Artikel von Steffen Grimberg - taz.de

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  • Holger Friedrich : „Berlin ist Schicksals- und Zukunftsort zugleich“. Der Verleger der Berliner Zeitung besuchte am 9. Mai russische, amerikanische und israelische Veranstaltungen. Hier sein Bericht.
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/holger-friedrich-verleger-der-berliner-zeitung-bei-empfang-der-bots

    Un article haineux dans Die Tageszeitung a éveillé mon intérêt pour cet article. Il se trouve qu’il est très intéressant au contraire du gribouillage du TAZ.

    11.05.2023 von Holger Friedrich - In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 kapitulierten die deutschen Streitkräfte in Berlin-Karlshorst erneut. Die sowjetische Führung bestand darauf. Eine anderthalb Tage vorher in Reims gegenüber den westlichen Alliierten erklärte bedingungslose Einstellung der Kampfhandlungen wurde nicht akzeptiert. Berlin war zu diesem Zeitpunkt seit einer Woche in der Hand der sowjetischen Streitkräfte. Die in Berlin verbliebene Nazi-Führung hatte sich eine Woche zuvor durch Selbstmord oder durch Flucht ihrer Verantwortung entzogen.

    Dieser Krieg kostete mehr als 50 Millionen Menschen das Leben, 23 bis 25 Millionen der Opfer stammten aus der Sowjetunion. Den prozentual höchsten Anteil an überwiegend zivilen Opfern hatte Polen mit circa fünf Millionen Toten zu beklagen, acht Millionen die damalige ukrainische Sowjetrepublik. Bestandteil dieses Krieges war der Holocaust, ein bis dahin nie gekanntes Zivilisationsverbrechen an sechs Millionen Juden. Die meisten Opfer entstammten osteuropäischen Ländern, den sogenannten „Bloodlands“. Heute tobt dort erneut ein Krieg, ein anderer: Russland hat die Ukraine angegriffen.

    Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges wurde Deutschland Interessensphäre der jeweiligen Bündnisse und dadurch geteilt. Durch Deutschland und Berlin verlief die Grenze zweier Systeme, der Eiserne Vorhang.

    Diese Grenze öffnete sich im Herbst 1989, als die ostdeutsche Zivilgesellschaft Veränderungen einforderte, als die Machtstrukturen des Ostblocks, der DDR und insbesondere der Sowjetunion erodierten und ein vertraulicher politischer Dialog zwischen den Systemen einen gesichtswahrenden Rückbau der massiv hochgerüsteten Armeen ermöglichte. Orte wie Helsinki oder Reykjavik spielten in der Deeskalation eine große Rolle, aber auch Berlin als Ort innerdeutscher Verständigung. In Häusern auf Rügen, in der Schorfheide oder eben Ost-Berlins, beispielsweise im heutigen Soho House, wurde der Eiserne Vorhang schrittweise geöffnet.

    Engagierte Außenpolitiker
    Die Treiber dieser Entwicklung waren engagierte, pragmatische Außenpolitiker der westlichen Allianz unter Führung der USA. Erinnert sei an Henry Kissinger oder James Baker, aber auch an Georg H. W. Bush, der nach dem Mauerfall die westdeutsche Position einer Wiedervereinigung unterstützte und jede hochmütige Geste gegenüber der sowjetischen Führung unter Gorbatschow vermied.

    Das Ergebnis kurze Zeit später war die Wiedervereinigung Deutschlands und die Demokratisierung der meisten osteuropäischen Staaten, die noch kurze Zeit zuvor unter sowjetischem Einfluss gestanden hatten.

    Demnach ist Berlin Schicksals- und Zukunftsort zugleich. Diese und andere historische Linien wurden am 9. Mai 2023 fortgeschrieben: Wie jedes Jahr lud die russische Botschaft zum Empfang. Die westlichen Gesandten boykottierten, um gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu protestieren. Dafür tauchten Vertreter des chinesischen Militärs auf. Man war unter sich, bis auf alternde Kommunisten und mittlerweile parlamentarisch etablierte Rechte fand sich kein deutsches Publikum. Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder nahm die Einladung der Botschaft an und war nach dem offiziellen Teil schnell gegangen. Dafür warf sich die AfD in Pose.

    Ein Freund, der in der Administration arbeitet, hatte mir angeboten mitzukommen. Ich sagte zu, aus Interesse, aber auch, weil ablehnende Vereinfachungen häufig genug das Gegenteil von dem bewirken, was gewollt ist. Zudem, weil der Tag eine aktuelle, aber auch diese historische Dimension hat.

    Die Schuld Russlands war kein Thema

    Wohl konnte sich niemand fühlen. Die russische Hymne war ergreifend. Dieser Moment der Besinnung wurde der Ehrung Überlebender gewidmet. Mit diesem Blick in die weite Vergangenheit verlief sich die Veranstaltung. Es wäre vielleicht die Möglichkeit gewesen, an so einem Tag in Berlin der Ukraine die Hand zu reichen, einen Prozess der Verständigung einzuleiten, auch über die sich immer weiter auftürmende Schuld Russlands. Aber das war leider kein Thema.

    Der zweite wichtige Termin: Die George W. Bush Foundation lud ein, und es wurde im Beisein der aus den USA angereisten Familie eine Statue des ehemaligen Präsidenten Bush sen. am Konsulat in der Clayallee eingeweiht. Vorher gab es einen Empfang in der ESMT (European School of Management and Technology), die im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR residiert. Der Westwing, der ehemalige Sitzungssaal, wird als Lernort für die Management-Elite ausgebaut. Die Berliner Verwaltung hat eine Baugenehmigung erteilt, die denkmal-konservatorischen Aspekten Rechnung trägt.

    Es gab viele persönliche Reden. Die beste Rede – nicht nur dieser Veranstaltung, sondern des gesamten Tages – hielt der Enkel von George H. W. Bush, Pierce Bush. Er sprach überzeugend von der demütigen Haltung seines Großvaters gegenüber Erreichtem und berichtete, wie sehr der Kampf für die freiheitlichen Werte des transatlantischen Bündnisses die Familie geprägt habe. Doch auch, dass er gleichzeitig im Moment des größten Triumphes 1989 und 1990 leise blieb und sich den Impuls des Tanzens auf der Mauer verbat.

    Es war verblüffend zu sehen, dass ein Mitglied der Bush-Familie vor atemberaubend schöner Kunst aus dem Jahr 1964 verharrt und nicht versteht, dass dieses Werk drei Jahre nach dem Bau der Mauer, und nicht nach dem Mauerfall entstanden war. Und man fragte sich, ob sich die Familie eines ehemaligen amerikanischen Präsidenten jemals vorstellen könnte, dass das Weiße Haus in Washington D.C. eine Ausbildungsstätte wird, in der die Wirtschaftselite eines vormals gegnerischen Systems ausgebildet wird. Die Anwesenden, so schien es, waren sich einig, dass es gut ist, wie es ist.

    Der dritte Termin dieses Tages in den großen Linien der Geschichte war der Empfang der israelischen Botschaft zum 75. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel. Der Empfang fand gegenüber dem Bendlerblock statt, dem ehemaligen Hauptquartier der Wehrmacht und Ort der Exekution der Attentäter auf Hitler vom 20. Juli 1944. Die gelassene und zugleich professionelle Strenge des Sicherheitspersonals stand in überraschendem Kontrast zur Fröhlichkeit der Anwesenden und diese wiederum im Gegensatz zur Stimmung auf dem Empfang der russischen Botschaft.

    Die beste Rede kam aus den USA
    In der russischen Botschaft auf chinesisches Militär zu treffen, war nicht überraschend, dass türkisches Militär auf einem offiziellen israelischen Empfang auftrat, schon eher. Vor Jahren undenkbar. Ähnlich überraschend war, dass Ron Prosor, der israelische Botschafter, gemeinsam mit dem deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius nach Abschluss aller Reden vor versammelter diplomatischer und politischer Exzellenz ein deutsches Lied sang.

    Im Gegensatz zum ersten Termin in der russischen Botschaft war hier viel Presse anwesend, es gab Redebedarf. Grundtenor im Raum war die Freude an der historischen Gerechtigkeit, an so einem historischen Ort den 75. Jahrestag der Gründung des Staates Israel zu feiern. In Berlin!

    Zusammenfassend hatten die Russen die schönste Hymne und die traurigste Stimmung. Die beste Rede kam aus den USA, ebenso, mit der Unterstützung exzellenter Bildung, die beste Intention. Und die größte Party gab es bei den Israelis.

    Was fehlte an diesem Tag? Es waren die Ukrainer. Sie gedachten einen Tag zuvor, am 8. Mai, schweigend in Prenzlauer Berg des Leids in ihrer Heimat. Ihr Botschafter trauerte in der Neuen Wache Unter den Linden, dem Mahnmal für die Opfer jeder Gewaltherrschaft, um die Toten des Krieges.

    Ein Ende dieses Leids scheint heute weiter entfernt denn je. Doch Europa hat mehr als einmal bewiesen, dass Tod- und Erzfeinde nach mörderischen Kriegen zueinanderfinden können. Schauen wir also auf den 9. Mai 2024. Bis dahin gibt es viel zu bereden und noch mehr zu tun.

    Holger Friedrich in russischer Botschaft :Enteignet die Putin-Versteher !
    https://taz.de/Holger-Friedrich-in-russischer-Botschaft/!5933975

    STEFFEN GRIMBERG
    https://taz.de/Steffen-Grimberg/!a44773

    2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei „ZAPP“ (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, seit 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Schreibt jede Woche die Medienkolumne „Flimmern und rauschen“

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