Taxi

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  • Die Tricks der Mietwagenfirmen: So schleusen Kriminelle Gelder an Berlins Finanzämtern vorbei
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/die-tricks-der-mietwagenfirmen-auf-uber-bolt-und-freenow-so-schleusen-k

    14.3.2024 von Benedikt Schmidt - Per App können Fahrgäste in Berlin wohl bis zu 2000 illegale Autos buchen. Chats und Eigentümerstrukturen geben tiefe Einblicke in eine Branche, die offenbar vom organisierten Verbrechen durchsetzt ist.

    Es ist Anfang März und die Fahrer in der Whatsapp-Gruppe sind aufgeschreckt. „U-Bahn Tierpark, Richtung Friedrichsfelde, Zollkontrolle“, warnt einer seine Kollegen. „Die Hurensöhne“ hätten an der Kaserne Richtung Kurt-Schumacher-Platz „eine Mausefalle“ aufgestellt, schreibt ein anderer Tage später.

    An mehreren Orten in der Stadt kontrollieren Zoll und Polizei und ziehen Leute heraus, die auf Plattformen wie Uber, Bolt oder Freenow Fahrten in der Hauptstadt anbieten, aber keine Lizenz dafür haben und illegal arbeiten. Branchenkenner schätzen, dies gelte für ein Drittel der Fahrer. Berlins zuständige Aufsichtsbehörde Labo (Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten) spricht in einem „rbb“-Bericht von einem Fünftel.

    Anders als in den USA fahren in Deutschland nicht Privatleute bei Uber und Co. durch die Gegend. Das dürfen nur Fahrer mit Personenbeförderungsschein, die bei Mietwagenfirmen angestellt sind. Die Plattformen treten nur als Fahrdienstvermittler auf, über ihre Apps finden Fahrer und Fahrgast zusammen. Anders als im Taxigewerbe gibt es keine Fest- oder Mindestpreise, sondern flexible Preise nach dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Pro gebuchter Tour erheben die Plattformen eine Vermittlungsprovision, der Rest verbleibt bei den Unternehmen, ein Teil davon als Lohn bei den Arbeitern.

    Fahrten, die die Mobilitäts-Apps vermitteln, sind äußerst beliebt, denn Fahrgäste zahlen meist deutlich niedrigere Preise als bei Taxis. Doch Medienberichte haben aufgedeckt, dass die Billigpreise offenbar auf systematischer Betrügerei aufbauen. Zum einen sind in Berlin etliche Autos ohne gültige Lizenz, eine sogenannte Konzession, die beim Labo beantragt werden muss, unterwegs. Recherchen des Tagesspiegels legen zudem nahe, dass selbst offizielle Firmen mit konzessionierten Fahrzeugen ihr Geschäft häufig nur mit Sozialbetrug betreiben können sollen.

    In der Whatsapp-Gruppe, in der sich Fahrer vor Kontrollen warnen, lässt sich das Ausmaß erahnen. Zutritt bekommt man nur über einen Einladungslink. Der Tagesspiegel hat wochenlang mitgelesen. Hunderte Fahrer sind dort Mitglied, viele arbeiten für Scheinfirmen oder schleusen, wie die Nachrichten nahelegen, zumindest teilweise Gelder unversteuert am Finanzamt vorbei.


    Einer der Fahrer warnt die anderen in der Whatsapp-Gruppe vor einer „Mausefalle“.

    1000 illegale Fahrzeuge sollen laut einem „rbb“-Bericht auf Uber und Co. buchbar sein, vermutlich liegt die Zahl darüber.

    Wie konnte sich in der Hauptstadt ein offenbar florierendes, weitgehend illegales Geschäft mit mafiösen Strukturen entwickeln? Nach Tagesspiegel-Informationen spielt neben den Kriminellen vor allem die Aufsichtsbehörde Labo eine unrühmliche Rolle.

    Fahrer fälschen wohl Unterlagen

    Eine der Betrugsmaschen wird als „80/20“-Modell bezeichnet: 80 Prozent des Fahrpreises behält der Fahrer, 20 Prozent gehen an einen Hintermann – beides nach Abzug der Vermittlungsprovision. Der Hintermann gibt sich als Unternehmer aus, fälscht Dokumente wie den Konzessionsschein und lässt den Fahrer bei den Plattformen mit einem Privatauto freischalten. Von jenen, die so vorgehen, dürften viele Bürgergeld erhalten, da sie offiziell als arbeitslos gemeldet sind. Doch das merken die Behörden nicht, wenn die Plattformen den Datenschutz wahren oder die Kriminellen falsche Identitäten nutzen. Mit dem Trick sparen sich der Fahrer und sein Hintermann unter anderem Lohn-, Umsatz- und die Einkommenssteuer.

    Indizien dafür, dass Fahrzeuge nicht korrekt angemeldet sind, sind laut einem Insider: falsche TÜV-Plaketten, falsche KfZ-Kennzeichen oder Fahrzeuge ohne Konzessionsnummer. Die muss als blauer Aufkleber an der Heckscheibe kleben – oft sind es auch Imitate.

    Einer dieser Fahrer ist Hamza, auf seinem Profil in der App heißt er anders. Bei einer Fahrt gibt er an, auskömmliche Geschäfte mit Bolt und Co. zu machen, eine Konzessionsnummer hat sein Auto nicht. Auf der Rechnung, die Bolt ausstellt, ist eine Person angegeben, die sein Chef sein soll. Auf Anfrage teilt das Labo mit, dieser Mann besitze keine Konzessionen und sei der Behörde nicht bekannt. Auch unter der angegebenen Adresse in Charlottenburg ist der Name des angeblichen Unternehmers nicht anzutreffen.

    Hamza und andere 80/20-Fahrer haben es neuerdings etwas schwerer als noch vor Wochen: Die Plattformen gleichen neue Unternehmen mit dem Labo ab, und auch die Bestandsdaten könnten sie bald an die Aufsichtsbehörde weiterleiten. Die bis zu 2000 illegalen Wagen dürften also bald nicht mehr unterwegs sein.

    Die 18-Monats-GmbHs

    Ein weiteres beliebtes Konstrukt sind die „18-Monats-GmbHs“. So nennt Leszek Nadolski, der Vorsitzende der Berliner Taxi-Innung, Mietwagenfirmen, die zwar eine Konzession haben, aber nach etwa zwei Jahren wieder verkauft werden, um krumme Geschäfte zu verschleiern, wie er glaubt.

    Die Hinterleute starten legal: Sie gründen eine GmbH, besorgen sich einen Unternehmerschein, legen eine Fachkundeprüfung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) ab, kaufen eine Fahrzeugflotte und beantragen beim Labo Konzessionen. Alles sauber.

    Dann stellen sie Fahrer ein, oft auf Minijob-Basis, lassen diese im Schichtbetrieb arbeiten und zahlen ihnen die Stunden, die sie darüber hinaus arbeiten, schwarz aus. Dem Fiskus fällt das nicht auf, weil der Unternehmer den Betrieb verkauft, bevor er Steuern zahlen soll, oder er hat die Firma unlängst in die Pleite getrieben, ganz bewusst. So erzählen es mehrere Insider.

    Einer, der wie die anderen anonym bleiben will, sagt: „Der Unternehmer muss nach zwei Jahren Einkommenssteuer zahlen, das sind Einnahmen minus Ausgaben. Hier fällt auf, dass der Betrieb viel mehr Ausgaben hatte, als er mit den Minijobbern offiziell eingenommen hat.“ An diesem Punkt gehe er entweder pleite oder die Firma werde vorher auf einen Verwandten überschrieben.

    Dann fahre „der Dampfer weiter“, sagt Nadolski. Ein Blick ins Handelsregister zeigt: Hier handeln offenbar professionelle Betrüger. Ein Mann, so ist dort vermerkt, war Geschäftsführer von sieben Mietwagenfirmen, von denen inzwischen zwei pleite sind. Eine davon wurde innerhalb von zwei Jahren gleich dreimal verkauft. Viele Firmen gehören heute Leuten, die auffällig oft osteuropäische Namen tragen. Ein Insider sagt, das seien Leute, die auch mal zum Notartermin eingeflogen würden.

    Diese Strohleute seien Geschäftsführer, aber ein als Betriebsleiter getarnter Komplize vom ursprünglichen Inhaber agiere als eigentlicher Chef. „Wenn der Betriebsleiter einen Unternehmerschein hat, dann braucht der Geschäftsführer keinen. Und der Betriebsleiter kommt meist aus der Familie“, erzählt einer, der seinen Namen ebenfalls nicht veröffentlicht sehen will. Mit diesem Trick könnten sich die Kriminellen von sämtlichen Pflichten befreien und das illegale Geschäft trotzdem weiterführen.

    Legales Geschäft kaum möglich

    Und die Fahrer, sind sie nicht die ersten, die die Polizei hochnimmt? Ja, schon, aber selbst bei neugierigen Zollbeamten weiß die Whatsapp-Gruppe Rat. Einer der User gibt Tipps, wie man am besten lügt: „Abrechnung monatlich? Antwort: Monatlich wird mein Lohn auf das Konto überwiesen“. Und: „Habt ihr Aufenthaltsräume im Büro?“ Antwort: „Ja, wir haben Kaffee, Tee, kalte Getränke und Kuchen stehen jeden Tag bereit“. In beiden Fällen ist höchstwahrscheinlich das Gegenteil der Fall: Denn nach Tagesspiegel-Informationen erhalten viele Fahrer einen großen Teil des Lohns in bar, und einen Betriebssitz gibt es oft nicht.


    Polizei, Zoll und das Labo scheinen seit einiger Zeit entschlossener gegen die illegalen Fahrer vorzugehen, ein weiterer Screenshot von der Whatsapp-Gruppe.

    „Nachhaltig lässt sich das Geschäft nicht aufziehen, das geht nur illegal, alles andere ist Blödsinn“, sagt Nadolski. Der Taxi-Chef mag aus Eigeninteresse sprechen, aber selbst andere, wie der Präsident der Mobilitätsplattform Freenow, Alexander Mönch, sagen das.

    Mönch ließ nachrechnen. Heraus kam, dass es für Mietwagenunternehmen, die Fahrten auf Uber und Co. anbieten, unter arbeitsrechtlichen Standards nicht möglich sei, dauerhaft kostendeckend zu wirtschaften. „Es haben sich im taxiähnlichen Mietwagengeschäft massive illegale Strukturen gebildet. Wir sehen in ein tiefes, schwarzes Loch.“

    Mönch scheint ernsthaft interessiert zu sein, die illegalen Geschäfte auszutrocknen. Im Verkehrsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses sprach er über das System und brüskierte die eigene Branche. Seine Konkurrenten bestreiten solche Berechnungen: Sie behaupten bis heute, dass die Fahrer der Mietwagenfirmen mehr Touren pro Stunde absolvierten als die Taxis. Wegen der höheren Auslastung lohne sich das Geschäft.
    Die traurige Rolle der Aufsichtsbehörde Labo

    Wie konnten diese Entwicklungen jahrelang an der Aufsichtsbehörde Labo vorbeigehen? Der SPD-Abgeordnete Tino Schopf hat Akteneinsicht bei 38 der rund 700 in Berlin registrierten Mietwagenunternehmen beantragt. Was er zu sehen bekam, hatte er nicht erwartet: Das Labo habe in einem Fall einer 19- bis 20-jährigen Frau Konzessionen erteilt, obwohl sie trotz ihres Alters noch fünf andere Unternehmen leitete. Die Frau hatte laut Schopf nicht einmal einen Wohnsitz in Deutschland. In einem anderen Fall habe eine größere Firma angegeben, dass der Betriebsleiter weniger als 1000 Euro brutto verdiene, auch hätte die Behörde so gut wie nie den Betriebssitz kontrolliert. „Warum fällt mir als Laie das auf, dem Labo aber nicht?“, fragt Schopf.

    „Das Labo hat systematisch versagt“, sagt er. Doch hat die Behörde auch systematisch weggesehen? Schopf formuliert es diplomatisch. Die Sachbearbeiter seien mit ihrem Job scheinbar inhaltlich und fachlich überfordert gewesen. Da die Fehler von damals nicht rückgängig gemacht werden könnten, fordert der Politiker, die Behörde solle die Betriebe jetzt systematisch nachprüfen.

    Der Tagesspiegel hat das Labo mit Anschuldigungen konfrontiert. Ein Sprecher antwortet, in der Akteneinsicht von Schopf habe es keinen Fall mit einer so jungen Frau gegeben. Weiter schreibt der Sprecher, das Labo sei „inzwischen in der Lage“, bei Beantragung von Konzessionen den Betriebssitz des Mietwagenunternehmens zu kontrollieren – was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Behörde dazu wohl länger nicht fähig gewesen war.

    Für die Verkehrsverwaltung, die dem Labo übergeordnet ist, antwortet derselbe Sprecher. Diese unterstütze seit Jahren die Forderung, das Labo personell aufzustocken, es stünden mittlerweile mehr Mittel zur Verfügung, leider merke man den Fachkräftemangel. Neben einer „behördenübergreifenden Arbeitsgemeinschaft“ zur Schattenwirtschaft im Mietwagenbereich, die aber erst noch initiiert werden müsse, solle „zeitnah“ ein Leitfaden vorliegen, der eine „höhere Wirksamkeit und schnellere Reaktionsmöglichkeiten“ bewirken könne. Kurzum: Noch ist nicht viel passiert.

    Uber und Co. argumentieren, nur Vermittler zu sein

    Konfrontiert man die Plattformen mit vermeintlichen Missständen, antworten sie, nur Fahrdienstvermittler zu sein. Ein Sprecher von Bolt schreibt, das Unternehmen habe den „Anspruch, Fahrten ausschließlich an lizenzierte und gesetzeskonforme Mietwagenunternehmen zu vermitteln“, aber: „Die Einhaltung von Arbeitsstandards sowie die korrekte Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsabgaben obliegt den Transportunternehmen selbst und die Kontrolle dessen den Ordnungsbehörden.“

    Mietwagenunternehmen dürfen am Flughafen nicht warten, bis ein Fahrgast kommt. Sie müssen, anders als Taxis, zum Betriebssitz zurückkehren. Nach Informationen des Tagesspiegels hält sich kaum ein Fahrer daran.
    Mietwagenunternehmen dürfen am Flughafen nicht warten, bis ein Fahrgast kommt. Sie müssen, anders als Taxis, zum Betriebssitz zurückkehren. Nach Informationen des Tagesspiegels hält sich kaum ein Fahrer daran.

    Ähnliche Antworten schickt Uber. Für den Konzern habe „gesetzeskonformes Handeln oberste Priorität“: „Sofern sich unsere Partner nicht an die Regeln halten und wir davon Kenntnis erlangen, ziehen wir entsprechende Konsequenzen, bis hin zu einer Sperrung auf unserer Plattform.“ Bevor Uber Fahrten vermittle, prüfe ein Team zudem die Unterlagen und Konzessionen der Firmen. „Leider haben manche Manipulationen eine so hohe Qualität, dass sie nicht von echten Dokumenten zu unterscheiden sind.“

    Dabei wäre es so einfach: Ein Datenabgleich mit dem Labo zöge die 80/20-Fahrer sofort aus dem Verkehr. Nach Tagesspiegel-Informationen könnte ein solcher Abgleich bald stattfinden, eine Einigung mit der Behörde steht offenbar kurz bevor. Die Plattformen hatten lange Datenschutzbedenken geäußert.

    Der SPD-Politiker Schopf ärgert sich trotzdem, dass die Plattformen so lange ahnungslos spielten, und wundert sich über ihre passive Rolle. Schließlich könnten sie selbst aktiv werden und prüfen, ob Konzessionen abgelaufen sind oder ob Mietwagenfirmen existieren, an die sie Aufträge vermitteln.

    Wenigstens das Labo scheint inzwischen aus seiner Passivität herauszukommen, das bemerken auch die Fahrer in der Whatsapp-Gruppe: „Wallah aufpassen, Männer, ich glaube, heute sieht es sehr böse aus mit Labo.“ Ein anderer schreibt: „Alexanderplatz Leute, 3 Brüder hintereinander erwischt.“

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    Zu den Arbeitsbedingungen und Einkommen der Fahrer

    Viele Fahrer überschreiten die maximale Arbeitszeit von zehn Stunden pro Tag, um ein auskömmliches Einkommen zu erzielen. Verrichten die Arbeiter Schwarzarbeit und erhalten sie gleichzeitig Bürgergeld, erwirtschaften sie bei einer normalen Arbeitswoche inklusive der Sozialhilfe vermutlich ein relativ gutes Gehalt.

    So kommen auf ein Mietwagen in Berlin laut dem Start-up Bliq, das wie Uber als Fahrdienstvermittler auftritt, zwischen 1500 und 2000 Euro Umsatz pro Woche. Allerdings handelt es sich hierbei um Bruttobeträge, vor Abzug von Vermittlungsgebühren. Zudem kann ein Auto von mehreren Fahrern benutzt werden. Bei zwei Fahrern käme jeder nach Abzug der Gebühren auf durchschnittlich 2600 Euro im Monat. Im Falle des „80/20“-Modells behielten beide rund 2000 Euro, weil sie sämtliche Steuern (etwa Umsatz- und Einkommenssteuer) unterschlagen.

    „Hamburger Modell“

    Deutlich strenger als in Berlin geht die Hamburger Aufsichtsbehörde mit Mietwagenunternehmen um, die Fahrten auf Mobilitäts-Apps anbieten wollen. Konzessionen bekommt nur, wer beweisen kann, kostendeckend zu wirtschaften. In den meisten Fällen lehnt die Behörde den Antrag ab, was dazu geführt hat, dass in der Hansestadt nur 15 konzessionierte Fahrzeuge unterwegs sind.

    Das ist der Hintergrund der Recherche:

    Für die Recherche hat der Tagesspiegel mit rund einem Dutzend Personen gesprochen: aus dem Taxigewerbe, mit Fahrern, mit Mietwagenunternehmern, mit Plattformbetreibern und anderen Insidern. Teilweise erfolgten die Recherchen anonym. Viele Namen wurden im Artikel pseudonymisiert, um Beteiligte zu schützen.

    #Berlin #Uber #LABO