Le sénateur pour la culture vient de publier l’arrêt se mort pour un nombre important de théâtres et d’autres lieux culturels. Les survivants sont obligés se contenter de budgets réduits. L’acteur Martin Wuttke parle de son travail sous ces conditions.
8.12.2024 von Ulrich Seidler -Der Volksbühnen-Schauspieler Martin Wuttke über Brecht und Pollesch und die Schändung ihres Erbes durch die Berliner Kulturpolitik.
Im Februar ist der Volksbühnenintendant René Pollesch gestorben, seine Arbeiten aber leben und bilden noch immer die wichtigste Säule im Spielplan des Hauses. Sie sind wohl auch deshalb so gut besucht, weil an ihnen die Unwiderruflichkeit des Vergänglichen erlebbar wird. Polleschs Stücke entstehen für die konkrete Inszenierung und werden mit ihr abgesetzt. Nun kommt aber mit „Der Schnittchenkauf“ doch ein weiterer Pollesch-Text in neuer Inszenierung ins Volksbühnenprogramm, wobei die Regieposition nicht besetzt ist. Mit Kathrin Angerer, Franz Beil, Rosa Lembeck, Milan Peschel und Martin Wuttke sind Schauspieler besetzt, die mit der Arbeitsweise von René Pollesch vertraut sind und sie, wie auch seine langjährige Dramaturgin Anna Heesen, getragen haben.
Wie geht das? Was lässt sich retten? Was ist verloren? Ein melancholisches Interview mit dem amtierenden Gravitationszentrum im Volksbühnenensemble, Martin Wuttke.
Herr Wuttke, der Text „Der Schnittchenkauf“ von René Pollesch bezieht sich auf „Der Messingkauf“ von Brecht. Was hat es damit auf sich?
Brecht fängt 1939 im Exil an, seine Theatertheorie zu verschriftlichen und hört damit bis zu seinem Tod 1956 nicht mehr auf. Er verwendet unterschiedlichste Formen: Gedichte, Dialoge, essayistische Texte, Gliederungsentwürfe, die er nie abschließt. Es bleibt ein offenes und unvollendetes Werk. Er war sich offenbar unsicher, in welcher Form er diese Theorie niederlegen kann.
„Der Messingkauf“ ist ein seltsamer Titel für eine Theatertheorie.
Das ist ein Motiv aus den Dialogen. Die entspinnen sich in einer Situation mit einem Schauspieler, einer Schauspielerin, einem Dramaturgen und einem Philosophen, die sich im Theater nach einer Vorstellung auf der Bühne treffen. Der Zuschauerraum ist leer, und während ein Arbeiter die Kulissen abbaut, reden sie darüber, wie das neue Theater aussehen könnte. Irgendwann wird der Philosoph gefragt, was ihn überhaupt am Theater interessiere. Und darauf antwortet der Philosoph, dass er sich vorkomme wie ein Messinghändler, der ein Orchester besucht und den weder die Musik noch die Instrumente interessieren, sondern der wertvolle Rohstoff.
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Ina Schoenenburg/Ostkreuz
Zur Person
Martin Wuttke wurde 1962 in Gelsenkirchen als Arbeiterkind geboren, flog vom Gymnasium und studierte erst Figurentheater, dann Schauspiel in Bochum.
Seine Karriere brachte ihn an die führenden Häuser der deutschsprachigen Theaterrepublik. Als Volksbühnenprotagonist prägte er die Castorf-Ära vor allem in den Dostojewski-Inszenierungen. Mit René Pollesch verbindet ihn eine jahrzehntelange Zusammenarbeit. 1995 folgte er dem gescheiterten Leitungsquintett als kurzzeitiger Intendant am Berliner Ensemble.
2008 bis 2015 ermittelte Wuttke gemeinsam mit Simone Thomalla als Keppler und Saalfeld für den Leipziger „Tatort“.
Will er die Instrumente einschmelzen?
Er will das Material offenbar einem anderen Gebrauch zuführen.
Und die Schnittchen?
Die titelgebenden Schnittchen gehen auf eine Geschichte zurück, die der Schauspieler Franz Beil René Pollesch erzählt hat. Nämlich dass er einmal ins Theater nicht wegen der Stücke und der Inszenierungen oder der Schauspieler:innen gegangen ist, sondern weil er gehört hat, dass es dort Schnittchen gibt.
Erst kommt das Appetithäppchen, dann kommt die Moral.
So ähnlich. Pollesch hat mit diesen Texten ähnlich wie Brecht versucht, seine Theorie schriftlich niederzulegen. Er beruft sich auf Brecht, orientiert sich an ihm – und geht dann an bestimmten Punkten weiter.
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Darf man sich Polleschs Arbeitsweise wie die von Ihnen geschilderte Szene vorstellen: ein fröhliches Gruppenhocken, Trinken, Rauchen und Reden über das Theater – und dann ist das Stück fertig.
Das ist vielleicht etwas lapidar zusammengefasst, aber ja, so ungefähr. Schon dass dieser Schaffensprozess weniger zielorientiert ist und noch dazu etwas Fröhliches und Lustvolles sein könnte, widerstrebt natürlich manchem Bürger und bestätigt sein Klischee. Und dann entfernen diese Künstler:innen sich auch noch von einem konventionellen Theaterverständnis, davon, dass da Geschichten erzählt und Figuren geschaffen werden müssen und dass dies das Einzige ist, was interessant sein könnte.
Hat das Brecht auch schon infrage gestellt?
Er hat sich zumindest vom Realismus abgewendet und die Widersprüche unter Verwendung von Verfremdungseffekten verdeutlicht. Pollesch wollte das Als-ob-Spiel ganz aufbrechen, weg von der Figurenrede, hin zu den Schauspielerkörpern. Die sind das Interessante, an ihnen, in ihrer Konkretheit formulieren sich seine Betrachtungen der Wirklichkeit und der Gesellschaft. Das ist eine neue Praxis, die hat Pollesch erfunden. „Schnittchenkauf“ ist eine Montage von Monologen, die zu großen Teilen in seinen Stücken vorgekommen sind. Er zitiert eigentlich die Schauspieler. Er hangelt sich an den von ihnen formulierten, in den gemeinsamen Arbeiten gewonnenen Erfahrungen entlang. Pollesch kommentiert Brechts Theorie aus seiner eigenen Praxis heraus.
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Ist der Clou dieser Praxis, dass sich die Autorenschaft auf viele Köpfe verteilt? Was wäre dann die Rolle von Pollesch dabei?
Pollesch gebührt die erste und wesentlichste Autorenschaft dieser Arbeitspraxis – indem er sie erfunden und angewandt hat. Er hat mit dem bis dahin geltenden Prinzip gebrochen, nach dem Schauspieler:innen Texte entgegenzunehmen und sich damit zu beschäftigen haben. Er hat den Schauspieler:innen zugehört und die Texte in einem gemeinsamen Prozess entwickelt und sich darin radikal autonom eingeschrieben und formuliert. Wir haben geredet, es gab Probennotate, an denen er nach der Probe immer weitergeschrieben hat. Und dann haben wir bei der nächsten Probe weitergeredet.
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Das wertet die Schauspieler auf, oder?
Ja, es bedeutet auch mehr Verantwortung und eine weitreichendere Beteiligung, ein ganz anderes Selbstverständnis. Das macht auch den Regisseur, der ja erst spät in der Theatergeschichte dazukam, wieder überflüssig. Das einzige Kriterium bei Pollesch war, ob sich Inhalte entfalten konnten.
Waren sich denn die Schauspieler einig in ihrer Idee von Theater und von Spielen?
Es gibt keine Einigung, nein. Das Buch versammelt verschiedene oppositionelle Haltungen und Ideen. Dieses Heterogene hat eine politische Dimension.
Martin Wuttke: „Wir sitzen einander als Aliens gegenüber.“
Martin Wuttke: „Wir sitzen einander als Aliens gegenüber.“Ina Schoenenburg/Ostkreuz
So heterogen ist das doch gar nicht, die Sprechenden kommen alle aus dem Theaterzusammenhang.
Ja, aber das Theater wird hier zu ihrem Instrument. Das Publikum ist da erst einmal gar nicht so wichtig. Das ist auch eine Idee von Brecht, aus der er die Lehrstücke entwickelt. Die sind für die Spielenden geschrieben, nicht für die Zuschauenden. Pollesch hat dasselbe gemacht, Lehrstücke, allerdings in einer Variante mit Publikum.
Was wäre die Lehre dieser Stücke?
Pollesch wollte weg vom Universellen. Er suchte das Spezielle, er wollte eine Kommunikation nicht über die Ähnlichkeiten aufbauen, sondern über die Unterschiede zwischen denen, die kommunizieren. So kommt man besser in einen echten Austausch, statt immer nach dem Abgleich zu suchen. Das ist ein völlig neuer Entwurf, mit dem alle Segregationsprobleme abgeräumt werden: Wenn wir verstehen, dass wir völlig verschieden sind, dann ist es nicht mehr so interessant, die Hautfarbe, die sexuelle Orientierung, das Geschlecht oder was auch immer zu taxieren. Wir sitzen einander als Aliens gegenüber.
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Ist man ohne Gemeinsamkeiten nicht sehr einsam?
Nein, im Gegenteil, es ist der Eintritt in eine wahre Gemeinschaft. In ihr sind die Menschen gleichwürdig und werden nicht nach Ähnlichkeiten und Sympathien selektiert. Das sind gesellschaftlich absolut relevante Fragen, die Pollesch ins Theater getragen hat, als noch keiner über Identität und Gender diskutiert hat. Das Theater funktioniert noch heute oft über Rollenzuschreibungen. Da ist schon so viel klar, fest und verloren, wenn im Stück steht: Eine Person betritt die Bühne. Alle werden denken, dass es sich bei dieser Person um einen weißen, heterosexuellen Mann handelt, weil alles andere als Abweichung verstanden wird und erst einmal markiert werden muss. Das, was nicht markiert werden muss, beschreibt das Dominierende, die Herrschaft. Das wollte Pollesch aufbrechen. Aber nicht im Widerstreit. Mit der antagonistischen Dramaturgie der herkömmlichen Denkweise lassen sich viele Probleme gar nicht beschreiben, geschweige denn lösen.
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Wenn wir im Leben versuchen würden, ohne Zuschreibungen auszukommen, würden wir jede Orientierung verlieren.
Ja, kann sein. Aber das Theater ist dafür da, diese Funktionsweisen zu überprüfen und damit zu spielen, ohne gleich Angst vor den Folgen haben zu müssen. Es geht da nicht um die Pflege von bekannten Sichtweisen, sondern darum, die Augen aufzumachen.
Kann man nach dem Tod von René Pollesch diese Praxis retten?
Weiß ich nicht. Wir versuchen mit dem „Schnittchenkauf“ jedenfalls nicht, einen Pollesch-Abend ohne Pollesch hinzubiegen.
Martin Wuttke: „Möglicherweise braucht man besondere Unfähigkeiten.“
Martin Wuttke: „Möglicherweise braucht man besondere Unfähigkeiten.“Ina Schoenenburg/Ostkreuz
Wie fühlt sich das an, wenn die Arbeitsweise noch in einem nachzittert, aber das Gegenüber weg ist?
Das Gegenüber ist in einer gewissen Weise da, in diesen Texten. Aber es fühlt sich fremd an. Wir wollen diese Fremdheit jenseits von Sentimentalitäten kennenlernen und in Arbeit verwandeln.
Pollesch hat mehrere hundert Stücke geschrieben, die immer nur einmal inszeniert wurden und jetzt als meterhoher Stapel von Texten vorliegen. Jenseits von aller Sentimentalität gefragt: Lebt das noch?
In seinem Verständnis nicht, nein. Durch die besondere Arbeitspraxis ist nichts entstanden, was man als Werk hinterlassen kann. Die Stücke, die er geschrieben hat, die sind nicht auf dem Papier. Die Stücke sind in den Köpfen der konkret beteiligten Leute, in den Verknüpfungen der jeweiligen, sehr unterschiedlichen Arbeitsgruppen, in dem längst geschredderten Bühnenbild, in der Vergangenheit.
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Als Pollesch Intendant wurde, hat er versucht, diese utopische Praxis auf den gesamten Betrieb auszuweiten. Konnte im Großen gelingen, was in der kleinen Gruppe gelang? Ohne den geschützten Raum der Probe, sondern im Zusammenhang mit der Wirklichkeit, mit dem Betrieb, mehreren hundert Mitarbeitern, der Kritik, der Kulturpolitik. Würden Sie sagen, dass das funktioniert hat?
Partiell hat es funktioniert, würde ich sagen. Es hat funktioniert, wenn es Leute gab, die die angebotenen Arbeitsbedingungen und Verhältnisse ernst nehmen, genießen und sich darin wiederfinden konnten.
Man braucht auch besondere Fähigkeiten, oder?
Man braucht erst einmal ein besonders Interesse. Möglicherweise braucht man besondere Unfähigkeiten. Einen Mangel an Dingen, die sich viele mühevoll antrainiert haben.
Das wird der neue Trend an den Schauspielschulen: Unlearn acting. Die Volksbühne muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass sie sich mit sich selbst beschäftigt, abgehoben ist und die eigentlichen Probleme der Welt außer Acht lässt. Wie kommt diese Kritik bei Ihnen an?
Das, womit wir uns beschäftigen, sind die Probleme der Welt.
Was meinen Sie?
Alles. Denn alles fängt hier an unseren Körpern an, mit unserem Umgang, mit unserer Organisation von Dominanz, Spiel und Kommunikation. Insofern beschäftigen wir uns sehr wohl mit den großen Problemen. Kriege, Klimakrise, Kapitalismus sind Auswüchse dieses Umgangs. Mit den Auswüchsen selbst beschäftigen sich genug Leute, die sind überall Thema.
Inwiefern ist Kapitalismus ein Auswuchs unseres Umgangs miteinander?
Im konventionellen Theater würde man ein Stück über die Gier schreiben und inszenieren. Aber man könnte Kapitalismuskritik viel konkreter üben, von Schauspieler zu Schauspieler: Warum machst du immer noch was dazu? Warum bist du dauernd mit der Mehrwertproduktion beschäftigt? Warum wollt ihr Geschichten von der Gier hören? Die kennen wir alle schon. Die liegen auf der Straße. Jeder kann das abnicken. Aber wenn man über Kapitalismus reden will, muss man den Hauptbefehl kontern, und der heißt nicht: Sei gierig! Sondern der heißt: Sei kreativ! Das ist nackter Kapitalismus, und der wohnt hier bei uns allen, der klebt an unseren Körpern. Unser Interview ist Kapitalismus. Wir beschäftigen uns nur mit uns selbst? Nein, diese Abnicker und Gierkritiker beschäftigen sich mit sich selbst und gehorchen dem Befehl des Kapitalismus. Da mach ich nicht mit, das ist Renitenz. Als wenn Nicken ein Problem löst oder die Welt verändert.
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Löst die Volksbühne Probleme oder ändert sie die Welt?
Ich kann ganz konkret in meiner Welt auf der Probe, auf der Bühne oder hier in unserem Gespräch etwas verändern und gestalten. Ich kann die Arbeitsverhältnisse verändern, die sind veränderbar. Und wenn die veränderbar sind, dann müsste man doch auch die Welt verändern können.
Wie steht die Volksbühne jetzt da?
Ich kann nur von mir reden und nicht aus der Weltraumperspektive. Für mich endet hier eine Unternehmung, die mich interessiert hat. Jetzt läuft die letzte Spielzeit, die noch weitgehend mit René Pollesch geplant war. Unser „Schnittchenkauf“ liegt an der Stelle, an der eigentlich eine Pollesch-Inszenierung herauskommen sollte.
Bleiben Sie am Haus?
Das weiß ich nicht. Ich begegne momentan einem Vakuum. Über die Perspektiven des Theaters kann ich keine Auskunft geben. Das liegt auch daran, dass sich der Senat nicht dazu verhält. Da herrscht ein Vakuum. Unter den gegebenen Umständen, in dem Zustand, in dem sich das Haus strukturell im Moment befindet, mit den angekündigten Haushaltskürzungen. Wer will dieses Theater bei diesen Voraussetzungen anfassen?
Muss es einen Schnitt geben?
Das weiß ich nicht, das müssen die dann entscheiden, die das Haus übernehmen.
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Sie haben schon mal ein Haus geleitet.
Ja, das reicht mir. Als Heiner Müller Intendant des Berliner Ensembles wurde, hat Alexander Kluge gesagt: „Ein Partisan stellt sich nicht der Parade.“ Das sagt mir was.
Bekümmert Sie die Situation der Volksbühne? Sie Volksbühne ist nicht mehr der pulsierende Stern in der Mitte von Berlin, der alles ansaugt.
Das sehe ich anders. Oder ich erlebe es anders. Das Haus ist voll, wenn wir spielen. Ich erlebe ein Publikum, das sich radikal von dem der Castorf-Zeit unterscheidet. Ich habe diese Zeit gut in Erinnerung, ich identifiziere mich in hohem Maß mit ihr. Aber das ist vorbei und es gibt ein neues Publikum. Florentina Holzinger hatte noch nie etwas von Frank Castorf gehört, als wir sie ans Haus geholt haben. Das gilt auch für einen Teil des Volksbühnenpublikums heute. Das müssen die auch nicht wissen. Es gehört nicht zu ihrem Leben.
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Vielleicht hat die Bedeutung des Theaters nachgelassen.
Kann sein. Wenn es eine Krise des Theaters gibt, ist das ein Hinweis auf eine Krise des kritischen Denkens in unserer Gesellschaft. Vielleicht verlagert es sich nur, aber ich glaube, keine sozialen Medien und überhaupt kein Medium ist so geeignet zur direkten Auseinandersetzung mit der Gegenwart wie das Theater. Vielleicht rutscht das gerade aus dem Fokus. Es ist etwas sehr Spezielles geworden.
Das gibt dem Theater auch eine neue Narrenfreiheit.
Diese Freiheit habe ich mir schon immer genommen. Ich habe das Theater zu meinem Instrument gemacht und geguckt, was ich damit tun muss, dass es für mich, für mein Leben etwas taugt.
Ein ziemlich sperriges Instrument.
Und wie es sich sperren kann! Ich weiß noch, mit welcher Ablehnung ganze Apparate auf das Theater von Einar Schleef reagiert haben. Und nach ein paar Jahren konnten viele es doch erkennen und standen mit Bewunderung davor. Das dauert, bis ein neuer Ansatz ankommt und pulsiert. Bis die Augen und die Ohren aufgehen.
Beim Publikum, bei der Kritik oder beim Ensemble?
Erst einmal beim Raum.
Nach Christoph Schlingensief: Wo ist der Mut zur Kunstfreiheit geblieben?
Der Raum hat Ohren?
Ja, das ist so. Ich meine das nicht esoterisch. Das ist wahrnehmbar. Es gibt ein Echo, eine Resonanz. Vielleicht kennen Sie das auch. Wir sind in einem Transformationsprozess, dessen Parameter wir noch gar nicht kennen. Man muss das ausprobieren, um es kennenzulernen. Wir müssen hineinhorchen, um die neuen Möglichkeiten überhaupt zu verstehen und dann zu gucken, wie wir von ihnen Gebrauch machen. Nicht alles ist brauchbar. Und schon gar nicht für alle.
Ganz schön teuer, so ein Instrument.
Ja, finden Sie? Das ist beim Sport nicht anders. Ohne gepflegten Rasen keine Ballkunst. Teuer war der Bau vom BER, würde ich sagen. Und teuer die Diätenerhöhung der Abgeordneten, die jetzt die Kürzungen im Kulturetat beschließen. Immer teurer der Wahlkampf, der uns vor allem eine unerträgliche Umweltverschmutzung beschert, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich. Aber man kann sich über die Einsparungen an den großen Häusern gar nicht richtig inbrünstig beklagen, der Kahlschlag findet an anderer Stelle noch viel radikaler statt. Ich habe die Liste gesehen, da sterben vor allem die kleinen und freien Unternehmungen und Institutionen, die ich für mindestens ebenso wichtig halte wie die Volksbühne. Aber gut, wer CDU wählt, kriegt CDU. Die Darstellung, dass das jetzt ein Naturereignis ist, was wie ein Schicksal über uns kommt, ist falsch. Es sind politische Entscheidungen.
René Pollesch: Der Schnittchenkauf. 12., 14., 22. Dez.; 4., 25. Jan. jeweils 19.30 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Karten unter Tel.: 24065777 oder im Ticketshop der Berliner Zeitung