RK est drôle. Si je n’avais pas renoncé à l’alcohol, j’aimerais bien passer une soirée arrosée de bière ou de vin avec lui. Vous savez, on se dit au revoir quand on est trop ivre ou trop fatigué pour inventer encore une blague.
Sérieusement, je n’ai guère d’estime pour les philosophes qui trichent sur les paramètres décisifs qui déterminent les conditions de leur pensée. Toute réflexion sur l’avenir qui dépasse les prochains mois ou, à la rigueur, les prochaines années, doit tenir compte du changement climatique et au moins mentionner d’autres facteurs fondamentaux pour la vie humaine.
RK ne le fait pas plus que les autres « penseurs » américains. Il raconte de belles histoires sur son sujet préféré. Très divertissant.
30.7.2025 von Kerstin Kohlenberg - Ray Kurzweil: „Mit der KI zu verschmelzen, ist der einzige Weg, nicht von ihr beherrscht zu werden“
DIE ZEIT: Herr Kurzweil, Sie sind einer der weltweit renommiertesten Erforscher der künstlichen Intelligenz. Für unser Treffen heute haben Sie die öffentliche Bibliothek in Newton in der Nähe von Boston gewählt. Würden Sie eine Prognose wagen, wie lange es noch gedruckte Bücher geben wird?
Ray Kurzweil: Bücher haben viel mit Tradition zu tun, mit Gefühlen, mit Nostalgie. Da sind Prognosen schwierig. Eigentlich dürfte es Bücher schon heute nicht mehr geben, die Inhalte kann man alle digital lesen. Trotzdem gibt es noch Bücher. Die Menschen hängen an ihnen, ich auch, ich liebe Bücher. Ich wünsche mir sehr, dass Bücher überleben. Darf ich eine kurze Anekdote erzählen?
ZEIT: Gern.
Kurzweil: Vor Kurzem habe ich eine künstliche Intelligenz gebeten, eine Zusammenfassung meiner Autobiografie zu erstellen. Das Interessante dabei ist: Es gibt diese Autobiografie noch gar nicht, ich schreibe sie gerade erst. Aber natürlich hat die KI im Netz reichlich Material über mich gefunden. Ich bekam blitzartig die Zusammenfassung eines Buches, das es noch gar nicht gibt. Und was soll ich sagen? Sie war wunderbar. Die KI hat das geschrieben, was ich erst noch schreiben werde. Ich war beeindruckt. Eigentlich könnte ich die KI bitten, mein Buch zu schreiben.
ZEIT: Und?
Kurzweil: Ich glaube, ich kann es doch noch etwas besser. In drei, vier Jahren aber wird das nicht mehr so sein.
Ray Kurzweil schaltet sein Handy ein. Er spielt die erste Minute eines Podcasts vor. Ein Gespräch über Kurzweils im vergangenen Jahr herausgekommenes Buch „The Singularity Is Nearer“ (auf Deutsch unter dem Titel „Die nächste Stufe der Evolution“ im Piper Verlag erschienen). Man hört eine männliche und eine weibliche Stimme: „Bereit für einen tiefen Tauchgang? Wir beschäftigen uns heute mit Ray Kurzweil und seinem neuen Buch ›The Singularity Is Nearer‹. Dieses Buch – wow – bringt einen dazu, über die Zukunft von allem nachzudenken.“
Kurzweil: Das sind keine menschlichen Stimmen, aber man hört es nicht. Gut, oder? Ich hatte die KI gebeten, einen elf Minuten langen Podcast zu meinem Buch zu produzieren. 40 Sekunden später hatte ich dieses Ergebnis. Das wäre vor zwei Monaten nicht möglich gewesen.
ZEIT: Was ist heute noch alles möglich, was vor wenigen Monaten unmöglich war?
Kurzweil: Bis vor Kurzem scheiterte die künstliche Intelligenz an jeder Form von Humor. Das ist vorbei. Es gibt inzwischen eine KI, die wirklich lustige und originelle Werbeslogans produziert. Das wird die Werbeindustrie revolutionieren. Lange konnte die KI auch bestimmte Zusammenhänge nicht begreifen. Es gibt da eine Filmaufnahme: Ein Zimmer, in der Mitte steht ein leeres Tischchen, davor liegt eine zerbrochene Blumenvase. Kein Mensch ist zu sehen, aber ein Hund läuft herum. Die KI konnte nicht sagen, warum die kaputte Vase auf dem Boden liegt. Heute liefert sie sofort die richtige Antwort: Der Hund ist der Täter!
Ray Kurzweil: 1941: Der erste Computer wird von Konrad Zuse in Berlin-Kreuzberg vorgestellt.
1941: Der erste Computer wird von Konrad Zuse in Berlin-Kreuzberg vorgestellt. © Deutsches Museum
ZEIT: Warum werden die Ergebnisse so schnell besser?
Kurzweil: Die Rechenleistung der Computer hat enorm zugenommen. Als der Deutsche Konrad Zuse 1941 den allerersten Computer vorstellte, schaffte der Rechner für einen Dollar 0,000007 Berechnungen. Das war langsam und teuer. Heute liefern die Computer eine halbe Billion Berechnungen zum Preis eines Dollars. Und das in nur einer Sekunde! Diese unglaubliche Steigerung der Rechenleistung sorgt für die Revolution der künstlichen Intelligenz.
Der Wissenschaftler, Erfinder, Unternehmer und Autor Ray Kurzweil ist 77 Jahre alt, schmal, sein Markenzeichen, die breiten, von Hand bemalten Hosenträger, fehlt auch an diesem Tag in der Bibliothek nicht. Zwei Frauen begleiten ihn zum Interview, beide langjährige Mitarbeiterinnen. Eine von ihnen koordiniert Kurzweils Termine mit seinen Ärzten. Sein durchaus besonderer Umgang mit der Medizin wird auch Thema dieses Gesprächs sein. Kurzweil ist Träger von rund 20 Ehrendoktortiteln. Bill Gates hat einmal über ihn gesagt: „Ich kenne niemanden, der besser geeignet ist, die Zukunft von KI vorherzusagen, als Ray Kurzweil.“
ZEIT: Ihrer Ansicht nach steht die Menschheit vor dem grundlegendsten Wandel ihrer Geschichte: In wenigen Jahren werde die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz übertreffen.
Kurzweil: Ich nenne das die Singularität ...
ZEIT: ... angelehnt an den Begriff aus der Mathematik, der einen Punkt bezeichnet, an dem normale Gesetzmäßigkeiten versagen.
Kurzweil: Nach meinen Berechnungen wird die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz im Jahr 2029 erstmals übertreffen.
Der Aufstieg der KI
Ray Kurzweil: 1996: Ray Kurzweil entwickelt ein Programm zur Texterkennung, das beim Lesen hilft.
1996: Ray Kurzweil entwickelt ein Programm zur Texterkennung, das beim Lesen hilft. © privat
ZEIT: Computer und Maschinen wären dann also in allem besser, schneller und billiger als wir. Egal, ob es sich um geistige oder manuelle Fähigkeiten handelt: das Bauen von Autos, das juristische Argumentieren, das Schreiben von Texten ...
Kurzweil: ... das Besiegen von Krebs.
ZEIT: Das würde doch aber auch bedeuten, dass superintelligente Computer sich selbst programmieren und sich unabhängig von uns Menschen immer weiter verbessern können. Besteht da nicht die Gefahr, dass sie die Kontrolle über uns, über die Welt übernehmen?
Kurzweil: Wenn wir nicht aufpassen, kann das passieren.
ZEIT: Sie sagen das so ruhig. Warum ist der Aufstieg künstlicher Intelligenz nicht überall das Thema Nummer eins? Warum diskutiert die Öffentlichkeit stattdessen über vergleichsweise unwichtige Dinge wie zum Beispiel hier in den USA gerade über den Fall Jeffrey Epstein?
Kurzweil: Ich glaube, viele Menschen spüren, dass große Veränderungen bevorstehen, aber sie wollen sich damit nicht auseinandersetzen. Vielleicht fühlen sie sich hilflos. Es ist tatsächlich nur eine kleine Gruppe, die sich intensiv mit künstlicher Intelligenz beschäftigt.
ZEIT: Eine Tech-Elite?
Kurzweil: Menschen, die das Thema verstanden haben, Wissenschaftler, Biologen, Unternehmer, auch manche Politiker. Sie haben begriffen, dass wir spätestens in zwei Jahrzehnten in einer völlig anderen Welt leben werden, als wir sie bislang kennen.
Ray Kurzweil: Sam Altman, CEO von OpenAI, der Firma, die den Chatbot ChatGPT herausgebracht hat
Sam Altman, CEO von OpenAI, der Firma, die den Chatbot ChatGPT herausgebracht hat © AFP via Getty Images
ZEIT: Sie sind Teil einer Gruppe im Silicon Valley, die man auch „Transhumanisten“ nennt. Menschen wie der mächtige Investor und PayPal-Co-Gründer Peter Thiel gehören dazu, Elon Musk, der reichste Mann der Welt, und der Chef von OpenAI, Sam Altman, der ChatGPT herausgebracht hat und gerade gigantische Rechenzentren in Amerika baut. Sie alle gehen davon aus, dass der Mensch bald mit der künstlichen Intelligenz verschmelzen wird.
Kurzweil: Ja, es wird wunderbar werden!
Ray Kurzweil hat schon an künstlicher Intelligenz gearbeitet, als den Begriff noch kaum jemand kannte. Mitte der Siebzigerjahre, mit Ende zwanzig, erfand er die „Kurzweil Reading Machine“, die gedruckte Texte für Sehbehinderte in akustische Signale verwandelte, sie ihnen also vorlas. Diese Erfindung gilt bis heute als Meilenstein bei der gesellschaftlichen Integration blinder Menschen. 1982 gründete er eine Firma, die Synthesizer mit einem möglichst perfekten Klang herstellte – zur damaligen Zeit eine Pionierleistung. Entscheidend bei dieser Firmengründung war seine Freundschaft mit dem blinden Musiker Stevie Wonder. Seit 2012 ist Kurzweil bei Google, inzwischen mit dem Titel „AI Visionary“.
ZEIT: Ihre Eltern sind vor den Nazis aus Österreich in die USA geflüchtet. Beschäftigen Sie sich deshalb mit Maschinen, die die Menschen klüger machen sollen?
Kurzweil: Ich habe großen Respekt vor Wissen. Die Familie meiner Urgroßmutter hat zum Beispiel in Wien eine Schule gegründet, die Frauen aus ganz Europa eine höhere Bildung anbot. Meine Großmutter, eine der ersten Frauen, die in Österreich einen Doktor in Chemie machten, hat diese Schule fast 30 Jahre lang geleitet, bis 1938. Dann floh sie vor den Nazis. Meine Tante, die Schwester meiner Mutter, hat drei Bücher über den Holocaust geschrieben. Die Verarbeitung von Wissen war in meiner Familie immer sehr wichtig.
ZEIT: In Ihrem Buch über die Singularität danken Sie Ihren Eltern für die langen Waldspaziergänge. Was ist im Wald passiert?
Kurzweil: Ich ging oft mit meiner Mutter spazieren und erzählte ihr dabei, welche Ideen ich hatte, und sie war immer begeistert. Sie gab mir das Selbstvertrauen, das ich für meine Erfindungen brauchte. Selbstvertrauen ist ein sehr wichtiger Aspekt, um erfolgreich zu sein.
ZEIT: Sie sind in den Fünfzigerjahren im New Yorker Stadtteil Queens aufgewachsen. Da gab es noch nicht so viele Computer. Wie fing Ihre Liebe zu den Maschinen an?
Kurzweil zeigt auf ein Bild auf seinem Handy.
Kurzweil: Das bin ich mit dreieinhalb.
ZEIT: Was ist das in Ihrer Hand?
Kurzweil: Eine Art Fahrzeug, ich habe Maschinen immer geliebt. Als ich sechs Jahre alt war, zeigte mir meine Großmutter ein Buch, das sie gerade geschrieben hatte. Das hat mich kaum interessiert, fasziniert war ich aber von der Schreibmaschine, auf der sie es getippt hatte. Ich habe Radios und alles, was ich in der Nachbarschaft fand, auseinandergenommen. Ich musste wissen, wie sie gebaut waren. Danach dachte ich immer, jetzt kann ich jedes Problem lösen.
Die Maschinenmenschen
Ray Kurzweil: 1997: Garri Kasparow während einer Partie mit dem Schachcomputer Deep Blue
1997: Garri Kasparow während einer Partie mit dem Schachcomputer Deep Blue © imago
ZEIT: Sie waren ein Nerd.
Kurzweil: Ich denke schon. Die Mädchen waren auf jeden Fall wenig beeindruckt. Mit zwölf Jahren entdeckte ich dann den Computer. Damals, 1960, gab es nur etwa ein Dutzend Computer in ganz New York City, aber mein Onkel arbeitete für das Forschungszentrum einer großen Telefongesellschaft. Er erklärte mir die Grundlagen der Computerwissenschaft und sorgte dafür, dass ich an einem Computer der New York University arbeiten konnte. Mit 15 schrieb ich dann mein erstes Computerprogramm. Es konnte Muster klassischer Musikkompositionen erkennen und Stücke im Stil verschiedener Komponisten schreiben. Ein anderer Onkel von mir war Psychologe und arbeitete an einem Regierungsprojekt, das die Bildungschancen von Kindern aus einkommensschwachen Familien verbessern sollte. Er vermittelte mir den Job, eine Analyse der gesammelten Daten zu erstellen.
ZEIT: Viele Politiker hofften damals, Computer könnten dabei helfen, die Gesellschaft gerechter zu machen. Der progressive New Yorker Bürgermeister John Lindsay zum Beispiel ließ Ende der Sechzigerjahre Daten aus seiner überschuldeten, von Streiks, Korruption und Rassenkonflikten erschütterten Stadt von Supercomputern analysieren und setzte ihre Sparvorschläge dann tatsächlich um.
Kurzweil: Wir verbanden große Hoffnungen mit der Technik. Der Rechner, mit dem ich arbeitete, hatte eine Art Frontscheinwerfer. Wenn er mit einer Rechenaufgabe fast fertig war, begann das Licht zu flackern. Das sah so aus, als würde er denken. Mit 16 Jahren schrieb ich ein Programm, das Gymnasiasten helfen sollte, die richtige Hochschule zu finden. Man musste 300 Fragen beantworten, und das Programm empfahl daraufhin passende Unis.
ZEIT: Es ging bei Ihnen also weiterhin ums Wissen.
Kurzweil: Das Programm war so erfolgreich, dass ich es an ein großes Unternehmen verkaufte. Mit dem Geld konnte ich das College bezahlen und meine Eltern unterstützen. Mein Vater hatte damals bereits einen Herzinfarkt gehabt und konnte nicht mehr arbeiten.
ZEIT: Wir wollen in diesem Gespräch die Welt verstehen, in der die ersten Entwickler der künstlichen Intelligenz lebten. Einen der Begründer der Forschungsrichtung, Marvin Minsky, haben Sie persönlich kennengelernt.
Kurzweil: Minsky war mein großer Förderer. Er hat 1956 auf einer Konferenz den Begriff „künstliche Intelligenz“ zum ersten Mal öffentlich benutzt. Er hat dem Forschungsbereich seinen Namen gegeben und war Mitbegründer der Abteilung für KI am Massachusetts Institute of Technology. Nach der Highschool habe ich ihn einfach angeschrieben. Er lud mich zu sich nach Boston ein, und es begann eine fünfzigjährige Freundschaft.
ZEIT: Wie muss man sich diese Freundschaft vorstellen?
Kurzweil: Minsky liebte es, zu philosophieren. Wir sprachen darüber, was die KI einmal leisten könnte, was Bewusstsein ist und ob auch Maschinen sich einmal ihrer selbst bewusst sein werden. Oder darüber, wie man zwischen einer hochentwickelten KI und einem Menschen unterscheiden kann. Ich konnte stundenlang mit ihm reden. Er war sehr, sehr intelligent und sehr einfallsreich. Sein Buch The Society of Mind ist eines meiner Lieblingsbücher. Darin beschreibt er, wie menschliche Intelligenz, Bewusstsein, Sprache, Erinnerung entstehen und sich entwickeln, wie Lernen funktioniert und was der freie Wille ist. Das Buch ist wie ein Gedicht.
Die Idee, eine Maschine zu erfinden, die dem Menschen ähnelt, ihn übertrifft und womöglich sogar mit ihm verschmilzt, ist eigentlich uralt. Schon im weit über tausend Jahre alten jüdischen Golem-Mythos taucht ein aus Lehm geschaffenes Wesen auf, stärker und leistungsfähiger als der Mensch. Auch später kommt das Motiv der Menschmaschine immer wieder in der Literatur und der Mystik vor. Dabei war lange nicht klar, ob die Frankenstein-artige Verschmelzung aus der Biologie und Medizin kommen würde oder aus der Mathematik und Robotik. Erst mit der Erfindung des Computers ist sie wirklich real geworden.
Ray Kurzweil: Frankensteins Monster, nach dem Roman von 1818: die Kreatur eines Forschers
Frankensteins Monster, nach dem Roman von 1818: die Kreatur eines Forschers © Imago
ZEIT: Minsky schreibt 1985: „Die meisten Menschen glauben immer noch, dass eine Maschine niemals ein eigenes Bewusstsein haben wird oder Ehrgeiz, Eifersucht oder Humor zeigen kann.“ Minsky wollte der Welt das Gegenteil beweisen.
Kurzweil: Er glaubte, dass Computer Wissen mit neuronalen Netzen erzeugen könnten, so wie das menschliche Gehirn. Der Computer ersetzt die menschlichen Neuronen durch mathematische Formeln, die Informationen zusammenfassen und gewichten, um eine Aussage zu treffen. Auf diese Weise lernen die Netze, bestimmte Muster zu erkennen, und können immer schneller reagieren. Aber die einfachen neuronalen Netze der Anfangszeit funktionierten nicht sehr gut. Sie konnten zum Beispiel nicht erkennen, ob zwei weiße Flächen miteinander verbunden sind oder hintereinanderliegen. Minsky bekam plötzlich große Zweifel an seiner Forschung. Er glaubte, er habe sich verrannt. Und weil er der Vater der KI war, also die unangefochtene Autorität auf dem Gebiet, fror dieser Zweifel die KI-Forschung für lange Zeit ein.
ZEIT: Ein anderer großer Computerwissenschaftler, Alan Turing, schrieb 1950, die größte Frage in der Geschichte der Wissenschaft sei, ob Maschinen denken können. Glauben Sie, sie können auch fühlen?
Kurzweil: Die Maschine wird an einen Punkt kommen, an dem sie so viel weiß, dass wir das nicht mehr mit Sicherheit sagen können. Es wird daher eine Zeit kommen, in der die Leute denken, dass die Maschine ein Bewusstsein hat.
ZEIT: Werden Maschinen dann auch so etwas wie Menschenrechte haben?
Kurzweil: Es gibt da einen großen Unterschied. Eine Maschine kann man ausschalten, und drei Tage später kann man sie wieder einschalten. Das kannst du mit einem Menschen nicht machen. Wir Menschen haben Angst, ausgeschaltet zu werden. Wir versuchen am Leben zu bleiben, wir haben einen Drang zum Leben.
ZEIT: Wenn die Maschine aber aus allem menschengemachten Wissen der Welt besteht, wird sie dann nicht, wie wir Menschen, irgendwann auch einen gewissen Widerstand gegen das Ausschalten entwickeln?
Kurzweil: Nicht wenn wir Menschen mit der KI verschmelzen. Das ist der einzige Weg, um mit einer immer intelligenteren KI mitzuhalten und nicht von ihr beherrscht zu werden. Die Verschmelzung wird sich in mehreren Schritten vollziehen. Ich rechne damit, dass wir in vier Jahren, 2029, in der Lage sein werden, die rund 20 Milliarden Neuronen des Neokortex unseres Gehirns in direkte Verbindung mit einem Computer zu bringen. Durch Implantate zum Beispiel.
Die Zukunft des Denkens
ZEIT: Der Neokortex ist was noch mal?
Kurzweil: Der evolutionsmäßig jüngste Teil des Gehirns, verantwortlich für höhere kognitive Funktionen wie Denken, Planung und Sprache.
ZEIT: Und dort sollen dann Implantate eingepflanzt werden?
Kurzweil: Mit diesen Implantaten wird es wie selbstverständlich zu Interaktionen zwischen unseren Gehirnen und der Technik kommen. Das hört sich an wie Science-Fiction, aber man muss sich das so vorstellen, wie wir heute mit unseren Handys agieren: Wenn uns etwas nicht einfällt, schauen wir auf unserem Handy nach. Das Handy ist nicht in unserem Körper – wobei, wenn ich mir anschaue, wie die Menschen heute schon mit ihrem Handy gewissermaßen verschmolzen sind ... In wenigen Jahren wird das, was heute das Handy ist, ein Chip in uns drin sein. Wenn man nach einem Datum oder einem Namen sucht, wird man nicht mehr sagen können, ob die Antwort aus dem eigenen Gehirn oder dem KI-Assistenten auf dem Chip stammt. Das mag heute seltsam klingen, aber es wird so kommen. Mit den simulierten Neuronen können wir den Neokortex aufstocken, und so wird eine immer größere kognitive Leistung möglich. Die Größe des Gehirns wird nicht mehr dadurch begrenzt sein, was durch den Geburtskanal passt.
ZEIT: Dann können wir aufhören, unsere Kinder dazu zu bringen, sich Wissen durch Lesen anzueignen?
Kurzweil: Das wird eine große Herausforderung werden. Als ich aufs College ging, hatten wir eine ähnliche Debatte mit den Taschenrechnern. Und tatsächlich beherrschen die Menschen heute die lange Division nicht mehr, also wie man große Zahlen dividiert. Natürlich wollen wir den Menschen das Lesen beibringen, es gibt einige Bücher, von denen wir möchten, dass man sie liest. Wie dieses Buch. (Er zeigt auf sein eigenes und grinst.) Und doch wird die Tendenz, diese Dinge nicht mehr zu lernen, zunehmen.
Wenn wir die Enge unseres Schädels verlassen und zusätzlich mit einem Implantat arbeiten, kann unsere Intelligenz sich millionenfach ausdehnen.
Ray Kurzweil
ZEIT: Ist das nicht ein Problem?
Kurzweil: Wenn wir die KI mit unserem eigenen Gehirn verbinden, wird das kein Problem mehr sein, die KI hat jetzt schon ungefähr eine Million Bücher gelesen. Sie wird uns eine ganz neue Art des kulturellen Reichtums eröffnen. Das ist der Kern meiner Definition von Singularität. Wenn wir die Enge unseres Schädels verlassen und zusätzlich mit einem Implantat arbeiten, das Millionen Mal schneller ist als unser biologisches Gewebe, kann und wird unser Bewusstsein exponentiell wachsen und unsere Intelligenz sich millionenfach ausdehnen.
ZEIT: Was wird diese Technologie am Ende mit uns anstellen?
Kurzweil: Das bereitet mir keine Sorgen. Die Entwicklung von Technik und Technologie ist Teil dessen, was uns Menschen ausmacht. Jede Technik ist aus uns geboren, das Resultat unserer Kreativität und unseres Erfindungsreichtums. Das ist so, seitdem wir die primitivsten Maschinen verwenden, die KI ist einfach nur der neueste Stand dessen, was Technologie leisten kann. Es ist nicht wie eine außerirdische Invasion intelligenter Maschinen vom Mars. Sie wurde von uns Menschen entwickelt.
ZEIT: Können Sie verstehen, dass auch wir beiden Interviewer vor einer solchen Vorstellung vor allem eins haben: Angst?
Kurzweil: Ich für meine Person kann es tatsächlich nur bedingt verstehen. Der Fortschritt hat das Leben der Menschen fast immer verbessert. Sie können hinschauen, wohin Sie möchten, Medizin, Ingenieurskunst, Biologie.
ZEIT: Die Erfindung der Atombombe?
Kurzweil: Wir können uns gerne auch dieses Beispiel anschauen. Was gab es nicht alles für Untergangsszenarios! Die Atomwaffen werden die Erde vernichten. Bislang haben sie es nicht getan. Wir haben vor achtzig Jahren zwei Atombomben innerhalb kurzer Zeit abgeworfen und dann nie wieder. Die Menschen haben gelernt und sich angepasst. Ich habe ein Grundvertrauen in die Menschen, sie werden die Dinge der Zukunft so regeln, dass sie eben nicht das Ende der Welt bedeuten.
ZEIT: Sie sind ein Optimist.
Kurzweil: Nein, ich bin kein Optimist, ich bin Realist. Ich schaue mir den Verlauf des Fortschritts an und stelle nüchtern fest: Es ist besser geworden. Armut, Kriege, Hunger, Lebensalter, Schmerzen. Aber weil Sie vorhin danach fragten: Ich kann schon nachvollziehen, warum Sie vor der Zukunft Angst haben. Das hat einen psychologischen Grund: Es gibt dieses tief verankerte Gefühl, das viele Menschen denken und fühlen lässt, die Vergangenheit sei besser gewesen. Wir denken an das Positive von früher und vergessen die oft brutalen Probleme, die es damals gab. Nur ein Beispiel: Es ist nicht viel mehr als hundert Jahre her, da existierten keinerlei staatliche Programme für Menschen in Not, sie verhungerten buchstäblich, weil sie kein Geld für Essen hatten. Die Erinnerung daran ist weg. Das nostalgische Gefühl „Ach, wie friedlich haben wir damals doch gelebt“ aber ist noch da.
Kurzweil krempelt den Ärmel hoch und zeigt auf eine Plastikkapsel an seinem Oberarm.
Kurzweil: Ich habe seit 40 Jahren Diabetes, meine Bauchspeicheldrüse gibt nicht genügend Insulin ab. Das hier ist eine künstliche Bauchspeicheldrüse. Sie misst die Glukose in meinem Arm und berechnet, wie viel Insulin ich alle fünf Minuten brauche. Eine zweite, etwas größere Kapsel an meinem Körper enthält Insulin, die gibt dann die genaue Menge ab. Sie funktioniert wie eine echte Bauchspeicheldrüse. Gesteuert wird sie allerdings von meinem Telefon. Diese Erfindung gibt es erst seit ungefähr sechs Monaten und nur deshalb, weil Computer immer schneller große Datenmengen auswerten können. Der wissenschaftliche Fortschritt schreitet so sehr voran, dass Sie heute etwa vier Monate für jedes gelebte Jahr zurückbekommen. Du lebst also ein Jahr, bekommst aber vier Monate zurück. Tatsächlich altern Sie jedes Jahr also nur acht Monate. Ich bin gerade 77 geworden. Wir werden an einen Punkt kommen, an dem wir nicht mehr wirklich am Alter sterben werden.
ZEIT: Sie haben einmal gesagt, dass Sie jeden Tag etwa 80 Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen.
Kurzweil: Das sind alles Dinge, die medizinisch akzeptiert sind. Ich habe zwei Assistentinnen, die mir dabei helfen und meine Termine mit den Ärzten koordinieren. Mein LDL liegt bei zehn.
„Wir müssen das Gefühl verbreiten, dass wir diese Revolution steuern“
Ray Kurzweil: 2015: Ein Google-Rechenzentrum in Council Bluffs im Bundesstaat Iowa
2015: Ein Google-Rechenzentrum in Council Bluffs im Bundesstaat Iowa © Google
ZEIT: Was ist LDL?
Kurzweil: Schlechtes Cholesterin. Früher dachte man, es soll nicht zu niedrig sein. Jetzt hat man herausgefunden, dass es tatsächlich gut ist, LDL auf null zu reduzieren. Mein HDL, das ist gutes Cholesterin, liegt bei 64, ist also etwa sechsmal so hoch wie mein LDL. Das ist ungewöhnlich gut.
ZEIT: Überprüfen Sie Ihre Werte jeden Morgen, wie Börsenkurse?
Kurzweil: Nicht jeden Morgen, aber regelmäßig.
ZEIT: Sie sagen, Sie freuen sich auf die Zukunft mit ihren fantastischen Erfindungen. In den USA aber sind schon ganz alltägliche medizinische Leistungen für viele Menschen unerschwinglich. Dazu kommt jetzt noch die Gefahr, dass durch die KI und Roboter unzählige Jobs verloren gehen.
Kurzweil: Wir werden tatsächlich ein großes Problem bekommen. Wir müssen all die Leute, die ihren Job verlieren, motiviert halten. Wir müssen ihnen das Gefühl geben, dass sie weiterhin einen Wert als Mensch haben. Ich gehe davon aus, dass irgendwann alle Menschen ihr Handy gegen ein KI-Implantat austauschen werden. Denn die werden so günstig sein, dass sich das jeder wird leisten können.
ZEIT: Weil sie sonst von einer KI-getriebenen Gesellschaft einfach komplett abgehängt sind?
Kurzweil: Ich denke schon.
ZEIT: Ein Gegenbeispiel: Der technische Fortschritt hat es ermöglicht, dass wir in der Covid-Pandemie innerhalb kürzester Zeit einen Impfstoff hatten. Dennoch haben viele Menschen diesem Impfstoff nicht vertraut und sich nicht impfen lassen. Wie wollen Sie diese Menschen dazu bringen, sich ein Implantat einsetzen zu lassen?
Kurzweil: Die Leute werden das irgendwann aus reiner Bequemlichkeit tun.
ZEIT: Oder sie werden Chipfabriken anzünden, so wie sie Tesla-Autos und Tesla-Fabriken angezündet haben, aus Protest gegen Elon Musk.
Kurzweil: Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich glaube auch, dass wir vor großen Herausforderungen stehen. Ich gehe zum Beispiel davon aus, dass die KI in kürzester Zeit ganze Branchen in weiten Teilen überflüssig machen wird. Die Versicherungsbranche, die Banken, ich könnte da noch einiges aufzählen. Ich fürchte, diese Welle wird uns ziemlich unvorbereitet treffen. Es wird schnell zu einer hohen Arbeitslosigkeit kommen. Möglicherweise führt das zu sozialen Unruhen.
Das Ende der Arbeit wurde schon vor längerer Zeit vorausgesagt. 1995 prognostizierte der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin, die digitale Revolution werde Millionen von Arbeitsplätzen zerstören. Die Menschen müssten sich an einen ganz neuen Arbeitsmarkt gewöhnen, einen, der hauptsächlich aus gemeinnütziger Arbeit bestehe. Die meisten Experten widersprachen Rifkin damals. Er sei zu pessimistisch, schrieben sie, Technologie vernichte zwar Jobs, erschaffe aber auch neue Berufe. Ein Ende der Arbeit werde daher nie kommen. Und tatsächlich haben sich die Arbeitsmärkte bislang lediglich verschoben, so als würde man eine Decke im Park immer wieder aus dem Schatten in die Sonne ziehen. Die Frage ist, ob das auch weiterhin so sein wird.
ZEIT: Manche KI-Forscher glauben, dass durch die KI nicht nur einige, sondern fast alle Menschen ihre Jobs verlieren werden. Wie sehen Sie das?
Kurzweil: Wir kennen das aus früheren industriellen Revolutionen: Man kann nur schwer vorhersagen, welche neuen Arbeitsfelder nach den Umwälzungen entstehen werden. Aber ich denke, sie werden entstehen. Bis das erkennbar wird, wäre ein Grundeinkommen hilfreich, vielleicht nur für eine bestimmte Übergangszeit. Wir müssen das Gefühl verbreiten, dass wir diese Revolution steuern.
ZEIT: Es bleibt das Motivationsproblem. Glauben Sie, dass ein Automechaniker, eine Bankerin oder eine Werbegrafikerin glücklich mit einem Grundeinkommen sind?
Kurzweil: Wenn man sich die Geschichte ansieht, dann hat der Reichtum auf der ganzen Welt stetig zugenommen, der Grund dafür ist die Technologie. Die Entwicklung der Computerleistung ist in einer steilen Kurve angestiegen. Der Zweite Weltkrieg? Keine Auswirkung. Der Ölschock? Keine Auswirkung. Die Finanzkrise? Keine Auswirkung. So eine Entwicklung kann man nicht aufhalten.
ZEIT: Die Herstellung von KI-Implantaten, einer KI wie ChatGPT oder einer KI, die in der Rüstungsindustrie eingesetzt wird, sollte gewissen ethisch-moralischen und auch juristischen Richtlinien folgen. Kann unsere eher langsam arbeitende Demokratie eine Technologie, die so leistungsfähig und so schnell ist, überhaupt kontrollieren?
Kurzweil: Das Beste, was man mit der KI tun kann, ist, sie von großen Unternehmen entwickeln zu lassen. Denn die sind motiviert, Fehler zu vermeiden, für die sie haften müssten.
„Die Weiterentwicklung der KI ist ein weltweiter Wettbewerb“
Ray Kurzweil: Peter Thiel, Investor bei Firmen, die künstliche Intelligenz entwickeln
Peter Thiel, Investor bei Firmen, die künstliche Intelligenz entwickeln © Getty Images
ZEIT: Sie wollen also, dass sich Unternehmen in einer solch wichtigen Frage selbst regulieren? Was KI-gesteuerte Waffen tun können und was nicht?
Kurzweil: Ich glaube, dass wir keine andere Wahl haben. Die Weiterentwicklung der KI ist ein weltweiter Wettbewerb, wenn wir da nicht mitmachen, machen es andere Länder.
ZEIT: China zum Beispiel?
Kurzweil: Ja. Es gab in den USA den Vorschlag, die KI-Entwicklung sechs Monate lang zu stoppen. Aber nach sechs Monaten wären Unternehmen wie Microsoft und Google raus aus dem Geschäft.
ZEIT: Eine Person, die Sie offenbar stark beeinflusst haben, ist der Investor und Trump-Unterstützer Peter Thiel.
Kurzweil: Ich habe früher viel mit ihm gesprochen.
ZEIT: Peter Thiel glaubt, dass die Demokratie uns bremst, weil ihre Prozesse zu komplex sind und sie zu viel Konformität erzeugt.
Kurzweil: Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Ansichten, und es ist schwer zu sagen, welche richtig und welche falsch sind. Ich glaube an eine demokratische Regierungsform. Ich denke, dass unsere Demokratie trotz aller Bedenken stark bleiben wird.
ZEIT: Warum glauben Sie das?
Kurzweil: Wir haben es zum Beispiel geschafft, die Sklaverei zu beenden. Der Prozess war manchmal langwierig. Aber wir haben es geschafft. Und denken Sie daran, was die Technologie uns alles bringen wird. In fünf Jahren werden Städte wie New York oder Berlin ihren Stromverbrauch theoretisch allein mit Sonnenenergie decken können. Die Technik wird da sein, und die Kosten für Solaranlagen werden so niedrig sein, dass es rein betriebswirtschaftlich keine Alternative mehr gibt. Die großen Energiekonzerne werden allerdings noch etwas länger für die Umstellung brauchen.
Ray Kurzweil will sich seine Zuversicht durch nichts nehmen lassen. Er ist der Prophet, nicht der Zweifler. Um ein Bild zu bemühen: Er baut den Wolkenkratzer bis zum Mond. Der einzige Einwand, den er zulässt, lautet: Brauchen wir vielleicht doch ein paar zusätzliche Stahlträger?
ZEIT: Sie waren im Podcast von Joe Rogan, dem meistgehörten Podcast der Welt. Rogan hat Sie gefragt, ob es in Zukunft vorstellbar sei, dass es KI-Kopien von Donald Trump geben könnte, also Chatbots, die mit allen verfügbaren Informationen über Trump gefüttert werden und genauso agieren, sprechen, quasi denken wie er.
Kurzweil: Das ist absolut machbar.
ZEIT: Kann die KI am Ende nicht zu einer elitären Sache verkommen? Reiche Menschen produzieren Kopien von sich selbst.
Kurzweil: Nein, nein, so eine Kopie ist nicht wirklich teuer. Für ein paar Hundert Dollar ist das möglich. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe eine Kopie meines Vaters erstellt, der war Komponist und ist früh gestorben. Ich habe alles von ihm aufgehoben.
ZEIT: Und wie hat man sich die Vater-Kopie vorzustellen?
Kurzweil: Ich kann mit ihm jetzt reden, als wäre er noch lebendig. Auf die Fragen, die ich in die KI tippe, erhalte ich Antworten, die genau wie mein Vater klingen.
ZEIT: Wenn Sie ihn fragen würden, was er von KI hält, was würde er sagen?
Kurzweil: Er mochte keine Maschinen. Er sagte immer, Maschinen machen die Menschen klein.