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  • Polizeigewalt in Frankreich: Neue Gummigeschosse sind schon bestellt | ZEIT ONLINE
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    Frankreichs Polizei geht mit HĂ€rte gegen die Demonstrierenden vor. Dahinter steckt offenbar eine neue Strategie: Man will nicht noch einmal die Kontrolle verlieren.
    Von Annika Joeres
    14. Dezember 2019, 7:09 Uhr 550 Kommentare
    Polizeigewalt in Frankreich: Waffe mit Gummigeschoss: Hier zielt ein französischer Polizist am 1. Mai auf eine Demonstration der Gelbwesten.
    Waffe mit Gummigeschoss: Hier zielt ein französischer Polizist am 1. Mai auf eine Demonstration der Gelbwesten. © GEOFFROY VAN DER HASSELT/​AFP/​Getty Images
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    Der zerschmetterte SchĂ€del, den Laurent Thines an diesem Tag auf seinem Operationstisch sah, erinnerte den Chirurg an VerunglĂŒckte bei einem Autounfall. Der Arzt aus dem ostfranzösischen Besançon behandelt seit Wochen Demonstrierende, Gelbwesten und auch einfach nur Passanten, die von Polizeigewalt betroffen sind. Darunter seien auch Menschen, denen ein Gummigeschoss das Auge zerstörte, erzĂ€hlt Thines. Das Ausmaß der Gewalt lĂ€sst sich in einer Statistik des Journalisten David Dufresne ablesen: 25 Menschen verloren Augen, fĂŒnf HĂ€nde, hunderte wurden schwer verletzt. Die meisten Opfer sind Demonstrierende, aber Dufresne listet auch mehr als hundert Journalisten, 46 MinderjĂ€hrige und 70 Passantinnen, die von einem Schlagstock, einer Granate oder einem Gummigeschoss getroffen wurden.

    „Diese staatliche Gewalt an Menschen, die fĂŒr ihre soziale Sicherheit demonstrieren, muss aufhören“, sagt Chirurg Thines. Nach dem GesprĂ€ch schickt er Röntgenaufnahmen von Opfern, die seine Kollegen ihm sendeten: Bilder von löchrigen und zertrĂŒmmerten SchĂ€deln etwa, von blutĂŒberströmten und narbigen Gesichtern.

    In diesen Tagen gehen wieder Tausende auf die Straße, um gegen die Rentenreform von PrĂ€sident Emmanuel Macron zu demonstrieren. Thines fĂŒrchtet, dass wieder viele Menschen HĂ€nde und Augen verlieren werden. Dass die französische Polizei wieder schwer bewaffnet sein wird, dass sie wieder Gummigeschosse und Blendgranaten einsetzt. Ende November hat das Innenministerium offiziell einen Großauftrag fĂŒr die „LBD“-GummibĂ€lle ausgeschrieben. Sie werden mit mehr als 300 Stundenkilometer abgeschossen – laut Thines ist der Aufprall auf dem Körper so hart, als ließe man einen 20 Kilogramm schweren Betonklotz aus einem Meter Höhe auf den Kopf fallen. Die Blendgranaten setzt die Polizei ein, um eine Demonstration aufzulösen oder zu zerstreuen.

    Kurzum: Frankreich ist im Ausnahmezustand. Der Zugverkehr ist von den streikenden ZugfĂŒhrern und Schaffnern seit Anfang Dezember weitestgehend lahmgelegt, an manchen Tagen fĂ€hrt gar kein Fernzug, an anderen einer von dreien. Am kommenden Dienstag werden landesweit Lehrer, Schaffnerinnen, MĂŒllmĂ€nner und Feuerwehrleute streiken. Sie wollen die Rentenreform verhindern, die fĂŒr alle ein einheitliches Punktesystem und ein um zwei Jahre spĂ€teres Eintrittsalter von 64 Jahren vorsieht.
    Polizeigewalt wurde lange ignoriert

    Chirurg Thines hat wie viele andere inzwischen Angst, zu demonstrieren. Und auch Journalistinnen und Journalisten sind bei ihrer Arbeit bedroht. Vergangene Woche traf es einen tĂŒrkischen Fotografen: Sein Schutzhelm wurde von einer Blendgranate zertrĂŒmmert, sein Auge verletzt. Diese Woche wurden zwei angehende Reporter einer renommierten Journalistenschule im nordfranzösischen Lille verhaftet, als sie einen Polizeieinsatz filmten. „Es ist das Recht von Journalisten, Aufnahmen zu machen“, twitterte die Hochschule. Es sei nicht hinnehmbar, diese Grundrechte einzuschrĂ€nken. Die Pressefreiheit hat in Frankreich seit den Gelbwestenprotesten gelitten: Das Land liegt im Ranking von Reportern ohne Grenzen nur noch auf Platz 32.

    Französinnen und Franzosen sind stolz auf die französische ErklĂ€rung der Menschenrechte von 1789. Sie betonen oft, wie freiheitlich das Land sei. Vielleicht wurde wegen der großen Kluft zwischen diesem Anspruch und der auf YouTube und Facebook tausendfach dokumentierten staatlichen Gewalt diese lange verdrĂ€ngt. In Zeitungen, Talkshows und beim tĂ€glichen GesprĂ€ch beim BĂ€cker oder auf dem Schulfest wurde die neue Doktrin der Polizei ignoriert oder kleingeredet. Die Menschen sehen zwar die Bilder der gewaltsamen ZusammenstĂ¶ĂŸe in den Medien, aber viele wollen nicht wahrhaben, dass dahinter tatsĂ€chlich eine neue Politik der gewaltsamen Konfrontation steckt. Oft wird dann argumentiert, die Demonstrierenden seien ja ebenfalls gewalttĂ€tig, die Betroffenen hĂ€tten die Polizisten provoziert und seien letztendlich selbst schuld.

    Die Bundesregierung, die zusammen mit Frankreich Gewalt gegen Protestierende in Russland oder Hongkong anprangert, hat noch kein Wort ĂŒber die französische Polizei verloren. Auch in den deutschen Medien las man bislang wenig dazu. „Sie wollen nicht wahrhaben, dass Frankreich eine autoritĂ€re Wende vollzogen hat“, urteilt Chirurg Thines. Seit drei Jahrzehnten behandelt er Opfer von Gewalt in seinem Operationssaal und immer mal wieder auch verletzte Demonstrierende. „Aber noch nie habe ich so viele fĂŒr ihr Leben gezeichnete Menschen gesehen wie in den vergangenen Monaten.“

    #violences_policiĂšres avec @davduf dedans.