• Berlinale: Bloß keinen Ärger mit den Rechtsextremen
    https://www.telepolis.de/features/Berlinale-Bloss-keinen-Aerger-mit-den-Rechtsextremen-9621036.html


    Pressekonferenz, Berlinale 2024, 22. Januar. Bild: Elena Ternovaja / CC BY-SA 3.0 Deed

    Die Leitung der Berlinale hat kein Verständnis für den gesellschaftlichen und politischen Kontext in dem sie agiert. Das zeigt ihr Umgang mit den Anliegen der Berliner Taxifahrer und nun an den Einladungen für hochrangige Politiker der AfD. Das TaxiFilmFest als Grassroot-Veranstaltung hat es da leichter. In den Zuschauerraum dürfen nur Freunde und Freunde von Freunden, immer acht auf einmal, und das gilt auch für Freundinnen. Die gehören mit Sicheheit nicht zum rechten Pack. Das TaxiFilmFest ist garantiert nazifrei.

    7.2.2024 von Rüdiger Suchsland - Provokation: Filmfestival hofiert AfD und beweist: Die Demokratie ist nicht wehrhaft. Es gäbe viele Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Kommentar.

    „Wie kann man in Deutschland eine Revolution niederschlagen? Indem man eine rote Ampel vor das Parlament stellt.“

    Es ist dieser alte, durchaus etwas abgehangene Witz, der auch hier wieder vollkommen zutrifft: Eine unzweideutige Haltung gegenüber den Antidemokraten und Faschisten von der AfD scheitert an formaljuristischen Einwänden, an Bürokratie und an falscher Nachsicht.

    Das neueste Beispiel dieser schlechten Charaktereigenschaften und der praktischen Schwächen unserer demokratischen Verhältnisse bietet gerade die Berlinale, die ohnehin von vielen internen Querelen gebeutelten „Internationalen Berliner Filmfestspiele“. Kommende Woche wird die 74. Ausgabe dieses größten und einstweilen noch wichtigsten deutschen Filmfestivals eröffnet.

    Zu der Eröffnungsgala sind mehrere AfD-Parlamentarier des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses eingeladen worden – der Bund und das Land Berlin sind Träger und mit einem Gesamtanteil von rund 40 Prozent am Etat öffentlicher Geldgeber des Festivals.
    Widerstand gegen formalistische Praxis

    Gegen diese Einladungen gibt es seit vergangener Woche massiven und wachsenden öffentlichen Widerstand. Dies kann eigentlich niemanden überraschen – nur die Berlinale hatte damit aber offenbar nicht gerechnet.

    Selber schuld, und zwar doppelt: Die Einladungen wären vermeidbar gewesen, und auf den jetzigen Shitstorm hätte man sich einstellen müssen. Sich zu wundern, ist mindestens sehr naiv.

    Das Ergebnis ist „ein PR-Desaster“, wie jetzt der Deutschlandfunk treffend kommentierte.

    Das Netz vergisst nie

    Auslöser des Streits war wieder mal ein offener Brief: Der kursierte seit vergangenem Freitag eine Weile im Netz, ist aber inzwischen verschwunden. Offenbar fehlten einigen unter den woken Unterzeichnern unter all den „Jews, women, members of the BIPOC, LGBTI+, disabled, Roma and Sinti, or Jehovah’s Witness communities“ die Palästinenser?

    Aber wer gut sucht, kann ihn noch finden, seine Spuren ohnehin. Denn das Netz vergisst nie und am vergangenen Samstag, als der Brief noch online war, berichteten längst alle relevanten internationalen Branchendienste darüber.

    Zuerst die Publikation Deadline, wo auch die Namen von rund 200 Unterzeichnern veröffentlicht wurden, dann auch Variety und der Hollywood Reporter.
    Würde die Berlinale auch Adolf Hitler einladen?

    In einer an The Hollywood Reporter gesendeten Erklärung behauptet die Berlinale in einem Versuch der Schadensbegrenzung, dass das Festival-Protokoll darin bestehe, „demokratisch gewählte“ Politiker einzuladen.

    Alle eingeladenen AfD-Abgeordneten wurden bei den letzten Wahlen entweder in den Bundestag oder das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. „Entsprechend sind sie auch in politischen Kulturgremien und anderen Gremien vertreten. Das ist eine Tatsache, und wir müssen sie als solche akzeptieren“, sagte das Festival.

    Genau diese Behauptung der Berlinale muss man bestreiten. Ein Protokoll ist kein Dogma, es lässt sich ändern.

    Sehr wohl stellt sich umgekehrt die Frage, was denn eigentlich erst passieren muss, damit die Berlinale ihr Protokoll ändert? Was wäre, würde Adolf Hitler heute noch leben? Ein „demokratisch gewählter Politiker“, oder? Würde man ihn einladen? Vermutlich.

    Und wer jetzt darauf verweist, dass das „doch ganz andere Umstände und Zeiten“ waren, könnte man erwidern, er habe beim Geschichtsunterricht nicht aufgepasst. Oder was tut die Berlinale, damit diese Zeiten und Umstände nicht wiederkommen?
    Selbstlähmung von Demokratien

    Der Rückzug aufs Formaljuristische und ein Einladungsprotokoll, das für entspannte liberale Zeiten, aber nicht für Kulturkämpfe zwischen autoritären und demokratischen Parteien entstanden ist, ist de facto eine Kapitulationserklärung von Demokraten.

    Sie belegt zwei Dinge: den fehlenden Instinkt der Berlinale. Und die Gefahr der Selbstlähmung von Demokratien, wenn demokratische Verfahren zum Fetisch und Selbstzweck werden.

    Der ganze Vorgang der formaljuristisch korrekten, politisch fatalen Einladung für Faschisten ist in Zeiten, in den viel von Übergriffen die Rede ist, natürlich selbst ein Übergriff – ein Übergriff auf der politisch-symbolischen Ebene.

    Und er ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die mit weitaus weniger institutioneller Stützung und Hilfe als die Berlinale sie hat, und die mit weitaus weniger finanziellem Polster und politischen Backup heute tagtäglich gegen Rechtsextremismus demonstrieren.
    Schwächen der Kritik

    Der Offene Brief, der am Freitagabend veröffentlicht wurde, ist selbst ein Schnellschuss, der sowohl in manchen Formulierungen und inhaltlichen Exzessen, als auch im emotionalen, empörten Grundtenor, der durchdrehenden Rhetorik das Anliegen selbst eher beschädigt.

    Er wurde von vielen Leuten unterzeichnet. Etwa die Hälfte von ihnen sind Deutsche, andere kommen vor allem aus den USA, Großbritannien und anderen Teilen Europas. In dem Brief heißt es, die Einladung an AfD-Politiker sei „unvereinbar“ mit dem „Code of Conduct“ der Berlinale, „ein Ort der ’Empathie, des Bewusstseins und des Verständnisses’ zu sein“.

    Zugleich ist der Offene Brief aber auch zum Teil selbst sehr schrill formuliert und ebenso wie der Bericht auf Deadline ein Beispiel dafür, wie Konsens-Anliegen und Positionen der demokratischen Mehrheitsgesellschaft von der extremen Linken und in diesem Fall manchen erklärten Feinden der deutschen Kulturszene und ihrer Institutionen erwartungsgemäß instrumentalisiert werden.

    Deadline framed das Ganze in sehr einseitiger Weise, und spricht zum Beispiel fehlerhaft von „einem staatlich finanzierten Festival“ obwohl die Berlinale 60 Prozent ihres Etats selbst erwirtschaften muss.

    Fragwürdig sind auch bestimmte Formulierungen des Offenen Briefs, etwa jene:

    Die Einladungen ... sind ein weiteres Beispiel für das feindselige und heuchlerische Umfeld, mit dem Kunst und Kultur in Berlin und Deutschland konfrontiert sind. (...)

    Wir weigern uns, zu normalisieren oder rechten Politikern die Teilnahme an unseren Räumen zu erlauben.

    Im Ernst? Und wer ist das „wir“, dem die Räume gehören?

    Die Unterzeichner sind zugegeben meist eher Leute aus der dritten und vierten Reihe, wenn man mal von zwei, drei Namen, absieht, die unter ziemlich vielen Offenen Briefen der letzten Monate zu finden sind – etwa Candice Breitz, die längst nicht über alle Zweifel erhabene, südafrikanische Künstlerin und BDS-Unterstützerin. Aber auch deutsche Kuratoren finden sich auf der Liste.

    Das alles entschuldigt nicht das törichte Verhalten des Festivals, relativiert allerdings die Kritik an ihm.
    Was könnte die Berlinale jetzt tun?

    Was könnte die Berlinale denn tun? Eigentlich ist es gar nicht so schwer.

    Hier könnte ein maßvoll und konsensuell, nicht spalterisch formulierter offener Brief Wunder tun: Man könnte hier alle anderen demokratischen Parteien auffordern, auf ihren Sitz bei der Berlinale-Eröffnung öffentlich zu verzichten und ihre Einladung zurückzugeben.

    Das würde die Berlinale von dem angeblichen Zugzwang befreien, alle „demokratisch gewählten“ Parteien einladen zu müssen. De facto muss sie nämlich gar nicht die Mitglieder des Parlaments einladen, genauso wenig wie die Mitglieder des Verfassungsgerichts.

    Sie hat es nur bisher getan. Einladen muss sie allenfalls die Mitglieder der jeweiligen Regierung, an der die AfD ja nicht beteiligt ist. Also nur die erste Gewalt. Juristisch gesprochen, weil sich die Berlinale ja auf eine juristische Position zurückzieht.

    Vielleicht kommen die demokratischen Politiker ja auch von selber drauf.

    Oder die Berlinale traut sich noch, selbstständig zu handeln. Andere Institutionen machen es vor und entscheiden selbst, wen sie einladen. Das Prozedere, dass die Berlinale beschreibt, gehört der Vergangenheit an und ist unzeitgemäß. Tatsächlich hat man bei der Berlinale nicht daran gedacht, umzudenken.

    #Berlin #Taxi #AfD #Rechte #Berlinale #TaxiFilmFest

  • »Manches offene Wort geführt«
    https://www.spiegel.de/politik/manches-offene-wort-gefuehrt-a-a88a5842-0002-0001-0000-000013496025

    Der Napoleon von #Lummerland starb 2019.

    3.9.1989 Der Generalbundesanwalt muß mögliche strafrechtliche Folgen einer sorgsam vertuschten Spionageaffäre prüfen: Der ehemalige Berliner Bürgermeister und Innensenator Heinrich Lummer, zeitweise einer der bestinformierten Politiker des Westens, verschwieg lange Zeit private Beziehungen zu einer jungen DDR-Agentin.

    Im Rathaus Schöneberg floß der Schampus. Heinrich Lummer, Stimmungskanone und damals Berliner Innensenator, feierte am 21. November 1982 seinen 50. Geburtstag mit einem feuchtfröhlichen Empfang. »Heinrich fürs Grobe«, wie der rechte Christdemokrat auch von Parteigängern genannt wird, genoß die Gratulationscour, zu der Freund und Feind angetreten waren.

    Unter den Präsenten fand Lummer auch einen üppigen Blumenstrauß aus Ost-Berlin, dem eine Glückwunschkarte beigefügt war. Die Botschaft kam von »Susanne, Micha und W. Lindner«, die ihre »Hoffnung auf ein persönliches Wiedersehen in Nah und Fern« ausdrückten und dem CDU-Politiker »Gesundheit und Mut für unsere weitere Partnerschaft« wünschten.

    Lummer allein wußte, was die Ost-Post in Wahrheit bedeutete: eine verschlüsselte Pression. Absender des Blumengrußes waren Spitzenspione des Ost-Berliner Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die dem Innensenator und obersten Chef des West-Berliner Geheimdienstes deutlich machen wollten, daß ihn die DDR politisch in der Hand habe - aufgrund intimer Lummer-Eskapaden mit einer Ost-Berliner Agentin, durch die der Christdemokrat sich erpreßbar gemacht hatte.

    Die Liebesgrüße vom MfS sind das wohl bizarrste Detail einer Spionageaffäre, die zumindest in der Geschichte der CDU ohne Beispiel ist und die den Berliner Christdemokraten ebenso peinlich sein muß wie die jahrelange Kette von Schmierfilz-Skandalen und Immobilienschiebereien örtlicher Unionsfreunde.

    In der geteilten Stadt, die auch nach dem Ende des Kalten Krieges weiterhin Hochburg internationaler Spionageaktivitäten und Kulisse ungezählter Polit-Thriller war, lief über Jahre eine östliche Geheimdienstoperation ab, wie sie sich Frederick Forsyth, John Le Carre oder andere Romanautoren kaum skurriler hätten ausdenken können.


    Klaus-Rüdiger Landowsky
    https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus-R%C3%BCdiger_Landowsky

    Die Verquickung von Frauengeschichten und Politik im Fall Lummer erinnert ein wenig an den Skandal, den der britische Kriegsminister John Profumo 1963 seinem konservativen Kabinett bescherte: Der Politiker stürzte über eine Liebschaft mit dem rothaarigen Callgirl Christine Keeler, das von einem kommunistischen Masseur betreut wurde. Getroffen hatte sich Profumo mit seiner Mätresse in einer Wohnung, in der auch ein Agent des sowjetischen Militärgeheimdienstes verkehrte.

    In der jahrelang sorgsam vertuschten Affäre Lummer figurieren, neben West-Berlins einstigem Bürgermeister, eine offenbar betörende DDR-Spionin und ihre Führungsoffiziere im Stasi-Ministerium, ferner ein ranghoher Ost-Berliner KGB-Resident, der westdeutsche Generalbundesanwalt Kurt Rebmann und, am Rande, auch der derzeitige Bundespräsident und einstige Berliner Stadtregent Richard von Weizsäcker.

    Schauplätze sind die Bürgermeisterräume im Schöneberger Rathaus und die zerschossenen Bürgerkriegsstädte des Libanon, die Büros des West-Berliner Verfassungsschutzes sowie diverse Deckadressen in Ost-Berlin.

    Der Fall, in dem es um politisch motivierte Erpresserpost und um Fotos von verborgenen Techtelmechteln geht, hat hochpolitische und womöglich strafrechtliche Aspekte: Ausgerechnet der stramme Unionsrechtsaußen Lummer ("Ich bin Antikommunist, weil ich Demokrat bin") ist dem kommunistischen Nachrichtendienst Ost-Berlins mit schier unglaublicher Naivität auf den Leim gegangen.

    Nach amtlichen Feststellungen hat es der CDU-Sicherheitsexperte lange Zeit versäumt, den West-Berliner Verfassungsschutz, dessen oberster Vorgesetzter er von 1981 bis 1986 war, über seine Beziehungen zu östlichen Agenten rechtzeitig und umfassend zu informieren - eine Unterlassung, wie sie nicht einmal einem kleinen Polizeibeamten oder Bundeswehrsoldaten nachgesehen wird.

    Mehr noch: Der Senat, dem Lummer angehörte, und Lummer-Untergebene im Verfassungsschutz haben jahrelang dazu beigetragen, die Spionageaffäre zu verheimlichen - obwohl sich in deren Verlauf der CDU-Prominente nicht nur erpreßbar gemacht hat, sondern auch wiederholt handfesten Erpressungsversuchen ausgesetzt war.

    Die Bemühungen, den Fall aus politischen Gründen unter der Decke zu halten, führten dazu, daß ein östlicher Kontaktmann Lummers - obwohl dem Christdemokraten längst als Agent bekannt - ungehindert weiter in West-Berlin operieren konnte:

    Eine Festnahme hätte, wie Geheimdienstler warnten, womöglich zu unliebsamer Publizität und zum vorzeitigen Ausscheiden Lummers aus dem Senat geführt.

    Das Fehlverhalten des christdemokratischen Sicherheitsexperten begann vor fast zwei Jahrzehnten. Bereits 1970 setzte Ost-Berlin erstmals einen Agenten auf den Unionspolitiker an: einen langjährigen Bekannten Lummers namens Sven Bergmann, der CDU-Interna und das Privatleben des Politikers ausforschen sollte.

    Lummer, von seinem Bekannten von Anfang an eingeweiht, informierte dennoch weder seine Partei noch die zuständigen Behörden, sondern ließ den MfS-Kundschafter, angeblich nach Absprache mit ihm, in Ost-Berlin Bericht erstatten.

    Und zurück bis in das Jahr 1973 - damals trennte sich Lummer von seiner Ehefrau Aurelia - reichen intime Beziehungen, die er zu der damals 25jährigen DDR-Bürgerin Susanne Rau unterhielt, einer Frau, die sich ihm als ledig und im staatlichen Kunsthandel der DDR beschäftigt vorstellte, von der er aber spätestens seit 1981 weiß, daß auch sie für das MfS tätig war.

    Die Affäre mit Susanne, die rund acht Jahre lang dauerte, hatte harmlos angefangen. Zusammen mit West-Berliner Freunden Lummers und Kneipen-Bekanntschaften aus der DDR unternahm das Paar Ausflüge, so etwa an einem Vatertag, wahrscheinlich 1973, zum Müggelsee oder, 1975, nach Köpenick.

    Bei diesen Wanderungen wurde auch fotografiert. Am Müggelsee drückte unter anderem Kumpel Bergmann auf den Auslöser, von dem Trip nach Köpenick schickte später ein unbekannter Informant den Sicherheitsbehörden eine Aufnahme, die, neben anderen, Lummer und Susanne Rau zeigte - womöglich ein Indiz dafür, daß im Lummer-Umfeld schon damals die Beziehung zu Susanne politisch suspekt erschien.

    Gewißheit, auch beim Tete-a-tete Zielperson des MfS zu sein, erhielt Lummer, inzwischen zum Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses avanciert, im März 1981. Telefonisch bat Langzeit-Freundin Susanne um einen Besuch Lummers in Ost-Berlin; als Treffpunkt wurde das Hotel Metropol verabredet.

    Das älteste und meistfrequentierte Devisenhotel am Bahnhof Friedrichstraße, gegenüber dem Internationalen Handelszentrum, ist bei kapitalistischer Kundschaft und Stasi-Kundschaftern gleichermaßen gefragt. An der Valuta-Bar bieten Damen diskret ihre Liebesdienste an, bei denen nach westlicher Geheimdienst-Einschätzung die Kunden für die Stasi ausgehorcht werden. In den noblen Salons tafeln nicht nur Diplomaten, Kaufleute und Notabeln des DDR-Außenhandelsministeriums, auch Stasi-Personal feiert dort bisweilen Betriebsfeste.

    An jenem Märztag aber wollte Susanne Rau nicht im Hotel bleiben. Und auch Lummers Wunsch, gemeinsam ein nettes Lokal aufzusuchen, fand sie nicht so passend. Sie überredete den CDU-Politiker, mit in ihre Wohnung im Neubauviertel Marzahn zu kommen. Lummer folgte der Bitte, wie er später behauptete, nur widerstrebend, weil er angeblich wenig Zeit hatte.

    Damals, zwei Monate vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus, mußte Lummer im Westteil der Stadt, gemäß seinem Credo, nicht nur Wahlkampf für »die ethische Motivation der Politik durch die christliche Ethik« führen. Gleichzeitig hatte er mit Betty Bedecker, 22, einer Schauspielerin und Miterbin des Babynahrungsherstellers Hipp, wie Bild vermeldete, »Berlins größte Romanze«.

    Die Marzahner Heinrich-Rau-Straße 50, damalige Wohnadresse der Susanne Rau, ist Teil eines elfstöckigen, langgestreckten Häuserblocks; das Haus Nummer 50 besteht aus 33 Wohneinheiten. Den Eingang ziert ein Bronzeschild mit der sogenannten Goldenen Hausnummer, die vorbildlichen sozialistischen Wohnkollektiven verliehen wird.

    Das Beisammensein des Politikers mit der Agentin wurde jäh gestört. Kurz nach dem Eintreffen in der Wohnung klingelten zwei Männer, die sich unter den Namen »Wagner« und »Lindner« als Beauftragte der DDR-Regierung vorstellten und mit Lummer ein politisches Gespräch führen wollten.

    Der Christdemokrat akzeptierte den Vorschlag, die Unterhaltung in einem Lokal fortzusetzen. Statt in eine Kneipe fuhr das Quartett jedoch zu einer Wohnung, nach Lummers Erinnerung in der Karl-Marx-Allee. Das Zusammensein war nett arrangiert. Eine Serviererin reichte Speisen und Getränke.

    Zufall oder nicht: Im bundesdeutschen Nachrichtendienstlichen Informationssystem (Nadis) ist eine Frau Rau, Vorname unbekannt, unter der Deckadresse Gubener Straße 13 d registriert - unmittelbar hinter der Karl-Marx-Allee. Auf der Klingelleiste dieses Hauses steht auch heute noch der Name »Rau«.

    Daß der DDR-Geheimdienst über Jahre hinweg immer wieder versucht hat, gerade Lummer auszuforschen und zu erpressen, macht politisch Sinn. Als Mitglied des Sicherheitsausschusses des West-Berliner Abgeordnetenhauses hatte der Christdemokrat schon Anfang der siebziger Jahre Zugang zu mancherlei vertraulichen Informationen; in geheimer Parteimission operierte er bisweilen auch in der Grauzone zwischen CDU und Rechtsextremisten.

    Später, als Berliner Innensenator, zählte Lummer zu den bestinformierten Politikern des Westens. Seiner Behörde waren die Daten des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) zugänglich und darüber hinaus, aufgrund des Nachrichtenaustausches mit den Westalliierten, vielerlei Erkenntnisse der amerikanischen CIA, des britischen MI 5 und der französischen Securite, die in West-Berlin weiterreichende Abhörbefugnisse haben als in ihren Heimatländern. Über die Nadis-Computer war die von Lummer kontrollierte Senatsbehörde außerdem elektronisch vernetzt mit allen westdeutschen Geheimdiensten: dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst und den Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern.

    Lummer will an jenem Abend mit Susanne Rau offengelassen haben, ob er der Aufforderung der beiden Männer zu weiteren Gesprächen folgen wolle. Die Gelegenheit ergab sich - unfreiwillig, wie Lummer später behauptete - etwa sechs Wochen darauf.

    Als Susanne Rau bei ihm anrief und um ein neuerliches Treffen bat, wollte Lummer sie angeblich unter vier Augen wegen des überfallartigen Besuchs der beiden Herren zur Rede stellen. Doch als er zum Treffen ins Hotel Metropol kam, erwartete ihn in der Empfangshalle schon wieder das komplette Trio, das ihn abermals zur Karl-Marx-Allee bugsierte.

    Auch diesmal war ein Essen vorbereitet. Nach einer politischen Tour d’horizon erboten sich »Wagner« und »Lindner«, dem damaligen West-Berliner Parlamentspräsidenten Lummer private Einladungen etwa zu Jagdausflügen in die DDR zu vermitteln - was der Christdemokrat indes ebenso ausschloß wie eine Fortsetzung der politischen Diskussionen.

    In der Folgezeit mied Lummer Ost-Berlin und die DDR. Ende Juli oder Anfang August 1981, Lummer war seit kurzem Innensenator und Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters von Weizsäcker, setzte die Stasi einen weiteren Sendboten auf ihn an: einen Mann namens Michael Piek, gemeinsamer Bekannter des Duos Lummer/Rau.

    Piek war Lummer, gelegentlich einer Prag-Reise im Sommer 1980, von Susanne Rau vorgestellt worden. Alle drei logierten damals, kaum zufällig, im selben Hotel. Der promovierte Ost-Berliner Piek, nach Erkenntnissen westlicher Dienste ein hochrangiger »Inoffizieller Mitarbeiter« des MfS, wohnte oder wohnt im Hatzenporter Weg 1 - unweit der Rau-Wohnung und der Liegenschaften prominenter DDR-Bürger wie des Anwalts und Honecker-Vertrauten Wolfgang Vogel.

    Gegenüber Lummer gab sich Piek als Pädagoge aus, der in der internationalen Jugendarbeit tätig sei und deshalb ohne weiteres jederzeit nach West-Berlin einreisen könne. Als Piek im Sommer 1981, nach telefonischer Verabredung, den kurz zuvor gewählten CDU-Innensenator im Flanier-Cafe Möhring am Kurfürstendamm traf, wurde Lummer an die aufdringlichen Ost-Berliner Gesprächspartner erinnert - Piek richtete Grüße von »Wagner« und »Lindner« aus.

    Im Auftrag dieser - laut Piek - hohen Regierungsvertreter versuchte der Emissär später, vom U-Bahnhof Krumme Lanke aus, den Christdemokraten telefonisch zur Wiederaufnahme der privaten Polit-Runde in Ost-Berlin zu überreden, notfalls auch an einem für Lummer unverfänglichen Ort im Ausland, etwa in Wien oder Triest. Doch der Senator (CDU-Schnack: »Lummer ist kein Dummer") blieb diesmal unnachgiebig: Mit MfS-Beauftragten rede er nicht, will er das Angebot abgewehrt haben.

    Nach weiteren erfolglosen Bemühungen Pieks, Lummer umzustimmen, schlug die Stasi eine härtere Gangart ein. Ende Mai 1982 avisierte Piek dem Innensenator telefonisch einen Brief, der bei einer Bekannten für ihn deponiert werde. Die Botschaft enthielt mehrere jener Fotos, die bei den Zusammenkünften und geselligen Treffen in Ost-Berlin aufgenommen worden waren. Lummer verstand die Drohung: Er beschimpfte Piek am Telefon, erklärte ihm, daß er sich nicht erpressen lasse, und brach das Gespräch ab.

    Daß Lummer in jenen Monaten nachdrücklicher als früher die Annäherungsversuche zurückwies, lag wohl kaum daran, daß der Senator plötzlich Skrupel wegen seiner jahrelangen Ost-Berliner Eskapaden bekommen hätte. Vielmehr wurden ihm im Februar 1982 neue Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über Piek mitgeteilt - aus denen sich der dringende Verdacht ergab, daß der MfS-Agent gezielt auf Lummer angesetzt war.

    Der Diplom-Sportlehrer Kurt Johannes Mocker, 48, im Jahr zuvor von Berlin-Ost nach Berlin-West übergesiedelt, hatte beim Landesamt für Verfassungsschutz ausgepackt. Er berichtete von einem »Dr. Michael Piek«, der »im Jugendbereich« des MfS arbeite und Veranstaltungen organisiere.

    Diesen Dr. Piek, so Mocker, habe er Ende 1980 auf der Preußen-Ausstellung in Ost-Berlin beobachtet, wie er Lummer bei einem Rundgang durch die Ausstellungsräume führte. Argwöhnisch sei er geworden, weil er Piek als MfS-Mann kenne, dem jegliche fachliche Qualifikation als Museumsführer fehle.

    Seine Skepsis, berichtete der promovierte Sportlehrer, habe sich noch verstärkt, als er Piek Monate später in West-Berlin, nahe dem Schöneberger Rathaus, erneut begegnet sei. Die anzügliche Frage, ob er hinter Lummer herspioniere, habe den ehemaligen Studienkollegen verlegen gemacht. »Verstört« habe Piek erklärt, er kenne Lummer seit einer »privaten Prag-Reise«.

    Am 9. Februar 1982 wurde Lummer vom Verfassungsschutz schriftlich über die Mocker-Aussage unterrichtet. An den Rand der Mitteilung schrieb der Christdemokrat die handschriftliche Notiz »Trifft zu«, mehr nicht. Eine nähere Erläuterung zu seinen Ost-Kontakten gab er nicht.

    Erst fünf Monate später gab der Innensenator in einem Gespräch mit dem ihm unterstellten Chef des Landesamts für Verfassungsschutz, Franz Natusch, weitere Auskünfte, die aber teils unvollständig, teils falsch waren. So verschwieg er die lange Dauer seiner Beziehung zu Susanne Rau wie auch deren Namen und die wiederholten Anrufe Pieks vor der Brief-Zustellung. Und er unterschlug, daß er sich auf ausführliche Gespräche mit »Wagner« und »Lindner« eingelassen hatte.

    Doch selbst die geschönte Lummer-Version alarmierte den gestandenen Dienst-Mann. Natusch empfahl dem Senator, unverzüglich den Regierenden Bürgermeister von Weizsäcker zu informieren. Um den drohenden Schaden zu begrenzen, schlug er außerdem vor, Weizsäcker möge bei passender Gelegenheit dem sowjetischen Generalkonsul oder einem anderen hohen Sowjetfunktionär klarmachen, daß Piek als MfS-Agent enttarnt sei. Moskau solle auf die Stasi einwirken, die Finger von Lummer zu lassen.

    Die delikate Mission wurde, mit Weizsäckers Erlaubnis, dem damaligen Chef der Senatskanzlei, Hansjürgen Schierbaum, übertragen. Weizsäcker selbst wußte den kompetenten Ansprechpartner: Walentin Dmitrijewitsch Kosobrodow, 55, Botschaftsrat in der Sowjetbotschaft in Ost-Berlin, Generalmajor des KGB und vormals stellvertretender Generalkonsul in West-Berlin.

    Mit dem Russen ließ sich sogar deutsch reden. Der studierte Germanist kann, nahezu akzentfrei, auswendig Goethe rezitieren, vom »Faust« bis zum »Westöstlichen Divan«. Schierbaums Demarche blieb gleichwohl fruchtlos - wenige Monate später erhielt Lummer, wieder vorab von Piek telefonisch angekündigt, erneut Druck-Post vom MfS.

    Diesen zweiten Brief, zugestellt an die Adresse der Lummer-Tochter Barbara, beurteilte das LfV als noch handfesteren Pressionsversuch. Die Verfasser hoben besonders die »seit 1975« bestehenden intimen Kontakte Lummers zu ihrer »Mitarbeiterin« Susanne hervor - ein Umstand, den Lummer dem Verfassungsschutz bislang verheimlicht hatte. In einer späteren Analyse zog das Amt daraus den Schluß, daß die junge Frau von vornherein mit einem Ausspähungsauftrag Lummer zugeführt worden war.

    Die Geheimdienstler, die in West-Berlin an der Straße Auf dem Grat residieren, waren schon zuvor in heller Aufregung gewesen - ausgelöst offenbar durch Erkenntnisse aus dem Schierbaum/Kosobrodow-Gespräch. Amtschef Natusch war mittlerweile klargeworden, daß Lummer ihm eine lückenhafte Darstellung der Vorgänge gegeben hatte. Er drängte den Innensenator zu einem weiteren Gespräch, in dem Lummer, Ende August 1982, seine erste Aussage in wesentlichen Fakten korrigierte und ergänzte. Nun erinnerte sich Lummer etwas genauer. Er gab zu, daß er schon »bald nach 1972« mit Besuchen in Ost-Berlin begonnen habe, etwa viermal pro Jahr, »in unterschiedlichen Lokalen«. An den Zusammenkünften habe bisweilen auch Walter Sickert (SPD), der frühere Präsident des Abgeordnetenhauses, und sehr häufig sein Bekannter Bergmann teilgenommen.

    Bergmann, 59, nach eigenen Angaben »ein guter Freund Lummers«, hatte den Christdemokraten 1963 bei der Freiwilligen Polizeireserve, einer Art Bürgerwehr gegen Ost-Infiltration, kennengelernt. Schräg gegenüber von Bergmanns Wohnung in der Lankwitzer Gallwitzallee übten beide in einer Gruppe Objektschutz und Stadtverteidigung. Bergmann: »Ich war sein Unterführer, er führte mir das Wachbuch.«

    Bergmann, ehemals SPD-Mitglied, betätigte sich bisweilen als Fluchthelfer für DDR-Bürger. Bei einer Transitfahrt im Januar 1970 wurde er im Osten gestellt und unter Haftandrohung zum Spitzeldienst verpflichtet. Seine Aufgabe war es, über Veranstaltungen der West-Berliner Union und die Person des Polit-Aufsteigers Lummer zu berichten.

    Fünf Jahre lang lieferte Bergmann seine Berichte, die er mit Lummer abgesprochen haben will, nach Ost-Berlin. Der CDU-Politiker hat demnach 1971 in seiner Sicherheitserklärung die bei Geheimnisträgern obligatorische Frage nach »nachrichtendienstlichen Kontakten, Verpflichtungen oder Umständen, die auf entsprechende Versuche hindeuten können«, wissentlich falsch beantwortet - mit nein.

    Erst 1975 informierte Lummer den Verfassungsschutz und gab eine merkwürdige Begründung für das lange Stillhalten. Er habe »das Spiel mitgemacht«, um zu erfahren, was das MfS von ihm wollte. Zu seiner und Bergmanns rechtlichen Absicherung habe er einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) konsultiert und ihm laufend berichtet.

    Das war, wieder mal, nur die halbe Wahrheit. Der BND bestätigte dem Berliner Verfassungsschutz lediglich eine »gesprächsweise« Erstinformation und bestritt ausdrücklich, über den weiteren Fortgang unterrichtet worden zu sein. Erst einen Monat vor seiner Offenbarung beim Verfassungsschutz bekannte Lummer seinem BND-Kontaktmann das ganze Ausmaß der MfS-Anforderungen an Bergmann, der inzwischen sogar mit technischem Gerät für Lauschoperationen ausgestattet worden sei.

    Sogar der Generalbundesanwalt beschwerte sich seinerzeit darüber, daß Lummer eigenmächtig gehandelt und wesentliche Tatsachen verheimlicht habe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz forderte die Berliner Kollegen auf, Lummer in die Schranken zu weisen: Solche Fälle gehörten ohne Rücksicht auf parteipolitische Aspekte in die Hand der zuständigen Behörden.

    Bergmann ("Ich bin ein kleiner Mann im Öffentlichen Dienst") wollte vorige Woche auf Fragen des SPIEGEL nach seiner Tätigkeit für den »Konsum« (Insider-Jargon für das MfS) nicht eingehen. Den Namen von Lummers Ost-Berliner Bekannten Susanne Rau will er nie gehört haben: »Susanne wie?«

    Vor 13 Jahren, beim LfV, war Bergmann gesprächiger. Damals berichtete er, Lummer besuche seit langem Ost-Berlin, führe in Kneipen Gespräche mit DDR-Bürgern und habe dort ein Verhältnis mit einer Susanne. Er äußerte sogar die Befürchtung, daß die Dame die Beziehung nicht nur aus Liebe pflege.

    Als dann die Kontakte zwischen Weizsäckers Senatskanzlei und dem KGB-Residenten Kosobrodow nichts fruchteten und das MfS seine Erpressungsversuche fortsetzte, begannen die West-Berliner Verfassungsschützer unruhig zu werden. Amtschef Natusch erkannte, daß der Spionagefall Lummer nicht nur für Lummer, sondern auch für das Landesamt brenzlig werden könnte.

    Natusch und sein Spionageabwehrleiter befürchteten, daß Lummer auch zu Fall gebracht werden könnte, wenn er den Anwerbeversuchen widerstehe - allein dadurch, daß der gegnerische Dienst westlichen Medien gezielt Indiskretionen zuspiele. Selbst ein Eingreifen Weizsäckers oder gar des Bundeskanzlers, so die Einsicht, würde dies nicht verhindern.

    Mit einer verqueren Logik verwarfen die Verfassungsschützer die auch ihrer Meinung nach »an sich« gebotene Möglichkeit, Staatsanwaltschaft und Polizei einzuschalten, um den nach wie vor aktiven Kundschafter Piek bei einer seiner West-Touren zu fassen.

    Einerseits wäre das Amt nach der Rechtslage verpflichtet gewesen, den Fall an die Exekutivorgane abzugeben, weil die Verfassungsschützer sich vom Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nichts versprachen. Andererseits hätte eine Festnahme Pieks, wie das Amt realistisch urteilte, ebenso zwangsläufig den Sturz Lummers zur Folge gehabt.

    Die verunsicherten Verfassungsschützer faßten daher gar keinen Entschluß, sondern schoben die Entscheidung den Politikern zu. Am 22. November 1982, einen Tag nach Lummers Geburtstagsfete, sprach Natusch bei Weizsäcker vor. Doch es blieb beim Aussitzen: Im Februar 1984 schloß der Verfassungsschutz die Akte Lummer - bis zum Machtwechsel an der Spree.

    Denn der Hardliner Lummer, ein »populistischer Stimmenfänger«, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nannte, mußte von dem liberalen Weizsäcker im Amt gehalten werden, um die konservative Stammkundschaft der West-Berliner CDU einzubinden. Außerdem stand im Herbst 1982 ein Bundestagswahlkampf bevor; da hätte die Enttarnung von Lummers Ost-Kontakten eine verheerende Wirkung gehabt.

    Auch in der Folgezeit bemühte sich die Ost-Berliner Spionagezentrale hartnäckig um Kontakte zu Lummer. Sogar als der Senator auf DDR-Fahrt mit Polizeischülern die Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück besuchte, folgte ihm ein Stasi-Schatten.

    Aber auch Weizsäcker-Nachfolger Eberhard Diepgen wurde einer Entscheidung enthoben, weil Lummer, der des öfteren sorglos Kontakte knüpfte, über eine ganz andere Affäre stolperte: Als der CDU-Politiker am 8. April 1986 zum letzten Mal einen Drohbrief vom MfS erhielt, hatte er tags zuvor als Innensenator zurücktreten müssen - vor allem deshalb, weil der SPIEGEL enthüllt hatte, daß Lummer 15 Jahre zuvor einer Neonazi-Gruppe, die SPD-Plakate überkleben sollte, 2000 Mark aus der CDU-Kasse gezahlt hatte.

    Sieben Jahre nach Lummers Einlassungen beim Verfassungsschutz wird nun die Akte doch noch zum Fall - und wohl auch zum Politikum. Ein anonymer Brief, der im Juli vorigen Jahres bei den Nachrichtendienstlern einging, bezichtigte Mocker, den Hinweisgeber in der Lummer-Sache, selber für das MfS aktiv gewesen zu sein. Bei ihren Recherchen stießen die Verfassungsschützer im Tresor des LfV-Leiters auf die alten Vermerke über Lummers MfS-Connection.

    Dabei stellten die Geheimdienstler fest, daß die frühere Behördenleitung sträflich geschlampt hatte. Der - 1986 pensionierte - LfV-Chef Natusch (SPD) hatte, aus Furcht vor einem politischen Skandal, nichts unternommen, um den Hintergrund der dubiosen Lummer-Kontakte aufzuhellen. Auch unter dem parteilosen Natusch-Nachfolger Dieter Wagner, der bis März dieses Jahres amtierte, wurden die Papiere im Tresor nicht angerührt: Während Natusch sich erinnert, beim Amtswechsel den Panzerschrank »Ordner für Ordner« übergeben zu haben, will Wagner »lediglich den Schlüssel vorgefunden« haben.

    Erst die Nachschau unter dem vom rot-grünen Senat eingesetzten neuen Amtschef Dieter Schenk offenbarte, daß noch erheblicher Aufklärungsbedarf besteht. Eine erste Überprüfung verstärkte die Befürchtung, daß Lummer jahrelang von der DDR »abgeschöpft« (Geheimdienstjargon) worden sei, außerdem habe der CDU-Politiker durch das Verschweigen seiner Kontakte die Festnahme eines Ost-Agenten vereitelt. Der Vorgang wurde daraufhin an den Generalbundesanwalt weitergereicht.

    Bei Kurt Rebmanns Behörde, die bisher »keine Ermittlungen« führt, aber die strafrechtliche Relevanz des Falles prüfen muß, liegt nun ein brisantes Bündel von Beweisstücken und internen Bewertungen. Dazu zählen Vermerke, die Natusch, um den Kreis der Mitwisser im Amt klein zu halten, handschriftlich gefertigt hatte.

    Das Material bietet tiefe Einblicke in die hartnäckigen Anwerbungsversuche der Ost-Berliner Stasi und das leichtfertige Verhalten des West-Berliner Grenzgängers Lummer, der sich jenseits der Mauer mehr als eine Blöße gab.

    Das Ausmaß der Affäre um Heinrich Lummer, 56, mit zweitem Vornamen Jodokus (keltisch: »Krieger"), ist kaum abzusehen. Denn bislang sind keinerlei Ermittlungen angestellt worden, um herauszufinden, was der leutselige CDU-Politiker, der einem Ohrenzeugen zufolge auch in Ost-Berlin »manches offene Wort geführt« hat, in geselliger Runde oder trauter Zweisamkeit drüben ausgeplaudert haben könnte.

    Umgarnt worden war von der DDR-Staatssicherheit ein ethisch motivierter Katholik, dessen umtriebiges Nachtleben seit Jahren in Berlin für Gesprächsstoff sorgt und der offen zugibt, daß er weiblichen Reizen gern erliegt. Die mit ihm befreundete Stasi-Mitarbeiterin, die sich Susanne Rau nannte und möglicherweise auch so heißt, hatte daher mutmaßlich leichtes Spiel.

    Dabei mußte sich der Sicherheitspolitiker Lummer, aufgewachsen in der Kalten-Kriegs-Atmosphäre der Frontstadt Berlin, bei seinen Beziehungen zu Susanne Rau über das von östlichen Nachrichtendiensten bevorzugte »Mata-Hari-Modell« im klaren gewesen sein: Experten umschreiben damit die Methode, Informanten durch geheimdienstlich geschulte Frauen zu ködern - nach dem Vorbild jener holländischen Nackttänzerin, die im Ersten Weltkrieg in Paris für die Deutschen spioniert haben soll und 1917 erschossen wurde.

    Wenn nichts sonst, dann hätte spätestens die Enttarnung des Bonner Kanzleramtsspions Günter Guillaume 1974 den Innenpolitiker alarmieren müssen - zumal Lummer damals umgehend Strafanzeige gegen den zurückgetretenen Bundeskanzler Willy Brandt wegen angeblich fahrlässiger Preisgabe von Staatsgeheimnissen erstattete. Der Christdemokrat war zu jenem Zeitpunkt selber bereits seit vier Jahren in die geheimdienstlichen Aktionen des Ostens verwoben.

    Wie bei der Stasi-Verstrickung wurde Lummer auch bei der 2000-Mark-Spende an die Rechtsextremisten ein Opfer zweier ihn kennzeichnender Mängel an Gespür: Bei der Wahl seiner Freunde verliert der Christdemokrat allzuoft das Gefühl für politische Hygiene, und wenn er durch derlei Umgang in die Bredouille gerät, behindert er die Wahrheitsfindung regelmäßig durch sein fast pathologisch schlechtes Gedächtnis - er erinnert sich grundsätzlich an nichts, bis zum Beweis des Gegenteils.

    Ins Zwielicht geriet Lummer auch durch seine Beziehung zu dem Wuppertaler Autohändler Otto Putsch. Der inzwischen zu zwei Jahren Haft verurteilte Kaufmann hatte Lummer um Vermittlung beim geplanten Billig-Erwerb des Erbbaurechts für 2000 landeseigene Wohnungen bemüht. Lummer will seinen Bekannten lediglich an die »zuständigen Fraktionsstellen« weitergereicht haben. Während Putsch an Eides Statt versicherte, es habe 1984 deswegen vier Treffen mit Lummer gegeben, mag sich der nur an zwei erinnern.

    Die Putsch-Behauptung, der CDU-Baustadtrat Wolfgang Antes habe mit Wissen Lummers von ihm »Parteispenden oder Schmiergelder« kassiert, konterte der Senator mit der Erklärung, »wenn der Begriff Forderung gefallen sein sollte«, könne sich das »nur darauf« bezogen haben, ob etwa die Charlottenburger Verwaltung »irgendwelche Preisforderungen« gestellt habe.

    Daß der Christdemokrat seinem Bekannten Putsch durchaus zu Gegenleistungen verpflichtet gewesen sein könnte, legten weitere Putsch-Enthüllungen nahe: »Herr Lummer wurde von mir bzw. meiner Firma auf Wunsch einer Bonner Dienststelle im Frühjahr 1973 nebst zwei weiteren Herren zu einer Libanon-Reise nach Beirut eingeladen.«

    Eine ganz andere Version, wer den Libanon-Flug - neben einer weiteren »Gesellschaftsreise« (Bergmann) nach Syrien im selben Jahr - mitfinanziert hat, kommt aus dem Dunstkreis der Lummer-Bandeleien mit der Staatssicherheit der DDR. Die westlichen Dienste gehen davon aus, daß das MfS aus Informationsinteresse beide Reisen mit je 1200 Mark bezuschußt hat - was Lummer auch bekannt gewesen sei.

    Dafür sprechen weitere Indizien. Libanon-Freund Lummer, der in den siebziger Jahren insgesamt 17mal zu den bedrängten Christenmilizen reiste, bekam für die beiden ersten Trips, 1970 und an der Jahreswende 1971/72, die Flugkosten vom Bundespresseamt erstattet. 1973 hingegen haben, wie der damalige Staatsminister im Kanzleramt, Friedrich Vogel, vor dem Bundestag versicherte, weder das Presseamt noch die anderen »drei in Frage kommenden Bundesressorts« - Auswärtiges Amt, Entwicklungshilfeministerium und das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen - Lummers Libanon-Reise bezahlt.

    Welche Dienste der Antikommunist Lummer der DDR womöglich unwissentlich geleistet hat, läßt sich aufgrund der nachlässigen Aufklärung kaum abschätzen. Der über viele Hintergründe Bonner Politik informierte CDU-Bundestagsabgeordnete ist auch heute noch Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Jede Äußerung einer Zielperson, zumal eines Politikers wie Lummer, in Anwesenheit eines feindlichen Agenten gilt nach CIA-Sprachgebrauch als »human intelligence«, von Personen beschaffte Nachrichten. Informationen dieser Art »sind im allgemeinen die spärlichsten, am schwersten zu beschaffen, aber potentiell am wertvollsten«, schreibt der US-Spionagekenner Thomas Powers.

    Strafrechtlich ist es gleichgültig, wie ergiebig eine von Ost-Agenten angezapfte Polit-Quelle sprudelt. Wie genau es die westdeutsche Justiz mit Ost-Kontakten nimmt, machte Ende 1978 ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg deutlich. Der dritte Strafsenat verurteilte damals den Hamburger Kriminaloberkommissar Rolf Grunert wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe.

    Der Angeklagte, früher Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, hatte zwischen 1971 und 1977 etwa 30mal seine Schwester in Ost-Berlin besucht und sich dabei regelmäßig mit einem ihrer Bekannten, angeblich einem Gewerkschaftssekretär, unterhalten.

    Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der Mann MfS-Agent gewesen sei, an den der Kripo-Beamte Geheimnisse verraten habe. Grunert bestritt die Vorwürfe vehement, Beweise gegen ihn gab es nicht. Doch Indizien und der Augenschein genügten den Richtern für ihren Schuldspruch. Der gebürtige Thüringer Grunert, durch das Urteil in seiner bürgerlichen Existenz ruiniert und hoch verschuldet, wanderte sieben Jahre später in die DDR aus.

    Die Parallelen dieses Falles zur fast zeitgleichen Ost-Connection Lummers sind augenfällig. Der CDU-Politiker konnte an der wahren Identität seiner Gesprächspartner schließlich eher noch weniger Zweifel haben, als sie der Verurteilte Grunert nach Ansicht des Gerichts gegenüber seinem Ost-Berliner Bekannten hätte haben dürfen.

    Wer sich zur »Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen« a n einen gegnerischen Geheimdienst »oder einen seiner Mittelsmänner« bereit erklärt, riskiert laut Strafgesetzbuch bis zu fünf, in schweren Fällen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe.

    Dabei »braucht der Täter nicht selbst Agent im technischen Sinne zu sein«, erläutert ein Strafrechtskommentar, es genüge »für die mittäterschaftliche Beteiligung das Sicheinspannenlassen« in die Agententätigkeit.

    Die Kriterien könnte Heinrich Lummer erfüllt haben. Der jetzige Innensenator Erich Pätzold (SPD) mochte sich vorige Woche, vom SPIEGEL befragt, zu den »unterstellten Vorgängen nicht äußern« - jedenfalls »noch nicht«.

    https://www.mz.de/mitteldeutschland/seltsame-allianzen-wie-die-stasi-versuchte-westdeutsche-neonazis-zu-unterwandern-

    Aktion Reiskorn e.V. - Wir über uns
    http://www.aktion-reiskorn.de/Verein/Wir-ueber-uns

    Wir haben weltweit mehr als 100.000 Menschen in Not geholfen

    Es fing damit an, daß Joachim Siegerist Anfang der „Achtziger“ als Chef-Reporter der HÖRZU ins „Goldene Dreieck“ nach Thailandreiste und dort unglaubliches Elend sah. Sterbende Kinder, Sklavenarbeit, Kinder-Prostitution. Danach nur noch die Idee im Kopf „Du darfst nicht nur berichten, Du mußt berichten und helfen zugleich.“

    Mit Hilfe von Max Schmeling gründete Joachim Siegerist das Kinderhilfswerk AKTION REISKORN e.V. Joachim Siegerist ist Vorsitzender dieses gemeinnützigen Vereins, Vorsitzender der Deutschen Konservativen und der Motor des DEUTSCHLAND-Magazin. Mit diesem „Trio“ wurden im Laufe der vergangenen 25 Jahre mehr als 100 000 Menschen weltweit geholfen.

    Nie nach Rasse und Religion gefragt

    Dabei wurde nie nach Rasse, Religion oder Herkunft gefragt. Ohne die vielen Freunde dieser Zeitung wäre solche Hilfe gar nicht möglich. Hilfe für verarmte Deutsche in Namibia, Deutsch-Balten, Letten, Juden, Russen, Muslimen auf der Flucht vor fanatischen Serben, evangelischen und katholischen Projekten in siebenbürgischen Rumänien, von Medizinmännern gejagten Albino-Kindern in Afrika. Hilfsprojekte gegen Kinder-Prostitution in Thailand. Die Liste der Hilfe ist ellen lang, würde mehr als ein dickes Buch füllen.

    Konservativ – das heißt auch sozial

    Joachim Siegerist: „Konservativ bedeutet für mich auch immersozial – was mit sozialistisch absolut nichts zu tun hat.“

    Während andere Hilfsorganisationen unter Vertrauensverlust leiden, bekommt die AKTION REISKORN e.V. mehr und mehr Zustimmung.

    http://homepagedesigner.telekom.de/imageprocessor/processor.cls/CMTOI/cm4all/com/widgets/PhotoToi/11/93/82/54/13f67442683/scale_1200_0%3Bdonotenlarge/13f67442683
    Heinrich Lummer (rechts) und Joachim Siegeristreisten im Kosovo-Krieg nach Albanien und halfen dort von fanatischen Serben verfolgtenMuslimen – hier auf dem Foto in einem Kinderdorf. Der Berliner Bürgermeisterund Innensenator a. D. Heinrich Lummer ist Ehren-Präsident der Konservativen.

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  • Ungarn: Rechte und Linke sollen sich gegen Orbán vereinen (http://w...
    https://diasp.eu/p/7020191

    Ungarn: Rechte und Linke sollen sich gegen Orbán vereinen

    Regierungskritische Aktivisten fordern, dass die Opposition einen Gegenkandidaten zu Orbán findet. Jeden Samstag soll nun gegen den Regierungschef demonstriert werden.

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  • Europäisches Parlament: EU sieht ungarische Demokratie in Gefahr (h...
    https://diasp.eu/p/7004385

    Europäisches Parlament: EU sieht ungarische Demokratie in Gefahr

    Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind eingeschränkt, Verfassung und Justiz geschwächt: Die EU sieht grundlegende Rechte in Ungarn verletzt und empfiehlt Sanktionen.

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