A propos de l’économie politique en DDR et sous le capitalisme à l’exemple de la restauration. Une interview avec l’ancienne directrice des plus grands café-restaurants de Berlin-Est.
Mode d’emploi : voler une bière.
10.8.2024 von Wiebke Hollersen - DDR, Treuhand, Kapitalismus: Die einstige Pressecafé-Chefin Herma Kasimir hat alles miterlebt. Jahrelang konnte sie den Alex nicht mehr betreten. Heute kehrt sie dorthin zurück, wo alles begann.
Herma Kasimir schaut sich in dem Raum um, nach vielen Jahren ist sie zum ersten Mal wieder hier, und alles hat sich wieder verändert. Im historischen Pressecafé am Alexanderplatz, gleich neben dem Haus des Berliner Verlages, hat nach der Sanierung vor einigen Wochen das Steakhouse The Beast eröffnet. Dort sind wir an einem Nachmittag verabredet, zwei Stunden, bevor das Restaurant um 17 Uhr öffnet. Herma Kasimir hat es geleitet, als es noch Pressecafé hieß. Die neue Einrichtung gefällt ihr, das Holz, die Polstermöbel in Orange, sie will demnächst zum Essen herkommen. Sie setzt sich an einen Platz ans Fenster – die Aussicht ist noch so toll wie früher, sagt sie.
Frau Kasimir, wann sind Sie in das Pressecafé gekommen?
Das war Ende 1985. Ich habe in der Mokka-Milch-Eis-Bar neben dem Kino International gearbeitet und wurde dann als Restaurantleiter ins Pressecafé versetzt. Ein paar Monate später wurde ich stellvertretender Direktor und bald darauf Direktor.
Was war das Pressecafé für ein Ort?
Ein Speiserestaurant, das mittags öffnete, man konnte auch abends essen. Die Renner waren Steak au four, Ragout fin, Steaks mit Pommes, gebratene Hähnchenbrust, Soljanka. Saisonales wie Spargel gab es auch. Nachmittags Kaffee und Kuchen. Es lagen viele Zeitungen aus, auch Magazine wie NBI (Neue Berliner Illustrierte, Anm. d. Red.) oder Eulenspiegel, es wurde viel gelesen. Unten im Erdgeschoss war noch eine Selbstbedienungsgaststätte. Oben wie unten war jeden Tag geöffnet. Am Alexanderplatz gab es keine Schließtage, aber es war ja auch genügend Personal da.
DDR-Bauten am Alexanderplatz: Warum testeten NVA-Soldaten die Statik des Pressecafés? Karla Dahms war dabei
Pressecafé in der DDR: Man musste reservieren oder abends Schlange stehen
Und es war immer voll?
Ja, man musste reservieren oder abends Schlange stehen. So war es aber eigentlich überall in Ost-Berlin. Die Preise in der Gastronomie waren relativ niedrig, jeder sollte sich einen Gaststättenbesuch leisten können. Ein Bier hat bei uns 63 Pfennig gekostet – und das war schon viel. Ins Pressecafé kamen auch viele Gäste aus dem Westen.
Was hat den Reiz ausgemacht?
Die Lage natürlich. Der Service war schnell, wir waren sehr freundlich. Es herrschte immer eine gute Stimmung. Das Trinkgeld war auch gut.
Was heißt das, gutes Trinkgeld?
Als ich noch Kellner war, hatte ich ein Bruttogehalt von 405 Mark. Das brauchte ich gar nicht! Man hatte am Tag 100 oder 150 Mark Trinkgeld. Hier in Mitte wurde auch mit Westgeld bezahlt.
Wieso das?
Die 25 D-Mark, die Besucher aus dem Westen für einen Tag in der DDR umtauschen mussten, waren bei vielen schnell alle. Sie konnten bei uns 1:1 in D-Mark bezahlen. Ein Bier für 63 Pfennig war immer noch unglaublich billig. Es gab dann auch Trinkgeld in D-Mark.
Im Pressecafé hat vor kurzem das Steakhouse The Beast aufgemacht.Benjamin Pritzkuleit/Berliner ZeitungDas war erlaubt?
Sogar erwünscht – aber man musste dieses Geld abrechnen. Auch das Trinkgeld. Jeder Kellner bekam abends ein Formular, auf das sollte man schreiben, wie viele Devisen man eingenommen hat. Viele haben heimlich Westgeld behalten und Ostgeld in die Kasse gelegt. Hat man sich dabei erwischen lassen, gab es ein Disziplinarverfahren. Die Portemonnaies wurden kontrolliert. Ich musste das auch machen.
Haben Sie selbst mal heimlich Westgeld mitgenommen?
Ich habe damals an diesen Staat geglaubt. Ich habe es immer abgerechnet.
Herma Kasimir in ihrem Büro im Berliner Kaffeehaus am Alexanderplatz. Von hier aus übersah sie auch das Pressecafé. privatWie lange waren Sie im Pressecafé?
1987 wurde ich in das Berliner Kaffeehaus drüben am Alexanderplatz geholt, der Direktor brauchte einen Stellvertreter. Er ging dann aber bald ans Spreeufer, er sollte die Eröffnung eines neuen Restaurants begleiten, das am Friedrichstadtpalast gebaut wurde, dort, wo heute das Grill Royal ist. Dann bin ich im Berliner Kaffeehaus Direktor geworden. Kurz darauf wurden die Cafés rund um den Alex zusammengelegt, und ich wurde „Großgaststättenkomplexdirektor“. So nannte sich das. Ich war jetzt zuständig für das Pressecafé, das Berliner Kaffeehaus im Alexanderhaus, das Café Polar und das Eiskristall, das war eine Eisdiele gegenüber vom Pressecafé, und die Teestube Samowar im Bahnhof Alexanderplatz.
Wie haben Sie das organisiert?
Ich hatte in jeder Einrichtung einen Gaststättenleiter, bei Veranstaltungen war ich selbst vor Ort. Mein Büro war im Berliner Kaffeehaus.
Vor dem Pressecafé, 4. November 1989. An diesem Tag zogen eine Million Menschen zur größten Demonstration in der Geschichte der DDR an den Alexanderplatz.R olf Zöllner/imagoUnd was lief am besten?
Das Kaffeehaus, weil es so vielfältig war. Es nahm das gesamte Erdgeschoss des Alexanderhauses ein. Es bestand aus dem eigentlichen Kaffeehaus, mit riesiger Kuchentheke und hausgemachtem Eis, und hatte allein mehr als 100 Plätze. Dann gab es die Suppenterrine, da saß man an Bars, im Angebot waren fünf, sechs Eintöpfe mit Wursteinlagen, dazu gehörte eine Bierbar. Auf der anderen Seite war eine kleine Mokkabar, mit italienischem Espresso und guten Spirituosen, da arbeitete einer der besten Barmixer von Berlin, der hat auch tolle Cocktails gemacht. Dann kam der Außer-Haus-Verkauf, da wurden Eis und Grilletta (eine DDR-Variante des Hamburgers, Anm. d. Red.) aus einer Luke verkauft. Dahinter kam die Pizzeria. Und dann die Palatschinken-Bar, auch ein Highlight, da wurden frische Crêpes gemacht, mit süßer und herzhafter Füllung.
Ein riesengroßer Betrieb.
Ich hatte dreitausend Quadratmeter, davon tausend Quadratmeter Gasträume, drei Küchen, Lager, Büros, Pausenräume. Und 80 Mitarbeiter. Wir realisierten allein im Berliner Kaffeehaus über eine Million DDR-Mark Umsatz im Monat.
Dauerbaustelle der Gegenwart: Dort, wo die Kräne in die Höhe ragen, sollen irgendwann Hochhäuser der Convivio stehen.Jürgen Held/imago
In alter Schönheit: Der Brunnen der Völkerfreundschaft, gebaut 1969–1970 vom Kollektiv Walter Womacka, im Jahr 2010. Schöning/imago
Unter Denkmalschutz: Die 1969 errichtete Weltzeituhr zeigt die Zeit an 146 Orten auf der Erde an.Schöning/imago
Der Alex erhielt 1805 seinen Namen. Und wurde immer wieder neu geplant, hier Bauarbeiten im Jahr 2005.Pemax/imago
Kriminalitätsschwerpunkt: Im Jahr 2000 reichten noch einzelne Beamte. Seit 2017 gibt es die „Alexwache“.Steinach/imago
Sozialistische Moderne: Das Haus der Lehrers wurde 1961–1964 vom Kollektiv Hermann Henselmann gebaut.Rüttimann/imago
Neue Zeit: Zwei Obdachlose auf einer Bank vor dem Centrum Warenhaus im Sommer 1990.Stana/imago
Aufbruch am Alex: Am 4. November 1989 fand auf dem Platz die größte Demonstration des Wendeherbstes statt.
Stern aus Asphalt: Ein Paar auf dem Alex, Sommer 1973. NBL Bildarchiv/imago
Neu sortiert und aufgeräumt: Der Platz nach seinem Umbau im Jahr 1972. serienlicht/imago
Ein Platz, auf dem man Eis essen ging: Dies undatierte Foto zeigt den Alex als Platz zum Ausgehen. frontalvision.com/imago
Nach der Neugestaltung (hier ein Foto von 1970) war für Ost-Berliner klar: Treffpunkt? Weltzeituhr!Marco Bertram/imago
Platz für den „sozialistischen Platz“: Vor der Umgestaltung wurden 1963 alte Gebäude abgerissen. Stana/imagoKasimir hat sich in die Gastronomie verliebt und ihr Studium in der Sowjetunion abgesagt
Wie alt waren Sie, als Sie das alles übernommen haben?
Ich war 28 und hatte zwei kleine Töchter. Nebenbei habe ich ein Fernstudium absolviert. Volkswirtschaft mit Spezialisierung Gaststättenwesen. Das musste ich machen, ich hätte sonst nicht in die Gastronomie gedurft. Für mich war ein anderer Berufsweg vorgesehen gewesen.
Was sollte eigentlich aus Ihnen werden?
Ich hatte bei Narva gelernt, Berufsausbildung mit Abitur zum Elektronikfacharbeiter, und bin in diesen drei Jahren in die Gastronomie gerutscht. Ich habe nebenbei im Alextreff gekellnert, einer Diskothek, auf Pauschale. Ich war 17 und habe mich in diesen Beruf verliebt. Die lockere Atmosphäre, das Gastgebersein. Meinen Studienplatz für Völkerrecht in der Sowjetunion habe ich abgesagt.
Meine Mutter war total entsetzt. Als ich mein Abitur in der Tasche hatte, wollte mich aber niemand als Kellnerin einstellen. Das Abitur habe den Staat Geld gekostet, das wäre Vergeudung von gesellschaftlichem Vermögen. Im Ratskeller Pankow gab es einen netten jungen Direktor, der hat gesagt, er stellt mich ein, wenn ich mich verpflichte, mich zum Studium delegieren zu lassen.
War es nie ein Karrierehindernis, zwei Kleinkinder zu haben?
Nein, und dafür bin ich auch sehr dankbar. Ich wurde gefördert als Frau. Mein damaliger Mann ist bei der Handelsflotte der DDR zur See gefahren und war so gut wie nie da. Meine Mutter und meine Schwiegermutter haben mit den Kindern geholfen, auch Freunde. Die Kitas hatten von früh um sechs bis abends um sechs geöffnet. Das ging alles irgendwie.
Was waren die größten Herausforderungen im Arbeitsalltag?
Es war nicht einfach, alle Produkte zu kriegen. Wir haben viel untereinander getauscht. Der Direktor von der Gaststätte im Fernsehturm, der vom Operncafé, der vom Lindencorso, wir haben einander angerufen: Hast du Dosentomaten? Hast du Ananas? Im Berliner Kaffeehaus war ich die Einzige in Ost-Berlin, die eine große Eisproduktion hatte. Mit italienischen Eismaschinen, für die waren Devisen ausgegeben worden! Ich sollte zwölf bis 15 Eissorten produzieren. Dafür brauchte ich Nougat, Haselnüsse, die Rohstoffe. Da habe ich Kontakt zur Bäcker-Innung aufgenommen und mit denen getauscht.
Das Pressecafé im Mai 1974, kurz nach seiner Eröffnung, im Hintergrund das Centrum Warenhaus am Alexanderplatz.
Das Pressecafé im Mai 1974, kurz nach seiner Eröffnung, im Hintergrund das Centrum Warenhaus am Alexanderplatz.Zuma/imago
Wie muss man sich das vorstellen?
Budweiser gegen Haselnüsse! In der „Suppenterrine“ fehlten Porzellanschüsseln, obwohl ich Bedarf angemeldet hatte, langfristig. Meine Bestellung war aber nach Vietnam verkauft worden. Der Direktor vom Fernsehturm hatte ein großes Lager im Keller, da haben wir alles durchsucht und Schüsseln gefunden. Ein anderes Problem war der Betrug.
In den Gaststätten kam viel weg?
Das lief so: Wenn man einen Cognac bestellt hat, 4 cl, dann wurden nur 3,6 cl eingegossen. Der Überschuss wurde schwarz verkauft. Es ging ja alles über Bargeld, es gab keine Kartenabrechnung. Das haben die Kellner direkt eingesteckt. Beim Bier lief das in ganz großem Maßstab.
Wie klaut man denn Bier?
Wir haben so viel Bier verkauft, dass wir keine Fässer hatten, sondern riesige Edelstahltanks. Da wurden 2000 Liter eingefüllt. Alle drei Tage. Hinterher habe ich erfahren, dass die den Schlauch abgemacht haben und noch mal 20 Liter Wasser hinterhergeschickt haben. Das hat man nicht geschmeckt. Aber 20 Liter Bier waren eine Menge Geld. In der Mokka-Milch-Eis-Bar wurden Eisbecher schwarz verkauft. Aber da sind viele aufgeflogen und ins Gefängnis gegangen.
Hatten alle Direktoren diese Probleme?
Ja. Wir hatten alle 14 Tage Direktorenversammlung und mussten Umsatzzahlen vorlegen. Da habe ich manchmal Kritik bekommen, weil ich etwas nicht erreicht hatte. Ich hätte mehr Suppe verkaufen sollen. Aber wie sollte das gehen, ich hatte nur noch 50 Schüsseln, und die waren ständig im Abwasch. Das wollte keiner hören.
Pressecafé in der DDR: Sie wollten Frauen, deswegen wurde ich so gepusht
Hat der Staat alles überwacht, was in den Gaststätten passierte?
Bei den Versammlungen saß immer der Parteisekretär von HO Gaststätten Mitte dabei. Ein großes Thema für ihn war das Erscheinungsbild: Die Terrassen sollten ordentlich aussehen, die Sonnenschirme aufgespannt sein. Egal, ob es regnet oder nicht. Wenn die Schirme nicht aufgespannt sind, sieht es geschlossen aus, fand er. Das verstehe ich heute manchmal nicht bei Restaurants, warum das Erscheinungsbild vernachlässigt wird. Uns wurde eingeimpft, wie wichtig das ist. Ich habe mal gesagt, warum soll ich die Terrasse öffnen, wenn es regnet? Der Parteisekretär hat gesagt: Der Gast entscheidet, ob er sich dort hinsetzt, nicht wir.
Das Berliner Kaffeehaus Ende der 1980er Jahre. In der Eisdiele gab es sogar eine echte italienische Eismaschine - nur die Zutaten fehlten oft.
Das Berliner Kaffeehaus Ende der 1980er Jahre. In der Eisdiele gab es sogar eine echte italienische Eismaschine - nur die Zutaten fehlten oft.privat
War das eine politische Forderung?
Es ging ihm darum, dass wir uns in Berlin-Mitte als sozialistischer Staat ordentlich präsentieren. Geschlossene Terrassen haben dem Sozialismus geschadet.
Musste man in der Partei sein, um in der Gastronomie aufzusteigen?
Nein, die Gastronomie war ein Sammelbecken. Leute, die einen Ausreiseantrag gestellt haben, durften in anderen Betrieben oft nicht mehr arbeiten und wurden zu uns geschickt. Es gab keine Staatsgeheimnisse bei uns, die man verraten konnte.
Waren Sie eine Ausnahme, als junge Chefin?
Die anderen Direktoren waren älter, und meistens Männer. Deswegen wurde ich so gepusht. Sie wollten Frauen. Und sie wollten Leute in Führungspositionen. Die wollte aber keiner haben, denn da hatte man kein Trinkgeld mehr. Jeder Kellner hat mich ausgelacht, mit meinem Festgehalt.
Vertragsübernahme nach dem Mauerfall: „Mit so einer Ossifrau verhandeln wir nicht“
Dann fiel die Mauer. Was bedeutete das für die Gaststätten am Alexanderplatz?
Dramatisch wurde es mit der Währungsunion im Sommer 1990. Die Umsätze halbierten sich sofort. Wir hätten Leute entlassen müssen. Aber es hat sich von allein geregelt, weil viele Mitarbeiter in den Westen oder sogar ins Ausland gegangen sind. Es war komisch, dass wir freie Plätze hatten, dass es in den Gaststätten leer war, das kannten wir ja gar nicht. Wir Direktoren haben uns große Sorgen gemacht. Dann kam die Idee, wir kaufen unsere Gaststätten selbst. Bevor die an irgendwelche Wessis verhökert werden. Wir haben Kontakt mit der Treuhand aufgenommen. Aber meine Kollegen haben es anders gemacht als ich.
Herma Kasimir im Pressecafé. Nach dem Mauerfall übernahm die damals 29-Jährige drei Gaststätten der HO selbst. Paulus Ponizak/Berliner ZeitungWas haben sie anders gemacht?
Sie haben sich alle einen Partner aus dem Westen gesucht. Ich hatte keinen. Aber ich habe trotzdem das Kaffeehaus, das Café Polar und die Teestube Samowar übernommen.
Wie haben Sie diese drei Gaststätten übernommen?
Das Kaffeehaus Berlin war im Gebäude der Sparkasse. Ich bin zum technischen Direktor gegangen und habe gesagt: Wenn HO Gaststätten sich auflöst, will ich den Mietvertrag übernehmen. Dann bin ich zur Treuhand und habe denen das alte Mobiliar abgekauft. Die wollten 11.000 D-Mark. Die hatte ich natürlich nicht, da haben mir meine Eltern geholfen. Die Teestube Samowar habe ich von der Mitropa gepachtet, ausgeräumt und den Laden in eine Bierbar umbauen lassen, das Alkopole. Die Brauerei Radeberger gab mir ein Darlehen über 250.000 D-Mark. Ich konnte nicht mehr schlafen, das war unwahrscheinlich viel Geld.
Warum haben sie Ihnen das Geld gegeben?
Sie wollten ihre Marke auf dem Alex haben und fanden die Lage toll. Ich habe geglaubt, was die Wessis können, können wir auch. Den Laden wollten einige übernehmen!
Hat es sich gelohnt?
Das Alkopole war der Renner. Es gab nur Bier und Imbiss. Bockwurst, Buletten, Soleier. Es war immer voll, am Wochenende war bis morgens geöffnet. Im Sommer noch eine Terrasse davor. Ich hatte noch nie so viel Geld verdient. Aber das Kaffeehaus machte Probleme.
Das alte Konzept funktionierte nicht mehr?
Ich wollte es umbauen und hätte viel Kapital gebraucht. Dafür wollte ich mir Mövenpick als Partner holen, die wollten investieren. Sie haben mich sogar zu einer Manager-Schulung in die Schweiz geschickt. Da haben wir Persönlichkeitsübungen gemacht. Mit verbundenen Augen im Wald. Ich fand es total beeindruckend. Aber dann kam die Wiedervereinigung, und die Sparkasse Ost hat sich mit der Sparkasse West vereinigt. Und die hatten andere Pläne mit dem Haus, die Sparkasse sollte ins Erdgeschoss. Sie haben mich eingeladen und gesagt, ich müsste raus. Ich habe gesagt, ich habe einen Mietvertrag. Dann kam eine Kündigung, in der es hieß, mein Mietvertrag wäre von einer nicht-befugten Person unterschrieben worden. Ich habe widersprochen, dann kam die Räumungsklage.
Haben Sie sich gewehrt?
Ich war bei einem sehr teuren Anwalt am Kudamm. Es hat sich lange hingezogen und mich wirtschaftlich sehr gebeutelt. Am Ende hat meine Buchhalterin einen Fehler bei der Überweisung der Miete gemacht. Ein Zahlendreher, das führte zu einem neuen rechtlichen Problem. Anfang 1992 war ich mit meinem dritten Kind schwanger. Mir wurde klar, ich kann gegen die Landesbank Berlin nicht gewinnen. Also habe ich mich belesen und eine Insolvenz hingelegt. Dann war ich da raus. Mit blutendem Herzen. Ich war so enttäuscht, dass man das so mit mir gemacht hat.
Was meinen Sie damit?
Diese Männer von der Sparkasse, die aus dem Westen kamen, haben mich manchmal nicht mal angeguckt. Nach dem Motto: Mit so einer Ossifrau verhandeln wir nicht. Man hat mir keine Chance gelassen. Ich konnte danach jahrelang den Alexanderplatz nicht mehr betreten.
Wie haben Sie die anderen Läden weitergeführt?
Im Café Polar hatte ich Angestellte. Im Alkopole hat mein Mann gearbeitet, wir hatten uns im Kaffeehaus kennengelernt, da war ich seine Chefin. Diese Bierbar war eine Herausforderung, gerade abends. Fast nur Männer, raues Publikum, Betrunkene. Die Kriminalität nahm damals stark zu, die Verwahrlosung. Mein Mann hatte öfter mal eine Messerspitze oder eine Pistole im Rücken, von den Hütchenspielern, die wärmten sich bei uns auf. Fünf, acht, zehn Männer, die nichts verzehrt haben, aber andere Kunden beklaut. Uns ging der Umsatz flöten. Wir haben denen Hausverbot gegeben und eine private Sicherheitsfirma beauftragt. Nach zwei Tagen haben sie die zusammengeschlagen und die haben sich auch nicht mehr getraut, nachts vor dem Laden zu stehen. Die Polizei nahm die Leute fest und am nächsten Tag waren sie wieder da. Wir wollten weg aus Berlin.
„Wir haben Marx und Engels im Original gelesen. Ich wusste, wie der Kapitalismus funktioniert“
Wo sind Sie hingezogen?
Wir hörten von einem Landgasthof in Kloster Chorin. Da suchte jemand einen Betreiber. Ich dachte: Dann können die Kinder im Grünen aufwachsen. Ich habe das Eiskristall verkauft, für 150.000 D-Mark, ich hatte ja alles umgebaut. Der Käufer hat 50.000 angezahlt. Den Rest habe ich nie gesehen. Das Alkopole hat meine Stellvertreterin aus dem Berliner Kaffeehaus gekauft. Das war mein Startkapital für mein erstes Hotel in Teltow.
Das erste Hotel?
Mein Mann und ich haben in den folgenden Jahren zwei Hotels gemeinsam eröffnet und ein bestehendes übernommen. Den Vierseithof in Luckenwalde. Ein wunderschönes Haus mit einer Spitzengastronomie. Im Sommer hatten wir ganz viele Hochzeiten, es war ein Traum. Aber es konnte sich mit dem gehobenen Konzept in dieser Gegend nicht halten. Vielleicht waren wir zu früh dran.
Dann kam ein weiteres Angebot zur Neueröffnung eines Hotels von der Handwerkskammer Berlin in Köpenick. Das wollte ich eigentlich schon nicht mehr, obwohl es eine tolle Lage hatte. Aber alle drei Häuser lagen weit voneinander entfernt. Ich habe gesagt, entweder unser Geschäft überlebt das nicht, oder unsere Ehe. So war es dann auch. Unsere Ehe ist daran zerbrochen.
War das Ihr Abschied von der Rolle der Gastgeberin?
Vor ein paar Jahren habe ich noch mal ein Café in Weißensee mit eingerichtet und eröffnet. Das führt mein Geschäftspartner inzwischen allein. Ich bin nur noch privat Gastgeberin – das aber leidenschaftlich gern.
Wie erklären Sie sich, dass Sie so gut über die Wendezeit gekommen sind? Das haben andere Ostdeutsche nicht geschafft.
Ich bin von Natur aus ziemlich angstfrei. Hinzu kommt: Wir mussten in den HO Gaststätten viel organisieren, uns immer was einfallen lassen. Das hat sehr geholfen. Und mein Studium der Volkswirtschaft. Wir hatten Ökonomie des Sozialismus und Ökonomie des Kapitalismus. Wir haben Marx und Engels im Original gelesen. Ich wusste, wie der Kapitalismus funktioniert.
Zur Person
Herma Kasimir, geboren 1960 in Ost-Berlin, lernte Elektronikfacharbeiter mit Abitur, dann Kellner und studierte Volkswirtschaft mit der Spezialisierung Hotel- und Gaststättenwesen. Als Gastronomin führte sie die HO-Gaststätten am Alexanderplatz und machte sich 1990 selbstständig. Sie entwickelte Hotelkonzepte und eröffnete mehrere Gaststätten und Hotels, darunter den Vierseithof in Luckenwalde, das Hoteltow in Teltow und das Dämeritz-Seehotel in Berlin-Köpenick.