Taxi

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  • Mein stilles Steglitz wird im Roman zum gefährlichen Schauplatz
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mein-stilles-steglitz-wird-im-roman-zum-gefaehrlichen-abgrund-li.21


    Da hat jemand einfach nichts verstanden, garnichts. Jetzt wird also auch Steglitz von denen eingenommen, die schon den Prenzlauer Berg von seinen Einwohnern befreien halfen, um dann ratzfatz der Bezirksgeschichtschreibung ihrenden bloggenden Stempel aufzudrücken.

    Wurzelloses Mittelschichtzeugs, das aus dem Schwabenland oder einer beliebigen anderen Provinz angespült wurde, um endlich seine perfekte Kombi aus Spießigkeit und Weltstadt leben zu können. Man könnte davonlaufen, wenn einem nicht vor Langeweile die Beine eingeschlafen wären.

    Bis vor ein paar Jahren konnte man guten Gewissens behaupten: „Berlin ist nicht Deutschland.“ Galt auch für Steglitz oder schlimmer noch Tempelhof. Das ändert sich jetzt. Dumm jelaufen.

    31.10.2023 von Susanne Dübber - Der stille Außenbezirk Steglitz ist im gleichnamigen Roman von Inès Bayard gefährlicher Hintergrund für Albträume. Dagegen meldet unsere Autorin Protest an.

    Wenn über Berlin geredet wird, dann nie über den Bezirk Steglitz. Immer geht es nur um abgründigere und schickere Stadtteile wie Neukölln, Prenzlauer Berg oder Kreuzberg. Das Beschweigen des Stadtteils hat mich nie gestört. Mir war es eigentlich immer ganz lieb, im Windschatten anderer still vor mich hinzuleben. Jetzt aber zerrt die Schriftstellerin Inès Bayard meinen Bezirk von der Markelstraße bis zur Bergstraße ins grelle Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Wohl fühle ich mich damit nicht.

    Stellt sie Steglitz doch völlig anders dar, als ich es seit Jahrzehnten empfinde. Bei ihr ist es unheimlich, gefährlich, Albtraum-ähnlich: feiner Nebel, dichter Schneefall, schwarze Gestalten im Ruth-Andreas-Friedrich-Park.

    Meine Gefühle spiegelt Inès Bayard in einem Interview: „Ja, tatsächlich habe ich zu Beginn des ersten Lockdowns in Deutschland mit dem Schreiben angefangen. Das war eine sehr seltsame und verstörende Zeit, die sich unweigerlich auf mein Schreiben ausgewirkt hat, ohne dass ich mir dessen vollkommen bewusst gewesen wäre.“

    Aber Steglitz ist der Bezirk für diejenigen, die in ihrem Leben angekommen sind, so heißt es über meine Heimat, und das empfinde ich auch so. Viel Grün, komfortable Wohnungen, kaum Kneipen, keine Clubs; alles so schön wohlgeordnet hier. Aufregendes gibt es bei uns nichts – außer dem Kreisel vielleicht, einem in Beton verewigten, nie endenden Bauskandal. Und der einzige Abenteurer, der in Steglitz lebte, war Ende des 19. Jahrhunderts Otto Lilienthal. Verwegen probierte er die ersten Menschenflüge auf dem Lichterfelder Fliegeberg. Lange her.

    Für die Schriftstellerin Bayard ist Steglitz „ein aus mehreren Gründen faszinierendes Pflaster. Erstens, weil es zwei Lebensformen vereint: auf der einen Seite ein Familienviertel ohne Geschichte, das Geborgenheit und Wärme bietet, und auf der anderen Seite den schrägen Irrsinn der Einkaufszentren und der Einkaufsstraßen, wo die Menschen massenhaft konsumieren. Die Energie verändert sich von einer Straße zur anderen. Man kann vollkommen allein oder umgeben vom Wahnsinn sein.“

    Also, bitte, Frau Bayard, Wahnsinn ist bei uns nicht zu beobachten. Selbst Menschen, die es schwer haben im Leben, blühen in unserer Idylle auf! Aber natürlich gibt es bei uns auch Einsame wie Ihre Hauptfigur Leni Müller. Ohne Aufgaben– das lustlose Versorgen des Ehemannes ausgenommen – durchleidet sie ihren grauen Alltag. Traumatische Erinnerungen überfallen sie, Veränderungsversuche verbessern nichts. Am Ende bleibt die verstörende Frage: Traum oder Wirklichkeit?

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