Sabine Bode : „Meine Mutter war eine Massenmörderin und mein Vater ein Verbrecher“
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La journaliste Sabine Bode a passé la plus grande partie de sa vie á décortiquer les traumatismes des familles nazies. A 78 ans elle arrête ce travail.
6.7.2025 von Anja Reich - Die Bestsellerautorin sagt im Interview, warum sie nicht länger zu Kriegskindern und Kriegsangst forschen will. Und warum ihre Eltern ihr einen Namen mit den Initialen SS gaben.
Sabine Bode ist Bestsellerautorin, Journalistin, Tabu-Brecherin. Eine Frau, die mit ihrer Neugier und Unerschrockenheit erst die Geschichte ihrer eigenen Familie ausgrub und dann andere dazu brachte, sich den Folgen von Krieg, Nationalsozialismus oder Vertreibung zu stellen.
Ihre Bücher über Kriegskinder, Nachkriegskinder und Kriegsenkel haben das Leben vieler Menschen verändert. Auf Lesungen oder in Mails erzählen ihr Unbekannte ihre Familiengeschichten und wie sie unter dem Schweigen ihrer Eltern gelitten hätten. Dennoch mache sie jetzt Schluss, sagt Sabine Bode im Interview im Berliner Verlag, Schluss mit den Veranstaltungen, Schluss mit den Büchern. Das hat mit ihrem Alter zu tun, sie ist 78, aber paradoxerweise auch mit der Zeit, in der die Angst vor Krieg wieder allgegenwärtig ist.
Sabine Bode: „Ich bin in einem Haus voller Geheimnisse aufgewachsen“
Frau Bode, Sie haben mit Ihren Büchern das Schweigen von Menschen gebrochen, die in ihrer Kindheit Krieg, Flucht oder Vertreibung erlebt haben. Wie kamen Sie dazu?
Meine Eltern betraf dieses Schicksal nicht. Sie waren Nazis. Ich bin in einem Haus voller Geheimnisse aufgewachsen, was mich unglaublich inspiriert hat, Fragen zu stellen, Journalistin zu werden. Bis heute finde ich Geheimnisse enorm anziehend.
Sie wollen immer rauskriegen, was verschwiegen wird?
Ja, und als der Bosnienkrieg war, habe ich mich gefragt: Wie geht es eigentlich den deutschen Kriegskindern heute? Wie wirken sich die frühen Katastrophen im späteren Erwachsenenleben aus? Warum weiß ich darüber nichts? Warum finde ich nichts im riesigen WDR-Archiv? Darüber sprach ich mit einem Redakteur, und zu meiner eigenen Überraschung gab er mir den Auftrag für ein einstündiges Hörfunk-Feature.
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Sabine Bode: Die Kriegskinder konnten durch unermüdliches Arbeiten ihre schlimmsten Erinnerungen auf Abstand halten.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Und dann?
Habe ich keine Gelegenheit ausgelassen, Menschen in der Altersgruppe der Kriegskinder anzusprechen und zu fragen, auf Zugfahrten zum Beispiel. Das waren ja noch Zeiten ohne Handy. Viele freuten sich, wenn sie nett angesprochen wurden, aber von hundert konnten nur drei meine Fragen beantworten. Nach einem Jahr gab ich den Auftrag zurück. Der Redakteur überredete mich weiterzumachen. Mit dem Ergebnis, dass von 300 Kriegskindern neun bereit waren, für die Radiosendung das Schweigen zu brechen. Als ich drei Wochen nach der Ausstrahlung wieder in die Redaktion kam, stand dort eine Plastikwanne mit 600 Zuschriften.
Was waren so die typischen Reaktionen der Leute aus dem Zug?
Sie haben gesagt: „Unsere Eltern, ja, die haben Schreckliches erlebt, aber wir doch nicht. Wir waren Kinder im Krieg. Das war für uns normal.“ Sie konnten das Leid nicht empfinden, das sie geprägt hatte. Sie nannten sich nicht Kriegskinder, sondern Nachkriegskinder. Jetzt sterben mit ihnen die letzten Zeitzeugen. Doch nicht sie alle sind von den Spätfolgen des Krieges belastet, sondern ein Drittel dieser Generation. Fünf Millionen Menschen, die nicht wussten, dass sie traumatisiert waren. Was sich darin gezeigt hat, dass sie von den grausamsten Erlebnissen völlig gefühlsfrei berichten konnten. Psychiater haben mir erklärt, dass dies eine Art von Betäubung war, eine Strategie des seelischen Überlebens. Wenn Kinder etwas erleben, das eigentlich einen Herzstillstand herbeiführen könnte, dann betäuben sie sich, und diese Art von Betäubung kann ein Leben lang anhalten.
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Kinder in Trümmern, ca. 1945Image Broker/imago
Wie äußert sich das?
Statt sich zu freuen, lächeln sie schüchtern, sie hören nicht richtig zu, interessieren sich für nichts Neues. Weihnachten gibt es das immer gleiche Ritual, ihre Liebe drücken sie mit gutem Essen und Geschenken aus, leider oft den falschen, denn sie kennen ihre Kinder nicht, weil sie sich nicht für deren Welt interessieren.
Die Kriegskinder – das ist die Generation, für die es nach dem Krieg bergauf ging, das Leben immer besser wurde. Im Osten wie im Westen. War dieses neue, bessere Leben auch eine Art von Betäubung?
Ja, sicher. Die Kriegskinder konnten durch unermüdliches Arbeiten ihre schlimmsten Erinnerungen auf Abstand halten. Ich habe mich vor allem mit dem Westen beschäftigt, und da lernte man: Die Demokratie lohnt sich. Deshalb kann man auch nicht so genau sagen, ob alle aus Überzeugung gute Demokraten geworden sind oder weil das Leben ihnen so viel Gutes bescherte.
Sabine Bode: „Über Ostdeutsche schreibe ich nicht“
Warum haben Sie sich nicht auch mit dem Osten beschäftigt? Sind die Traumata aus dem Krieg nicht die gleichen?
Für die Aufarbeitung einer tabuisierten Kindheit im Krieg braucht man einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit. Im Westen waren das die Merkel-Jahre, es war friedlich und ein bisschen langweilig, es bewegte sich nicht viel. Ich habe bei meinen Recherchen zu dem Thema immer wieder versucht, mit Ostdeutschen in Kontakt zu treten. Aber die waren oft noch mit der Bewältigung des neuen Alltags im neuen Deutschland beschäftigt und konnten sich nicht auch noch mit den Traumata des Krieges befassen. Gelegentlich werde ich in E-Mails aufgefordert: Schreiben Sie auch über uns, über die ostdeutschen Kinder von Kriegskindern. Aber das mache ich nicht, das müsste jemand mit mehr Abstand tun, vielleicht aus Frankreich oder England.
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Sabine Bode: Ich bin in einem Haus voller Geheimnisse aufgewachsen.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Oder aus dem Osten.
Ja, oder aus dem Osten. In den letzten Jahren kommen interessante Bücher zur DDR und zur Wendezeit auf den Markt, in denen es auch um diese Generation der Kriegskinder geht. Christoph Heins „Das Narrenschiff“ zum Beispiel. Ich lese alles, was ich bekommen kann. Von meinen etwa 400 Lesungen in 20 Jahren fanden keine zehn Prozent im Osten statt, und es waren eher die Kriegsenkel, also die Kinder der Kriegskinder, die sich für das Thema interessiert und plötzlich verstanden haben, warum ihre Eltern sonderbar ticken. Da hieß es: Worüber die Eltern sich alles aufregen, und gegen alles sind sie versichert, und extrem misstrauisch sind sie. In meinen Lesungen vor Kriegskindern ging beim Stichwort „Rente“ eine Erschütterung durch den Saal, das können Sie sich nicht vorstellen.
Weil die Menschen Verarmungsängste haben?
Ja, das ist ein Thema, das zu wenig beleuchtet wird. Sie fühlen sich zu kurz gekommen. Und immer sind die anderen schuld. Das sind so typische Ängste von Kriegskindern, die ihre Traumata nicht verarbeiten konnten. Im Osten wie im Westen.
Als Sie Ihr Buch „Die vergessene Generation“ schrieben, waren Sie selbst in Ihren Fünfzigern. Wie weit waren Sie damals mit der Aufarbeitung Ihrer eigenen Familiengeschichte?
Dass meine Eltern Nazis waren, fast bis zu ihrem Lebensende, wusste ich schon lange. Die haben das ja nicht verschwiegen, fanden nur alle anderen feige, die nicht dazu gestanden haben. Ich erinnere mich daran, wie mein Vater sagte, er habe einen Zug gesehen, wo Leute zusammengepfercht standen, und die hätten gerufen: Die bringen uns nach Theresienstadt. Ich hab ihn gefragt: Und du hast trotzdem weiter mit den Nazis paktiert? Er hat gesagt, was hätte ich denn machen sollen und sich dabei theatralisch ans Herz gefasst. Das Schlimmste aber war, dass ich, das jüngste Kind, absichtlich einen Namen mit einem S als Anfangsbuchstaben bekommen habe. Mein Nachname fing auch mit S an. SS waren meine Initialen.
Um Himmels Willen!
Meine Mutter hat das locker als unterhaltsame Familiengeschichte erzählt, als neue Nachbarn uns eingeladen hatten. Danach ging das in der Kleinstadt rum. Ich war das SS-Kind und musste die Schule wechseln, denn die war ein Gymnasium mit überwiegend Verfolgten des NS-Regimes im Lehrerkollegium. Mein Vater hat immerhin an seinem Lebensende benannt, was die Nazis verbrochen haben. Solche Gedanken konnte er meistens betäuben. Er war Alkoholiker, was sein Leben verkürzte. Während seiner letzten Monate aber äußerte er frei heraus, dass er kein guter Mensch gewesen sei.
Wie hat er das gesagt?
In einem Halbsatz: „Wenn mich jetzt der Teufel holt …“ Kurz vor seinem Tod sind wir zusammen spazieren gegangen, und er sagte völlig unvermittelt: „Das Schlimmste, was man sich an Grausamkeiten vorstellen kann, die Menschen anderen Menschen antun, das existiert in der Realität“. Und er fügte mit lauterer Stimme hinzu: „Und noch darüber hinaus!“ Er hat von Auschwitz gesprochen, das weiß ich heute.
Sabine Bode: „Meine Mutter hat im Euthanasieprogramm gearbeitet“
Was haben Ihre Eltern in der NS-Zeit gemacht?
Sie sind als junge Menschen der Karriere wegen in das überfallene Polen gegangen. Mein Vater war in Oberschlesien in der Leitung eines Rüstungsbetriebs, wo auch KZ-Häftlinge eingesetzt wurden. Meine Mutter hat im Euthanasieprogramm gearbeitet. Die Nazis haben in Polen die Behinderten umgebracht und aus den Heimen deutsche Lazarette gemacht.
Wurden sie nach dem Krieg vor Gericht gestellt?
Nein. Wer am Euthanasie-Programm beteiligt war, wurde äußerst selten bestraft, und wenn, dann waren es Ärzte, keine NS-Schwestern. Als ich und mein Bruder einmal schwer erkrankten, versuchte meine Mutter zu verhindern, dass wir überleben. Sie meinte, wir sollten nicht länger von Ärzten gequält werden, da wir ja sowieso sterben würden. Wir sollten den Gnadentod erhalten, wie es die Nazis ausdrückten. Und jedes Mal, wenn am Weihnachtsbaum die Lichter brannten, sagte meine Mutter zu mir den Halbsatz: „Weihnachten 1947, als du sterben wolltest …“
Auch mit diesen Nazi-Geheimnissen und deren Folgen haben Sie sich in Ihren Büchern beschäftigt.
Ja, in vielen Familien wird bis heute geschwiegen, da haben Nachkommen der zweiten und dritten Generation psychische Probleme und wissen nicht warum. Die Mutter einer Freundin wollte verhindern, dass herauskommt, dass der Vater ihres Mannes an den Sittengesetzen beteiligt war. Ein amerikanischer Wissenschaftler hatte das ausgegraben. Die drei Kinder hatten sich darüber zerstritten. Die alte, schwer kranke Mutter konnte jahrelang nicht sterben, weil sie Angst hatte, dass nach ihrem Tod die Familie zerbricht. Doch der Bruch zwischen den Geschwistern war längst geschehen.
Sind Ihre Eltern gestorben, bevor Sie Ihre Bücher geschrieben haben?
Mein Vater ja, in den Siebzigern. Als ich das zweite schrieb, ist meine Mutter gestorben.
Sie haben Ihre Bücher nicht mehr gelesen?
Nein, haben sie nicht.
Konnten Sie auch deswegen diese Bücher überhaupt schreiben?
Damit hat das nichts zu tun. Die Bücher hätte ich auf jeden Fall geschrieben. Auf Menschen, die dem Kind einen Namen mit den Initialen SS geben, braucht man keine Rücksicht zu nehmen. Mich hat meine eigene Familienforschung befreit. Den letzten Mosaikstein habe ich in einem Archiv gefunden, als ich 60 war. Es ging um meinen Großvater und meinen Vater. Der SA –Mann und der SS-Mann verstanden sich auf Anhieb gut. Mein Großvater besaß in einem kleinen Ort eine Ölmühle. In der Nachkriegszeit, als die Menschen hungerten, war er da der König. Mein Vater und mein Großvater haben riesige Summen damit verdient, das ÖL in Eisenbahnwaggons in den Westen zu schmuggeln.
Wo war dieser Ort?
In der Magdeburger Börde, da bin ich auch geboren. Aber was auch in den Akten stand, war, dass mein Großvater eine angeheiratete Familienangehörige an die Gestapo verraten hat. Es war seine jüdische Schwägerin, die er abgrundtief hasste. Sie wurde in Auschwitz umgebracht. Bei diesem Verrat hatte mein Vater kräftig mitgeholfen.
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Sabine Bode: Meine Mutter hat im Euthanasieprogramm gearbeitetPaulus Ponizak/Berliner Zeitung
Gibt es noch Verwandte der Frau, die verraten wurde?
Ja, eine Tochter lebt noch. Ich habe ihr sofort die Unterlagen geschickt, obwohl ich sie gar nicht kannte. Sie wusste davon nichts.
Wie hat sie reagiert?
Sie hat mir erzählt, dass ihr Vater nie über die Mutter gesprochen hat. Dass sie selber drei Jahre alt war, als sie starb. Aber es gebe, sagte die Tochter, den großen Trost einer Erinnerung, wie sie im Arm ihrer Mutter lag und sich geborgen fühlte. Sie war mir dankbar, wir haben ein sehr herzliches Verhältnis. Kurz vor Weihnachten wird sie einen runden Geburtstag feiern. Ich werde hinfahren.
Gehen Sie zu Ihren Eltern ans Grab?
Nein. Das Grab vom Vater existiert auch nicht mehr. Mit ihm bin ich im Reinen. Ihn kann ich lieben. Er war ein Verbrecher, aber immerhin hat er sich am Lebensende mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt und war alles andere als stolz auf seine Nazivergangenheit.
Und Ihre Mutter, hat sie jemals Ihre Taten bereut?
Meine Mutter war eine Massenmörderin, und sie hat nicht bereut. Wenn wir in einem Restaurant waren, und da saß ein behindertes Kind, was ein bisschen lauter war, machte sie so eine Miene und sagte: „Sowas ist doch heute nicht mehr nötig.“ In meiner Generation sind wir mit der Angst aufgewachsen: Hoffentlich ist der Vater kein Massenmörder gewesen. Und dann stellt sich heraus, dass es die Mutter war.
KZ-Gedenkstätten-Besuche als Pflicht: „Davon halte ich nichts“
Gerade gibt es in den Medien und im Buchhandel eine neue Welle von NS-Familiengeschichten. Enkel finden heraus, dass der Opa ein hochrangiger Nazi und an schlimmsten Verbrechen beteiligt war. Jetzt, mehr als 80 Jahre später! Wie erklären Sie sich das?
Das ist die dritte Welle. Die erste kam mit der Ausstrahlung der Holocaust-Serie Ende der 70er-Jahre. Die zweite mit den Büchern um die Jahrtausendwende. Ich bin ja nicht die Einzige, die über Kriegskinder- und -enkel geschrieben hat.
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Eine Parade des Wehrmachtsverbandes im Jahr 1936teutopress/imago
Was halten Sie von dem Vorschlag der neuen Bildungsministerin Karin Prien, KZ-Gedenkstättenbesuche in Schulen als Pflicht einzuführen?
Nichts. Man kann Lehrer nicht dazu zwingen. Und wenn man es tut, besteht die Gefahr, dass sie zu angespannt sind. Man kann so etwas nur machen, wenn man selbst das eigene Kinderzimmer mit all seinen Traumata aufgearbeitet hat. Ich hätte kein Problem, mit einer Schülergruppe nach Auschwitz zu fahren, ich würde sie auch ausbremsen können, wenn sie „Ausländer raus“ singen. Aber das kann man von Lehrern nicht verlangen.
„Das Kinderzimmer aufarbeiten“, wie kann man damit anfangen, wenn man es nicht schon getan hat?
Der erste Schritt ist, an Archive zu schreiben und parallel dazu historisches Wissen erwerben. Cicero hat vor 2000 Jahren geschrieben: „Nicht zu wissen, was vor der eigenen Geburt geschehen ist, heißt, immer ein Kind zu bleiben.“ Es gibt diese Abwehr, die sich als Naivität äußert: Wird schon alles nicht schlimm so gewesen sein. Ist ja schon so lange her. Anderes ist wichtiger.
Ist diese Abwehr, dieses Schweigen in den Familien, eigentlich etwas typisch Deutsches oder gibt es das auch in anderen Regionen der Welt, wo Kriege oder Massaker stattgefunden haben?
Natürlich gibt es das auch woanders. Wenn eine Katastrophenzeit zu Ende geht und eine neue Zeit beginnt, boomen die Familiengeheimnisse. Der spanische Bürgerkrieg ist quer durch die Familien gegangen und wir wissen wenig drüber. In den USA entwickeln sich zur Zeit Familien-Tabus. Gemeinsame Mahlzeiten gelingen nur noch, wenn darüber geschwiegen wird, wer pro und wer gegen Trump ist. Das ist etwas ganz Normales. Man schämt sich auch und erzählt es nicht weiter.
Ist die Angst vor einem neuen Krieg in Deutschland größer als in anderen Ländern?
Ja. Schon in den 80ern, als der Golfkrieg begann, wurde in Köln der Rosenmontagszug abgesagt, aus Angst, der Krieg könnte zu uns kommen. Das muss man sich mal vorstellen. Und aus den Fenstern wehten weiße Bettlaken, die mit der Zeit immer grauer wurden. So verstört waren die Leute.
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Sabine Bode: 20 Jahre bin ich mit den Kriegskindern und -enkeln durchs Land getourt. Das reicht.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Sabine Bode: „Gewalt durch Gegengewalt in Schach halten“
Und heute, da wieder überall von einem neuen Krieg in Europa und Aufrüstung geredet wird?
Viele haben Angst vor Aufrüstung, statt erleichtert zu sein, dass wir nicht ausgeliefert sind für den Fall, dass Russland mit einem Angriff auf ein Nato-Land einen großen Krieg anzettelt. Offenbar ist durch 80 Jahre Frieden – für die ich unglaublich dankbar bin – bei vielen das Wissen abhanden gekommen, dass Gewalt nur durch Gegengewalt in Schach zu halten ist. Ich habe 2006 ein Buch über die deutsche Angst als nationale Gefühlslage und über Verdrängung geschrieben und wollte eigentlich noch eins schreiben: Deutsche Angst 2.
Was ist daraus geworden?
Nicht mehr als ein Arbeitstitel und sehr viel Unausgegorenes. Das ist vorbei. Ich denke, das sind jetzt auch die letzten Veranstaltungen, die ich zu meinen Themen mache. Dann ist Schluss.
Dann ist Schluss?
Ja. Man braucht für diese Art von Aufarbeitung eine Zeit, die friedlich ist, in der nicht so viel Vertrautes aus den Fugen gerät. Eine Zeit, in der nicht jeden Abend die Fernsehnachrichten den Blutdruck in die Höhe jagen. Ich gehe davon aus, dass die Menschen nicht mehr die Kraft haben, sich am Feierabend mit einem weiteren schweren Thema zu befassen. 20 Jahre bin ich mit den Kriegskindern und -enkeln durchs Land getourt. Das reicht. In zwei Jahren bin ich 80 Jahre alt. Wenn ich mich zurückziehe, kommen vielleicht andere, die diese Themen aufgreifen.
Sabine Bode
wurde 1947 in Eilsleben in der Nähe von Magdeburg geboren. 1948 zogen ihre Eltern mit ihr ins Rheinland. Als Journalistin arbeitete sie beim Kölner Stadtanzeiger und beim WDR und NDR. In ihren Büchern über Kriegskinder und Kriegsenkel deckte sie auf, dass kindliche Kriegstraumata oft jahrzehntelang unentdeckt bleiben, sich erst im höheren Lebensalter zeigen und sich auf spätere Generationen übertragen können. Sabine Bode lebt in Köln.