Krieg gegen Gaza : »Wenn ich sterben muss«
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Mahnwache für den getöteten Dichter Refaat Alareer aus Gaza (New York City, 8.12.2023)
L’assassinat ciblé du poète Refaat Alareer et de sa famille est l’épisode particulièrement insupportable parmi tant d’actes insupportables qui montre que l’état d’Israël n’est plus un état de droit démocratique mais un minuscule Leviathan qui se comporte comme s’il faisait partie des grands méchants dont la bassesse abyssale est dépouvue de conséquences jusqu’au jour où ils s’auto-détruisent.
Je plains les derniers pacifistes et défenseurs d’une cohabitation paisible de jufs et palestiniens. Il faudra leur offrir un refuge où il seront protégés de la catastrophe en cours.
14.12.2023 von Jamal Iqrith - Refaat Alareer (Rif’at al-Ar’ir) war Dichter und Literaturprofessor an der Islamischen Universität von Gaza. Er hat zudem zahlreiche Publikationen herausgegeben, zum Beispiel »Gaza writes back« (2013), eine Anthologie mit Kurzgeschichten von 15 Schriftstellern aus der Enklave, und das Projekt »We are not Numbers« mitgegründet, das jungen palästinensischen Schriftstellern Schreibworkshops auf Englisch vermittelt.
Am 6. Dezember gegen 18 Uhr wurde der 44jährige durch einen mutmaßlich gezielten israelischen Luftangriff zusammen mit seinem Bruder und dessen Sohn sowie seiner Schwester und ihren drei Kindern in Schujaija, im Osten von Gaza-Stadt, ermordet. Wie die Menschenrechtsorganisation »Euro-Mediterranean Human Rights Monitor« am 8. Dezember berichtete, wurde die Wohnung, in der Alareer und seine Familie untergebracht waren, nach bestätigten Augenzeugen- und Familienberichten aus dem Gebäude, in dem sie sich befand, »chirurgisch herausgebombt«. Wochenlang hatte der Schriftsteller demnach online und per Telefon Todesdrohungen erhalten, abgeschickt von israelischen Accounts und Nummern.
Bereits vor seinem Tod wurde »die Stimme von Gaza« zu einem Symbol des palästinensischen Widerstands gegen die Besatzung, was Alareer wohl schlussendlich zum Verhängnis wurde. Mehrfach gab er internationalen Nachrichtensendern Interviews über die Situation im Gazastreifen und forderte die Weltöffentlichkeit zum Handeln auf. Tage vor seinem Tod heftete der Dichter eines seiner Gedichte an die Spitze seines Profils auf dem Kurznachrichtendienst X, das mit den Worten endet: »Wenn ich sterben muss, lass es Hoffnung bringen, lass es eine Geschichte sein«. Als Berichte über seine Ermordung bekanntwurden, ging das Gedicht um die Welt. Demonstranten zeigten bei propalästinenischen Kundgebungen Alareers Konterfei auf Plakaten. Der Nachrichtensender CNN, dem er zuvor in einem Interview gesagt hatte, dass er und seine Familie »nirgendwo anders hingehen« könnten, sowie andere große Medien, berichteten über den Tod des Schriftstellers. In einem seiner letzten Interviews mit dem Internetportal Electronic Intifada hatte er am 9. Oktober erklärt, als Akademiker sei das Gefährlichste, was er besitze, wohl ein Textmarker, den er aber »benutzen würde, um ihn auf israelische Soldaten zu werfen«, sollten sie einmarschieren. Am 10. Oktober, drei Tage nach Beginn des Krieges, sprach er mit junge Welt über die Situation im Gazastreifen.
Schon zu diesem Zeitpunkt beklagte er die Hetze »israelischer Beamter, Politiker und Aktivisten überall in den sozialen Netzwerken und in den Mainstreammedien, die buchstäblich dazu aufrufen, Palästinenser mit Bomben zu bewerfen und Hunderttausende von Palästinensern als Kollateralschaden zu töten«. Dies geschehe überdies vor den Augen der Weltöffentlichkeit, und es gebe keine Gegenrede aus dem Ausland, das sich durch sein Schweigen an den Verbrechen gegen die Menschheit in Gaza mitschuldig mache: »Seit Jahrzehnten werden Palästinenser durch Israel getötet. Wenn wir sterben, hören wir kaum ein Wort«, so Alareer.
Die »Aufrufe zum Völkermord« kamen laut dem Dichter jedoch nicht nur von israelischen Politikern, wie dem Verteidigungsminister Joaw Gallant, der »die Sprache der Nazis verwendet, um die Palästinenser als ›Tiere‹ zu entmenschlichen«, sondern ebenso von »amerikanischen und europäischen Politikern, die sich zu einem Massenritual beeilen«, das er als »Treuebekenntnis zu Israel und Netanjahu« bezeichnete.
Der Lyriker erklärte weitsichtig, für die Palästinenser in Gaza gebe es keine Möglichkeiten zur Flucht: »Sie werden getötet, egal, wer sie sind, wo sie sind oder wie alt sie sind.« Da der Gazastreifen abgeriegelt sei, gebe es »keinen Ausweg«. Selbst wenn man »durch Bomben gezwungen sei, die eigenen Häuser zu verlassen und in die Stadtzentren und andere Schutzräume zu gehen«, nehme die Armee die Menschen ins Visier.
Bereits am 10. Oktober war er überzeugt: »Die israelische Regierung arbeitet daran, Gaza in die ›Steinzeit‹ zu schicken«. Alareer befürchtete »Hunderttausende von Kollateralschäden im Gazastreifen, in dem rund die Hälfte der Bevölkerung unter 18 Jahre alt ist«. Die israelischen Regierungen hätten noch »nie ein Versprechen an die Palästinenser gehalten, es sei denn, sie versprachen Zerstörung und Tod«. Inzwischen sind laut »Euro-Mediterranean Human Rights Monitor« in gut zwei Monaten durch die Bomben über 23.000 Menschen getötet worden, mehr als 9.000 davon Kinder.
Die Angriffe der Hamas vom 7. Oktober und den daran angeschlossenen Kampf anderer bewaffneter palästinensischer Fraktionen kommentierte er mit den Worten: »Alle Versuche, diplomatisch und friedlich von Israel die Freiheit wiederzuerlangen, sind gescheitert. Die israelische Regierung greift die BDS-Bewegung (»Boycott, Divestment and Sanctions«, jW) an und schießt auf friedliche Demonstranten. Die Palästinenser wurden in eine Ecke gedrängt, in der sie nichts zu verlieren haben. Nun tut die Welt überrascht, wenn sich das Ghetto gegen jahrzehntelange Unterdrückung, Verdrängung und Besatzung erhebt.«
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