Nachtleben für 20 Euro : Berlin, du bist so teuer geworden !
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C’est fini les belles nuits berlinoises pour trois fois rien. Même les pires avares ne s’en sortent pas pour moins de 25 Euros pour un ticket de club et deux ou trois boissons. Tant pis, on fait comme tout le monde et profite des belles plages gratuites au bord des lacs
28.7.2023 on Maria Häußler - Ein Türsteher vor dem Salon zur Wilden Renate hält etwas in der Hand, das aussieht wie ein Nagelknipser, klemmt den abgebrochenen Draht des Sektflaschenverschlusses zwischen die Zange und dreht sie gegen den Uhrzeigersinn. Der Sekt bleibt zu. Also schiebt er das Metallteil unter den Drahtbügel und macht eine Hebelbewegung so lange, bis der Bügel zerspringt. Der Korken knallt und Sekt quillt aus der Flasche.
Die Flasche mit dem defekten Verschluss haben wir auf der anderen Straßenseite gefunden, vor dem Club Ost, in dem ich mit Freunden am Sonntagabend das Wochenende ausklingen lassen will. In der Gegend gibt es vor allem Clubs, und außer dem Türsteher war niemand in Sicht, den wir hätten um Hilfe bitten können. Mit unserer Beute setzen wir uns zu viert auf die Mauer, die den Beginn der Elsenbrücke kennzeichnet, und sehen uns den Sonnenuntergang an. Perfekt für den Beitrag zur 20-Euro-Serie, denke ich. Es ist schon der zweite Abend in Folge, an dem ich feiern gehe, und das zweite Mal, dass ich am Versuch scheitere, nur 20 Euro auszugeben.
Für 20 Euro in Berlin feiern gehen – eine meiner leichtesten Übungen. Das dachte ich zumindest, als das Thema in der Redaktionssitzung aufkam. In meiner Studienzeit habe ich es immer geschafft, beim Feiern unter 20 Euro zu bleiben. Deshalb dachte ich, dass das auch ohne konkrete Planung funktionieren würde. Die Angewohnheit vorzuglühen, im Club dann ein bis zwei Bier und danach nur noch Wasser zu trinken, habe ich zwar weitgehend beibehalten – die Eintrittspreise sind aber so hoch, dass ein Clubabend für 20 Euro unrealistisch ist.
Nachdem der gefundene Sekt geleert ist, geht’s zum Späti. Der Pfefferminzlikör kostet vier Euro, die Club Mate zwei Euro, damit ist mein Budget für diesen Abend überschritten: Der Eintritt im Club Ost zur Veranstaltung des DJ Duos Hoe_mies kostet 20 Euro. Dann kaufe ich im Club noch ein Bier für 4,50 Euro. Eigentlich recht sparsam, trotzdem habe ich mehr als 20 Euro ausgegeben.
Der erste Abend: Geschenke auf dem Christopher Street Day
Ursprünglich war der Plan ein anderer: Ich starte am Sonnabend auf dem Christopher Street Day mit 20 Euro in der Tasche. Die Einladung zu einem Brunch vor der Parade nehme ich dankend an, dort gibt es Getränke, Essen und viel Glitzer-Make-up. Die Truppe ist bunt gekleidet und gut gelaunt, einer spielt Gitarre und singt „Easy“ von Cro, bevor wir losgehen, alle singen mit. Der Sekt aus dem Kühlschrank wandert in die Rucksäcke.
Auf der Parade gebe ich kein Geld aus: Der Sekt fließt aus den Taschen in meinen Pappbecher. Wasser, Eistee, Red Bull und ein Bier reichen die Menschen von den Wagen zu uns herunter. So kann man auch für wenig Geld feiern, denke ich: sich von anderen durchfüttern lassen. Die Herausforderung ist meiner Ansicht nach, günstige Gelegenheiten wahrzunehmen, aber selbst zu zahlen. In einem Geschäft für Kronleuchter dürfen wir die Toilette benutzen – im Austausch für eine Googlebewertung. Am Abend wollen die anderen zurück zur Gastgeberwohnung. Für mich keine Option, ich muss schließlich recherchieren, wie man für 20 Euro feiern gehen kann. Einer meiner Freunde begleitet mich.
Vor und während der Parade habe ich in Telegram-Gruppenchats für Raves gefragt, ob an diesem Tag im Park gefeiert wird. Als Antwort kamen nur private Nachrichten: „Wie geht’s?“, „Brauchst du Geld?“, „Kann ich dich was fragen?“. Scheinbar wird das nichts mit dem Raven im Park. Seit die Menschen die Masken abgelegt und die Clubs geöffnet haben, war ich auch nicht mehr auf solchen Veranstaltungen. Also zum Späti und dann mal schauen? Oder lieber hinter die bemalte Mauer in der Nähe des Ostkreuz’, wo die linke Szene pogt und Bier auf Spendenbasis trinkt?
Erst mal müssen wir etwas essen, vielleicht Pizza in der Zuckerzauberbar: Ich sehe mich schon in einem Liegestuhl die Füße in den Sand stecken – aber es kommt anders. Wir gehen gerade am Club About Blank vorbei, da ruft ein alter Bekannter nach mir. Als ich höre, dass er die Abendleitung macht, frage ich, ob wir an der Schlange vorbei in den Club dürfen. Dürfen wir, allerdings gegen Eintrittsgeld. Vor zwölf Uhr „nur“ 15 Euro. Nach Mitternacht soll es dann 20 Euro kosten. Wir freuen uns so über diesen Wink des Schicksals, dass wir sofort die Treppen am Ausgang heraufsteigen, unsere Handykameras abkleben lassen und bezahlen.
Vom Club in die Zukunft und zurück
Der Club ist noch leer, wir setzen uns zwischen die Bäume im Garten und sprechen darüber, dass dieser Ort bald dem Weiterbau der A100 weichen soll. Der Hunger treibt uns schließlich raus aus dem Club zu einem Imbiss. Ich hebe noch mal Geld ab, denn eine kleine Zucchinipizza kostet acht Euro. So viel habe ich nicht mehr. Es waren schließlich nur 20 Euro Bargeld in der Tasche, aber ich bin unsicher, ob das nun zum Feiergeld zählt. Nach dem Essen sind wir müde. Aber wir haben schließlich Eintritt bezahlt, also wollen wir noch in eine Bar und dann in den Club.
In der Zukunft am Ostkreuz soll eine Feier im Garten sein, DJs sind angekündigt und vegetarischer Grill. Hinter Zäunen und aufgetürmtem Baumaterial ist der Garten von den Bauplänen der Start-ups und Investoren noch unberührt. Die Bar mit Kino und Konzertraum soll nach Alt-Stralau zwischen die Bahngleise und den Salon zur Wilden Renate ziehen. Wir wollen noch mal einen Blick auf den jetzigen Standort werfen, der mit Erinnerungen an alte Zeiten verbunden ist. Die Menschen sitzen auf Bierbänken, umhüllt von grünem und rotem Licht. Von dem für den Nachmittag angekündigten Programm ist gegen 0 Uhr nichts mehr zu sehen, also gehen wir weiter.
Vor dem About Blank ist in der Zwischenzeit Chaos ausgebrochen. Die Menschen drängeln sich in einem großen Pulk vor dem Eingang, der Rest reiht sich brav hintereinander fast bis zur S-Bahn-Station Ostkreuz. Auch mit Stempel müssen wir warten, vor uns quetschen sich Menschen dazwischen, die beim regulären Einlass abgewiesen wurden und schnell online ein Ticket kaufen. Die Türsteherin erinnert sich an einen von ihnen, er diskutiert, sie weist ihn wieder ab und erstattet den Preis. Das dauert.
Zum Christopher Street Day reisen viele Touristen an, vor allem solche, die gerne feiern. Das wirkt sich auf die Warteschlangen und teilweise auch auf die Preise aus. Das About Blank ist in der queeren Szene beliebt und der Eintritt im SchwuZ soll an diesem Abend 30 Euro kosten. Feiern für 20 Euro ist heute also eher schwierig.
Endlich im Blitzlicht und Nebel angekommen, spüle ich eine Flasche aus und fülle sie am Wasserhahn auf. Auf die Garderobe verzichte ich und trage meinen Turnbeutel beim Tanzen oder lege ihn auf Sitzgelegenheiten ab. Leider sind wir nicht mehr besonders motiviert, bleiben bis etwa 3.30 Uhr und gehen dann. Schließlich muss ich am nächsten Tag arbeiten. Wäre ich länger geblieben, hätte ich bestimmt meinen Beutel abgegeben, noch ein oder zwei Bier getrunken und damit die 20 Euro auch ohne Pizza überschritten.
Wenn man die Pizza dazuzählt, habe ich 23 Euro ausgegeben. Also versuche ich es am nächsten Tag noch einmal – und gebe 31,50 Euro aus. Mein Fazit nach diesem Wochenende ist: Feiern mit 20 Euro ist möglich, aber ich hab keine Lust dazu. Entweder man tanzt im Club nüchtern oder betrinkt sich und bleibt draußen. Wer trinken und clubben will, braucht mehr Geld.