• Kita-Sterben? Prenzlauer Berg hat zu viele Kita-Plätze – wie kann das sein?
    https://www.berliner-zeitung.de/news/kita-sterben-prenzlauer-berg-hat-zu-viele-kita-plaetze-li.2192322

    Die Gentrifizierung hat mit ihrer Eigentumswohnungisierung die soziale und Altersmischung des Stadtteils zerstört. Wo früher immer wieder neue junge Familien in die großen Mietwohnungen einzogen, bleiben die Alten heute bis zum Tod in ihrer Eigentumswohnung, dem Lebensprojekt.

    Eine unfähige städtische Schulplanung hatte bereits in den Neunzigern zu einem Angebotsmangel an Kindergarten- und Schulplätzen geführt, der von privaten Trägern im Kitabereich aufgefangen wurde. Die leiden nun an den absehbaren Überkapazitäten. Kapitalismus eben, das organisierte Chaos.

    29.2.2024 von Jule Damaske - In Prenzlauer Berg sind Hunderte Kitaplätze nicht besetzt. Einrichtungen sind sogar offen für Familien aus Brandenburg. Warum ist das so?

    Über Jahre hieß es, in Berlin gebe es zu wenig Kitaplätze. Doch in Prenzlauer Berg sind einem Bericht der Prenzlauer Berg Nachrichten zufolge aktuell rund 800 Plätze nicht belegt. „Das ist fast jeder zehnte von insgesamt 9565 Plätzen, die für 9625 anspruchsberechtigte Kinder zur Verfügung stehen“, heißt es dort. Vor zehn Jahren kämen auf 8700 Plätze noch 10.655 Kinder. Wie kann das sein?

    Schon in den 1990er Jahren wurden in Prenzlauer Berg Schulen geschlossen, weil dafür die Kinder fehlten. Zehn Jahre später kehrte sich das wieder um. Grund dafür ist dem Bericht zufolge die weniger starke Altersdurchmischung im Bezirk. Dadurch komme es zu Schwankungen im Bedarf, nicht nur bei Kitas und Schulen, sondern auch bei Altenheimen.

    Die Kindergärten Nordost in Prenzlauer Berg betreiben den Angaben zufolge 15 Kitas. Von den etwa 1900 Kitaplätzen seien zurzeit rund 300 nicht belegt. „Mittelfristig wäre auch eine Schließung von Einrichtungen, die etwa unsere baulichen und damit pädagogischen Standards nicht mehr gänzlich erfüllen, zu überprüfen“, sagt Sprecherin Judith Frenz den Prenzlauer Berg Nachrichten. Doch nicht nur die sinkende Nachfrage sei dafür verantwortlich, auch der Personalmangel trage dazu bei. Ohne Erzieherinnen und Erzieher könnten nicht alle vorgesehenen Plätze auch wirklich angeboten werden.

    Pankower Kitas offen für Familien aus anderen Berliner Bezirken und Brandenburg

    In den Einrichtungen werde deshalb ein wirtschaftlicher Verlust befürchtet. Vom großen Kita-Sterben sei der Bezirk jedoch noch weit entfernt. Aktuell würden Räume in den Einrichtungen umgebaut oder das pädagogische Profil geschärft, um so im Konkurrenzkampf um Kinder herauszustechen. Selbst kleine Kitas, die jahrelang bewusst auf Werbung verzichteten, sähen sich nun gezwungen Plakate aufzuhängen oder auf Instagram zu posten, um Nachfolger zu gewinnen.
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    Mittlerweile ist der Bezirk sogar offen für Familien aus anderen Bezirken und aus Brandenburg, sagt Pankows Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD) dem Artikel zufolge. Das Pankower Jugendamt helfe dabei, suchende Eltern und Kitas mit Plätzen zusammenzubringen. Doch nicht jede Familie fände automatisch einen Platz in ihrer Wunschkita. Insbesondere Eltern mit Spätschicht oder Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf müssten in vielen Fällen länger suchen.

    #Berlin #Prenzlauer_Berg #Kindergarten #Pädagogik #Stadtentwicklung #Verwaltung #Immobilien #Soziologie

  • Berlin: Auf dem ehemaligen Flughafen Tegel könnten 25.000 Wohnungen entstehen – ein Plädoyer
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/berlin-auf-dem-ehemaligen-flughafen-tegel-koennten-25000-wohnungen-

    Die Idee liegt in der Luft, und endlich greift sie einer auf. Einen einzigen Mangel hat der Artikel : Öffentlichen Nahverkehr kennt er nur als Bus und Bahn.

    Taxis werden aber genauso gebraucht, um Gehbehinderte und Reisende mit schwerem Gepäck direkt vor der Haustür aufzunehmen. Auch für die kleinen studentischen Umzüge mit einem oder zwei Kubikmetern Zeug sind Taxis das effektivste und umweltschonendste Beförderungsmittel. Vielleicht wird es in der TXL-Neustadt die ersten autonomen, selbstfahrenden Taxis Berlins geben. Das riesige Gelände wäre ideal dafür.

    Die Möglickeit, mit PKW und Kleinbussen an jeder Haustür vorzufahren, gehört deshalb auch in jedes grüne Stadtkonzept.

    25.11.2023 von Andreas Barz - Der stillgelegte Airport im Norden Berlins bietet Platz für sehr viel mehr Häuser als bislang geplant. Die Umsetzung ist ein Muss in Zeiten enormen Wohnraummangels. Ein Plädoyer.

    Wohnen heißt – nach Martin Heidegger – bleiben. Doch bleiben setzt voraus, dass man auch kommen kann. Die Arbeitsgruppe für den Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 geht aktuell von rund 400.000 Neuberlinern bis zum Jahr 2040 aus. Darin enthalten sind noch nicht Zuzüge durch weltweite politische Krisen oder Klimakatastrophen.

    Machen wir uns nichts vor: Es wird diese Krisen geben. Schon 400.000 neue Stadtbürger benötigen rund 200.000 Wohnungen, die durch Verdichtung oder Neubau realisiert werden müssen. Nur, wo können diese 200.000 Wohnungen geschaffen werden?
    Platz für eine Wohnstadt der Zukunft

    Das Flugfeld des ehemaligen innerstädtischen Flughafens in Tegel, im Norden und Westen durch den Flughafensee und den Forst Jungfernheide, im Süden durch Kleingärten und im Osten durch die Autobahn und Kasernen begrenzt, bietet Platz für eine Wohnstadt der Zukunft – mit knapp hunderttausend Menschen.

    Der Flughafen hat eine Fläche von mehr als 500 Hektar, das entspricht fünf Quadratkilometern. Von der Gesamtfläche sind derzeit für die Tegeler Stadtheide 220 Hektar, für die Urban Tech Republic 230 Hektar und für das Schumacher Quartier rund 50 Hektar vorgesehen.

    Während im Wohnquartier 5000 Wohnungen für rund 10.000 Menschen gebaut werden sollen, könnte nach Planungen der Tegel Projekt GmbH die Fläche der Urban Tech Republic 20.000 Arbeitsplätzen Platz bieten. 2000 Studierende der Berliner Hochschule für Technik ließen sich in den denkmalgeschützten Gebäuden des ehemaligen Terminals unterbringen.

    Der städtebauliche Rahmenplan geht auf das Jahr 2014 zurück. Baurecht ist bislang für keine der Flächen geschaffen, was der Tegel Projekt GmbH zufolge vor allem auf die verspätete Inbetriebnahme des neuen Airports in Schönefeld zurückzuführen ist.

    Doch seit 2014 haben sich die Bedingungen in Berlin deutlich verändert: Die Stadt wächst – und zwar rasant. Der Wohnungssektor, einschließlich der mit dem Wachstum einhergehenden sozialen Infrastruktur, benötigt darum viele neue Bauflächen. Die Nachfrage nach Gewerbeflächen ist trotz Ausbau der digitalen Infrastruktur und eines postpandemischen Anstiegs an Homeoffice-Arbeitsplätzen ebenfalls ungebrochen hoch. Der Platzbedarf der im Wedding beheimateten Berliner Hochschule für Technik ist seit Jahren evident und soll daher nicht infrage gestellt werden.

    Mit einer Gesamtfläche von 500 Hektar stellt die ehemalige Flughafenfläche in Tegel neben dem bereits 2008 außer Betrieb genommenen Flugfeld in Tempelhof mit rund 390 Hektar die größte Entwicklungsfläche Berlins dar.

    2014 haben sich die Stadtbewohner im Rahmen eines Referendums mehrheitlich für die Nichtbebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof entschieden und damit auf Jahrzehnte einer baulichen Nutzung eine Absage erteilt. Dem Tempelhofer Feld kommt daher künftig vor allem eine klimaregulierende Aufgabe zu. Teile des Flugfelds könnten als Ausgleichs- und Ersatzfläche umgestaltet werden und so die in Tegel geplante Stadtheide entbehrlich machen.

    Statt eine Überprüfung der stadtentwicklungspolitischen Leitlinien voranzutreiben, verliert sich die Planung für die Nachnutzung des Flughafens Tegel aber im Klein-Klein und soll das überholte Planungskonzept aus dem Jahr 2014 unbedingt an den Start bringen.

    Die Bedarfe der wachsenden Stadt, die Wohnstadt oder auch die gemischte europäische Stadt werden für diese größte Berliner Entwicklungsfläche nicht in den Blick genommen, und so wirkt der Masterplan für die 500 Hektar wie aus der Zeit gefallen oder wie eine Lehrseite der Charta von Athen, die 1933 die Stadt in funktionsgetrennte Zonen unterteilte.

    Hier das Wohnen, dort das Arbeiten und möglichst in den Zentren Kultur und Verwaltung. Ähnlich sieht auch die Planung für Tegel aus: Das alte Terminal besetzt die Berliner Hochschule für Technik, drum herum gruppiert sich die Urban Tech Republic, am Rand wird das Schumacher Quartier als Wohngebiet errichtet und im Norden – zum Flughafensee und zur Jungfernheide – gruppieren sich die durch die Flugnutzung kontaminierten Ausgleichs- und Ersatzflächen.

    Auch die aktuelle Verkehrsplanung hinkt den Bedarfen und den Erfordernissen einer modernen klimaneutralen europäischen Stadt hinterher und setzt vor allem auf die Anbindung des Quartiers per Straße. Vage bleiben die Formulierungen zum Ausbau des Straßenbahnnetzes, die in diesem Teil der Stadt nicht vorkommt und erst umständlich an das Straßenbahnnetz im Ortsteil Mitte angebunden werden müsste, was erfahrungsgemäß lange dauert und auf massiven Widerstand stoßen wird.

    Vorbild für die weitere Entwicklung sollten die neuen Stadtquartiere in Wien oder in Kopenhagen sein, in denen Schnellbahnen die Pioniere der Entwicklung waren. Auf dem Flugfeld Aspern in Wien, das für 45.000 Menschen als Wohn- und Arbeitsort völlig neu entwickelt wird, war als Erstes die U-Bahn fertig und brachte zunächst die Bauarbeiter in das Quartier. Auch für Tegel könnte dies so sein, wenn der Senat sich entschließen würde, die alte U-Bahnplanung für den Anschluss des Flughafens aus den 1960er-/70er-Jahren wiederaufzunehmen und die vorhandenen Tunnel am Knotenpunkt Jungfernheide zu nutzen und zum Flugfeld zu verlängern.

    Die U-Bahn sollte dann nicht auf dem Tegeler Flugfeld enden, sondern gleich zur benachbarte Insel Gartenfeld – ebenfalls ein städtisches Entwicklungsgebiet – und später weiter durch die nördlichen Spandauer Wohngebiete bis hin in das hoch verdichtete Umland verlängert werden. Anders als im Märkischen Viertel, das bis heute immer noch nicht an das Schnellbahnnetz angebunden ist, oder die noch im Bau befindliche Europacity nördlich des Hauptbahnhofs, könnte Berlin in Tegel der Mobilitätswende und der damit einhergehenden Attraktivierung des Nahverkehrs einen völlig neuen Schub verleihen.

    Eine grundlegende Überarbeitung der Planung für das Flugfeld in Tegel könnte zudem stark umstrittene Projekte an anderer Stelle – wie auf der Elisabethaue oder Am Sandhaus in Buch – ausgleichen helfen und damit auch zur Befriedung der stark gespaltenen Stadtgesellschaft beitragen.

    Mit einem klugen Mobilitätskonzept, mit Hochschule und Gewerbe, mit Parks und Gärten, mit einer sozialen Infrastruktur, die alle begeistert, könnte hier die gemischte europäische Stadt der Zukunft entstehen. Allerdings braucht es hierfür Mut. Mut der öffentlichen Verwaltung und Politik, die Weichen richtig zu stellen, Mut der Wohnungswirtschaft, ein Gemeinschaftsprojekt auch gemeinsam zu stemmen und nicht in Hinterzimmern auszuhandeln, und Mut der Stadtgesellschaftt, auch mal für etwas und nicht immer gegen etwas zu sein.
    25.000 Wohnungen möglich

    Nimmt man die weit vorangeschrittene städtebauliche Umsetzung der Europacity an der Heidestraße mit ihren 61 Hektar für rund 3000 Wohnungen und 16.500 neue Arbeitsplätze als Blaupause, ließen sich auf dem mehr als achtmal so großen Areal in Tegel rund 25.000 Wohnungen und circa 135.000 Arbeitsplätze realisieren. Zieht man die Kritik der ehemaligen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher an der Europacity hinsichtlich der städtebaulichen Dichte und baulichen Höhe in Betracht, ließen sich in Tegel weitaus mehr Wohnungen realisieren.

    Bislang plant die Tegel Projekt GmbH neben einigen Hochpunkten im Schumacher-Quartier nur vier- bis sechsgeschossige Wohngebäude. Das widerspricht allen parteiübergreifenden Bekenntnissen der vergangenen Jahre zu mehr Höhe und Dichte. Und es passt auch nicht zur Klage über einen Mangel an verfügbarer Baufläche, wenn ein solches Gelände quasi vorstädtisch bebaut und damit Potenzial verschenkt wird.

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    Auch die stark durchgrünte Gropiusstadt oder der Wohnpark Alt-Erlaa in Wien mit seinen grünen Terrassenhäusern könnten als positive Vorbilder für das Neudenken von Tegel herangezogen werden. Zudem haben die im Bündnis junger Genossenschaften organisierten Genossenschaften eine Modellplanung für ein durchmischtes Stadtquartier für rund 2500 Menschen vorgeschlagen und 2022 der Öffentlichkeit präsentiert.

    Gemeinsam mit den Genossenschaften sollen kommunale Wohnungsunternehmen 90 Prozent der geplanten Wohnungen in Tegel realisieren. Landesunternehmen, Genossenschaften, Tegel Projekt GmbH, der Bund und die Berliner Stadtentwicklungs- und Verkehrsverwaltung sollten daher im Rahmen einer gemeinsamen Tegel-Konferenz für eine Überarbeitung des Masterplans zusammenkommen und die Weichen für Berlins größte städtebauliche Entwicklungsmaßnahme stellen. Parallel hierzu könnten die umstrittenen Vorhaben im Bezirk Pankow oder die immer wieder neu entfachte Debatte über die Randbebauung des Tempelhofer Flugfeldes ein für alle Mal zu den Akten gelegt werden.

    Der Wohnpark Alt-Erlaa in Wien

    Der Wohnpark Alt-Erlaa in WienVolker Preußer/imago
    Nachsatz zur aktuellen Wohnungsbaudebatte in Berlin

    Die Regierungen in Bund und Ländern haben das Wohnen zu der sozialen Frage des 21. Jahrhunderts erklärt. Auch um Schieflagen durch den seit Jahrzehnten abnehmenden Bestand von Sozialwohnungen zu beseitigen. Das kann nur durch einen massiven Wohnungsneubau gelingen. Gleichzeitig ächzen unsere Städte unter den Auswirkungen des Klimawandels und müssen in großer Geschwindigkeit umgebaut werden. Das betrifft auf kurze Sicht den Umbau der Städte zu Schwammstädten, den Ausbau des Baumbestands zur Regulierung des Stadtklimas sowie einen Stopp der Neuversiegelung des Bodens.

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    Eine solche Null bei der Neuversiegelung wird jedoch nur zu schaffen sein, wenn vorhandene Flächen intensiver genutzt werden – das bedeutet mehr Dichte und Höhe und vor allem den Umbau der Landesbauordnungen, die vielfach immer noch die funktionsgetrennte Stadt und die Charta von Athen zur Grundlage haben, und den Umbau ehemals für den Verkehr genutzter Flächen. Hierzu zählen die Flugfelder, Eisenbahnanlagen und auch die überdimensionierten Straßen der autogerechten Stadt.

    Eine wichtige Rolle wird auch dem Umbau der Städte und den durch die Mobilitätswende möglich gewordenen Rückbau der autogerechten Stadt des 20. Jahrhunderts zukommen. Straßenräume werden zurückgebaut, entsiegelt und bepflanzt. Parkplatzflächen oder auch reine Gewerbegebiete werden zugunsten von Mischgebieten umgebaut, auch um größere Dichten auf den jeweiligen Stadtflächen zu ermöglichen.

    Sollte Berlin zu einem anderen Entschluss gelangen und keine ausreichende Zahl neuer Wohnungen bauen und nur noch jene Teile der Stadtbevölkerung in den Fokus nehmen, die schon da sind, hätte dies fatale Folgen für all die Bereiche, die die Stadt stark machen: Die Auswirkungen auf den Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturstandort Berlin wären dramatisch, denn ohne Wohnungen kein Bleiben und kein Kommen. Im Segment des akademischen Wohnens, aber auch im Bereich der Angebote für Senioren beobachten wir dieses Phänomen bereits heute.

    Es steht außer Frage, dass Politik und Stadtgesellschaft Regeln für das bezahlbare Wohnen und gegen Mietwucher aufstellen müssen, und selbstverständlich sollte über eine Vergemeinschaftung des Bodens als nicht vermehrbares Gut debattiert werden. Enteignungen und Zwangskollektivierung sind der falsche Weg. Die massive Unterstützung des kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsneubaus wäre vielmehr der richtige Weg. Hierzu gehören ein ausreichendes Angebot von Grundstücken und die Ausweitung der Wohnbauförderung.

    Das Flugfeld in Tegel gibt Berlin eine einmalige Chance, die Stadt der Zukunft mit den Berlinerinnen und Berlinern nicht nur zu diskutieren, sondern auch umzusetzen.

    Andreas Barz ist Vorstandsvorsitzender der Studentendorf Schlachtensee eG. und Ko-Sprecher des Bündnisses junger Genossenschaften.

    #Berlin #Tegel #TXL #Wohnen.#Stadtentwicklung #ÖPNV

  • „Tunnel des Grauens“ am ICC Berlin wird geschlossen
    https://www.berliner-zeitung.de/news/fussgaengertunnel-am-icc-berlin-wird-geschlossen-li.366612


    Unterführung zwischen ICC und Busbahnhof Berlin.Jürgen Ritter/Imago Images

    6.7.2023 von Jule Damaske - Er ist in Kinofilmen und Fernsehserien zu sehen. Nun soll der weltbekannte Fußgängertunnel nahe der Messe Berlin geschlossen werden. Das sind die Gründe.

    Kaum ein Fußgängertunnel in Berlin ist so bekannt, wie jener zwischen dem Internationalen Congress Centrum (ICC) und dem Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB). Ob in „Die Bourne Verschwörung“, „Tribute von Panem“ oder „Captain America: Civil War“: Durch die Unterführung sprangen schon Stars wie Matt Damon, Jennifer Lawrence und Robert Downey Jr. in großen Action-Filmen. Nun soll die auch als „Tunnel des Grauens“ bekannte Unterführung in Charlottenburg-Wilmersdorf geschlossen werden. Das bestätigte die Senatsverkehrsverwaltung der Berliner Zeitung.

    Der Fußgängerverkehr soll in Zukunft ausschließlich oberirdisch organisiert werden. Dafür soll die Kreuzungsanlage umgebaut werden, hieß es von der Verkehrsverwaltung auf Anfrage. Ein Zeitplan stehe noch nicht fest.

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    Klar ist jedoch, für den in den 1970er-Jahren gebauten Tunnel ist das das Ende. Bereits seit geraumer Zeit befindet er sich in einem schlechten Zustand und das, obwohl er seit einiger Zeit unter Denkmalschutz steht. Nicht selten schlafen Obdachlose in dem orangefarbenen, unterirdischen Gang.

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    Der Tagesspiegel zitiert aus einem Schreiben der Senatskanzlei, in dem die Schließung mit „bestehenden Mängeln hinsichtlich Barrierefreiheit, Brandschutz und Fußgängersicherheit“ begründet wird. Als weitere Gründe werden darin die „Verschmutzung und zunehmende Verwahrlosung“ sowie die „jährlichen Unterhaltskosten in Höhe von ca. 350.000 Euro“ aufgeführt. Auf Anfrage der Berliner Zeitung bestätigte der Senat, dass der Tunnel geschlossen werde, weil die Barrierefreiheit nicht gewährleistet ist und die Instandhaltungs- und Reinigungskosten zu hoch sind.

    #Berlin #Charlottenburg #Messedamm #Masurenallee #Neue_Kantstraße #ICC #Busbahnhof #Stadtentwicklung #Tiefbau

  • Das Übel der autogerechten Stadt: Wie Willy Brandt West-Berlin veränderte
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/das-uebel-der-autogerechten-stadt-wie-willy-brandt-west-berlin-vera

    12.6.2023 von Ansgar Hocke - Es war die weltpolitische Realität des Kalten Krieges, die ein städtebauliches Gesamtkonzept für Berlin nach 1945 verhinderte. Und so wurde Ende der 50er-Jahre im Westteil der Stadt gebuddelt, gebaut und eingeweiht. Es herrschte der bauliche „Selbstbehauptungswille“ in der schon fast geteilten und noch kriegszerstörten Stadt.

    Der legendäre Bürgermeister Ernst Reuter war Vorbild und Lehrmeister für Willy Brandt. Im Alter von 44 Jahren wählten ihn die Abgeordneten 1957 zum Regierenden Bürgermeister. Er war zur kommunalpolitischen Nüchternheit gezwungen, um die Existenz der Stadt zu sichern und eine städtebauliche Entwicklung in Gang zu setzen. Die Probleme von damals klingen heute vertraut: Unterbringung der Flüchtlinge, Preisanstieg bei den Lebensmitteln und fehlende Wohnungen sowie Schulen.

    Noch prägten 1957 die vier Sektoren das Leben in der Stadt; wobei der Ostsektor von den Sowjets abgeriegelt war und kontrolliert wurde. An den Bundestagswahlen durften sich die „Insulaner“ nicht beteiligen. Die Blockade West-Berlins lag zehn Jahre zurück, aber der Druck durch die Sowjetunion, durch den damaligen Regierungschef Nikita Chruschtschow, ließ nicht nach. Wie und woraus sollte dieses Berlin seine Zukunft schöpfen, die Industrie und die Wirtschaft voranbringen? Die Lage war beklemmend. Die Zentralen von Siemens und AEG zogen weg, viele wichtige Spitzenverbände, Industriebetriebe, vor allem die Metallbranche, übersiedelten nach Westdeutschland. Keine Frage: West-Berlin hing am Bonner Tropf; jeder Haushalt ein Kampf und Krampf.

    Die politische Spaltung der Stadt war bereits seit dem 30. November 1948 vollzogen. Die SED putschte die legale Gesamtberliner Regierung weg; diese floh ins Rathaus Schöneberg. Der Ostteil der Stadt schwang sich auf, Hauptstadt der DDR zu werden, und West-Berlin blieb nichts anderes übrig, als sich einzurichten. Bonn war inzwischen Regierungssitz geworden und Ost-Berlin verfolgte den eigenen sozialistischen Weg.

    West-Berlin baute Wohnungen, Kongressräume, Büros, aber eben auch Schneisen für die Autos. Denn 1957 hatte sich die Zahl der zugelassenen Motorfahrzeuge gegenüber 1951 bereits verdreifacht. Die Großzügigkeit von Straßen wie der Bundesallee, der Heerstraße, des Kurfürstendamms, der Joachimsthaler Straße und des Hohenzollerndamms ließ die Lust am Autofahren stetig anwachsen. Schnellstraßen und Autobahnen wurden gebaut, Straßen verbreitert. Immer mehr Bürohäuser entstanden nach und nach, zuerst rund um den Bahnhof Zoo und die Ruine der Gedächtniskirche. Die neue Randbebauung des Zoologischen Gartens stellte eine einheitliche Anlage von 400 Metern Länge dar.
    Durch den Marschallplan finanzierte Bauten

    Gebäude der Wirtschaft, Versicherungen, Geschäfte und Kaufhäuser entstanden am Kurfürstendamm und in der Tauentzienstraße. Dies waren in erster Linie lang gezogene Hochhäuser, durch den Marshallplan der USA finanzierte Bauten im „amerikanischen Stil“ wie das Hilton-Hotel, das Bikinihaus, das Telefunkenhaus sowie das Ernst-Reuter-und das Corbusier-Haus, das im Rahmen der internationalen Bauausstellung von 1957 entstanden war. Sich mit internationalem Flair im Städtebau und in der Architektur zu umgeben, war Absicht und Wunsch der brandtschen Regierung.

    Es war ein Glücksfall für den Senatschef Brandt, dass der Beginn seiner Amtszeit mit der Eröffnung der Internationalen Bauausstellung im Hansaviertel zusammenfiel, die noch unter seinem Vorgänger Otto Suhr akquiriert worden war. Die Bauten im Hansaviertel signalisierten einen Neubeginn: Berlin öffnete sich der Welt, allen Existenznöten zum Trotz.

    Bekannte internationale Architekten der Nachkriegsmoderne wie Walter Gropius, Oscar Niemeyer, Max Taut und andere lockten die Besucher an: viel Grün, viel Luft und Sonne, und alles nicht weit vom Tiergarten entfernt. Das Hansaviertel wurde ein „riesiges Ausstellungsstück“, denn die 54 Architekten aus verschiedenen Nationen der „freien Welt“ hatten sich bei den Baukosten die Zügel anlegen lassen. Sie durften nicht viel teurer bauen, als es im Rahmen des damaligen sozialen Wohnungsbaus üblich war.

    Nicht vergessen werden darf, dass bis zum Mauerbau 60.000 bis 70.000 Menschen jeden Tag aus Ost-Berlin in den Westteil kamen, um hier zu arbeiten. Der Wegfall der Arbeitskräfte konnte durch die Zuwanderung westdeutscher Arbeiter und Arbeiterinnen einigermaßen ausgeglichen werden.

    Trotz des Leitbildes einer autogerechten Stadt, das auch der SPD-Politiker Brandt teilte, war der U-Bahn-Bau eine der wichtigsten Aufgaben unter den Verkehrsprojekten in seiner Ära. Linien wurden verlängert, nach Steglitz, Mariendorf und Tegel, teilweise auch als indirekte Folge des Mauerbaus, nachdem die Ost-Berliner S-Bahn von den West-Berlinern boykottiert wurde. Der Regierende Bürgermeister hob des Öfteren die grüne Kelle, um feierlich eine Strecke freizugeben. Er nannte die U-Bahn ein Kind dieses Jahrhunderts: „jung, flink und zuverlässig“.

    Schon um 1960 herum hatte sich bei Willy Brandt die Überzeugung durchgesetzt, dass man Verkehrsprobleme nicht nur durch Straßenbau würde lösen können, sondern durch die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs. Brandt war ein Politiker, der es dank seiner rhetorischen Fähigkeiten verstand, selbst der Einweihung des Teilstücks der U-Bahn-Linie vom Kurt-Schuhmacher-Platz nach Tegel (1958) eine historische Bedeutung zu geben. So sprach er auf dem U-Bahnhof Kurt-Schuhmacher-Platz die Sätze: „In der Hoffnung, dass der Tag nun doch näher rückt, trotz all der Schwierigkeiten, die uns in der Welt umgeben, an dem hier in Berlin wieder zusammengefügt sein wird, was zusammengehört. Der Tag, wo dann wieder ein einheitliches Verkehrsnetz Realität sein wird. In dieser Hoffnung an diesen Tag gebe ich jetzt das Startsignal für den ersten planmäßigen Zug.“ Drei Jahrzehnte später, 1989, einen Tag nach dem Fall der Mauer, sollte Willy Brandt fast die gleichen Worte –„es wächst zusammen, was zusammengehört“ – wieder benutzen.
    Kultureller Glanz oder soziale Infrastruktur?

    Mit dem Bau der Mauer 1961 endete der Zuzug von Flüchtlingen aus Ostdeutschland. Die Einwohnerzahl West-Berlins sank, aber der große Exodus blieb aus. Die Ausrichtung der Stadtpolitik auf eine wiedervereinigte Hauptstadt Berlin, die Idee eines Zentrums um das Reichstagsgebäude, um die alte Mitte wieder aufleben zu lassen, diese Ausrichtung konnte nicht länger beibehalten werden. Lediglich das sogenannte City-Band vom Architekten Hans Scharoun deutete den Weg gen Mitte an: Nahe des Potsdamer Platzes schuf der Architekt die Philharmonie, später die Staatsbibliothek, um diese Repräsentativbauten wenigstens möglichst dicht in die Nähe der historischen Berliner Mitte zu rücken. Zum quirligen, lebendigen Zentrum West-Berlins entwickelte sich dieses Kulturforum aber nicht.

    Willy Brandt wollte kulturellen Glanz in seinem Berlin, und die Abgeordneten subventionierten seine Kulturpolitik für all die Maler, Literaten, Bildhauer und Schauspieler, die er nach Berlin einlud. Er setzte in seiner Amtszeit Maßstäbe, engagierte sich für den Konzertsaal der Hochschule der Künste ebenso wie für die Fertigstellung der Philharmonie und ließ es sich natürlich nicht nehmen, die neue Deutsche Oper an der Bismarckstraße zu eröffnen. Willy Brandt forcierte den Ausbau der Universitäten und der Institute, wie zum Beispiel des Max-Planck-Instituts oder des Instituts für Entwicklungspolitik. Er engagierte sich für die Berliner Festwochen, die Gründung der Film- und Fernsehakademie, für die Filmfestspiele, für den Berliner Kunstpreis.

    Doch stand die Politik im Rathaus Schöneberg in diesen Jahren stets vor dem Dilemma: Geld für Kulturbauten oder für die soziale Infrastruktur. So verzögerten zum Beispiel die Landesparlamentarier im Hauptausschuss die Mittelfreigabe für den Bau der Galerie des 20. Jahrhunderts im Tiergarten, die Neue Nationalgalerie, denn die Bezirke und Abgeordneten forderten vorrangig moderne Krankenhäuser, Universitätskliniken, eine Großmarkthalle und den Ausbau des öffentlich geförderten Wohnungsbaus. Erst sechs Jahre nach der Auftragserteilung konnte daher der Museumsbau des Architekten Ludwig Mies van der Rohe eröffnet werden.

    Willy Brandt wusste wohl, dass man für eine Stadt einen industriellen Unterbau braucht, deswegen gab es in der Berlinförderung massive Mittel für Umsatzsteuererstattung und Investitionshilfen, um Industrieansiedlungen nach Berlin zu holen, die übrigens zweifelhafter Natur waren und heftige Auseinandersetzungen zur Folge hatten; zum Beispiel die Zigarettenindustrie, die von Bremen nach Berlin verlagert wurde.

    Die Zentralen der Industrie, der Wirtschaft und des Handels boykottierten weiterhin West-Berlin. Inzwischen hatte der Wiederaufbau ungeheure Fortschritte gemacht und die enorme Bautätigkeit setzte sich fort. In der Gropiusstadt, am Falkenhagener Feld, im Märkischen Viertel entstanden nach und nach Tausende von Wohnungen. Die Befürworter dieser Siedlungen lobten den dortigen hohen Wohnkomfort, die Kritiker sahen in ihnen eintönige Betonwüsten.

    Neben den massiven Neubauten am Rande der Stadt begann ein Sanierungsprogramm in den Altbauquartieren von Kreuzberg bis Wedding. Es kam zum Kahlschlag. Rund um das Kottbusser Tor sollte zum Beispiel alles dem Erdboden gleichgemacht werden. Der Abriss der vielen Gründerzeithäuser sollte dem Ideal der autogerechten Stadt dienen. Bis in die 70er-Jahre hinein galt zum Beispiel die Devise: Straßenbahnen haben auf der Straße nichts zu suchen, denn sie stören den Autoverkehr.

    Straßenzüge wie zum Beispiel die Kreuzberger Oranienstraße sollten zu einer breiten Achse ausgebaut werden. Die Planer der Senatsbauverwaltung schienen offenbar begeistert, Autobahnen quer durch die Stadt zu bauen, die sogenannten innerstädtischen Tangenten plus Innenstadtring. Der Generalverkehrsplan, der Flächennutzungsplan mit seinen sogenannten Nord-, Süd-, West-, Ost-Tangenten war ausgerichtet auf die Zeit nach einer Wiedervereinigung.

    Mit dem Beginn der behutsamen Stadterneuerung 1982 endete diese Abriss- und Baupolitik. West-Berlin ist zwar nicht zum Manhattan geworden, aber das Leitbild beziehungsweise das Übel der autogerechten Stadt mit störungsfreiem Straßenverkehr prägt und beeinflusst nach wie vor massiv die Urbanität, die Lebensqualität und die Architektur Berlins.

    Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde.

    #Berlin #Geschichte #Stadtentwicklung #Verkehr

  • Wo einst ein Karl Marx gearbeitet hat: Union renoviert seine Geschäftsstelle
    https://www.berliner-zeitung.de/sport-leidenschaft/1-fc-union-berlin/berlin-fussball-bundesliga-forsthaus-neugestaltung-des-klubgelaende

    4.6.2023 von Andreas Baingo - Die Arbeitstische, es sind gleich mehrere, liegen voller Unterlagen. Es sind Kopien darunter von uralten Bauzeichnungen, Schreiben von Ämtern an andere Ämter sind dabei, abgefasst in einer deutschen Sprache von vorvorgestern, wieder andere Zeichnungen, eine älter als die andere, Fotos aus längst vergangenen Zeiten, alle schwarz-weiß, manche schon ein wenig vergilbt, dazu historische Einordnungen des Ganzen mit dem Blick und dem Wissen von heute.

    Derjenige, der fast allein den Durchblick bewahrt und in dem manchmal kleineren, manchmal auch größeren Durcheinander eine nahezu strenge Ordnung erkennt, ist Gerald Karpa, Archivar und Historiker des 1. FC Union Berlin in einer Person und von manchem als Sucher nach dem eisernen Gestern bezeichnet. Denn es geht immer wieder nur um einen Ort und um ein Thema: das Forsthaus, das der Bundesligist als Geschäftsstelle nutzt und nun auf Vordermann gebracht wird. Ja, im Zuge der Neugestaltung des Klubgeländes inklusive Stadionumbau ist die voraussichtlich drei Monate dauernde Renovierung des Gebäudes die erste größere Baumaßnahme. Vorübergehend sieht sich die Belegschaft deshalb zu einem Umzug in mobile, auf einem nahen Parkplatz aufgestellte Büro-Container gezwungen.
    Eine herzerwärmende Episode

    Karpa hat sich in die lange Geschichte dieses Ortes, der Mauern und Bauten, hineingelesen und hineingedacht. Er kann erzählen, wie alles einst ausgesehen und wie es sich verändert hat. Außerdem weiß er, dass dieses Gelände, das seit historisch noch gar nicht langer Zeit dem 1. FC Union Berlin gehört, etliches erlebt hat. Deshalb hat Karpa ganz viel Verständnis dafür, dass mit dem Forsthaus etwas geschehen muss, und er sagt: „Es hat ganz schön was auf dem Buckel und es hat jedes Recht, alt und gebrechlich zu sein.“
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    Andererseits hat der Vereinsarchivar viel Erbauung daran, die Geschichte ganz genau zu erforschen, Puzzleteilchen für Puzzleteilchen zusammenzufügen und daraus etwas Ganzes zu machen. Außerdem stößt Karpa ab und an auf lustige Begebenheiten und Anekdoten, die sonst verlorengehen würden. Zum Beispiel die mit Karl Marx, dem einstigen Revierförster im Revier Wuhlheide, einer von neun Revierförstereien im Forstamtsbereich Köpenick.

    „Mit Vornamen hieß er eigentlich Karl-Heinz“, sagt Karpa, „aber Karl Marx hat vor allem bei denen, die in der DDR aufgewachsen sind, einen ganz anderen Klang.“ Wohl auch deshalb, weil dieser Marx mit dem großen Philosophen aus Trier so schön zu verwechseln war, haben sie manches Mal ihren Spaß mit ihm gemacht und ihn auf den Arm genommen. Den Heinz hinter dem Karl haben sie deshalb gern mal verschluckt oder besser gleich ganz weggelassen. Auch weil er ihnen etliche Steine in den Weg gelegt und es nicht immer oder fast nie gut mit ihnen gemeint hat. Manches Mal war der Weg durch den Forst zum Stadion gesperrt, hin und wieder hatte es andere Schikanen gegeben.

    Schön und herzerwärmend ist auch folgende Episode. „Eines Tages“, erzählt Karpa, „kam ein alter Herr zu mir, Bernd Schlosser hieß er. Er wollte in seinen späten Jahren zurück an den Ort seiner Jugend. Er war im Forsthaus, die obere Etage war vermietet, geboren. Das Zimmer, in dem er 1934 zur Welt gekommen ist, wollte er noch einmal sehen.“ Fußball, so erzählte der alte Herr, habe ihn nicht so sehr interessiert, schon in seiner Kinderzeit nicht, „trotzdem sei er durch den Zaun ins Stadion geschlüpft“, sagt Karpa, „um mit den Zuschauern Zigarettenbildchen zu tauschen oder welche von ihnen abzustauben“. Auch waren im Forsthaus einst französische Kriegsgefangene, die zum Roden eingesetzt wurden, untergebracht.
    Seit 2007 als Geschäftsstelle genutzt

    Lange ist das her, eine wechselvolle Geschichte liegt über und hinter dem Areal und es hat ebenso lange gedauert, bis die Eisernen ihren Frieden mit Karl Marx geschlossen hatten. Das passierte genau dann, nachdem der 1. FC Union Berlin das Forsthaus übernommen, es auf Vordermann gebracht, bei einem Tag der offenen Tür seinen Mitgliedern vorgestellt hatte und am 12. Februar 2007 mit Mann und Maus in das historische Gebäude eingezogen ist, um es fortan als Geschäftsstelle zu nutzen.

    Trotzdem: Das Gemäuer ist in die Jahre gekommen. Es ist, kein Wunder nach all der Zeit, in der Tat gebrechlich und altersschwach. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß und muss baulich in einen Jungbrunnen getaucht werden. Modern und frisch soll es werden, luftig und hell. Noch nicht ganz ausgegoren sind die Pläne, aber Großes haben sie vor. Auch weil die Zahl der Mitarbeiter steigt und steigt und die Räumlichkeiten aus allen Nähten platzen.

    Eine neue Heimat soll es werden, dieses Machtzentrum, in dem viele gute, nahezu weise Entscheidungen getroffen wurden, die aus einem Regionalligisten einen Dritt-, Zweit- und nun Erstligisten machten und den Verein in Europa sowohl salon- als auch konkurrenzfähig werden ließen. Diese neue Heimat soll sich öffnen und den Kontakt zu Sympathisanten, Anhängern und Fans noch enger knüpfen. Wobei die Verantwortlichen die Idee, im Forsthaus mit einem Museum einen öffentlichen Ort für die Heiligtümer des Klubs zu schaffen, inzwischen wieder verworfen haben.

    Tatsache ist: So supermodern sich der Verein inzwischen aufstellt, so gut er sich unter den deutschen und mittlerweile auch internationalen Schwergewichten behauptet, so historisch angehaucht ist sein Zuhause. Das ist schön für Nostalgiker und es unterstützt das Kultige des Vereins. Nur hält es nicht mehr Schritt mit den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts und erst recht nicht mit der rasanten Entwicklung der Eisernen.
    Spuren reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück

    Es stammt, den ersten Erwähnungen und Eintragungen nach zu urteilen, aus einer Zeit, als in Europa Napoleon Bonaparte gerade besiegt war und in Preußen die Hohenzollern regierten. Die „Königliche Regierung, Abteilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten“ informierte im Juli 1912 in einem Schreiben den Amtsvorsteher von Berlin-Schöneweide wie folgt: „Baupolizeiakten der Oberförsterei sind nach Ausweis der Amts-Registratur beim Amt nicht vorhanden gewesen, da zur Zeit des Neubaus der Oberförsterei, vor ca. 100 Jahren, Bauakten wohl nicht angelegt wurden.“ Auch gibt es den lapidaren Zusatz: „Unterlagen dazu befinden sich vielleicht auf der Regierung.“ So weit zur preußischen Gründlichkeit …

    Die Spuren zurück reichen jedenfalls bis ins 18. Jahrhundert. Da kann schon mal die eine oder andere Akte abhandenkommen. Damals war die Wuhlheide einer der Waldteile, die das Schlossamt Cöpenick erworben hatte und die seit ungefähr 1700 als Schutzbezirk den Namen „Alte Scheune“ führte. Für die Betreuung war ein Landjäger-Forstbeamter zuständig, der mit den Jahren ein eigenes Dienstgehöft im Waldgebiet zugewiesen bekam, um ständig vor Ort zu sein. Es ist, wenn man so will, die Geburtsstunde der Alten Försterei. In Karten vom Ende des 18. Jahrhunderts findet sich dieses Gehöft als „Landjägerey“. Es ist an exakt der Stelle des Forsthauses eingezeichnet.

    Historisch überliefert ist weiterhin, dass die Alte Försterei als „Preußische Staatsförsterei und späteres Stadtforstamt“ 1865 erbaut worden und nun ein Teil der Oberförsterei Cöpenick sei. An eine sportliche Betätigung in unmittelbarer Nähe ist nicht gedacht und mit Fußball ist dieses neue Gebäude erst recht nicht in Verbindung zu bringen. Das dauert noch mindestens 50 Jahre und noch einmal ein halbes Jahrhundert, bis das Gelände, es umfasst gut 5000 Quadratmeter, 1951 zum Bodenrichtwert von 2 Mark pro Quadratmeter in Volkseigentum übergeht.

    Nach weiteren Jahrzehnten ist die Zeit also reif, gründlich Hand anzulegen für ein Facelifting. Gemäß dem Motto: Allet schick für die Zukunft.

    Die neue kultige Adresse der Eisernen, An der Wuhlheide 263, 12555 Berlin.

    Dieser Text ist zuerst im Eisern Magazin Nr. 7 erschienen, erhältlich im Aboshop der Berliner Zeitung (aboshop.berliner-zeitung.de), im Union-Zeughaus und natürlich am Kiosk.

    #Berlin #Teptow-Köpenick #Obetschöneide #An_der_Wuhlheide #Stadtentwicklung #Sport #Fußball

  • Neue Verkehrspolitik: Schwarz-Rot wird Berlin und vielen Menschen schaden
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kommentar-koalition-cdu-spd-neue-verkehrspolitik-schwarz-rot-wird-b

    Kann man so sehen wie Peter Neumann von der Berliner Zeitung und ist wahrscheinlich auch alles richtig, aber dieses Alles ist eben nicht ganz alles. Auf die Verkehrspolitik wirken auch andere Kräfte und Interessen ein als die im Kommentar angedeuteten.

    Vor allem lässt hoffen, dass Verkehr nicht mehr vom garnicht so grünen, in den Neunzigern stehengebliebenen Bündnis gemacht wird. Die SenUMVK-Verwaltung zeigte sich bislang derart unzugänglich, verbohrt und ignorant, dass weder gewerkschaftliche Mahnwachen noch Demonstrationen der Taxi-Unternehmerverbände sie dazu bewegen konnte, über Lage und Zukunft von Taxi in Berlin nachzudenken, geschweige denn darüber zu sprechen oder zu handeln, völlig unmöglich.

    In die Zuständigkeit der Verkehrsverwaltung und Taxiaufsicht fallen spätestens seit dem Inkrafttreten des Mindeslohngesetz auch soziale und Fragen des Arbeitsschutz und Arbeitsrechts. Dem hat sich die Verwaltung bislang immer verweigert.

    Es ist tödlich für die betroffenen Teile der Stadtgesellschaft, wenn sich die machtvolle zuständige Behörde über Jahrzehnte weigert, ihren gesetzlichen Aufgaben nachzukommen, und sich nicht um Angelegenheiten von zentraler Bedeutung für die Lebensqualität ihrer Stadt kümmert.

    Der Abstieg des Berliner Taxigewerbes vom ertragreichen Tumnelplatz intelligenter Stadtkenner zur Resterampe der Ausbeutung von Armutsrentnern und vom Schulsystem ausgekotzten Migrantenkindern ist das Ergebnis dieser Behördenignoranz.

    Vielleicht geht da jetzt etwas. Es kann eigentlich nur besser werden.

    7.4.2023 von Peter Neumann - Die Signale, die CDU und SPD in die ausgelaugten Verwaltungen senden, sind fatal. Keine Behörde wird so dumm sein, neue Projekte in Angriff zu nehmen. Ein Kommentar.

    Mit Pop-up-Radwegen wie dem provisorischen Radfahrstreifen auf dem Kottbusser Damm in Kreuzberg machten grüne Verkehrspolitiker Furore. Was ist von der neuen Koalition zu erwarten?

    Mit Pop-up-Radwegen wie dem provisorischen Radfahrstreifen auf dem Kottbusser Damm in Kreuzberg machten grüne Verkehrspolitiker Furore. Was ist von der neuen Koalition zu erwarten?Volkmar Otto

    Um es gleich vorweg zu sagen: Die neue Verkehrspolitik für Berlin wird der Stadt und vielen ihrer Menschen nicht guttun. Zarte Pflänzchen einer anderen Mobilität, die kurz vor der Blüte standen, werden gekappt. Fußgänger, Radfahrer und Nutzer des öffentlichen Verkehrs haben vom neuen Senat fast keine Fortschritte mehr zu erwarten. Zugleich wird kein einziger Autofahrer glücklicher. Berlin wird im Vergleich zu anderen großen Städten weiter zurückfallen. Ein Mehltau legt sich auf die Stadt.

    Viele Berliner werden das natürlich anders sehen. Schließlich hat die CDU bei der Wahl auch deshalb so stark zugelegt, weil die Mobilitätspolitik der Grünen zunehmend auf Antipathie stieß. Die maßlosen Übertreibungen mancher Kritiker fielen auf fruchtbaren Boden. Obwohl das Auto unverändert die Berliner Straßen dominiert, lösen selbst kurze neue Busspuren und Radfahrstreifen Beißreflexe aus. Obwohl die Sperrung der Friedrichstraße gerade mal einen 500 Meter langen Abschnitt betrifft, fantasieren Beobachter die Verelendung des gesamten historischen Stadtzentrums herbei. Wie über die Mobilität und ihre Zukunft diskutiert wird, ist zuweilen unterirdisch.

    Aber auch Verfechter einer Mobilitätswende haben nicht immer glücklich agiert. Einige von ihnen entwarfen mit jakobinischem Furor eine autofreie Innenstadt, in der in steinzeitkommunistischer Manier nur wenige private Pkw-Fahrten pro Jahr erlaubt wären. Mit loderndem Strafgestus forderten andere die Halbierung des Parkraums und die Vervielfachung der Parkgebühren. Sicher lässt sich manche Maßnahme wissenschaftlich begründen. Doch angesichts dessen, wie langsam die Wende in der Praxis vorangeht, wirkten die Theorien unangebracht. Und sie haben viele verschreckt.

    Platter Kulturkampf gegen das Auto führt zu nichts Gutem

    Dabei müsste bekannt sein, dass platter Kulturkampf gegen das Auto zu nichts führt – außer zu Ablehnung und Verhärtung. In Deutschland ist es nun mal so, dass er von vielen als persönlicher Angriff gewertet wird. Nicht jeder hat Lust auf volle Busse und Bahnen mit Menschen anderer sozialer Schichten, nicht jeder fühlt sich zum Radritter berufen. Mit den Boomern spürt eine große Gruppe, dass sie langsam alt wird. Wenn gestählte drahtige Radler fordern, das Auto abzuschaffen, sind Reaktionen unausweichlich.

    Trotzdem ist der Schwenk in der Mobilitätspolitik, auf den sich CDU und SPD geeinigt haben, bedenklich. So will die Koalition den ohnehin überlasteten Planern fast ein Dutzend weitere U-Bahn-Neubauvorhaben auf den Tisch legen, die, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnten baureif sein werden. Weit gediehene Straßenbahnprojekte könnten dagegen gestoppt werden, jahrelange Planerarbeit könnte im Papierkorb landen. Außer beim Auto sollen anstelle von übergeordneten Belangen lokale Partikularinteressen regieren. Wenn Anwohner Radfahrstreifen ablehnen, wird der Radweg schmaler, oder er wird gar nicht erst angelegt. Weil Anwohner in Blankenburg keine Straßenbahn wollen, droht das dort geplante Neubaugebiet ohne Schienenanbindung zu bleiben.

    Die Signale, die CDU und SPD in die ausgelaugten, falsch besetzten, überalterten Verwaltungen senden, sind jedenfalls fatal: Kein Berliner Behördenmitarbeiter wird künftig so dumm sein, neue Projekte in Angriff zu nehmen. Auch wenn die Koalition ankündigt, dass es pragmatisch und unideologisch zugehen soll, sind gerechte Neuaufteilungen des Straßenraums kaum noch zu erwarten. Die Bezirke, in denen CDU-Stadträte für die Straßen zuständig waren, weisen die Richtung: Für Radfahrer und Fußgänger ist dort so gut wie nichts passiert. So könnte es bald in ganz Berlin sein.

    #Berlin #Verkehr #Stadtentwicklung #Polituk #Verwaltung

  • So groß wie der Schlosspark: Für die TVO müsste viel Berliner Wald gefällt werden
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/berlin-verkehr-tangentiale-verbindung-ost-marzahn-koepenick-so-gros

    6.4.2023 von Peter Neumann - CDU und SPD in Berlin wollen den Straßenlückenschluss zwischen Marzahn und Köpenick vorantreiben. Doch nun heißt es, dass mehr Bäume fallen müssten als bekannt war.

    Autofahrer im Osten Berlins wünschen sich die Tangentiale Verbindung Ost, kurz TVO. Die schwarz-rote Koalition, die nun entsteht, will das Projekt vorantreiben. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich CDU und SPD dazu bekannt, dass der Bau der geplanten Straße noch in dieser Wahlperiode beginnen soll – bis 2026. Doch der Lückenschluss hat seinen Preis. Eine Waldfläche größer als der Schlosspark Biesdorf oder halb so groß wie der Zoo müsste dafür fallen – mehr als bisher erwartet. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Kristian Ronneburg hervor.

    „Nach aktuellem Planungsstand werden voraussichtlich zirka 15,8 Hektar Wald gefällt werden“, teilte Verkehrs-Staatssekretärin Meike Niedbal in der parlamentarischen Drucksache mit. So lautet der „überschlägige aktuelle Planungsstand“. In welchem Maße der Eingriff ausgeglichen und durch Neupflanzungen ersetzt werden müsse, werde derzeit ermittelt, berichtete die Grünen-Politikerin. „Der Umfang der erforderlichen naturschutzrechtlichen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bemisst sich nach dem Umfang und der Schwere der Eingriffe in Natur und Landschaft“, so Niedbal.

    Als neue Nord-Süd-Straße soll die TVO angrenzende Ortsteile wie Friedrichsfelde, Karlshorst, Biesdorf und Köpenick von Verkehr entlasten. Auf der Köpenicker Straße in Biesdorf sowie auf anderen Verbindungen, an denen Menschen wohnen, gibt es oft Stau.

    Geplant war die TVO schon zu DDR-Zeiten. Während der 1990er-Jahre kam das Vorhaben in der Senatsverwaltung in Gang. Doch weil die Pläne auf politischen Druck mehrmals geändert wurden, kam es bei dem Projekt immer wieder zu Verzögerungen. Auch stiegen die erwarteten Kosten immer weiter an. War lange von 47 Millionen Euro die Rede, wurde der Aufwand zuletzt mit 350 Millionen Euro beziffert. Der Senat erwartet werktags zwischen 22.000 und 33.000 Fahrzeuge in beiden Richtungen.
    Haltestelle für Umsteiger zur U5 und S3

    Inzwischen liegen erste Details vor. Nachdem der Lückenschluss im Osten der Stadt zwischenzeitlich nur einen Fahrstreifen pro Richtung bekommen sollte, gelten jeweils zwei Fahrstreifen für den Kraftfahrzeugverkehr wieder als gesetzt. Flankiert wird die geplante, rund 7,2 Kilometer lange Verbindung jenseits der Schallschutzwand von einem vier Meter breiten Zwei-Richtungs-Radweg und einem 2,40 Meter breiten Gehweg auf der Ostseite. Auf der TVO sollen auch Linienbusse der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) verkehren. Wo die neue Straße die U-Bahn-Linie U5 und die S-Bahn-Linie S3 kreuzt, entstehen Haltestellen zum Umsteigen.

    Es ist ein Projekt, das von einer breiten Koalition von Parteien, Verbänden und anderen Akteuren getragen wird. Erst im Januar fanden sich mehr als 20 Organisationen zusammen, um Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch Dampf zu machen. Aber auch die Grünen-Politikerin, die Ende April ihren Posten verlässt, hat sich für das Straßenbauprojekt ausgesprochen.

    „Die TVO ist das wichtigste Verkehrsprojekt für den Berliner Südosten“, bekräftigte Jochen Brückmann, Präsident des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer, im Januar. „Auf eine Entlastung vom Durchgangsverkehr warten Zehntausende Anwohner. Für eine zügige Realisierung gibt es schon seit vielen Jahren einen breiten Konsens durch alle Parteien. Unsere Forderung an die Senatsverwaltung: Sofortige Einleitung des Planfeststellungsverfahrens und schnellstmöglicher Baubeginn!“
    Zuletzt war von 14,6 Hektar Wald die Rede

    „Die Tangentiale Verbindung Ost ist überfällig“, sekundierte Robert Rückel, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Berlin. „Wirtschaftsverkehr und Bürger quälen sich durch überlastete Haupt- und ungeeignete Nebenstraßen, um im Ostteil der Stadt von Nord nach Süd zu kommen. Also brauchen wir die TVO zwingend, um Wohngebiete zu entlasten, den Verkehr für alle sicherer zu machen und Lärm und Emissionen zu verringern. Die TVO kann die großen Gewerbegebiete im Nordosten direkt mit dem Technologiestandort Adlershof und dem BER verbinden. Weitere Verzögerungen sind schlichtweg nicht zu rechtfertigen. Deshalb fordern wir einen Start des Planfeststellungsverfahrens in diesem Jahr – und zwar ohne Wenn und Aber!“

    Allerdings gibt es auch Kritik an dem Straßenbauprojekt. Wie berichtet hat der Sachverständigenbeirat Naturschutz, der die Senatsverwaltung berät, im Jahr 2020 eine ausführliche kritische Stellungnahme vorgelegt. Darin warnt das Gremium davor, dass der geplante Flächeneingriff in die besonders wertvollen Eichenwälder in der Wuhlheide „überaus schwerwiegend“ sein werde. Dabei lag den Experten zum Waldverlust offenbar noch eine geringere Zahl vor, denn damals war von 14,6 Hektar Wald die Rede, die beim Bau der Vorzugsvariante beseitigt werden müssten. „Dies wäre der höchste Waldverlust in Berlin seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Für die Variante V 1.1 hingegen würden nur 7,6 Hektar Wald in Anspruch genommen“, so der Sachverständigenrat.
    Linke-Politiker vermisst Ausbau des Berliner Außenrings

    Zitat: „Wenn mit dem Berliner Mobilitätsgesetz eine ‚Verkehrswende‘ eingeleitet werden soll, müssen umfangreiche Straßenneubauplanungen für den motorisierten Verkehr, die wie die Tangentialverbindung Ost mit erheblichen Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind, grundsätzlich noch mal auf den Prüfstand gestellt werden. Die neue TVO bietet eine großräumige Nord-Süd-Verbindung an, die zu mehr Verkehr führen wird, wodurch die Emissionen insgesamt zunehmen werden.“

    Stattdessen sollte auf dem Berliner Außenring eine neue S-Bahn-Verbindung, die Nahverkehrstangente, eingerichtet werden. „Diese ‚Schienen-TVO‘ wäre zur Verminderung der Belastungen anderer Straßen, wie zum Beispiel der Treskowallee geeignet“, so das Fachgremium.

    CDU und SPD haben offenbar kein Interesse am Ausbau von Nahverkehr in den Außenbezirken und schon gar nicht in #MaHe. Kein Satz zur Schienen-TVO, nur die Straßen-TVO soll gebaut werden. Wo bleiben die versprochenen Angebote @kaiwegner? pic.twitter.com/4ZPmQhzpFb
    — Kristian Ronneburg (@k_ronneburg) April 3, 2023

    Von der Nahverkehrs-TVO, dem Ausbau des parallelen Berliner Außenrings, ist allerdings im neuen Koalitionsvertrag nicht die Rede. „CDU und SPD haben offenbar kein Interesse am Ausbau von Nahverkehr in den Außenbezirken und schon gar nicht in Marzahn-Hellersdorf. Kein Satz zur Schienen-TVO, nur die Straßen-TVO soll gebaut werden“, kritisiert der Linke-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg bei Twitter.

    #Berlin #Stadtebtwicklung #Verkehr #Straßenbau #Treptow-Köpenick

  • Das Programm „Soziale Stadt“ soll armen Kiezen helfen – wie ist die Bilanz?
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/das-programm-soziale-stadt-laeuft-in-einigen-gebieten-in-berlin-aus

    4.4.2023 von Thomas Kilian - Die Berliner Armutskieze sind um eine Hoffnung ärmer. Bei 32 Fördergebieten von je etwa 20.000 Menschen im Rahmen des Städtebauprogramms „Sozialer Zusammenhalt“ (bis 2020: „Soziale Stadt“) läuft schrittweise die Förderung aus.

    Die Mehrzahl von ihnen wird ab nächstem Jahr verstetigt, d.h., Gebiete wie der Soldiner Kiez in Mitte, die Flughafenstraße in Neukölln, der Mehringplatz in Kreuzberg, das westliche Falkenhagener Feld in Spandau und 15 weitere Gebiete werden ab 2024 zwei Jahre lang auf das Auslaufen der Förderung vorbereitet. Die restlichen Gebiete folgen in spätestens fünf bzw. 10 Jahren.

    Das Förderprogramm war gemeinsam von der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin finanziert worden. Es flossen also zeitweise für jeden eigenen Euro zwei weitere nach Berlin, kurbelten dort die Wirtschaft an und ließen die Steuerquellen sprudeln. Insgesamt etwa 30 Millionen Euro im Jahr wurden bis 2020 zur Hälfte von der EU und zu einem Sechstel vom Bund getragen.

    Danach fiel der Zuschuss aus Europa weg und das Land Berlin übernahm zwei Drittel der Kosten, während der Bund ein Drittel beisteuerte. Lange ein gutes Geschäft für die Stadt, selbst wenn in den geförderten Projekten nicht immer alles rund lief. Nun hat nach der EU auch der Bund beschlossen, dass es nicht mehr weitergehen soll. Schließlich sollen solche Bundeszuschüsse laut Grundgesetz keinesfalls zur Dauerförderung gemacht werden.

    In der Berliner Bezirkspolitik fielen die Zuständigen aus allen Wolken, als sie Ende Februar durch Gerüchte aus der Senatsbehörde für Stadtentwicklung über diese Bundesentscheidung informiert wurden. Am 15. März bestätigte Dr. Sandra Obermeyer aus der Senatsbehörde auf einer Sondersitzung des Bezirksausschusses für „Soziale Stadt“ in Mitte die Abwicklung der Förderung, erläuterte den Beschluss des Bundes und die juristischen Hintergründe.

    Die zuständigen Bundespolitiker hatten an den Kommunalpolitikern vorbei entschieden. Scheinbar ist die Bezirkspolitik nicht sonderlich vernetzt. Den engagierten Bürgern in den sogenannten Quartiersmanagementgebieten, den Trägern der Vor-Ort-Büros, der Kommunalpolitik und dem Senat bleiben jetzt nur die Auswertung der Erfahrungen und die Rettung der besten Ideen für die Zeit nach „Soziale Stadt“.
    Die „Soziale Stadt“ weckte große Erwartungen

    Das Programm war 1999 mit großen Hoffnungen gestartet. Es hatte über die bei Städtebauprogrammen üblichen baulichen Maßnahmen wie Verkehrsberuhigungen und Ausbau von Nachbarschaftszentren hinaus zwei attraktive Ziele: Zum einen sollte die Bevölkerung ermächtigt werden, sich vermehrt selbst zu verwalten. Man sprach von Empowerment. Zum anderen wollte man das soziale Abrutschen von Gebieten mit geballter Armut verhindern. Damit weckte das Programm durchaus Erwartungen an Bürgermitbestimmung und Armutsbekämpfung, die es letztlich nicht erfüllen konnte.

    Manche Aktive aus den Kiezen klagen daher darüber, dass die betroffenen Kieze ja immer noch am unteren Ende der sozialen Leiter verblieben seien. Deshalb müsse das Programm bis zur Erfüllung seiner Ziele fortgesetzt werden. In den Kiezen ist es jedoch kaum gelungen, eine breitere Bevölkerung im Sinne des Programms zu aktivieren. Die Obrigkeit träumte nämlich vom „ganz normalen Bürger“, den es zur Selbstbestimmung zu führen gelte.

    Ein ehemaliger Quartiersmanager – wie viele seiner Zunft inzwischen vom halbprekären Sozialarbeiter mit Zeitvertrag zum Landesbeamten aufgestiegen – bekannte sich dazu, dass er mitunter exzentrische Kiezbewohner bremsen musste, um der schweigenden Mehrheit gerecht zu werden. Nur kannte er diese unbekannte Mehrheit vielleicht ebenso wenig wie die von ihm ausgebremsten Aktivisten. Aber er klopfte mit diesem Selbstverständnis eine Hierarchie zu seinen eigenen Gunsten fest. Wie das strukturkonservative Beamtentum wollte er nicht auf Augenhöhe mit der aktiven Minderheit inhaltlich verhandeln.

    Letztlich war der Einfall von „Soziale Stadt“ in die Kieze ein wohlmeinender Kolonialisierungsversuch im Auftrag eines bürgerlichen Establishments. Dieser Zivilisierungsansatz bekam erst dann etwas Entspanntes, als die imperiale Verwaltung ihren Schneid verlor, weil sie zunehmend einsah, dass ihre Rezepte nicht aufgehen. Die Forschung wusste schon seit den 1930er-Jahren einiges über funktionale Teilung von Aufgaben, verschiedene Kompetenzen und unterschiedliches Ansehen in benachteiligten Kiezen. Es ist „Soziale Stadt“ eben nicht immer gelungen, an diese geradezu dörfliche Oligarchie anzuknüpfen, weil viele professionelle Akteure diese gar nicht im Blick hatten.

    Wenn sie an vorstehenden Nägeln hängen blieben, schreckten sie eher zurück. Manchmal versuchten sie auch, den Stahl auf das allgemeine Maß zu kürzen. Bürgerorganisationen aus den Vereinigten Staaten, die an besagte Forschung anknüpfen, suchen hingegen systematisch nach potenziellen „Leadern“ und bilden sie aus. Das zentrale Partizipationsinstrument von „Soziale Stadt“, der sogenannte Quartiersrat zur Entwicklung und Vergabe von Projekten, hat ob seiner bürokratischen Funktion und seiner entsprechenden Arbeitsweise dagegen mehr Bürger verschreckt als aktiviert.

    Zumindest war es immer problematisch, seine ehrenamtlichen Mitglieder bei der Stange zu halten. „Soziale Stadt“ war ein teures und umständliches Programm. Mit einem Vor-Ort-Büro und der zuständigen Aufsicht in der Verwaltung beschäftigte jedes Gebiet an die fünf Menschen, größtenteils mit Bürokratie. Immer wieder sorgten Probleme mit Abrechnungen für Zoff. Das Gehalt dieser Menschen reichte an die in Projekten ausgegebenen Mittel heran, soweit man die Baumaßnahmen außen vor lässt.

    Umfang des Projektes war zu klein

    Die Projekte selbst hatten dabei einen Umfang, der von vornherein überhaupt keine effektive Armutsbekämpfung zuließ. Insgesamt wurden so weniger als fünf Euro pro Monat und Bewohner ausgegeben. Zwar gibt es in einigen Gebieten im Bereich des Stadtzentrums nun Aufwertungstendenzen, aber daran ist weder das Geld aus den Fördertöpfen schuld noch die angesiedelten, selbst mittellosen Künstler. Vielmehr treibt die Konkurrenz auf dem engen Wohnungsmarkt die benachteiligten Bevölkerungsteile an den Stadtrand, etwa nach Spandau oder Marzahn.

    Diese Randwanderung vollzieht sich aber nur langsam, weil angesichts der Wohnungsknappheit gerade die Ärmeren nur umziehen, wenn sie es nicht vermeiden können. Der Quartiersrat im Soldiner Kiez wollte auch etwas gegen die unzureichende Alphabetisierung an den drei Grundschulen im Gebiet unternehmen. Der Etat hätte aber höchstens für eine zusätzliche Lehrkraft für mindestens vier Dutzend Klassen genügt. Man muss dem Gremium eine gewisse Betriebsblindheit unterstellen, weil mit der Zeit eben die Ideen für sinnvolle Projekte ausgegangen waren.

    Kreativere Projekte waren eingegangen, als noch jeder Vorschläge einreichen durfte. Aber irgendwann waren die Behörden – auch bei anderen Projektvergaben in der Stadt – auf den Gedanken verfallen, dass die handverlesenen Bürgergremien die Projektideen nicht nur auswählen, sondern auch noch selbst entwickeln sollten. Die Obrigkeit wollte wohl verhindern, dass sich findige Profiteure selbst einen Auftrag stricken. Nur kam es dann immer häufiger vor, dass sich auf Ausschreibungen überhaupt kein Träger meldete, der sich den Vorstellungen des Vergabegremiums und den erheblichen bürokratischen Anforderungen des Programms gewachsen fühlte.

    Die Aufmerksamkeit von „Soziale Stadt“ in den Bezirken hat nicht zuletzt Gründe im kommunalen Haushalt. Die Bezirke bekommen jeder jährlich eine dreistellige Millionensumme vom Senat. Eigene Einkünfte haben sie nicht. Das allermeiste Geld geht für Pflichtausgaben drauf. Der Bezirk betreibt das Sozialamt, das Bauamt, das Straßen- und Gartenbauamt etc. Frei verfügbar sind vom Gesamtbetrag ein bis zwei Prozent. Nur mit diesem Geld können die Bezirkspolitiker über ihre Funktion als Amtsleiter hinaus Politik machen. Die bescheidene Million von „Soziale Stadt“ für jedes Gebiet ist daher für den Gestaltungswillen der Kommunalpolitiker und auch mancher Gremienfüchse aus der Bürgerschaft ein Segen, gerade wenn sie als Verwaltungschefs oder auch sonst für sich und andere keine befriedigende Figur abgeben.

    Nach dem Programm ist vor dem Programm

    Das Grundproblem für die projektgetriebene Kommunalpolitik gerät häufig aus dem Blick: Einerseits gewährt man den Bezirken und auch Kommunen sonstwo in Deutschland allerlei Projektmittel aus der Kasse von EU, Bund und Land, andererseits schnüren die spendablen Sugardaddys den Kommunen die Finanzen ab, indem sie Gemeinden und Bezirken keinen auskömmlichen Teil der Steuereinnahmen zuteilen. Der Zwang, sich dann der Förderprojekte zu bedienen, lenkt die Kommunen in Richtung der Wünsche der europäischen sowie der bundes- und landespolitischen Eliten.

    Der Stadtbaurat von Mitte, Ephraim Gothe, rechnete etwa auf der besagten Ausschusssitzung vor, dass die Programme zur Gewaltprävention aufgrund der Silvesterereignisse finanziell ziemlich genau das Geld erbrächten, das der Bezirk angesichts aktueller Sparzwänge in der Jugendarbeit hätte streichen müssen. Generell gilt: Nach dem Programm ist vor dem Programm. Denn die Probleme in den armen Kiezen bleiben.

    „Soziale Stadt“ hat für die Säue, die so durchs Dorf gejagt werden, ein langes Leben gehabt. Ein neues Programm hätte den Vorteil, dass es wieder eine gewisse Begeisterung wecken könnte. Wie es heißt, wohnt allem Anfang ein Zauber inne. Der Soziologe denkt an den Hawthorne-Effekt, nach jener Fabrik, wo allein die Anwesenheit der Beobachter die Produktivität steigerte. Nur kommen heute Herausforderungen aus anderer Richtung. So wird in Mitte und einigen anderen Bezirken im Augenblick ein Klimaplan ausgearbeitet, gefördert von einem Bundesprogramm. Zur Umsetzung wird es abermals Zuschüsse bedürfen.

    Die armen Kieze sind häufig vom Klimawandel besonders betroffen. Gleichzeitig werden Kiezblocks zur Verkehrsberuhigung auch von gerade ärmeren Kiezen installiert. Den aufmerksamen Bürgern bleibt also auf jeden Fall etwas zu tun. Es besteht nur die Gefahr, dass die Erfahrungen von „Soziale Stadt“ überhaupt nicht bei den neuen Projekten ankommen. Denn diese setzen andere Akzente. Empowerment ist erst einmal gar nicht mitgedacht, könnte aber als Querschnittsaufgabe gerade in der Kommunalpolitik geläutert fortgesetzt werden.

    Der Soziologe Thomas Kilian zog 1995 in den Soldiner Kiez. Seit 2004 engagiert er sich im Bürgerverein Soldiner Kiez e.V. Der Verein hat vom Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ profitiert, aber manchmal auch unter dessen Schwächen gelitten.

    Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

    #Europa #Berlin #Stadtentwicklung #Armut #Quartiersmsnagement

  • Das sind die schlimmsten Neubauten in Berlin – und wir reißen sie ab
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/wo-ist-die-abrissbirne-das-sind-die-schlimmsten-neubauten-in-berlin

    Ja !

    25.3.2023 von Tomasz Kurianowicz, Marcus Weingärtner, Anne Vorbringer, Manuel Almeida Vergara, Franz Becchi, Justus Bonde

    Berlin rühmt sich seiner Weltoffenheit und Diversität, wenn man aber wissen will, wie die deutsche Hauptstadt in vielen Teilen wirklich tickt, muss man sich nur einmal die Gebäude ansehen, die hier in den vergangenen 20 Jahren aus dem Boden gestampft wurden.

    Da ist viel Übles dabei, von teflonartigen Mehrzweckhallen über grottenhässliche Einkaufstempel bis hin zu Luxuswohnhäusern, deren Architekten wohl dauerhaft durch eine Mischung aus zu dicken Eiern und zu viel Geld angetrieben wurden. Das Ergebnis: Berliner Hass-Architektur. Die Lösung: unser fröhliches Abrissbirnen-Team.

    1. Was Geld anrichten kann: Die Häuser am Werderschen Markt

    Berlin möchte vor allen Dingen eines sein: eine Weltstadt. Dabei müht sich die Metropole ab und strampelt und will unbedingt aufschließen zu Städten wie London, Paris, New York oder Tokio.

    Da in Berlin aber von jeher das preußische Kleinbürger- und Beamtentum das Geschehen prägt, kommt nicht viel dabei raus, außer architektonisches Duckmäusertum in Form scheußlicher Hochhäuser oder eben Gebäude, die aussehen wie überall in der westlichen Hemisphäre.

    Bild: In der Mitte die Friedrichswerdersche Kirche, erbaut im Stil der Neogotik von Karl Friedrich Schinkel zwischen 1824 und 1831. Drumherum: architektonische Zumutungen und Verfehlungen der Gegenwart.Sabine Gudath

    Das Ergebnis sieht dann so aus wie die Gebäude links und rechts der Friedrichswerderschen Kirche, jenes Schinkel-Kleinods, das nun förmlich erdrückt wird von protziger, pseudoschicker, aber im Grunde zutiefst biederer und auch irgendwie ängstlicher Wohn- und Arbeitsarchitektur im gehobenen Segment.

    Damit nicht genug: Der Bau der angrenzenden Häuser hätte die filigrane Kirche fast zum Einsturz gebracht, das kleine Gotteshaus musste mehrere Jahre geschlossen und zwangssaniert werden. Bis heute sind die protzig-blöden Luxusapartments ein Dauerärgernis, und wenn man denkt, es könnte nicht mehr scheußlicher werden, dann muss man nur ein paar Meter weitergehen und steht vor dem Berliner Stadtschloss, also quasi der steingewordenen Summe deutscher Piefigkeit.

    Marcus Weingärtner

    2. Begrabt den CityCube! Charlottenburg vermisst die Deutschlandhalle

    Ist man in Berlin auf der Suche nach Guter-Laune-Architektur, ist man rund um das Messegelände in Charlottenburg sicher nicht richtig. Weder das raumschiffartige, dystopisch anmutende Raupengebilde ICC, noch die anderen Messegebäude wirken sonderlich lebensbejahend. Doch umgibt sie immerhin ein gewisser architektonischer Charme der Ewigkeit.

    Bild: Grau, eintönig, einfallslos: der CityCube, der nicht mal ein richtiger Würfel ist.Sabine Gudath

    Das galt einst auch für die Deutschlandhalle, die nachts stets zur „Dutschlandhalle“ wurde, als alle Buchstaben an ihrer Fassade hell erstrahlten, außer das E. Doch dann wurde diese zu alte, zu graue und schön-schmuddelige Halle ersetzt durch ein gezwungen modernes und plattes Konstrukt: den CityCube.

    Seit 2014 steht er da und wirkt fehl am Platz auf dem Messegelände. Die anthrazitfarbene semidurchsichtige obere Hälfte ist lieblos auf die untere Glasfassade gesetzt. Das sieht aus wie unvorteilhafte Bauchfett-Rettungsringe, wie sie bei zu eng sitzender Bademode in deutschen Freibädern zu finden sind. Obendrein stellt man sich die Frage, wer sich auf den „Cube“ eigentlich draufgesetzt hat, dass er so plattgedrückt daherkommt und somit noch nicht mal mehr ein Würfel ist. Er sieht also hässlich aus und ist zu allem Überfluss auch noch falsch tituliert. Weg damit!

    Justus Bonde

    3. Würfel des Wirrwarrs: Alea 101 am Alexanderplatz

    Nichts ist blumiger als die Sprache von Menschen aus der Architektur-Bubble, die ihre Immobilienprojekte anpreisen. Ein Beispiel aus Berlin: „Auf das heterogene Umfeld reagiert das Gebäude mit einer Komposition aus drei leicht zueinander verdrehten, gestapelten Baukörpern, die in ihrer Staffelung, ihren Richtungen, ihrer Farbe und Materialität auf vielfältige Weise Bezüge zum Umfeld schaffen und das Palimpsest der Stadt verkörpern. Das transparente Erdgeschoss mit seiner leicht konkav und konvex geformten Schaufensterfassade wird auf allen Seiten von Fußgängerströmen umflossen.“

    Bild: Ein Würfel ist gelandet: Das Shoppingerlebnis bleibt rund um den Alex eher zwiespältig, auch mit dem Alea 101.Sabine Gudath

    Nur echte Berlin-Kenner werden erahnen, welches Gebäude hier beschrieben wird: das Alea 101, ein Wohn- und Geschäftshaus am Bahnhof Alexanderplatz. Im Schatten des Fernsehturms fristet es seit der Eröffnung im Jahr 2014 ein weitgehend unbeachtetes Dasein. Das allerdings ist reine Glückssache, denn der ebenfalls sehr scheußliche Shoppingtempel Alexa ist noch größer und bekannter und frisst daher alle Aufmerksamkeit im hauptstädtischen Abrissbirnen-Wunschdenken.

    Doch ganz ehrlich: Wenn die Abbrucharbeiter am rosa Alexa-Ungetüm schon mal dabei sind, können sie beim Alea 101 gleich weitermachen. Dessen Architektur und seine Schwünge erschließen sich allenfalls im Luftbild, nicht aber für den Passanten. Der wird spätestens im Inneren, beim Ladenbummel, wahnsinnig. Eine ramschige Kaufhauskette, wo man zwischen Osternippes, Badelatschen, Taschen und Damenoberbekleidung den Rolltreppentod sterben möchte, ein bisschen angestaubte Systemgastronomie und ein willkürlich zusammengestückelter Souvenirshop sorgen jedenfalls sicher nicht dafür, dass die „Fußgängerströme hineinfließen“ in diesen Würfel des Wirrwarrs, der immerhin auf einem einkaufshistorisch betrachtet bedeutenden Areal steht.

    1911 wurde hier die erste deutsche C&A-Filiale eröffnet. Man ist geneigt, sich die alten Zeiten zurückzuwünschen. Spätestens wenn man vor dem traurigen Trabi am Souvenirshop steht, in dem eine männliche Schaufensterpuppe mit OP-Maske und Berlin-Mütze sitzt. Da hilft auch das daneben angebrachte Schild nicht mehr: „Bier zwei Euro!“

    Anne Vorbringer

    4. Hoffnungslos: East Side Mall an der Warschauer Straße

    Anscheinend waren 68 Einkaufszentren in der Hauptstadt nicht genug, deswegen begannen 2016 die Bauarbeiten für ein neues Einkaufszentrum an der Warschauer Brücke in Friedrichshain. Schon bei ihrer Eröffnung zwei Jahre später runzelte die Öffentlichkeit über das Konzept der East Side Mall die Stirn. Man bezeichnete das Einkaufszentrum als einen „Ort urbaner Hoffnungslosigkeit“. Im Stadtmagazin Zitty antizipierte man die Idee unserer Redaktion: „Kann man’s bitte wieder abreißen?“, lautete der Titel einer Kolumne. Der Bau sei ein „nach außen abgeschotteter Betonriegel im Ufo-Stil ohne Gesicht in einer klinisch toten Gegend“, hieß es in der Zeitschrift.

    Bild: Die East Side Mall sei ein „nach außen abgeschotteter Betonriegel im Ufo-Stil ohne Gesicht in einer klinisch toten Gegend“, ätzte die Zitty. Wir sagen: stimmt!Sabine Gudath

    Rund 200 Millionen Euro wurden für die Errichtung des Einkaufsklotzes ausgegeben. Das Gebäude bietet auf drei Ebenen 38.000 Quadratmeter Mietfläche und 110 Geschäfte. Heute kommt man wenigstens leicht rein, was vor Kurzem noch ganz anders war. Ein ganzes Jahr lang konnte man den Haupteingang der Mall nicht passieren. Der Grund: Er war verschlossen, da der Autoverkehr eine Gefahr für die Fußgänger darstellte, die die Mall betreten wollten. Bitte weg damit.

    Franz Becchi

    5. Die totale Verwirrung: Mercedes-Benz Arena in Friedrichshain

    Zur Mercedes-Benz Arena habe ich ein gespaltenes Verhältnis, weil ich manchmal gerne den Mercedes-Benz-Platz und die dort ansässigen Industrie-Restaurants und Burger-Ketten besuche, um mich ein bisschen wie ein Mensch in einer Provinzstadt zu fühlen, der sich gerne wie in einer Großstadt fühlen würde. So wie Menschen in Bremen bei Starbucks Café Latte bestellen, schockverliebt auf die Milchschaumkrone gucken und sich dabei so verhalten, als wären sie ein Protagonist in der Serie „Friends“ in New York. Der Mercedes-Benz-Platz zieht solche Menschen an. Dabei ist man ja eigentlich in einer Metropole, in Berlin, in der Großstadt. Der Platz bringt dieses Verständnis ins Wanken, es ist wie ein Simulakrum, die totale Verwirrung.

    Bild: Alles, was großstädtische Architektur anrichten kann, wurde hier realisiert. Provinzialität und Großmannsgehabe in einem.Sabine Gudath

    Die Mercedes-Benz Arena ist das architektonische Symbol für dieses durcheinandergewirbelte Großstadt-Provinz-Gefühl, das sich beißt und schneidet und gegenseitig negiert. Gerne esse ich einen Burger, natürlich bei der Kette Five Guys, oder trinke einen Cocktail mit Schirmchen bei Sausalitos. Danach gehe ich ins Imax-Kino nebenan, bestelle Popcorn und eine Coca-Cola, die ich mir an Automaten selbst befüllen kann und dazu Eiswürfel nehmen. Danach schaue ich mir einen James-Bond- oder Batman- oder Spiderman-Film an, so wie die Menschen in Bremen. Nach dem Film verbringe ich auf dem Mercedes-Benz-Platz ein paar Minuten, schaue umher, auf den Springbrunnen und auf das Ungetüm namens Arena und denke mir: „Schiffbruch mit Zuschauer“.

    Tomasz Kurianowicz

    6. Leblose Retorten-Stadt: Vom Hauptbahnhof ins Niemandsland

    Wer nicht erst seit gestern in Berlin lebt, wird sich noch lebhaft an das alte Areal im Dreiländereck zwischen Mitte, Moabit und Wedding erinnern. Das, auf dem heute der klotzige Hauptbahnhof sitzt wie ein grimmiges Ungetüm aus Glas und Metall. Früher stand an seiner Stelle noch der Lehrter Bahnhof, dieser mittelgroße Backsteinbau, durch dessen Bauch sich zuletzt nur ein paar S-Bahnen schoben mit einem kurzen Halt im Niemandsland.

    Denn das war es ja, das Areal rund um den Lehrter Bahnhof: eine Einöde aus viel freier Fläche, ein paar versprengte Altbauhäuser und alte Industriebauten darauf, in denen zum Beispiel der mittelcoole Elektroclub Tape ansässig war. Früher dachte man sich selbst als Passant ohne jegliche städtebauliche Ambition: Hier muss was passieren, irgendwas – alles ist doch besser als Brache! Heute würde man diese einfältige Sichtweise womöglich revidieren.

    Bild: Fun, fun, fun: In den Miniatur-Hochhäusern kümmert man sich um spannende Geschäftsfelder wie Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung.Sabine Gudath

    Denn was rund um den jetzigen Hauptbahnhof in den vergangenen Jahren alles so gebaut wurde, entbehrt jedes ästhetische Feingefühl. Es sind die gleichen gott- und gesichtslosen Neubauten, wie man sie in Berlin mittlerweile zu Hunderten findet – überall da nämlich, wo früher nichts als Freiraum war. Direkt am Hauptbahnhof zeigen sie sich als vereinzelte Miniatur-Hochhäuser, in denen preiswerte Hotels oder Büroräume für so spannende Geschäftsfelder wie Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung zu Hause sind. Schlimmer geht nimmer? Es geht! Und um das festzustellen, braucht man nur ein paar Meter weiterzugehen.

    Denn hinter den fatal langweiligen Türmchen am Hauptbahnhof, weiter Richtung Wedding, tut sich ja erst das echte Ärgernis des zeitgenössischen Berliner Städtebaus auf: Europacity, so der gleichermaßen einfallslose wie euphemistische Name des Bauareals, das hier zum belebten Wohn- und Arbeitsquartier werden soll.

    Dass das so schnell nicht passieren wird, lässt schon die katastrophale Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr vermuten: Bis jetzt juckeln nur ein paar traurige Busse durch das kontinental benannte Viertel; wer eine Bahn nehmen will, muss erst mal 15 Minuten laufen. Auch die gräuliche Retorten-Architektur ist ein Indiz, dass es lebhaft, lustig, lässig hier auch in zehn Jahren noch nicht ist. Es hilft einfach alles nicht: Sprengen und Abreißen, sofort – zurück zur Berliner Brache, bitte!

    Manuel Almeida Vergara

    #Berlin #Stadtentwicklung #Achitektur #Grentrifizierung

  • Gärtnern an der Stadtautobahn: „Das war wie im Paradies“
    https://taz.de/Gaertnern-an-der-Stadtautobahn/!5911236

    12.2.2023 von Michael Kröchert - Autobahnneubau ist in Berlin kein Thema von gestern. Sebastian B., 36 Jahre alt, hat beobachtet, wie die A100 durch Neukölln gesprengt worden ist.

    BERLIN taz | Das war wie im Paradies. Von hier, von diesem Zaun aus, bis da drüben, bis zum Estrel-Hotel waren überall Schrebergärten. Und sie waren alle verlassen, weil die Pächter gehen mussten oder besser: gegangen wurden. Manche haben zwar Ausgleichszahlungen erhalten, andere bekamen Ersatz-Schrebergärten, aber glücklich waren sicher die wenigsten.

    Alle Texte finden Sie hier taz.de/sonnenallee

    Es hat mich unglaublich glücklich gemacht, dort durch die verwaisten Gärten zu streifen. Alles war so üppig und grün und schon nach einem Jahr völlig zugewachsen. Einmal bin ich durch diese verlassenen Gärten gestreift und plötzlich war da ein Mann, der Trompete gespielt hat. Ich habe ihn erst gehört, als ich schon ganz nah war, so verwildert war das alles. Das war ein schöner Moment.

    Von Protesten weiß ich nichts, ich glaube, die damalige Generation der Schrebergärtner hat nicht wirklich protestiert, die waren eher spießig, vermute ich, obwohl ich auch nicht sagen will, dass sie obrigkeitshörig waren. Wenn das heute passieren würde, vor dem Hintergrund der jetzigen Klimadebatte, und mit uns jüngeren, klimabewussten Pächtern in den Kleingärten, hätte es ganz sicher viel mehr Widerstand gegeben. Klar, da waren auch ein paar Künstler, die die verwaisten Schrebergärten ein bisschen besetzt haben; aber das war eher zum Genießen, den Sommer über, zum Trompetespielen.

    Ich weiß noch, wie ich dort ganz lange auf einer Wiese lag und einfach in den Himmel geschaut habe. Einmal bin ich auch in einer verlassenen Laube gewesen, dort standen noch die Biergläser und Kaffeetassen auf dem Tisch und Regale und Schränke mit Küchengeräten, so als hätten die Menschen alles stehen und liegen gelassen. Das war merkwürdig, ein bisschen wie 1990, als es im Osten Wohnungen gab, deren Besitzer die Tür hinter sich zugezogen haben und nie wieder aufgetaucht sind. Es gab da auch Momente, in denen das gruselig war.
    Der große Schock

    Dann kam dieses Weihnachten. Das war 2012 oder 2013. Ich war bei meiner Familie in Westdeutschland gewesen, und wie immer – ich glaube, das geht allen so – war ich bei meiner Rückkehr erschöpft vom Essen, seelisch weich von den Konflikten in der Familie, sentimental vielleicht auch. So kam ich zurück nach Berlin, und das war dann ein Schock. Sie mussten riesige Bulldozer verwendet haben, extra über die Feiertage, weil sich da niemand darum scherte.

    Mir ging es nicht so sehr um die Datschen, obwohl die mit viel Liebe und Sorgfalt über Jahrzehnte in Eigeninitiative entstanden sind, sondern es waren die uralten, wunderschönen Obstbäume, Hunderte, die dort überall standen und die diese paradiesische Stimmung geprägt haben, die im Frühling geduftet und geblüht haben. Und dann war das alles plötzlich weg!

    Alles war plattgemacht und ausgelöscht. In der Zeit davor kam ich mir manchmal wie ein Einsiedler vor, der in der Wildnis unterwegs war, und als ich direkt nach Weihnachten auf diese riesige gerodete Fläche schaute, habe ich mich gefühlt, als hätte mir jemand meinen Lebensraum weggenommen. Ich stand hier, genau hier, wo wir jetzt stehen und … das ging mir sehr, sehr nah. Dann begannen die Bauvorbereitungen. Die Giftmüllbeseitigung hatte schon zuvor stattgefunden, denn überall im Boden waren Asbest- und Eternit-Wurzelsperren. Da waren sie über einen längeren Zeitraum mit Schutzanzügen beschäftigt, um das fachgerecht zu entsorgen.
    Als die Archäologen kommen

    Danach kamen die Ar­chäo­lo­g*in­nen mit Baucontainern und dem ganzen Werkzeug. Ich habe mich mit denen angefreundet und ihnen im Sommer Kirschen von dem Baum hier gegeben. Sie haben mich zu ihrem Abschlussfest auf ein Bier eingeladen. Aber wirklich was gefunden haben sie bei ihren Ausgrabungen, soweit ich weiß, nicht.

    Nur eine Feuerstelle aus der Bronzezeit beziehungsweise Hinweise auf eine Siedlungsstelle, wenn ich mich richtig erinnere. Wenn man tief unten etwas im märkischen Sand findet, dann kann es sich hier in dieser Gegend um Steinzeitfunde handeln. Darüber liegt der Schutt aus der Zeit der Industrialisierung und vor allem aus der Kriegszeit. Als die Archäologen abgezogen sind, begannen sie mit dem eigentlichen Bauen der Autobahn. Sie mussten diese irre Schneise in den Boden treiben.

    Wochen-, monate-, jahrelang haben sie den Abraum wegtransportiert und überall sind sie auf enorme Widerstände gestoßen. Also auf Felsen oder Granitsteine und gigantische Findlinge. Die haben sie nicht abtransportiert, sondern mit einem Spezialgerät, das so aussah wie ein langer Bohrer, gesprengt und zerteilt. Wie genau das funktionierte, weiß ich nicht; auf jeden Fall hat die Erde, genau hier, wo wir jetzt stehen, gebebt. An unserem Vereinsheim gab es Risse, es sind auch andere Schäden entstanden. Vor Kurzem hat mir jemand erzählt, dass eine der Kolonien eine Entschädigung von wenigen hundert Euro erhalten hat … Nach zehn Jahren!

    Auch diese Sprengungen der Felsen haben bestimmt dazu geführt, dass das einer der teuersten Autobahnabschnitte wurde, der je in Deutschland gebaut worden ist. Ich denke manchmal, dass sie das hier nur machen, damit sie später sagen können, jetzt bauen wir den Autobahnring erst mal bis zum Treptower Park, und wenn wir schon so weit sind, dann geht’s weiter bis Lichtenberg und Pankow. Wobei mich mal interessieren würde, was sie mit dem ganzen Sand gemacht haben, der ist vermutlich wertvoll, den braucht die ganze Welt für die Herstellung von Beton. Normalerweise ist der Abraum für immense Kosten verantwortlich, aber hier war ja alles feinster märkischer Sand!

    Riesige Wasserbecken

    Auf jeden Fall haben sie dann Schote in die Schneise eingezogen, also Zwischenwände quer zu den Rändern; und diese haben sie bis oben hin mit Wasser gefüllt. So entstanden riesige Wasserbecken; das mussten sie angeblich so machen, um den nötigen Gegendruck zu erzeugen, damit die Seitenwände stehen blieben, und dann haben sie Beton verwendet, der unter Wasser aushärtet. Wieder etwas, was es so teuer hat werden lassen. Jetzt ist die Autobahn fast fertig. Hier vorne, da kommt noch ein Grünstreifen hin.

    In mir? Da war von Anfang an Gleichgültigkeit. Mal gucken, was das wird, habe ich mir gesagt. Ich bin froh, dass die Autos weniger Emissionen verursachen; denn Feinstaub ist ein großes Problem. Mir ist es wichtig, dass die Luft sauber bleibt, auch wegen der Beete, auf denen ich nach und nach immer mehr anbauen will. Ich bin überglücklich, dass ich diesen Garten habe. Eigentlich sehe ich mich als Gewinner der Situation. Warum der Vorbesitzer den Garten verlassen hat, das weiß ich nicht. Vielleicht wollte er seine Freizeit nicht an der Autobahn verbringen.

    Es hat ein bisschen gebraucht, bis ich mit den Alteingesessenen auf Betriebstemperatur war. Doch ich liebe Neukölln. Ich brauche das Chaos, auch die verschiedenen Strömungen, ich will nicht woanders leben. Das waren übrigens sehr schöne Momente, als es die Pferde am Richardplatz noch gab und ich dort Mist für meine Beete geholt habe. Mit dem Karren voller Pferdeäpfeln an den Cafés mit den Hipstern vorbei …

    Meiner Meinung nach sollte die Stadt aus mehreren Ebenen bestehen. Das wäre mit einer Überdachung der Autobahn möglich. So wie sie es in Hamburg machen. Das nennen sie Überdeckelung. Und dort kann man wieder Gärten und Wohnhäuser drauf bauen. Ich kann nicht verstehen, wieso sie das nicht gleich so geplant haben.

    Mein Leben? Ich bin dafür, dass alles gleichzeitig, symbiotisch und friedlich existiert. Soll doch jeder auf seine Weise an sein Ziel kommen.

    Sonnenallee, Ecke Autobahn. Ein Sonntag Ende Januar. Müll weht gegen die Bauzäune, Krähen hüpfen auf Baggerschaufeln herum. Menschen sind nicht zu sehen, dafür farbenprächtige Graffiti und unzweideutige Parolen, die den Neubau bereits schmücken. Genau hier hat ein alter Freund einen Schrebergarten, der seit mehr als zehn Jahren unmittelbar an die Baustelle grenzt. Wir stehen an seinem Zaun, der Grenze zwischen dem, was bleiben darf, und dem, was verschwunden ist.

    Michael Kröchert ist Autor des Buchs „Autobahn – ein Jahr zwischen Mythos und Alp­traum“ (Tropen Verlag 2020).

    #Berlin #Neukölln #Sonnenallee #A100 #Autobahn #Stadtentwicklung #Laubenkolonie #Schrebergarten #Interview

  • Mitten in Kreuzberg: Neue Sozialwohnungen und klimaneutrale Büros
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mitten-in-kreuzberg-neue-sozialwohnungen-und-klimaneutrale-bueros-l


    Blick auf das neue Quartier auf dem Areal des früheren Postscheckamtes am Halleschen Ufer in Kreuzberg.

    Es geht voran mit dem Geldmachen. Das alte Postscheckamt, eine öffentliche Einrichtung der staatlichen Bundespost und Ort zum Leben und Arbeiten für viele Westberlinerinnen und Berliner, wird endgültig zum Eigentumswohnungsghetto mit ein paar netten fast bezahlbaren Alibiwohnungen nebenan. Verdichtung ist angesagt, der Rubel rollt weil öffentliche Gärten und Freiflächen zugebaut werden. „Niemandsland“ heißt so ein nicht profitables Gelände auf Immobilisch. Ich bin auch so ein Niemandsland, unprofitabel und verwildert. Ein Mensch eben, keine parfümierte Immoschnepfe, die mit hohlem Gedöns ihre Gier schönredet. Die zerrt den verwesenden Leichnam van der Rohes aus dem Grab, um dem ollen Büroturm, wahrlich kein Meilenstein der Architekturgeschichte, ordentlich Mies-Nimbus zu verpassen. So geht das. Noch nicht gebaut wird schon verkauft.

    Grelle Fummels aus den Fifties, Sixties
    Alles hohl und hundsgemein
    Auf Skoda oder Fiorucci
    Flieg ich nicht mehr ein
    Da bleib ich kühl
    Kein Gefühl

    Ideal, Blaue Augen, 1980

    28.12.2022 von Ulrich Paul - Auf dem Areal des ehemaligen Postscheckamtes in Kreuzberg entsteht ein Stadtquartier mit hohem sozialen und ökologischen Anspruch.

    Auf dem Areal des ehemaligen Postscheckamtes in Kreuzberg gehen die Arbeiten für das geplante neue Stadtquartier mit Büros, Wohnungen und Geschäften voran. Nachdem im März 2021 mit dem symbolischen ersten Spatenstich die Bauarbeiten starteten, befinden sich mittlerweile fast alle Teilprojekte am Halleschen Ufer in Bau.

    Der Kölner Investor Art Invest modernisiert den alten 90 Meter hohen Büroturm und baut zwei neue Häuser mit Büros und Geschäften. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo errichtet 337 Mietwohnungen. Und das ebenfalls aus Köln stammende Immobilienunternehmen Pandion plant 86 Eigentumswohnungen.

    „Das Grundstück war vorher eine Art Niemandsland im Herzen Berlins“, sagt Lena Brühne, Berliner Niederlassungsleiterin von Art Invest. „Durch die Entwicklung des Quartiers betreiben wir also eine Stadtreparatur.“ Die Art Invest hat ihrem Projekt den Namen „Die Macherei Berlin-Kreuzberg“ gegeben. Weil die Gebäude am Halleschen Ufer 40 bis 60 liegen, tragen die drei Gebäudeteile als Namenskürzel ein M für Macherei, gefolgt von der jeweiligen Hausnummer. So heißen die Gebäude M40, M50 und M60. Der alte Postbank-Tower trägt das Kürzel M50, die beiden neuen Büro- und Geschäftsbauten firmieren unter M40 und M60.

    Das achtgeschossige Haus M40 entsteht nach Plänen des Büros Robert Neun Architekten als sogenanntes Holz-Hybrid-Haus, also in einer Mischung aus Holz und Beton. Neben bepflanzten Dächern ist ein offener Innenhof vorgesehen, der als das „grüne Herz“ des Gebäudes angekündigt wird. „Unser Holz-Hybrid-Haus M40 wird ab Frühjahr 2023 rasant wachsen“, sagt Lena Brühne. „Zu diesem Zeitpunkt werden die Holzverbundelemente angeliefert, die wie Legosteine aufgebaut werden.“ Bis zum Jahr 2024 soll das Gebäude fertig sein, die anderen beiden der Art Invest ebenfalls.

    Der 24-geschossige Büroturm, der jetzt das Kürzel M50 trägt, wird nach Plänen des Architekten Eike Becker umgestaltet. Er richtet sich dabei nach dem Vorgänger-Bau. „Die Architektur vom M50 greift den Stil des Oberpostdirektors Prosper Lemoine auf, nach dessen Plänen das Objekt entwickelt wurde“, sagt Lena Brühne. „Er orientierte sich dabei an der typischen Architektursprache von Mies van der Rohe, der unter anderem die Neue Nationalgalerie entworfen hat.“

    Büroturm wird im nächsten Jahr als Stahlbetonskelett dastehen

    Nach dem Auszug der Mieter aus dem Turm Ende 2021 hat die Art Invest zunächst mit der Entkernung und Schadstoffsanierung begonnen. Diese Arbeiten dauern bis heute an. „Im nächsten Jahr wird der Turm kurzzeitig im Rohbau als Stahlbetonskelett dastehen, was sicher ein imposantes Bild abgeben wird“, so Brühne. „Zudem werden wir die oberen drei Etagen, die bislang als Techniketagen genutzt werden, abbrechen und neu aufbauen, um sie in Teilen als nutzbare Mietflächen zu entwickeln.“ Die Fassade des Büroturms wird erneuert, außerdem entsteht am Fuß des Towers ein eingeschossiger Flachbau. Dort soll neben einem Restaurant ein Fitnessstudio einziehen – mit Außenlaufbahn auf dem Dach. Oben im Turm ist eine Skybar geplant. Mit bester Sicht über die Stadt.

    „Bei der Fassade des Turms arbeiten wir mit speziellen Elementen, die vorproduziert und anschließend eingesetzt werden“, sagt Lena Brühne. Für die Montage werde ein rund 120 Meter hoher Kran eingesetzt, der an dem Hochhaus verankert wird. An der Südfassade des Büroturms sollen auf einer Fläche von 760 Quadratmetern Fotovoltaik-Elemente montiert werden, um aus Sonnenlicht Strom zu gewinnen.

    Das M60 entsteht nach Plänen des Architekturbüros Sauerbruch Hutton als achtgeschossiges Bürohaus. Im rückwärtigen Teil sind die Eigentumswohnungen der Pandion geplant. Das Besondere: Das Bürohaus soll ein „Zero-CO₂-Haus“ werden, also ein klimaneutrales Haus. Erreicht wird dies freilich durch einen gewissen Kunstgriff: Die Fotovoltaik-Elemente, die Sonnenlicht in elektrischen Strom umwandeln, sollen nämlich nicht nur auf dem eigenen Dach stehen, sondern zugleich auf den Dächern der benachbarten Degewo-Häuser.
    Autofreies Quartier heißt, dass oberirdisch keine Autos fahren

    Beim Verkehr wird Nachhaltigkeit ebenfalls großgeschrieben. „Die Macherei Berlin-Kreuzberg wird ein autofreies Quartier“, sagt Lena Brühne. Der Begriff „autofrei“ wird von der Art Invest allerdings sehr großzügig ausgelegt. Autofrei bedeute, „dass die Außenanlagen für den normalen Autoverkehr gesperrt sind“, sagt Brühne. Autos sind als Verkehrsmittel weiter eingeplant, zumindest in begrenzter Zahl. „In zwei Tiefgaragen, die von der Hauptstraße erreicht werden, entstehen 120 Stellplätze für Autos“, sagt Brühne. Sie versichert: „Wir setzen auf urbane Mobilität, weswegen wir unseren künftigen Mietern zusätzlich 800 unterirdische Fahrradstellplätze sowie Duschen und Umkleiden anbieten.“

    Das Projekt zeigt: Nachhaltigkeit spielt bei Immobilienprojekten eine immer größere Rolle. Unter anderem, weil sich viele Unternehmen das Ziel gesteckt haben, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt CO₂-neutral zu werden. In alten Büros mit hohem Energieverbrauch lässt sich das Ziel nur schwer oder gar nicht erreichen. In neuen Quartieren wie in der Macherei schon eher. „Das Quartier richtet sich an Mieter, die neben einem hohen Anspruch an Lage, Qualität und Flexibilität der Flächen einen besonderen Wert auf ökologische Nachhaltigkeit legen“, sagt Lena Brühne. „Hier sehen wir einen wachsenden Bedarf.“ Einerseits müssten viele Unternehmen immer höhere Anforderungen im Bereich CO₂-Emissionen erfüllen, was sich natürlich auch in ihren Flächen widerspiegeln müsse. Andererseits sei Klimagerechtigkeit ein „ganz wesentlicher Aspekt für junge Berufseinsteiger“, so Brühne. „Sie legen viel Wert auf ihren eigenen Carbon Footprint, auch an ihrem Arbeitsplatz.“

    Die Wohnungen der Degewo entstehen im rückwärtigen Teil des Areals auf insgesamt drei Baufeldern mit jeweils zwei Häusern. „Die Rohbauarbeiten für die Baufelder eins und drei haben begonnen“, sagt eine Degewo-Sprecherin auf Anfrage. „Im Frühjahr 2023 wird Richtfest gefeiert und der Innenausbau kann beginnen.“ Die Arbeiten auf Baufeld zwei sollen im Februar 2023 starten. Geplant sei, dass die neuen Wohnhäuser ab Mitte 2024 übergeben werden. Dann beginne auch die Vermietung.
    Degewo baut 75 Prozent Sozialwohnungen

    75 Prozent der Wohnungen, die die Degewo errichtet, sollen als Sozialwohnungen entstehen und für eine Kaltmiete ab 6,50 Euro je Quadratmeter vermietet werden. Der Entwurf für die Wohnhäuser stammt vom Büro Dahm Architekten + Ingenieure. Nach ihren Plänen entstehen Wohnungen mit einer Größe von 35 bis 105 Quadratmetern.

    Die Pandion baut keine Mietwohnungen, sondern Eigentumswohnungen. „Wir planen insgesamt 86 Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen für Paare und Familien“, erklärt eine Unternehmenssprecherin. Die Wohnungen sollen zwischen 46 und 95 Quadratmeter groß sein. Die Baugrube für das Projekt sei fertig. Im Januar 2023 solle der Rohbau beginnen. Zum genauen Start der Vermarktung der Wohnungen und zum Fertigstellungtermin könne man aktuell aber noch keine Auskunft geben, so die Sprecherin.

    Postbank-Hochhaus (Berlin)
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Postbank-Hochhaus_(Berlin)

    Blaue Augen
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Blaue_Augen?searchToken=2wqimfpy2l6ptlnzu8q7191bk

    https://www.youtube.com/watch?v=uaEiVAODN-A

    #Berlin #Kreuzberg #Hallesches_Ufer #Großbeerenstraße #Stadtentwicklung #Architektur #Privatisierung #Gentrifizierung #Wohnen #Immobilien

  • So unterschiedlich wächst die Einwohnerzahl in den Berliner Bezirken
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/so-unterschiedlich-waechst-die-einwohnerzahl-in-den-berliner-bezirk

    13.12.2022 von Ulrich Paul - Die aktuelle Bevölkerungsprognose gibt Auskunft darüber, wie sich Berlin entwickelt. Die Vorhersage zeigt laut BUND, dass zu viele Wohnungen geplant werden.

    Berlin wächst weiter, doch von Bezirk zu Bezirk unterscheidet sich der Anstieg der Einwohnerzahl mitunter erheblich. Das geht aus der aktuellen Bevölkerungsprognose zur Entwicklung in den zwölf Bezirken hervor, die am Dienstag im Senat auf Vorlage von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) beschlossen wurde.

    Danach steigt die Einwohnerzahl in Pankow von 2021 bis 2040 um rund 37.000 Menschen. Das entspricht einem Wachstum von neun Prozent. In Treptow-Köpenick zieht die Einwohnerzahl zwar ebenfalls um neun Prozent an, doch aufgrund der geringeren Ausgangszahl entspricht dies in absoluten Zahlen „nur“ einem Zuwachs um 25.300 Menschen.

    In Mitte wird ein Anstieg der Einwohnerzahl um 22.900 Menschen erwartet. In Lichtenberg soll die Zahl der Bürger um 19.500 Menschen steigen, in Friedrichshain-Kreuzberg um 18.000, in Marzahn-Hellersdorf um 14.200 und in Spandau um 14.050. Danach folgen Reinickendorf mit einem Plus von 11.350 Einwohnern, Charlottenburg-Wilmersdorf (plus 8800), Tempelhof-Schöneberg (7900) und Neukölln (6400). Den geringsten Anstieg bei der Einwohnerzahl sagt die Prognose für Steglitz-Zehlendorf voraus. Dort ist lediglich ein Zuwachs von 1900 Bürgern zu erwarten.
    Fast vier Millionen Einwohner im Jahr 2040 in Berlin

    „Berlin wächst weiter“, sagte der Stadtentwicklungssenator, „aber mit sehr starken lokalen Unterschieden.“ Allein Pankow wachse in der Größenordnung einer Stadt wie Stendal. „Das bringt viele Herausforderungen mit sich, die wir gemeinsam und in einer stadtweiten Anstrengung lösen müssen.“ Zum Beispiel beim Wohnungsbau, bei der Kita- und Schulversorgung oder beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

    Bereits am 4. Oktober hatte der Stadtentwicklungssenator die Bevölkerungsprognose für ganz Berlin präsentiert. Sie sagt einen Anstieg der Einwohnerzahl von 3,775 Millionen im Jahr 2021 auf 3,963 Millionen im Jahr 2040 voraus. Die Bevölkerungsprognose stützt sich auf Erkenntnisse von Experten aus Wissenschaft und Praxis und wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Zusammenarbeit mit dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg erarbeitet. Drei Varianten wurden dabei erarbeitet. Für die weitere Planung orientiert sich der Senat an der mittleren Variante, weil sie die weitere Entwicklung „mit der höchsten Wahrscheinlichkeit“ abbilde. Im Jahr 2030 sollen in Berlin demnach 3,909 Millionen Menschen leben.

    Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) zieht auf Grundlage der Bevölkerungsprognose die bisherige Neubauplanung in Zweifel. Wie berichtet, plant der Senat den Bau von 200.000 Wohnungen bis zum Jahr 2030. Diese Zahl ist laut BUND aber zu hoch. Bei einem für Berlin erwarteten Bevölkerungsstand von 3,909 Millionen Menschen im Jahr 2030 müssten bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 1,75 Personen bis dahin insgesamt 143.727 Wohneinheiten neu errichtet werden, rechnet der BUND vor. Aber nicht 200.000.
    BUND: Bis 2040 werden 184.584 Wohnungen benötigt

    Im gesamten Prognosezeitraum bis 2040 müssten insgesamt 184.584 neue Wohnungen gebaut werden, wenn in 18 Jahren wie erwartet 3,963 Millionen Menschen in der Hauptstadt wohnen. Eingerechnet sei sogar der durch Abrisse oder Umbauten von der Senatsverwaltung angenommene Abgang von 1000 Wohneinheiten jährlich.

    #Berlin #Stadtentwicklung #Stadtplanung #Demographie #Wohnen

  • Linke Hausprojekte in Berlin : Geräumte Träume
    https://taz.de/Linke-Hausprojekte-in-Berlin/!5894992

    26.11.2022 von Marie Frank, Erik Peter - Ausgerechnet unter einer rot-rot-grünen Regierung wurden zahlreiche linke Projekte geräumt. Welche Zukunft haben Freiräume in der Stadt?

    Aus berlin, 26.11.2022, 16:46 Uhr

    Die Fenster und die Tür zur einstigen Neuköllner Kiezkneipe Syndikat sind verbarrikadiert. Seit mehr als zwei Jahren, seit der durch viel Protest begleiteten polizeilichen Räumung im August 2020, hat sich hier nichts getan. Außer für die Nach­ba­r*in­nen oben drüber im Haus. Die beschweren sich inzwischen häufiger über den Gestank, der aus den vor sich hin schimmelnden ehemaligen Kneipenräumen aufsteigt, weiß der einstige Betreiber und Wirt Christian, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, zu berichten.

    Im November 2019, als sich schon abzeichnete, dass für Berlins alternative Infrastruktur schwierige Zeiten anbrechen würden, trat die Initiative „Kein Haus weniger“ auf den Plan. 200 Projekte und ehemals besetzte Häuser und mehr als 100 Prominente überwiegend aus dem Kulturbereich schlossen sich zusammen, um sich dem Ausverkauf der Stadt entgegenzustellen. Sie schrieben: Ohne seine alternativen Haus- und Kulturprojekte wäre Berlin „sozial, politisch und kulturell um vieles ärmer“.

    Doch es nützte alles nichts. Das Syndikat machte im darauffolgenden Sommer nur den Anfang. Ihm folgten die Räumungen des queerfeministischen Hausprojekts Liebig34 in Friedrichshain im Oktober 2020, der Kreuzberger Kneipe Meuterei im März und des Köpi-Wagenplatzes in Mitte im Oktober vergangenen Jahres. Unmittelbar davor musste auch der selbstverwaltete Jugendclub Potse seine angestammten Räume in Schöneberg verlassen.

    wochentaz

    Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

    „Rein rechtlich mögen die Räumungen vollkommen korrekt sein, aber an sich stimmt irgendwas am System nicht“, sagt Christian heute im Rückblick. Immerhin waren das Syndikat und die Meuterei mehr als nur Kneipen, in denen das Bier trotz gentrifizierter Innenstadtlage noch bezahlbar war. Es waren für die Nachbarschaft auch wichtige Orte für Vernetzung, Austausch, politische Organisierung und soziales Miteinander.
    Ein Mann steht vor einem Haus mit verammeltem Fenster

    Ausgeräumt: Christian vor der nun leer stehenden Kiezkneipe Syndikat Foto: André Wunstorf

    Gemein ist allen Räumungen, dass sie für private Eigentümer durchgeführt wurden – und auf großen Protest stießen. Jeweils mehr als 2.000 Po­li­zis­t*in­nen wurden bei den Räumungen der langjährigen linken Symbolprojekte eingesetzt – entstandene Kosten für die Steu­er­zah­le­r*in­nen jeweils im siebenstelligen Bereich.
    Der neue Leerstand

    Obwohl inzwischen doch reichlich Zeit vergangenen ist, steht heute nicht nur das Syndikat leer, sondern auch die Meuterei und der ehemalige Wagenplatz auf dem Gelände des autonomen Wohn- und Kulturprojekts Köpi. 20 Jahre lang lebten hier mitten in Berlin rund 40 Menschen in kleinen Bauwagen ihren Traum vom alternativen Leben jenseits von bürgerlichen Konventionen. Als kleines Dorf mit vielen verschiedenen Kulturen und Sprachen, in dem sich alle gegenseitig helfen und voneinander lernen, bezeichnen die Be­woh­ne­r*in­nen ihr einstiges Zuhause.

    Eine von ihnen ist Mollie. Fünf Jahre lang hat die junge Frau auf dem Köpi-Wagenplatz gewohnt – bis dieser geräumt wurde. „Wir waren wie eine große internationale Familie“, sagt sie der taz. Mit dem Leben in einer normalen Wohnung könne man das nicht vergleichen. „Du hattest deinen eigenen Raum und hast gleichzeitig in einer großen Community gelebt, die sich gegenseitig hilft, Konzerte organisiert und sich in unterschiedlichen Kollektiven organisiert.“ Freiräume wie der Wagenplatz bedeuten für sie vor allem eins: eine andere Art zu Leben, kollektiv, selbstverwaltet und solidarisch.

    Dass dieser Raum nun verloren ist, ist für sie ein schwerer Verlust. „Am schlimmsten ist für mich, dass unsere Familie getrennt wurde“, sagt Mollie. Zwar haben viele Wagenplätze den ehemaligen Be­woh­ne­r*in­nen einen Platz angeboten, auch Mollie ist in einem untergekommen. Allerdings hat kaum einer der rund 20 Berliner Wagenplätze eine langfristige, vertraglich gesicherte Bleibeperspektive.

    Vom Köpi-Wagenplatz ist nur eine große Baugrube geblieben, verborgen hinter einem mit Stacheldraht gesicherten Bauzaun. Der Security-Mitarbeiter, der je­de*n misstrauisch beäugt, der*­die sich dem Gelände nähert, bewacht hier jedoch kein Bauprojekt, sondern eine Brache. Bagger oder andere Baustellenwerkzeuge sind nicht zu sehen.

    Bezirk und Eigentümer sind sich uneins darüber, ob die Baugenehmigung noch gültig ist. Die Bauaufsicht sieht diese jedenfalls seit Ende November 2021 wegen des „nicht erfolgten realen Baubeginns“ als erloschen an – also seit nur sechs Wochen nach der Räumung. Der Besitzer, die Sanus AG, hinter der der umstrittene Immobilieninvestor Siegfried Nehls steht, will das Gelände laut taz-Informationen verkaufen. Die Sanus AG dementiert das.
    Spekulieren auf Wertsteigerung

    Sollte ein Verkauf gelingen, würde sich Nehls sein Immobilienpoker vergolden lassen – schließlich dürfte sich der Grundstückswert wesentlich gesteigert haben, seit die widerständigen Be­woh­ne­r*in­nen weg sind. Die hatten schon vor der Räumung spekulativen Leerstand prophezeit. „Wir haben das erwartet, aber es ist trotzdem enttäuschend. So eine Verschwendung“, sagt Mollie über das brachliegende Gelände, das einst ihr Zuhause war.

    Einige Kilometer entfernt befindet sich die Friedrichshainer Liebigstraße. 30 Jahre lang bot hier das feministische Hausprojekt Liebig34 einen sicheren Rückzugsort für Frauen*. Zwar steht das Gebäude im Gegensatz zu den anderen geräumten Projekten nicht leer, dafür verfällt es seit zwei Jahren zusehends. Die Zustände im Haus gelten als katastrophal: kaputte Rohre, nicht funktionierende Heizungen, Müllberge im Hinterhof, überteuerte Mietverträge. Mittlerweile hat sich wegen der Mängel auch die Bau- und Wohnungsaufsicht eingeschaltet, wie eine Sprecherin des Bezirksamts auf taz-Anfrage mitteilte.
    Eine Frau mit umgehängtem Protestplakat

    Gegen den Ausverkauf: bei einer Demo für den Erhalt von linken Projekten im März 2021 Foto: Stefan Boness/Ipon

    Wie auch in vielen anderen seiner rund 50 Immobilien in Friedrichshain soll der Besitzer, der umstrittene Immobilienunternehmer Gijora Padovicz, auch hier die Not von geflüchteten Menschen auf dem angespannten Wohnungsmarkt der Hauptstadt systematisch ausnutzen. Das System ist dabei weder neu noch beispiellos: Für heruntergekommene Wohnungen wird der Höchstbetrag verlangt, den das Jobcenter oder Landesamt für Flüchtlinge übernimmt. Für die Vermittlung sollen zudem teils vierstellige Summen fließen. Die Be­woh­ne­r*in­nen des benachbarten linksradikalen Hausprojekts Rigaer94 vermuten, dass Padovicz auf diese Weise noch ordentlich Profit aus dem Gebäude schlagen will, bevor er es in teure Eigentums- oder Luxusmietwohnungen umwandelt. Für sie ist die Räumung der Liebig34 – ebenso wie die Angriffe auf das eigene Hausprojekt – der Versuch, den Widerstand gegen Gentrifizierung im Kiez zu brechen.

    Was die Eigentümer mit den umkämpften Objekten vorhatten, spielte für die Unterstützung des Staates bei der Vollstreckung der Räumungstitel keine Rolle. Dass jedoch in den vergangenen zwei Jahren ausgerechnet unter einer rot-rot-grünen Landesregierung zahlreiche linke Projekte zerstört wurden, um die Profitinteressen privater Im­mo­bi­li­en­be­sit­ze­r*in­nen durchzusetzen, gilt in der außerparlamentarischen Linken als schwerer Verrat. Insbesondere Ver­tre­te­r*in­nen der Linkspartei zeigten sich zwar solidarisch, betonten jedoch immer wieder ihre Machtlosigkeit angesichts der gerichtlich angeordneten Räumungstitel.
    Häuser dem Markt entziehen

    Moritz Heusinger ist seit vielen Jahrzehnten Anwalt für linke Projekte, auch die Liebig34 gehörte zu seinen Klient*innen. „Bei Häusern in Privatbesitz hat das Land nicht so große Einflussmöglichkeiten“, sagt er zur taz. Machtlos sei es allerdings nicht. „Der Staat kann zum einen als Kaufinteressent auftreten und so die Häuser dem Markt entziehen.“ Auch könne das Land Anreize für Eigentümer setzen, um diese zu Zugeständnissen zu bewegen. Dies war etwa in den 90er Jahren der Fall, als an Runden Tischen die Legalisierung von rund 100 besetzten Häusern verhandelt wurde.

    Berliner Häuserkampf

    Besetzte Häuser gehören in Berlin seit den 70er Jahren zum Stadtbild dazu. Während sich in Westberlin Be­woh­ne­r*in­nen mit Besetzungen gegen den systematischen Abriss von Altbauten wehrten und An­ar­chist*in­nen, Künst­le­r*in­nen und Hippies alternative Lebensformen erprobten, war in Ostberlin die Praxis des „Schwarzwohnens“ zwar weniger sichtbar, aber durchaus verbreitet: Allein in Prenzlauer Berg gab es vor der Wende Hunderte besetzte Wohnungen.

    1980/81 kam es in Westberlin zu einer großen Besetzungswelle. Innerhalb weniger Monate wurden rund 160 Häuser besetzt. Die In­stand­be­set­ze­r*in­nen erfuhren dabei viel Unterstützung in der Bevölkerung. Der Senat reagierte mit Repression: Bis 1984 wurde fast die Hälfte der Häuser gewaltsam von der Polizei geräumt. Die Be­woh­ne­r*in­nen leisteten militanten Widerstand und es kam zu regelrechten Straßenschlachten.

    Zu einer weiteren großen Besetzungswelle kam es dann 1990 nach der Wende, bei der rund 120 Häuser besetzt wurden. Das durch den Zusammenbruch der DDR entstandene machtpolitische Vakuum bot im Osten der Stadt gute Voraussetzungen, sich leer stehende Räume anzueignen. In Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg entstanden zahlreiche Haus- und Kulturprojekte. Einen Wendepunkt markierte die Räumung von zwölf besetzten Häusern in der Mainzer Straße im November 1990, die zu einer Straßenschlacht mit zahlreichen Verletzten eskalierte.

    In beiden Besetzungswellen gab es immer wieder Bemühungen, die Häuser zu legalisieren. In den 80er Jahren wurden die Verhandlungen durch die immer wieder stattfindenden Räumungen zwar erschwert, dennoch konnten bis 1984 rund 100 Häuser durch Miet- oder Kaufverträge „vertragsbefriedet“ werden. In den 90er Jahren war die Bewegung stark in verhandlungsbereite Be­set­ze­r*in­nen und Nicht­ver­hand­le­r*in­nen gespalten. Nach der Räumung der Mainzer Straße orientierte sich dann die Mehrheit an Verhandlungslösungen. An runden Tischen konnten rund zwei Drittel der Häuser Nutzungsvereinbarungen abschließen.

    Seit den 90ern kommt es nur noch vereinzelt zu Besetzungen. Das änderte sich zwischenzeitlich im Zuge der Mie­te­r*in­nen­pro­tes­te, die Wohnungen wurden jedoch schnell geräumt.

    Heusinger konnte damals für viele Projekte dauerhafte Miet- und Pachtverträge zu günstigen Konditionen rausholen. Eines dieser Projekte ist die ehemals besetzte Brunnenstraße 6/7 in Mitte. Nachdem Ende der 90er Jahre ein Immobilienunternehmer den Gebäudekomplex übernahm und die rund 100 Be­woh­ne­r*in­nen rausklagen wollte, konnten an einem runden Tisch mit Senat und Bezirk Mietverträge verhandelt werden. Dies war laut Heusinger auch deshalb möglich, weil der Senat als Anreiz die Sanierung des Hauses finanziell unterstützte. Auch im nahe gelegenen Kultur- und Wohnprojekt Schokoladen konnte 2012 noch vor dem Räumungstermin eine Einigung erzielt werden, indem der Senat dem Eigentümer im Tausch ein anderes Grundstück in der Straße vermachte. Beide Hausprojekte gibt es nach wie vor und haben eine langfristige Perspektive.

    Das Hauptproblem sieht Heusinger darin, dass das Land Berlin jahrelang zu Schleuderpreisen Grundstücke verkauft hat – die es heute für ein Vielfaches des Verkaufspreises zurückzukaufen versucht. Die Bereitstellung von Ersatzgrundstücken sei dadurch zwar schwieriger geworden, es bleibe jedoch der Hebel des Bauplanungsrechts. „Man könnte sagen, du verkaufst mir das Grundstück, dafür bekommst du woanders eine Bauerlaubnis“, so der Rechtsanwalt.

    Auch das Hausprojekt Liebig34 befand sich auf einem der verscherbelten Grundstücke. Als es dann vom neuen Eigentümer rausgeschmissen wurde, habe sich der Senat weggeduckt, kritisiert Heusinger. „Im Fall der Liebig34 wurde politisch nichts unternommen, um es zu retten.“ Beim Köpi-Wagenplatz war das anders: Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Howoge verhandelte bis zum Schluss intensiv mit dem Eigentümer, um das Areal zu erwerben. Als dann jedoch die Räumung anstand, hatte der Eigentümer kein Interesse mehr an einer Einigung.

    Statt an sozialen Maßstäben orientiert sich Stadtpolitik heute vor allem an privatrechtlichen und ökonomischen Kriterien. „Stadtpolitik wird von Eigentümern definiert“, meint der Stadtsoziologe Andrej Holm

    Auch hier sieht Heusinger politischen Handlungsspielraum: „Man muss die polizeiliche Unterstützung für Gerichtsvollzieher nicht so schnell gewähren, sondern kann die Räumung hinauszögern.“ Und so Verhandlungen in letzter Minute ermöglichen. Dazu fehle in der SPD-geführten Innenverwaltung jedoch der politische Wille. „Der Wind hat sich für politische Projekte verschärft“, beobachtet der erfahrene Anwalt. Nicht nur würden in Berlin immer mehr langjährige Projekte verschwinden, auch Neubesetzungen würden gnadenlos geräumt. Tatsächlich wurden in den vergangenen Jahren so gut wie alle Besetzungen gemäß der Berliner Linie – Hausbesetzungen innerhalb von 24 Stunden räumen zu lassen – innerhalb kürzester Zeit von der Polizei beendet.

    Der Stadtsoziologe Andrej Holm sieht in der Räumung der zahlreichen Projekte ein „über die Jahre aufgebautes Versagen“. In den 90er Jahren habe man vereinbart, dass Hausprojekte und andere alternative Freiräume zu Berlin dazu gehören und ihre Legalisierung auf den Weg gebracht. Über die Jahre habe sich der Senat dann aus seiner Verantwortung zurückgezogen und es versäumt, ihre Existenz zu sichern. Heute fühle sich die Landesregierung nicht mehr an die Vereinbarung gebunden und verstecke sich hinter Gerichtsurteilen, kritisiert Holm, der 2016/17 selbst kurzzeitig Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung war.

    Mittlerweile sind die Spielräume für linke Freiräume und nachbarschaftliche Begegnung angesichts des steigenden Preisdrucks immer enger geworden. Dabei seien diese für die Gesellschaft wichtig, sagt Holm. „Es sind Möglichkeiten zur Selbstverwaltung und Selbstgestaltung alternativer Lebensstile jenseits des Konformitätsdrucks.“ Daran sollte auch die Berliner Landesregierung ein Interesse haben. „Die Stadt muss für alle da sein und allen Entfaltungsmöglichkeiten bieten.“ Der Kiezcharakter, der die Hauptstadt vielerorts noch ausmacht und durch eine Mischung an vielfältigen Lebensstilen geprägt ist, gehe verloren, wenn einem Teil dieser Vielfalt die Räume genommen werden.

    Statt an sozialen Maßstäben orientiert sich Stadtpolitik heute vor allem an privatrechtlichen und ökonomischen Kriterien. „Stadtpolitik wird von Eigentümern definiert“, meint Holm. Die Konsequenz sei eine Einschränkung von Entfaltungsmöglichkeiten: „Ökonomische Rationalität kann soziale und kulturelle Vielfalt niemals abbilden“, so Holm. Der Druck durch immobilienwirtschaftliche Profitinteressen werde in Berlin und anderen Städten in absehbarer Zeit jedoch nicht abnehmen – im Gegenteil. Durch die steigenden Zinsen seien Eigentümer noch stärker als bisher gezwungen, ihre Gewinne aus den Immobilien selbst zu erzielen, also durch Mieterhöhungen. Dadurch könnten weitere unkommerzielle Projekte verdrängt werden.

    Gleichzeitig werde der Wunsch nach subkulturellen Freiräumen nicht verschwinden, meint der Stadtsoziologe. Holm glaubt daher, dass es immer wieder neue Initiativen geben wird, die sich leer stehende Räume aneignen – die es in Berlin nach wie vor gibt. Ein Beispiel dafür ist die Habersaathstraße 40-48: In dem jahrelang leerstehenden Gebäudekomplex wurde nach Besetzung ein Hausprojekt für rund 50 Obdachlose geschaffen, das nach Verhandlungen zwischen Bezirk und Eigentümern seit einem Jahr geduldet wird.

    Was also kann Berlin tun, um solche Projekte zu schützen und die Stadt nicht privaten Immobilienunternehmen zu überlassen? Zuallererst brauche es einen „Artenschutz für bestehende Projekte“, sagt Holm. Und eine Politik, die die Entstehung neuer Freiräume als wichtigen Impuls für die Stadtpolitik begreift und diese unterstützt – statt sie als Störung zu begreifen.

    #Berlin #Köpenicker_Straße #Mitte #Hausbesetzung #Stadtentwicklumg #Miete #Kultur #Wohnen #Immobilien #Kapitalismus

  • Inflation: Dieser Bioladen in Berlin-Wedding hat ein Rezept gegen Geschäftssterben
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/nach-corona-rekordgeschaeft-berliner-bioladen-schreckt-nicht-vor-de

    25.11.2022 von Silvia Benetti - Anders als viele Geschäfte ihrer Branche hat Martina Marggraf mit ihrem Bioladen im Weddinger Sprengelkiez keine Umsatzeinbußen wegen der Inflation. Langfristig ist sie jedoch misstrauisch. 

    Pralle Tomaten, leuchtend gelbe Paprika und riesige Salatköpfe prunken auf dem Tisch im Eingangsbereich, es duftet nach Kaffee und frischen Brötchen. Martina Marggraf, 37 Jahre alt und Mutter von drei Kindern, führt seit 2011 den Bioladen in der Tegeler Straße unweit des Leopoldplatzes.

    Neben frischen Lebensmitteln verkauft Martina auch Bio-Hygieneartikel sowie ökologische Kinderkleidung. Dazu betreibt sie in den Räumlichkeiten ein Café. In der Sitzecke mit einladenden Holztischen können Kunden ein Franzbrötchen oder ein Stück Quiche essen und bei einem Cappuccino oder Tee entspannen. Die Backwaren stammen aus der Bäckerei eines befreundeten Konditors in Kreuzberg.

    „Du hast hier eine Familie, du bist bekannt“

    „Viele Kunden haben hier einen Anlaufpunkt im Kiez“, sagt Marggraf der Berliner Zeitung. Das erklärte offenbar auch, warum der aktuelle Umsatz zwar unter den Rekorden der Corona-Zeit liege, dennoch im Vergleich zu 2019 nicht zurückgegangen sei. Während der Lockdowns 2020 und 2021 sei der Bioladen für viele ein Zufluchtsort gewesen, behauptet die Geschäftsfrau; einer der wenigen Orte, in dem sie Kaffee zum Mitnehmen bekommen und ein paar freundliche Worte hätten mit anderen Menschen wechseln können. Damals habe sie angefangen, das Café auch am Sonntag zu öffnen, was für einen hohen Zulauf gesorgt habe. Zwar durften die Kunden die Backwaren und den Kaffee nur mitnehmen, trotzdem sei der Zulauf außerordentlich gewesen.

    Auch nach dem Ende der Pandemie, so Marggraf, hielten die Kunden dem Kiezladen die Treue. Zwar hamstere jetzt niemand mehr Mehl, Hefe und Toilettenpapier, dennoch könne von Umsatzeinbrüchen nicht die Rede sein. Ohnehin sei in den Jahren eine vielfältige Stammkundschaft entstanden, die sowohl Fernsehstars und Spitzenpolitiker als auch Normalverdiener und Hartz-IV-Empfänger umfasst. „Wir haben Leute, die täglich kommen und frisch einkaufen. Gerade bei Obst und Gemüse haben wir viel Durchlauf, weil man bei uns auch drei Champignons mitnehmen kann. Wir haben also Großfamilien, aber auch Singles. Und alle schätzen das.“ Das würden zwar auch Bioketten versuchen, doch so gemütlich und persönlich sei es dort nicht. „Du hast hier eine Familie, du bist bekannt“, sagt die Unternehmerin.
    Energiekosten hat Marggraf noch nicht weitergegeben

    Ein weiterer Pluspunkt für ihren Bioladen sei aus ihrer Sicht die Preispolitik. „Was mir wichtig war, als ich eröffnet habe, und was ich auch geschafft habe, ist, dass jeder sich das leisten kann.“ Aus diesem Grund liegt der Preis für einen normalen Kaffee unverändert bei 2,20 Euro, ein Cappuccino kostet 2,60 Euro. Da die Gewinnmarge beim Kaffee höher sei, so Marggraf, mache sie trotzdem keinen Verlust. Bei anderen Produkten habe sie dagegen die Preise anpassen müssen. Backwaren etwa seien wegen der stark gestiegenen Energiekosten 20 bis 25 Prozent teurer geworden. Anders als die Ketten, die oft bestimmte Produkte unter dem Einkaufspreis verkaufen, um Kundschaft zu locken, hielte sie sich immer an die unverbindliche Preisempfehlung.

    Auch ihr deutscher Bekleidungslieferant habe die Preise erhöht, da die Rohstoffe Wolle und Seide sich verteuert haben. Kostete ein Schlafsack letztes Jahr 90 Euro, seien es jetzt 115 Euro. Die Textilunternehmen aus Skandinavien verzichteten dagegen auf die Preiserhöhungen. Bei den Hygieneartikeln seien Preisveränderungen mit der Ausnahme von Toilettenpapier ebenfalls ausgeblieben.

    Unwesentlich teurer als 2021 gibt es im Bioladen auch Obst und Gemüse, das Martina Marggraf von Bauern aus der Region bezieht und günstiger als die Bioketten wie etwa Bio Company und Denns anbietet. „Wir haben zum Beispiel eine 50-Prozent-Kiste für Obst und Gemüse, das auch am nächsten Tag noch in Ordnung ist“, sagt Martina. Ihr Fokus liege dabei auf frischer und hochwertiger Ware, mehr als auf Gewinn. Auch sei es ihr wichtig, ihre wenigen Mitarbeiter fair zu bezahlen. Die gestiegenen Energiekosten für das Geschäft – der Stromabschlag habe sich beispielsweise im Vergleich zu den letzten Jahren verdoppelt – habe sie noch nicht an die Kunden weitergegeben. Möglicherweise sei das aber demnächst notwendig. Die Frage, ob Bioläden die hohe Inflation überleben werden, bejaht sie. „Die Leute werden weiter auf Qualität achten. Sie sind bereit, weniger zu kaufen, dafür hochwertiger.“

    „Der Kiezladen wird aussterben“

    Hört man Martina Marggraf zu, möchte man meinen, dass sie ein wirksames Rezept gegen das Geschäftesterben in den Innenstädten gefunden hat: eine familiäre Atmosphäre, hohe Qualität und faire Preise. Sie habe es geschafft, sich mit dem Bioladen, dem Café und der Kinderkleidung gleich drei Standbeine aufzubauen, und mache alles auch elf Jahre nach der Eröffnung des Ladens sehr gerne, bestätigt die 37-Jährige.

    Jedoch machen die bisher guten Umsätze keinen wirtschaftlichen Erfolg aus. Ein solches Geschäft lohne sich schon jetzt kaum, sagt Martina, obwohl sie 80 Stunden pro Woche arbeite. Rote Zahlen schreibe sie zwar nicht, dennoch sei der Gewinn nach Abzug von Betriebskosten, Steuern und Abgaben im Verhältnis zu den Arbeitszeiten nicht der Rede wert. Denn zu den hohen Gewerbemieten kämen immer höhere private Lebenshaltungskosten und die Konkurrenz aus dem Internet. „Es werden sich immer weniger Leute finden, die bereit sind, für einen geringen Verdienst solche Arbeit zu machen. Du musst auch deine Miete zahlen können“, argumentiert die Gründerin.

    Aus diesen Gründen werden ihrer Meinung nach Geschäfte wie ihres langfristig nicht überleben. Dafür sei der Trend, online einzukaufen, viel zu ausgeprägt, und die Corona-Zeit habe ihn noch verstärkt, gibt die Geschäftsfrau zu. Sie stellt fest: „Jeder mag die Kiezläden, jeder geht gerne sonntags hier bummeln und kauft ein Brot oder einen Apfel. Aber das Meiste bestellen sie doch im Internet. Da klickt man zweimal, und der Lieferdienst kommt innerhalb von zehn Minuten. Alle sind auf Schnelligkeit.“

    Vorerst macht Martina Marggraf jedoch weiter. Eine Mutter mit ihrem Kleinkind betritt in der Zeit den Laden und grüßt freundlich, so wie jemand, der alte Bekannte trifft. Auch das Kleine lächelt. „Manchmal glaube ich, dass wir es schaffen“, sagt Marggraf zum Schluss etwas aufgemuntert. „Dass wir es schaffen, den Leuten zu vermitteln, nicht alles im Internet zu kaufen.“

    #Berlin #Wedding #Tegeler_Straße #Handel #Stadtentwicklung

  • Krise der Warenhäuser: Ein Stück Stadtkultur verschwindet
    https://www.berliner-zeitung.de/open-mind/ein-stueck-stadtkultur-verschwindet-li.282765


    Galeria Kaufhof am Berliner Alexanderplatz, Foto: Benjamin Pritzkuleit

    2.11.2022von Harry Nutt - Mit der Krise von Galeria Karstadt Kaufhof ist mehr gefährdet als ein Warenhauskonzern. Den deutschen Innenstädten steht ein dramatischer Wandel bevor.

    Die kulturelle Bedeutung der großen Warenhäuser stand schon immer in einem eklatanten Widerspruch zur ökonomischen. In der ersten Blütezeit des Kaufhauses in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts machten die Umsätze von Wertheim, Karstadt, Tietz und Co. gerade einmal 2,5 Prozent des Anteils am deutschen Einzelhandel aus, in der öffentlichen Wahrnehmung aber nahm es rasch die Rolle eines gesellschaftlichen Spiegels an, in dem man es als verführerischen Konsumtempel oder schlicht als gefräßige Konkurrenz für den Krämerladen um die Ecke sah.

    Für Schriftsteller, Philosophen und Soziologen wie Émile Zola, Georg Simmel, Walter Benjamin, Sigfried Kracauer, Franz Hessel und andere war das Kaufhaus ein faszinierender Schauplatz der Moderne, auf dem nicht zuletzt Wünsche, Ängste, Ressentiments und Projektionen gehandelt wurden. Das gesellschaftliche Begehren ging keineswegs nur von den Vitrinen aus, in den großen, trotz der Warenvielfalt klar strukturierten Häusern begegneten die Bürger auch sich selbst. Kaum etwas repräsentierte die Stadtgesellschaft so sehr wie das erste Haus am Platz, in dem die Menschen sich mit dem zeigten, was sie sind und was sie haben wollen.

    „Kaufhof bietet tausendfach, alles unter einem Dach“

    Wenn die Metapher vom Marktplatz noch eine Bedeutung hat, dann ist sie in der digitalen Welt vor allem auf Bereiche übergegangen, wo Meinungen getauscht werden, während die materiellen Bedürfnisse zunehmend über imaginäre Warenkörbe verlaufen, die nach Spezialinteressen sortiert sind. Bücher, Mode, Sportartikel, Delikatessen – für alles gibt es Online-Adressen, aber auf keine trifft mehr der Werbeslogan zu, den ich seit meine Jugend im Gedächtnis behalten habe: „Kaufhof bietet tausendfach, alles unter einem Dach“.

    Mit der faszinierenden Wirkung der unmittelbaren Gegenwart des Tausendfachen scheint es ein für alle Mal vorbei zu sein. Einer der Markgiganten, der Einzelhandelskonzern Galeria Karstadt Kaufhof befindet sich in wirtschaftlichen Turbulenzen und hat Insolvenz unter den Bedingungen eines sogenannten Schutzschirmverfahrens beantragt. Das besagt zwar, dass es bei günstigem Ausgang noch nicht vorbei sein muss mit der glanzvollen Geschichte und Gegenwart der Häuser. Es ist aber seit geraumer Zeit kein Konsumgeheimnis mehr, dass die Zeit des liebevollen Umschleichens der Waren einer schnöden Achtlosigkeit gewichen ist. Das Kaufhaus hat seine Aura selbst dort verloren, wo man ihm mit aufwendigen Umbau zur Freizeit- und Erlebnissphäre neue Attraktivität einzuflößen versucht. Bestand sein großer Reiz einmal in der sozialen Mischung der Kundschaft, so wird nun über die regulären Öffnungszeiten hinaus der Versuch unternommen, soziale Abgrenzung, also Exklusivität, als After-Work-Ereignis anzubieten. Im restaurierten Berliner KaDeWe ist kaum noch zu unterscheiden, wo der Warenbereich aufhört und die Eventzone beginnt.
    Inseln städtischer Verödung

    Weit dramatischer als die Malaise des Warenhauses aber ist die des öffentlichen urbanen Raumes. Waren Innenstädte einmal Zentren der Geschäftigkeit, die das Leben der Menschen sichtbar in Arbeit und Freizeit teilte, so ist inzwischen jene Orientierung verloren gegangen, die einmal reguläre Öffnungszeiten zwischen 9 und 18 Uhr garantierten. Verstärkt durch die Corona-Krise präsentiert sich der Einzelhandel nunmehr als unzuverlässiges Revier aus akuter Not („wegen Krankheit geschlossen“) und libertärer Beliebigkeit („Auf ist, wenn auf ist.“) Aus dem schier unbegrenzten Meer hemmungsloser kapitalistischer Ausdehnung ragen inzwischen Inseln der Verödung hervor, rasende Fluktuation und Neustartversuche anstelle kontinuierlichen Wachstums. Auf groteske Weise wird der Niedergang des Stadtraums als ökonomisches Kraftzentrum von verzweifelten Anstrengungen zu einer politischen Mobilitätswende begleitet, in der das Auto nicht länger als Fortbewegungs- und Transportmittel hingenommen, sondern als Dämon exorziert wird. Galt das Kaufhaus einmal als Schaustätte unerreichter Wünsche, so erscheint es nun zunehmend als schwer erreichbares Gebäude.

    Wenn man es angesichts des Niedergangs der kulturellen Errungenschaft Warenhaus nicht bei Sentimentalitäten belassen will, käme es auf eine Stadtplanung an, die zukünftiges Wirtschaftshandeln auf einleuchtende Weise mit den Varianten zu verbinden weiß, sich in der und durch die Stadt zu bewegen. Der traurige politische Triumph aber, eine vom Autoverkehr geprägte Straße in eine reine Fahrradstraße mit Pflanzenkübeln umgewandelt zu haben, könnte bald schon das dort gelegene Kaufhaus als leere Kulisse aus einer anderen Zeit erscheinen lassen.

    #Berlin #Wirtschaft #Stadtentwicklung

  • Her mit den Autos! Die kranke Debatte um die Berliner Friedrichstraße
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/her-mit-den-autos-die-kranke-debatte-um-die-berliner-friedrichstras

    27.10.2022 von Peter Neumann - Einzelhändler, die ihr eigenes Viertel schlechtreden. Politiker, die auf Zwangsbeglückung setzen. Richtige Maßnahmen am falschen Ort – das musste scheitern. 

    Als alles begann: Im August 2020 wurde der rund 500 Meter langer Abschnitt zwischen der Leipziger und der Französischen Straße autofrei. Doch die Flaniermeile geriet in die Kritik.Berliner Zeitung/Carsten Koall

    Wohnungsknappheit. Marode Schulen. Müll in Parks. Berlin hat viele Probleme. Doch die Stadt streitet sich lieber über eine unbedeutende Straße in Mitte. Für diejenigen, die dort ihr Geld verdienen, mag sie sicher wichtig sein. Für den Großteil der Berliner spielt die Friedrichstraße, abgesehen vom dort gelegenen Bahnhof, im Alltag keine Rolle.

    Wenn es allerdings um Mobilitätspolitik geht, ist der Abschnitt rund um die Galeries Lafayette, der seit August 2020 von Autos nicht mehr befahren werden darf, so etwas wie Ground Zero. Um ihn tobt eine Diskussion, bei der man erleben kann, wie laut Argumente detonieren, wenn privaten Kraftfahrzeugen auch nur ein paar Meterchen Straße genommen werden. Nachdem das Verwaltungsgericht die derzeitige Sperrung vor Kurzem für rechtswidrig erklärt hat, hat der Streit wieder an Aggressivität gewonnen.

    Eine positive Vision fehlt, es ist alles nur negativ

    Auf der einen Seite stehen manche Anlieger, Verbände, die Opposition. Es ist ihr gutes Recht, die Sperrung und die notgedrungen provisorische Gestaltung zu kritisieren. Auch, als Betroffene dagegen zu klagen. Aber manchmal verwundert es schon, mit wie viel Verve Anlieger, Verbände und die Opposition diesen Bereich seit Jahren zu einer Art Elendsgebiet stilisieren, in dem der Handel einen von den Grünen verursachten Tod stirbt und Radfahrer Fußgänger jagen. Wer die tristen Darstellungen liest, dürfte erst recht keine Lust mehr haben, dort vorbeizuschauen – und vielleicht sogar einzukaufen.

    Dabei bestand vor der Sperrung dazu kaum Anlass. Außer, man brauchte eine neue Rolex, einen neuen Montblanc. Schon vorher waren Leerstandsrate und Fluktuation hoch, schon vorher fühlten Berliner nicht das Bedürfnis, in der Friedrichstraße zu bummeln, geschweige denn abends auszugehen. Der Investorentraum von einem Ost-Kudamm, einer Luxusmeile mit hohen Mieten, aber ohne Aufenthaltsqualität ging nicht auf. Mit Sitzbänken, Vitrinen und 65 Bäumen in Kübeln hat der Bezirk versucht, die Tristesse zu kaschieren - und bekam diese Bemühungen dann auch noch um die Ohren gehauen.

    Zu Recht beschweren sich Anrainer darüber, dass der Autoverkehr in den Parallelstraßen zugenommen habe. Das hat auch die Klägerin, die nun Recht bekam, mit guten Gründen moniert. Allerdings bleiben die Kritiker eine Erklärung dafür schuldig, was genau für den Einzelhandel in der Friedrichstraße besser werden soll, wenn auch sie wieder auf ganzer Länge von Autos befahren werden darf und wenn Fußgänger auch dort wie früher auf die schmalen Gehwege verwiesen werden. Eine positive Vision fehlt, es ist alles nur negativ.

    ... und so war es vorher: die Friedrichstraße mit den Galeries Lafayette (hinten links) im Oktober 2018.

    Verfechter der Mobilitätswende erleben erneut, wie schwierig ihr Anliegen umzusetzen ist und wie sehr sie vom Straßenverkehrsrecht behindert werden. Politiker und Verwaltungsleute müssen erkennen, dass Zwangsbeglückung nicht funktioniert. Wenn die Anrainer die Flaniermeile partout nicht wollen, ist es eben so. Dann lasst wieder Autos lärmen und stauen! Mit der Bedingung, dass das auf absehbare Zeit so bleibt, damit die Staatskasse von Kosten für weitere Verschönerungsversuche verschont wird.

    Auch wenn Details zu kritisieren sind: Was in der Friedrichstraße geschehen ist, waren die richtigen Maßnahmen am falschen Ort. Das nächste Mal sollte der Senat eine berlinweite Ausschreibung starten. Wer will, dass sein Kiezzentrum schöner wird? Das Viertel, das die breiteste Unterstützung nachweist, bekommt zehn Millionen Euro.

    #Berlin #Mitte #Friedrichstraße #Verkehr #Stadtentwicklung

  • Ostberliner Geschichte: Acht Orte, an denen man DDR-Geschichte entdecken kann
    https://prod.berliner-zeitung.de/ratgeber/ost-berliner-geschichte-acht-orte-an-denen-die-ddr-weiterlebt-

    Orte an denen die DDR weiterlebt? Die vorzustellen behauptet die Berliner Zeitung. Schauen wir mal.

    27.7.2022 von Nicole Schulze - Stasi-Zentrale, Mauerreste, Auffanglager: In (Ost-)Berlin gibt es viele Orte, die sich in unterschiedlichen Facetten mit der DDR auseinandersetzen.

    Folgt man der Zusammenstellung „lebendiger“ DDR -Orte in der Berliner Zeitung, war die Deutsche Demokratische Republik eine Horrorshow.

    1. DDR-Museum

    Einmal habe ich mir das angetan. Hier trifft Langeweile pur auf ollet Gerümpel und Bilder, die man kennt.

    In Echt war Ostberlin aufregend, voller Kultur zu erschwinglichen Preisen, Party, langen Diskussionen mit Menschen, denen der Arbeitsstress nicht das Leben vermieste, jede Alltagsbegegnung ein Gewinn, keine Blingbling Überflußgesellschaft, das Materielle auf das Wesentliche reduziert, ansonsten fast so wie bei uns in Westberlin nur entspannter.

    Der wichtigste Unterschied, den das vollhygienische DDR-Museum nicht zeigt, war der Geruch der Menschen. Keine Spur von Westparfüm in der S-Bahn, im Arbeiter- und Bauernstaat wusch man sich mit Seife.

    Menschen ohne Herrenparfüm, Kachelöfen mit Braunkohlebriketts befeuert, Zweitakter, aus diese Mischung bestand die Duftnote Friedrich Ecke Leipziger.

    Nachsatz für alle, die jetzt sagen wollen, „es war aber ganz anders ...“: Natürlich war das nicht die ganze DDR, vor allem nicht in der Provinz und auch die Hauptstadt der DDR war nicht immer glücklich. Jedoch ist es Zeit, den Negativklischees das Schöne, Gute und Positive entgegenzusetzen, und endlich Kritisches mit Wahrem zu vereinen.

    Die Alternative: Übernachten im Ostel - Das DDR Hostel
    https://www.berlin.de/hotels/adressen/hostel/ostel-das-ddr-hostel-a389db6eec9de8edf96db6d270176f57.html

    2. Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen

    Das Stuttgart-Stammheim von Ostberlin. Nur verknackten hier nicht Altnazis junge Gegner des Kapitalismus sondern olle Stalinisten die Gegner ihrer Vorstellung vom Kommunismus. Erklär mir, was besser ist. Ein Unterschied: Das Stasi-Gefängnis ist Geschichte, in Stammheim foltert der Unrechtsstaat noch heute.

    Ist das einen Besuch wert? Wer sich die Geschichtserzählung der Sieger des Kalten Kriegs anhören will, bitteschön. Allen anderen sei stattdessen ein lehrreicher Nachmittag im Lesesaal der Landesbibliothek empfohlen - den gab es schon, als sie noch in der DDR lag.

    Die Alternative: Lesen in der Berliner Stadtbibliothek, Breite Straße 30-36, 10178 Berlin
    https://www.zlb.de

    3. East Side Gallery

    Ja, hübsch hat aber mit der DDR nichts zu tun und ist schon lange nicht mehr das, was es sein sollte.

    Unter dem Pflaster liegt der Strand und hinter der Bemalung liegt die Hinterlandmauer, für die sich der gewöhnliche Tourist nicht mal in ihrer Funktion als Leinwand interessiert. Die Berliner Mauer war hier die Spree und die Hinterlandmauer ein paar Meter vor dem Ufer sorgte sozusagen nur dafür, dass niemand aus Versehen in den Berliner Flussdarsteller fiel. Bemalt wurde das Ding erst, als die DDR sich auflöste. Viel interessanter wäre es gewesen, die vielen Werke internationaler Künstler und Touristen auf der westlichen Seite der Berliner Mauer zu konservieren. Die wurden jedoch gemeinsam mit ihrer Leinwand entsorgt und sind nur noch in Fotobüchern und im WWW zu sehen. Einzelne Artefakte stehen noch hier und da.

    Die Alternative: Berliner Mauerkunst im Internet ansehen
    https://www.berliner-mauer.de/kunst/graffiti-malerei-und-performance/einleitung-zur-geschichte-der-berliner-mauerkunst

    4. Stasi-Museum in der MfS-Zentrale

    Why not, hier gilt das zum Stasi-Gefängnis Gesagte, aber es gibt als Bonus noch das lustige Chefbüro und einen Koffer zu sehen, der angeblich kompromittierende Unterlagen über die gesamte DDR-Regierung enthielt. Das soll beweisen, wie die DDR nicht von Staatsrat und Politbüro sondern aus der Stasizentrale regiert wurde. Alles Mafia oder so. Quod erat demonstrandum. Ist aber auch nix Neues, weil im Grunde alle Staaten der Welt so oder ähnlich regiert werden. Verbrechen und Ausbeutung lohnen sich eben. Immerhin, der antifaschistische Anspruch, den sich die DDR gegeben hatte, machte es den dunklen Kräften schwerer als in Westdiktaturen, das Szepter vollkommen zu übernehmen.

    Wers braucht, muss dahin, siehe Stasi weiter oben. Besser amüsiert man sich beim Gatecrashen in der European School of Management and Technology , dem ehemaligen Staatsratsgebäude. Hier lassen die derzeitigen Herren der Welt ihren Nachwuchs ausbilden. Zu sehen gibt es wunderbare Mosaike und das monumentale Glasbild „Darstellungen aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“. Versprochen waren „DDR-Erinnerungsorte“. Da hamse.

    Die Alternative: Staatsratsgebäude besichtigen
    https://www.openstreetmap.org/way/23075450
    https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsratsgeb%C3%A4ude#Innengestaltung

    5. Mauermuseum am Checkpoint Charlie

    Machen sie bloß einen großen Bogen um den Nepp-Laden. Ich habe das Ding zur Hochzeit des Kalten Krieg als Knirps besucht und fand, dass es eine klasse Geisterbahn war, dunkel und muffig, mit zerschossenen Fluchtautos und anderem Gruselfetisch. Heute ist das eine übler Souvenirbude, jetzt wieder total überfüllt mit schwitzenden Touris, vor denen uns die letzten zwei Jahre meine Freundin Corona bewahrt hat.

    Den Wahnsinn der deutschen Teilung und ihre historischen Hintergründe kann man wunderbar in der ehemaligen DDR-Exklave Klein Glienicke besichtigen. Wo das Haus am Checkpoint Charlie selber beklemmend ist, und so tut, als ob es die Stimmung in der DDR wiedergäbe, da werden Raum und Grenzen im Hohenzollern-Traumreich zwischen Berlin-Wannsee und Potsdam-Babelsberg zum Erlebnis. Hier verübten antikommunistische Fanatiker aus dem Umfeld des Haus-am-Checkpoint-Charlie-Gründers Bombenanschläge gegen DDR Grenzsoldaten. Hier war das schmalste Stück DDR, die Wannseestraße zum Gebiet neben der einstigen Hohenzollern-Folie. Die Wikipedia-Seite zu Kleinglienicke übt sich in vornehmer Zurückhaltung zum Thema West-Terrorismus. Die Geschichte ist jedoch gut ausrecherchiert und in einem Buch zur Lokalgeschichte festgehalten. Fragen Sie sich vom örtlichen Ausflugsrestaurant aus durch, man kennt sich, und wird Ihnen sicher Autor und Adresse verraten.

    Die Alternative: Ausflug nach Klein Glienicke
    BVG: Alexanderplatz -> Nikolskoer Weg (Berlin)
    https://www.bvg.de/de/verbindungen/verbindungssuche?SID=A%3D1%40O%3DS%2BU%2520Alexanderplatz%2520Bhf%2520%28Berlin%
    Lage von Klein Glienicke
    https://www.openstreetmap.org/relation/6577662

    6. Notaufnahmelager Marienfelde

    Keine Ahnung, was das mit der DDR zu tun haben soll. Hier wurden im Kalten Krieg alle Ost-Ankömmlinge im Aussenposten des freien Westens, die nicht prominent genug für ein Verhör im US-Konsulat oder bei der CIA im Flughafen Tempelhof waren, zwangseingewiesen und hochnotpeinlich von alliierten Geheimdienstlern verhört. Durchgangslager war die treffendere Bezeichnung, denn nach Abschluss der Befragung wurde nach Westdeutschland weitervermittelt, wer keine Bleibe im wohnungsnotgeplagten Westberlin gefunden hatte.

    Besser Sie verschaffen sich eine Eindruck davon, wie in der DDR mit Arbeitskräften aus der Dritten Welt umgegangen wurde. Das ging so: Niemand musste bei der Überquerung des Mittelmeers ertrinken, es ging mit Visum und Flugzeug von Hanoi nach Berlin-Schönefeld (SXF). Nach ein paar Jahren Arbeit konnten die Ost-Gastarbeiter Erspartes und Gesammeltes mit nach Hause nehmen. Hart war das trotzdem und zu enge Kontakte zur deutschen Bevölkerung wurden, proletarischer Internationalismus hin oder her, auch nicht gefördert.
    Die Wohnheimruinen heute zeugen von der Nachwendezeit, als die nicht mehr benötigten Menschen sang und klanglos abgeschoben oder zu einem Leben in der Illegalität gezwungen wurden. Im Kapitalismus organisierte die Mafia die vietnamesische Arbeits-Reservearmee in Schmuggel- und Zigarettenverkäuferbataillone. Im nicht weit entfernten Dong Xuan Center an der #Herzbergstraße können Sie sich einen Eindruck davon verschaffen, wie sich die in der DDR enstandene vietnamesische Gemeinde Berlins am eigenen Zopf aus dem Schlamassel gezogen hat.

    Die Alternative: Besichtigung des Vertragsarbeiterwohnheims Hohenschönhausen, Wollenberger Straße, Alt-Hohenschönhausen, Berlin-Lichtenberg und des Dong Xuan Centers
    https://www.openstreetmap.org/way/6140644

    Dong Xuan Center
    https://www.openstreetmap.org/way/49796196

    7. Gedenkstätte Bernauer Straße

    Mauermauermauer, wie ahnungslos muss man sein, wenn einem zur DDR nichts anderes einfällt. Der Ort ist dennoch einen Besuch wert, weil man, vorausgesetzt man kommt zur rechten Zeit, auf einen Turm kletter kann, dessen Aussichtsplattform wie in Mauerzeiten einen Blick von oben auf das Grenzgebiet zwischen West und Ost, Berlin-Wedding und Mitte, erlaubt. Das Niemandsland wird nun jenseits des grünen Gedenkrasens mit superteuren Townhouses und Repräsentanzen von US Konzernen zugebaut. Diese Entwicklung von oben zu betrachten ist erhellend, vorausgesetzt man hat mehr Vorwissen im Gepäck, als die offizielle Mauergedenkstätte zu bieten hat.

    Die Alternative: 15 bis 30 Minuten Spaziergang von der Wöhlert- und Pflugstraße (U-Bf. Schwartzkopffstraße) über den Friedhof mit dem Grab Theoder Fontanes zum letzten echten Stück Mauer an Liesen- und Gartenstraße.

    Echte Berliner Mauer an der Liesenstraße
    https://www.openstreetmap.org/way/53499649

    Grab Theoder Fontanes, Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde, Feld B-35/36-16/17
    https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Fontane#Tod_und_Nachlass

    8. The Wall Museum mit Original-Wachturm

    Mauermauermauermauermauer , wie gesagt, man könnte viele interessante Dinge über die DDR und Ostberlin berichten, aber die Journalistin der Berliner Zeitung will uns in einen noch uninteressanteren Kommerzschuppen als den am Checkpoint und dann zu einem übriggebliebenen Beton-Wachturm am Potsdamer Platz locken. Da hat Berlin bessere Beispiele dafür zu bieten, was man aus Ex-Grenze und altmodischen Überwachungseinrichtungen machen kann.

    Die Alternative: Sehr angenehm ist die Besichtigung des Wachturm Schlesischer Busch, weil sich gleich nebenan am Flutgraben einige der besten open-air Bars der Stadt befinden. Der Besuch von Arena, Badeschiff, ein Picknick auf der Lohmühleninsel oder eine Dampferfahrt ab dem Treptower Hafen machen aus der Besichtigung des Wachturms einen tollen Tagesausflug.

    Wachturm Schlesischer Busch
    https://www.openstreetmap.org/way/24036371

    Führungsstelle Schlesischer Busch
    https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/denkmale/highlight-berliner-mauer/mauer-denkmale/fuehrungsstelle-schlesischer-busch-648158.php

    Soweit ein paar kleine Vorschläge für eine Entdeckung des DDR-Berlin, ad hoc, ohne große Hintergrundrecherche. So etwas Ähnliches, vielleicht ergänzt um Dinge, die Ihr Autor noch nicht kennt, wäre gute journalistische Arbeit gewesen.
    Abschreiben bei Visitberlin ohne eigene Stadtkenntnisse ist doch unter Deiner Würde, liebe Berliner Zeitung, nicht wahr ?

    #Berlin #DDR #Tourismus #Geschichte #Stadtentwicklung #sightseeing

  • Mietskasernenstadt Berlin: Als Wohnen todkrank machte
    https://www.berliner-zeitung.de/b-history/wohnen/mietskasernenstadt-berlin-als-wohnen-todkrank-machte-li.224536

    21.5.2022 von Dr. Michael Brettin - Ein Gefühl der Beklemmung beschleicht den Journalisten Albert Südekum, als er an einem Augusttag Mitte der 1890er-Jahre mit einem Arzt ein Hinterhaus in #Wedding betritt. Seine „erste Forschungsreise in das dunkle Land der Berliner Armenwohnungen“ – so umschreibt er den Besuch in dem „Massenmietshaus“ im Buch „Großstädtisches Wohnungselend“ 1908 – führt ihn in den dritten Stock, zu einer Familie, die das einzige Zimmer ihrer Wohnung notgedrungen untervermietet hat und in der Küche lebt.

    „Nur wenig ärmlicher Hausrat fand sich in dem unwohnlichen Raum“, schreibt Südekum. „Auf der kleinen eisernen Kochmaschine standen ein paar Töpfe, die nach dem letzten Gebrauch noch nicht gereinigt waren; den einzigen Tisch bedeckten ein paar Teller und Gläser, Zeitungsblätter, Kamm, Bürste und Seifenschale, eine Schachtel mit Salbe zum Einreiben, Teller mit Speiseresten und andere Gegenstände. Der geringe Kleidervorrat der Familie hing an den Wänden; ein paar halbverblaßte Familienbilder und ungerahmte Holzschnitte aus einer illustrierten Zeitung bildeten den einzigen Schmuck.“ Es gibt noch eine Kommode, einen Korblehnstuhl und zwei Holzschemel sowie ein Bett, „das eigentlich nur aus einem Haufen zerrissenen Zeuges auf einer knarrenden, buckligen Matratze bestand“.

    Es ist ein Urbedürfnis des Menschen: ein Dach über dem Kopf. Darunter findet sich Geborgenheit aber nicht von allein. „Ein Haus wird gebaut, aber ein Zuhause wird geformt“, wie das Sprichwort besagt. Ein Zuhause in Berlin war schon immer in vielerlei Hinsicht besonders.

    Fünf Menschen leben in dieser Küche: ein Ehepaar, seine 14-jährige Tochter und seine etwa sieben und vier Jahre alten Söhne. Die Frau liegt in dem Bett; sie ist, als sie Zeitungen austrug, auf einer Treppe umgeknickt, hat sich dabei einen Fuß verstaucht und eine Sehne gezerrt. Bettruhe kann sie sich nicht leisten. Ihre Familie ist auf das Geld, das sie als Zeitungsausträgerin verdient, angewiesen. Ihr Mann ist Gelegenheitsarbeiter und derzeit als Flaschenspüler bei einem Bierverlag (Getränkegroßhandel) tätig, sein Lohn ist dürftig. Der Unfall ist für die Eheleute ein Schicksalsschlag.

    „Jedesmal, wenn es schien, als ob es ihnen dauernd etwas besser gehe“, schreibt Südekum, „waren sie durch eine Krankheit oder durch ein, manchmal verfrühtes, Wochenbett – die Frau hatte im ganzen deren sechs durchgemacht – oder einen Todesfall wieder zurückgeworfen worden.“

    Berlin war zu jener Zeit dem Stadtbauexperten Werner Hegemann zufolge die größte „Mietskasernenstadt“ der Welt. Sie erwuchs aus dem „Bebauungsplan der Umgebungen Berlins“ vom 18. Juli 1862. Der aus der Feder von Regierungsbaumeister James Hobrecht stammende Plan sollte die stetig größer werdende #Wohnungsnot lindern. Die #Industrialisierung lockte immer mehr Menschen vom Land in die Stadt. Die Bevölkerung Berlins vergrößerte sich von etwas mehr als 170.000 im Jahr 1801 auf fast 550.000 im Jahr 1861. Über 15 Prozent der Bewohner mussten sich mit acht, neun oder gar zehn Personen ein Zimmer teilen.

    Der „#Hobrecht-Plan“ sah ein weitmaschiges Straßennetz und große Baublöcke vor. Die Grundstücke zogen sich tief in das Blockinnere; die Bauordnung erlaubte es, die fünfgeschossigen Häuser sehr nah beieinander zu errichten. Innenhöfe mussten nur 5,34 mal 5,34 Meter groß sein. Das entsprach der Fläche, die ein von Pferden gezogenes Feuerlöschfahrzeug zum Wenden benötigte.

    Die dichte Bauweise glich der einer Kaserne. Die Mietskaserne wiederum entsprach der Klassengesellschaft. Im Vorderhaus lockten großzügig angelegte und gut ausgestattete Wohnungen. Ihre Fläche erstreckte sich in den #Seitenflügel, ein Durchgangszimmer (#Berliner_Zimmer) führte dorthin. Im Hinterhaus (#Quergebäude) versteckten sich kleine, minderwertig gefertigte, sonnenlichtarme bis -lose Bleiben, die in der Regel aus einer Stube, einer Küche und einer Kammer bestanden.

    Die Wohnqualität nahm nach oben und unten sowie nach hinten ab. „An den beiden Endpunkten der räumlichen Einheit #Mietskaserne, im Keller und unterm Dach, finden wir die Ärmsten der Armen, die nur die geringstmögliche Miete bezahlen konnten“, schreibt die Historikerin Rosmarie Beier, „chronisch Kranke und Invalide, Tagelöhner, den schon sprichwörtlich gewordenen armen Schuster, abgearbeitete, verhärmte Näherinnen, Lumpensammlerinnen und Zeitungsfrauen, Witwen, die sich mit ihren Kindern mühselig durchs Leben schlugen.“
    Der Tod lauerte im Hinterhaus

    Eine Extremform des Wohnungselends war das „#Trockenwohnen“. Neubauten mussten etwa drei Monate lang austrocknen, bevor sie bezugsfertig waren. Die zeitweilige Vermietung der feucht-kalten Wohnungen an besonders arme Haushalte beschleunigte den Vorgang. „Trockenwohner“ umgingen die Obdachlosigkeit, ruinierten jedoch ihre Gesundheit.

    Wobei: Die Mietskaserne machte auch spätere Bewohner krank. Die Wohndichte, Licht- und Luftmangel, Feuchtigkeit und Schimmelbefall förderten Infektionskrankheiten wie #Tuberkulose und #Ruhr. Frauen, die hausindustriell beschäftigt waren, litten unter Augenbeschwerden, Kopfschmerzen, Durchblutungsstörungen, Bleichsucht (Blutarmut), Magenbeschwerden durch Stress. Und das täglich stundenlange Treten einer Nähmaschine führte zu Früh- und Fehlgeburten.

    Eine Statistik aus dem Jahr 1905 legt nahe, dass der Krankheitsverlauf eines Menschen davon abhing, ob er in einem Vorder- oder einem Hinterhaus wohnte. Demnach starben Mieter in einem Hinterhaus öfter an Diphtherie oder auch Kindbettfieber. Die Gefahr einer tödlich verlaufenden Masernerkrankung war dort dreimal so. Die Säuglingssterblichkeit lag in jenem Jahr im armen Wedding bei 42 Prozent, im wohlhabenden Tiergarten bei 5,2 Prozent.

    Nachteile seines Bebauungsplans sah James Hobrecht selbst schon 1868. „Mehr Raum für die Höfe!“, forderte er. „Das Vierfache der Dimensionen, welche die Berliner Baupolizeiordnung verlangt, ist nicht zu viel, ist kaum genug, wenn wir für unsere Hinterzimmer noch Sonne, Licht und Luft in genügender Qualität und Güte behalten wollen.“ Seine Forderung fand kein Gehör, die Wohnungsbauwirtschaft, komplett in privater Hand, stellte sich taub, allen voran die „Terraingesellschaften“: Deren Geschäft bestand darin, große Grundstücke zu kaufen, sie zu parzellieren und zu erschließen und die Parzellen gewinnträchtig zu verkaufen.

    Wohnungsnot und -elend nahmen mit der Hauptstadtwerdung Berlins infolge der Gründung des Deutschen Reichs zu. Die Stadt entwickelte sich zum Industrie- und Finanzzentrum Mitteleuropas. Die Zahl ihrer Bewohner wuchs von 825.000 im Jahr 1871 auf eine Million 1877 und auf 1,7 Millionen 1895. Mietskaserne auf Mietskaserne entstand.

    Die neuen Viertel zogen sich sichelförmig um die Innenstadt: vom Nordwesten bis in den Süden – von #Moabit über #Gesundbrunnen und #Wedding, Oranienburger und #Rosenthaler_Vorstadt, #Königsviertel und #Stralauer_Viertel bis #Luisenstadt. „Die Hauptmasse der Stadt macht den Eindruck, als wäre sie erst vorige Woche erbaut worden“, schrieb der Schriftsteller #Mark_Twain nach einem Besuch im Winter 1891/92. Berlin sei „das Chicago Europas“.

    Mitte der 1890er-Jahre bewohnten 43,7 Prozent der Berliner nur ein beheizbares Zimmer. Eine Gemeinschaftstoilette auf dem Treppenhauspodest (halbe Treppe) oder im Hof nutzten mitunter 40 Personen. Zahlen seien wenig aussagekräftig, schreibt Albert Südekum. Außenstehende könnten nicht ermessen, was es bedeute, wenn bis zu zehn Menschen zugleich „in sogenannten ,Wohnungen‘ hausen müssen, die nur aus einem jammervollen Loche bestehen, zu schlecht, als daß ein weichherziger Tierhalter seinen Gaul oder seine Kuh, ja seine Schweine hineinsperren möchte.“

    Meyers Hof in der #Ackerstraße 132/133 in Wedding gilt als Inbegriff der Mietskaserne: sechs Hinterhöfe, in denen auch mal Musiker aufspielen (hier 1932), 257 Wohnungen, in denen zeitweise 2100 Menschen lebten. Der letzte Block wurde 1972 gesprengt.

    Das Ehepaar, das der Journalist Südekum an jenem Augusttag aufsucht, kam Mitte der 1880er-Jahre aus einem Dorf in Pommern nach Berlin. Es ist seitdem durchschnittlich alle sechs Monate umgezogen, wegen der häufig wechselnden Gelegenheitsarbeitsstellen, bei denen der Mann mal mehr, mal weniger verdient. Dieses Schicksal teilt die Familie mit ungezählten anderen. Der Volksmund spottet: „Zehnmal umziehen ist wie einmal abgebrannt.“

    Das einzige Bett der Familie ist zu klein, als dass alle fünf darin schlafen könnten. Die drei Kinder nächtigen auf dem Küchenfußboden, auf ausgebreiteter Kleidung. Die Tochter kümmert sich tagsüber um den Haushalt und verdient als „Ausläuferin“ (Botengängerin) etwas Geld.

    Der Mann weilt nach Feierabend selten zu Hause. Es ist nicht bekannt, ob er sich in einer der zahlreichen Kneipen herumdrückt, wie so viele andere Männer, denen die leidende Familie auf die Nerven geht. Seine Frau hat wie alle Frauen, die Ehe- und Hausfrau, Mutter und Erwerbstätige in einer Person sind, nie Zeit für sich. Sie ist mit ihren Kräften am Ende, körperlich wie seelisch. Der Herr Doktor möge sie, fleht sie, in ein Krankenhaus schaffen und ihre Kinder in ein Waisenhaus bringen; sie fürchte, „den Verstand zu verlieren und sich aus dem Fenster zu stürzen“.
    Eine Familie haust zu elft im Keller

    Die Not der Arbeiterfamilien rückte in den 1890er-Jahren in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Der Vorwärts, die #SPD-Zeitung, bei der Albert Südekum 1895 volontierte, veröffentlichte bis in das Jahr 1903 hinein fast wöchentlich Mitteilungen der Arbeiter-Sanitätskommission über menschenunwürdige und gesundheitswidrige Wohnungszustände.

    Und die „Wohnungs-Enquete“ der Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker (ab 1914 hieß sie Allgemeine Ortskrankenkasse/AOK) dokumentierte von 1901 bis 1920 den Zusammenhang zwischen Wohnelend und Erkrankungen. Die Ortskrankenkasse wollte Politiker und andere Verantwortliche aufrütteln, wollte, dass sie gegen das Wohnungselend vorgehen, im Interesse der „#Volksgesundheit“, aber auch aus Eigennutz, bedeuteten doch mehr Kranke mehr Ausgaben.

    Die Enquete sammelte Daten über Bodenflächen, Höhenmaße und Kubikmeter Luftraum, über die Anzahl der Personen pro Raum und Bett sowie der Fenster, den Zustand der Zimmer, die Verfügbarkeit von Heizung und Toilette. Die fotografische Dokumentation durch die Firma Heinrich Lichte & Co. setzte 1903 ein; der erste Jahrgang erschien 1904, der letzte 1922.

    Die Aufnahmen sollten nicht Mitleid erregen, sondern Veränderung hervorrufen. Da ist das unter Blutarmut leidende 16-jährige Mädchen in der #Große_Hamburger_Straße: Die Wände ihrer Bleibe sind so feucht, dass Tapete von der Wand lappt und Holz der Fensterbretter fault. Oder der von Ekzemen geplagte 65-jährige Mann in der #Britzer_Straße: Das Klo über seiner Wohnung ist oft verstopft; wird das Rohr durchstoßen, sickern Fäkalien durch die Decke. Oder die elfköpfige Familie in einer Kellerwohnung in der #Friedrichsberger_S#traße: Der Vater ist an Tuberkulose gestorben; ein Mädchen, 15, ist wegen eines Lungenleidens erwerbsunfähig, ein anderes Mädchen und ein Junge sind ebenfalls lungenkrank.

    „Es ist nur ein ganz geringer Teil dessen, was wir an Wohnungselend kennen lernen“, schreibt Albert Kohn, Geschäftsführer der Ortskrankenkasse. Besonders bemerkenswert sei, dass „unsere Erhebungen bei Leuten gemacht wurden, welche zum grösseren Teile noch keine Armenunterstützung bezogen haben, sie erstrecken sich auch nicht auf die Arbeiterviertel allein.“ Zahlreiche Menschen würden „förmlich vegetieren“.

    Das Wohnungselend hielt an. Die 1895 einsetzende Hochkonjunktur, die bis 1913 die Reallöhne verdoppelte, kam un- und angelernten Arbeitern nicht zugute, auch weil sich die Lebensmittelkosten in jener Zeitspanne verdreifachten. „Sparsamkeit, das Rechnen mit dem Pfennig, selten eine Möglichkeit, finanzielle Rücklagen zu bilden, Verpfändung, Verschuldung und Mietrückstände im Falle von Krankheit und Erwerbslosigkeit – kurzum, Einschränkung, Entbehrung und Not kennzeichnen das Leben der Unterschichtsfamilien“, schreibt die Historikerin Rosmarie Beier. Die Mitarbeit von Frauen und Kindern sowie die Aufnahme von Untermietern („Schlafburschen“) habe das Leben „in vielen Fällen nicht wesentlich“ verbessert.

    Der Beginn der Weltwirtschaftskrise führte zu einer extremen Verelendung vieler Berliner Arbeiterhaushalte. Die Not trieb Familien 1932 in einen #Mietstreik. Es war nach 1919 der zweite in der Stadt. Ein Symbol für die hauptsächlich von Frauen getragene Streikbewegung wurde das zu einem Mietshaus umfunktionierte ehemalige Stadtgefängnis am #Molkenmarkt, genannt „Wanzenburg“. Die Monatsmiete für eine verwanzte Wohnzelle, knapp zwei Meter breit und viereinhalb Meter lang, betrug 21,50 Mark. Das entsprach etwa einem Drittel des Einkommens der dort Hausenden.

    Die Bewohner vieler Mietskasernen organisierten sich in Hausgemeinschaften, gaben die Parole „Erst Essen, dann Miete!“ aus und forderten, Mieten zu senken, Mietrückstände zu streichen, Klagen auf Exmission (Zwangsräumung) aufzuheben, Gebäude zu renovieren. Einige Proteste hatten Erfolg.

    Das Gefühl der Beklemmung beim Betreten der Mietskaserne in Wedding lässt Albert Südekum nicht los. Als Kommunalpolitiker und Reichstagsabgeordneter der SPD widmet er sich der #Wohnungspolitik. Er wünsche sich, schreibt er 1908, „eine helle Empörung über das furchtbare Wohnungselend der Großstadt mit all seinen Neben- und Folgeerscheinungen auszulösen“. Ein Vorwort zu seinem Buch soll dabei helfen, ein Spruch, der irrtümlich dem sozialkritischen Zeichner, Maler und Fotografen Heinrich Zille zugeschrieben wird: „Man kann einen Menschen mit einer Wohnung geradeso gut töten wie mit einer Axt.“

    Der Bau von Mietskasernen kam erst zu Beginn des Ersten Weltkrieges zum Erliegen. Die Weimarer Republik anerkannte die Wohnungs- und Krankenfürsorge als staatliche und kommunale Aufgabe. Berlin verbot 1925 den Bau von Mietskasernen mit Seitenflügeln und Quergebäuden in den Randbezirken.

    Das weitere Schicksal der fünfköpfigen Familie, die Albert Südekum an jenem Augusttag besucht hatte, ist nicht bekannt.

    #Berlin #Geschichte #Wohnen #Stadtentwicklumg #Kaiserzeit #Gründerzeit

  • Benzinpreis Schockdoktrin revisited
    https://en.wikipedia.org/wiki/The_Shock_Doctrine

    Kein aktueller Link dieses Mal sondern eine Überlegung: Wie wäre es, wenn die Benzinsubventionen und anderen „Erleichterungen“ welche die deutsche Bundesregierung angesichts der Kriegs- und Spekulationsexzesse ausreicht, Teil des üblichen Drehbuchs wären, mit dem unerwünschtes Volk ausgekehrt und große Investitionen für noch größere Profite vorbereitet werden?

    Die geplanten Rüstungsausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro sprechen eine deutliche Sprache.

    Naomi Klein hat das bereits im Jahr 2007 in The Shock Doctrine, The Rise of Disaster Capitalism am Beispiel der Überschwemmung von New Orleans in #Louisiana, #USA beschrieben.

    Die Zerstörung des Taxigewerbes muss auch in diesem Zusammenhang betrachtet werden.

    Blank Is Beautiful, THREE DECADES OF ERASING AND REMAKING THE WORLD
    ...
    The news racing around the shelter that day was that Richard Baker , a prominent Republican congressman from this city, had told a group of lobbyists, “We finally cleaned up public housing in New Orleans. We couldn’t do it, but God did .”

    Joseph Canizaro, one of New Orleans’ wealthiest developers, had just expressed a similar sentiment: “I think we have a clean sheet to start again. And with that clean sheet we have some very big opportunities.”

    All that week the Louisiana State Legislature in Baton Rouge had been crawling with corporate lobbyists helping to lock in those big opportunities: lower taxes, fewer regulations, cheaper workers and a “smaller, safer city”—which in practice meant plans to level the public housing projects and replace them with condos. Hearing all the talk of “fresh starts” and “clean sheets,” you could almost forget the toxic stew of rubble, chemical outflows and human remains just a few miles down the highway.

    Over at the shelter, Jamar could think of nothing else. “I really don’t see it as cleaning up the city. What I see is that a lot of people got killed uptown. People who shouldn’t have died.”

    He was speaking quietly, but an older man in line in front of us overheard and whipped around. “What is wrong with these people in Baton Rouge? This isn’t an opportunity. It’s a goddamned tragedy. Are they blind?”

    Richard Baker verrät seine, in Kapitalkreisen weit verbreitete, Wahrnehmung der unsichtbaren Hand : Es ist die Hand Gottes, die für ein gut bestelltes, fruchtbares Feld sorgt, alle Schädlinge ausmerzt und Dollarblumen aus den faulenden Kadavern seiner Opfer sprießen läßt.

    Arme Menschen fragen, wie Gott millionenfache Schicksalsschläge zulassen kann. Millionär Richard Baker gibt ihnen die aufrichtige wie unbarmherzige Antwort. Gott ist der Herrschergott, der Gott seiner Klasse.

    Die aktuelle SPD-Bürgermeisterin Berlins steht mit oder ohne religiöse Begründung für exakt diese Politik: Mehr bauen, mehr teure, profitable Wohnungen, eine besser gekehrte, saubere, von ihren dreckigen Armen befreite Stadt.

    Richard Baker
    https://en.wikipedia.org/wiki/Richard_Baker_(American_politician)#Hurricane_Katrina

    Richard Baker Net Worth
    https://wallmine.com/people/20180/richard-a-baker

    The estimated Net Worth of Richard A. Baker is at least $7.03 Million dollars as of 31 October 2019. Mr. Baker owns over 50,000 units of Retail Opportunity Investments Corp stock worth over $5,192,955 and over the last 11 years he sold ROIC stock worth over $933,000. In addition, he makes $903,717 as Non-Executive Chairman of the Board at Retail Opportunity Investments Corp.

    #Krieg #Kapitalismus #Stadtentwicklung #Immobilien #Wohnen #Treibstoff #Diesel #Benzin #Taxi #Deutschland #Ukraine #Russland

  • Nach Sanktionen gegen russische Oligarchen: Linken-Politikerin fordert Baustopp des „Alexander Towers“ | rbb24
    https://www.rbb24.de/politik/thema/Ukraine/beitraege/ukraine-krieg-linke-forderung-baustopp-hochhaus-alexanderplatz.html

    Sa 05.03.22 - Nach Sanktionen gegen russische Oligarchen - Linken-Politikerin fordert Baustopp des „Alexander Towers“

    Die Berliner Linken-Politikerin Katalin Gennburg hat einen Baustopp für das Hochhaus eines russischen Investors am Alexanderplatz gefordert. Dort baut das Moskauer Unternehmen „Monarch“ den 150 Meter hohen „Alexander Tower“.

    Gennburg begründete ihre Forderung mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine und die von der EU verhängten Sanktionen, unter anderem gegen sogenannte Oligarchen. „Darüber hinaus muss nun geprüft werden, ob sich Projekte russischer Immobilienunternehmen und -entwickler, die sich derzeit in Planung und Entwicklung befinden, nun stoppen lassen“, so Gennburg.

    Die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen konnte auf Nachfrage des rbb nicht bestätigen, dass in Berlin zurzeit sanktionierte russische Unternehmer in Immobilien oder Bauprojekte investiert haben. Informationen dazu lägen nicht vor, hieß es.

    Berlin hat 2020 immerhin den BER eröffnet, im neuen Jahr warten weitere Großprojekte. Darunter sind auch viele Kulturbaustellen: Die umfassend umgebaute Neue Nationalgalerie soll etwa fertig sein. Und es gibt weitere Mammutvorhaben. Von Stefan Ruwoldt

    Der Alexander Tower wird seit November 2019 direkt neben dem Einkaufszentrum Alexa gebaut. In den unteren Geschossen sind laut der Sentasverwaltung für Stadtentwicklung Einzelhandels- und Büronutzungen geplant. Ab einer Höhe von 35 Metern sollen dann rund 370 Wohneinheiten entstehen. Die Gesamtbauzeit ist mit etwa vier Jahre veranschlagt. Mit 150 Metern Höhe soll der Alexander Tower Berlins erster Wolkenkratzer werden.
    Komplexe Firmengeflechte verschleiern oftmals Besitzverhältnisse

    Berlin ist schon länger ein Magnet für russische Investitionen, speziell in der Immobilienbranche. Die Besitzverhältnisse sind jedoch oft nicht eindeutig feststellbar, weil sich die Käufer hinter komplexen Firmengeflechten verbergen.

    Die Bundesregierung hatte kürzlich mitgeteilt, noch keine Übersicht zu Vermögenswerten in russischem Besitz zu haben. In Hamburg hatte es zuletzt Verwirrung über eine Yacht gegeben, die angeblich einem sanktionierten Oligarchen gehören soll [tagesschau.de]. Berichte, dass das Schiff beschlagnahmt wurde, stellten sich als falsch heraus.

    Gennburg fordert, dass der Senat prüft, welche Möglichkeiten das Land Berlin hat, um Sanktionen durchzusetzen. Dazu gehöre mehr Transparenz auf dem Immobilienmarkt. „Es braucht dringend ein Mieten- und Liegenschaftskataster sowie eine verwaltungsseitige Zusammenführung der bestehenden Register“, so Gennburg. Sie verwies auf den Verkauf eines Villenensembles im Jahr 2014 durch den russischen Unternehmer Arkady Rotenberg. Dieser stand zum Zeitpunkt des Geschäfts bereits auf einer Sanktionsliste der EU.

    #Berlin #Alexanderplatz #Immobilien #Hochhaus #Stadtentwiclung #Linke

  • Nach über 100 Jahren noch im Stadtplan erkennbar: Der Schwarze Graben - Charlottenburg-Wilmersdorf
    https://www.berliner-woche.de/charlottenburg-wilmersdorf/c-umwelt/der-schwarze-graben_a337001

    20.1.2022 von Michael Roeder - Den Schwarzen oder Haupt-Graben in Wilmersdorf, Schöneberg und Charlottenburg gibt es zwar seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr, aber er hatte Einfluß auf die Stadtplanung und ist noch heute deutlich erkennbar am Verlauf verschiedener Grünanlagen und Straßenzüge. Er diente sowohl der Entwässerung der sumpfigen Landstriche östlich und nördlich von Wilmersdorf und des Lietzensees als auch dem Abtransport von Fäkalien.

    1862

    Entstehung und Verlauf

    Um 1680 Ausgangspunkt ist eine Karte von 1680 [Karte 1]. Sie zeigt den ursprünglichen Bach „Schwarzer Graben“ von seinem Ausgangspunkt nordwestlich des Botanischen Gartens (heute: Kleistpark) bis zur Einmündung in die Spree kurz oberhalb der Schloßbrücke, wobei er auf dem Weg dorthin das sumpfige Hopfenbruch (das Gebiet zwischen Kurfürstendamm und Berliner Straße) durchfloß, den Kurfürstendamm am Priesterweg (Leibnizstraße) unterquerte und schließlich noch den Abfluß des Lietzensees aufnahm.

    Um 1800 Im 18. Jahrhundert wurde der Bach zu einem Abflußgraben ausgebaut und wesentlich verlängert. Auf einem Plan von 1800 [Karte 2] sieht man diesen neugeschaffenen südlichen Grabenteil, der die Verbindung zwischen dem Wilmersdorfer See und dem einstigen Bach am Botanischen Garten herstellte. Hier ist diese Verlängerung noch namenlos; auf späteren Karten wird sie „Großes Fenn“ genannt. Mit diesem Vorflutgraben wurde das sumpfige Fenn zwischen Wilmersdorf und Schöneberg (heute: Volkspark) entwässert und Regenwasser abgeführt. Der Graben lief, parallel zur Hauptstraße, unmittelbar am Rand des Dorfes Schöneberg entlang und bog nach Unterquerung der Akazienstraße nach Norden ab, direkt auf den ausgebauten Bach zu, der auf dieser Karte mit „Haupt-Graben“ bezeichnet wird. Gleichzeitig hatte man diesen ein Stück nach Osten verlängert.

    1862/Schöneberg Im Schöneberger Teil des Hobrechtplans von 1862 [Karte 3] ist zu erkennen, wie der Graben – nachdem er nach Norden abgeknickt ist – als nächstes die Straße 13 (Grunewaldstaße) unterquert. Fast auf der gesamten Länge dieses nordwärts führenden Abschnitts wurde später die Gleditschstraße angelegt. Am nördlichen Ende des späteren Winterfeldtplatzes (auf der Karte Straßen 14 und 12) mündete das „Große Fenn“ schließlich in den nach Westen fließenden „Haupt-Graben“. An dieser Stelle ist im Hobrecht-Plan die Straße 19 eingetragen; dies ist die spätere Winterfeldtstraße. Der Graben führte nun schnurstacks – über Viktoria-Luise-Platz, Regensburger Straße und Pariser Straße – bis zum Olivaer Platz. Dabei durchquerte er, wie bereits erwähnt, das Hopfenbruch am Nordrand von Wilmersdorf.

    1862/Charlottenburg Im Charlottenburger Teil des Hobrechtplan (hier mit Überlagerung der Stadtbahn ab 1882) [Karte 4] läßt sich anhand des Straßennetzes der Verlauf des Schwarzen Grabens gut nachvollziehen. Noch ist die Giesebrechtstraße, die nach 1893 anstelle des Grabens angelegt wurde (siehe unteren Pfeil), noch nicht einmal geplant. Der obere Pfeil weist auf den abschließenden Grabenverlauf, nachdem er den Stuttgarter Platz passiert hatte. Heute verläuft hier anstelle des Grabens, bis kurz vor seiner Mündung in die Spree, die Kaiser-Friedrich-Straße.

    Sein Ende

    1880 wurde der gesamte Schwarze Graben auf Schöneberger Gebiet zwischen Dominicustraße und Bundesallee unterirdisch verlegt. Es handelte sich um eine Tonrohrleitung von 50-60 cm Ø, die den zum Abwasser- und Fäkalienkanal mutierten Graben aufnahm. „In Charlottenburg ergaben sich völlig unhaltbare Zustände, denn hier ging der Schwarze Graben noch offen durch das Gelände.“ Erst durch einen Vertrag von Wilmersdorf, Friedenau und Schöneberg mit Charlottenburg aus dem Jahr 1888 über den Bau einer Kanalisation, in die die Abwässer eingeleitet werden sollten, „erhielt Charlottenburg die Berechtigung, den Schwarzen Graben zu beseitigen“. So war schließlich vom Wilmersdorfer See bis zur Einmündung des Lietzenseeabflusses an der Schustehrusstraße der Graben zugeschüttet. Das letzte offene Stück von dort bis zur Spree bestand noch in den 1890er Jahren. Erst nachdem in den ersten Jahren des 20. Jahrhundert auch der Abfluß des Lietzensees zur Spree verrohrt worden und an seiner Stelle Hebbelstraße und Lohmeyerstraße entstanden waren, war der Schwarze Graben auf seiner ganzen Länge verschwunden.

    Seine Spuren im heutigen Stadtbild
    In folgenden Grünanlagen und Straßen läßt sich also der Schwarze Graben noch heutzutage wiederfinden:
    in Wilmersdorf im Volkspark Wilmersdorf
    in Schöneberg: Rudolph-Wilde-Park – Heinrich-Lassen-Park – Gleditschstraße – Winterfeldtstraße – Viktoria-Luise-Platz – östlicher Abschnitt der Regensburger Straße
    nochmals in Wilmersdorf im westlichen Abschnitt der Regensburger Straße und in der Pariser Straße
    schließlich in Charlottenburg: Giesebrechtstraße – Ostende des Stuttgarter Platzes – Kaiser-Friedrich-Straße – Lohmeyerstraße.
    Und noch bis in die heutige Zeit wirkt der Schwarze Graben auch ganz unmittelbar nach, wie gelegentliche Schäden an Häusern zeigen, die auf dem sumpfigen Untergrund gebaut wurden, z.B. am Heinrich-Lassen-Park in der Belziger Straße 53c, auch bekannt als „das schiefe Haus von Schöneberg“.

    Fred Niedobitek, Die Entwicklung der Stadthygiene und Gesundheitspflege in Schöneberg im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Zeittafel zum Bau der Kanalisation in Schöneberg, S. 1 und Helmut Winz, Es war in Schöneberg. Aus 700 Jahren Schöneberger Geschichte, S. 120.

    Quelle: http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archive/2015/01/11/strassen_und_platze_der_schwar

    1800

    1860

    1862

    #Berlin #Chalrlottenburg #Schöneberg #Wilmersdorf #Geschichte #Topographie #Entwässserung #Kanalisation #Wasser #Stadtentwicklung

  • Neue Senatsbaudirektorin in Berlin: Der große Ausverkauf
    https://taz.de/Neue-Senatsbaudirektorin-in-Berlin/!5826441

    16.1.2022 von Matthias Grünzig - Petra Kahlfeldt gehört zur einflussreichen „Planungsgruppe Stadtkern“. Das SPD-nahe Netzwerk setzt sich für Stadtentwicklung durch Investoren ein

    Die Ernennung von Petra Kahlfeldt zur Senatsbaudirektorin führt zu kontroversen Debatten. Für besondere Sprengkraft sorgte der Umstand, dass Kahlfeldt in der Vergangenheit immer wieder für die Privatisierung öffentlicher Immobilien eingetreten war. Manche befürchten gar einen Rückfall in die Zeit des privatisierungsfreundlichen Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Doch sind solche Befürchtungen überhaupt begründet?

    Die Geschichte der Berliner Privatisierungsdebatten reicht bis in die neunziger Jahre zurück. 1996 wurde ein sogenanntes „Planwerk Innenstadt“ vorgestellt, das für erheblichen Wirbel sorgte. Auftraggeber war die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unter Leitung des Senators Peter Strieder und seines Senatsbaudirektors Hans Stimmann (beide SPD). Für den Westteil waren Manfred Ortner und Fritz Neumeyer zuständig, den Ostteil planten der Stadttheoretiker Dieter Hoffmann-Axthelm und der Architekt Bernd Albers. Die Projektleitung im Büro von Bernd Albers oblag Tobias Nöfer.

    Dieses „Planwerk Innenstadt“ barg erheblichen Konfliktstoff in sich, hatte es doch nichts Geringeres als eine radikale Umstrukturierung der Berliner Innenstadt zum Ziel. Im Zentrum stand die Privatisierung großer Teile des Berliner Zentrums. Öffentliche Grünflächen und Verkehrsflächen sollten parzelliert und an private Bauherren verkauft werden. Vor allem die Ensembles der Nachkriegsmoderne wie die Fischerinsel, die Karl-Marx-Allee, der Friedrichswerder und der Freiraum am Fernsehturm sollten großflächig privatisiert werden. Erste Schätzungen gingen von vermarktbaren Flächen von 1,7 Millionen Quadratmetern aus.
    Planung für reiche Stadtbürger

    Diese Planung hatte zwei Ziele: Auf der einen Seite sollten die Verkäufe Geld in die Landeskasse spülen. Auf der anderen ging es dem Planwerk um eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Nicht mehr die Mieter der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, sondern einkommensstarke „neue Stadtbürger“, die auf den privatisierten Grundstücken ihre Häuser bauen sollten, sollten künftig das Leben in der Innenstadt bestimmen.

    Doch schnell formierte sich auch Widerstand. Die Grünen und die damalige PDS kritisierten den Verlust von öffentlichen Freiflächen und stadtklimatisch wichtigen Grünräumen. Nach langen Auseinandersetzungen beschloss der damalige CDU/SPD-Senat am 18. Mai 1999 einen Kompromiss: Hans Stimmann konnte seine Privatisierungspläne auf dem Friedrichswerder durchsetzen. Im Gegenzug wurde die Fläche am Fernsehturm als „grün geprägter städtischer Freiraum“ festgeschrieben. Dieser Kompromiss wurde im Mai 1999 durch das Abgeordnetenhaus bestätigt.

    Auch die Berliner Stadtgesellschaft erlebte durch das „Planwerk Innenstadt“ eine Polarisierung. Die Stadt wurde in Stimmann-Anhänger und Stimmann-Gegner gespalten, beide Seiten bekämpften sich mit unversöhnlicher Härte. Petra Kahlfeldt gehörte während dieser Zeit zu den Unterstützern von Hans Stimmann. Das Büro Kahlfeldt Architekten entwarf dann auch Gebäude für den Friedrichswerder.

    2006 erfolgte die Pensionierung Stimmanns, im März 2007 begann seine Nachfolgerin Regula Lüscher ihre Arbeit. Lüscher machte bald deutlich, dass sie den Privatisierungsplänen des „Planwerks Innenstadt“ kritisch gegenüberstand. Unter ihrer Leitung wurde das „Planwerk Innenstadt“ allmählich zum „Planwerk Innere Stadt“ weiterentwickelt und dabei entschärft.

    Allerdings blieb Hans Stimmann auch nach seiner Pensionierung aktiv, er radikalisierte sich sogar zunehmend. Im Mai 2009 stellt er – exakt zehn Jahre nach dem Senatsbeschluss zum „Planwerk Innenstadt“ – das von ihm herausgegebene Buch „Berliner Altstadt“ vor. Darin stellte er ein Privatisierungskonzept für die Berliner Innenstadt vor, das das „Planwerk Innenstadt“ in puncto Radikalität weit in den Schatten stellte. Es sah noch größere Baumassen und noch kleinere Grünflächen vor. Der Verfasser dieser Planung war Bernd Albers, der schon am „Planwerk Innenstadt“ mitgewirkt hatte. Auch Tobias Nöfer war an dem Buch beteiligt. Mit aufwendigen Computeranimationen versuchten die Autoren, für ihre Bebauungspläne zu werben. Regula Lüscher ließ sich von diesem Vorstoß allerdings nicht beeindrucken.
    Ein Netzwerk entsteht

    Auch die Unterstützer Hans Stimmanns blieben aktiv. Sie gründeten 2011 die „Planungsgruppe Stadtkern“. Beteiligt waren unter anderen die Architekten Bernd Albers, Tobias Nöfer und Petra Kahlfeldt, die Journalisten Klaus Hartung und Gerwin Zohlen, der Projektentwickler Willo Göpel und der Historiker Benedikt Goebel.

    Die Planungsgruppe Stadtkern betrieb in der Folgezeit eine intensive Lobbyarbeit für eine Privatisierung der Berliner Innenstadt. Sie erarbeitete eine „Charta für die Berliner Mitte“, gab Bücher heraus und organisierte Ausstellungen. Petra Kahlfeldt nutzte ihre Tätigkeit als Professorin an der Berliner Hochschule für Technik im Sinne der Planungsgruppe Stadtkern. Sie ließ ihre Studenten mehrfach Bebauungspläne für öffentliche Grünflächen zeichnen.

    2012 initiierte Kahlfeldt sogar einen Studentenwettbewerb mit dem Titel „Häuser am Neuen Markt Berlin“, der auf eine Bebauung des Freiraums am Fernsehturm abzielte. Dafür suchte sie auch nach politischen Unterstützern: Als Partner fungierten Stefan Evers, der damals als stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Berliner CDU-Fraktion tätig war, und Volker Härtig, der Vorsitzende des SPD-Fachausschusses „Soziale Stadt“.

    In der Folgezeit knüpfte die Planungsgruppe Stadtkern enge Verbindungen zur SPD. Wichtige Mitglieder der Gruppe wurden auch SPD-Mitglieder. Neben Volker Härtig unterstützte SPD-Kulturstaatssekretär André Schmitz die Gruppe. Allerdings stand nicht die gesamte SPD hinter den Plänen der Planungsgruppe.
    Kampf um das Zentrum

    Der 2011 ins Amt gelangte Stadtentwicklungssenator Michael Müller konnte sich für die Privatisierungspläne nicht begeistern. Er vertraute seiner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und stand den Plänen der Planungsgruppe eher ablehnend gegenüber. Während seiner Amtszeit wurde sogar eine Neuausrichtung der Berliner Liegenschaftspolitik eingeleitet. Die Privatisierungen landeseigener Immobilien wurden gestoppt, auch begann der Ankauf privater Immobilien durch die öffentliche Hand.

    In den Folgejahren gerieten die Planungsgruppe Stadtkern und Senatsbaudirektorin Regula Lüscher in einen immer schärferen Gegensatz. Beide Seiten vertraten nicht nur unterschiedliche Vorstellungen von Stadt, sie setzten auch auf unterschiedliche stadtentwicklungspolitische Strategien. Während Lüscher zunehmend Bürgerbeteiligungsverfahren initiierte, propagierte die Planungsgruppe eine Steuerung der Stadtentwicklung durch Expertengremien.

    Diese Gegensätze entluden sich 2015 im Rahmen der Stadtdebatte „Alte Mitte – Neue Liebe“. In diesem ergebnisoffenen Partizipationsverfahren, das von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung durchgeführt wurde, sollte über die zukünftige Gestaltung des Freiraums am Fernsehturm diskutiert werden. In zahlreichen Fachkolloquien, Bürgerwerkstätten, Onlinedialogen und Stadterkundungen konnten Bürgerinnen und Bürger ihre Vorstellungen einbringen. Auf einem Halbzeitforum konnten sie sogar per TED-Abstimmung über Entwicklungsalternativen befinden. Bei dieser Abstimmung votierte eine große Mehrheit gegen eine Privatisierung des öffentlichen Freiraums.

    Für die Planungsgruppe Stadtkern stellte dieses Verfahren einen Affront dar. Sie kritisierte das Verfahren als „expertenfeindlich“. Besonders empörte die Planungsgruppe-Aktivisten, dass selbst „fachlich nicht ausgebildete Personen nach ihren Vorstellungen und Vorlieben“ befragt wurden. Benedikt Goebel erklärte, dass er an dem Verfahren nur teilnehmen würde, um „Frau Lüscher aus der Nähe beim Scheitern zuzuschauen“.

    Die Rechnung ging allerdings nicht auf. Das Verfahren wurde ein großer Erfolg. Am Ende konnten sich die Bürgerinnen und Bürger auf zehn Bürgerleitlinien einigen. Zugleich bescheinigte eine unabhängige Untersuchung durch das Deutsche Institut für Urbanistik dem Verfahren eine große Glaubwürdigkeit. 2016 wurden die Bürgerleitlinien von allen Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses beschlossen. Auf dieser Grundlage wurde 2021 ein freiraumplanerischer Wettbewerb durchgeführt, den das Kölner Büro RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten für sich entscheiden konnte.

    Dennoch blieb die Planungsgruppe Stadtkern aktiv. Sie war schon 2014 dem Verein Bürgerforum Berlin beigetreten und firmierte teilweise unter dem Label des Bürgerforums. Zudem konnte sie ihren Einfluss im „Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg“ (AIV) ausbauen. 2019 wurde Tobias Nöfer zum AIV-Vorstandsvorsitzenden gewählt. Weitere Führungsmitglieder waren Benedikt Goebel und Petra Kahlfeldt.

    Zudem konzentrierte die Planungsgruppe nun ihre Bemühungen auf den Molkenmarkt. Hier plante die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den Neubau bezahlbarer Wohnungen durch landeseigene Wohnungsgesellschaften. Die Planungsgruppe dagegen forderte in einem Aufruf vom Februar 2019 die Vergabe der Grundstücke an private Bauherren.

    Der Machtverlust von Michael Müller und der Aufstieg von Franziska Giffey eröffnete dem Planungsgruppe-Netzwerk neue Spielräume, zumal sich bald auch inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der neuen Landesvorsitzenden zeigten. Giffey machte schnell deutlich, dass sie private Immobilieneigentümer stärker fördern will. Folgerichtig unterstützten die Aktivisten der Planungsgruppe Franziska Giffey im Wahlkampf. Sie unterzeichneten zum Beispiel den Aufruf „Weiterdenken statt enteignen“ gegen das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.
    Hoffnung Koalitionsvertrag

    Schon bald nach der Abgeordnetenhauswahl 2021 wurde das gewachsene Gewicht der Planungsgruppe sichtbar. Tobias Nöfer war im Verhandlungsteam der SPD an den Koalitionsverhandlungen beteiligt. Mit der Ernennung von Petra Kahlfeldt zur Senatsbaudirektorin hat der Einfluss der Planungsgruppe Stadtkern ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.

    Allerdings ist dieser Erfolg nur ein halber Sieg. Denn in der neuen Koalitionsvereinbarung konnte das Netzwerk nur wenige Forderungen unterbringen. Öffentliche Immobilien sollen auch in Zukunft nicht privatisiert werden, und der Freiraum am Fernsehturm soll als öffentlicher Grünraum nach dem Entwurf von RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten qualifiziert werden. Es besteht also eine erhebliche Kluft zwischen den Zielen des Koalitionsvertrages und den Vorstellungen der Planungsgruppe Stadtkern. Die Zukunft wird zeigen, ob Petra Kahlfeldt ihre Arbeit am Koalitionsvertrag oder an ihren bisherigen Überzeugungen ausrichtet.

    Matthias Grünzig ist Mitglied der Initiative Offene Mitte Berlin, Autor eines Buchs über die Potsdamer Garnisonkirche und Mitinitiator des Briefs „Offener Brief zur Neubesetzung der Position des neuen Senatsbaudirektors / der neuen Senatsbaudirektorin“, der von über 650 Personen unterzeichnet wurde

    #Berlin #Stadtentwicklung #Privatisierung #Gentrifizierung #Politik #SPD

  • Wie Berlins gigantische Autobahnüberbauung „Schlange“ entstand – und verfiel
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/wie-berlins-gigantische-autobahnueberbauung-schlange-entstand-und-v

    23.11.2021 von Frank Gaeth - In der Schlangenbader Straße erhebt sich ein 600 Meter langer Wohnkomplex über der Stadtautobahn. Unser Autor kennt den Alltag im einstigen Vorzeigeprojekt.

    Es war das Jahr 1971. Samstagabends sang Rex Gildo in Dieter Thomas Hecks ZDF-„Hitparade“, die Männer trugen Schlaghose mit Backenbart und Hornbrille, Frauen den Minirock. Willi Brandt regierte das Land, Christiane F. ging noch zur Schule und wie selbstverständlich musste für die autogerechte Stadt Berlin mitten durch Kleingärten und über den beschaulichen Breitenbachplatz im bürgerlichen Stadtteil Berlin Wilmersdorf eine Betonpiste für den Autoverkehr gezogen werden. Es war die Zeit der Trabantenstädte wie die des Märkischen Viertels oder der Gropius Stadt. Le Corbusiers Verständnis der Moderne mündete eloquent im Architekturstil des Brutalismus. Die Zukunft kannte keine Geschichte. Die neue Baukultur der umlandlosen Stadt Berlin kannte keine Grenzen: schon gar nicht finanziell.

    Unumstritten war die „Schlange“, wie die Autobahnüberbauung in der Berliner Schlangenbader Straße wegen ihrer Form bald genannt wurde, nie. War im Abgeordnetenhaus die SPD als Regierungspartei von Anfang an dafür und die CDU dagegen, war auf Bezirksebene die regierende CDU dafür und die SPD dagegen.
    270.000 Tonnen Beton

    Dabei glänzte der Entwurf der Architekten Georg Heinrichs, Gerhard und Klaus Krebs, alle drei Exponenten der West-Berliner Nachkriegsmoderne, mit technischen Superlativen: Auf einer Gesamtlänge von 600 Metern und einer maximalen Höhe von 46 Metern sollte eine Autobahnüberbauung entstehen, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte. Zusammen mit der Randbebauung ergaben sich auf dem Areal 1758 Wohneinheiten mit 80.684 Quadratmetern Wohnfläche, welche in Stahlbeton-Schottenbauweise ausgeführt wurden.

    Das Gebäude zählt bis heute damit zu den größten zusammenhängenden durchgängig begehbaren Wohnkomplexen Europas. In einer fast zehnjährigen Planungs- und Bauphase wurden 270.000 Tonnen Beton und 14.000 Tonnen Stahl verbaut zu einem Gesamtpreis von insgesamt 418 Millionen D-Mark. Dass dies zu einer Kostenmiete von 27 DM pro Quadratmeter führte, die für das Wohnungsbauförderungsprogramm auf 5,80 DM pro Quadratmeter heruntersubventioniert werden musste, war egal, weil für den sozialen Wohnungsbau eben normal.

    Ebenso normal waren die kurzen Entscheidungswege: Über den Verlauf des nord-süd-orientierten Stadtautobahnabschnitts zwischen Schloßstraße und Fehrbelliner Platz fiel die Entscheidung in der Bauhauptverwaltung. Die Bezirksverwaltung von Wilmersdorf wurde von der Notwendigkeit „überzeugt“. Das reichte. Dass die Architektengemeinschaft Müller/Heinrichs auch nach der Berufung von Hans C. Müller zum Senatsbaudirektor bestehen blieb, garantierte einen ungewöhnlich direkten Draht zwischen Planungsbüro und oberster Stadtplanung. Im Berlin der Nachkriegszeit lebten schließlich zahlreiche Architekturbüros von den durch immense Steuerabschreibungen bewirkten Bundessubventionen für die Halbstadt.
    Millionen für Kleingärtner

    Ein geschicktes Steuerumgehungsmodell durch steuerfreien Ankauf von Genossenschaftsanteilen machte einige Kleingärtner der Kleingartenbaugenossenschaft „Rheingau“, die bis zuletzt ihren Parzellen treu geblieben waren, kurzfristig zu Großverdienern und sicherte den reibungslosen Verkauf der Baugrundstücke. „Aber warum sollen nicht Kleingärtner auch mal ein Millionending drehen“, so Ernst Seidel, leitender Mitarbeiter Arbeitskreis 6 der Mosch Gruppe, die den Bau zuerst übernahm.

    Eigenkapital in Höhe von 50 Millionen DM akquirierte die Fondsgesellschaft „Wohnpark Wilmersdorf Heinz Mosch KG“ durch geschickte Werbung. Im Emissionsprospekt der ersten Tranche fand sich außer einer winzigen Modellaufnahme kein Hinweis darauf, dass es sich bei der steuerbegünstigten Kapitalanlage in Wirklichkeit um den ersten Bauabschnitt handelte. Die Überraschung in der ersten Gesellschafterversammlung im Jahre 1973, zu der viele der 832 Kommanditisten anreisten, soll entsprechend groß und wortstark gewesen sein.

    Die technischen und finanziellen Probleme ließen nicht lange auf sich warten: Es kam zu Bodenabsenkungen des Erdreichs im Bereich der Überbauung, was durch umfangreiche Maßnahmen kompensiert werden musste. Bereits Mitte 1973 stiegen die Zinsen für Bauzwischenkredite auf bis zu 15 Prozent p.a. mit spektakulären Pleiten in der Berliner Abschreibungsbranche. Die Mosch-Gruppe war eine davon. Schon im Februar 1974 waren die westdeutschen Bauträgergesellschaften gezwungen, ihre Geschäfte einzustellen. Riebschläger sorgte dafür, dass das Objekt 1974 von der gemeinnützigen Degewo, deren Aufsichtsratsvorsitzender er selbst war, übernommen wurde. Ein „grundsolides“ Vorgehen“.

    Als nach fast zehnjähriger Planungs- und Bauzeit die Wohnungen für erste Mieter bezugsfertig waren, hatte längst eine Zeitenwende eingesetzt. Die 1970er-Jahre waren Geschichte. Der gewaltige Baukörper noch ganz in Form und Ästhetik des vergangenen Jahrzehnts wirkte antagonistisch. An monotonen Fluchtpunktperspektiven herrschte längst kein Mangel mehr. Diese standen längst als Sinnbild des Massenwohnungsbaus. Georg Heinrichs Bauten wie das Jugendgästehaus, das Evangelische Konsistorium, die Wohnbebauung Opernviertel in der Bismarckstraße, die IBA-Wohnbebauung, das Kreuzberghaus zum Alten Fritz, aber insbesondere die Wohnsilos des Märkischen Viertels wirkten schon wie aus der Zeit gefallen. An manchen dieser Fassaden fanden sich Berlins erste Graffitis: „Schade, dass Beton nicht brennt“ oder „bonjour tristesse“. Das Evangelische Konsistorium im Hansaviertel, erst 1971 fertig gestellt, wurde bereits 2011 wieder abgerissen.

    Vom Prestigeobjekt zum Brennpunkt

    Auch bestätigten sich nicht die Erwartungen der Architekten, wie die zukünftigen Mieter die Anlagen nutzen würden. Gemeinschaftsräume mit Teeküchen, diverse Hobbyräume, Jugendcafé, zwölf Kinderspielräume mit Tischtennisplatten und Spielgeräten und vieles mehr waren ursprünglich vorhanden. Statt dessen nutzten die ersten Mieter, als soziale Problemfälle vom Bezirksamt eingewiesen, die Angebote auf ihre Weise und für ihre eigenen Bedürfnisse. Schnell war die „Schlange“ in der Wahrnehmung der Berliner Öffentlichkeit vom Prestigeobjekt zum sozialen Brennpunkt herabgesunken.

    Schon zu Bauzeiten, kurz nach der Anfangsphase, hätte das Projekt zu keinem Zeitpunkt mehr eine positive Presse gehabt. Und wäre das Projekt auch nur fünf Jahre später gestartet, es wäre nie gebaut worden, so Ernst Seidel. Dass dennoch die „Schlange“ nie echten Leerstand zu verzeichnen hatte, wurde gerne als Beleg für die hohe Qualität der Architektur den Kritikern entgegengehalten. Den Bau selbst verteidigten die Architekten gegen die zahlreichen Anfeindungen mit ganz praktischen Argumenten: Sie hätten schließlich die fertige Sandaufschüttung für den Autobahnzubringer bereits vorgefunden. Die Überbauung sei daher nur folgerichtige Konsequenz. Und ökologisch sowieso.

    Längst ist die „Schlange“ in die Jahre gekommen, der Glanz verflogen, das Objekt in weiten Teilen stark sanierungsbedürftig, die teils recht unkonventionellen Grundrisse nicht mehr akzeptiert. Vom „dynamisch-skulpturalen Funktionalismus Erich Mendelsohns“ wie ihn Georg Heinrichs ins Werk gesetzt haben wollte, schwärmen heute bestenfalls noch die Nachrufe der Universität der Künste.

    Asbest in den Wohnräumen, das gesamte Rohrleitungssystem brüchig, die Fensterfronten der Terrassen im Sommer bis fast 60 Grad heiß bei fehlender Querlüftung, die verwendeten Materialien oft minderwertig, der mit Kieselsteinen versetzte Beton brüchig, Wassereinbrüche durch Decken und Wände, die Fahrstühle fallen schon mal komplett aus, die gesamte Frischwasserzufuhr unterbrach für ganze Tage, die Warmwasserversorgung sogar wochenlang, durch die erodierten Wasserleitungen verbreiten sich Ratten und hängen tot von der Decke. Müllräume, die als Ersatz für die stillgelegte Müllabsauganlage eingerichtet sind, werden nicht genügend gereinigt, durch die geborstenen Abwasserleitungen laufen schon mal nachts die Fäkalien in die Wohnungen.

    Mieter im täglichen Kleinkrieg

    Seit geraumer Zeit schon hat sich die Degewo nämlich nur noch auf das notdürftige Ausbessern beschränkt. Wenn überhaupt. So werden zum Beispiel geplatzte Rohre mit Fettlappen umwickelt anstatt sie auszutauschen, Reparatur schwerer Mängel so lange wie möglich verschoben, bis Gesundheitsämter vor Ort erscheinen, Baustellen werden nicht geschlossen, bis auch die Bauämter folgen. An Schönheitsreparaturen ist gar nicht erst zu denken.

    Seit dem überraschend vorzeitigen Ausscheiden von Kristina Jahn und ihrer Nachfolge durch Sandra Wehrmann als Vorstandsmitglied 2018 scheint man nicht einmal mehr zu wissen, wo welche Leitung hinführt oder herrührt. Und was sich darin befindet schon gar nicht. So wird mancher Defekt zu einem munteren Suchspiel. Geldmangel und fehlende fachliche Qualifikation trifft auf zunehmend sozialschwache Mieterschaft.

    Andere Mieter hingegen meiden den täglichen Kleinkrieg und ziehen schließlich weg. Die so gewonnene Selektierung der verbleibenden Mieterschaft entzaubert das Argument der hohen Retention. Neben dem baulichen droht somit auch der soziale Fall. Dank radikaler Sparpolitik an der falschen Stelle droht ein weiteres Pallasseum.

    Wie also ist das Projekt „Schlangenbader Straße“ heute zu werten? Auf jeden Fall als seit je her ungeliebtes Projekt. Aber sollte man so weit gehen, dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Richard von Weizäcker, beizupflichten, der gesagt haben soll: „Wenn der Teufel dieser Stadt etwas Böses antun will, lässt er noch einmal so etwas wie die ‚Schlange‘ bauen.“

    Man täte dem Bau und seinen Architekten Unrecht. Es waren die 1970er, die Zeit einer Tabula-rasa-Moderne, die noch mit den Ideen der 1920er bewaffnet und aus Abschreibungsmodellen des wilden West-Berlins finanziell üppig ausgestattet mit atemberaubender Geschwindigkeit und ohne jede Rücksichtnahme auf Gewachsenes die Gesellschaft neu gestalten wollte. Ein Um- oder Weiterdenken war für einen Georg Heinrichs nie infrage gekommen: „Mein Partner Hans Müller fragte irgendwann: ‚Willste nicht mal was anderes machen?‘ Er meinte damit Postmoderne – aber das wäre nur über meine Leiche gegangen.“

    Und so kam es auch: Heinrichs, der selbst in der Villa Bruno Pauls in Zehlendorf residierte, soll ab Mitte der 1980er-Jahre kaum noch Aufträge erhalten haben, der letzte wohl die Blockrandbebauung für die IBA im Jahr 1987 im Alter von 61 Jahren – 35 Jahre vor seinem Tod.

    Kaum ein Bau verkörpert den Geist der 1970er-Jahre so sehr wie dieser: als Denkmal und Mahnmal. Weder antikapitalistische Kritik am modernistischen Stadtumbau noch die postmoderne Verdammung der „Moderne“ als antistädtischer Bruch mit der Geschichte würden die Erinnerung an die Leistungen der Architekten belasten, so die Zeitschrift Bauwelt in einem Nachruf auf Heinrichs.

    Zumindest für den beklagenswerten Erhaltungszustand sind die Heinrichs und Krebs wohl nicht direkt verantwortlich. Und so viel steht auch fest: Die „Schlange“ wird uns in den Worten Riebschlägers als Unikat erhalten bleiben. Dem Denkmalschutz sei Dank.

    Der Autor ist Mieter in der Schlangenbader Straße und Mitglied im Mieterbeirat der Degewo. Der promovierte Statistiker hat als Dozent an der Freien Universität Berlin unterrichtet.

    https://m.kauperts.de/Strassen/Schlangenbader-Strasse-14197-Berlin

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Autobahn%C3%BCberbauung_Schlangenbader_Stra%C3%9Fe

    #Berlin #Wilmersdorf #Architektur #Stadtentwicklung #Wohnen #Immobilien #Stadtentwicklung

  • Zukunft der Mobilität: Der Berliner Bergmannkiez probt die Verkehrswende | rbb24
    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/06/bergmannstrasse-autofrei-fussgaengerzone-zukunft-mobilitaet.html

    Na da hammse sich ja wat feinet ausjedacht.

    04.06.21 | 06:12 Uhr
    Der Bergmannkiez in Berlin-Kreuzberg soll weitgehend autofrei werden – die Planungen laufen bereits seit Jahren, jetzt wurden die ersten „Durchfahrt Verboten“-Schilder aufgestellt. Kann das Vorbild für Berlins Mobilität der Zukunft sein? Von Wolf Siebert und Sylvia Tiegs

    Kein Autolärm, stattdessen das Lachen von Menschen, die links und rechts der Straße in Cafés oder auf Bänken sitzen, ein breiter Radstreifen und in der Mitte eine Wasserrinne, in der Kinder Papierboote fahren lassen: Bis 2025 soll die Bergmannstraße in Kreuzberg zwischen Nostitzstraße und Schleiermacherstraße neu gestaltet werden: weitgehend autofrei, mehr Grün, ein Ort zum Flanieren und Einkaufen, zum Sitzen und Reden.

    Im Mai wurden nun die ersten Verkehrsschilder aufgebaut: „Durchfahrt für Kfz verboten, Anlieger frei - bei Tempo 20“. Es ist der erste Schritt zur Verbannung des Durchgangsverkehrs aus dem Viertel, später sollen Fußgängerzonen auf der Bergmannstraße und dem Chamissoplatz folgen. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) spricht von einem "Kiez der Zukunft“, in dem Menschen besser miteinander leben werden – und der Vorbild für andere Teile Berlins sein kann. Elf Millionen Euro sind für alle Maßnahmen eingeplant. Bezirk und Land Berlin beteiligen sich, Fördermittel aus Finanztöpfen des Bundes sind eingeplant.

    Umleitung von bis zu 10.000 Autos täglich

    Bis zu 10.000 Autos am Tag fahren über die Zossener Straße, die in die Bergmannstraße mündet, sagt Felix Weisbrich. Er leitet das Straßen- und Grünflächenamt des Bezirks. Stadtplaner Weisbrich ist derjenige, der während der Corona-Pandemie in Berlin die Pop-up-Radwege eingerichtet hat. 10.000 Autos, von denen viele einen Schlenker durch die Bergmannstraße machen, um dann über die Friesenstraße Richtung Tempelhofer Feld zu fahren. „Diese Verbindung nehmen wir aus dem Hauptroutennetz raus“, sagt Weisbrich. Soll heißen: kein Autoverkehr mehr.

    Weisbrich, 48 Jahre alt, war lange Förster in Mecklenburg-Vorpommern. Seit zweieinhalb Jahren ist er nun im Bezirk und mit dem Projekt Bergmannstraße beschäftigt. Seitdem wurde vieles ausprobiert – und wieder verworfen: zum Beispiel grüne Punkte auf der Fahrbahn zur Verkehrsberuhigung, sogenannte Parklets zum gemütlichen Aufenthalt am Straßenrand. Kosten: mehr als eine Million Euro.

    Fußgänger- statt Begegnungszone

    Ursprünglich sollte die Straße eine sogenannte Begegnungszone werden: mit mehr Platz für Bürger – ob zu Fuß oder per Rad – aber auch mit Autos, alle mit gleichen Rechten. Aber, sagt Weisbrich, „die Bürger wollten Klarheit und mehr Ruhe“. Das habe sich in den vielen zeitaufwändigen Gesprächsrunden mit Anwohnern und Gewerbetreibenden herauskristallisiert. Und deshalb kommen die Autos nun raus aus der Bergmannstraße, nach und nach: Zunächst wird die Bergmannstraße zu einer Einbahnstraße gemacht, anschließend werden Lieferzonen eingerichtet, darauf folgt die Sperrung der Verbindung Zossener-/Friesenstraße, und dann erst wird die Bergmannstraße zur Fußgängerzone. Im Planerdeutsch heißt die neue Vision korrekt: Fußgängerzone mit Trennverkehr.

    Fahrradfahrer bekommen einen abgetrennten Fahrradstreifen, teilen sich den Straßenraum mit den Fußgängern. Lieferverkehr wird es auch weiterhin geben. Aber der bekommt eigene Lieferzonen, die er nur zu bestimmten Zeiten am Morgen und am Vormittag benutzen darf.

    Auch Anwohner dürfen dann hier nicht mehr parken, müssen in die Seitenstraßen ausweichen. Birgt das nicht Konfliktpotential? Nein, meint der Dortmunder Verkehrswissenschaftler Martin Randelhoff im Interview mit rbb|24: „Teilweise entstehen diese Konflikte ja gar nicht, weil man zu unterschiedlichen Tageszeiten unterwegs ist. Anwohner, die den Pkw zum Pendeln nutzen, sind meistens tagsüber gar nicht da. Die parken abends und nachts.“ Die Kunden von Geschäften dagegen parkten insbesondere tagsüber, während der Geschäftszeiten - sagt der Verkehrsforscher, und schlussfolgert: „Das sollte funktionieren - zumindest in der Theorie.“

    Neue Parkflächen in den Seitenstraßen geplant

    Auch der Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes, Felix Weisbrich, reagiert gelassen. So wie alle, die etwas Neues versuchen wollen und Widerstände erwarten: „Das ist alles keine Revolution!“ Man habe ja auch schon früher in Berlin Fußgängerzonen eingerichtet.

    Außerdem haben sich die Planer in einem wichtigen Punkt flexibel gezeigt: Ein kleiner Teil der Bergmannstraße wird nicht zur Fußgängerzone. Auf den letzten Metern bis zum Mehringdamm liegt nämlich ein Gesundheitszentrum. Zum Gebäudekomplex gehören auch ein Supermarkt und ein Discounter. Diesen Teil der Straße dürfen Lieferanten und motorisierte Kundinnen auch weiterhin nutzen. Und noch ein Versprechen für die Autobesitzenden Anwohner der künftigen Fußgängerzone: In den Seitenstraßen sollen neue Parkflächen geschaffen werden.

    Kritik an Zeitzonen für den Lieferverkehr
    Michael Becker, Geschäftsführer eines Geschenke-Ladens auf der Bergmannstraße, ist trotzdem skeptisch: „Wenn es für den Lieferverkehr tatsächlich Zeitzonen geben würde, müsste ich mehr Personal beschäftigen, um diese Zeit abzudecken. Ich sehe aber noch gar kein Konzept dafür.“

    Mit Blick auf seinen Kollegen, der Weinhändler um die Ecke ist, fragt sich Michael Becker, wie dessen Kundschaft künftig ihre Großeinkäufe erledigen will – wenn das Parken vor dem Laden nicht mehr möglich ist. „Früher sind die Autofahrer gekommen und haben kistenweise Wein bei ihm gekauft, um die im Keller einzulagern. Zu Fuß aber nimmt man gerade mal zwei Flaschen mit. Da sind es richtige Umsatzeinbußen!“

    Ganze 45 Sekunden braucht man mit dem Fahrrad für die umzugestaltende Strecke auf der Bergmannstraße – wenn man wie vorgeschrieben maximal 20 Stundenkilometer fährt. Die Planungszeit dafür: acht Jahre – und bis zur Fertigstellung dauert es jetzt noch drei bis vier Jahre. Sind Aufwand und Ergebnis noch verhältnismäßig? Bezirksbürgermeisterin Herrmann räumt ein, dass es Fehler gegeben habe. Das Verfahren habe viel zu lange gedauert. „Das können wir uns künftig nicht mehr leisten.“ Beteiligungs- und Planungsprozesse müssten durchdacht und gestrafft werden.

    In Zukunft autofreie Blöcke wie in Barcelona?
    Die Umgestaltung betrifft aber nicht nur die Bergmannstraße. Der ganze Bergmannkiez zwischen Mehringdamm, Gneisenaustraße, Südstern und Columbiadamm soll verkehrsberuhigt werden. Vor allem durch ein ausgeklügeltes Netz von Einbahnstraßen, die die Fahrt mit dem Auto unattraktiv machen sollen. Im Wrangel- und im Samariter-Kiez habe das schon funktioniert, sagt Weisbrich. Beide liegen in seinem Bezirk.

    Verkehrsforscher Martin Randelhoff betreibt seit mehreren Jahren den Blog "Zukunft Mobilität [zukunft-mobilität.net]. Er kennt in ganz Europa Beispiele für gelungene Verkehrsführung. Etwa in Barcelona, wo mehrere Wohnblöcke in der Innenstadt sogenannte Super-Blöcke bilden, innerhalb derer keine Autos mehr fahren dürfen. Grundsätzlich hält er das auch für Berlin denkbar. „Die Herausforderung ist, dass man einen Ausgleich schaffen muss zwischen den Interessen von Anwohner oder Anwohnerinnen und von Dritten, die durch das Gebiet fahren müssen“, so Randelhoff. Der Verkehrsforscher betont: Projekte wie im Bergmannkiez seien insbesondere für die Steigerung der Lebensqualität, der Aufenthaltsqualität und der Verkehrssicherheit geeignet.

    Sein Blick auf mögliche Klimaschutzeffekte ist gleichzeitig ernüchternd: Der Wegfall von ein oder zwei Kilometer langen Autofahrten helfe zwar, aber die Menge an Emissionen sei eben nicht so groß wie im täglichen Pendel- oder Flugverkehr. „Wenn man wirklich was für den Klimaschutz reißen will, muss man an die großen Distanzen ran.“

    Sendung: Inforadio, 04.06.2021, 12:45 Uhr

    Beitrag von Wolf Siebert und Sylvia Tiegs mit Material von Holger Trzeczak

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