festland-China,
    Hong Kong und Deutschland aus?

    ◾ Wie haben sie Arbeitskämpfe ausgefochten und Organisationsstrategien entwickelt?

    ◾ Was sind dabei ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den zwei Ländern?

    Konferenzsprachen sind Englisch und Chinesisch. Die Veranstaltung findet mit
    englisch-chinesischer Simultanübersetzung statt.

    Anmeldung

    Erbeten wird eine schriftliche und verbindliche Anmeldung für die Teilnahme an
    der Online-Konferenz unter Angabe von Namen, Adresse, ggf.
    Organisationszugehörigkeit und E-Mail-Adresse bis spätestens Donnerstag den
    8.12.2022. Anmeldung über den Anmeldebutton auf der Veranstaltungswebseite
    <https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/9L1JL#pk_campaign=adb>. Die
    Anmeldung wird schriftlich bestätigt. Ein Zugangscode kurz vor der Konferenz
    verschickt.

    Programm

    9 Uhr
    /Peter Franke/ (Kritisches China-Forum), /Thomas Sablowski/
    (Rosa-Luxemburg-Stiftung): Begrüßung durch die Veranstalter
    *Simon Schaupp (Universität Basel): *Überblick über die weltweiten Lieferdienste
    und die Plattformökonomie

    9:20 Uhr
    /Lee Yu /(Hong Kong): Überblick zu den Essenslieferdiensten und der Lage der
    Arbeiter*innen in China

    9:35 Uhr
    /Au Gaawing/ (Riders’ Rights Concern Group, Hong Kong): Überblick zur Situation
    in Hong Kong

    9:50 Uhr
    Simon Schaupp (Universität Basel): /Überblick zur Situation in Deutschland
    /gefolgt von Fragen und Kommentaren der Teilnehmer*innen

    10:30 Uhr
    Pause
    Berichte von Aktivist*innen zu den Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfen

    11 Uhr
    Ein Beschäftigter eines Lieferdienstes auf dem chinesischen Festland
    *gefolgt von Fragen und Kommentaren der Teilnehmer*innen

    11:30 Uhr
    /Siutong /(Hong Kong): *Der Kampf der Beschäftigten bei Foodpanda in Hong Kong

    gefolgt von Fragen und Kommentaren der Teilnehmer*innen

    12 Uhr
    Kurze Pause

    12:15
    /Elmar Wiegand/ (Flink, Aktion gegen Arbeitsunrecht, Köln)
    /Ein Beschäftigter von Gorillas, Berlin
    /gefolgt von Fragen und Kommentaren der Teilnehmer*innen

    12:45 Uhr
    Offene Diskussion und abschließende Bemerkungen

    13:30 Uhr
    Ende der Konferenz

    Veranstaltungsleitung:

    Thomas Sablowski, Rosa-Luxemburg-Stiftung, E-Mail: thomas.sablowski@rosalux.org
    <mailto:thomas.sablowski@rosalux.org>
    Peter Franke, Kritisches China-Forum, E-Mail: forumarbeitswelten@fuwei.de
    <mailto:forumarbeitswelten@fuwei.de>

    /Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Kritischen China-Forum statt./

    Veranstaltungswebseite
    https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/9L1JL#pk_campaign=adb

    #Arbeit #Plattformkapitalismus #China

  • EU-Pläne zur Plattformregulierung sind für Taxizentralen gefährlich
    https://www.taxi-times.com/eu-plaene-zur-plattformregulierung-sind-fuer-taxizentralen-gefaehrlich
    24.5.2022 von Jürgen Hartmann -

    24.5.2022 von Jürgen Hartmann - In der EU wird über eine arbeits- und sozialrechtliche Regelung für Plattformarbeitende nachgedacht. Ein erster Entwurf könnte die prekäre Situation für Uber-Fahrer verbessern und den Wettbewerb fairer gestalten. Gleichzeitig könnte es für Taxizentralen existenzbedrohend sein, wenn Funkteilnehmer als Arbeitnehmer klassifiziert werden.

    Am 9. Dezember 2021 hat die Europäische Kommission einen Gesetzentwurf vorgestellt, der die arbeits- und sozialrechtliche Einstufung jener Arbeitenden definieren soll, die für digitale Plattformen tätig sind. Das Ziel ist, rund 5,5 Millionen Scheinselbständige vor Ausbeutung zu schützen (Taxi Times berichtete).

    Seit der Veröffentlichung wird in Brüssel über den Entwurf verhandelt. Im deutschen Taxigewerbe wird er bisher kaum wahrgenommen, obwohl er zu schwerwiegenden Konsequenzen für Taxizentralen führen könnte. Der Bundesverband Taxi und Mietwagen (BVTM) steht dazu mit EU-Politikern im Gespräch und hat letzte Woche in Köln seine Mitglieder aus Landesverbänden und Taxizentralen für das Thema sensibilisiert, indem man im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Taxi Driving Innovation“ eine Diskussionsrunde mit Experten durchführte. Live vor Ort in Köln waren Prof. Steffen Roth vom Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln, Rechtsanwalt Herwig Kollar, Präsident des BVTM, sowie Rechtsanwalt Dr. Thomas Bezani von der Wirtschaftskanzlei Görg. Online war Tobias Müllensiefen von der EU-Kommission zugeschaltet (siehe Beitragsfoto).

    Letzterer stellte den Gesetzentwurf vor, nannte die Hintergründe und präsentierte beeindruckende Zahlen. Aktuell seien EU-weit 500 Unternehmen als digitale Plattformen identifiziert, für die 28 Millionen Menschen Plattformarbeit leisten. 92 Prozent dieser Unternehmen arbeiten mit Selbständigen, von denen wiederum 5,5 Millionen als Scheinselbständige eingestuft werden müssten. 55 Prozent der Plattformarbeiter verdienen weniger als den Mindestlohn. Man habe bei Erhebungen zudem festgestellt, dass viele Arbeitende rund neun Stunden pro Woche damit verbringen, „Arbeit zu suchen“. Dazu zählt auch die Zeit, in denen beispielsweise Fahrer für Uber und Free Now auf die nächste Fahrt warten.

    „In 12 Mitgliedsstaaten der EU gibt es 120 Gerichtsentscheidungen zum Thema Beschäftigtenstatus bei Plattformarbeitenden“, berichtete Müllensiefen. „In vielen Fällen wurde Scheinselbständigkeit festgestellt.“ All das führe zu einer Rechtsunsicherheit, und dieses Problem wolle man mit dem Entwurf angehen, der nun im EU-Parlament und im Rat beraten wird, und bei dem laut Müllensiefen sicherlich noch Änderungen vorgenommen werden.
    Dr. Steffen Roth. Foto: Taxi Times

    Dass solche Verbesserungen nötig sind, wurde während der anschließenden Diskussion deutlich, an der sich auf dem Podium der TDI ein Ökonom (Roth), ein Taxi-Experte (Kollar) sowie ein Arbeitsrechtsspezialist (Bezani) beteiligten. Prof. Roth richtete dabei den Blick auf die gesamte Plattformwirtschaft und relativierte deren Wachstumszahlen. Die 28 Millionen Plattformarbeiter würden zusammen einen Umsatz von 20 Milliarden Euro machen. Heruntergerechnet auf die einzelne Person entspräche das einem Umsatz von 60 Euro pro Mitarbeiter im Monat. Er unterstrich auch die von Müllensiefen genannte Aufteilung der Plattformarbeit in zwei Gruppen: Sechs Millionen würden eine so genannte ortsgebundene Plattformarbeit ausführen, 22 Millionen eine ortsungebundene (Online-)Tätigkeit. Zu ersterem zählen Mobilitäts-, Gastronomie oder Hotellerie-Unternehmen, zu letzteren Bereiche wie Grafikdesign, Softwareentwicklung, Übersetzungen etc.

    Roth warnte, dass zu strikte arbeits- und sozialrechtliche Vorgaben das unmittelbare Aus für viele kleine Plattformen zur Folge hätten und dass im Bereich der Online-Plattformen die Mitarbeitenden dann eben außerhalb der EU herangezogen würden. Sein Vorschlag ging daher in die Richtung, Geringfügigkeitsschwellen für die Scheinselbständigen oder geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer einzuführen – analog zu den Geringfügigkeitsgrenzen, die man im Bereich der Lohnsteuer eingeführt hat.

    Herwig Kollar wollte sich mit der ökonomischen Zahleninterpretation indes nicht zufriedengeben. Er hielt dagegen, dass fünf der 500 genannten Plattformen mehr als die Hälfte der Vergütungszahlungen für die 28 Millionen Plattformarbeiter übernehmen. Unter diesen fünf Unternehmen stünde Uber auf Platz 1 und Uber Eats auf Platz 2. Die EU solle daher keine Regelung für die 500 Plattformen und für die Plattformarbeiter mit 60 Euro Monatsumsatz aufstellen, sondern sich auf diese Art von Plattformen konzentrieren. Damit würde man dann auch den Wettbewerbern in diesen Marktsegmenten besser helfen.

    Was Kollar hier ansprach, deckt sich mit der Zielsetzung des Gesetzentwurfes, einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Plattformarbeitenden. Die EU will dafür unter anderem eine „rechtliche Vermutung“ für Arbeitsverhältnisse für gewisse Arbeitsplattformen ermöglichen. Dafür wurden fünf Kriterien aufgestellt. Sind nur zwei davon erfüllt, tritt die rechtliche Vermutungswirkung ein, dass es sich bei den Mitarbeitenden der Plattform um Scheinselbständige handelt. Eine Widerlegung dieser Vermutung ist auf der Basis des nationalen Arbeitnehmerbegriffs durchaus möglich, die Beweislast liegt dann aber bei der Plattform.

    Genau diese fünf Kriterien seien für die klassischen Taxizentralen brandgefährlich, denn es werde nicht zwischen Uber und Taxizentralen differenziert, warnte Thomas Bezani das anwesende Publikum, zu dem auch viele Leiter von Taxizentralen zählten. Sowohl das Kriterium, dass eine kommerzielle Dienstleistung auf elektronischem Weg angeboten wird, als auch die Tatsache, dass diese auf Verlangen des Empfängers erbracht wird, erfüllen auch Taxizentralen, ebenso wie die Definition, dass die Fahrten durch eine Plattform organisiert werden.
    Dr. Thomas Bezani. Foto: Taxi Times

    „Drei der fünf Kriterien erfüllen auch Taxizentralen, und sie fallen damit nach heutigem Stand unter die Vermutungswirkung“, sagt Bezani. Somit gibt es nicht nur für den soloselbständigen Taxiunternehmer ein Problem, sondern auch für das Fahrpersonal der Mehrwagenunternehmer, weil auch das arbeitsrechtlich als Arbeitnehmer der Taxizentrale gesehen wird und der Mehrwagenunternehmer mit dem Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit rechnen muss, weil er eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung betrieben hat. „Daher bedarf es einer Präzisierung der Richtlinien“, zieht Bezani ein klares Fazit. „So, wie es jetzt gestrickt ist, wird es für das Taxigewerbe große Probleme auslösen.“

    Kollar stimmte dem im Prinzip zu, verweist aber darauf, dass es bereits einschlägige juristische Bewertungen über die Klassifizierung einer Taxizentrale gibt. Taxizentralen seien vielerorts eine Selbsthilfeorganisation in Form einer Genossenschaft, die für anerkannt selbständige Taxiunternehmen eine Auftragsvermittlung tätigen. Es könne nicht gewünscht sein, dass solche kleinen, lokalen Selbsthilfeorganisation auf einmal in Arbeitgeberpflichten gedrängt würden. „Das würde sie vom Markt verdrängen – zugunsten von großen, international tätigen Plattformen“, sagte Kollar.
    Herwig Kollar. Foto: Taxi Times

    Sein Lösungsvorschlag lautet daher, Größenklassifizierungen einzuführen. Nur wer eine signifikant hohe Anzahl an Teilnehmern aufweist, müsste unter diese Vermutungswirkung fallen. „Damit würde man genau die Plattformen treffen, die das Gros der Probleme verursachen, und die andererseits die ökonomischen Mittel hätten, um damit umgehen zu können.“ Kollar appellierte in seinem Schlusssatz der Diskussionsrunde an die Verantwortlichen in Brüssel, darüber nochmals intensiv nachzudenken. jh

    #Taxi #Plattformkapitalismus #Taxivermittlung #Europa

  • EU-Richtlinie darf nicht für Taxis gelten
    https://www.taxi-times.com/eu-richtlinie-darf-nicht-fuer-taxis-gelten

    25.11.2022 von Jürgen Hartmann - Die Richtlinie der EU über den Umgang mit Plattformarbeitern darf nicht gleichzeitig dem Taxigewerbe übergestülpt werden. Darauf haben Taxi-Organisationen in einem gemeinsamen Brief an Mitglieder des Europaparlaments hingewiesen.

    Die International Road Transport Union (IRU) hat sich zusammen mit einer Gruppe europäischer Taxiorganisationen, die sich in Taxis4SmartMobility (T4SM) zusammengeschlossen haben, mit einem Appell an die Mitglieder des Europäischen Parlaments gewandt. Ziel ihres Aufrufs ist es, das Bewusstsein für die Risiken des aktuellen Richtlinienvorschlags für das Taxigewerbe insgesamt zu schärfen. Schließlich will die Taxibranche nicht, dass Taxizentralen mit selbstständigen Fahrern als Plattformen skaliert werden und die selbstständigen Fahrer dann als Angestellte einstellen müssen.

    Der Aufruf trägt den Titel “Halten Sie die Arbeit unserer Taxifahrer aufrecht” und beginnt mit: “Sehr geehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments, wir senden dieses Schreiben, um Sie auf die ernsthaften Risiken aufmerksam zu machen, die der Taxisektor durch den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Plattformarbeiter darstellt.” Der Aufruf fügt hinzu, “dass unsere zahlreichen Treffen mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments und Vertretern der Mitgliedstaaten gezeigt haben, dass diese Richtlinie nicht für Taxis gedacht war und daher nicht für Taxis gelten sollte.”

    Die beiden Gruppen weisen darauf hin, dass der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Wortlaut Unsicherheit über den weiten Anwendungsbereich dieses Gesetzes schafft und plädieren dafür, das Taxigewerbe von dieses Gesetz auszuklammern.

    In vielen Städten in Europa würden in den von Einzelunternehmern betriebenen Taxis mehrheitlich Taxifahrten mit Einsteigern und Winkern stattfinden, auch bei jenen Solounternehmern, die an Taxizentralen angeschlossen sind. Wenn diese nun aufgrund der EU-Richtlinie als Arbeitnehmer der Taxizentralen eingestuft werden würden, müssten sie dann auch nach den Vorgaben der Taxizentrale fahren – mit der Konsequenz, dass die Taxi-Verfügbarkeit an Halteplätzen wie Bahnhöfen, Flughäfen oder auch Krankenhäuser stark reduziert wäre.

    T4SM und die IRU begrüßen den Vorschlag der Kommission, die durch globale digitale Plattformen geschaffene Rechtslücke zu schließen und Plattformarbeitern die ihnen zustehenden Arbeitnehmerrechte zu garantieren. “Der aktuelle Text birgt jedoch schwerwiegende Folgen für die urbane Mobilität insgesamt und lässt die am stärksten gefährdeten Taxibenutzer im Regen stehen. T4SM und IRU sind der Ansicht, dass zur Gewährleistung eines sicheren und nachhaltigen Mobilitätsrahmens für alle europäischen Bürger und eines angemessenen sozialen Schutzes für alle gleiche Wettbewerbsbedingungen durch geeignete Vorschriften auf lokaler Ebene erforderlich sind.”

    Deswegen fordern die beiden Organisationen die Abgeordneten auf, die Definition von digitalen Arbeitsplattformen (DLPs) einzugrenzen, um einen einheitlichen Ansatz zu vermeiden. “Insbesondere fordern wir, dass der Taxisektor von der Definition von DLPs ausgenommen wird. Dies kann durch den ausdrücklichen Ausschluss des Taxisektors oder durch den Ausschluss kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) aus dem Geltungsbereich der Richtlinie erreicht werden, da die meisten Taxiunternehmen KMU sind.”

    T4SM und IRU weisen daraufhin, dass kleine und mittlere Unternehmen das Rückgrat der europäischen Wirtschaft sind und Mehrwert in allen Sektoren schaffen. “Aufgrund ihrer geringen Größe sind KMU im Allgemeinen weniger geschickt im Umgang mit der Komplexität übermäßiger Regulierung und können daher die erhöhten Kosten für die Einhaltung nicht bewältigen. Darüber hinaus erbringen Taxis eine Dienstleistung des öffentlichen Nutzens mit Verpflichtungen zur Bereitstellung von Verkehrsmitteln auf öffentlichen Straßen.” Die Organisationen warne davor dass viele Kunden als direkte Folge des aktuellen Vorschlags ausgeschlossen würden, da der Verkehr eingeschränkt würde. “Dies würde zum Ende des Taxis als öffentliche Dienstleistung führen, wie wir es heute kennen.”

    In Sachen Klärung der Kriterien für die Begründung des Arbeitsverhältnisses weisen T4SM und IRU darauf hin, dass diese Vertragsbedingungen auf dem nationalen Arbeitsrecht basieren. Folglich sind die Mitgliedstaaten und die nationalen Sozialpartner für die Arbeitsbedingungen auf der Grundlage des nationalen Sozialrechts verantwortlich. “Was den Taxisektor erfolgreich macht, ist seine Anpassungsfähigkeit an nationale und lokale Realitäten. Da Taxis nicht grenzüberschreitend verkehren, haben sie sich in Übereinstimmung mit jeder einzigartigen Kultur entwickelt, um sich an die Bedürfnisse jedes Kunden anzupassen.”

    Wie schon im TRAN-Ausschuss des Europäischen Parlaments mit der Annahme des Kompromissänderungsantrags 9 allgemein vereinbart wurde, so T4SM und IRU, “ermöglicht die Regulierung auf lokaler Ebene Städten und Ländern, bestehende und neu entstehende Herausforderungen auf lokaler Ebene am besten anzugehen, wobei die verfügbare Infrastruktur genutzt wird, um das Beste bereitzustellen: Dienstleistungen für die Bürger.”

    Zusammengefasst: “Unsere Herausforderung besteht darin, weiterhin ein innovatives Wirtschaftsmodell anzubieten, das mit großen multinationalen Unternehmen konkurrieren kann, nachhaltig ist und hohe Standards in Bezug auf Effizienz, Pünktlichkeit und Sicherheit garantiert. Taxis sind seit Jahrzehnten in ganz Europa untrennbar mit dem Alltag verbunden. Sie sind der Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs und gewährleisten Mobilität für alle, einschließlich Studenten, Senioren, Touristen, Pendler und Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Sie haben schon immer eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung eines wesentlichen öffentlichen Versorgungsdienstes in städtischen, stadtnahen und ländlichen Gebieten gespielt.”

    “Wir bitten das Europäische Parlament, unsere Bedenken zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass der Taxisektor nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt. Wir zählen darauf, dass Sie diese Empfehlungen annehmen und eine sichere, effiziente und nachhaltige Zukunft für die Taxibranche gewährleisten.“ wf

    Zusatzinfo der Redaktion: Die europäische Organisation Taxis4SmartMobility, die aus Deutschland unter anderem vom Zentralenverbund Taxi Deutschland mitfinanziert wird, ist vor kurzem als Mitglied in die Expertengruppe für städtische Mobilität aufgenommen worden. Sie wird dort von T4SM über ihren Vorsitzenden, dem Münchner Taxiunternehmer Gregor Beiner vertreten.

    #Taxi #Plattformkapitalismus #Taxivermittlung #Europa

  • #François_Héran, professeur au Collège de France : « Le débat public sur l’immigration en France est en décalage complet par rapport aux réalités de base »

    François Héran, professeur au Collège de France à la chaire Migrations et sociétés, rappelle, chiffres à l’appui, à quel point l’immigration est limitée, bien en deçà de la place qu’elle occupe dans l’espace public.

    Le débat public sur l’immigration en France est en décalage complet par rapport aux réalités de base. De 2000 à 2020, selon les compilations de l’ONU, la part des immigrés dans la population mondiale a progressé de62 %. Sans surprise, cette lame de fond touche aussi le continent européen  : + 60 %. Les régions d’Europe qui ont connu les plus fortes hausses relatives de populations immigrées depuis l’an 2000 sont l’Europe duSud (+ 181 %), les pays nordiques (+ 121 %), le Royaume-Uni et l’Irlande (+ 100 %), l’Allemagne et l’Autriche (+ 75 %), suivies du reste de l’Europe de l’Ouest (hors la France)  : + 58 %. En revanche, la hausse est faible en Europe centrale ex-communiste (+ 12 %).

    Dans ce tableau européen, la France occupe une position très inférieure à la moyenne  : + 36 % d’immigrés en l’espace de vingt ans (avec ou sans l’outre-mer). Les immigrés représentent aujourd’hui chez nous 10,3 % de la population, selon l’Insee. La hausse a démarré en 2000, après la longue stagnation des années 1974-1999. Nicolas Sarkozy a freiné un peu la tendance, mais sans l’inverser. Elle a suivi son cours d’une présidence à l’autre. Il est donc absurde, comme on le lit çà et là, d’imputer la montée de l’immigration au dernier président  : aucun d’entre eux n’a pu contrecarrer une évolution inscrite dans une dynamique mondiale.

    Une autre approche consiste à examiner non plus le nombre d’immigrés résidant en France, mais les titres de séjour délivrés chaque année par la direction générale des étrangers en France du ministère de l’intérieur. Leur nombre a augmenté de 37 % de 2005 à 2021, une hausse régulièrement pointée comme une dérive incontrôlée mais qui s’explique à 54 % par la migration estudiantine, à 27 % par la migration de travail (relancée depuis peu par le «  passeport talent  ») et à 24 % par la migration de refuge (la moindre des choses dans le contexte actuel). Objet d’une fixation obsessionnelle dans le débat public, la migration familiale n’est pour rien dans cette hausse, puisqu’elle a reculé de 10 % depuis 2005, tant le parcours est semé d’embûches. Le regroupement familial auprès des étrangers oscille autour de douze mille personnes par an, soit 4 % seulement de l’ensemble des titres.

    Quant aux titres délivrés pour «  liens personnels et familiaux  » avec la circulaire Valls ou l’application de l’article 8 de la Convention européenne des droits de l’homme (qui n’a rien de mécanique, contrairement à un mythe tenace), ils plafonnent à 11 000 par an et permettent de régulariser des personnes dont 40 % sont en France depuis dix ans, selon l’enquête officielle Elipa 2. Ces deux catégories de titres stagnent depuis 2012, avec des effectifs modestes. En faire des «  pompes aspirantes  » responsables de la progression générale de l’immigration en France est tout simplement erroné. Telle est donc la situation de la France  : un nombre d’immigrés en hausse, mais pas en pointe, une immigration familiale contenue, un essor important des étudiants internationaux, des régularisations en nombre limité.

    Olivier Dussopt, le ministre du travail, vient d’annoncer ( Le Monde du 2 novembre) de nouvelles régularisations par le travail, sans leur donner l’ampleur de celles décidées en Espagne l’été dernier ou pratiquées en Allemagne par le système de la «  résidence tolérée  » . La droite et l’extrême droite se sont aussitôt écriées que l’on allait créer un appel d’air, comme si la France était l’un des pays d’Europe les plus attractifs. Il n’en est rien. Ne parlons pas des migrants bloqués dans le Calaisis qui veulent rejoindre les côtes anglaises et fuient les «  mises à l’abri  »  : c’est nous, en sous-traitants zélés des Britanniques, qui les retenons sur le territoire français. Ne parlons pas non plus des Européens qui bénéficient de la libre circulation  : ils ne se bousculent pas chez nous, puisque nous sommes au 25e rang des pays européens pour la proportion d’immigrés nés dans l’Union.

    Proportions dérisoires de l’asile

    Mais, objectent certains, ne sommes-nous pas les «  champions de l’asile  » en Europe  ? S’agissant des grandes vagues d’exilés venus du Moyen-Orient, nous sommes loin du compte. Si l’on additionne les demandes d’asile et les relocalisations enregistrées par Eurostat en l’espace de sept ans, de 2014 à 2020, et si l’on fait l’hypothèse maximaliste que tous les déboutés restent, les effectifs accueillis en France en sept ans s’élèvent à36 900 Syriens, 14 100 Irakiens et 49 300 Afghans, soit respectivement 3 %, 4 % et 8 % des demandes ou relocalisations enregistrées en Europe pour ces trois nations (contre 53 %, 48 % et 36 % en Allemagne). Proportions dérisoires quand on sait que la France concentre 15 % de la population de l’Union et 17 % de son PIB. Le «  tsunami migratoire  » dénoncé par Marine Le Pen à l’automne 2015 n’a pas eu lieu.

    Certes, nous pouvons nous targuer d’avoir accordé en 2022 le bénéfice de la «  protection temporaire  » à plus de 100 000 Ukrainiens (un chiffre atteint en juillet, qui a décru depuis, en raison des retours dans leur pays), mais, là encore, cela représente 4 % seulement des exilés protégés à ce titre dans les pays européens non limitrophes de l’Ukraine. Beaucoup ont privilégié le sud de l’Europe où vivaient déjà leurs compatriotes. Ce sont d’abord les diasporas qui ont pris leur part de l’accueil.

    C’est un paradoxe observé depuis 2015  : à l’échelle européenne, la France n’a jamais accueilli les grandes vagues de réfugiés (Syrie, Irak et Afghanistan) au prorata de sa population ou de sa richesse. En revanche, elle a pris un peu plus que sa part (18 %) dans l’enregistrement des demandes d’asile déposées dans l’Union par les ressortissants des autres pays  : Côte d’Ivoire, Bangladesh, Guinée, Turquie, Albanie, Géorgie, Pakistan, Nigeria, Comores, RDC, Somalie, Soudan, Soudan du Sud, tout pays où la situation des droits de l’homme reste complexe à diagnostiquer. Les trois quarts environ de ces demandes ont néanmoins été rejetées.

    Dans les dix dernières années, hors Covid-19, le taux moyen d’exécution des obligations de quitter le territoire français (OQTF) était de 15 %, d’après les données de la direction générale des étrangers de France. Ce n’est pas l’assassinat de la petite Lola à la mi-octobre qui a mis la question à l’ordre du jour. Le taux de non-exécution est brandi de longue date comme un indicateur de l’inefficacité de la politique migratoire. Un rapport du Conseil d’Etat, de mai 2018, et un autre du Sénat, remis en octobre 2020, ont proposé de simplifier les procédures. En 2004, déjà, la juriste Danièle Lochak avait recensé dans la décennie précédente pas moins de onze circulaires des ministères de l’intérieur ou de la justice visant à améliorer le taux d’exécution des mesures d’éloignement. Les vingt et une lois votées depuis 1990 sur l’immigration et l’asile n’ont pas suffi à régler le problème. Croit-on que la 22e y parviendra, sachant que l’obstacle majeur reste l’absence de laissez-passer consulaires et de titres de voyage  ?

    Nul ne peut se satisfaire de voir le contentieux des étrangers concentrer désormais la moitié du contentieux administratif en France. Encore faut-il s’interroger sur les ressorts d’une telle anomalie. La multiplicité des recours contre les OQTF démontre leur fragilité. On se contente de traiter les symptômes en essayant de prendre les recours de vitesse. Des conseillers ont même songé un temps à fusionner le juge de l’asile et le juge de l’expulsion  : tel le dieu Janus planté à l’entrée du territoire, il aurait donné de la main droite et repris de la main gauche, et tout se serait passé dans l’ellipse à deux foyers de sa providence.

    A cette solution irréelle on préfère désormais le modèle allemand, à savoir déconcentrer la Cour nationale du droit d’asile auprès des cours administratives d’appel, quitte à accroître l’arbitraire des décisions en généralisant la formule du juge unique  : exit l’assesseur du Haut-Commissariat aux réfugiés, exit l’assesseur nommé par le Conseil d’Etat.

    Lorsque la loi Sarkozy de juillet 2006 créa l’OQTF actuelle, c’était déjà dans un but de simplification et d’efficacité. Le préfet pouvait prendre d’un coup plusieurs décisions  : refuser le titre de séjour, ordonner la reconduite à la frontière, accorder ou non un délai de départ volontaire, déterminer le pays de retour, interdire tout retour pour une durée donnée. Peine perdue  : un an plus tard, Brice Hortefeux demandait déjà à la commission Mazeaud de lui proposer de nouvelles mesures de simplification. On avait oublié que chacune des décisions composant une OQTF pouvait faire l’objet d’un recours séparé visant la compétence de l’autorité, la forme et le délai de la notification, l’erreur manifeste d’appréciation, etc. Le Conseil d’Etat l’a rappelé dans son rapport  : on ne peut décider du sort des gens sans respecter un droit de recours et un minimum de délai.

    Nous ne sommes plus au temps de la crise économique et morale des années 1930, quand la France expulsait par trains entiers plus de 100 000 Polonais, recrutés quinze ans plus tôt dans les houillères. Les entreprises les renvoyaient à leur guise, avec l’appui des préfets. Nul contentieux alors, puisqu’il n’y avait pas d’OQTF. Mais, entre-temps, un événement est intervenu – la seconde guerre mondiale –, avec le réveil des droits de l’homme, qui a permis d’élargir les compétences des juges en matière de contrôle des expulsions.

    Reste la question de fond. L’OQTF a-t-elle encore du sens quand elle s’obstine à expulser des personnes qui ont prouvé de facto leur aptitude à s’intégrer dans le système économique et dans la vie locale  ? Le ministre de l’intérieur, Gérald Darmanin, le déplore  : «  Il se passe parfois deux ans avant que la personne ne soit expulsable (…) . Il ne faut pas laisser le temps de créer des droits qui viendraient contredire des décisions prises légitimement par les préfectures  » ( Le Monde du 2 novembre). En condensant ainsi cet argument, M. Darmanin en fait ressortir l’absurdité  : c’est l’aveu involontaire d’une politique visant à empêcher l’intégration. Or quel meilleur juge y a-t-il en matière d’intégration que le temps  ? Si un jeune sous OQTF réussit à passer un CAP ou un BTS, s’il donne satisfaction à son employeur et rend service à la communauté locale, où est le problème  ? Il y a des moments où le pragmatisme doit prévaloir sur le dogmatisme.

    C’est au fond l’idée que le ministre du travail, Olivier Dussopt, a tenté de glisser dans l’entretien donné au Monde . Mais peut-il reprendre la main dans ce domaine depuis que la réforme d’avril 2021 a transféré du ministère du travail au ministère de l’intérieur la mission d’identifier les métiers «  en tension  »  ? L’OCDE avait dénoncé en 2017 cette usine à gaz  : les indicateurs officiels (issus d’une analyse des demandes non satisfaites par Pôle emploi) étaient trop volatils pour prédire la tension locale d’un métier pour l’année à venir, les employeurs des secteurs concernés (transport, entretien, services à la personne, restauration, tourisme, agriculture…) ne passaient pas par Pôle emploi  ; seules les grandes entreprises pouvaient faire face à la bureaucratie exigée.

    Rêves immatures

    Aussi la plupart des directions régionales du travail avaient-elles renoncé aux indicateurs chiffrés censés identifier les métiers en tension ? : elles s’adressaient aux chambres des métiers et aux syndicats qui connaissaient le terrain (selon la méthode de concertation appliquée en Suisse, le pays qui avait imaginé dès les années 1970 le système des « ?métiers en tension ? »). La mise en place au printemps 2021 de « ?plates-formes interrégionales ? », permettant de postuler directement en ligne, a démantelé ce système. Il simplifie la tâche des entreprises, mais est-ce faire injure au ministère de l’intérieur de se demander s’il a les outils requis pour analyser à l’échelle locale les besoins du marché du travail ??

    L’impuissance de la politique migratoire ne tient pas au manque de volonté ou de moyens, mais à la démesure des objectifs. Décréter que l’immigration «  choisie  » devra supplanter l’immigration «  subie  » (en oubliant l’échec flagrant de ce programme dans les années 2006-2011), annoncer la «  réduction drastique  » de tel ou tel flux migratoire, prétendre qu’on pourra suspendre le regroupement familial, inverser en France la courbe mondiale des migrations, tenir le pays à l’écart des grands mouvements de réfugiés, convaincre les nationaux de s’adonner au travail manuel, aligner les Etats de droit de l’Europe de l’Ouest sur le modèle illibéral de la Hongrie, résilier les engagements internationaux qui lient les sociétés démocratiques, faire croire enfin que la France serait davantage la France sans l’immigration… Autant de rêves immatures et voués à l’échec, parce qu’ils font fi des réalités les plus élémentaires.

    Ils traduisent un véritable déni d’immigration, comme il y a des dénis de grossesse. Si le gouvernement actuel ne partage pas cette idéologie nationaliste et isolationniste, il est temps pour lui de la combattre en changeant résolument de récit.

    https://www.lemonde.fr/idees/article/2022/11/08/francois-heran-l-impuissance-de-la-politique-migratoire-ne-tient-pas-au-manq

    #immigration #France #chiffres #statistiques #fact-checking #préjugés #migrations #asile #réfugiés #migration_estudiantine #migration_de_travail #migration_familiale #regroupement_familial #étrangers #circulaire_Valls #Elipa_2 #régularisation #protection_temporaire #renvois #expulsions #obligations_de_quitter_le_territoire_français (#OQTF) #mesures_d'éloignement #pragmatisme #dogmatisme #intégration #travail #métiers_en_tension #plates-formes_interrégionales #immigration_choisie #immigration_subie #déni_d’immigration

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  • Bayonetta actor Hellena Taylor claims sequel pay offer was «insulting»
    https://www.gamedeveloper.com/console/-i-bayonetta-i-actor-hellena-taylor-claims-platinum-offered-insulting

    Hellena Taylor, the English voice actor for PlatinumGames’ Bayonetta and Bayonetta 2, has called for players to boycott the upcoming Bayonetta 3. Over the weekend, Taylor released a series of videos alleging that she was offered low pay to voice the character that she’s been playing since 2009. 

    While video game franchises have recast characters in the past, Taylor actively calling on fans of the franchise to boycott the release of Bayonetta 3 is unusual. 

    In her videos, Taylor claims that she was offered $4,000 to return and play Bayonetta for the third game, whose trailers hint at multiple versions of the same character appearing in it. That amount of pay, while she acknowledged as being legal, was also "immoral." 

    “The Bayonetta franchise made approximately $450 million. That’s not including merchandise,” said Taylor. "This is an insult to me [and] the amount of time that I took to work on my talent and everything I’ve given to this game and to the fans.”

    In Bayonetta 3, the titular character will be voiced by Jennifer Hale, whose career includes Mass Effect and Ratchet & Clank: Rift Apart. Platinum explained to Game Informer earlier in the month that Hale’s casting was due to “various overlapping circumstances.”

    […]

    As reported by Bloomberg’s Jason Schreier, PlatinumGames was reportedly fully prepared to bring Taylor back as Bayonetta. The initial plan, according to sources, was that Taylor would be paid $3,0000-4,000 for at least five four-hour recording sessions and a total of nearly $15,000.

    Taylor allegedly asked for a six-figure sum in response, along with residual pay for after the game’s release. When Platinum declined that offer, negotiations ensued, and the search for a new voice actor began after said negotiations broke down. The developers later offered Taylor a cameo in the game for a fee of one session, which she similarly declined.

    #jeu_vidéo #jeux_vidéo #ressources_humaines #rémunération #platonumgames #jeu_vidéo_bayonetta #jeu_vidéo_bayonetta_2 #jeu_vidéo_bayonetta_3 #hellena_taylor #jennifer_hale #jeu_vidéo_mass_effect #jeu_vidéo_ratchet_and_clank_rift_apart #hideki_kamiya #nintendo #jeu_vidéo_super_smash_bros #jeu_vidéo_super_smash_bros_ultimate #sag-aftra #boycott

  • Bayonetta 3 Voice Actor’s Pay Dispute Overshadows Nintendo Game - Bloomberg
    https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-10-18/bayonetta-3-voice-actor-s-pay-dispute-overshadows-nintendo-game

    A pay dispute between the creator of a critically acclaimed video game series and its star voice actor reignited a long-simmering debate over wages in the industry. As is often the case in these sorts of disagreements, the details surrounding negotiations and casting for the upcoming game, Bayonetta 3, are more complicated than what has been portrayed publicly.

    #jeu_vidéo #jeux_vidéo #jeu_vidéo_bayonetta_3 #doublage #hellena_taylor #boycott #rémunération #ressources_humaines #screen_actors_guild-american_federation_of_television_and_radio_artists #sag-aftra #platinum_games #nintendo #hideki_kamiya #bryan_dechart #jeu_vidéo_cyberpunk_2077 #jeu_vidéo_red_dead_redemption_ii #sean_chiplock #jeu_vidéo_legend_of_zelda_breath_of_the_wild #conosole_nintendo_switch #jeu_vidéo_bayonetta_2 #jennifer_hale

  • Microsoft leans on Game Pass, Call of Duty promises to calm regulators - The Washington Post
    https://www.washingtonpost.com/video-games/2022/09/01/microsoft-activision-game-pass-call-of-duty-playstation

    Microsoft’s unprecedented $68.7 billion purchase of embattled video game giant Activision Blizzard has antitrust regulators sniffing the scene with eyebrows raised, prompting a response this week from the tech giant. Activision Blizzard’s Call of Duty series, it said, will continue to launch on Sony’s PlayStation consoles as well as on Xbox, while Microsoft’s Game Pass subscription service will bring franchises like Overwatch and Diablo to other devices, including phones, via streaming.

    That latter point — repeatedly emphasized by Microsoft — glosses over an inconvenient fact: Game Pass is itself a platform, one that allows users to access a rotating selection of hundreds of games to download and play for a low monthly price. In spreading it far and wide, Microsoft is not performing some act of selfless magnanimity. Instead, it’s setting itself up to come out on top in the next video game console war, one in which apps and services win the day, not specific devices. (A U.K. regulator argued as much in a decision published Thursday, which amounted to the first real public challenge to Microsoft’s planned acquisition).

    #jeu_vidéo #jeux_vidéo #business #microsoft #activision_blizzard #jeu_vidéo_overwatch #jeu_vidéo_diablo #microsoft_game_pass #xbox #console_xbox #console_playstation #sony #netflix #phil_spencer #jeu_vidéo_call_of_duty #playstation_plus #competition_and_markets_authority #cma #états-unis #royaume-uni #plateforme #concurrence

  • #Rural_commons_assembly

    The Rural Commons Assembly is an iterative platform, laboratory and think tank for trans-local networking and learning. Over several days, it brings together initiatives and practitioners who confront social, political, economic and ecological complexities through developing cooperative and imaginative alternatives on a local scale. The assembly offers safe spaces and public forums to its participants in order to facilitate encounters, mobilise situated knowledge, share and explore diverse practices, learn from different experiences and foster possible new alliances.

    In its first edition “Art, Culture and Trans-Alpine Cooperation”, which took place from September 2nd to 5th 2021 in West-Austria, twelve initiatives from thre countries and five regions assembled for the first time. This included the European Region (EUREGIO) of Austria and Italy (Tyrol, South Tyrol, Trentino) as well as the border areas of Switzerland (Engadin) and Slovenia (Friuli Venezia Giulia). That way, various venues in the towns of Innsbruck and Wattens became places for mutual learning through workshops, presentations, discussions, guided tours and convivial activities.

    The idea for the Rural Commons Assembly was born during a series of field trips undertaken by artist Johannes Reisigl around the Alps from 2019 onwards. In those years, he had been meeting various participating initiatives, weaving a patchwork of relations across regions and starting to sense overlapping themes, practices and interests; as much as problems, challenges and open questions. Understanding that there had been little resources and no spaces to federate these, he started to dedicate his own resources to shape such a space.

    https://ruralcommonsassembly.com

    #réseau #plateforme #Alpes #montagne #local #alternatives #situated_knowledge #Johannes_Reisigl

    #cartographie #cartographie_participative


    https://ruralcommonsassembly.com/map

    ping @reka @nepthys