450 Euro Job, Problem wegen angebliche Trinkgelder !

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  • Arme Kutscher - Sozialgericht Stuttgart untersagt die Anrechung von Trinkgeld auf Hartz IV-Leistungen
    http://www.sozialgericht-karlsruhe.de/pb/,Lde/Keine+Anrechnung+von+Trinkgeld+auf+Hartz+IV-Leistungen/?LISTPAGE=3632228
    Dieses Urteil dürfte zahlreiche Berliner Taxifahrer betreffen, denn ihr Lohn bewegt faktisch sich oft unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Noch ein Argument dafür, ein guter Angestellter zu sein, und die wirklichen Arbeitszeiten abzurechnen, anstelle sich in die Tasche zu lügen, und die seines Chefs zu füllen.

    Urteil vom 30. März 2016, Aktenzeichen S 4 AS 2297/15 (nicht rechtskräftig)

    Die Klägerin ist alleinerziehende Mutter und in Teilzeit als Friseurin beschäftigt. Aus ihrer Tätigkeit erzielte sie zuletzt bei einer monatlichen Arbeitszeit von 60 Stunden einen Bruttoarbeitslohn von 540 €. Nachdem die Klägerin Nachfragen des Jobcenters nach ihren Trinkgeldeinnahmen nicht beantwortet hatte, ging das Jobcenter von einem geschätzten durchschnittlichen Zusatzverdienst von 60 € durch Trinkgeld aus. Bei 60 Arbeitsstunden pro Monat und geschätzt einem Kunden pro Arbeitsstunde und 1 € Trinkgeld pro Kunde sei es realistisch, bei der Klägerin ein monatliches Trinkgeld von 60 € anzunehmen. Ausgehend von 600,- € Bruttoverdienst rechnete das Jobcenter deswegen 300 € monatliches Einkommen an (nach den gesetzlichen Vorschriften waren insgesamt 300 € als Grundfreibetrag, als Abzug für Sozialversicherungsbeiträge sowie als zusätzlicher Erwerbstätigenfreibetrag vom anrechenbaren Einkommen abzuziehen). Im Klageverfahren hat die Klägerin bestritten, regelmäßig 60 € Trinkgeld je Monat eingenommen zu haben. Sie habe eine neue Stelle angetreten und daher wenig Stammkunden gehabt. An manchen Tagen habe sie kein Trinkgeld, an anderen 2 € oder 2,50 € Trinkgeld erzielt, welche sie jeweils noch am selben Tag für das Mittagessen ausgegeben habe.

    Das Sozialgericht Karlsruhe hat entschieden, dass Trinkgeldeinnahmen von Hartz IV-Leistungsbeziehern grundsätzlich nicht anzurechnen sind. Es konnte daher offengelassen werden, ob das Jobcenter überhaupt berechtigt war, eine Schätzung von Trinkgeldeinnahmen vorzunehmen. Das Geben von Trinkgeld beruht nicht auf einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung, sondern stellt eine freiwillige Leistung dar, die eine besonders gelungene Dienstleistung honorieren und dem Dienstleistenden selbst zukommen soll. Wüsste der Kunde, dass das Trinkgeld im Ergebnis die Situation des Dienstleistenden nicht verbessert, weil sich im selben Umfang die Leistungen des Jobcenters vermindern, würde kaum noch Trinkgeld an die Betroffenen gezahlt werden. Dies wäre nicht nur ungerecht im Vergleich zu den Kollegen, die mehr verdienen und zusätzlich ihr Trinkgeld behalten dürfen, sondern auch schädlich für die Motivation der betroffenen SGB II-Leistungsbezieher und ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Wegen Vorliegens einer unzumutbaren Härte hat daher die Anrechnung zu unterbleiben, sofern das Trinkgeld ca. 10 % der gewährten Hartz IV-Leistungen oder einen monatlichen Betrag von 60 € nicht übersteigt.

    § 11a Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - Nicht zu berücksichtigendes Einkommen:

    (5) Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit

    1. ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder

    2. sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

    Für alle, die es genauer wissen wollen gibt es hier den vollständigen Text des Urteils:

    SG Karlsruhe, Urteil vom 30. März 2016 - Az. S 4 AS 2297/15
    https://openjur.de/u/892388.html

    Und die Rechtsnorm dazu:

    Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - Kapitel 2 - Anspruchsvoraussetzungen (§§ 7 - 13), § 11a Nicht zu berücksichtigendes Einkommen
    https://dejure.org/gesetze/SGB_II/11a.html

    (1) Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind
    ...
    (5) Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit
    1. ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder
    2. sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

    Das Jobcenter fragt ungeachtet des anders lautenden Gesetzes nach Trinkgeldern, um sie von den Leistungen abzuziehen.

    § 11 - Zu berücksichtigendes Einkommen - www.arbeitsagentur.de
    https://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Veroeffentlichungen/WissensdatenbankSGBII/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI554369

    Trinkgeld

    Für verschiedene Berufe im Dienstleistungsbereich (z. B. Friseure) wurden im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) 10 % des Einkommens nach Gehaltsbeleg zusätzlich als Trinkgeld angerechnet, da in diesen Berufen erfahrungsgemäß Trinkgeld einen nicht unerheblichen Anteil des Einkommens ausmacht. Ist im SGB II entsprechend zu verfahren?

    Bei Trinkgeldern handelt es sich ebenfalls um Erwerbseinkommen. Sie sind zum Arbeitsentgelt hinzuzurechnen.

    Eine pauschale Berücksichtigung kann nicht stattfinden, da nur Einkommen berücksichtigt werden kann, das dem Antragsteller tatsächlich zufließt. Daher muss die konkrete Höhe des Trinkgeldes den Angaben in der Anlage EK (Einkommenserklärung zur Feststellung der Einkommensverhältnisse jeder in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Person) entnommen werden.

    Bei den o. g. Berufen ist ggf. gezielt nach dem gezahlten Trinkgeld zu fragen.

    WDB-Beitrag Nr.: 110066

    Das muss man sich nicht gefallen lassen. Auf die folgende Schiene sollte man sich nicht schieen lassen:

    450 Euro Job, Problem wegen angebliche Trinkgelder !
    http://www.sozialleistungen.info/foren/einkommensanrechnung/t-450-euro-job-problem-wegen-angebliche-trinkgelder-17720.html

    Ich habe dem Jobcenter den Arbeitsvertrag vor 2 Wochen vorgelegt , jetzt habe ich ein Bescheid vom Jobcenter bekommen, wo jetzt drin steht, das ab den 1.3.2013 Trinkgelder Pauschal berechnet werden bzw. wird.
    Das Problem ist jetzt, ich bekomme keine Trinkgelder, da ich nicht als Taxifahrer dort tätig bin.

    Was soll ich jetzt machen ?

    Das war im Jahr 2013, und die Rechtslage hat sich zu Gunsten der Arbeitenden entwickelt. Wahrscheinlich werden noch zahlreiche ARGEs versuchen, Trinkgelder anzurechnen, das sollte inzwischen jedoch nicht ohne Probleme durchgehen - vorausgesetzt, man wehrt sich.

    Der folgende Artikel erklärt das sehr schön.

    Weniger Hartz IV wegen mehr Trinkgeld? | anwalt.de
    https://www.anwalt.de/rechtstipps/weniger-hartz-iv-wegen-mehr-trinkgeld_084207.html

    Anrechnung von Trinkgeld ist grob unbillig

    Müssten sich Aufstocker erhaltene Trinkgelder als Einkommen anrechnen lassen, würde das dem Wunsch der Kunden, nämlich den Beschäftigten zu belohnen, widersprechen. Schlimmstenfalls könnten sie sogar dazu übergehen, gar kein Trinkgeld mehr zu zahlen, wenn sie erfahren, dass die Zuwendungen dem Beschäftigten letztlich nicht zugutekommen.

    Auch könnte dieses Vorgehen dazu führen, dass die Motivation der Aufstocker nachlässt, wenn sie merken, dass sich ihr Engagement nicht auszahlt. Schließlich kann es nicht sein, dass Aufstocker mit dem Trinkgeld ihr Existenzminimum sichern müssen. Ferner wäre eine Anrechnung von Trinkgeld grob unbillig, weil Nicht-Aufstocker das Trinkgeld steuer- und abgabefrei behalten können, während Aufstocker es auf ihr Einkommen anrechnen lassen müssten.

    Vorliegend durfte die Friseurin daher sämtliche Trinkgelder behalten – eine Anrechnung auf ihr Einkommen war unzulässig. Im Übrigen erwähnte das Gericht noch, dass die Trinkgeldeinnahmen der Friseurin wohl eher gering sind. Aus diesem Grund ist nicht damit zu rechnen, dass die junge Mutter allein aufgrund dieser Zuwendungen ihre Lebenslage zukünftig erheblich verbessern kann und ein Anspruch auf Hartz IV entfällt, vgl. § 11a V Nr. 2 SGB II.

    Fazit: Trinkgelder sind steuer- und abgabefrei. Beschäftigte dürfen diese freiwilligen Zuwendungen ihrer Kunden daher behalten, ohne Abzüge hinnehmen zu müssen. Gleiches gilt auch für Aufstocker: Trinkgeld darf nicht als Einkommen auf den Bedarf des Leistungsempfängers angerechnet werden.

    #Taxi #Trinkgeld #Recht #ALGII