Willibald Alexis est considéré comme premier auteur du réalisme historique. Ce révolutionnaire bourgeois d’origine bretonne démasque sa classe dans ses déscriptions des transformation de la société prussienne dans la première moitié du dix-neuvième siècle. Le titre de son roman Ruhe ist die erste Bürgerpflicht (se tenir calme est le premier devoir du citoyen) est devenu un proverbe toujours employé de nos jours. Le premier chapitre du roman ressemble étrangement au roman Le Journal d’une femme de chambre d’Octave Mirbeau .
Die Kindesmörderin.
„Und darum eben,“ ſchloß der Geheimerath.
In ſeiner ganzen Würde hatte er ſich erho¬
ben und geſprochen. Charlotte hatte ihn nie ſo
geſehen. Der Zorn ſtrömte über die Lippen, bis vor
dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige
Zunge verſtummte. Sie war erſchrocken zurückgetre¬
ten, bis ſie ſich ſelbſt verwundert an der Thüre fand;
aber der Geheimerath ſchritt noch in der Stube auf
und ab.
Charlotte hatte leiſe zu weinen angefangen:
„Aber Herr Geheimerath, um ſolche Kleinigkeit!“
„Eine Kleinigkeit die Angſt beſorgter Eltern um
ihre Kinder! — Fünf Stunden von Hauſe fort ohne
eine Sterbensſylbe mir zurückzulaſſen, und die Klei¬
nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!“
„Herr Geheimerath, ſchluchzte ſie, haben nie
nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!“
„Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat
kein Einſehen, keine Moralität. Sie mißbraucht
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meine Güte. Sie muß aus meinem Hauſe. Es
haben ſich ſchon Viele gewundert, daß ich Sie noch
behielt. Aber Sie ſchlägt mit Ihrer Unverſchämtheit
den Boden aus dem Faß. Verſteht Sie mich! Ein
Glück noch, daß wir vom Viertelcommiſſar erfuhren,
daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten ſonſt
gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war.“
„Wenn das die ſelige Frau Geheimräthin wüßte,
ſchluchzte das Mädchen, das war eine ſeelensgute
Frau. Und wie oft hat ſie geſagt: wenn wir nicht
wären, mein Mann kümmert ſich gar nicht um die
Kinder. Ja das hat ſie geſagt, nicht einmal, hun¬
dert Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch
nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben
aber ſagten die ſelige Frau Geheimräthin: er hat kein
Herz für ſie! und es war eine Frau, ſo ſanft wie
die himmliſche Güte, und viel zu gut für dieſe Welt,
und wer nur ihre ſtillen Thränen geſehen hat, die
ſie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott
ſie zu ſich, und ſie würde ſich im Sarge umdrehn,
wenn ſie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum
ſolchen Affront anthun.“
Charlotte mußte die ſchwache Seite des Haus¬
herrn kennen. Er wandte ſich um, und fuhr mit
dem Taſchentuch über das Auge, ob, um eine Thräne
abzuwiſchen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß
ich ungeſagt. An der Wand hing das Bild der
Verewigten, in ſehr abgeblaßten Waſſerfarben ge¬
mahlt, ein eben ſo abgeblaßter Immortellenkranz
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darum. Darunter hing eine andere Schilderei, eine
Urne, mit einer Trauerweide. Ein Genius ſenkte
eine Fackel. Das Bild war auf Pappe gezogen, und
wenn man näher hinzuſah, bemerkte man, daß in der
Urne ein Medaillon angebracht war, in welchem ei¬
nige blonde Haare zu einem Namenszuge ſich ver¬
ſchlangen. Der Geheimerath nahm es heraus und
drückte es an ſeine Lippen.
„O du Unvergeßliche! ſagte er, noch einmal mit
dem Tuch über die Augen fahrend. Sein Zorn war
gewichen; in weicherem Tone fuhr er fort: Aber
Charlotte, wie oft habe ich Ihr geſagt, Sie ſoll mich
nicht immer daran erinnern. Ein Mann in meiner
Stellung darf ſich nicht den Gefühlen hingeben. Aber
Sie weiß das wohl, Sie braucht mich nur an die
ſelige Gute zu erinnern, ſo tritt mir’s in die Augen.
Sie führt ſich auf, als wenn Sie die Hausfrau wäre
— und iſt doch nur eine — Sie iſt eine —“
Dem Geheimerath war jetzt wirklich etwas in
die Augen getreten, was er daraus fortzuwiſchen
ſuchte, und darüber in Heftigkeit gerieth. Es war
der dicke Staub aus der Schilderei, als er das Me¬
daillon mit Gewalt wieder in ſeine Umfaſſung zu
drücken bemüht war. Je mehr er im Aerger drauf
ſchlug, ſo dichter puderte es ihm um’s Geſicht. „Aus
dem Haus muß Sie, daß Sie’s weiß,“ ſchloß er,
mit den Augen beſchäftigt, aus denen jetzt wirkliche
Thränen, aber nicht der Rührung, ſich preßten.
„Ja, Herr Geheimerath, das werde ich auch,
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ſobald Sie es befehlen, ſagte Charlotte, die ihrerſeits
die Ruhe wieder gewonnen hatte. Denn ich kenne
meine Schuldigkeit. Aber erſt werde ich vors
Halleſche Thor gehen, aufs Grab der ſeligen Frau
Geheimräthin, und die Kinder nehme ich mit. Da
werde ich mit ihnen weinen, und ſie ſollen die klei¬
nen Hände falten und ihre Mutter bitten, daß ſie
ihnen einen lieben Engel vom Himmel ſchickt, der ſie
in Schutz nimmt. Denn wiſſen Sie noch, Herr
Geheimrath, wie die ſelige Frau Geheimräthin auf
dem Todtenbette lagen! Kreideweis das Geſicht!
Ach Jeſus was wird nun aus meinen Kindern! ja
das hat ſie geſagt!
„Charlotte! ſagte der Geheimerath, Sie weiß,
daß ich meine ſelige Frau innigſt geliebt habe, aber
die Welt gehört den Lebendigen, ſagt der Dichter,
und die Todten ſoll man ruhen laſſen.“
„Die ſelige Frau Geheimräthin ſollen wohl Ruhe
haben, wenn Sie aus dem Grabe ſehen, wie’s hier
oben zugeht! Die Frau Geheimräthin, Ihre Schwä¬
gerin, kommt auch nicht umſonſt wieder ſo oft ins
Haus. Aber ich werde mich wohl hüten, und mir
die Zunge verbrennen wie damals, und ſagen was
ich denke. Aber was die ſelige Frau Geheimräthin
denkt, wenn die Geheimräthin Schwägerin den Klei¬
nen Zuckerbrod bringt und ſie über den Kopf ſtrei¬
chelt, das weiß ich.“
„Meine Schwägerin iſt eine ſehr reſpectable
Frau, Charlotte.“
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„I Herr Jeſus, wer redt denn auch gegen ſie! Aber
den Blick vergeß ich nicht, auf ihrem Todtenbett, wie
die ſelige Frau zurückſchauerte: Ach wie ſieht ſie die
Kinder an! ſagten Sie, nämlich die Frau Geheim¬
räthin auf dem Todtenbett. Und ſo riß Sie die
Kinder an ſich und dann ſagten Sie: Ach ſie hat ſo
ſpitze Finger!“
„Das waren Viſionen, ſie war im hitzigen
Fieber.“
„Aber die Frau Geheimräthin Schwägerin ver¬
kniffte ordentlich den Mund und ſagten: Mein Gott,
als ob ich mich um die Bälger riſſe! Und dann
ſagte die Sterbende, und da war ſie nicht mehr im
Fieber: die Charlotte, die hat wenigſtens ein wei¬
ches Herz! — Und da hatte die Selige recht, und
ich habe die Kinder lieb gehabt, als wenn’s meine
eignen wären, und wenn’s nicht die Kinder wären,
i da wäre ich ja ſchon längſt aus dem Hauſe, wo
man ſo mit mir umgeht.“
Dem Geheimerath ſchien unangenehm zu Muthe
zu werden, da Charlotte in einen Thränenſtrom aus¬
brach, der nicht mehr zu ſtillen ſchien.
„Es war auch nicht ſo gemeint, ſagte er endlich,
— Sie ſoll ja nicht auf der Stelle fort, — ich meinte
nur —“
„Es werden ſich ſchon Andre finden, — o das
weiß ich, — ich weiß auch wer. Und wenn die
Selige das von oben ſieht, wie die Schwägerin mit
ihren ſpitzen Fingern die Kleinen liebkoſt, dann wird
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ſie Nachts vor Herrn Geheimeraths Bette treten, und
was ſie ihn dann fragen wird —“
„Halte Sie doch das Mau —! Charlotte —
liebe Charlotte, Sie iſt echauffirt.“
Das Kindermädchen war echauffirt, es ließ ſich
nicht in Abrede ſtellen. Es waren auch Gründe dafür.
Aber der Geheimrath liebte nichts Echauffirtes,
nämlich wenn es ihn in ſeiner Ruhe incommodirte.
Er ſuchte ſie zu beruhigen; er erklärte die Kündigung
für eine Aufwallung, ein Echauffement. Indem er
ſagte, ſolche Dinge müſſe man bei kaltem Blute über¬
legen, ſchob er den Stein des Anſtoßes etwas weiter
auf den Weg.
Da ſchien ein Friede geſchloſſen, wenigſtens ein
Waffenſtillſtand; Charlotte weinte nur noch ſtill, der
Geheimrath ſeufzte und mochte wieder an anderes
denken, als er ſich erkundigte, was denn die Kinder
machten? Gleich darauf fiel ihm noch etwas an¬
deres ein.
„Aber, Charlotte, ſage Sie, wie kam Sie nur
darauf, und mit den Kindern! vor’s Thor zu laufen,
dahin! Eine Hinrichtung iſt ein unmoraliſches Ver¬
gnügen, habe ich Ihr das nicht oft vorgeſtellt, es
iſt gegen die Humanität, ein Schauſpiel, woran nur
der rohe Pöbel Vergnügen finden kann.“
„Sie haben ſchon ganz Recht, Herr Geheimrath,
aber Sie hätten die Perſon ſehen ſollen, die Mariane;
ganz ſchlooweiß war ſie, vom Kopf bis zum Fuß,
und wie ſie die Augen niederſchlug, die Hände hielt
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ſie ſo vor ſich gefaltet! Und der Herr Prediger ſaß
neben ihr, und noch oben ſprach er mit ihr, und
dann küßte ſie ihm die Hand und knixte noch einmal
vorher gegen uns Alle. Und die vornehmſten Herren
in Thränen. Ach Herr Geheimrath, es war Ihnen
etwas, ich ſage Ihnen, es ging Einem durch Mark
und Bein, und manche dachten, ach wenn du doch
auch ſo ſterben könnteſt, ſo den Herrn Prediger neben
ſich und ganz weiß, und Blumen, und die Putz¬
macherin, Mamſell Guichard an der Stechbahn, hatte
ihr ein Tuch mit Spitzen geſchenkt, und die vor¬
nehmſten Perſonen weinten. Und ich habe ſie auch
gekannt die Mariane, und ehedem war ſie keine
ſchlechte Perſon.“
„Sie hat mir davon erzählt. Aber nun iſt ſie
eine Kindesmörderin.“
„Und das iſt ſchlecht von ihr, Herr Geheimrath;
das wird auch kein Menſch abſtreiten. Und wir
haben’s ihr alle vorhergeſagt. An ſolchen Kerl ſich
zu hängen! Er war noch nicht einmal königlicher
Stallknecht, da konnte er noch lange dienen. Und
wenn er’s geworden, ob er ſie dann geheirathet hätte!
Wenn’s denn doch einmal ſein ſollte, wär’s nur ein
anſtändiger Herr geweſen, ſagte ihre Tante. Der
hätte doch für’s Kind bezahlt, und wenn er nicht
wollte, da iſt das Stadtgericht. Das weiß ich ja
von meiner Couſine. Heirathen oder bezahlen! ſagten
der Herr Präſident. Da hat er auch gezahlt, jeden
Erſten, der Herr Hoflackirer, und wenn’s bis zum
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Dritten nicht da war, auf der Stelle Execution, jeden
Monat. Beim zweiten hat er ſich gar nicht erſt ver¬
klagen laſſen. Gleich gezahlt, o ’s iſt ein ſehr repu¬
tirlicher Herr, das muß man ihm nachſagen, und
wenn’s dritte kommt, wer weiß, ob ſie dann nicht
ſchon unter der Haube iſt. Denn ſeine Alte wird’s
ja nicht mehr lange machen, die hat er nur mit dem
Geſchäft geheirathet. Und warum ſollte er ſie nicht
in’s Haus nehmen? Iſt ja ſein purer Profit. Er
kommt viel wohlfeiler fort, als wenn er Alimente
zahlen muß. Aber ein Begräbniß wird er ſeiner
Alten ausrichten — na, da könnte ſich mancher Ge¬
heimrath ſchämen. Nein das muß man ihm nach¬
ſagen, lumpen läßt ſich der Herr Hoflackirer nicht;
iſt ein ſehr reputabler Herr. — Und, wie geſagt,
hübſch war die Mariane, ſo blaß und ſchön, und
das Kind, blutroth hat’s wie ’ne Schnur um den
Hals gehabt.“
„Und meine Kinder hat Sie mitgenommen. Die
unſchuldigen Würmer! Sie Perſon Sie!“
„Aber Herr Geheimrath, ich weiß auch nicht,
wie Sie mir vorkommen. Es iſt ja nur, daß die
Kinder es einmal geſehen haben. Das iſt ja für’s
ganze Leben. So was kriegen ſie nicht wieder zu
ſehen. Es ſoll ja kein Menſch mehr hingerichtet werden.“
„Wer hat Ihr das wieder vorgeſchwatzt?“
„Sie können’s mir ganz gewiß glauben, Herr
Geheimrath. Das iſt die letzte Hinrichtung, hat der
König geſagt. Und ſie haben ihn beinah zwingen
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müſſen, daß er nur die Feder in die Hand nahm.
Die junge ſchöne Königin hat geweint. Und da hat
er ſie gefragt: Aber Louiſe warum weinſt Du denn?
Denn unter ſich ſagen ſie immer Du; und es kommt
Einer zum Andern, ohne daß die Kammerherren an¬
klopfen und ſie melden, und darüber iſt die Hofmar¬
ſchallin, die alte Gräfin Voß ganz aufgebracht. Aber
das thut nun nichts. Es wird Alles noch ganz anders
werden, ſagen ſie; und gar nicht wie beim Dicken.
Die Livreen werden auch anders. Und alle Men¬
ſchen ſollen Brüder ſein, und alle Frauenzimmer
Schweſtern . . .“
Der Geheimrath intonirte, wie durch eine Er¬
innerung geweckt, plötzlich das Lied, indem er mit
den Fingern auf dem Knie den Takt ſchlug:
„Wir Menſchen ſind ja alle Brüder,
Vereinigt durch ein heilig Band,
Du Schweſter mit dem Leinwandmieder,
Du Bruder mit dem Ordensband!“
Das Kindermädchen warf einen ſchlauen Blick:
„Geſtern hinterm Gitterfenſter auf dem Hofe — da
ſangen’s Herr Geheimrath viel lauter.“
Die Erwähnung ſchien dem Geheimrath unan¬
genehm: „Das verſteht Sie nicht. Es iſt allerdings
gegen die Humanität einen Menſchen um’s Leben zu
bringen. Aber, wie geſagt, das verſteht Sie noch
nicht, und das iſt nur unter uns, und wie ſollten
wir denn die Spitzbuben los werden und die atrocen
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Menſchen. Laß Sie ſich alſo ſo was nicht einbilden,
und die Königin —“
„Ja, Herr Geheimrath, die Königin, das weiß
ich expreß von Jemand, der es weiß, vom Commiſſar
die Köchin, die hat beim Doctor, der die Hoflakaien
curirt, vorher gedient, und da hat ſie’s von der
Mamſell, die beim Hofmarſchall iſt, mit eigenen
Ohren gehört, zum König hat ſie’s geſagt, die Kö¬
nigin, ſie könnte ihm ja keinen Kuß geben, weil
ſeine Hände voll Blut wären, und nur diesmal hat
er geſagt, hätte er’s thun müſſen, weil’s eine Kindes¬
mörderin wäre, nämlich von wegen des Beiſpiels,
weil’s ſonſt Alle thäten. Aber dann ſoll keiner mehr
geköpft werden, und dies iſt das letzte Mal, und
darum verdienten’s wohl die Kinder, daß ich ſie hin¬
führte, denn es ſoll auch gar kein Blut mehr fließen,
und kein Krieg mehr ſein, auf der ganzen Welt nicht,
und der König hat’s geſagt.“
„Aber ſage Sie mal, Sie iſt doch ſonſt eine
vernünftige Perſon“ — der Hausherr war aufge¬
ſtanden, um ihr zu beweiſen, daß ſie diesmal unver¬
nünftig ſei. Das iſt überall eine ſchwierige Aufgabe,
wo die Perſon, welcher man es beweiſen will, ſich
für vernünftig hält. Sie mußte überdem eine gute
Royaliſtin ſein; denn auf die Vorſtellung des Ge¬
heimrathes, daß ſo etwas gar nicht in des Königs
Macht ſtehe, ja nicht in des Kaiſers, auch nicht in
der Macht des großen Feldherrn und Conſuls der
Franzoſen, erklärte ſie, wozu denn ein König wäre,
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wenn er das nicht mal könne! Der König könne
aber noch weit mehr, wenn er nur wolle; es gäbe
jedoch Perſonen, die viel klüger ſein wollten, als der
König, und alles beſſer wiſſen und machen, und ſie
wiſſe auch, was ſie gehört, und könnte manches ſagen
was Mancher nicht gern hörte. Und wer nur geſtern
Abend ſein Ohr aufgehabt hätte im hinterſten Hofe,
und unterm Gitterfenſter gehorcht, was die Gefan¬
genen geſungen. Davon könnte manches Vögelchen
Lieder ſingen, die Mancherman gar häßlich klingen
würden!
„Sie unverſchämtes — ich glaube gar Sie hat
getrunken!“
„Ich getrunken! Habe ich das um den Herrn
Geheimrath verdient, als ich geſtern Abend gar nicht
ſah, wie Sie die Treppe heraufkamen, die kleine
Hintertreppe, und nicht wußten, wo die Thüre war.
Ich getrunken! Ein Glas Weißbier ſetzten mir der
Herr Wachtmeiſter von Prinz Louis-Dragonern vor,
und das trank ich, der Kinder wegen, denn wir
waren außer Athem, weil die Leute ſo grauſam dräng¬
ten, und ſo hob der Herr Wachtmeiſter die Kinder
über die Lyciumhecke, und ich quetſchte mich durch die
Hecke, und da ſagte der Wachtmeiſter ich ſollte erſt
einen Pomeranzen mit ihm über die Lippen nehmen,
weil ich ſo echauffirt wäre. Das kann der Wirth im
blauen Himmel bezeugen; der ſagte, wir zerträten
ihm ſeine Hecke, und er war betrunken. Aber wo
wären wir alle, und die lieben Kinder, die ſchrien,
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daß es ein Gotts Erbarmen war; aber der Wacht¬
meiſter gab’s dem Wirth, daß er mäuschenſtill ward.
Ich hätt’s ihm nicht gerathen, mit dem anzufangen.
Er hat die Rheincampagne mitgemacht und trägt noch
eine Kugel in der Schulter, Alles für ſeinen König!
ſagt er und wenn Friede bleibt, kriegt er eine Civil¬
anſtellung.“
Es war eine Veränderung in dem Geheimrath
vorgegangen. Von Zorn keine Spur mehr in ſeinem
Geſichte, als er aus der emaillirten Doſe eine lange
Priſe Spaniol nahm, und mit dem Battiſttuch den
Taback, der ſich ausgeſtreut, von den Kleidungsſtücken
abklopfte, und „Ja, ja, ſo geht’s in der Welt!“
ſagte. Man ſah, zwiſchen beiden hatte ein langer
Verkehr eine Verſtändigung hervorgebracht, die ge¬
wiſſermaßen in hieroglyphiſchen Ausdrücken ſich Luft
machte. Und jeder verſtand den andern. Offenbar
war er an etwas erinnert worden, was er nicht liebte,
und ebenſo offenbar, daß Charlotte auf einen andern
Gegenſtand übergeſprungen war, entweder, um ihm
die Verlegenheit abzukürzen, oder weil dieſer Gegen¬
ſtand für ſie einen Zweck hatte.
„Wie iſt’s denn nun mit dem Unteroffizier von
Möllendorfs Grenadieren?“ ſagte der Geheimrath
wie in vertraulicher Weiſe, nachdem er verſchiedenes
andere gefragt, z. B. wie viel Menſchen wohl
draußen geweſen, und welche Equipagen darunter,
und ob die Kinder auch ordentlich geſehen hätten?
„Dieſer Menſch hat nicht meiner Erwartung
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entſprochen, entgegnete Charlotte, und Herr Ge¬
heimrath wiſſen auch, was ich immer geſagt habe
von der Infanterie. Er ſtellte ſich ſonſt ganz repu¬
tirlich an, denn Wahrheit muß Wahrheit bleiben,
aber er hatte kein Herz für die Kinder, und war
von Profeſſion, wie ich jetzt erfahren mußte, ein
Schneider. ’S iſt wahr, er hat eine Civilanſtellung
erhalten, aber was iſt das, ein Nachtwächterpoſten!
Wenn er mir das früher geſagt hätte, ich hätte ihn
ſchön angeſehen. Nein, Herr Geheimrath hatten ganz
recht, wenn Sie mich warnten. So wegwerfen werde
ich mich nicht, und ich ſehe ihn auch gar nicht mehr
an, wenn ich ihm begegne. Dieſer Wachtmeiſter aber
hat ein wirkliches Gemüth für die Kinder, und er
iſt ein Wittwer. Prinz Louis Ferdinand hat zu ihm
geſagt, er ſollte ſich tröſten, der Soldat wäre ſo
beſſer accommodirt; und das iſt wahr, ſagt er, wenn’s
wieder losgeht, iſt der Pallaſch die beſte Braut für
den Dragoner. Aber wenn Friede bleibt, ſagt er,
will er den Pallaſch hinter die Thür hängen und ſich
nach einer Frau umſehen. Und, ſagt er, eine die
treu ihrem Herrn gedient hat, die iſt ihm lieber, als
eine, die noch nicht gedient hat, denn da weiß er nicht,
was er kriegt. Und eine, die ihre Jugend ihrem
Herrn geopfert hat, die wird der Herr doch nicht
ohne gute Ausſteuer fortlaſſen, das müßte ja ein
ſchmutziger Herr ſein. Und das kann ich wohl von
meinem Herrn ſagen, ſagte ich, er wird ſich nicht
lumpen laſſen; der Herr Geheimrath haben’s mir oft
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verſprochen, wenn ich mich mal veränderte, dann
wollten Sie dafür ſorgen, daß es ſchmuck und blank
in meinem Hauſe ausſehen ſollte. Und da hat er
die Malvine auf dem langen Wege hergetragen, und
ſie ſchlief gleich auf ſeiner Schulter ein. Der Fritz¬
chen, der ſchrie und hatte ſich ungebärdig, den haben
wir zwiſchen uns genommen, das war wirklich ein
Elend mit dem Jungen, weil er ſich auf die Erde
warf und wir mußten ihn an den Schultern rutſchen,
bis der Herr Wachtmeiſter ihm für einen Dreier Ro¬
ſinen kaufte und da ging’s denn, und Sonntag,
wenn’s Herr Geheimrath erlauben, wird er mich nach
den Zelten abholen und ſich dem Herrn Geheimrath
präſentiren und mich mit Waffeln traktiren.“
Der Herr Geheimrath ſchien nicht recht zu wiſſen,
was er ſagen ſollte, indem er mit einem Finger um
den andern ein Rad ſchlug. „Ja, ſieht Sie, Charlotte,
ſagte er, wer das wüßte, ob Friede bleibt, oder ’s
wieder losgeht. — Und hat ſie auch das bedacht, ein
Cavalleriſt riecht immer nach dem Stall —“
wollte er ſagen, oder hatte es geſagt —