Kampf gegen Steuerbetrug in Berlin: Gibt Bolt Mietwagenfirmen die Möglichkeit, eine Behördenkontrolle zu umgehen?
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21.3.2024 von Benedikt Schmidt - Bolt muss Daten von Mietwagenfirmen mit der Ordnungsbehörde teilen, um Anbieter ohne Lizenz zu überführen. Doch zuvor holt die Plattform deren Zustimmung ein.
Die Mobilitätsplattform Bolt gibt womöglich illegal operierenden Mietwagenfirmen die Möglichkeit, die anstehende Datenübermittlung an Berlins zuständige Aufsichtsbehörde Labo (Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten) zu umgehen. Das legt eine E-Mail nahe, die Bolt am Mittwoch an die bei Bolt registrierten Flottenbesitzer verschickt hat.
Hintergrund des Schreibens ist, dass Bolt zum 1. April die Daten von Mietwagenfirmen mit der Ordnungsbehörde teilen muss, um Anbieter ohne Lizenz zu überführen. So soll gegen Steuerbetrug im Mietwagengeschäft vorgegangen werden.
Die Mail an die Anbieter liegt dem Tagesspiegel vor. Bolt, heißt es darin, bitte um „Einverständnis“, die bei sich hinterlegten Daten mit der Aufsichtsbehörde Labo zu teilen. „Wenn deine Fahrzeuge und dein Unternehmen eine gültige Lizenz besitzen, klicke auf EINVERSTANDEN“. Weiter heißt es: „Wenn du auf NICHT EINVERSTANDEN klickst, werden wir keine Daten mit dem LABO teilen, dein Unternehmen aber innerhalb der nächsten Wochen von der Vermittlung von Fahrten über die Bolt Plattform ausschließen“.
Gibt ein Unternehmer ohne Lizenzen an, nicht einverstanden zu sein, könnte er sich der Kontrolle durch die Behörde wohl entziehen. Zumindest könnte er die „Umfrage“, wie Bolt sie nennt, so verstehen.
Datenabgleich Anfang April
Nach Schätzungen von Branchenkennern waren zuletzt bis zu 2000 Autos ohne Lizenz über die Mobilitäts-Apps von Uber und Co. in der Hauptstadt buchbar. Die Fahrgäste sind während der Tour mit einem solchen Wagen nach Einschätzung von Verbraucherexperten nicht versichert. In Deutschland vermitteln Uber und Bolt Fahrten an Mietwagenfirmen mit Angestellten, die einen Personenbeförderungsschein besitzen. In anderen Ländern fahren auch Freiberufler für die Konzerne durch die Gegend.
Um die illegalen Unternehmer ausfindig zu machen, hatten sich Bolt und die Konkurrenten Uber und Freenow vergangene Woche einverstanden erklärt, ihre Datensätze an das Labo zu schicken, damit die Behörde diese mit den offiziell registrierten Mietwagenunternehmen abgleicht. Weil illegale Firmen mutmaßlich gefälschte Unterlagen bei den Plattformen eingereicht haben, würden sie bei dem Abgleich der Datensätze mutmaßlich auffliegen.
Aufsichtsbehörde will den Sachverhalt untersuchen
Versucht Bolt, die Zahl der illegalen Autos zu reduzieren, um nach der Datenabfrage am 1. April verkünden zu können, dass die Situation doch nicht so schlimm war, wie Experten behauptet hatten? Tino Schopf, der für SPD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, glaubt genau das. Er sagt, Bolt biete den Kriminellen „eine Hintertür zur Flucht“ an. „Ich bin kein Jurist, aber für mich ist das Beihilfe zur Steuerhinterziehung.“ Er lobt die Einigung mit dem Labo, kritisiert jedoch den Stichtag am 1. April: „Der Stichtag hätte der Tag sein sollen, an dem sich die Plattformen mit dem Labo an einen Tisch gesetzt haben.“
Auf die Frage, warum das Labo den Datenabgleich nicht sofort durchführte, antwortet eine Sprecherin der Verkehrsverwaltung, dass die „personellen, organisatorischen und technischen Vorbereitungen“ einer Vorlaufzeit bedurft hätten.
Ich bin kein Jurist, aber für mich ist das Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
Tino Schopf, SPD-Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus
Was die Behörde und die ihr übergeordnete Verwaltung von dem Vorgehen Bolts halte, drückt die Sprecherin so aus: „Es besteht nach der Vereinbarung des Labo mit den Vermittlungsplattformen keine Option, dass der Unternehmer selbst entscheiden kann, ob die Vermittlungsplattformen die Daten an das Labo übermitteln.“ Der Sachverhalt werde „umgehend mit der betroffenen Vermittlungsplattform geklärt“.
Bolt offenbar nicht der Einzige
Mit den Vorwürfen konfrontiert, schreibt ein Sprecher von Bolt, dass es für den Datenaustausch „bisher keine gesetzliche Pflicht oder Grundlage“ gebe. „Mit Blick auf geltende Datenschutzbestimmungen haben wir uns entschieden, vorab eine Einwilligung in die Datenübertragung einzuholen. Unternehmen, die dieses Einverständnis nicht erteilen, werden von der weiteren Nutzung unserer Plattform ausgeschlossen.“
Im Gegensatz zu Bolt schließt Alexander Mönch, Präsident des Mobilitätsunternehmens Freenow, auf Anfrage aus, den Datenbestand seiner Plattform vorab zu bereinigen. „Aus unserer Sicht ist das kontraproduktiv, weil wir so Unternehmen, die kriminell arbeiten, vor dem Zugriff der Behörde schützen. Wir wollen nicht, dass die Firmen als Nächstes versuchen, die Methode mit gefälschten Unterlagen im Taxigewerbe zu wiederholen.“
Doch auch SafeDriver, das Generalunternehmen für Uber, so etwas wie ein Subunternehmer, bietet Kriminellen offenbar einen Plan B: In einem Schreiben fordert die Firma Flottenbesitzer auf, eine neue Genehmigungsurkunde hochzuladen, diese Nachricht liegt dem Tagesspiegel ebenfalls vor. Darin heißt es, das Unternehmen werde „dieses Dokument“ mit dem Labo teilen – was ermöglichen könnte, dass kriminelle Firmen einfach kein neues Dokument hochladen und so der Überprüfung entgehen.
Auf die Frage, ob der SafeDriver-Chef Thomas Mohnke mit dieser Methode versuche, Unternehmen ohne gültige Konzession von der Plattform zu entfernen, bevor die Daten mit dem Labo abgeglichen werden, antwortet er nicht. Stattdessen: „Wir passen unsere Prozesse stetig an und verbessern sie.“ Seine Firma werde „die in der Vereinbarung mit dem LABO festgelegten Informationen“ mit der Behörde teilen. Zu den Inhalten wolle er keine Angaben machen.