• Dieser Zaun stoppt niemanden - weil keiner kommt

    In der Flüchtlingskrise baute Österreich eine Sperranlage an der Grenze zu Slowenien. Drei Jahre später laufen noch immer Soldaten Streife an diesem Zaun. Die Zahl der ertappten Migranten: überschaubar.

    Man könnte das Gras wachsen hören, in der Geister-Zeltstadt von #Spielfeld an Österreichs Südgrenze zu Slowenien. Totenstill ist es in den Riesenzelten für Tausende Menschen, die seit drei Jahren hier stehen, leerstehen.

    Grashalme sprießen durch die Ritzen im Asphalt unter einem Zeltdach. Die Holzplankenböden mit Hunderten Liegen wurden längst abgebaut. Wie auch die elektronischen Anzeigetafeln, die einst den Weg zum nächsten Dixi-Klo wiesen. In den blauen Containerbüros neben den Zelten und meterhohen Sperrgittern lagern kaum benutzte Computer und Fingerabdruckscanner. Denn der erwartete Ansturm der Migranten ist bisher ausgeblieben.

    Die sattgrünen Hänge hoch, am Graßnitzberg über Spielfeld, ragen rostende Pfosten aus der Erde. Hier auf Holger Hagens Weingut wollte der Staat Österreich ein Stück Grenzzaun befestigen. Der Winzer jedoch wollte das nicht. Und so kommen seither Abend für Abend junge Wehrpflichtige zur Lücke im Zaun, zur Nachtwache. Sie bauen olivgrüne Zelte auf und machen Feuer, tratschen und rauchen, frieren und wachen. Bloß Migranten tauchen keine auf. Nicht ein einziger.

    Das war einmal anders: Im Oktober 2015 stand das 1000-Einwohner-Örtchen Spielfeld im Zentrum der Flüchtlingskrise - als Durchgangsstation für Zehntausende Migranten auf ihrem Weg über die Balkanroute ins „Gelobte Land“: Merkels Bundesrepublik. Menschen aus dem Treck durchbrachen Absperrungen, passierten teils unregistriert die Grenze. Eisenbahnstrecken und Straßen mussten gesperrt werden, einige Migranten verließen das provisorische Flüchtlingslager, campierten im Freien und verbrannten Klamotten, weil ihnen so kalt war. Gerüchte über Plünderungen gingen um in Spielfeld; keines erwies sich als wahr.

    Man müsse nun „so rasch wie möglich an einer Festung Europa bauen“, forderte Österreichs damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner von der konservativen ÖVP. Und die rot-schwarze Wiener Regierung rüstete auf. Sie ließ am Übergang Spielfeld eine zentrale Kontrollstelle errichten: das sogenannte Grenzmanagementsystem mit Gittern, Zelten, Containern, Scannern. Links und rechts neben der Station rammten Arbeiter und Soldaten Pfosten in die Erde. Und befestigten einen Grenzzaun aus Maschendraht: mindestens 2,50 Meter hoch, fast fünf Kilometer lang, quer über die Hügel und Weinberge.

    Der Zaun von Spielfeld sollte die Migranten kanalisieren. Verhindern, dass sie über die grüne Grenze kommen, sie zur Kontrollstelle zwingen. Er war ein Novum: die erste Sperranlage zwischen zwei EU-Staaten, die zum Schengenraum ohne Binnengrenzen gehören.

    „Der Zaun, der passt schon so“

    Aber als der Zaun Anfang Februar 2016 einsatzbereit war, da war er de facto schon wieder überflüssig. Denn es kamen kaum noch Flüchtlinge. Das Innenministerium in Wien räumte auf SPIEGEL-Anfrage ein: „Am Grenzzaun Spielfeld wurden keine illegal Einreisenden aufgegriffen.“

    Trotzdem sagt Reinhold Höflechner: „Der Zaun, der passt schon so“. Der Bürgermeister der Gemeinde Straß, zu der Spielfeld gehört, glaubt: „Er schreckt Schlepper ab.“ Und: „Gerade entwickelt sich eine neue Route über den Balkan. Da sind Tausende unterwegs, die könnten bei uns von der Tür stehen.“ Höflechner ist ÖVP-Mitglied, wie Mikl-Leitner und der jetzige Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dessen Regierung hält fest an der Sperranlage: „Die Infrastruktur beim Grenzmanagement in Spielfeld wird aufgrund der aktuellen Lageentwicklungen entlang der Balkanrouten derzeit nicht abgebaut“, schreibt das Innenministerium. Geführt wird es von Herbert Kickl von der rechten FPÖ.

    Und so steht der Drahtzaun noch immer da. Er durchschneidet die Landschaft, trennt Nachbarn und zwei befreundete Staaten mitten in Europa voneinander. Vielen auf dem Graßnitzberg missfällt das. „A Bledsinn is’ des“, sagt eine ältere Weinbäuerin. „An Zaun hat’s net amal beim Tito ’gebn.“ Selbst in dunkelsten Phasen des Kalten Krieges verzichteten die Grenzwächter des sozialistischen Jugoslawien auf einen Eisernen Vorhang.

    2018 laufen hier österreichische Soldaten Streife. An diesem Morgen gehen ein älterer und ein junger Uniformierter den Grenzpanoramaweg ab, wo für Wanderer einige Tore im Zaun offen stehen. Migranten habe man keine gesehen, bloß Touristen, sagt der Ältere. Im Süden nichts Neues.

    Der kleine Grenzübergang an der Landstraße beim Graßnitzberg, den die beiden Soldaten hüten sollen, ist während der Patrouillengänge unbewacht. Dann können Autos völlig unkontrolliert hinein nach Österreich. Wie auch mittags, wenn die Wächter zum Essen fahren.

    „Die Politiker wollten diesen Zaun, damit sich bestimmte Wählergruppen sicher fühlen“, sagt Winzer Holger Hagen. „Aber was bringt eine Grenze, wenn halbmotivierte Soldaten im Wachhäuschen herumsitzen und sogar Lieferwägen mit verdunkelten Scheiben durchwinken, wenn die ein österreichisches Kennzeichen haben?“ Seine rumänischen Mitarbeiter oder andere Grenzgänger mit osteuropäischen Autonummern würden öfter gestoppt, erzählt Hagen. Wohl dem Schlepper, der das richtige Nummernschild hat.

    Der Zaun ist an mehreren Stellen nicht ganz dicht. Auch auf den Grundstücken des steirischen Naturschutzbundes sowie des Anwohners Helmut Strobl klaffen Lücken. „In einem Europa, das immer freizügiger wurde, nun wieder Grenzen zu schließen, ist traurig“, sagt Strobl, der einst selbst für die ÖVP Politik machte. „So entfremden wir uns von unseren slowenischen Nachbarn.“

    Teurer Spaß für die Steuerzahler

    „Diese Maßnahme ist nicht gerechtfertigt und unverhältnismäßig“, erklärt das slowenische Innenministerium. Es gebe heute kaum illegale Migration von Slowenien nach Österreich, und Österreichs innere Sicherheit sei erst recht nicht gefährdet.

    Rund 160 Kilometer grüne Grenze zu Slowenien werden bis heute vom österreichischen Militär überwacht: mit Fußstreifen, motorisierten Patrouillen und Wärmebildkameras. 160 bis 170 Soldaten sind laut FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek im sogenannten Assistenzeinsatz. Die Kosten für den Einsatz betragen rund 20 Millionen Euro pro Halbjahr, und in den ersten sechs Monaten 2018 wurden genau zehn illegale Einreisende aufgespürt. Macht zwei Millionen Euro pro Kopf.

    Spielfeld ist ein teurer Spaß für die Steuerzahler. Den Zaun mietete die Landespolizeidirektion zuerst für rund 331.000 Euro - um ihn dann dem Hersteller für 168.000 Euro abzukaufen. Rund 3 Millionen Euro verschlang laut Innenministerium der Aufbau des gesamten „Grenzmanagementsystems“. Laufende Kosten: etwa 1,7 Millionen pro Jahr.

    Im Juni war zumindest einen Tag lang mal richtig was los an der Kontrollstelle - wegen Kickl und Kunasek. Unter dem Motto „Pro Borders“ beorderten die FPÖ-Minister rund 500 Polizisten, 200 Soldaten und Männer der Spezialtruppe „Puma“ nach Spielfeld, um den Stopp von Migranten zu simulieren. Die Eindringlinge wurden von Polizeischülern dargestellt, die am Maschendraht rüttelten und so taten, als ob sie über die Grenze kommen wollten. Ein Panzer rollte an, Hubschrauber stiegen in die Luft, Hunde bellten. Und die Grenzschützer taten so, als würden sie die Migranten stoppen, registrieren und teils wieder nach Slowenien abschieben.

    Ehrengäste applaudierten, TV-Kameras filmten - und Kickl sprach in die Mikrofone: „Diese Übung soll ein ganz klares Signal in die Welt hinaus senden und zeigen, dass unsere Abwehr funktioniert.“ Später fanden Journalisten heraus: Das Manöver kostete über eine halbe Million Euro Steuergeld.

    Nicht ein einziger Migrant an der Sperranlage gefasst

    Sloweniens Regierung hat es vergrätzt. „Die Darstellung von Massenankünften illegaler Migranten von slowenischer auf die österreichische Seite wird unvermeidlich einen sehr negativen Effekt in Slowenien haben“, hatte sie schon zur Ankündigung erklärt. Die Übung helfe keinesfalls den Beziehungen der beiden Länder und der gemeinsamen Arbeit in der Flüchtlingspolitik. Und die minimale Zahl der Zurückweisungen von Österreich - 39 im gesamten Jahr 2017 - zeige: Slowenien hat seine Schengen-Außengrenze zu Kroatien im Griff.

    Nun ist es wieder einsam in Spielfelds Geister-Zeltstadt. Doch im Winter wird sich etwas rühren: die Motoren der hier aufgestellten Heizgeräte. Denn wenn es kalt ist, müssen die leeren Zelte beheizt werden, erzählt ein Polizeisprecher: „Weil sonst das Material kaputt gehen würde.“

    http://www.spiegel.de/politik/ausland/oesterreich-grenzzaun-kostet-millionen-nur-fluechtlinge-kommen-nicht-a-12405

    Localisation de Spielfeld (#Autriche) :

    #efficacité #inutilité #asile #migrations #réfugiés #Autriche #frontières #fermeture_des_frontières #Slovénie #frontière_sud-alpine (même si en réalité la Slovénie fait partie des Alpes... à voir comment penser ce territoire) #grillages #grillage #barrières_frontalières

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    Autour du #prix et du #coût :

    Spielfeld ist ein teurer Spaß für die Steuerzahler. Den Zaun mietete die Landespolizeidirektion zuerst für rund 331.000 Euro - um ihn dann dem Hersteller für 168.000 Euro abzukaufen. Rund 3 Millionen Euro verschlang laut Innenministerium der Aufbau des gesamten „Grenzmanagementsystems“. Laufende Kosten: etwa 1,7 Millionen pro Jahr.

    Petit résumé sur twitter par @twentyone_miles :

    It costs Austria over €3 million per month to police the border with Slovenia. In the first half of 2018, Austrian soldiers picked up 10 refugees at this border

    https://twitter.com/twentyone_miles/status/1069742294478270469